T 0783/12 () of 20.6.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T078312.20130620
Datum der Entscheidung: 20 Juni 2013
Aktenzeichen: T 0783/12
Anmeldenummer: 01102498.1
IPC-Klasse: E06B 3/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Glastür mit in das Glas integrierter elektrischer Einrichtung
Name des Anmelders: Schott AG
Name des Einsprechenden: Glas Platz GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Zulässigkeit der Änderungen - Hauptantrag und Hilfsantrag II - verneint
Neuheit - Hilfsantrag I - verneint
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag III und XV - verneint
Zulässigkeit der Hilfsanträge XI bis XIV - verneint
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Zwischenentscheidung über die Fassung, in der das Europäische Patent Nr. 1 229 205 in geändertem Umfang aufrechterhalten werden kann, wurde am 7. Februar 2012 zur Post gegeben.

Die Beschwerdeführerin I (Patentinhaberin) und die Beschwerdeführerin II (Ein sprechende) haben gegen diese Entscheidung, jeweils unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr, am 4. April 2012, bzw. am 10. April 2012 Beschwerde ein gelegt. Die Beschwerde begründungen wurden am 16. Mai 2012, bzw. am 18. Juni 2012 eingereicht.

II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt (Hauptantrag) und gemäß dem damals geltenden Hilfs antrag II ursprünglich nicht offenbart gewesen sei.

Sie war außerdem zu dem Schluss gekommen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag und dem damals geltenden Hilfsantrag I nicht neu gegenüber einer geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung sei.

Sie fand jedoch, dass der damals geltende Hilfs antrag III die Erfordernisse des EPÜ erfülle.

III. Am 20. Juni 2013 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

Die Beschwerdeführerin I beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung.

Hilfsweise beantragte sie, die Aufhebung der an gefochte nen Entscheidung und die Erteilung des Patents

1) in der Fassung der Hilfsanträge I und II wie vor gelegt mit Schriftsatz vom 16. Mai 2012,

2) in der Fassung des Hilfsantrags III gemäß Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchs abteilung am 11. Januar 2011,

3) in der Fassung der Hilfsanträge XI bis XIV wie vorgelegt mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2012,

4) in der Fassung des Hilfsantrags XV wie vorgelegt in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer.

Die Hilfsanträge IV bis X wurden zurückgenommen.

Die Beschwerdeführerin II beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den vollständigen Widerruf des europäischen Patents.

IV. Folgende Entgegenhaltungen waren für die vorliegende Entscheidung relevant:

D5: EP-A-0 900 971

D6: Lieferschein vom 27. Januar 1998

D6a: Rechnung vom 29. Januar 1998

D7: Auftragsbestätigung vom 6. November 1997

D8: Skizze vom 14. Oktober 1997 unterzeichnet von Herrn Platz

D9: Angebotsanfrage vom 16. September 1997

D10: Fotos des am 27. Januar 1998 gelieferten Türpanels

D11: Detailfotos des am 27. Januar 1998 gelieferten Türpanels

D20: DE-U-299 14 544

V. Anspruch 1 wie erteilt hat folgenden Wortlaut:

"Tür (1) mit einem Türkörper, der ganz oder teilweise aus Glas besteht und der eine elektrische Einrichtung aufweist,

dadurch gekennzeichnet, dass

mehrere bahnförmige transparente elektrisch leitende Schichten Strom- und Signalleitungen für eine in die aus Glas bestehende Fläche oder in einem Türgriff (3) integrierte elektrische Einrichtung bilden, wobei die elektrische Einrichtung eine Bedien-, Steuer-, Kommuni kations- und/oder Beleuchtungseinrichtung ist."

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I unterscheidet sich hiervon, dadurch dass im Oberbegriff das Merkmal hinzu gefügt wurde wonach

"der Türkörper in der aus Glas bestehenden Türfläche mit mindestens einer transparente (sic), elektrisch leitenden Schicht versehen ist" (Merkmal A)

Die Merkmalsbezeichnung Merkmal A ist von der Kammer hinzu gefügt worden.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag dadurch, dass er eine "Tür (1) mit einem Türflügel" betrifft.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag III unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I dadurch, dass er eine "Tür mit einem Türkörper, umfassend einen Tür flügel" betrifft.

In den folgenden Ansprüchen sind die Unterschiede zum Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I unter-, bzw. durch gestrichen.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag XI hat folgenden Wortlaut:

"Tür (1) mit einem Türkörper, umfassend einen Türflügel der ganz oder teilweise aus Glas besteht und der eine elektrische Einrichtung aufweist, wobei der Türflügel in der aus Glas bestehenden Tür fläche mit mindestens einer transparenten, elektrisch leitenden Schicht versehen ist,

dadurch gekennzeichnet, dass mehrere bahnförmige transparente elektrisch leitende Schichten Strom versorgungs- und Signalleitungen für eine in die aus Glas bestehende Fläche oder in einem Türgriff integrierte elektrische Einrichtung bilden,

wobei die elektrische Einrichtung eine Bedien-, Steuer- und/oder Kommunikations einrichtung ist [deleted: und/oder Beleuchtungseinrichtung ]und die in die aus Glas bestehende Fläche integrierte Beleuchtungs einrichtung aus einer oder mehreren Leuchtdioden besteht."

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag XII hat folgenden Wortlaut:

"Tür (1) mit einem Türkörper, der ganz oder teilweise aus Glas besteht und der eine elektrische Einrichtung aufweist, wobei der Türkörper in der aus Glas bestehenden Türf läche mit mindestens einer transparente, elektrisch leitenden Schicht versehen ist; dadurch gekennzeichnet, dass mehrere bahnförmige transparente elektrisch leitende Schichten Strom- und Signalleitungen für eine in die aus Glas bestehende Fläche oder in einen Türgriff (3) integrierte elektrische Einrichtung bilden, wobei die elektrische Einrichtung eine Bedien-, Steuer-, Kommunikations- und/oder Beleuchtungs einrichtung ist und die elektrisch leitende Schicht eine Strom versorgungs leitung zur Übertragung von Strömen bis 1A zur Verfügung stellt, ohne dass sich die transparenten Schichten von der Glas oberfläche durch Erwärmung lösen."

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag XIII hat folgenden Wortlaut:

"Tür (1) mit einem Türkörper, umfassend einen Türflügel, der ganz oder teilweise aus Glas besteht und der eine elektrische Einrichtung aufweist, wobei der Türflügel in der aus Glas bestehenden Tür fläche mit mindestens einer transparente, elektrisch leitenden Schicht versehen ist; dadurch gekennzeichnet, dass mehrere bahnförmige transparente elektrisch leitende Schichten Strom versorgungs- und Signalleitungen für eine in die aus Glas bestehende Fläche oder in einem Türgriff integrierte elektrische Einrichtung bilden, wobei die elektrische Einrichtung eine Bedien-, Steuer- und/oder Kommunikations einrichtung [deleted: und/oder Beleuchtungs einrichtung ]ist und die elektrisch leitende Schicht eine Strom versorgungs leitung zur Übertragung von Strömen bis 1A zur Verfügung stellt, ohne dass sich die transparenten Schichten von der Glas oberfläche durch Erwärmung lösen".

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag XIV hat folgenden Wortlaut:

"Tür (1) mit einem Türkörper umfassend einen Türflügel, der ganz oder teilweise aus Glas besteht und der eine elektrische Einrichtung aufweist, wobei der Türflügel in der aus Glas bestehenden Tür fläche mit mindestens einer transparente, elektrisch leitenden Schicht versehen ist,

dadurch gekennzeichnet, dass mehrere bahnförmige transparente elektrisch leitende Schichten Strom versorgungs- und Signalleitungen für eine in die aus Glas bestehende Fläche oder in einem Türgriff integrierte elektrische Einrichtung bilden, wobei die elektrische Einrichtung eine Bedien-, Steuer- und/oder Kommunikations einrichtung ist [deleted: und/oder Beleuchtungs einrichtung ], wobei die in die aus Glas bestehende Fläche integrierte Beleuchtungseinrichtung eine oder mehreren Leuchtdioden und die elektrisch leitende Schicht als Strom versorgungs leitung Ströme bis 1A übertragen, ohne dass sich die transparenten Schichten von der Glas oberfläche durch Erwärmung lösen".

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag XV unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I dadurch, dass das Merkmal hinzugefügt wurde, wonach:

"die Beleuchtungseinrichtung (2) aus einer oder mehreren Leuchtdioden (LED) besteht".

VI. Die Beschwerdeführerin II hat im wesentlichen folgendes vorgetragen:

a) Hauptantrag und Hilfsantrag II

Da das Merkmal A aus dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1 gestrichen worden sei, fielen nun auch Ausführungs formen unter den Wortlaut des Anspruchs, bei denen sich die transparenten, leitenden Schichten nicht im Glas befinden. Da solche Ausführungsformen nicht in der ursprünglichen Anmeldung offenbart gewesen seien, genüge Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag II nicht den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ.

b) Hilfsantrag I

Die Dokumente D6 bis D10 wiesen die offenkundige Vorbenutzung einer Tür mit allen Merkmalen des Anspruchs 1 nach. Es reiche nämlich als Nachweis einer offen kundigen Vorbenutzung aus, dass das für eine Tür vor gesehene Element gemäß D6 und Skizze D8 vor dem Prioritäts datum des Streitpatents ohne Geheimhaltungs pflicht verkauft wurde, damit eine Tür mit diesem Element als Stand der Technik gelte.

Folglich sei der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfs antrag I nicht neu.

c) Zulässigkeit der verspätet eingereichten Entgegenhaltung D20

D20 sei zwar nach der Einspruchsfrist aber als Reaktion auf die erst in der Entscheidung dargelegte Auffassung der Einspruchs abteilung eingereicht worden. Da sie zudem für die Beurteilung der Patentierbarkeit von besonderer Relevanz sei, solle sie in das Verfahren zugelassen werden.

d) Hilfsantrag III

D20 offenbare alle Merkmale des Anspruchs 1 außer den Merkmalen, wonach die elektrisch leitenden Schichten transparent sind und diese Schichten Signal leitungen bilden. Diese beiden Merkmale lösten zwei voneinander unabhängige Aufgaben, nämlich zum einen eine optisch ansprechende Glastür bereitzustellen und zum anderen eine Tür zu schaffen, die Kommunikations- und Funktions einrichtungen aufnehmen kann.

Sowohl die offenkundige Vorbenutzung als auch D5 regten den Fachmann dazu an, die Tür durch transparente leitende Schichten ansprechender zu gestalten. Ferner zeige die offenkundige Vorbenutzung eine Tür, die eine Vielzahl von Kommunikations- und Funktions einrichtung habe (Klingel und Lichtschalter). Folglich sei es für den Fachmann naheliegend, zur Lösung der gestellten Aufgaben die Lehren der D5 und der offenkundigen Vor benutzung auf die Tür gemäß D20 anzuwenden und somit, ohne dabei erfinderisch tätig zu werden, zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen.

e) Hilfsanträge XI bis XIV

Diese Hilfsanträge sollten nicht in das Verfahren zu gelassen werden, da sie verspätet vorgelegt wurden, nicht als Reaktion auf die Eingaben Dritter zu werten seien und der Gegenstand der verschiedenen Anträge nicht konvergierend sei.

f) Hilfsantrag XV

Da der Anspruch nicht angebe, in welcher Lage die LEDs eingesetzt werden sollen, bestehe keine Wechselwirkung zwischen den beanspruchten Signal- und Kommunikations elementen und den vorgesehenen LEDs. Für den Fachmann gäbe es grundsätzlich nur zwei Alternativen die Beleuchtung vorzusehen, nämlich entweder als Halogen lampen oder als LEDs. Eine Auswahl aus diesen zwei Alternativen könne keine erfinderische Tätig keit begründen.

VII. Die Beschwerdeführerin I hat im wesentlichen folgendes vorgetragen:

a) Hauptantrag und Hilfsantrag II

Das aus dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1 gestrichene Merkmal A sei fakultativer Natur. Wie aus Absatz [0005] der Anmeldung zu entnehmen sei, stelle dieses Merkmal lediglich eine vorteilhafte Ausführungs form der Erfindung dar. Folglich könne es aus dem Anspruchswortlaut gestrichen werden, ohne gegen die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ zu verstoßen.

b) Hilfsantrag I

D6 bis D9 belegten nur den Verkauf einer Glasscheibe und nicht einer Tür mit einer Glasscheibe vor dem Prioritäts datum. Der Einbau dieser Glasscheibe in eine Tür sei lediglich durch Fotos belegt worden, die nach dem Prioritätsdatum gemacht worden sind.

Da aber erst mit dem Einbau der Glasscheibe in eine Türkonstruktion eine Tür entstanden sei, könne nur das Einbaudatum der Tür und nicht das Datum ihres Verkaufs berücksichtigt werden, um festzustellen, ob diese Tür zum Stand der Technik gehört oder nicht.

Folglich stelle D6 bis D9 keinen Stand der Technik im Sinne des Artikels 54 EPÜ dar und der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag I sei neu.

c) Zulässigkeit der verspätet eingereichten Entgegenhaltung D20

Die Entgegenhaltung D20 solle nicht in das Verfahren zu gelassen werden, weil sie verspätet eingereicht wurde und prima facie nicht für die Erörterung der Patentier barkeit relevant sei.

d) Hilfsantrag III

Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheide sich von der Tür gemäß D20 dadurch, dass auch Signalleitungen vorhanden sind und dass die leitenden Schichten transparent sind.

Die der Erfindung zugrundeliegende Aufgabe liege darin, die leitenden Schichten nicht sichtbar zu machen. Um diese Aufgabe zu lösen, sei es nicht zwingend notwendig die Leiterbahnen transparent zu gestalten. Folglich beruhe es auf einer rückschauenden Betrachtung, zur Lösung dieser Aufgabe eine transparente Ausgestaltung der Leiterschichten vorzusehen. Ferner seien die in D5 und in der offenkundigen Vorbenutzung eingesetzten Schichten zwar teilweise lichtdurchlässig, jedoch nicht transparent im Sinne der in der Optik anerkannten Bedeutung des Ausdrucks. Folglich gelange der Fachmann, selbst wenn er die Lehre der D5 oder der offenkundigen Vorbenutzung auf die Tür gemäß D20 anwende, nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1.

Ferner bestehe auch kein Anlass dazu, die Tür gemäß D20 derart umzubauen, dass Signalleitungen vorgesehen werden. Ziel der D20 sei nämlich lediglich eine Tür mit Leuchten bereitzustellen. Diese bräuchten Stromleitungen, die eine höhere Menge Strom transportieren können, während bei Signalleitungen eine geringere Strommenge nur kurzzeitig fließe.

e) Hilfsanträge XI bis XIV

Die Anträge seien zu einem frühen Zeitpunkt des Verfahrens als Reaktion auf Einwände Dritter über die unzulässige Schutzerweiterung eingereicht worden. Folglich sollten sie in das Verfahren zugelassen werden.

f) Hilfsantrag XV

Die Kombination von Leuchtdioden mit Funktions- und Kommunikationselementen führe dazu dass, die LEDs im Bedienfeld integriert werden können. Dadurch werde die Aufgabe gelöst, alle Funktionen in einer optisch ansprechenden Kombination zu vereinen. Da D20 Beleuchtungseinrichtungen nur allgemein anspreche, würde der Fachmann von ihr ausgehend keine LEDs vorsehen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden sind zulässig.

2. Hauptantrag und Hilfsantrag II

Im Vergleich zum ursprünglich eingereichten Anspruch 1 wird in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und gemäß Hilfs antrag II das ursprünglich einzige kennzeichnende Merkmal ge strichen, wonach "der Türkörper in der aus Glas bestehen den Türfläche mit mindestens einer transparenten, elektrisch leitenden Schicht versehen ist" (Merkmal A). Somit umfassen beide Ansprüche auch Ausführungsformen, bei denen die transparente, leitende Schicht nicht im Glas, sondern z. B. am Holzrahmen oder im Griff an gebracht ist.

Die Beschwerdeführerin I vertritt die Meinung, dass solche Ausführungsformen sehr wohl in der ursprünglichen An meldung offenbart waren. Das Merkmal A sei nämlich in Absatz [0005] enthalten, das ausdrücklich eine vorteil hafte Aus führungs form der Erfindung beschreibe. Folglich sei das Merkmal A fakultativer Natur, und könne aus dem Anspruch ge strichen werden, ohne den Gegenstand der Anmeldung unzulässig zu erweitern.

Aus dem Zusammenhang der Absätze [0004], wonach zur Lösung der vorangehenden Aufgabe die Merkmale des Anspruchs 1 dienen, und [0005], wonach die Erfindung in vorteilhafter Weise das kennzeichnende Merkmal des Anspruchs 1 (Merkmal A) vorsieht, ist jedoch ersichtlich, dass der Ausdruck "in vorteilhafter Weise", mit dem der letztere Absatz anfängt, nur dafür vor gesehen sein kann, die vorteilhafte Lösung der Erfindung gemäß Anspruch 1 hervorzuheben. Folglich beschreibt der erste Satz von Absatz [0005] nicht eine bevorzugte Ausführungsform, sondern die beanspruchte Erfindung. Da also das Merkmal A nicht als fakultativ zu betrachten ist, umfasst die ursprüngliche Anmeldung ausschließlich Ausführungs formen, bei denen die aus Glas bestehen de Türfläche mit mindestens einer transparenten, elektrisch leitenden Schicht versehen ist.

Folglich führt das Streichen des Merkmals A Ausführungs formen ein, die nicht ursprünglich offenbart waren, so dass der Hauptantrag und der Hilfsantrag II nicht den Erforder nissen des Artikels 123 (2) EPÜ genügen.

3. Hilfsantrag I

3.1 Im Allgemeinen genügt ein einziger Verkauf, um der Öffentlichkeit den verkauften Gegenstand im Sinne des Artikels 54 (2) EPÜ zugänglich zu machen, sofern der Käufer nicht zur Geheim haltung verpflichtet wurde.

Die Dokumente D6 bis D9 betreffen die Planung und die Lieferung einer Glasscheibe mit integriertem Klingel knopf als Touchscreenausführung gemäß der in D8 und D9 gezeigten Skizzen, die am 27. Januar 1998 und somit vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents geliefert worden ist. Wie aus den Zeugen aussagen von Herrn Platz zu entnehmen ist (siehe Seiten 4 und 5), wurde während der Planung der Glasscheibe vom Käufer (Fa. Performance Medien und Datensysteme GmbH) erläutert, dass die Glaswand für den Einbau in eine Tür vorgesehen war.

Da im vorliegenden Fall kein Anlass dazu besteht, anzu nehmen, dass auch nur eine stillschweigende Geheim haltungs pflicht zwischen Käufer und Verkäufer vereinbart wurde, war zum Zeitpunkt der Lieferung der Glasscheibe nicht nur diese, sondern auch eine Tür mit einer darin eingebauten Glasscheibe der Allgemeinheit bekannt. Deswegen stellt eine Tür mit der gemäß D9 ausgebildeten Glasscheibe einen Stand der Technik im Sinne des Artikels 54 (2) EPÜ dar.

3.2 Die offenkundige Vorbenutzung zeigt:

Eine Tür mit einem Türkörper (eine Tür muss zwingend einen Türkörper aufweisen), der ganz oder teilweise aus Glas besteht (siehe Zeugenaussage von Herrn Platz, Seite 3, letzter Absatz) und der eine elektrische Einrichtung (Klingel 0, Knopf 1 und Lichtschalter = Knopf 2; Skizze D9) aufweist,

wobei der Türkörper in der aus Glas bestehenden Tür fläche mit mindestens einer transparenten, elektrisch leitenden Schicht versehen ist (siehe Zeugenaussage von Herrn Platz, Seite 5, mittlerer Absatz),

wobei mehrere bahnförmige, transparente, elektrisch leitende Schichten Strom- und Signalleitungen für eine in die aus Glas bestehende Fläche integrierte elektri sche Einrichtung bilden, wobei die elektrische Ein richtung eine Kommuni kationseinrichtung (Klingel) ist.

Da die offenkundige Vorbenutzung somit alle Merkmale des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag I zeigt, ist sein Gegen stand nicht neu.

4. Zulässigkeit der verspätet eingereichten Entgegen haltung D20

Nach Artikel 12 (4) VOBK liegt alles was mit der Beschwerdebegründung eingereicht wurde dem Beschwerde verfahren zugrunde. Eine Ausnahme gilt dann, wenn ein Beweismittel bereits vorher hätte eingereicht werden können und die Kammer aus Gründen der Verfahrensökonomie die Zulassung für nicht zweckmäßig erachtet.

Da die D20 eine einfache, leicht verständliche Lehre darstellt und von besonderer Relevanz für die Beurtei lung der Patentierbarkeit ist, steht der Zu lassung nichts entgegen.

5. Hilfsantrag III

5.1 D20 offenbart:

Eine Tür mit einem Türkörper, umfassend einen Tür flügel (2) der ganz oder teilweise aus Glas besteht und der eine elektrische Einrichtung (Leuchtkörper 6) aufweist, und die Türflügel in der aus Glas bestehenden Türfläche mit mindestens einer elektrisch leitenden Schicht (infolge der Integration der Stromzuführungen in die Glas fläche) versehen ist (siehe Seite 5, zweiter kompletter Absatz; "Glasfläche der Tür"),

wobei mehrere bahnförmige elektrisch leitende Schichten Stromleitungen für eine in die aus Glas bestehende Fläche integrierte elektrische Einrichtung bilden, wobei die elektrische Einrichtung eine Beleuchtungseinrichtung ist.

5.2 Folglich unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrag III durch die zwei Merkmale wonach

- die elektrisch leitenden Schichten transparent sind (Merkmal B) und

- diese Schichten auch Signalleitungen bilden (Merkmal C).

Die Bezeichnungen Merkmal B und C sind von der Kammer hinzugefügt worden.

Diese Merkmale stellen eine bloße Aggregation von Merkmalen dar, die in keiner funktionellen Wechsel wirkung zueinander stehen, d.h. sich nicht gegenseitig zum Erreichen eines über die Summe ihrer jeweiligen Einzelwirkungen hinausgehenden technischen Erfolgs be einflussen. Folglich setzt sich die zu lösende Aufgabe aus zwei technisch voneinander unabhängigen Teilaufgaben zusammen, die auch unabhängig voneinander jeweils durch eines dieser Merkmale gelöst wurden.

Vom Merkmal B wird die Aufgabe gelöst, eine optisch ansprechende Tür bereitzustellen, während vom Merkmal C die Aufgabe gelöst wird, eine Tür zu schaffen, die eine Vielzahl von Kommunikations- und Funktions einrichtungen aufnehmen kann (siehe Absatz [0005] des Streitpatents).

5.3 Sowohl D5 als auch die offenkundige Vorbenutzung zeigen Vorrichtungen bei denen unsichtbare elektrische Leitun gen auf Glasplatten eingesetzt werden. Für den Fachmann ist es offensichtlich, dass in beiden Anwendungen die Wahl der unsichtbaren Leitungen darauf abzielt, das Aussehen der Glasplatte nicht zu beeinträchtigen. Folglich beruht das Vorsehen durchsichtiger leitender Schichten gemäß D5 oder der offenkundigen Vorbenutzung in der Tür gemäß D20 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die Beschwerdeführerin I hat vorgetragen, dass sowohl die in der offenkundigen Vorbenutzung als auch die in D5 eingesetzten leitenden Schichten zwar teilweise licht durchlässig und somit nicht sichtbar seien, dass sie jedoch nicht "transparent" seien. Dieser Ausdruck habe nämlich in der Optik eine besondere Bedeutung, so dass selbst die Anwendung der im Stand der Technik offen barten Schichten auf die Tür gemäß D20 nicht zur Anwendung des Merkmals A führe. Die Beschwerdeführerin I konnte aber weder die in ihren Augen physikalisch korrekte Defini tion des Ausdrucks "transparent" nennen, noch konnte sie den Unterschied zwischen durchsichtigen und transparenten Schichten erläutern. Da die Kammer der Auffassung ist, dass transparent und durchsichtig zwei Synonyme sind, die einen Gegenstand beschreiben, der elektromagnetische Wellen - insbesondere Lichtwellen - hindurch lässt, offen baren sowohl D5 als auch die offen kundige Vor benutzung sehr wohl elektrisch leitende, transparente Schichten im Sinne des Anspruchs 1.

5.4 Die Beschwerdeführerin I hat ferner vorgetragen, dass kein Anlass dazu bestehe von D20 ausgehend eine Tür mit Signal leitungen auszustatten, weil D20 lediglich darauf abziele eine Tür mit Leuchten bereitzustellen. Es stimmt zwar, dass in D20 die zweite dem Streitpatent zugrunde liegende Teilaufgabe nicht ange sprochen wird. Jedoch ist es für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht notwendig, dass die zu lösende Aufgabe im nächst liegenden Stand der Technik ange sprochen wird, damit der Fachmann von diesem aus gehend die objektiv zu lösende Aufgabe formuliert. Im vorliegenden Fall wird die vom Merkmal C gelöste Aufgabe von D2 ausgehend sogar im Streitpatent selbst formuliert (siehe Absatz [0005]).

Die in der offenkundigen Vorbenutzung eingesetzten transparenten Leitungen speisen eine Vielzahl von Kommunikations- und Funktions einrichtungen (Klingel, Lichtschalter), so dass diese Leitungen auch Signal leitungen darstellen.

Folglich ist es für den Fachmann naheliegend, zur Lösung der zweiten Teilaufgabe die Lehre der offenkundigen Vorbenutzung hinsichtlich des Merkmals B auf die Tür gemäß D20 anzuwenden, so dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag III nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

6. Hilfsanträge XI bis XIV

Die Hilfsanträge XI bis XIV sind mit Schreiben vom 25. Oktober 2012 nach der Eingabe Dritter vom 14. August 2012 eingereicht worden. In dieser wird unter anderem bemängelt, dass die Hilfsanträge IV bis X unzulässig erweitet worden seien, weil das Merkmal des erteilten Anspruchs 1, wonach die elektrische Ein richtung eine "Bedien-, Steuer-, Kommunikation- und/oder Beleuchtungs einrichtung ist" gestrichen worden sei.

Da dieses Merkmal nur in Anspruch 1 gemäß Hilfs antrag XII eingefügt worden ist, ist prima facie nicht ersichtlich, dass die verspätet eingereichten Hilfs anträge XI bis XIV die Einwände Dritter beheben und die Erfordernisse des Artikels 123 (3) EPÜ erfüllen.

Außerdem wird der Gegenstand der Ansprüche 1 gemäß der Hilfsanträge XI bis XIV in den verschiedenen Anträgen durch Merkmale eingeschränkt, die sich auf unter schiedli che Aspekte der Erfindung beziehen. Nämlich auf die Gestaltung des Türkörpers (Hilfsanträge XI, XII und XIV), auf die Gestaltung der Stromversorgungsleitung und die von ihr übertragene Strommengen (Hilfs anträge XII bis XIV), bzw. auf die Art der Beleuchtungs ein richtung (Hilfsanträge XI und XIV), so dass sie nicht konver gierend sind.

Da die Ansprüche der verschiedenen Hilfsanträge nicht eindeutig gewährbar sind, ihre Gegenstände nicht konvergierend sind und sie neue Fragen bezüglich der Patentierbarkeit aufwerfen, wurden sie nicht in das Verfahren zugelassen (vgl. Artikel 13 (1) VOBK).

7. Hilfsantrag XV

Die offenkundige Vorbenutzung offenbart (siehe Punkt 3.2 oben) alle Merkmale des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag XV, außer dem Merkmal wonach "die Beleuchtungs einrichtung aus einer oder mehreren Leuchtdioden besteht"

Die Beschwerdeführerin I trägt vor, dass es durch den Einsatz von Leuchtdioden möglich sei, alle Funktionen im Bedien feld unterzubringen. Von der offenkundig vor benutzten Tür ausgehend löse der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag XV somit die Aufgabe, alle Funktionen in einer optisch ansprechenden Kombination anzubringen.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag XV spezifiziert jedoch nicht, an welcher Stelle der Tür die Leuchtdioden an gebracht werden sollen, so dass er nicht einmal implizit vorsieht, dass sie im Bedienfeld untergebracht werden sollen. Folglich besteht, anders als von der Beschwerde führerin I vorgetragen, keine Wechselwirkung zwischen den Leucht dioden und den Signal- und Kommunikations elementen. Somit kann die durch beanspruchte Tür gelöste Aufgabe nur darin gesehen werden, ein geeignetes Leuchtmittel auszuwählen.

Die Auswahl einer Leuchtdiode aus der grundsätzlich begrenzten Menge der zur Verfügung stehenden Beleuchtungs mitteln kann aber keine erfinderische Tätigkeit begründen, zumal der Einsatz von Leuchtdioden bei einer analogen Verwendung auch durch D5 nahegelegt wird.

Folglich beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag XV nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

Das Patent wird widerrufen.

Die Beschwerde der Beschwerdeführerin I wird zurückgewiesen.

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