European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2014:T082212.20140523 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 23 Mai 2014 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0822/12 | ||||||||
Anmeldenummer: | 03001742.0 | ||||||||
IPC-Klasse: | C08J 9/14 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Treibmittelzusammensetzung zur Herstellung von geschäumten thermoplastichen Kunststoffen | ||||||||
Name des Anmelders: | Solvay Fluor GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Honeywell International Inc. | ||||||||
Kammer: | 3.3.09 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Teilanmeldung - unzulässige Erweiterung (nein) Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein) Priorität - (ja) Neuheit - (ja) Beschwerdeentscheidung - Zurückverweisung an die erste Instanz (ja) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Europäische Patent Nr. 1 310 520 zu widerrufen.
II. Das Streitpatent beruht auf der europäischen Patentanmeldung Nr. 03001742.0, die eine Teilanmeldung der europäischen Patentanmeldung Nr. 99924983.2 ist, die als internationale Patentanmeldung Nr. PCT/EP99/03360 eingereicht und unter der internationalen Veröffentlichungsnummer WO 99/61519 A1 (im folgenden: Stammanmeldung) veröffentlicht worden ist. Das Patent nimmt die Priorität der Voranmeldungen DE 19822944 (im folgenden: D13) und DE 19822945 (im folgenden: D14), beide eingereicht am 22. Mai 1998, in Anspruch.
III. Das Patent wurde mit zwei verschiedenen Anspruchsfassungen erteilt, jeweils mit neun Ansprüchen.
Die unabhängigen Ansprüche 1 und 7 für die Vertragstaaten AT, BE, CH, DK, ES, IE, LI, LU und NL lauteten wie folgt:
"1. Treibmittelzusammensetzung enthaltend oder bestehend aus <50 Gew.-% 1,1,1,3,3-Pentafluorbutan (HFC 365mfc) und >50 Gew.-% 1,1,1,3,3-Pentafluorpropan (HFC 245fa)."
"7. Verwendung einer Treibmittelzusammensetzung gemäß Anspruch 1 bis 6 zur Herstellung von Polyurethanschäumen und von geschäumten thermoplastischen Kunststoffen."
Die unabhängigen Ansprüche 1 und 7 für die Vertragstaaten DE, FR, GB und IT lauteten wie folgt:
"1. Treibmittelzusammensetzung enthaltend oder bestehend aus <50 Gew.-% 1,1,1,3,3-Pentafluorbutan (HFC 365mfc) und > 50 Gew.-% 1,1,1,3,3-Pentafluorpropan (HFC 245fa) mit Ausnahme einer aus 5 Gew.-% 1,1,1,3,3-Pentafluorbutan und 95 Gew.-% 1,1,1,3,3-Pentafluorpropan bestehend Treibmittelzusammensetzung."
"7. Verwendung einer Treibmittelzusammensetzung gemäß einem der Ansprüche 1 bis 6 zur Herstellung von Polyurethanschäumen und geschäumten thermoplastischen Kunststoffen, mit Ausnahme von Phenolharzen."
Die Ansprüche 2 bis 6, 8 und 9 waren abhängige Ansprüche.
IV. Gegen das Patent legte die Firma Honeywell International, Inc. (im folgenden: Einsprechende) Einspruch ein und beantragte das Patent zu widerrufen. Die Einsprechende machte die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) und Artikel 100 c) EPÜ geltend und stützte ihren Einspruch unter anderem auf folgende Dokumente:
D1: WO 98/27145 A1 und
D16: EP 0 952 177 A1.
V. Der am 5. Dezember 2011 mündlich verkündeten und am 12. Januar 2012 schriftlich begründeten Entscheidung der Einspruchsabteilung lagen die erteilten Ansprüche (Hauptantrag) sowie Hilfsanträge I bis IV zugrunde.
Die Einspruchsabteilung widerrief das Patent unter anderem, weil ihrer Meinung nach der Anspruch 1 des Hauptantrags nicht die Erfordernisse der Artikel 76(1) und 123(2) EPÜ erfülle, der Gegenstand des Anspruchs 1 der Hilfsanträge I, II und IV für die Vertragstaaten DE, FR, GB und IT einen Disclaimer enthielt, welcher die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ nicht erfülle, und weil der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags III gegenüber den Dokumenten D1 und D16 nicht neu sei.
Die Einspruchsabteilung entschied nicht über die erfinderische Tätigkeit.
VI. Gegen diese Entscheidung legte die Patentinhaberin (im folgenden: Beschwerdeführerin) am 12. März 2012 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde ein. Mit der am 22. Mai 2012 eingereichten Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent, wie erteilt, aufrecht zu erhalten. Hilfsweise beantragte sie die Angelegenheit auf der Grundlage eines der Hilfsanträge I bis VI, zur Behandlung der erfinderischen Tätigkeit an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen oder gegebenenfalls aufrechtzuerhalten.
VII. Mit Schreiben vom 4. Oktober 2012 erfolgte die Erwiderung der Einsprechenden. Mit Schreiben vom 31. Oktober 2013 hat die Einsprechende ihren Einspruch zurückgenommen und ist somit nicht mehr am Verfahren beteiligt.
VIII. In Vorbereitung auf die mündlichen Verhandlung teilte die Kammer mit Bescheid vom 28. Januar 2014 der Beschwerdeführerin mit, dass der Hauptantrag nicht gewährbar sei.
IX. Mit Schreiben vom 23. April 2014 reichte die Beschwerdeführerin die Hilfsanträge VII, VIII und IX ein.
X. Am 23. Mai 2014 fand eine mündliche Verhandlung statt. Während der Verhandlung wurde der Hauptantrag im Hinblick auf die Erfüllung der Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ, insbesondere in Bezug auf den Disclaimer im Anspruch 1 beider Anspruchsfassungen diskutiert. Nach Verkündung der Auffassung der Kammer, dass der Antrag nicht gewährbar sei, erklärte die Beschwerdeführerin, dass sie die Hilfsanträge I und II zurücknimmt. Der Hilfsantrag III wurde dann im Hinblick auf die Erfüllung der Erfordernisse der Artikel 123(2) und 76(1) EPÜ erörtert. Im Lichte der Diskussion reichte die Beschwerdeführerin einen neuen, modifizierten Hauptantrag ein. Sie nahm alle vorher eingereichten Anträge zurück.
Der einzige Anspruch dieses Antrags lautet:
"Verwendung einer Treibmittelzusammensetzung bestehend aus 10 bis <50 Gew.-% 1,1,1,3,3-Pentafluorbutan (HFC 365mfc) und >50 Gew.-% 1,1,1,3,3-Pentafluorpropan (HFC 245fa) zur Herstellung von Polyurethanschäumen."
XI. Die schriftlich und mündlich vorgetragenen Argumente der Beschwerdeführerin, soweit sie für diese Entscheidung relevant sind, können wie folgt zusammengefasst werden:
- Der Hauptantrag sei nach Artikel 76(1) und 123 EPÜ zulässig, da die beanspruchte Verwendung in den ursprünglichen Unterlagen und in der Stammanmeldung enthalten ist. Zudem genieße die Verwendung auch die Priorität vom 22. Mai 1988.
- Dokument D1 beschreibt Treibmittelzusammen-setzungen mit 50 Gew.% und mehr HFC 365mfc. Der Gegenstand des Anspruchs 1 schließe 50 Gew.% HFC 365mfc aus und sei daher definitionsgemäß von D1 abgegrenzt.
- In D16 wird die Herstellung von geschäumten Phenolharzen offenbart. D16 sei daher nicht neuheitsschädlich für die nunmehr beanspruchte Verwendung zur Herstellung von Polyurethanschäumen.
XII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz für die Erörterung der erfinderischen Tätigkeit auf der Basis des neuen Hauptantrags.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Änderungen (Artikel 76(1) und 123 (2) EPÜ)
2.1 Nach ständiger Rechtsprechung muss eine Teilanmeldung - unter anderem - die Erfordernisse sowohl des Artikels 76 (1) EPÜ als auch des Artikels 123 (2) EPÜ erfüllen. Sie darf also weder über den Gegenstand der Stammanmeldung hinausgehen, noch nach der Einreichung in der Weise geändert werden, dass ihr Gegenstand über den Inhalt der Teilanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.
2.2 Der Anspruch bezieht sich auf die Verwendung einer Treibmittelzusammensetzung bestehend aus 10 bis <50 Gew.-% 1,1,1,3,3-Pentafluorbutan (HFC 365mfc) und >50 Gew.-% 1,1,1,3,3-Pentafluorpropan (HFC 245fa) zur Herstellung von Polyurethanschäumen.
2.3 Die Stammanmeldung offenbart auf Seite 6, Zeilen 1 bis 12 eine Treibmittelzusammensetzung zur Herstellung von Polyurethanschaumstoffen, die, sofern a) HFC 365mfc ist und b) 1,1,1,2-Tetrafluorethan (HFC 134a); HFC 245fa;1,1,1,3,3,3-Hexafluorpropan (HFC 236fa); oder 1,1,1,2,3,3,3-Heptafluorpropan (HFC 227ea) ist, aber kein CO2, niedrigsiedende, gegebenenfalls halogenierte Kohlenwasserstoffe, Ether oder halogenierte Ether enthalten sind, weniger als 50 Gew.-% an HFC 365mfc und mehr als 50 Gew.-% an HFC 134a; HFC 245fa; HFC 236fa oder HFC 227ea enthält oder daraus besteht. Nach gängiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA ist damit ein Treibmittelzusammensetzung aus <50 Gew.-% HFC 365mfc und >50 Gew.-% HFC 245fa offenbart (Auswahl aus eine Liste).
Die Untergrenze des Bereichs '10 bis <50 Gew.-% HCC 365mfc' wird durch die Passage auf Seite 4, Zeilen 7 bis 9 der Stammanmeldung gestützt, die Mengen für HFC 365mfc angibt, wobei die Untergrenze von 10 Gew.-% HFC 365mfc explizit offenbart wird. Diese Passage ist allgemein gültig, so dass die Untergrenze von 10 Gew.-% HFC 365mfc klar und eindeutig auch mit der Zusammensetzung auf Seite 6, zu 10 bis <50 Gew.-% kombiniert werden kann.
2.4 Im Hinblick auf die ursprünglich eingereichte Teilanmeldung stützt sich der Anspruch 1 auf den ursprünglichen Anspruch 4 (Treibmittelzusammensetzung) und den ursprünglichen Anspruch 8) Herstellung von Polyurethanschäumen).
2.5 Durch Streichen der Variante "enthaltend" der beanspruchten Treibmittelzusammensetzungen sind auch die Bedenken der Einspruchsabteilung bezüglich der Anwesenheit anderer Treibmittel ausgeräumt. Die jetzt beanspruchten Zusammensetzungen bestehen ausschließlich aus HFC 365mfc und HFC 245fa in den angegebenen Mengen.
2.6 Die Erfordernisse der Artikel 76(1) und 123(2) EPÜ sind daher erfüllt.
3. Änderungen (Artikel 123(3) EPÜ)
3.1 Durch die Aufnahme des Merkmals "mindestens 10 Gew.% 1,1,1,3,3-Pentafluorbutan" gemäß erteiltem Anspruch 4 in den jetzigen Anspruch wurde der Schutzbereich unstrittig beschränkt.
3.2 Folglich sind die Erfordernisse des Artikels 123(3) EPÜ durch den Anspruch erfüllt.
4. Priorität (Artikel 87 EPÜ)
4.1 Die beanspruchte Verwendung einer Treibmittelzusammen-setzung bestehend aus weniger als 50 Gew.-% an HFC 365mfc und mehr als 50 Gew.-% HFC 245fa zur Herstellung von Polyurethanschaumstoffen ist auf Seite 5, Zeilen 17 bis 28 des Prioritätsdokuments D13 beschrieben. Die Abgrenzung auf mindestens 10 Gew.-% HFC 365mfc ist auf Seite 3, Zeilen 30 bis 31 offenbart.
4.2 Die Priorität vom 22. Mai 1998 wird daher zu Recht beansprucht.
4.3 Dokument D1, veröffentlicht am 25. Juni 1998 mit Prioritäten vom 16. März 1996 und 16. Juni 1997, sowie Dokument D16, veröffentlicht am 27. Oktober 1999 mit Priorität vom 8. Januar 1997 gehören daher zum Stand der Technik gemäß Artikel 54(3) EPÜ 1973.
5. Neuheit (Artikel 54(3) EPÜ 1973)
5.1 Dokument D1 beschreibt Treibmittelzusammensetzungen enthaltend oder bestehend aus 50 bis 99 Gew.-% HFC 365mfc und 1 bis 50 Gew.-% HFC 245fa (Anspruch 1). D1 offenbart jedoch nicht Zusammensetzungen bestehend aus 10 bis weniger als 50 Gew.-% HFC 365mfc, wie im jetzigen Anspruch gefordert.
5.1.1 Die Einspruchsabteilung verneinte die Neuheit des Anspruchs im Hinblick auf D1, weil ihrer Meinung nach ein Wert von 50 Gew.% als von 49,5 Gew.% aufgerundet oder von 50,4 Gew.% abgerundet interpretiert werden könnte und D1 demnach auch Werte von kleiner oder größer als 50 Gew.% umfassen wurde.
5.1.2 Diesem Einwand kann die Kammer nicht zustimmen. In D1 wird eindeutig eine Treibmittelzusammensetzung mit 50 Gew.-% und mehr HFC-365mfc beschrieben. Im vorliegenden Anspruch sind aber weniger als 50 Gew.%-HFC-365mfc beansprucht. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist definitionsgemäß dadurch von D1 abgegrenzt, also neu gegenüber D1, da die Menge an HFC-365mfc kleiner und die Menge an HFC-345fa größer als 50 Gew.-% ist. Der Wert 50 Gew.-% ist somit durch die Definition im Anspruch eindeutig ausgeschlossen.
5.1.3 Demzufolge ist der Gegenstand des Anspruchs gegenüber D1 neu.
5.2 Dokument D16 beschreibt ein Verfahren zur Herstellung von geschäumten Phenolharzen unter Verwendung von Treibmittelzusammensetzungen aus 5-95% Gew.-% HFC 365mfc und 5-95 Gew.-% HFC 245fa (siehe Ansprüche 1 und 3).
5.2.1 D16 offenbart jedoch keine Herstellung von Polyurethanschaumstoffen. Die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs gegenüber D16 ist daher schon aus diesem Grund anzuerkennen.
5.3 Der beanspruchte Gegenstand ist somit gegenüber D1 und D16 neu.
6. Zurückverweisung (Artikel 111(1) EPÜ)
6.1 Es bleibt zu untersuchen, ob die beanspruchte Verwendung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Die Kammer stellt fest, dass die erfinderische Tätigkeit in der angefochtenen Entscheidung nicht abgehandelt worden ist.
6.2 Da die Beschwerdeführerin zudem die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung beantragt hat, macht die Kammer von ihrem Ermessen gemäß Artikel 111(1) EPÜ Gebrauch und verweist die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurück, um die erfinderische Tätigkeit auf der Grundlage des vorliegenden Anspruchs zu prüfen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung auf der Basis des neuen Hauptantrags, eingereicht am 23. Mai 2014 in der mündlichen Verhandlung, zurückverwiesen.