T 0255/12 () of 21.6.2016

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2016:T025512.20160621
Datum der Entscheidung: 21 Juni 2016
Aktenzeichen: T 0255/12
Anmeldenummer: 06012096.1
IPC-Klasse: B23P 19/04
B60J 10/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Vorrichtung zur Bildung einer Dichtung oder Abdeckung an einem Dichtungs- bzw. Abdeckungsträger, insbesondere an einer Fahrzeugtür oder einem Karosserieausschnitt
Name des Anmelders: CQLT SaarGummi Technologies S.à.r.l.
Name des Einsprechenden: Cooper Standard GmbH
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 69(1)
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 84
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Patentansprüche - Stützung durch die Beschreibung (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Zwischenentscheidung über die Fassung in der das Europäische Patent Nr. 1 733 839 in geändertem Umfang aufrechterhalten werden kann, wurde am 23. Dezember 2011 zur Post gegeben.

Die Einspruchsabteilung war zu der Auffassung gekommen, dass die Erfindung so deutlich und vollständig offen­bart war, dass sie der Fachmann ausführen kann. Ferner fand sie, dass der während der mündlichen Verhandlung ein­gereichte unabhängige Anspruch 6 nicht unzulässig ge­ändert worden und klar sei. Schließlich fand sie, dass der Gegenstand beider unabhängiger Ansprüche auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

II. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat form- und fristgerecht Beschwerde eingereicht.

III. Am 21. Juni 2016 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt, wegen deren Einzelheiten auf das Protokoll Bezug genommen wird.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des an­gefochtenen Patents.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Basis des während der mündlichen Verhandlung als 3. Hilfs­antrag ein­gereichten Anspruchssatzes nebst an­gepasster Beschrei­bung.

IV. Folgende von der Beschwerdeführerin im Beschwerde­verfahren genannten Beweis­mittel wurden bereits im Einspruchs­verfahren benutzt:

D1: EP 1 502 790 A1

D2: DE 10 2004 035 205 A1

D3: EP 0 857 599 B1

D4: DE 103 22 301 A1

D6: US 5 611 550

Vorbenutzung eines von der Firma Pixargus GmbH hergestellten und vertriebenen Systems "ProfilControl 5", das bei der Einsprechenden zur Überwachung von Dichtungsprofilen eingesetzt wird:

D10a: Prospekt der Firma Pixargus GmbH betreffend das System "ProfilControl 5", mit dem Druckvermerk "PC 5 2/08"

D10b: Screenshots von der Website der Pixargus GmbH und Zeugnis des Herrn Roland Nuber

D10c: ProfilControl 5 Bedienerhandbuch, Revisionsnr.: 23, René Beaujean, 27.02.2008 8:04

Vorbenutzung einer Prüf- und Richteinheit einer kontinuierlichen Lötstraße:

D11a: Lastenheft mit der Nummer 13800012 vom November 2004

D11b: Bestellschein bei der Firma Fuhrmann datiert vom 02.12.2004

D11c: Screenshots von der Website der Prüftechnik NDT GmbH

D11d: Herunterladbarer Applikationsbericht von der Website gemäß Dokument D11c, datiert 28.06.1996. betreffend die Prüfung von Bundyrohren mittels des Systems Eddychek 3 und

Folgende Entgegenhaltungen wurden zusammen mit der Beschwerde­begründung eingereicht

D12: DE 40 20 839 A1;

D13: DE 39 20 659 A1;

D14: DE 27 26 454 B2;

D15: US 3 827 296;

D16: JP 62/261957 A und

D17: AT 391 331 B.

V. Anspruch 1 gemäß dem einzigen im Verfahren verbliebenen Antrag (Hilfsantrag 3) hat folgenden Wortlaut:

"Verfahren zur Bildung einer Dichtung oder Abdeckung an einem Dichtungs- bzw. Abdeckungsträger, insbesondere an einer Fahrzeugtür (1) oder einem Karosserie­ausschnitt (Merkmal A),

wobei die Dichtung oder Abdeckung bildendes Strang­material (6) von einer Rolle (5) oder Wicklung ab­gewickelt (Merkmal B),

das abgewickelte Strangmaterial (6) dem Träger zu­geführt, in Stranglängsrichtung fortlaufend mit dem Träger ver­bunden (Merkmal C) und

ein der Länge (L) der Dichtung entsprechender End­abschnitt von dem zugeführten Strangmaterial (6) abgetrennt wird (Merkmal D),

wobei das von der Rolle abgewickelte Strangmaterial (6) vor der Verbindung mit dem Träger geprüft wird (Merkmal E) und

als fehlerhaft ermittelte Abschnitte des Strang­materials (6) abgetrennt und als Abfall ausgesondert werden (Merkmal F),

dadurch gekennzeichnet,

dass das Strangmaterial (6) ferner vor dem Aufwickeln auf die Rolle (5) geprüft wird (Merkmal G),

dass bei der Prüfung vor dem Aufwickeln als fehlerhaft erkannte Abschnitte des Strangmaterials (6) markiert oder/und Anfangs- und Endkoordinaten fehlerhafter Ab­schnitte gespeichert werden (Merkmal H), und

dass die Abtrennung fehlerhafter Abschnitte von dem von der Rolle (5) abgewickelten Strangmaterial (6) anhand der vor dem Aufwickeln des Strang­materials (6) auf die Rolle (5) erzeugten Markierungen oder/und gespeicherten Anfangs- und Endkoordinaten erfolgt (Merkmal I)."

Die Merkmalsbezeichnung (Merkmal A bis I) wurde von der Kammer hinzugefügt.

VI. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

a) Zulassung der D12 bis D17

Diese Entgegenhaltungen seien zusammen mit der Beschwerde­begründung ein­gereicht worden und sollen ins Verfahren zugelassen werden.

b) Zulassung des 3. Hilfsantrags

Der Antrag solle nicht zugelassen werden, weil er zum spätmöglichsten Zeitpunkt, nämlich während der mündli­chen Verhandlung im Beschwerdeverfahren eingereicht worden sei. Außerdem könne er nicht als eine Reaktion auf eine Äußerung der Kammer betrachtet werden. Schließ­lich sei keine daran angepasst Beschreibung eingereicht worden.

c) Ausführbarkeit der Erfindung

Die Erfindung sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Insbesondere werde nicht spezifiziert, was "fehlerhafte Abschnitte" bedeute und ob auch Stoßstellen unter diesen Begriff fallen oder nicht. Ferner sei in Absatz [0008] nicht definiert, ab welcher Länge es zweckmäßig sei, fehlerhafte Abschnitte schon vor dem Aufwickeln auf die Rolle herauszutrennen. Schließlich bestehe ein Widerspruch zwischen dem 1. und dem 2. Anspruch. Wenn alle fehlerhaften Abschnitte vor dem Aufwickeln auf die Rolle herausgetrennt werden, bestehe nämlich die Rolle aus fehlerfreiem, nicht markiertem Material.

d) Erfinderische Tätigkeit

Von D1 oder D6 ausgehend

D1 offenbare alle Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1. Hiervon ausgehend sei die Aufgabe zu lösen, den Konfektionsaufwand des Strangmaterials zu reduzieren. D10 beschreibe eine Vorrichtung, die das Strangmaterial bei der Herstellung, vor dem Aufwickeln prüft, die fehlerhaften Stellen markiert und abtrennt. Somit sei es für den Fachmann naheliegend, die Lehre der D10 auf das Verfahren nach D1 anzuwenden, so dass er, ohne dabei erfinderisch tätig zu werden, zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen würde. Eine ähnliche Argumentation gelte auch von D6 ausgehend.

Von D3 ausgehend

D3 offenbare nicht nur den gesamten Oberbegriff des Anspruchs 1, sondern gebe den expliziten Hinweis, Stoß­stellen zu markieren und anschließend abzutrennen. Somit sei der Fachmann in Kenntnis der D10 ausdrücklich darauf hingewiesen, die Lehre der beiden Entgegen­haltungen zu kombinieren.

Von D1 bis D4 oder D6 ausgehend in Verbindung mit D11

Der Fachmann würde sehr wohl D11 bei der Lösung der Aufgabe, die erreichbare Fertigungssicherheit zu erhöhen, in Betracht ziehen, auch wenn sie ein anderes technisches Gebiet betreffe. Bei der Anwendung der Lehre der D11 auf eines der Verfahren gemäß D1 bis D4 und D6 käme der Fachmann, ohne dabei erfinderisch tätig zu werden, zum Gegenstand des Anspruchs 1.

Von D12 ausgehend

D12 offenbare ein Verfahren zum Herstellen und Verarbeiten von wickelbarem Feinblech, bei dem die Oberflächenfehler im Walzwerk markiert werden, das Heraustrennen und Aussondern der Fehlstellen erst im Presswerk aufgrund einer maschinellen Detektion der bereits markierten Fehler erfolge.

Somit unterscheide sich der Gegenstand des Anspruchs 1 vom Verfahren nach D12 lediglich dadurch, dass es sich um ein Verfahren zur Bildung einer Dichtung oder Abdeckung handle.

Der mit der Aufgabe befasste Fachmann, eine höhere Fertigungssicherheit bei der Herstellung zur Bildung einer Dichtung oder Abdeckung an einem Dichtungs- bzw. Abdeckungsträger zu erzielen, würde sehr wohl die D12 in Betracht ziehen und das dort offenbarte Verfahren auf die Herstellung einer Dichtung anwenden. Er werde dadurch, ohne dabei erfinderisch tätig zu werden, zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen.

Von D1 oder D3 ausgehend in Verbindung mit D13 bis D17

Aus D13 bis D17 erhielte der Fachmann den Hinweis, zur Erhöhung der Fertigungssicherheit, fehlerhafte Ab­schnitte des zu verarbeitenden Materials zu markieren. Es sei für ihn naheliegend, diese Lehre auf das in D1 oder D3 offenbarte Verfahren anzuwenden und somit zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen.

e) Anpassung der Beschreibung

Die für den 3. Hilfsantrag eingereichte Beschreibung sei nicht gewährbar, weil sie gegen das Verbot der reformatio in peius verstoße. Im Vergleich zu der von der Einspruchsabteilung als gewährbar erachteten Fas-sung der Beschreibung sei nämlich ein Absatz gestrichen worden. Da die Beschreibung gemäß Artikel 69 (1) EPÜ für die Auslegung der Ansprüche heranzuziehen sei, habe die Streichung eines Absatzes einen Einfluss auf den Schutzbereich.

Ferner spezifiziere die Beschreibung nicht aus­drücklich, dass die in den Figuren dargestellte Vor­richtung nicht der Erfindung zugrunde liege. Somit bestehe ein Widerspruch zwischen den Ansprüchen und der Beschreibung, der zu einem Verstoß gegen die Erforder­nisse des Artikels 84 EPÜ führe.

VII. Die Beschwerdegegnerin hat im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

a) Zulassung der D12 bis D17

Diese Entgegenhaltungen seien verspätet eingereicht worden und sollen deswegen nicht in das Verfahren zugelassen werden.

b) Zulassung des 3. Hilfsantrags

Der 3. Hilfsantrag beruhe auf dem in geänderter Fassung aufrechterhaltenen Anspruchssatz, wobei lediglich die Vorrichtungsansprüche gestrichen worden seien. Er wurde eingereicht, weil die Kammer eine negative Meinung zur Gewährbarkeit der Vorrichtungsansprüche geäußert hatte. Somit schaffe der 3. Hilfsantrag keine neue Sachlage, die die Beschwerdeführerin hätte überraschen können. Folglich solle der Antrag in das Verfahren zugelassen werden.

c) Ausführbarkeit der Erfindung

Es sei nicht notwendig zu spezifizieren, ob auch die Stoßstellen als fehlerbehaftete Bereiche zu werten seien. Falls sie als solche betrachtet werden sollen, dann sehe das Streitpatent vor, dass sie markiert werden.

Ab welcher Länge es zweckmäßig sei, fehlerhafte Bereiche schon vor dem Aufwickeln abzutrennen, könne von Fall zu Fall vom Anwender des Verfahrens festgelegt werden und brauche nicht im Patent spezifiziert zu werden.

Schließlich bestehe kein Widerspruch zwischen den Ansprüchen, weil Anspruch 2 nicht vorschreibe, dass alle fehlerhaften Abschnitte vor dem Aufwickeln auf die Rolle abgetrennt werden sollen.

Folglich genüge das Patent den Erfordernissen des Artikels 83 EPÜ.

d) Erfinderische Tätigkeit

Von D1 oder D6 ausgehend

D1 offenbare ein Verfahren, bei dem unmittelbar vor dem Aufbringen Fehler detektiert werden und die ent­sprechen­den Bereiche abgeschnitten werden. Das in D10 beschrie­bene Verfahren basiere hingegen gerade darauf, dass ausschließlich fehlerfreies Material auf die Rolle gewickelt wird, so dass keine weitere Kontrolle vor dem Aufbringen des Materials notwendig sei. Da die zwei Verfahren grundsätzlich unterschiedliche Verarbeitungs­konzepte beschreiben, würde der Fachmann die Lehre der D10 nicht auf das Verfahren nach D1 übertragen, so dass der Gegenstand des Anspruchs 1 von D1 ausgehend auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Entsprechendes gelte auch für die Argumentation ausgehend von der Lehre der D6.

Von D3 ausgehend

Auch D3 beschreibe ein Verfahren, bei dem - anders als in Anspruch 1 - die Markierung der fehlerhaften Stelle (nämlich die Stoßenden zweier Vorratsrollen) erst bei dem Abwickeln von der Rolle durchgeführt werde. Des­wegen entnehme der Fachmann auch nicht von D3 den Hin­weis, das Verfahren nach D10 vor dem dort offenbarten Verfahren vorzuschalten.

Von D1 bis D4 oder D6 ausgehend in Verbindung mit D11

D11 betrifft ein Verfahren zum Überprüfen und Sortieren von Bundyrohren und betreffe somit überhaupt nicht das vom Anspruch verlangte Markieren von Fehlern eines Strangmaterials bevor es auf eine Rolle gewickelt wird. Selbst wenn der Fachmann die Lehre der D11 auf einen der Verfahren nach D1 bis D4 oder D6 übertragen würde, würde er nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen.

Von D12 ausgehend in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen

Der Fachmann würde die D12 nicht einmal in Betracht ziehen, weil sie aus einem fachfremden technischen Gebiet stamme. Selbst wenn der Fachmann die D12 berücksichtigen würde, offenbare sie kein Verfahren, das die unmittelbare Weiterverarbeitung des ab­gewickelten Materials ermögliche. Somit könne sie nicht den Gegenstand des Anspruchs nahelegen.

Von D1 oder D3 ausgehend in Verbindung mit D13 bis D17

D13 bis D17 betreffen fachfremde technische Gebiete, die der Fachmann nicht in Betracht ziehen würde, um die gestellte Aufgabe zu lösen.

e) Anpassung der Beschreibung

Der einzige Unterschied zwischen den im Beschwerde-verfahren und der im Einspruchsverfahren eingereichten Beschreibungen betreffe die Beschreibung des Standes der Technik. Dies habe keinen Einfluss auf die Auslegung oder dem Umfang der Erfindung. Somit könne diese Streichung nicht gegen das Verbot der reformatio in peius verstoßen.

Es stimme zwar, dass in der angepassten Beschreibung nicht ausdrücklich ausgeführt sei, dass die dort beschriebene Vorrichtung nicht Gegenstand der Erfindung sei. Da aber die Ansprüche ausschließlich ein Verfahren beträfen, könne kein Widerspruch zwischen Beschreibung und Ansprüche vorliegen.

Entscheidungsgründe

1. Zulassung der D12 bis D17

Diese Entgegenhaltungen sind zusammen mit der Beschwerde­begründung ein­gereicht worden und somit zum frühestmöglichen Zeitpunkt während des Beschwerde­verfahrens. Sie sind als eine angemessene Reaktion der unterliegenden Partei zu betrachten, die erst während der mündlichen Verhandlung im Einspruchs­verfahren mit einer neuen Anspruchsfassung konfrontiert wurde. Deswegen werden sie in das Verfahren zugelassen.

2. Zulassung des 3. Hilfsantrags

Der Anspruchssatz gemäß 3. Hilfsantrag entspricht dem von der Einspruchsabteilung als gewährbar erachteten und ursprünglich im Beschwerdeverfahren als Hauptantrag definierten, wobei lediglich die Vorrichtungsansprüche gestrichen worden sind. Ein derart gestalteter Anspruchs­satz wurde bereits in der Beschwerdeerwiderung (mit Schriftsatz vom 5. November 2012) in Erwägung gezogen.

Der Antrag wurde als Reaktion auf die während der mündlichen Verhandlung geäußerte negative Meinung der Kammer zu den Vorrichtungsansprüchen eingereicht. Da dieser Anspruchssatz zudem keinen neuen Sachverhalt darstellt, den die Beschwerdeführerin hätte überraschen können, wird er in das Verfahren zugelassen.

Das Einreichen einer angepassten Beschreibung be­einflusst nicht die Zulassung eines Antrags, sondern - wenn überhaupt - seine Gewährbarkeit.

3. Ausführbarkeit der Erfindung

Es stimmt zwar, dass die Patentschrift nicht angibt, was ein fehlerhafter Abschnitt ist und ob auch Verbindungs­stellen als solche betrachtet werden sollen. Das Patent beschreibt aber eindeutig, dass die fehlerhaften Abschnitte vor dem Aufwickeln markiert werden sollen. Somit entnimmt der Fachmann aus dem Patent offen­sichtlich die Lehre, dass wenn für die spezifische Anwendung des Dichtmaterials auch Stoß­stellen als fehlerhafte Abschnitte zu betrachten sind, diese vor dem Aufwickeln markiert werden sollen.

Es stimmt ferner, dass das Patent nicht beschreibt, ab welcher Länge es zweckmäßig ist, fehlerhafte Bereiche schon vor dem Aufwickeln abzutrennen. Dies ist aber nicht notwendig, damit die Erfindung ausreichend offenbart ist, um ausgeführt werden zu können, da in Abhängigkeit vom Material und vom Anwendungsfall diese Länge festgelegt werden kann und soll.

Schließlich besteht kein Widerspruch zwischen den ersten beiden Ansprüchen, da Anspruch 2 nicht vorgibt, dass alle fehlerhaften Abschnitte vor dem Auswickeln abgetrennt werden müssen, sondern es dem Anwender frei lässt, welche Abschnitte abgetrennt und welche nur markiert werden sollen.

Folglich ist die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1 Von D1 oder D6 ausgehend

D1 offenbart (siehe z. Bsp. Anspruch 1) ein:

Verfahren zur Bildung einer Dichtung oder Abdeckung an einem Dichtungs- bzw. Abdeckungsträger, insbesondere an einer Fahrzeugtür oder einem Karosserie­ausschnitt,

wobei die Dichtung oder Abdeckung bildendes Strangmaterial (profil extrudé 3) von einer Rolle (poste d'alimentation P1) oder Wicklung abgewickelt,

das abgewickelte Strangmaterial (3) dem Träger zu­geführt, in Stranglängsrichtung fortlaufend mit dem Träger verbunden und

ein der Länge der Dichtung entsprechender Endabschnitt von dem zugeführten Strangmaterial (3) abgetrennt wird,

wobei das von der Rolle abgewickelte Strangmaterial (3) vor der Verbindung mit dem Träger geprüft (moyenes de détection 60) wird.

D1 offenbart ferner, dass Entwässerungslöcher im Strang­material detektiert werden und in Abhängigkeit von ihrer Lage und der Geometrie des Karosserieteils der ent­sprechende Bereich des Strangmaterials ab­geschnitten wird (siehe Anspruch 2). Unter der Annahme, dass Ent­wässerungs­löcher in diesem Zusammenhang als "fehlerhafte Abschnitte" betrachtet werden sollen, offenbart D1 auch das Merkmal wonach:

"als fehlerhaft ermittelte Abschnitte des Strang­materials (6) abgetrennt und als Abfall ausgesondert werden".

Somit unterscheidet sich, wie von der Beschwerde­führerin vorgetragen, der Gegenstand des Anspruchs 1 durch das kennzeichnende Teil von dem in D1 offenbarten Verfahren.

Die hierdurch zu lösende objektive technische Aufgabe liegt darin, den zur Erzeugung des Strangmaterials selbst erforderlichen Aufwand zu verringern (siehe Spalte 1, Zeilen 48 und 49 der Patentschrift).

D10 a/b/c offenbaren eine Vorrichtung zur Ausführung eines Verfahrens, bei dem in der Extrusionslinie eines profilierten Strangmaterials Fehler detektiert und markiert werden (siehe D10 b, 3. Seite, Zeile 7). D10 b lehrt aber auch, dass die Markierung direkt zum Auslösen eines Sägeschnittes hinter dem Oberflächen­fehler ge­nutzt wird (siehe D10 b, 3. Seite, Zeilen 8 und 9), also bevor das Strangmaterial auf die Rolle ge­wickelt wird. Auch D10 a (siehe Seite 2, 3. Spalte) lehrt, dass durch frühzeitiges Abschneiden der fehlerhaften Abschnitte bis zu 50% des Abfalls vermieden werden kann.

Es stimmt also, dass der Fachmann grundsätzlich das Verfahren zur Detektierung und Markierung der Fehler nach D10 a/b/c vor dem Verfahren nach D1 durchführen könnte, so dass in seiner Gesamtheit ein Verfahren nach Anspruch 1 gegeben wäre. Jedoch hat der Fachmann keinen Anlass dazu, diese zwei Verfahren miteinander zu kombi­nieren. Wie oben ausgeführt, lehren D10 a/b/c aus­schließ­lich, nach der Detektierung und Markierung der fehler­behafteten Bereiche, diese sofort abzuschneiden, um unnötigen Abfall zu vermeiden. Somit lehrten sie gerade nicht, das noch fehlerbehaftete Strangmaterial auf einer Rolle zu wickeln. Die Lehre der D10 a/b/c ist also dem beanspruchten Verfahren genau entgegen­gerichtet, bei dem es gerade darum geht das noch fehler­behaftete - aber markierte - Material auf die Rolle zu wickeln, um den Konfektionsaufwand beim Hersteller des Strangmaterials zu verringern.

Da der Fachmann also die Lehre der D10 a/b/c nicht auf das Verfahren nach D1 anwenden würde, beruht der Gegen­stand des Anspruchs 1 von D1 ausgehend auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die gleiche Argumentation trifft mutatis mutandis auch von D6 ausgehend zu.

4.2 Von D3 ausgehend

Es stimmt zwar, dass D3 nicht nur den gesamten Ober­begriff des Anspruchs 1 offenbart, sondern spezifisch lehrt, die verklebten Stoßenden zweier Vorratsrollen durch einen Farbstreifen zu markieren, damit die nicht für eine Verbauung geeignete Abschnitte im Anschluss erkannt und abgesondert werden können (siehe Spalte 3, Zeilen 14, 15 und 21 bis 29).

Jedoch würde auch dieser Hinweis den Fachmann nicht dazu bewegen, die Lehre der D10 a/b/c auf das Verfahren nach D3 anzuwenden. Aus den von der Beschwerdeführerin genannten Textpassagen der D3 kann der Fachmann nämlich nur entnehmen, dass auch die verklebe Stoßstelle zweier Vorratsrollen als fehlerhafter Bereich zu werten ist. Auch bei dem in D3 beschriebenen Verfahren wird jedoch die Markierung der fehlerhaften Stelle durchgeführt, nachdem das Strangmaterial von der Rolle gewickelt wird, und nicht, wie vom Anspruch 1 verlangt, vor dem Auf­wickeln. Deswegen hat auch in diesem Fall der Fach­mann keinen Anlass dazu, das Verfahren nach D10 a/b/c vor das in D3 offenbarte zu schalten, so dass der Gegenstand des Anspruchs 1 auch von D3 ausgehend auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

4.3 Von D1 bis D4 oder D6 ausgehend in Verbindung mit D11

D11 betrifft ein Verfahren zur Herstellung und Prüfung von Bundyrohren. Insbesondere D11d zeigt auf Seiten 4 und 5, dass die gelöteten Rohre aus einem mit Kupfer beschichteten Stahlband gerollt werden, danach ge­schnitten und gelötet. Nach dem Abkühlen werden sie geprüft und dann in Abhängigkeit von ihrer Güte sortiert. Somit betrifft D11 nicht das Detektieren und Markieren von Fehlern an einem Strangmaterial, bevor es auf eine Rolle gewickelt wird, damit nach dem Abwickeln die fehlerbehafteten Bereiche abgeschnitten werden können.

Selbst wenn der Fachmann D11 in Betracht ziehen würde, ist es nicht ersichtlich, wie die Übertragung der Lehre der D11 auf eines der Verfahren nach D1 bis D4 oder D6 überhaupt zum Gegenstand des Anspruchs 1 führen könnte.

4.4 Von D12 ausgehend in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen

D12 offenbart ein Verfahren zur Herstellung und Verarbeitung von wickelbarem Feinblech, bei dem die Oberflächenfehler im Walzwerk markiert werden, das Heraustrennen und Aussondern der Fehlstellen erst im Presswerk aufgrund einer maschinellen Detektion der bereits markierten Fehler erfolgt.

Hiervon ausgehend hat aber der Fachmann keinen Anlass dazu, das Verfahren zur Herstellung von Feinblech derart umzugestalten, dass es stattdessen Dichtungen oder Abdeckungen erzeugt. Dies ist insbesondere der Fall, weil es sich hierbei um technisch grundlegend unter­schiedliche Industriebranchen handelt.

Ferner erfolgt in D12 - anders als beim Verfahren nach Anspruch 1 - keine unmittelbare Weiter­verarbeitung des von der Rolle abgewickelten Materials unter fort­laufender Verbindung des abgewickelten Materials mit einem Träger, so dass selbst eine ohnehin fernliegende Anwendung des Verfahrens nach D12 auf eine Dichtung nicht zum Gegen­stand des Anspruchs 1 führen würde.

Folglich beruht auch von D12 ausgehend der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

4.5 Von D1 oder D3 ausgehend in Verbindung mit D13 bis D17

Nicht nur betreffen D13 bis D17 fachfremde technische Gebiete, so dass fraglich ist, ob der Fachmann sie überhaupt in Betracht ziehen würde, um die gestellte Aufgabe zu lösen. Diese Entgegenhaltungen beschreiben Verfahren, bei denen zwar das zu verarbeitende Material im Bereich der fehlerhaften Abschnitte markiert wird, die Abtrennung dieser Bereiche aber vor dem Aufwickeln stattfindet. Somit würde selbst das Übertragen der Lehre der D13 bis D17 auf die Verfahren nach D1 oder D3 nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 führen. Folglich beruht auch bei Betrachtung dieser Dokumente der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

5. Anpassung der Beschreibung

5.1 Die für den 3. Hilfsantrag eingereichte, angepasste Beschreibung unterscheidet sich von der im Einspruchs­verfahren für gewährbar erachteten dadurch, dass ein Teil des Absatzes [0001] gestrichen wurde, in dem der Stand der Technik beschrieben wurde.

Da der im Einspruchsverfahren in der Beschreibung hinzugefügte zweite Teil des Absatzes [0001] lediglich den der Erfindung zugrundeliegende Stand der Technik beschreibt, kann dort der Erfindungsgegenstand nicht definiert sein. Da somit das Streichen dieses Absatzes keinen Einfluss auf den Anspruchsgegenstand oder auf den Schutzumfang haben kann, kann unmöglich eine reformatio in peius vorliegen.

5.2 Die Beschwerdeführerin beanstandet ferner, dass, weil in den Absätzen [0001], [0009] und [0010] sowie in der Beschreibung der Figur 1 die beschriebene Vorrichtung nicht als nicht erfindungs­mäßig definiert wird, ein Verstoß gegen Artikel 84 EPÜ vorliege.

Es stimmt zwar, dass in der geänderten Fassung der Beschreibung nicht ausdrücklich angegeben wird, dass die beschriebene Vorrichtung nicht Gegenstand der Erfindung ist. Der Gegenstand, für den Schutz begehrt ist, wird aber in den Ansprüchen angegeben (Artikel 84 EPÜ, erster Satz). Da im vorliegenden Fall die Ansprüche aus­schließlich ein Verfahren betreffen, kann überhaupt kein Zweifel darüber bestehen, dass die für die Erläuterung des Verfahrens beschriebene Vorrichtung nicht zum Gegenstand der Erfindung gehört.

Somit sind die Ansprüche von der Beschreibung gestützt, und die geänderte Fassung des Patents genügt den Erfordernissen des Artikels 84, Satz 2 EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geänderter Fassung auf der Basis der folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

Ansprüche

1 bis 5 eingereicht als 3. Hilfsantrag während der mündlichen Verhandlung

Beschreibung

Spalten 1 und 2 eingereicht während der mündlichen Verhandlung für den 3. Hilfsantrag

Spalten 3 bis 6 der Patentschrift

Figuren

1 bis 4 der Patentschrift

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