T 0042/12 () of 3.9.2015

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2015:T004212.20150903
Datum der Entscheidung: 03 September 2015
Aktenzeichen: T 0042/12
Anmeldenummer: 06016747.5
IPC-Klasse: A61K 9/20
A61K 31/529
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Filmtablette oder Granulat enthaltend ein Pyridylpyrimidin
Name des Anmelders: Siegfried International AG
Name des Einsprechenden: Actavis Group PTC EHF
Helm AG
Ratiopharm GmbH
Teva Pharmaceutical Industries LTD.
Kammer: 3.3.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 100(b)
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein)
Einspruchsgründe - mangelhafte Offenbarung (nein)
Einspruchsgründe - mangelnde Klarheit kein Einspruchsgrund
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegende Alternative
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 1 762 230 wurde mit achtzehn Ansprüchen erteilt.

II. Gegen die Erteilung wurden vier Einsprüche eingelegt, die auf die unter Artikel 100 a), 100 b) und 100 c) EPÜ genannten Einspruchsgründe gestützt waren, mit der Begründung, dass der Gegenstand des Patents nach Artikel 52(1) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54 und 56 EPÜ wegen fehlender Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit nicht patentierbar sei, dass das Patent die Erfindung unzureichend offenbare, und dass der beanspruchte Gegenstand über den Inhalt der ursprünglichen Fassung der Anmeldung hinausgehe.

III. Im Verlauf des Einspruchs- und Beschwerdeverfahrens wurden u.a. die folgenden Dokumente genannt:

D1: US 6 894 051 B1

D2: WO 03/090720 A1

D3: Lieberman, Lachman: Pharmaceutical Dosage Forms: Tablets, Band 1, New York 1980, Seiten 112, 150, 173

D6: European Journal of Pharmaceutics and Biopharmaceutics 58, 317-326 (2004)

D8: Remington's Pharmaceutical Sciences, 15. Auflage, Easton, Pennsylvania, 1975, Seiten 1586, 1587

IV. Die vorliegende Beschwerde der Einsprechenden 1 (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die in der mündlichen Verhandlung vom 16. November 2011 verkündete und am 5. Dezember 2011 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Patent unter Berücksichtigung der im Einspruchsverfahren vorge­nommenen Änderungen den Erfordernissen des EPÜ genügt. Die der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegende geänderte Fassung ist die des damaligen Hauptantrags.

Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags hat den folgenden Wortlaut:

"1. Verfahren zur Herstellung einer Filmtablette, bestehend aus einem Tablettenkern mit einem Filmüberzug oder eines Granulats,

welche als Wirkstoff Imatinib-Monomethansulfonat in der kristallinen alfa-Form enthalten,

indem man die Tablettenkerne und die Granulate mittels Verpressung der Ausgangsstoffe herstellt,

und diese Ausgangsstoffe den Wirkstoff und mindestens eine als Füll-und Bindemittel wirkende Verbindung, sowie gegebenenfalls weitere Zusatzstoffe im Gemisch enthalten;

dadurch gekennzeichnet, dass man vorgängig zur Verpressung der Ausgangsstoffe, den Wirkstoff zusammen mit mindestens einem der Zusatzstoffe trockengranuliert,

und die erhaltenen Tablettenkerne, und gegebenenfalls die Granulate, mit einem Filmüberzug überzieht;

wobei die derart hergestellten Tablettenkerne und Granulatkerne den Wirkstoff in einem Anteil von 25 Gew.-% bis 80 Gew.-%, bezogen auf das Gesamtgewicht der Tablettenkerne bzw. der Granulatkerne enthalten."

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 4 sind auf das Verfahren nach Anspruch 1 rückbezogen. Der abhängige Anspruch 2 hat den folgenden Wortlaut:

"2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die durchschnittliche Korngrössenverteilung von mindestens 80 % der Wirkstoffmenge im Bereich von 0.01 mm bis 1.0 mm, vorzugsweise im Bereich von 0.05 mm bis 1.0 mm, liegt."

Die unabhängigen Ansprüche 6 bis 14 betreffen jeweils eine Filmtablette oder ein Granulat hergestellt nach einem der Ansprüche 1 bis 5, wobei in jedem dieser Ansprüche weitere technische Merkmale angegeben sind. Sie haben den folgenden Wortlaut:

"6. Filmtablette oder Granulat hergestellt nach einem der Ansprüche 1-5, dadurch gekennzeichnet, dass

der Filmtablettenkern bzw. Granulatkern den Wirkstoff in einem Anteil von 30 Gew.-% bis 80 Gew.-%, vorzugs­weise in einem Anteil von 40 Gew.-% bis 75 Gew.-%, und vorzugsweise in einem Anteil von 50 Gew.-% bis 70 Gew.-%, bezogen auf das Gesamtgewicht des Tablettenkerns bzw. des Granulatkerns, enthalten.

7. Filmtablette oder Granulat hergestellt nach einem der Ansprüche 1-5, dadurch gekennzeichnet, dass

die Filmtablette eine Verabreichungseinheit bildet und das Granulat als Verabreichungseinheit in einem Sachet oder einer Hartgelatinekapsel abgefüllt ist, und die Menge an Wirkstoff pro Verabreichungseinheit jeweils etwa 50 mg bis 1000 mg, vorzugsweise 100 mg, 200 mg, 300 mg, 400 mg oder 600 mg, beträgt.

8. Filmtablette oder Granulat hergestellt nach einem der Ansprüche 1-5, dadurch gekennzeichnet, dass

der Wassergehalt des Füll- und Bindemittels im Bereich von 0.5 Gew.-% bis 10.0 Gew.- %, vorzugsweise im Bereich von 0.5 Gew.-% bis 5.0 Gew.-%, liegt, berechnet auf das Gesamtgewicht des Füll- und Bindemittels.

9. Filmtablette oder Granulat hergestellt nach einem der Ansprüche 1-5, dadurch gekennzeichnet, dass

das Füll- und Bindemittel ausgewählt ist aus der Gruppe enthaltend Zucker, vorzugsweise Saccharose und/oder Lactose als Monohydrat oder in wasserfreier Form; Zuckeralkohole, vorzugsweise Mannitol, Xylitol und/oder Sorbitol; polymere Glycoside, vorzugsweise Malto-dextrin, mikrokristalline Cellulose und/oder Stärken verschiedenen Ursprungs, vorzugsweise Maisstärke; und/oder anorganische Salze, vorzugsweise Kalziumhydrogen­phosphat als Dihydrat oder in wasserfreier Form, Kalziumsilikate und/oder Natriumcarbonat, vorzugsweise Kalziumsilikat, Cellulose und/oder Stärke.

10. Filmtablette oder Granulat hergestellt nach einem der Ansprüche 1-5, dadurch gekennzeichnet, dass

das Füll- und Bindemittel ausgewählt ist aus der Gruppe enthaltend an sich bekannte modifizierte Stärken; modifizierte Cellulose, vorzugsweise Carboxymethylcellulose, Hydroxyethylcellulose, Hydroxypropylmethylcelulose, Methylcellulose und/oder Propylcellulose, vorzugsweise Propylcellulose (Hypromellose); modifizierte Zucker, modifizierte Zuckeralkohole und modifizierte Lactose; Gelatine; Gummi arabicum; gelatinisierte Stärke; und/oder Povidone, vorzugsweise Hydroxypovidon.

11. Filmtablette oder Granulat hergestellt nach einem der Ansprüche 1-5, dadurch gekennzeichnet, dass

das Füll- und Bindemittel in Konzentrationen von 75 Gew.-% bis 20 Gew.-%, vorzugsweise von 70 Gew.-% bis 20 Gew.-%, vorzugsweise von 60 Gew.-% bis 25 Gew.-%, und vorzugsweise von 50 Gew.-% bis 30 Gew.-%, bezogen auf das Gesamtgewicht des Tablettenkerns bzw. des Granulatkerns in Ergänzung zum anwesenden Wirkstoff anwesend ist, wobei die Summe des Wirkstoffs und des anwesenden Füll- und Bindemittels sich auf 100 Gew.-% ergänzen.

12. Filmtablette oder Granulat hergestellt nach einem der Ansprüche 1-5, dadurch gekennzeichnet, dass

deren Tablettenkerne bzw. Granulatkerne weitere Zusatzstoffe enthalten, vorzugsweise ausgewählt aus der Gruppe enthaltend Sprengmittel, Fliessreguliermittel, Schmiermittel und Formtrennmittel, vorzugsweise eine Kombination von Wirkstoff, Füll- und Bindemittel und Sprengmittel, vorzugsweise eine Kombination von Wirkstoff, Füll- und Bindemittel, Sprengmittel und Fliessreguliermittel.

13. Filmtablette oder Granulat hergestellt nach einem der Ansprüche 1-5, dadurch gekennzeichnet, dass

der Filmüberzug mindestens eine Verbindung enthält, welche ausgewählt ist aus der Gruppe enthaltend filmbildende Substanzen, vorzugsweise Hydroxypropyl-Methylcellulose, Propylcellulose, Methylcellulose, Polyvinylalkohol, Polymethacrylate und Carrageen, wobei gegebenenfalls weitere Hilfsstoffe, wie Weichmacher, Gleitmittel und Farbstoffe, anwesend sind.

14. Filmtablette oder Granulat hergestellt nach einem der Ansprüche 1-5, dadurch gekennzeichnet, dass

die durchschnittliche Korngrössenverteilung von mindestens 80 % des Wirkstoffs im Bereich von 0.05 mm bis 1.0 mm, vorzugsweise im Bereich von 0.1 mm bis 0.8 mm, und insbesondere im Bereich von 0.1 mm bis 0.6 mm, liegt."

Die restlichen Ansprüche 15 bis 18 haben den folgenden Wortlaut:

"15. Tablettenkerne nach einem der Ansprüche 6 bis 14, welche nicht mit einem Filmüberzug versehen sind als Zwischenprodukte für die Herstellung von Filmtabletten gemäss einem der Ansprüche 1-5.

16. Granulatkerne nach Anspruch 15, welche in Sachets oder Hartgelatinekapseln abgefüllt sind.

17. Filmtablette, welche durch Verpressung aus einem Granulat, erhalten gemäss einem der Ansprüche 1-5, hergestellt wurde.

18. Verwendung von Imatinib-Monomethansulfonat in der kristallinen alfa-Form zur Herstellung von Filmtabletten und Granulaten gemäss einem der Ansprüche 1-5, als Tyrosin-Kinase-Hemmer und als Heilmittel zur Behandlung von Leukämie und andern an sich bekannten Indikationen."

V. In der Sache kam die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung zu dem Ergebnis, dass die in Anspruch 1 definierte Merkmalskombination als Kombination ursprünglich bevorzugter Ausführungsformen nicht über die Offenbarung der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinausgehe (Artikel 123(2) EPÜ).

Der von den Einsprechenden erhobene Einwand, der Gegenstand der Ansprüche 15 und 16 sei wegen falscher Rückbezüge so unklar und widersprüchlich, dass ein Fachmann die beanspruchten Tablettenkerne und Granulat­kerne nicht herstellen könne, beziehe sich tatsächlich auf eine formale Unklarheit unter Artikel 84 EPÜ und sei daher nicht im Einspruchsverfahren zu behandeln.

Dem Fachmann seien Füll- und Bindemittel (Anspruch 1) aus der Patentschrift und aus dem allgemeinen Fachwissen zur Tablettenherstellung bekannt; auch sei die Bestimmung der Korngrößenverteilung (Anspruch 2) sowie des Wassergehalts des Füll- und Bindemittels (Anspruch 8) dem Fachmann mit üblichen Methoden möglich. Somit stehe der Einspruchsgrund unter Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegen.

Die Entgegenhaltung D2 offenbare insbesondere die Verarbeitung der beta-Form von Imatinib-Monomethan­sulfonat mittels Feuchtgranulierung. Die Neuheit der Verfahrensansprüche 1 bis 5 gegenüber dem Inhalt der Entgegenhaltung D2 sei gegeben, da D2 das beanspruchte Merkmal "trockengranuliert" nicht offenbare. Der Gegenstand der Erzeugnisansprüche 6 bis 17 und des Verwendungsanspruchs 18 sei ebenfalls neu gegenüber D2, weil sich die Feinstruktur der durch Trockengranulie­rung erhaltenen Produkte von der Feinstruktur der durch Feuchtgranulierung erhaltenen Produkte unterscheide.

Ausgehend von D2 als nächstliegendem Stand der Technik sei die objektive technische Aufgabe in der Auffindung eines alternativen Verfahrens zur Herstellung einer stabilen und lagerfähigen Tablette des Wirkstoffs Imatinib-Monomethansulfonat zu sehen. Diese Aufgabe werde gelöst durch das beanspruchte Verfahren, welches die Trockengranulierung der alpha-Form des Wirkstoffs beinhalte. Die Lösung sei im Hinblick auf den Stand der Technik, insbesondere D1, nicht naheliegend, denn in D1 werde die alpha-Form des Wirkstoffs als hygroskopisch und schlecht fließfähig beschrieben, und es werde von ihrer Verwendung in festen Darreichungsformen abgeraten (D1: Spalte 2, Zeilen 19 bis 26). Es sei daher für den Fachmann nicht zu erwarten gewesen, dass die Trocken­granulierung der alpha-Form zu stabilen, lagerfähigen Tabletten führen würde. Infolgedessen könne die erfinderische Tätigkeit für alle Ansprüche anerkannt werden.

VI. Nachdem die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) zunächst mit ihrer Antwort auf die Beschwerdebegründung einen geänderten Hauptantrag und zusätzlich einen 1. Hilfsantrag vorgelegt hatte, ersetzte sie mit Schreiben vom 30. Juli 2015 den bisherigen Hauptantrag durch den Hauptantrag des Einspruchsverfahrens und reichte erneut eine Kopie des 1. Hilfsantrags ein.

VII. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK erläuterte die Kammer ihre vorläufige Einschätzung.

VIII. Die Einsprechenden 2 bis 4 als weitere Verfahrens-beteiligte gemäß Artikel 107 EPÜ äußerten sich im Beschwerdeverfahren nicht zur Sache. Mit Schreiben vom 11. August 2015 teilten die Einsprechenden 3 und 4 mit, sie würden an der für den 3. September angesetzten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen.

IX. Mit Schreiben vom 27. August 2015 zog die Beschwerde­führerin ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück und teilte mit, sie werde nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen.

X. Die mündliche Verhandlung fand am 3. September 2015 in Abwesenheit der Beschwerdeführerin und der Einsprechenden 2 bis 4 statt.

XI. Die Argumente der Beschwerdeführerin betreffend den Hauptantrag lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ)

In der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung sei die Auswahl der alpha-Form von Imatinib-Monomethan­sulfonat als Wirkstoff in Kombination mit einem Verfahren, in welchem dieser Wirkstoff zusammen mit mindestens einem Zusatzstoff trockengranuliert werde, nicht spezifisch offenbart. Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags gehe daher über den Inhalt der Anmeldung hinaus.

Ausführbarkeit

Abgesehen von den im Streitpatent angegebenen Beispielen habe der Fachmann keinen Anhaltspunkt für die Identifizierung von Substanzen, die wie in Anspruch 1 vorgesehen gleichzeitig als Füll- und Bindemittel fungierten, weshalb der Anspruch nicht in seiner gesamten Breite ausführbar sei.

Weiter sei im Patent kein Verfahren zur Bestimmung des in Anspruch 8 genannten Parameters "Wassergehalt des Füll- und Bindemittels" angegeben. Auch sei nicht erwähnt, ob eventuell vorhandenes Kristallwasser zu berücksichtigen sei. Mit den vorliegenden Angaben sei es daher nicht möglich, ein Füll- und Bindemittel mit dem verlangten Wassergehalt zu identifizieren.

Der in den Ansprüchen 2 und 14 verwendete Begriff einer "durchschnittlichen Korngrößenverteilung" sei im Fachgebiet unbekannt und ergebe keinen Sinn, da eine Verteilung grundsätzlich etwas anderes sei als ein Durchschnittswert. Für den Fall, dass die durchschnitt-liche Korngröße gemeint sei (was aber nicht eindeutig aus dem Wortlaut hervorgehe), sei darauf hinzuweisen, dass unterschiedliche Verfahren zur Bestimmung der Korngröße existierten, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führten, wobei im Streitpatent Angaben zum Bestimmungsverfahren fehlten.

Anspruch 15 betreffend "Tablettenkerne" beziehe sich bezüglich der Definition besagter Tablettenkerne auf die Ansprüche 6 bis 14. Da diese aber nicht auf Tablettenkerne, sondern auf eine Filmtablette oder ein Granulat gerichtet seien, sei nicht nachvollziehbar, was mit dem Verweis auf die Ansprüche 6 bis 14 gemeint sei. Ähnliches gelte für Anspruch 16, wo Granulatkerne in widersprüchlicher Weise durch Rückbezug auf die Tablettenkerne von Anspruch 15 definiert seien.

Neuheit

Der Inhalt der Entgegenhaltung D2 sei neuheitsschädlich u.a. für den Gegenstand der Ansprüche 1 und 6-17 des Hauptantrags. Die durch Rückbezug auf Anspruch 1 eingebrachten Merkmale des Herstellverfahrens könnten den Erzeugnisansprüchen keine Neuheit verleihen.

Erfinderische Tätigkeit

Die technische Aufgabe ausgehend von D2 als nächstliegendem Stand der Technik bestehe in der Bereitstellung eines alternativen Verfahrens zur Herstellung einer Imatinib-Monomethansulfonat-Tablette mit hohem Wirkstoffanteil.

Aus der Entgegenhaltung D1 sei zwar bekannt gewesen, dass die alpha-Form des Wirkstoffs hygroskopisch und schlecht fließfähig sei und sich deshalb im Gegensatz zur beta-Form nicht für die Verarbeitung mittels Direkttablettierung (d.h. die direkte Verpressung der pulverförmigen Ausgangsstoffe ohne vorherige Granulie­rung) eigne.

Dem Fachmann sei jedoch die Granulierung mit Zusatzstoffen als ein gängiges Verfahren bekannt, mit dessen Hilfe das Problem der schlechten Fließfähigkeit einer kristallinen Substanz überwunden werden könne. D1 rate nicht von einer Granulierung ab. Wegen der Hygroskopizität des Wirkstoffs biete es sich außerdem an, statt einer Feuchtgranulierung die Trocken­granulierung zu wählen. Dieses Allgemeinwissen finde sich auch in den Veröffentlichungen D3, D6 und D8 wieder, wo die Trockengranulierung als ein für feuchtigkeitsempfindliche Substanzen geeignetes Granulierverfahren präsentiert werde.

D1 könne somit kein technisches Vorurteil gegen eine Trockengranulierung begründen. Aufgrund der aus D1 erlangten Informationen in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen stelle sich diese dem Fachmann vielmehr als die Methode der Wahl zur Verarbeitung der alpha-Form des Wirkstoffs dar. Die Möglichkeit einer Trockengranulierung sei außerdem bereits in der allgemeinen Lehre von D2 zumindest implizit mit enthalten.

XII. Die Beschwerdegegnerin argumentierte wie folgt:

Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ)

Bei den beiden in Anspruch 1 kombinierten Merkmalen betreffend die alpha-Form von Imatinib-Monomethan-sulfonat und die Trockengranulierung des Wirkstoffs zusammen mit mindestens einem Zusatzstoff handle es sich um in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung ausdrücklich bevorzugte und allgemein offenbarte Ausführungsformen. In allen Ausführungs-beispielen des Streitpatents werde zudem Imatinib-Monomethansulfonat, vorzugsweise in der alpha-Form, eingesetzt.

Ausführbarkeit

Geeignete Füll- und Bindemittel seien im Streitpatent beschrieben und dem Fachmann überdies auch ohne eine spezielle Beschreibung bekannt.

Unterschiedliche bekannte Verfahren zur Bestimmung des Wassergehalts führten nicht zu relevanten Abweichungen im Ergebnis, zumal die in Anspruch 8 angegebenen Bereichsgrenzen von 0,5 bis 10,0 Gew.-% unkritisch für die Erfindung seien.

Der Begriff "durchschnittliche Korngrößenverteilung" sei durchaus gängig; auch seien Messmethoden zur Ermittlung der Korngröße an sich bekannt. Der Wortlaut der Ansprüche 2 und 14 bedeute, dass die Korngrößen­verteilung so sein müsse, dass die Korngröße von mindestens 80% der Wirkstoffmenge in dem angegebenen Bereich liege. Die Bezeichnung "durchschnittliche" Korngröße beziehe sich dabei auf den Umstand, dass die Korngröße an unregelmäßig geformten Partikeln als ein Kennwert oder Durchschnittswert der unterschiedlichen Partikelabmessungen ermittelt werde.

Neuheit

Die vorgelegten Verfahrensansprüche seien neu gegenüber der Entgegenhaltung D2, die keine Trockengranulierung offenbare. Die in den Erzeugnisansprüchen definierten Tabletten und Granulate seien neu aufgrund ihrer von der Trockengranulierung des Wirkstoffs herrührenden Feinstruktur.

Erfinderische Tätigkeit

Die der Erfindung zugrundeliegende technische Aufgabe bestehe in der technisch einfachen trockenen Verarbeitung von alpha-Imatinib-Monomethansulfonat zu lagerstabilen festen Verabreichungsformen mittels Verpressung. Die Lösung dieser Aufgabe bestehe in der Trockengranulierung des Wirkstoffs mit mindestens einem Zusatzstoff vorgängig zur Verpressung der Ausgangs­stoffe.

Die Lehre der Entgegenhaltung D1 begründe ein technisches Vorurteil gegen die Verwendung der kristallinen alpha-Form von Imatinib-Monomethansulfonat zur Trockenverpressung zu Tabletten. Die Veröffent­lichung D3 beschreibe zudem die Trockenverdichtung als ein wenig wünschenswertes Granulierverfahren.

Es sei überraschend, dass die Trockengranulierung der alpha-Form zusammen mit einem Zusatzstoff eine frei fließende, nicht hygroskopische und lagerstabile Zubereitung ergebe, die eine einfache weitere Verarbeitung durch Trockenverpressung zu Tabletten ermögliche, ohne die Bioverfügbarkeit des Wirkstoffs zu beeinträchtigen.

Feuchtigkeitsempfindliche Substanzen (wie in D3, D6 und D8 genannt) seien nicht dasselbe wie hygroskopische Substanzen. Aus D2 gehe im übrigen hervor, dass die alpha-Form von Imatinib-Monomethansulfonat problemlos feucht verarbeitet werden könne. Durch die Tatsache, dass die Substanz hygroskopisch sei, werde der Fachmann daher nicht zu einer Trockengranulierung veranlasst.

XIII. Die Beschwerdeführerin beantragte schriftlich die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Europäischen Patents im vollen Umfang.

XIV. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, d.h. die Aufrechterhaltung des Patents in der von der Einspruchsabteilung als gewährbar angesehenen Fassung. Hilfsweise beantragte sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des mit Schriftsatz vom 30. Juli 2015 eingereichten 1. Hilfsantrags.

Entscheidungsgründe

1. Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ)

1.1 Der Einwand der Beschwerdeführerin betrifft die in Anspruch 1 des Hauptantrags definierte Kombination der alpha-Form von Imatinib-Monomethansulfonat mit einem Verfahren, in welchem dieser Wirkstoff zusammen mit mindestens einem Zusatzstoff trockengranuliert wird. Diese Merkmale seien in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung nicht zusammen offenbart.

1.2 Wie aus der ursprünglich eingereichten Fassung der Abmeldung hervorgeht, handelt es sich bei den besagten Merkmalen um jeweils bevorzugte, allgemein offenbarte Ausführungsformen.

Insbesondere wird durchgängig die kristalline alpha-Form von Imatinib-Monomethansulfonat als der bevorzugteste Wirkstoff dargestellt (vgl. Anspruch 7; Seite 2, Zeilen 30 bis 32; Seite 3, Zeilen 13 bis 21; Seite 4, Zeile 33 bis Seite 5, Zeile 14; Beispiele 2, 3, 5 bis 7).

Im Hinblick auf das Verfahren wird angegeben, dass der Wirkstoff allein oder zusammen mit Zusatzstoffen trockengranuliert werden könne, bevorzugt zusammen mit mindestens einem Zusatzstoff (vgl. Anspruch 4; Seite 4, Zeile 33 bis Seite 5, Zeile 14; Seite 12, Zeilen 14 bis 18; Beispiele 2, 3, 5 bis 7).

Eine solche Kombination des eindeutig bevorzugten Wirkstoffs mit einer weiteren allgemein offenbarten bevorzugten Ausführungsform bringt keinen zusätzlichen Offenbarungsgehalt ein. Bei Berücksichtigung der oben angegebenen Passagen der Anmeldung kommt die Kammer daher zu dem Ergebnis, dass kein Verstoß gegen Artikel 123(2) EPÜ vorliegt.

2. Ausführbarkeit (Artikel 100 b) EPÜ)

2.1 Füll- und Bindemittel (Ansprüche 1 bis 18)

2.1.1 Der in Anspruch 1 des Hauptantrags verwendete Ausdruck "Füll- und Bindemittel" soll laut Absatz [0022] des Streitpatents besagen, dass eine so bezeichnete Verbindung gleichzeitig die Funktion eines Füllmittels und eines Bindemittels erfüllt.

2.1.2 Laut Beschwerdeführerin hat der Fachmann abgesehen von den im Streitpatent angegebenen Beispielen keinen Anhaltspunkt, der es ihm erlaubte, solche Substanzen zu identifizieren, weshalb der Anspruch nicht in der gesamten Breite ausführbar sei.

2.1.3 Die Kammer kann den Einwand der Beschwerdeführerin nicht nachvollziehen, da übliche Bindemittel verwendet werden sollen und jeder Zusatzstoff immer auch Füllmittel ist. Übliche Bindemittel sind dem Fachmann im Rahmen seines Fachwissens wohlbekannt, wobei im Zweifelsfall durch Routineexperimente überprüft werden kann, ob ein Zusatzstoff in einer speziellen Rezeptur als Bindemittel fungiert. Daher bestehen im Hinblick auf den Begriff "Füll- und Bindemittel" nach Auffassung der Kammer keine Zweifel bezüglich der Ausführbarkeit.

2.2 Wassergehalt des Füll- und Bindemittels (Anspruch 8)

2.2.1 Die Beschwerdeführerin hat weiter geltend gemacht, dass im Streitpatent kein Verfahren zur Bestimmung des in Anspruch 8 des Hauptantrags genannten Parameters "Wassergehalt des Füll- und Bindemittels" angegeben sei und dass nicht erwähnt sei, ob gegebenenfalls vorhandenes Kristallwasser mit einzubeziehen sei. Daher sei der Fachmann nicht in der Lage, ein Füll- und Bindemittel mit dem verlangten Wassergehalt zu identifizieren.

2.2.2 Da es keinen Grund zu der Annahme gibt, dass Wasser­gehalte zwischen 0,5 und 10,0 Gew.-% (d.h. in einem für Zusatzstoffe üblichen Bereich) nicht zugänglich wären, ist die Kammer der Auffassung, dass der Anspruch ausführbar ist und dass der Einwand eigentlich einen Mangel an Klarheit betrifft. Der Wassergehalt der Hilfsstoffe kann mit üblichen Verfahren bestimmt werden, auch wenn unterschiedliche Bestimmungsverfahren dabei nicht in jedem Fall zu identischen Ergebnissen führen mögen. Ob aber ein im Grenzbereich von 0,5% oder 10,0% liegender Wassergehalt im Einzelfall unter die spezielle Ausführungsform von Anspruch 8 fällt oder nicht, ist eine Frage der Klarheit.

2.2.3 Da der Parameter "Wassergehalt" in gleicher Form bereits in Anspruch 8 des erteilten Patents enthalten war, ist ein gegebenenfalls mit ihm verbundener Mangel an Klarheit nicht durch die mit dem vorliegenden Hauptantrag vorgenommenen Änderungen bedingt, und ein diesbezüglicher Einwand ist somit nicht im Einspruchs­beschwerdeverfahren zu prüfen, da fehlende Klarheit kein unter Artikel 100 EPÜ genannter Einspruchsgrund ist (siehe hierzu auch die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G3/14 vom 24. März 2015).

2.3 Durchschnittliche Korngrößenverteilung (Ansprüche 2,14)

2.3.1 In den Ansprüchen 2 und 14 des Hauptantrags wird spezifiziert, dass

- "die durchschnittliche Korngrößenverteilung von mindestens 80% der Wirkstoffmenge im Bereich von 0.01 mm bis 1.0 mm (...) liegt" (Anspruch 2) bzw. dass

- "die durchschnittliche Korngrößenverteilung von mindestens 80% des Wirkstoffs im Bereich von 0.05 mm bis 1.0 mm (...) liegt" (Anspruch 14).

2.3.2 Die Beschwerdeführerin wendet hierzu im Hinblick auf die Ausführbarkeit ein, erstens sei der Begriff einer "durchschnittlichen Korngrößenverteilung" im Fachgebiet unbekannt und ergebe keinen Sinn, zweitens gebe es unterschiedliche Bestimmungsverfahren für die Korngröße, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führten, wobei im Streitpatent die nötigen Angaben zum Bestimmungsverfahren fehlten.

2.3.3 Tatsächlich scheint der Begriff einer "durchschnitt-lichen" Verteilung in sich widersprüchlich zu sein. Betrachtet man aber die weiteren in den Ansprüchen 2 und 14 enthaltenen Angaben, so erscheint die Auslegung, dass mindestens 80% der Wirkstoffpartikel eine Korn-größe in dem jeweils angegebenen Bereich aufweisen sollen, als die einzig plausible Möglichkeit. Der Leser würde daher im Kontext die von der Patentinhaberin beabsichtigte Bedeutung der in den Ansprüchen angegebenen Bedingung trotz der nicht völlig eindeutigen Bezeichnung des Parameters verstehen.

Es gibt auch keinen konkreten Anlass zu der Annahme, dass im vorliegenden Fall eine Korngrößenverteilung, bei der mindestens 80% der Wirkstoffpartikel eine Korngröße im Bereich 0.01 oder 0.05 mm bis 1.0 mm haben, nicht herstellbar wäre.

Die von der Beschwerdeführerin ebenfalls angesprochene Problematik, dass kein Bestimmungsverfahren für die Korngröße im Streitpatent angegeben ist, betrifft wiederum einen Mangel an Klarheit und nicht mangelnde Ausführbarkeit, da davon auszugehen ist, dass mit den verschiedenen bekannten und üblichen Verfahren durchaus Korngrößen und Korngrößenverteilungen bestimmt werden können, wenn auch eventuell mit unterschiedlichen Ergebnissen.

Die Ansprüche 2 und 14 waren mit jeweils demselben Wortlaut bereits im erteilten Patent enthalten. Daher ist ein gegebenenfalls bestehender Mangel an Klarheit dieser Ansprüche nicht durch die mit dem vorliegenden Hauptantrag vorgenommenen Änderungen bedingt, und der entsprechende Einwand ist im Einspruchsbeschwerde-verfahren nicht zu prüfen (vgl. Punkt 2.2.32.2.3 oben).

2.4 Rückbezüge (Ansprüche 15 und 16)

2.4.1 Die Beschwerdeführerin wendet weiterhin unter Artikel 100 b) EPÜ ein, Anspruch 15 des Hauptantrags betreffend "Tablettenkerne" dürfe sich bezüglich der Definition der Tablettenkerne nicht auf die Ansprüche 6 bis 14 betreffend eine "Filmtablette" oder ein "Granulat" beziehen. Analog ermögliche es auch der in Anspruch 16 enthaltene Bezug auf Anspruch 15 betreffend "Tabletten­kerne" dem Leser nicht, die Merkmale der in Anspruch 16 definierten "Granulatkerne" zu ermitteln.

2.4.2 Auch wenn die Ansprüche 6 bis 14 nicht auf Tabletten-kerne, sondern auf Filmtabletten als Endprodukt gerichtet sind, sind in diesen Ansprüchen allerdings tatsächlich, u.a. durch die Bezugnahme auf Anspruch 1, Merkmale der Tablettenkerne definiert, die ja ein Zwischenprodukt des Herstellverfahrens sind und sich von der Filmtablette nur durch das Fehlen eines Filmüberzugs unterscheiden. Die zum Verständnis von Anspruch 15 benötigten Merkmale der Tablettenkerne gemäß Anspruch 6 bis 14 sind daher für den Leser leicht festzustellen. Der Einwand der Beschwerdeführerin, Tablettenkerne seien nicht der eigentliche Gegenstand der Ansprüche 6 bis 14, betrifft einen rein formalen Aspekt, der allenfalls unter dem Thema Klarheit (Artikel 84 EPÜ) zu behandeln wäre.

Da derselbe Rückbezug auf die Ansprüche 6 bis 14 bereits in Anspruch 15 des erteilten Patents enthalten war, der auch im übrigen Wortlaut mit Anspruch 15 des Hauptantrags identisch ist, ist ein gegebenenfalls bestehender Mangel an Klarheit dieses Anspruchs nicht durch die mit dem vorliegenden Hauptantrag vorgenom­menen Änderungen bedingt, und der entsprechende Einwand ist im Einspruchsbeschwerdeverfahren nicht zu prüfen (vgl. Punkt 2.2.32.2.3 und 2.3.32.3.3 oben).

2.4.3 Auch die in Anspruch 16 des Hauptantrags enthaltene Bezugnahme "Granulatkerne nach Anspruch 15" bewirkt allenfalls einen Mangel an Klarheit, da aufgrund des Rückbezugs in Anspruch 15 eine Bezugnahme auf Granulatkerne gemäß den Ansprüchen 6 bis 14 anzunehmen wäre; möglicherweise auch eine Beschränkung auf solche Granulatkerne, die auch Tablettenkerne gemäß Anspruch 15 darstellen könnten. Somit könnten Zweifel über den genauen Anspruchsumfang bestehen. Der mögliche Mangel an Klarheit kann auch in diesem Fall nicht im Einspruchsbeschwerdeverfahren behandelt werden, da Anspruch 16 bereits identisch in der erteilten Fassung des Streitpatents enthalten war.

2.5 Aus diesen Gründen kommt die Kammer zu dem Ergebnis, das der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in Form des vorliegenden Hauptantrags nicht entgegensteht.

3. Neuheit (Artikel 100 a), 52(1), 54 EPÜ)

3.1 Die Entgegenhaltung D2 wurde von der Beschwerdeführerin als neuheitsschädlich angeführt. Sie betrifft Tabletten enthaltend Imatinib oder dessen pharmazeutisch akzeptable Salze. Fakultativ können die Tabletten mit einem Film überzogen sein. Gemäß D2 (Seite 2, Zeilen 15 bis 17) kann der bevorzugte Wirkstoff Imatinib-Mono­methansulfonat in der beta-Form oder in der alpha-Form eingesetzt werden, wobei die beta-Form bevorzugt ist.

3.2 Die Entgegenhaltung D2 enthält allerdings keine spezifische Offenbarung eines Verfahrens, in welchem die alpha-Form durch Trockengranulierung verarbeitet wird. Insbesondere wird die Granulierung in D2 nur als generischer Begriff und in Form der Feuchtgranulierung offenbart, aber nicht als Trockengranulierung; somit wird die Trockengranulierung auch nicht mit der alpha-Form kombiniert. Der Gegenstand der vorliegenden Verfahrensansprüche des Hauptantrags ist daher neu gegenüber D2.

3.3 Bei den Erzeugnisansprüchen des Hauptantrags handelt es sich um "Product-by-process"-Ansprüche, in denen das beanspruchte Erzeugnis durch Merkmale seiner Herstellung definiert werden soll.

3.3.1 Die Beschwerdeführerin hat geltend gemacht, dass verschiedene Merkmale der beanspruchten Tabletten in diversen Passagen von D2 offenbart seien, sie hat aber keine konkrete, in D2 spezifisch offenbarte Merkmals­kombination angegeben, die für die Beurteilung der Neuheit heranzuziehen wäre.

3.3.2 Nach Einschätzung der Kammer kommen dafür am ehesten die Ausführungsbeispiele oder Anspruch 12 bzw. 13 von D2 in Frage.

a)

Anspruch 12 von D2 betrifft ein Verfahren, in welchem der Wirkstoff (I) mit Zusatzstoffen feuchtgranuliert und so in Schritt (ii) ein entsprechendes Granulat erhalten wird. Als Wirkstoff kann dabei laut Seite 2, Zeilen 15 bis 17 die alpha-Form von Imatinib-Monomethansulfonat ausgewählt werden. Das Granulat wird mit weiteren Zusatzstoffen zu Tabletten mit 30 bis 80 Gew.-% Aktivsubstanz (= Imatinib Base, vgl. D2: Seite 1, letzter Absatz) verpresst (vgl. D2: Anspruch 1), die fakultativ befilmt werden können (abhängiger Anspruch 13). In der Kombination von Anspruch 12 oder 13 mit Auswahl des speziellen Wirkstoffs aus Seite 2 findet sich keine eindeutige Offenbarung eines Füll- und Bindemittels oder eines Gehalts von 25 bis 80 Gew.-% Imatinib-Monomethan­sulfonat in der unbefilmten Tablette.

Somit ist die aus den Ansprüchen ableitbare Merkmalskombination nicht neuheitsschädlich für die Erzeugnisansprüche des vorliegenden Hauptanspruchs.

b)

In den Ausführungsbeispielen von D2 (Seiten 11 und 12) wurde Imatinib-Monomethansulfonat eingesetzt, aber es ist nicht angegeben, ob die kristalline alpha-Form verwendet wurde. Daher ist die Offenbarung der Beispiele in dieser Hinsicht nicht eindeutig.

In den Ausführungsbeispielen wurde außerdem eine Feuchtgranulierung anstelle einer Trockengranulierung durchgeführt, wie sie auch in Anspruch 12 von D2 vorgesehen ist.

Im Zusammenhang mit der Frage, ob sich ein durch Trockengranulierung hergestelltes Granulat von einem durch Feuchtgranulierung hergestellten unterscheidet, wurden von keiner der Parteien Daten zur Struktur der Granulate vorgelegt. Basierend auf dem allgemeinen Fachwissen ist allerdings grundsätzlich davon auszugehen, dass strukturelle Unterschiede vorliegen müssen, da die Bindung zwischen den zu granulierenden Pulverpartikeln auf unterschiedliche Weise erreicht wird (einerseits bei der Trockengranulierung durch mechanischen Druck, andererseits bei der Feucht­granulierung durch Anlösen und Bildung von Kristallbrücken oder durch Bildung von Brücken aus polymerem Bindemittel). Die somit von vornherein bestehenden begründeten Zweifel an der strukturellen Gleichheit der Granulate wurden jedenfalls nicht seitens der Beschwerdeführerin durch Beweise oder Argumente entkräftet.

Da im Kontext der Ausführungsbeispiele von D2 weder eine Kristallform genannt wird noch Details zum Granuliervorgang angegeben sind (z.B. Granulier­flüssigkeit, Mengenverhältnisse, Temperatur), gibt es im Rahmen der Ausführungsbeispiele von D2 eine gewisse Variationsbreite. Aus den vorliegenden Informationen lässt sich nicht ableiten, dass bei entsprechender Variation der Parameter zwangläufig immer dieselbe Granulatstruktur erhalten würde, geschweige denn, dass diese mit der Struktur der anspruchsgemäßen Granulat­körner identisch wäre.

Die Kammer ist aus diesen Gründen der Auffassung, dass sich die unter Verwendung von Trockengranulaten der kristallinen alpha-Form herstellbaren Tablettenkerne und Filmtabletten des Streitpatents strukturell von den in der Entgegenhaltung D2 offenbarten, unter Verwendung von Feuchtgranulaten produzierten Tablettenkernen und Filmtabletten unterscheiden.

Daher nimmt die Offenbarung der Entgegenhaltung D2 den Gegenstand der vorliegenden Ansprüche 6 bis 15 des Hauptantrags nicht neuheitsschädlich vorweg.

3.3.3 D2 offenbart keine in Sachets oder Hartgelatinekapseln abgefüllten Granulatkerne und auch kein Granulat, das durch Trockengranulierung von alpha-Imatinib-Mono­methansulfonat mit mindestens einem Zusatzstoff und anschließende Weiterverpressung dieses Vorgranulats erhältlich ist, oder eine Filmtablette, die aus einem solchen Granulat durch Verpressung erhältlich ist. Damit ist der Gegenstand der Ansprüche 16 und 17 des Hauptantrags ebenfalls neu gegenüber D2.

3.3.4 Die Neuheit von Anspruch 18 wurde nicht bestritten; im übrigen gilt das gleiche wie für Anspruch 1.

3.4 Aus diesen Gründen kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass die Neuheit der Ansprüche des Hauptantrags gegenüber der Entgegenhaltung D2 anzuerkennen ist.

4. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a), 52(1), 56 EPÜ)

Streitpatent

4.1 Das Streitpatent hat es sich zum Ziel gesetzt, eine stabile feste Darreichungsform für die orale Verab­reichung einer Pyridylpyrimidinverbindung, insbesondere Imatinib-Monomethansulfonat, zur Verfügung zu stellen.

4.2 Laut Anspruch 1 des vorliegenden Hauptantrags soll dies durch ein Herstellverfahren für Filmtabletten oder Granulate erreicht werden, bei dem die kristalline alpha-Form von Imatinib-Monomethansulfonat zunächst mit mindestens einem Zusatzstoff trockengranuliert und dann durch Verpressen weiterverarbeitet wird. Die Tabletten­kerne und Granulatkerne enthalten 25 bis 80 Gew.-% Wirkstoff.

Nächstliegender Stand der Technik

4.3 Die Entgegenhaltung D2, die die Herstellung von Tabletten enthaltend Imatinib oder dessen Salze betrifft, kann als nächstliegender Stand der Technik angesehen werden.

4.4 In den Ausführungsbeispielen von D2 werden durch Feuchtgranulierung Granulate aus Imatinib-Monomethan­sulfonat, mikrokristalliner Cellulose und Hydroxy­propylmethylcellulose hergestellt, die anschließend mit weiterem Zusatzstoffen zu Tabletten verpresst und dann mit einem Film überzogen werden. Der Wirkstoffgehalt liegt im gleichen Bereich wie im Streitpatent. Dagegen befasst sich D2 nicht mit der Herstellung von Granulaten als eigenständiger Dosierungsform.

Technische Aufgabe und Lösung

4.5 In den in D2 beschriebenen Beispielen ist nicht angegeben, ob die alpha- oder die beta-Form des Wirkstoffs verwendet wurde.

In D2 ist allerdings ausdrücklich auch die Verwendung der (wenngleich weniger bevorzugten) alpha-Form vorgesehen (Seite 2, Zeilen 15 bis 17).

Dagegen ist zwar allgemein von "Granulierung, bevorzugt Feuchtgranulierung" die Rede (Seite 4: letzter Absatz), die Trockengranulierung wird jedoch nicht explizit angesprochen. Ansonsten wird ausschließlich die Feuchtgranulierung als konkretes Verfahren genannt und durch Beispiele beschrieben.

4.6 Der wesentliche Unterschied zwischen dem Gegenstand der Verfahrensansprüche des Hauptantrags und der Offen­barung von D2 besteht demzufolge in der Verwendung eines Trockengranulierverfahrens für die Granulierung von alpha-Imatinib-Monomethansulfonat bei der Produktion von Granulaten oder Tabletten.

4.7 Sowohl in D2 als auch im Streitpatent wird angegeben, die jeweils hergestellten Tabletten seien stabil und lagerfähig (D2: Seite 4, letzter Absatz und Seite 9, letzte zwei Zeilen bis Seite 10, Zeile 2; bzw. Streitpatent: Absatz [0001], [0006], [0012]).

Nach den Angaben im Streitpatent (vgl. Absatz [0006] und [0012]) lassen sich mit dem beanspruchten Verfahren Filmtabletten sowie Granulate mit einem Wirkstoffgehalt von 25 Gew.-% bis 80 Gew.-% herstellen, welche sowohl eine genügende Härte, eine genügende Abriebfestigkeit und eine genügende Bioverfügbarkeit des Wirkstoffs, als auch eine genügende Lagerstabilität, insbesondere eine genügende Stabilität gegen Feuchtigkeit, aufweisen. Dies gelte insbesondere auch bei Verwendung von Imatinib-Mesylat in der alpha-Kristallform.

Dass diese technische Wirkung tatsächlich erhalten wird, wurde seitens der Beschwerdeführerin nicht bestritten.

4.8 Somit kann eine den Verfahrensansprüchen der vorliegenden Anträge zugrundeliegende technische Aufgabe in der Bereitstellung eines alternativen Herstellverfahrens für lagerfähige Filmtabletten mit Imatinib-Monomethansulfonat gesehen werden.

4.9 Diese Aufgabe wurde gelöst mit Hilfe des in Anspruch 1 definierten Herstellverfahrens, bei welchem die kristalline alpha-Form von Imatinib-Monomethansulfonat mit mindestens einem Zusatzstoff trockengranuliert und dann durch Verpressung aller Ausgangsstoffe zu Filmtabletten oder Granulaten weiterverarbeitet wird.

Naheliegen der Lösung

4.10 Aus der Entgegenhaltung D1 war bekannt (Spalte 2: Zeilen 19 bis 41; Spalte 5: Zeile 32 bis Spalte 6, Zeile 19) dass die kristalline alpha-Form des Wirkstoffs hygroskopisch und schlecht fließfähig sowie bei Raumtemperatur metastabil ist. Die kristalline beta-Form weist aufgrund anders geformter Kristalle eine bessere Fließfähigkeit auf, ist thermodynamisch stabil und weniger hygroskopisch als die alpha-Form (D1: Spalte 5: Zeile 32 bis Spalte 6, Zeile 19). Deshalb ist gemäß der technischen Lehre von D1 für die Verwendung in festen Dosierungsformen und insbesondere für die Tablettenherstellung durch Direkttablettierung die beta-Form vorzuziehen.

4.11 Zwar ist die Granulierung mit Zusatzstoffen als ein gängiges Verfahren bekannt, mit dessen Hilfe das Problem der schlechten Fließfähigkeit einer kristallinen Substanz überwunden werden kann. Allerdings war aus D1 ebenfalls bekannt, dass die alpha-Form von Imatinib-Monomethansulfonat hygroskopisch ist. Daher hätte der Fachmann nicht unbedingt erwarten können, bei trockener Verarbeitung der alpha-Form des Wirkstoffs eine gegen Feuchtigkeit ausreichend stabile feste Dosierungsform zu erhalten.

4.12 Die Entgegenhaltung D1 rät von der Verwendung der alpha-Form überhaupt ab. Die Entgegenhaltung D2 empfiehlt eine Feuchtgranulierung des Wirkstoffs, bevorzugt aber ebenfalls die beta-Form. Somit legt der Stand der Technik dem Leser nicht die Trocken­granulierung der alpha-Form nahe. Vielmehr würde der Fachmann, der vor der Aufgabe steht, eine Alternative zu dem Herstellungsverfahren aus D2 zu suchen, durch die Offenbarung von D1 davon abgehalten, diese Alternative gerade in der Verarbeitung der als hygroskopisch bekannten alpha-Form des Wirkstoffs zu suchen.

4.13 Die Beschwerdeführerin hat geltend gemacht, der Fachmann hätte ausgehend von D2 durchaus die alpha-Form in Betracht gezogen und hätte routinemäßig eine Granulierung durchgeführt, um die Fließfähigkeit der alpha-Form des Wirkstoffs zu verbessern. Wegen der bekannten Hygroskopizität der alpha-Form biete es sich dabei an, statt einer Feuchtgranulierung die Trocken­granulierung zu wählen. Diese werde im Stand der Technik D3 (Seite 173), D6 (Seite 317, Spalte 2, Zeile 24 bis Seite 318, Spalte 1, Zeile 30) und D8 (Seite 1586, Spalte 2, letzter Absatz) ausdrücklich gerade für feuchtigkeitsempfindliche Substanzen empfohlen.

4.14 In diesem Punkt ist allerdings darauf hinzuweisen, dass mit der Bezeichnung "feuchtigkeitsempfindliche Substanzen" nicht auf hygroskopische Substanzen abgezielt wird, da bei diesen Substanzen zwei unterschiedliche Probleme auftreten.

Feuchtigkeitsempfindliche Substanzen könnten unerwünschterweise mit der Feuchtigkeit reagieren, falls Wasser als Granulierflüssigkeit gewählt würde, weshalb es sinnvoll ist, den Kontakt solcher Substanzen mit Wasser bei der Verarbeitung zu vermeiden, um Abbaureaktionen zu verhindern. Soll trotzdem granuliert werden, kommen zu diesen Zweck bekanntermaßen eine Trockengranulierung oder alternativ eine Feucht­granulierung mit einer anderen Granulierflüssigkeit als Wasser in Frage.

Hygroskopische Substanzen ziehen dagegen Feuchtigkeit aus der sie umgebenden Luft an und können infolgedessen zerfließen oder verklumpen, werden aber im Gegensatz zu den feuchtigkeitsempfindlichen Substanzen nicht durch Wasser zersetzt. Trotzdem kann sich diese Eigenschaft ungünstig auf die physikalische und ggf. auch auf die chemische Stabilität einer festen Dosierungsform auswirken. Wird eine hygroskopische Substanz ohne Zusatz von Wasser verarbeitet, so wäre normalerweise zu erwarten, dass die Substanz im Endprodukt nach wie vor hygroskopisch ist, dass also das unerwünschte Verhalten nicht durch das gewählte Verarbeitungsverfahren vermieden wird.

Jedenfalls lässt sich aus den zitierten Passagen in D3, D6 und D8, die sich auf feuchtigkeitsempfindliche und nicht auf hygroskopische Substanzen beziehen, nicht zwingend schlussfolgern, dass eine hygroskopische Substanz nach Trockengranulierung stabil in einer festen Dosierungsform vorliegen würde. Daher ändert das Argument der Beschwerdeführerin nichts an der oben erläuterten Einschätzung (Punkt 4.124.12 ).

4.15 Somit stimmt die Kammer der Beschwerdegegnerin darin zu, dass die Lehre der Entgegenhaltung D1 ein technisches Vorurteil gegen die Verwendung der kristallinen alpha-Form von Imatinib-Monomethansulfonat in festen Dosierungsformen begründet und dass die Lagerstabilität der nach Trockengranulierung dieses Wirkstoffs erhaltenen Tabletten angesichts des Standes der Technik überraschend ist.

Weitere technische Aufgabe; Naheliegen der Lösung

4.16 Da in Anspruch 1 erstens die Herstellung von Film­tabletten und zweitens die Herstellung von Granulat definiert wird, kann ausgehend von D2 eine zweite technische Aufgabe in der Bereitstellung eines Verfahrens zur Herstellung einer weiteren festen Darreichungsform von Imatinib-Monomethansulfonat gesehen werden.

4.17 Diese Aufgabe wurde durch die Herstellung von Granulat wie in Anspruch 1 definiert gelöst.

4.18 Laut Absatz [0012] Streitpatent ist auch das Granulat gegen Feuchtigkeit stabil, und diese technische Wirkung ist aus den gleichen Gründen überraschend wie im Falle der Tabletten. Zudem weisen weder D1 noch D2 auf die Herstellung von Granulaten als Dosierungsform hin.

4.19 Aus den in Punkt 4.14.1 bis 4.184.18 erörterten Gründen kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass dem Gegenstand von Anspruch 1 und auch von Anspruch 18 des Hauptantrags eine erfinderische Tätigkeit zugrundeliegt.

4.20 Aufgrund des durch die Herstellung durch Trockengranulierung der alpha-Form bedingten strukturellen Unterschieds der Tablettenkerne und Granulate im Vergleich mit der in D2 beschriebenen Dosierungsform kann die erfinderische Tätigkeit auch für die vorliegenden Erzeugnisansprüche 6 bis 17 anerkannt werden, da die Erzeugnisse unerwartet lagerstabil sind.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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