T 0721/12 () of 17.7.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T072112.20140717
Datum der Entscheidung: 17 Juli 2014
Aktenzeichen: T 0721/12
Anmeldenummer: 07702796.9
IPC-Klasse: F16B 19/14
F16B 5/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 346 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUM HERSTELLEN EINER NAGELVERBINDUNG SOWIE NAGEL HIERFÜR
Name des Anmelders: Böllhoff Verbindungstechnik GmbH
Name des Einsprechenden: Adolf Würth GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Zulasssung verspätet eingereichten Druckschriften - (nein)
Zulassung neuer Einspruchsgründe - (nein)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/95
G 0007/95
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Entscheidung über die Zurückweisung des Einspruchs gegen das Europäische Patent Nr. 1 926 918 wurde am 19. Januar 2012 zur Post gegeben.

II. Die Beschwerdeführerin (Ein­sprechende) hat gegen diese Entscheidung, unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr, am 19. März 2012 Beschwerde ein­gelegt. Die Beschwerdebegründung wurde am 23. Mai 2012 eingereicht.

III. Am 17. Juli 2014 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufrechterhaltung des Patents in folgender Fassung:

Ansprüche: 1 bis 31 wie erteilt

Beschreibung: Spalten 1 bis 4, 9 und 10, eingereicht in der mündlichen Verhandlung,

Spalten 5 bis 8, 11 und 12 wie erteilt

Zeichnungen: 1 bis 15 wie erteilt.

IV. Folgende Druckschriften wurden innerhalb der Einspruchs­frist eingereicht:

E1: "Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung", Zulassungsnummer Z-14.4-456, wurde am 6. Januar 2006veröffentlicht (siehe mail vom 22. Juni 2010, Herr Ulbrich, E1_1)

E2: "Bedienungsanleitung Spitfire P525L", trägt ein Datum vom Februar 2004 (Seite 1 unten: 02/04). (zugehörige Homologisierungsbescheinigung datiert vom 10. Juni 2003, siehe Anlage E2_1).

E3: "Bolzensetzen von Stahl- und Aluminium­bauteilen", Bericht der SLV AIF-Nr. 11.659, November 2000

E3_1: Mail von Frau Gottlieb vom 25. Juni 2010 zur Veröffentlichung der E3

E4: DE-U-722 67 10

E5: Auszug aus "Entwicklung des Bolzensetzens für Blech-Profil-Verbindungen im Fahrzeugbau", Seiten 34 , 35, Dissertation von Torsten Draht, Universität Paderborn, Tag des Kolloquiums 6. Juli 2005

E6: "Forschungsvorhaben Nr. S 619" der Versuchsanstalt für Holz- und Trockenbau, 2005 (siehe Anlage E6_1: Mail von Frau Falk von der Versuchsanstalt für Holz- und Trockenbau)

E7: DE-A-101 98 69

E8: Fachbeitrag ,"Bolzensetzen - Tragverhalten von Bolzen in Baustählen" in der Zeitschrift "Schweissen & Schneiden", September 2001

Folgende Druckschriften wurden zusammen mit der Beschwerde­begründung eingereicht:

E9: Auszug aus Hilti-Katalog 2004/2005, Seiten 314-337

E9a_1: "Bescheid über die Änderung und Ergänzung und Verlängerung des Geltungsdauer der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung vom 25. Juli 1990, Zulassungs­nummer Z-14.1-4", gültig bis 31. Juli 2005

E9a_2: Anlage zum Zulassungsbescheid vom 25. Juli 1990, Nr.: Z-14.1-4

E10: Bedienungsanleitung Hilti DX 76: "Printed in Lichtenstein © 2005"

E11: US-A-2 207 897

E12: GB-A-1 479 600

E13: EP-A-0 338 973

E14: DE- 1 575 152

E15: DE-1 940 447

E16: DE-A-1 707 412

E17: "Direktmontagetechnik - Anwendungsfelder und Montagesicherheit", Sonder­druck aus BMT Baumaschine + Bautechnik, 5/1995

E18: "Korrosionssichere Profilblechbefestigungen durch den Einsatz von Direkt­montage­elementen", Bauingenieur 63 (1988), 63-66

E19: "MDX Problemlöser Stahl", Broschüre der Hilti AG, Copyrightvermerk von 1999 (Fußzeile)

E20: "DX Produkte Information", HILTI, Handbuch der Befestigungstechnik, Ausgabe 01/2004

Folgende Druckschriften wurden mit Schreiben vom 31. Mai 2013 eingereicht:

E5': Auszug aus "Entwicklung des Bolzensetzens für Blech-Profil-Verbindungen im Fahrzeugbau", Seiten 108 - 115, Dissertation von Torsten Draht, Universität Paderborn, Tag des Kolloquiums 6. Juli 2005

E21: O. Hahn, T. Draht et al., "Neue Impulse für das mechanische Fügen", Bänder, Bleche, Rohre, Ausgabe März 2004; Seiten 90, 91

E22: Produktkatalog "EJOT FDS ® The self piercing and extruding screw for high-strength sheet joints", April 2004 (letzte Seite unten rechts: "05.04)

Folgende Entgegenhaltung wurde mit Schreiben vom 8. Juli 2014 eingereicht:

E23: DE-B-102 58 238.

V. Der erteilte Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

a) "Verfahren zum Herstellen einer Verbindung zwischen zwei Bauteilen (2, 4) in einem Fügebereich

b) mittels eines Nagels (6a-i),

c) der einen Nagelkopf (8; 8f; 8g; 8h)

d) mit einer an der Kopfunterseite vorgesehenen Ringnut (22; 22h),

e) einen Nagelschaft (10a-i) und

f) eine Nagelspitze (12; 12i) aufweist,

g) bei welchem Verfahren der Nagel von einem Setzgerät mit hoher Geschwindigkeit in die Bauteile im Wesentlichen drehungsfrei axial so eingetrieben wird, dass

h) die Nagelspitze das nagelkopfseitige Bauteil (2) durchdringt und in das im Fügebereich nicht vorgelochte nagelkopfabgewandte Bauteil (4) eindringt und

i) hierbei im nagelkopfseitigen Bauteil (2) eine Materialverformung entsteht, die in die Ringnut des Nagelkopfes vorsteht,

dadurch gekennzeichnet, dass

j) der Eintreibvorgang in der Weise erfolgt, dass in dem im Fügebereich nicht vorgelochten nagelkopfseitigen Bauteil (2) ein wulstförmiger Materialaufwurf (38, 38h) entsteht, der die in die Ringnut des Nagelkopfes vorstehende Material­verformung bildet, und

k) die Nagelspitze beide Bauteile vollständig durchdringend über das nagelkopf­abgewandte Bauteil (4) hinaus austritt und

l) im nagelkopfabgewandten Bauteil (4) ein kraterförmiger Materialaufwurf (40) entsteht, der in nagelkopfabgewandter Richtung vorsteht."

Die Merkmalsbezeichnung (Merkmale a bis l) wurde von der Kammer hinzugefügt.

VI. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdeführerin im Wesentlichen folgendes vorgetragen:

Zulassung der E9 bis E23 und E5'

Diese Druckschriften seien erst im Rahmen einer nach dem Einspruchsverfahren durchgeführten Recherche gefunden worden. Da sie einen deutlich relevanteren Stand der Technik als die im Einspruchsverfahren eingereichten Unterlagen darstellten, sollten sie alle in das Verfahren zugelassen werden.

E9 bis E20 und E5' seien schon mit der Beschwerde­begründung, also zum frühest­möglichen Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren eingereicht worden. Da sie zudem als normale Reaktion der unter­legenen Partei zu werten seien, sollten zumindest diese Entgegenhaltungen in das Verfahren zugelassen werden.

Zulassung des Einspruchsgrunds gemäß Artikel 100 (b) EPÜ

Dieser neue Einspruchsgrund sollte in das Verfahren zugelassen werden, weil er für die Beurteilung des Streit­patents von erheblicher Relevanz sei.

Neuheit

E8 offenbare alle Merkmale des Anspruch 1. Insbesondere zeige Bild 1 unten, zusammen mit den entsprechenden Abschnitten der Beschreibung (Seite 586, linke Spalte sowie ersten Satz der mittleren Spalte), dass das Verfahren gemäß E8 zur Herstellung einer Verbindung zwischen zwei Bauteilen in einem Fügebereich mittels eines Bolzens vorgesehen ist (Merkmal a). Außerdem zeige das Bild 4, dass beim bekannten Verfahren ein Material­aufwurf sowohl auf der nagelkopfseitigen als auch auf der nagelkopfabgewandten Seite hervorgerufen wird, wenn der Bolzen ein Bauteil durchdringt. Da dieses Verhalten unmittelbar auf ein Verfahren zur Verbindung von zwei Bauteilen übertragen werden könne, offenbare E8 durch die Kombination der Bilder 1 und 4 auch die Merkmale i bis l.

Folglich sei der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu gegenüber E8.

Erfinderische Tätigkeit

Von E8 ausgehend:

Falls E8 nicht klar und eindeutig das Merkmal offen­baren sollte, wonach eine Verbindung zwischen zwei nicht vorgebohrten Teile erzeugt wird, sei es für den Fachmann zumindest naheliegend diese Maßnahme vorzu­sehen. Es gäbe nämlich nur zwei Alternativen die zwei in Bild 1 unten gezeigten Bauteile mit einem Nagel zu verbinden, entweder den Nagel in ein nicht vor­gelochtes Bauteil einzutreiben und ein zweites, vorgelochtes Teil mittels einer Mutter an das erste zu befestigen oder den Nagel in beide nicht vorgelochten Teile einzu­treiben.

Da die beiden Verfahren gleichwertig seien, könne die Auswahl eines der beiden keine erfinderische Tätigkeit begründen, zumal das zweite Verfahren auch noch durch E6 (siehe Seite 3, zweite Figur von unten) nahegelegt werde.

Von E6 ausgehend:

Auch das in E6 beschriebene Verfahren könne als nächstliegender Stand der Technik betrachtet werden.

Die zweite Figur von unten auf Seite 3 zeige nämlich ein Verfahren zum Herstellen einer Verbindung zwischen zwei nicht vorgelochten Bauteilen, bei denen das Material beider Bauteile zwingend in und gegen die Treibrichtung fließe. Der einzige Unterschied zum beanspruchten Verfahren bestehe darin, dass keine Ringnut an der Nagelkopfunterseite vorgesehen sei. Die dadurch zu lösende Aufgabe bestehe darin, die mit dem Materialaufwurf verbundenen Probleme zu beseitigen.

Mit dieser Aufgabe befasst, würde der Fachmann die E7 in Betracht ziehen, die einen Bolzen mit einer Nut gemäß Merkmal d offenbare, und würde dessen Lehre auf den Nagel gemäß E6 übertragen. Somit würde er, ohne dabei erfinderisch tätig zu werden, zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen.

Weitere Angriffslinien zur Neuheit und erfinderischen Tätigkeit wurden nicht vorgetragen.

VII. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdegegnerin im Wesentlichen folgendes vorgetragen:

Zulassung der E9 bis E23 und E5'

Diese Druckschriften seien nicht relevanter als die innerhalb der Einspruchsfrist eingereichten. Da Anspruch 1 im Beschwerde­verfahren dem des Einspruchs­verfahrens gleich sei, bestand auch keine Notwendigkeit neue Entgegen­haltungen vorzulegen.

E5' solle zudem auch deswegen nicht in das Verfahren zugelassen werden, da sie zur Beanstandung der Neuheit hinzugezogen worden sei. Dieser Einwand stelle einen neuen Einspruchsgrund dar, dessen Einführung die Beschwerde­gegnerin nicht zustimme.

Folglich seien alle diese Dokumente nicht in das Verfahren zuzulassen.

Zulassung des Einspruchsgrunds gemäß Artikel 100 (b) EPÜ

Dieser Einspruchsgrund sei nach der neunmonatigen Einspruchsfrist erhoben worden. Da die Einspruchs­abteilung ihr Ermessen, bei der Entscheidung ihn nicht in das Einspruchsverfahren zuzulassen, richtig ausgeübt habe und die Beschwerdegegnerin ihre Zustimmung zur Einführung ins Beschwerdeverfahren nicht gäbe, könne er nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen werden.

Neuheit

Bild 1 der E8 zeige einen Bolzen, der mit seiner Spitze in einem Grundmaterial verankert sei und über dessen nicht im Grundmaterial eingebettetes Gewinde ein vorgelochtes Blech durch eine Schraubenmutter am Grundmaterial befestigt sei. Somit könne diese Figur unmöglich, auch nicht in Verbindung mit der Beschrei­bung, ein Verfahren zur Verbindung zweier nicht vor­gelochter Bauteile offenbaren.

Zudem zeige das Bild 4 der E8 zwar auf der rechten Seite einen Bolzen, der ein einziges Bauteil durch­dringt und bei dem ein Materialaufwurf sowohl auf der nagelkopf­seiteigen als auch auf der nagelkopf­abgewandten Seite des Materials vorsteht. Jedoch könne das Verhalten eines einzelnen Bauteils nicht ohne weiteres auf zwei miteinander zu verbindende Bauteile übertragen werden, zumal es sowieso fraglich sei, ob ein Bolzen gemäß E8 in der Lage wäre zwei Bauteile zusammenzuhalten. Somit offenbare auch die Kombination der Bilder 1 und 4 die Merkmale i bis l nicht, und der Gegenstand des Anspruchs 1 sei neu.

Erfinderische Tätigkeit

Von E8 ausgehend

Da, wie zur Neuheit ausgeführt, das in Bild 4 der E8 gezeigte Verhalten des Materials nicht ohne weiteres auf zwei Bauteile übertragen werden könne, habe der Fachmann nicht zwischen zwei angeblich gleichwertigen in E8 gezeigten Verfahren zu wählen, sondern müsse erfinderisch tätig werden, um zum Verfahren gemäß Anspruch 1 zu gelangen.

Auch die Lehre der E6 könne den Fachmann nicht dazu anregen, den Bolzen gemäß E8 zur Befestigung zweier nicht vorgelochter Bauteile anzuwenden. E6 beschreibe nämlich ein Verfahren zum Verbinden zweier Teile, von denen eines eine Beplankung sei, also ein weiches Material, bei dem beim Setzen eines Nagels keine Material­aufwürfe entstehen.

Folglich beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 von E8 ausgehend auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Von E6 ausgehend:

Da, wie zur Erörterung der erfinderischen Tätigkeit von E8 ausgehend ausgeführt, bei dem in E6 beschriebenen Verfahren keine Materialaufwürfe entstehen, habe der Fachmann überhaupt keinen Anlass dazu, den im Verfahren gemäß E6 gezeigten Nagel dahingehend zu verändern, um das nicht vorhandene Problem des Materialaufwurfs zu beheben. Folglich würde er auch nicht die E7 in Betracht ziehen, um diese Aufgabe zu lösen, so dass der Gegenstand des Anspruchs 1 auch von E6 ausgehend auf einer erfinde­rischen Tätigkeit beruhe.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulassung der erst im Beschwerdeverfahren eingereichten Beweismitt­el und der verspätet vorgebrachten Einspruchs­­­­gründe

2.1 Grundsätzliches

Das Einspruchs-Beschwerdeverfahren ist ein vom Einspruchs­verfahren vollständig getrenntes, unabhängiges verwaltungsgerichtliches Verfahren, dessen primärer Zweck in der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung besteht.

Neue Einspruchsgründe sowie in der ersten Instanz verspätet vorgebrachte und nicht in das Verfahren eingeführte Einspruchsgründe dürfen daher in der Regel ohne Zustimmung des Patentinhabers nicht eingeführt werden.

Ebenso sollten aus diesem Grund neue Beweismittel nur ausnahmsweise in das Verfahren eingeführt werden.

2.2 Zulassung des Einspruchsgrunds "mangelnde Neuheit" und der Druckschrift E5'

Wie in der angefochtenen Entscheidung unter Punkt 12.1.1 ausgeführt ist, wurde im Einspruchsverfahren kein Einwand gegen die Neuheit des erteilten Anspruchs 1 erhoben.

Somit stellt der erst während des Beschwerdeverfahrens erhobene Einwand der mangelnden Neuheit gegenüber einer neu vorgelegten Entgegenhaltung (E5') einen neuen rechtlichen Einwand mit einer neuen Rechtsgrundlage dar (siehe G1/95, 7.1) und darf nicht ohne das Ein­verständnis der anderen Partei in das Verfahren eingeführt werden. Da im vorliegenden Fall kein Einverständnis vorliegt, werden der erstmals vor­gebrachte Einwand zur mangelnden Neuheit des Gegen­stands des erteilten Anspruchs 1 wie auch die E5' nicht in das Beschwerde­verfahren zugelassen.

2.3 Zulassung der Druckschriften E9 bis E23

Diese Druckschriften sind nach der Einspruchsfrist eingereicht worden. E9 bis E21 sind zwar zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereicht worden, also zum frühestmöglichen Zeitpunkt im Beschwerde­verfahren, und ihr Einreichen könnte unter Umständen als normales Verhalten der unterlegenen Partei betrachtet werden.

Im vorliegenden Fall unterscheidet sich jedoch der beanstandete unabhängige Verfahrensanspruch 1 nicht von dem erteilten, so dass diese Dokumente schon im Einspruchsverfahren hätten eingereicht werden können (VOBK Artikel 12 (4)). Dass sie erst im Rahmen einer nach dem Einspruchsverfahren durchgeführten Recherche gefunden wurden, spielt für die Zulassung keine Rolle. Anderenfalls würde jede zusätzlich durchgeführte Recherche die Einführung von neuen Beweismitteln rechtfertigen.

Ferner stellen die Druckschriften E9 bis E23 prima facie keinen relevanteren Stand der Technik dar, als derjenige, der innerhalb der Einspruchsfrist eingereicht worden ist.

Da die Zulassung dieser Dokumente außerdem einen komplett neuen Fall aufwerfen würde, der eine Zurück­verweisung an die Einspruchsabteilung erfordern würde und dies gegen die Verfahrensökonomie verstöße, werden sie nicht in das Verfahren zugelassen.

2.4 Zulassung des Einspruchsgrunds gemäß Artikel 100 (b) EPÜ

Der Einwand gemäß Artikel 100 (b) EPÜ wurde während des Einspruchsverfahrens verspätet vorgebracht und von der Einspruchsabteilung nicht in das Verfahren zugelassen.

Deswegen obliegt es der Beschwerdekammer lediglich zu beurteilen, ob die Einspruchsabteilung ihr Ermessen nach den richtigen Kriterien ausgeübt hat. Falls dies der Fall ist, ist das Einführen des neuen Einwands in das Beschwerdeverfahren nur dann möglich, wenn die Patent­inhaberin dem zustimmt.

Im vorliegenden Fall wurde nicht bestritten, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen nach den richtigen Kriterien ausgeübt hat und auch die Beschwerde­kammer sieht keinen Grund das Verhalten der Einspruchs­abteilung zu beanstanden. Da die Beschwerdegegnerin der Einführung des neuen Einspruchs­grunds nicht zustimmt, wird der Einwand gemäß Artikel 100 (b) EPÜ somit nicht in das Verfahren zugelassen.

3. Patentierbarkeit

3.1 Neuheit von Anspruch 1

3.1.1 Auch wenn im Einspruchsverfahren kein Einwand gegen die mangelnde Neuheit des unabhängigen Anspruchs 1 erhoben wurde, darf die Neuheit gegenüber dem nächst­liegenden Stand der Technik bei der Entscheidung über den Einspruchsgrund der erfinderischen Tätigkeit geprüft werden (siehe G/95, Leitsatz).

Da E8 sowohl im Einspruchsverfahren als auch in der Beschwerdebegründung als nächstliegender Stand der Technik benutzt wurde, um die erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 zu beurteilen, kann somit von dieser Entgegenhaltung ausgehend ein Neuheitseinwand in das Verfahren zugelassen werden.

3.1.2 Die Beschwerdeführerin vertritt die Meinung, dass die untere rechte Zeichnung des Bilds 1 der E8 zusammen mit seiner Beschreibung (siehe Seite 586, Anfang des zweiten Absatzes der linken Spalte) und dem Anfang der Verfahrens­beschreibung (siehe Seite 586, mittlere Spalte) ein Verfahren zum Herstellen einer Verbindung zwischen zwei nicht vorgebohrten Bauteilen in einem Fügebereich entsprechend Merkmal a) offenbart.

E8 betrifft ein Verfahren zum Bolzensetzen in Bau­stählen. Dabei zeigt Bild 1 - wie auf der linken Spalte der Seite 586 beschrieben - verschiedene Anwendungen zum Bolzensetzen im Stahlbau. Bei allen Anwendungen dringt die Bolzenspitze in den Untergrund einer Stahl­konstruktion ein, während am anderen Ende des Bolzens mittels eines Gewindes, das nicht in den zu befesti­genden Teil eindringt, ein weiteres Bauteil befestigt wird. Während aus der Beschreibung eindeutig hervor­geht, dass der Untergrund nicht vorgelocht ist (siehe z. Bsp. Anfang der Verfahrensbeschreibung) ist weder aus der Figur noch aus den dazugehörenden Beschrei­bungs­abschnitten zu entnehmen, ob das zweite Bauteil vorgelocht ist oder nicht.

Auch Bild 4 erlaubt dazu keine Schlussfolgerung, weil es lediglich zur Definition der Eindringtiefe dient (siehe Seite 588, rechte Spalte, 2. Absatz). Es stimmt zwar, dass dieses Bild sowohl auf der nagelkopf­seitigen als auch auf der nagelkopfabgewandten Seite des durch­drungenen Bauteils Material­aufwürfe zeigt, jedoch ist überhaupt kein Hinweis gegeben, dass ein zweites Bauteil im gleichen Verfahrensschritt mitbefestigt werden soll, geschweige denn ob dabei ebenfalls entsprechende Aufwürfe im zweiten Bauteil entstehen.

Da E8 somit nicht unmittelbar und eindeutig ein Verfahren zeigt, bei dem eine Verbindung zwischen zwei nicht vorgelochten Bauteilen hergestellt wird (Merkmale i bis l) ist der Gegenstand des Anspruchs 1 neu.

3.2 Erfinderische Tätigkeit

3.2.1 Von E8 ausgehend

Die Beschwerdeführerin vertritt die Meinung, dass E8 sofern sie nicht die Neuheit des beanspruchten Verfahrens vorwegnimmt, allenfalls so verstanden werden könne, dass sie entweder eine Verbindung zeige, bei der der Nagel durch zwei nicht vorgelochte Bauteile ein­getrieben wird, oder eine Verbindung, bei der eines der beiden Bauteile vorgelocht und mittels einer Mutter an dem ersten Bauteil befestigt wird. Die Wahl zwischen diesen gleichwertigen Alternativen könne jedoch, insbesondere unter Berücksichtigung der E6, keine erfinderische Tätigkeit begründen.

Alle in E8 beschriebenen Verbindungen zweier Bauteile beruhen auf dem Prinzip, dass ein Bolzen mit hoher Geschwindig­keit mit einer Spitze in ein Untergrund­material eingeführt wird und anschließend ein zweites Bau­teil über ein Bolzengewinde, das nicht in das Grund­material eindringt, mit dem ersten verbunden wird.

Wie oben unter 3.1.2 ausgeführt, betrifft das Bild 4 der E8 die Definition der Eindringtiefe des Bolzens. In beiden Zeichnungen des Bilds 4 wird sie an einem einzigen Bauteil gezeigt. Deswegen kann diese Darstellung dem Fachmann nicht nahelegen, den Bolzen auf einer konzeptuell grundsätzlich unter­schiedli­chen Art und Weise einzusetzen und durch zwei Bauteile einzutreiben, zumal nicht einmal sichergestellt ist, dass der in E8 benutzte Bolzen dafür geeignet wäre, zwei Bauteile zusammenzuhalten.

Folglich steht der Fachmann nicht vor der Wahl zwischen zwei naheliegenden und gleichwertigen Alternativen, sondern würde nur durch eine ex post facto Betrachtung vom Verfahren gemäß E8 zum beanspruchten Verfahren gelangen.

Auch E6 kann den Fachmann nicht dazu anregen, den Bolzen gemäß E8 als Verbindungsmittel zwischen zwei Bauteilen einzusetzen. Diese Druckschrift zeigt zwar, auf Seite 3 zwei Bauteile, die mittels eines Nagels zusammengehalten werden. Die gesamte Druckschrift handelt jedoch von einer Stahlprofil-Leichtbauweise, bei der Tafelelemente an Stahlprofilen befestigt werden. Dabei sind die Tafel­elemente Beplankungen aus Bauplatten, die eventuell Dämmstoffeinlagen/schichten aufweisen. Bei diesen Elementen handelt es sich also um so weiche, bzw. nachgiebige Materialien, dass beim Einsetzen eines Nagels das Material komprimiert wird, ohne dass es zu Material­auswürfen an der Oberfläche kommt. Deswegen kann diese Druckschrift nicht zu einem Verfahren zur Verbindung zweier Bauteile anregen, die aus Materialien bestehen, bei denen durch das Eintreiben eines Nagels ein Materialaufwurf entsteht.

Folglich beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 von E8 ausgehend auf einer erfinderischen Tätigkeit.

3.2.2 Von E6 ausgehend

Wie oben ausgeführt, betrifft E6 ein Verfahren zur Stahlprofil-Leichtbauweise, bei der Tafelelemente an Stahlprofilen befestigt werden. Dafür werden Nägel eingesetzt, die unstrittig keine Ringnut an der Kopfunterseite vorsehen.

Die Beschwerdeführerin vertritt die Meinung, dass die von E6 ausgehend zu lösende Aufgabe darin bestehe, das mit dem Materialaufwurf verbundene Problem zu beheben. Da E7 zur Lösung dieser Aufgabe einen Bolzen mit einer an der Kopfunterseite liegenden Nut vorsehe, würde der Fachmann die Lehre dieser Druckschrift auf den Nagel gemäß E6 anwenden und, ohne dabei erfinderisch tätig zu werden, zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen.

Da aber, wie oben ausgeführt, in E6 das nagelkopf­seitige Material weich ist, entsteht beim Einführen des Nagels kein Materialaufwurf am nagelkopfseiteigen Bauteil. Folglich hat der Fachmann nicht die von der Beschwerde­führerin genannte Aufgabe zu lösen und somit auch keinen Anlass, die E7 überhaupt in Betracht zu ziehen, zumal sie sich mit einer grundsätzlich anderen Befestigungstechnik befasst.

Folglich beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auch von E6 ausgehend auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurück­verwiesen, mit der Anordnung, das Patent in folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

Ansprüche: 1 bis 31 wie erteilt

Beschreibung: Spalten 1 bis 4, 9 und 10, eingereicht in der mündlichen Verhandlung

Spalten 5 bis 8, 11 und 12 wie erteilt

Zeichnungen: 1 bis 15 wie erteilt

Quick Navigation