European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2016:T018212.20161020 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 20 October 2016 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0182/12 | ||||||||
Anmeldenummer: | 01105201.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | H01B 7/29 H01B 7/18 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verwendung eines Klebebandes als Bandagierungsband für Kabel | ||||||||
Name des Anmelders: | tesa SE | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Certoplast Vorwerk & Sohn GmbH Scapa France S.A.S. |
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Kammer: | 3.5.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Spät eingereichter Antrag - Antrag identisch mit dem im erstinstanzlichen Verfahren nicht zugelassenen Hilfsantrag | ||||||||
Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 1 132 927 zu widerrufen. Die Einspruchsabteilung entschied u.a. den in der mündlichen Verhandlung vom 8. November 2011 eingereichten Hilfsantrag nicht ins Verfahren zuzulassen.
II. In der Beschwerdebegründung vom 30. März 2012 beantragte die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin), die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage des mit diesem Schriftsatz eingereichten Antrags aufrechtzuerhalten. Die Ansprüche dieses Antrags entsprechen denen des Hilfsantrags vom 8. November 2011. Sie beantragte weiterhin die Rückzahlung der Beschwerdegebühr, sowie hilfsweise eine mündliche Verhandlung anzuberaumen oder die Sache an die erste Instanz zurückzuverweisen. Diese Anträge der Beschwerdeführerin bleiben unverändert bestehen.
Die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechenden 1 und 2) beantragten mit den Schreiben vom 10. bzw. 2. August 2012 unter anderem die Beschwerde zurückzuweisen.
In einem der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Bescheid vom 24. Juni 2016 wurde den Parteien u.a. die vorläufige Meinung der Kammer mitgeteilt, dass der einzige Antrag der Beschwerdeführerin nicht zuzulassen sei, so dass die Beschwerde erfolglos bleiben werde.
Mit Schreiben vom 4. Oktober 2016 erklärte die Beschwerdeführerin, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.
Mit Schreiben vom 19. Oktober 2016 ist der anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben worden.
III. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:
"Verwendung eines Klebebandes als Bandagierungsband für Kabel, wobei die Kabel eine PVC-freie Ummantelung aus Polypropylen oder vernetztem Polyethylen aufweisen, umfassend einen PVC-freien Träger, auf dem zumindest einseitig eine druckempfindliche Klebemasse auf Acrylathotmelt-Basis aufgetragen ist, wobei das Klebeband, wenn es bei einer Temperatur von mindestens 100°C und für eine Dauer von zumindest 240 h auf den Kabel verklebt ist, zu keiner Beschädigung der Ummantelung führt."
IV. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen.
Im erstinstanzlichen Verfahren sei der Hilfsantrag als unmittelbare Reaktion auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung, dass der damalige Hauptantrag den Erfordernissen des Artikels 83 EPÜ nicht erfüllt, eingereicht worden. Die Bestimmung, dass die PVC-freie Ummantelung aus Polypropylen oder vernetztem Polyethylen besteht, sei zu erwarten gewesen, weil diese Polymere als Beispiele bereits im Abschnitt [0040] der Anmeldung (EP 1 132 927 A2) aufgeführt worden seien.
Da lediglich ein einziger Hilfsantrag eingereicht worden sei, und da dies durch den Verhandlungsverlauf hervorgerufen worden sei, liege kein Verfahrensmissbrauch vor.
Die Nichtberücksichtigung des Hilfsantrags durch die Einspruchsabteilung stelle eine schwerwiegende Verletzung des rechtlichen Gehörs dar, die eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertige.
V. Die Beschwerdegegnerin 2 argumentierte im Wesentlichen wie folgt.
Der Einwand unter Artikel 83 EPÜ sei bereits in beiden Einspruchsschriften erhoben und in der Ladung der Einspruchsabteilung diskutiert worden. Die Entscheidung zu diesem Thema habe lediglich die vorläufige Meinung der Abteilung bestätigt und könne daher nicht überraschend gewesen sein.
Die Patentinhaberin habe in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zugegeben, dass sie den Hilfsantrag aus verfahrenstaktischen Gründen nicht früher eingereicht habe.
Die Frage der Zulässigkeit des Hilfsantrags sei in der mündlichen Verhandlung ausführlich diskutiert worden und die Einspruchsabteilung habe bei ihrer Entscheidung die richtigen Kriterien in Betracht gezogen. Deshalb liege keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor.
VI. Die Argumente der Beschwerdegegnerin 1 bezüglich der Zulässigkeit des Antrags der Beschwerdeführerin betrafen nur Regel 137 (4) EPÜ und sind daher für diese Entscheidung nicht relevant.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. In dem der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Bescheid vom 24. Juni 2016 wurde den Parteien die vorläufige Meinung der Kammer mitgeteilt, dass der einzige Antrag der Beschwerdeführerin nicht zuzulassen sei, so dass die Beschwerde erfolglos bleiben werde. Die mündliche Verhandlung wurde demnach lediglich wegen des diesbezüglichen Hilfsantrags der Beschwerdeführerin anberaumt. Die Beschwerdeführerin hat anschließend mit Schreiben vom 4. Oktober 2016 erklärt, dass sie an dieser Verhandlung nicht teilnehmen werde. Nach ständiger Rechtsprechung (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts, 8. Auflage 2016, III.C.2.3.1) ist eine solche Erklärung als Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung zu werten. Die Kammer ist daher in der Lage ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.
3. Mit der Beschwerdebegründung vom 30. März 2012 beantragte die Beschwerdeführerin, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage eines Antrags aufrecht zu erhalten, dessen Ansprüche identisch mit den in der mündlichen Verhandlung vom 8. November 2011 als Hilfsantrag eingereichten Ansprüchen sind. Dieser Antrag ist von der Einspruchsabteilung nicht ins Verfahren zugelassen worden. Gemäß Artikel 12 (4) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern hat die Kammer die Befugnis einen solchen Antrag nicht zuzulassen. Nach der relevanten Rechtsprechung bezüglich der Überprüfung erstinstanzlicher Ermessungsentscheidungen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 8. Auflage, 2016, IV.E.3.6) sollte eine Beschwerdekammer "sich nur dann über die Art und Weise, in der die erste Instanz ihr Ermessen ausgeübt hat, hinwegsetzen, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass die erste Instanz ihr Ermessen nach Maßgabe der falschen Kriterien, unter Nichtbeachtung der richtigen Kriterien oder in willkürlicher Weise ausgeübt hat". Unter Punkt IV.E.4.3.2 a) der oben genannten Rechtsprechungsübersicht wird zudem ausgeführt, dass diese Bestimmung ebenfalls unter den Umständen des vorliegenden Falls gilt, d.h. im Falle einer Entscheidung über die Zulassung eines Antrags, der bereits von der Einspruchsabteilung nicht ins Verfahren zugelassen worden ist. Die Kammer teilt diese Auffassung.
4. Zu den Argumenten der Beschwerdeführerin bezüglich der Zulassung dieses Antrags merkt die Kammer folgendes an:
- Die Frage, ob die Änderung im neuen Antrag zu erwarten gewesen wäre, ein Kriterium das an sich nicht falsch ist, geht ins Detail der Ermessungsentscheidung der Einspruchsabteilung. Sie ist daher für die Überprüfung dieser Entscheidung durch die Kammer nicht relevant.
- Obwohl die Frage des Verfahrensmissbrauchs in der angefochtenen Entscheidung erwähnt wird, ist es für die Kammer ersichtlich, dass sie für die Frage der Zulassung des Antrags nicht entscheidungserheblich war. Außerdem ist aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung (siehe Seite 3, 11. Absatz) ersichtlich, dass die Patentinhaberin diesen Antrag zumindest teilweise aus verfahrenstaktischen Gründen nicht früher eingereicht hatte.
- Die Entscheidung der Einspruchsabteilung, dass der damalige Hauptantrag den Erfordernissen des Artikels 83 EPÜ nicht genügt, war lediglich eine Bestätigung der bereits in der Ladung mitgeteilten vorläufigen Meinung der Einspruchsabteilung. Es lag daher keine unerwartete Entwicklung vor, die eine verspätete Einreichung des Antrags hätte rechtfertigen können.
- Aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung geht hervor, dass die Frage der Zulassung dieses neuen Antrags ausführlich diskutiert wurde. Aus den beiden letzten Absätzen auf Seite 3 des Protokolls ist ersichtlich, dass, bevor die Entscheidung über die Zulassung getroffen wurde, die Patentinhaberin ausdrücklich bestätigte, dass sie keine weiteren Kommentare zu diesem Thema hatte. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kann in diesem Zusammenhang daher ausgeschlossen werden.
5. Die Kammer ist daher der Auffassung, dass - bei der Entscheidung diesen Antrag nicht zuzulassen - die Einspruchsabteilung die richtigen Kriterien in Betracht gezogen hat und ihr Ermessen nicht in einer willkürlichen Weise ausgeübt hat. Die Kammer sieht daher keinen Grund sich über die Art und Weise, in der die Einspruchsabteilung ihr Ermessen ausgeübt hat, hinwegzusetzen.
6. Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass der einzige Antrag der Beschwerdeführerin auch im Beschwerdeverfahren nicht zuzulassen ist (vgl. Artikel 12 (4) VOBK), so dass die Beschwerde erfolglos bleiben muss. Damit besteht eine der Vorbedingungen der Regel 103 (1)(a) EPÜ für eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nicht. Außerdem, wie oben erwähnt, ist die Kammer der Meinung, dass es keine Verletzung des rechtlichen Gehörs gab, die eine Rückzahlung rechtfertigen könnte. Schließlich, da kein zulässiger Antrag vorliegt, der als Verfahrensgrundlage dienen könnte, kommt auch eine Zurückverweisung an die erste Instanz nicht in Betracht.
7. Den Anträgen der Beschwerdegegnerinnen, die Beschwerde zurückzuweisen, waren somit stattzugeben. Folglich waren ebenfalls die Anträge der Beschwerdeführerin auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr sowie auf Zurückverweisung an die erste Instanz zurückzuweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
2. Die Anträge der Beschwerdeführerin auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr sowie auf Zurückverweisung an die erste Instanz werden zurückgewiesen.