European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2017:T034412.20170317 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 17 März 2017 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0344/12 | ||||||||
Anmeldenummer: | 06706763.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | B42D 15/00 B41M 3/10 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Datenträger mit Halbtonbild | ||||||||
Name des Anmelders: | Giesecke & Devrient GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | KBA-NotaSys SA DE LA RUE INTERNATIONAL LIMITED |
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Kammer: | 3.2.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Zulässigkeit der Anträge (ja) Neuheit (alle Anträge: ja) Erfinderische Tätigkeit (alle Anträge: nein) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 853 433 durch die Einspruchsabteilung.
Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass keiner der ihr vorliegenden Anträge dem Erfordernis der Neuheit genüge.
Sie hat insbesondere folgende Entgegenhaltungen berücksichtigt:
D2: CA 2421089 bzw. US 2004/0007145 A1 oder WO 02/20268 A1;
D4: "Guernsey Banknote" A036702;
D4b: Erklärung und Bericht von Herrn Andrew Nutton, einem Angestellten der Einsprechenden 2, datiert auf den 22. April 2009;
V1c: Erklärung von Herrn Andrew Nutton, datiert auf den 2. Juli 2010.
II. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 17. März 2017 statt.
III. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der Ansprüche des mit Schreiben vom 16. Februar 2017 eingereichten Hauptantrags oder der Hilfsanträge 1 oder 2. Die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 3 und 4 wurden zurückgezogen.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende 1) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
Die Beschwerdegegnerin 2 (Einsprechende 2) hat ihren Einspruch mit Schreiben vom 29. April 2013 zurückgezogen.
IV. Die unabhängigen Ansprüche des Hauptantrags lauten wie folgt:
"1. Datenträger mit einem im Stichtiefdruck hergestellten Halbtonbild, das bedruckte Teilflächen mit bestimmten Tonwerten aufweist, wobei mindestens sechs bedruckte Teilflächen unterschiedliche Tonwerte besitzen, und wobei alle im Halbtonbild vorkommenden Tonwerte durch für das bloße Auge vollflächig erscheinende bedruckte Teilflächen mit einem bestimmten Anteil nichtbedruckter Weißbereiche gebildet sind."
"8. Stichtiefdruckplatte zum Drucken eines Halbtonbildes mit wenigstens sechs unterschiedlich gravierten Bereichen in der Druckplattenoberfläche zum Drucken unterschiedlicher Tonwerte, wobei alle zum Drucken des Halbtonbild vorgesehenen gravierten Bereiche einen bestimmten Anteil nichtdruckender Weißbereiche aufweisen, welche durch in Höhe der Druckplattenoberfläche liegende Flächen gebildet sind, deren Ausdehnung zumindest in einer Dimension unterhalb der Auflösungsgrenze des bloßen Auges liegt."
"17. Verfahren zum Herstellen einer Stichtiefdruckplatte zum Drucken eines Halbtonbildes mit sechs oder mehr unterschiedlichen Tonwerten, mit den Verfahrensschritten:
- Bereitstellen einer Druckplatte mit einer Druckplattenoberfläche,
- Gravieren von wenigstens sechs unterschiedlichen Bereichen in die Druckplatte, wobei in allen zum Drucken des Halbtonbilds vorgesehenen Bereichen ein bestimmter Anteil nichtdruckender Weißbereiche stehen gelassen wird, welche durch in Höhe der Druckplattenoberfläche liegende Flächen gebildet werden, deren Ausdehnung zumindest in einer Dimension unterhalb der Auflösungsgrenze des bloßen Auges liegt."
Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags unterscheidet sich dadurch von Anspruch 1 des Hauptantrags, dass "und wobei alle im Halbtonbild vorkommenden Tonwerte" ersetzt wurde durch "die jeweils", sowie durch die Hinzufügung des Merkmals "und wobei die Ausdehnung der nichtbedruckten Weißbereiche in zumindest einer Dimension kleiner als 60 mym ist".
Anspruch 6 des ersten Hilfsantrags unterscheidet sich dadurch von Anspruch 8 des Hauptantrags, dass "wobei alle zum Drucken des Halbtonbild vorgesehenen gravierten Bereiche" ersetzt wurde durch "die jeweils", sowie durch die Hinzufügung des Merkmals "wobei die Ausdehnung der nichtdruckenden Weißbereiche in zumindest einer Dimension kleiner als 60 mym ist".
Anspruch 14 des ersten Hilfsantrags unterscheidet sich dadurch von Anspruch 17 des Hauptantrags durch die Hinzufügung des Merkmals "wobei die Ausdehnung der nichtdruckenden Weißbereiche in zumindest einer Dimension kleiner als 60 mym ist".
Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch das zusätzliche Merkmal "und die Ausdehnung der nichtbedruckten Weißbereiche in zumindest einer Dimension kleiner als 60 mym ist".
Anspruch 7 des zweiten Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 8 des Hauptantrags durch das zusätzliche Merkmal "und wobei die Ausdehnung der nichtdruckenden Weißbereiche in zumindest einer Dimension kleiner als 60 mym ist".
Anspruch 16 des zweiten Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 17 des Hauptantrags durch die Hinzufügung des Merkmals "wobei die Ausdehnung der nichtdruckenden Weißbereiche in zumindest einer Dimension kleiner als 60 mym ist".
V. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat Folgendes vorgetragen:
a) Zulässigkeit der Anträge
Der vorliegende Hauptantrag weise gegenüber der erteilten Fassung zwei Änderungen auf. Die erste Änderung ("sechs bedruckte Teilflächen") sei im ursprünglichen Anspruch 7 offenbart und sei schon in einem vorher eingereichten Hilfsantrag in den Anspruch 1 aufgenommen worden. Die zweite Änderung ("alle im Halbtonbild vorkommenden Tonwerte ") diene der Präzisierung und sei in der Beschreibung, Seite 13, Zeilen 2-6, offenbart.
Der Antrag stelle eine Reaktion auf den negativen Ladungsbescheid der Kammer dar. Er beseitige die Einwände der Kammer (Auslegungsproblem und fehlende Neuheit). Die Änderungen hätten zur Folge, dass die Auslegung des Begriffs "Halbtonbild" nicht mehr entscheidend wäre. Die Änderung führe kein grundsätzlich neues Merkmal ein und verlange keine zusätzlichen Überlegungen.
Der Hilfsantrag 1 entspreche dem bisherigen Hilfsantrag 3, aus dem das von der Kammer als unklar befundene Merkmal, das die Motivation ausdrückt, gestrichen wurde. Auch diese Änderung stelle eine unmittelbare und angemessene Reaktion auf den Bescheid der Kammer dar.
Der Hilfsantrag 2 kombiniere die Änderungen des Hauptantrags und des Hilfsantrags 1.
Würde man der Argumentation der Einsprechenden folgen, so wäre es unmöglich, auf einen Ladungsbescheid zu reagieren. Ein negativer Ladungsbescheid würde das Verfahren de facto beenden. Das sei aber nicht vorgesehen. Streng genommen, sei eine Änderung in diesem Verfahrensstadium immer verspätet. Die vorliegende Änderung sei zielführend und rechtzeitig (in Bezug auf die von der Kammer vorgeschriebene Frist) eingereicht worden. Sie werfe keine schwierigen Fragen auf, zumal der Gegenstand des Anspruchs ohnehin relativ einfach sei. Alle relevanten Fragen seien schon diskutiert worden.
b) Hauptantrag
i) Neuheit gegenüber der Banknote D4
Die Banknote D4 offenbare nicht, dass sechs bedruckte Teilflächen unterschiedliche Tonwerte besitzen und alle im Halbtonbild vorkommenden Tonwerte durch für das bloße Auge vollflächig erscheinende bedruckte Teilflächen mit einem bestimmten Anteil nichtbedruckter Weißbereiche gebildet sind. In der Analyse D4b seien nur drei vollflächig erscheinende Bereiche (A, C und E) beschrieben; die Bereiche D und E seien nicht vollflächig. Wenn man z.B. das Portrait der Druckschrift D4 in der Letter of Marque betrachte, sehe man, dass gewisse Flächen unbedruckt sind (z.B. das Gesicht), und dass andere Bereiche - wie zum Beispiel Teile der Kleidung der abgebildeten Person - nicht vollflächig erscheinen.
ii) Erfinderische Tätigkeit gegenüber der Banknote D4
Die Vorteile der Erfindung bestünden darin, dass es pro Gravurtiefe eine höhere Anzahl von Tonwerten gebe und dass die Farbtöne stabilisiert würden: es gebe keine Schwankungen, wie dies bei vollflächiger Bedruckung der Fall sei. Man erhalte also trotz einer großen Fläche ein einheitlich farbliches Erscheinungsbild.
Die Banknote D4 enthalte keine Lehre für den Fachmann, die ihn dazu führen würde, alle Bereiche vollflächig auszuführen. Die Banknote führe eher davon weg, da sie sehr unterschiedliche Bereiche miteinander kombiniere. Der Stichtiefdruck gebe Banknoten das typische und erwünschte Erscheinungsbild der linienförmigen Darstellung. Der Fachmann würde dieses strichförmige Erscheinungsbild gerne beibehalten. Das Streitpatent gebe diesen Vorteil auf, um andere Vorteile (farbstabilere und einfachere Herstellung, größere Gestaltungsvielfalt für den Designer) zu erreichen. Das Aufgeben des strichmäßigen Eindrucks stelle einen Paradigmenwechsel dar. In der Banknote D4 sei die Wahl von vollflächigen Bereichen nicht bewusst erfolgt, sondern beruhe auf der Notwendigkeit, dunkle Bereiche abzubilden. Die gelöste Aufgabe sei darin zu sehen, differenzierte Bilder mit hoher Qualität zu ermöglichen, die einheitlichere Farbtöne auf größeren Flächen besitzen, sowie die einfachere Herstellung.
Auf eine Frage der Kammer hin erklärte die Beschwerdeführerin, dass der zuständige Fachmann ein Druckingenieur sei, der mit der Herstellung von Banknoten befasst ist. Die computergesteuerte Herstellung der Druckplatten habe zum Prioritätszeitpunkt noch in den Kinderschuhen gesteckt.
c) Hilfsanträge 1 und 2: erfinderische Tätigkeit
Auf eine Frage der Kammer hin erläuterte die Beschwerdeführerin den Unterschied zwischen den Gegenständen der Ansprüche 1 der beiden Hilfsanträge anhand eines Halbtonbilds mit 9 Tonwerten. Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 verlange, dass mindestens sechs Teilflächen vollflächig ausgebildet sind, während gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 alle neun Tonwerte von vollflächig erscheinenden Teilflächen gebildet werden.
Der wesentliche Unterschied zur Offenbarung der Banknote D4 bestehe im Merkmal, dem zufolge die Ausdehnung der nichtbedruckten Weißbereiche in zumindest einer Dimension kleiner als 60 mym ist. Die Erklärung D4b von Dr. Nutton lege dar, dass die kleinsten in der Banknote D4 verwendeten Abmessungen größer sind.
Der Vorteil der kleineren Abmessungen bestehe darin, dass die Teilflächen für das Auge eine feinere Textur aufweisen. Dies führe zu einem sehr homogenen Erscheinungsbild.
Der Fachmann habe keine Veranlassung, solche Abmessungen zu wählen.
Die Dimension von 60 mym sei nicht willkürlich gewählt. Das Streitpatent offenbare eine Abstufung von Zahlenwerten. Je kleiner der Wert gewählt werde, umso gleichmäßiger sei der Farbeindruck. Auf Anfrage der Kammer bestätigte die Beschwerdeführerin, dass diese Wirkung im Streitpatent nicht explizit offenbart sei.
Die von der Beschwerdegegnerin vorgeschlagene Kombination mit der Lehre der Druckschrift D2 sei nicht realistisch, da diese Druckschrift eine ganz andere Aufgabe zu lösen suche.
VI. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende 1) hat Folgendes vorgetragen:
a) Zulässigkeit der Anträge
Die Anträge seien nach der Festlegung der mündlichen Verhandlung eingereicht worden, sodass ihre Zulässigkeit gemäß Artikel 13 (3) VOBK zu prüfen sei. Die Anträge hätten vor der Einspruchsabteilung bzw. spätestens mit der Beschwerdebegründung eingereicht werden müssen. Darüber hinaus enthielten die Anträge neue Merkmale, die aus der Beschreibung aufgenommen wurden. Die Beschwerdegegnerin hätte das nicht erwarten können und sei von dieser Vorgehensweise überrascht worden. Die Anträge seien offensichtlich unzulässig, da ihre Auslegung schwierig sei und ihr Gegenstand den Erfordernissen der Artikel 123 (2) und 84 EPÜ nicht genüge. Die Auslegung des Begriffs "Halbtonbild" werfe Fragen auf. Die Bedeutung des Merkmals "alle ... Tonwerte" sei ebenfalls unklar. Es sei nicht Aufgabe der mündlichen Verhandlung, erstmals grundsätzliche Fragen zur Auslegung zu untersuchen. Die Klarheitseinwände seien von der Beschwerdegegnerin schon vor dem Bescheid der Kammer erhoben worden. Ihre Behebung stelle somit keine Reaktion auf den Bescheid dar. Die Beschwerdeführerin musste sich der Gefahr eines Klarheitseinwands durch die Kammer bewusst sein. Die Einreichung der neuen Anträge stelle einen Versuch dar, ein neues Beschwerdeverfahren zu beginnen.
Darüber hinaus bestehe die Gefahr, dass die Zulassung der neuen Anträge es erforderlich mache, zum ersten Mal die von der Beschwerdegegnerin (Einsprechenden 2) geltend gemachte Vorbenutzung zu untersuchen. In diesem Falle wäre die Einsprechende aber der Möglichkeit beraubt, den Vortrag zur Vorbenutzung, ggf. durch Anhörung von Zeugen, zu untermauern. Eine Zulassung der neuen Anträge würde möglicherweise eine zweite mündliche Verhandlung oder sogar die Zurückverweisung an die erste Instanz erforderlich machen. Das sei der Beschwerdegegnerin nicht zuzumuten.
Gemäß der Rechtsprechung könne die Kammer Anträge zulassen, die unmittelbar erteilbar seien. Die gegenwärtigen Anträge erfüllten dieses Erfordernis jedoch nicht, da sie neue Fragen aufwerfen.
b) Hauptantrag
i) Neuheit gegenüber der Banknote D4
Die Banknote D4 sei neuheitsschädlich für Anspruch 1. Es sei zulässig, einen Bereich des Gesamtbilds der Banknote D4 willkürlich auszuwählen und als Halbtonbild im Sinne von Anspruch 1 zu verstehen.
Wenn man den willkürlich ausgewählten ("isolé arbitrairement") Schulterbereich der im Zusammenhang mit der in der Letter of Marque abgebildeten Person betrachte, so sei festzustellen, dass dieser Bereich eine quasi-kontinuierliche Abstufung ("dégradé") von Tonwerten aufweise, weshalb es ein Leichtes sei, sechs Teilflächen mit unterschiedlichen Tonwerten zu finden. Alle dieser Teilflächen erscheinen dem bloßen Auge als vollflächig, da die Auswahl nur solche Teilflächen beinhaltet.
ii) Erfinderische Tätigkeit gegenüber der Banknote D4
Angesichts des einzigen von der Kammer festgestellten Unterschieds stellt sich nur die Frage, ob der Fachmann veranlasst wäre, alle Tonwerte durch vollflächig erscheinende Tonwerte auszubilden. Es handelt sich dabei um eine ästhetisch motivierte Wahl ("choix esthétique"). Aus technischer Sicht wird durch diese spezielle Wahl nichts geändert; das Merkmal liefere keinen technischen Beitrag und löse auch keine technische Aufgabe. Die gelöste Aufgabe bestehe also darin, den abzubildenden Gegenstand auf eine ästhetisch andere Art und Weise darzustellen.
Auf die Frage der Kammer hin erklärte die Beschwerdegegnerin, der Fachmann sei der "Stecher" ("graveur"), der mit der Ausgestaltung der Banknote betraut sei, also eine Person mit künstlerischer Ausbildung. Heutzutage stelle dieser "Stecher" nur den Entwurf her, der dann maschinell mittels Lasergravur auf die Platte übertragen wird. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, dass die computergesteuerte Herstellung der Druckplatten zum Prioritätszeitpunkt noch in den Anfängen gewesen sei, sei nicht richtig.
c) Hilfsanträge 1 und 2: erfinderische Tätigkeit
Die beiden Hilfsanträge haben denselben Gegenstand.
Das Merkmal, dem zufolge die Ausdehnung der nichtbedruckten Weißbereiche in zumindest einer Dimension kleiner als 60 mym ist, sei in der Banknote D4 nicht explizit offenbart. Allerdings werde diese Abmessung im Streitpatent (Absatz [0018]) nur als Teil einer Serie von mehreren bevorzugten Werten beschrieben. Gemäß dieser Offenbarung gibt es keinen technischen Unterschied zwischen einer Dimension unterhalb von 100 mym und einer Dimension unterhalb von 60 mym. Das Merkmal der 60 mym falle gewissermaßen "vom Himmel"; es handle sich um eine willkürliche Auswahl. Darüber hinaus finde der Fachmann in der Druckschrift D2 eine entsprechende Anregung.
Entscheidungsgründe
1. Anzuwendendes Recht
Die dem Streitpatent zugrundeliegende Anmeldung wurde am 9. Februar 2006 eingereicht. Deshalb ist im vorliegenden Fall in Anwendung von Artikel 7 der Akte zur Revision des EPÜ vom 29. November 2000 (ABl. EPA 2007, Sonderausgabe Nr. 4, 217) und des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 über die Übergangsbestimmungen nach Artikel 7 der Akte zur Revision des EPÜ vom 29. November 2000 (ABl. EPA 2007, Sonderausgabe Nr. 4, 219) der Artikel 56 EPÜ 1973 anzuwenden.
2. Zulässigkeit der Anträge (Artikel 13 (1) und (3) VOBK)
Die Anträge wurden ca. einen Monat vor der mündlichen Verhandlung eingereicht. Sie beruhen im Wesentlichen auf den Hilfsanträgen, die mit der Beschwerdebegründung eingereicht wurden, und deren Zulässigkeit die Beschwerdegegnerin nicht beanstandet hat.
Die vorliegenden Anträge wurden als Reaktion auf den negativen Ladungsbescheid der Kammer eingereicht. Das von der Kammer als unklar befundene Merkmal der ursprünglichen Hilfsanträge wurde gestrichen, und die verbleibenden Merkmale wurden beschränkt, um dem Neuheitseinwand betreffend den Gegenstand des Hauptantrags zu begegnen. Allerdings waren die Einwände der mangelnden Klarheit bzw. der fehlenden Neuheit zuvor schon von der Beschwerdegegnerin erhoben worden. Es bestand also ein Anlass, die Hilfsanträge schon vor dem Ergehen des Ladungsbescheids einzureichen.
Die Beschwerdegegnerin hat auf die Vorlage der frühzeitig eingereichten neuen Anträge nicht schriftsätzlich reagiert. Sie hat insbesondere nicht geltend gemacht, dass die geltend gemachte Vorbenutzung bei Zulassung der neuen Anträge entscheidungswesentlich wäre. Sie hat dieses Argument vielmehr erst zu Beginn der mündlichen Verhandlung vorgebracht, also zu einem Verfahrenszeitpunkt, zu dem es unmöglich gewesen wäre, die von ihr genannten Zeugen ohne Verschiebung der mündlichen Verhandlung zu hören. Die von ihr geltend gemachte Unmöglichkeit, ihren Vortrag durch die Einvernahme von Zeugen zu untermauern, geht also auch auf ihr eigenes Verhalten im Verfahren zurück.
Obwohl eine der Änderungen - das Ersetzen von "einer oder mehrere" durch "alle" - keine Entsprechung in den erteilten Ansprüchen hat, handelt es sich um eine Änderung, die keine grundsätzlich neue Faktenlage schafft.
Nach Abwägung aller maßgeblichen Faktoren hat die Kammer beschlossen, das ihr unter Artikel 13 (1) VOBK zustehende Ermessen derart auszuüben, dass die mit Schreiben vom 16. Februar 2017 eingereichten Anträge zum Verfahren zugelassen werden.
Darüber hinaus war die Änderung der Beschwerdegegnerin und der Kammer zumutbar und führt auch nicht dazu, dass eine Verlegung der mündlichen Verhandlung notwendig wird (Artikel 13 (3) VOBK).
3. Auslegungsfragen
3.1 "Halbtonbild"
In Absatz [0009] (Spalte 2, Zeilen 48-51) des Streitpatents ist zu lesen, dass "[d]er Begriff "Halbtonbild" [...] in der vorliegenden Beschreibung, ein Bild, das zwischen der hellsten und dunkelsten Bildstelle Zwischentöne aufweist [bezeichnet]".
Der Duden definiert "Bild" als "mit künstlerischen Mitteln auf einer Fläche Dargestelltes, Wiedergegebenes; Gemälde, Zeichnung o.Ä.". Nach Auffassung der Kammer lässt sich daraus nicht ableiten, dass ein "Bild" notwendigerweise ein einheitliches Motiv sein muss: ein Bild kann durchaus aus mehreren Elementen bestehen, die, wenn sie aus ihrem Kontext gelöst werden, selbst ein eigenständiges Bild formen. Das Streitpatent suggeriert nichts anderes, denn im Absatz [0032] (Spalte 7, Zeilen 12-15) ist zu lesen, dass das "gesamte Druckbild der Banknote aus einer Überlagerung mehrerer Druckbilder [besteht]" (Unterstreichungen durch die Kammer).
Allerdings ist die gedankliche Aufspaltung eines Bildes in Teilbilder nur zulässig, wenn die Teilbilder als solche wahrgenommen würden.
Anspruch 1 aller Anträge verlangt, dass das Halbtonbild "im Stichtiefdruck hergestellt" wurde. Motive des Datenträgers, die nicht im Stichtiefdruck hergestellt wurden, sind also nicht als Teile des anspruchsgemäßen Halbtonbilds anzusehen.
3.2 "Tonwert"
Das Streitpatent selbst definiert den "Tonwert" als die "Helligkeit der betrachteten Farbe" bzw., im Falle von Schwarz-Weiß-Bildern, als "Wert auf einer Grauskala von Weiß bis Schwarz" (siehe Absatz [0009]).
3.3 "alle im Halbtonbild vorkommenden Tonwerte"
Das Merkmal, dem zufolge alle im Halbtonbild vorkommenden Tonwerte durch für das bloße Auge vollflächig erscheinende Teilflächen gebildet sind, bedeutet nicht, dass im Gesamtbild des Datenträgers keine Bereiche vorhanden sein können, die nicht vollflächig erscheinen. Wenn sich das Gesamtbild des Datenträgers aus mehreren Halbtonbildern zusammensetzt, dann ist das Merkmal erfüllt, wenn alle Tonwerte wenigstens eines dieser Halbtonbilder vollflächig erscheinen.
4. Hauptantrag
4.1 Neuheit gegenüber der Banknote D4
Es ist möglich, sich bei der Prüfung der Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gegenüber der Banknote D4 auf eines der Halbtonbilder, die auf der Banknote erscheinen, zu beschränken (siehe dazu Punkt 3.33.3 ).
Die Parteien haben sich in ihrem Vortrag auf das Medaillon mit einem Portrait, das Teil der Letter of Marque ist, konzentriert. Deshalb bezieht sich die Kammer auch auf dieses Portrait, das ein im Stichtiefdruck hergestelltes Halbtonbild darstellt.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Ausschnitt aus der Banknote D4
Die Kammer folgt der Beschwerdegegnerin dahingehend, dass dieses Halbtonbild mehr als sechs bedruckte Teilflächen mit jeweils unterschiedlichen Tonwerten aufweist.
Allerdings sind nicht alle im Halbtonbild vorkommenden Tonwerte durch für das bloße Auge vollflächig erscheinende bedruckte Teilflächen gebildet. Mehrere Teilflächen, wie zum Beispiel der sichtbare Arm der dargestellten Person, erscheinen schraffiert.
Die gegenteilige Behauptung der Beschwerdegegnerin beruht darauf, dass sie ein Halbtonbild betrachtet, das nur aus vollflächig erscheinenden Teilflächen besteht, also ein Halbtonbild, von dem alle anderen Teilflächen, wie von ihr zugestanden, "willkürlich" (arbitrairement) ausgeschlossen sind. Diese Deutung des Begriffs "Halbtonbild" hat die Kammer nicht überzeugt. Wie unter Punkt 3.13.1 dargelegt wurde, ist die gedankliche Aufspaltung eines Bildes in Teilbilder nur zulässig, wenn die Teilbilder als solche wahrgenommen würden. In diesem Sinne ist es nicht zulässig, den schraffierten Armbereich aus dem vom Medaillon gebildeten Halbton-Portrait wegzudenken.
Die Kammer ist daher zum Schluss gelangt, dass der Gegenstand von Anspruch 1 neu ist gegenüber der Banknote D4 (Artikel 54 (1) EPÜ 1973).
4.2 Erfinderische Tätigkeit
Zur Prüfung der erfinderischen Tätigkeit bedient sich die Kammer des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes.
4.2.1 Nächstliegender Stand der Technik
Die Kammer geht von der Banknote D4 als nächstliegendem Stand der Technik aus. Die Parteien haben diese Wahl nicht beanstandet.
4.2.2 Unterschiede
Wie unter Punkt 4.14.1 dargelegt wurde, unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 dadurch von der Banknote D4, dass alle im Halbtonbild vorkommenden Tonwerte durch für das bloße Auge vollflächig erscheinende bedruckte Teilflächen mit einem bestimmten Anteil nichtbedruckter Weißbereiche gebildet sind. In der Banknote D4 weisen alle Halbtonbilder bedruckte Teilflächen auf, die nicht vollflächig, sondern schraffiert erscheinen.
4.2.3 Objektive technische Aufgabe
Die Kammer ist zur Auffassung gelangt, dass die objektive technische Aufgabe darin besteht, eine annähernd photorealistisch wirkende Darstellung zu erreichen (siehe dazu Absatz [0019] des Streitpatents).
4.2.4 Fachmann
Der relevante Fachmann ist der mit der künstlerischen Ausgestaltung der Banknote betraute Designer.
4.2.5 Naheliegen
Der Fachmann, der von der Banknote D4 mit dem Medaillon der Letter of marque ausgeht und sich die Aufgabe stellt, das dargestellte Portrait annähernd photorealistisch zu machen, weiß, aufgrund seines allgemeinen Fachwissens, dass eine realistischere Darstellung insbesondere dadurch erreicht werden kann, dass die schraffiert erscheinenden Bereiche dergestalt verändert werden, dass sie als vollflächig erscheinen.
Da die benachbarten Bereiche bereits so ausgeformt sind, offenbart die Banknote D4 auch unmittelbar, wie diese Wirkung erreicht werden kann.
Den Fachmann, der von der Banknote D4 ausgeht, würde also angesichts seines allgemeinen Fachwissens und insbesondere im Hinblick auf die vollflächig erscheinenden Bereiche dieser Banknote ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangen.
4.3 Ergebnis
Der Gegenstand von Anspruch 1 ist nicht erfinderisch im Sinne von Artikel 56 EPÜ 1973.
Diese Feststellung betrifft aus denselben Gründen auch die anderen unabhängigen Ansprüche.
Daher kann dem Hauptantrag nicht stattgegeben werden.
5. Hilfsanträge 1 und 2: erfinderische Tätigkeit
Die Kammer behandelt diese beiden Hilfsanträge gemeinsam, da, wie von der Beschwerdeführerin eingeräumt wurde, die erfinderische Tätigkeit in beiden Fällen nur auf dem Unterscheidungsmerkmal beruhen kann, dem zufolge die Ausdehnung der nichtbedruckten Weißbereiche in zumindest einer Dimension kleiner als 60 mym ist.
Die Tatsache, dass es möglich ist, durch die Variation des Anteils nichtbedruckter Weißanteile den Tonwert zu variieren, ist als dem Fachmann bekannt vorauszusetzen, da sie in der Banknote D4 zum Einsatz kommt. Wie die Untersuchung der Banknote D4 zeigt, kann das Auge nichtbedruckte Weißbereiche mit einer Abmessung von etwa 100 mym zumindest bei bestimmten Abständen nicht mehr auflösen. Dies entspricht auch der Lehre von Absatz [0018] des Streitpatents.
Der Unterschied zwischen dem Gegenstand von Anspruch 1 und der Banknote D4 besteht darin, dass die Ausdehnung der nichtbedruckten Weißbereiche in zumindest einer Dimension kleiner als 60 mym ist. Gemäß der Erklärung D4b ist die kleinste Abmessung der unbedruckten Bereiche der Banknote D4 ungefähr 100 mym.
Die Beschwerdeführerin sieht die Wirkung dieses Unterschieds darin, dass die Teilflächen für das Auge eine feinere Textur aufweisen, was zu einem sehr homogenen Erscheinungsbild führe.
Es ist plausibel und würde auch vom Fachmann erwartet werden, dass eine Verkleinerung der relevanten Abmessungen der nichtbedruckten Weißbereiche die Auflösung durch das Auge erschwert und somit auch bei geringeren Betrachtungsabständen bzw. bei besser auflösenden Augen gewährleistet, dass die Teilfläche dem Beobachter vollflächig erscheint. Allerdings offenbart das Streitpatent nicht, dass bei Dimensionen unterhalb von 60 mym irgendein besonderer Effekt zu beobachten ist. Insofern ist die Wahl von 60 mym als willkürliche Auswahl aus dem Bereich der Abstände unterhalb von 100 mym anzusehen und kann keine erfinderische Tätigkeit begründen.
Daher kann auch den Hilfsanträgen 1 und 2 nicht stattgegeben werden.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.