T 2429/11 () of 13.2.2015

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2015:T242911.20150213
Datum der Entscheidung: 13 Februar 2015
Aktenzeichen: T 2429/11
Anmeldenummer: 05019423.2
IPC-Klasse: F16J 15/16
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Dichtungsanordnung
Name des Anmelders: Carl Freudenberg KG
Name des Einsprechenden: Trelleborg Sealing Solutions Germany GmbH
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 84
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag (nein)
Zulässigkeit - Hilfsantrag II (ja), Hilfsantrag III (nein)
Änderungen - unklar (Hilfsanträge I und II)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die beschwerdeführende Patentinhaberin hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 1 762 757 widerrufen worden ist, Beschwerde eingelegt.

II. Der Einspruch der Beschwerdegegnerin (Einsprechende) stützte sich auf die in Artikel 100(a) EPÜ 1973 genannten Einspruchsgründe (fehlende Neuheit, Artikel 54 EPÜ 1973 und mangelnde erfinderisch Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ 1973).

Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass die in Artikel 100(a) EPÜ 1973 (fehlende Neuheit, Artikel 54 EPÜ 1973) genannten Einspruchsgründe der Aufrecht­erhal­tung des Patents in unveränderter Form entgegen­stehen, dass die im Hilfsantrag 1 vorgenommenen Änderungen gegen Artikel 83 und 84 EPÜ 1973 und dass die im Hilfs­antrag 2 vorgenommenen Änderungen gegen Artikel 123(2) EPÜ verstoßen.

III. Am 13. Februar 2015 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

IV. Anträge der Parteien:

- Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) bean­trag­te die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und das Patent wie erteilt aufrechtzuerhalten (Hauptantrag), oder hilfsweise, auf der Basis des Hilfsantrages I eingereicht mit Schreiben vom 24. Februar 2012, oder weiter hilfsweise, auf der Basis des Hilfsantrages II eingereicht mit Schrei­ben vom 30. Dezember 2014, oder des Hilfsan­trages III eingereicht während der mündlichen Verhandlung.

- Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) bean­trag­te die Zurückweisung der Beschwerde.

V. Es wird auf folgendes Fachbuch Bezug genommen:

D6: "Fluid sealing technology principles and applications", Heinz K. Müller, Bernard S. Nau, ISBN 0-8247-9969-0, Marcel Dekker Inc., 1998.

VI. Der unabhängige Anspruch 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung gemäß Hauptantrag lautet wie folgt (die hinzugefügte Merkmalsgliederung in Merkmale a bis h entspricht der, die in der angefochtenen Entscheidung Verwendung fand):

a "1. Dichtungsanordnung, umfassend zumindest einen axial in Richtung eines abzudichtenden Raums (1) angeordneten Primärdichtring (2) und

b zumindest einen Sekundärdichtring (3),

c der dem Primärdichtring (2) auf der dem abzudichtenden Raum (1) axial abgewandten Seite mit axialem Abstand benachbart zugeordnet ist,

d wobei der Sekundärdichtring (3) dem Primärdichtring (2) in einer funktionstechnischen Reihenschaltung nachgeschaltet ist,

e wobei der Primär (2) und der Sekundärdichtring (3) an eine abzudichtende Fläche (4) eines abzudichtenden Maschinenelements (5) jeweils dichtend anlegbar sind,

f wobei der Primär (2) und der Sekundärdichtring (3) die stirnseitige Begrenzung (6, 7) eines Ringraums (8) bilden, dadurch gekennzeichnet, dass

g innerhalb des Ringraums (8) ein - bezogen auf den Primär- (2) und den Sekundärdichtring (3) - separat erzeugter erster Druckpuffer (11) angeordnet ist

und/oder

h der Sekundärdichtring (3) als zweiter Druckpuffer (12) ausgebildet ist".

VII. Hilfsantrag I ist identisch mit dem Hilfsantrag 1, der in der angefochtene Entscheidung abgehandelt wird.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I unterscheidet sich vom Anspruch 1 gemäß Hauptantrag dadurch, dass folgende Merkmale angefügt sind:

i und dass der erste Druckpuffer (11)

und/oder

j der zweite Druckpuffer (12)

k derart ausgebildet sind, dass sie sich zum Schutz der gesamten Dichtungsanordnung zeitlich vor dem Sekundärdichtring (3) elastisch verformen/verdichten.

VIII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II unterscheidet sich vom Anspruch 1 gemäß Hauptantrag dadurch, dass im Merkmal h das Wort "derart" hinzugefügt ist und zusätzliche Merkmale i' bis k' wie folgt angefügt sind:

h' der Sekundärdichtring (3) als zweiter Druckpuffer (12) derart ausgebildet ist, |

i' dass der Sekundärdichtring (3), der den zweiten Druckpuffer (12) bildet, eine den Primärdichtring axial abgewandte erste Stirnseite (19) aufweist, die als in axialer Richtung elastisch nachgiebiger Verformungsbereich (20) ausgebildet ist, |

j' der eine größere axiale Nachgiebigkeit aufweist, als der übrige Sekundärdichtring (3). |

k' wobei die Ausgestaltung derart ist, dass der erste (11) und/oder der zweite Druckpuffer (12) unerwünscht hohe Drücke innerhalb des Ringraums (8) aufnehmen, und dass die unerwünscht hohen Drücke oder Druckspitzen durch zumindest einen der Druckpuffer (11; 12) nur verzögert und abgeschwächt auf das Dichtsystem wirken.|

IX. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag III unterscheidet sich vom Anspruch 1 gemäß Hauptantrag dadurch, dass folgendes Merkmal angefügt ist:

i" und dass der erste Druckpuffer (11) als gasgefüllter Schlauch (14) ausgebildet ist, der durch eine zumindest teilweise elastisch nachgiebige, gegen das abzudichtende Medium beständige Wandung (16) begrenzt ist.

X. Die Beschwerdeführerin hat im schriftlichen Verfahren

und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Hauptantrag

Das Fachbuch D6 erwähne nicht die Problematik der nachteiligen Auswirkungen hoher Drücke im Ringspalt auf den Sekundärdichtring. Die in Figur 46 des Fachbuchs D6 gezeigte Dichtung "outer rod seal" stelle nur eine Art minimaler Puffer dar, der nur eine geringe Wirkung aufweisen könne. Es bedürfe einer retrospektiven Betrachtung, um in die Figur 46 eine Ähnlichkeit hineinzukonstruieren. Somit offenbare das Fachbuch D6 keinen separat erzeugten Druckpuffer im Sinne des Streitpatents, welcher in der Lage sein müsse, hohe Drücke und insbesondere Druckspitzen aufzunehmen, zwischen zu speichern, zu dämpfen und verzögert weiter zu geben. Ein weiterer Unterschied bestehe darin, dass in Figur 2 des Streitpatents ein Spalt zwischen der abzudichtenden Welle und dem Druckspuffer 11 bestehe, während die Dichtung "outer rod seal" auf der abzu­dich­tenden Welle aufliege. Der Gegenstand gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags sei somit neu.

Hilfsantrag I

Merkmal k entspräche wörtlich der Beschreibung Spalte 2, Zeilen 46 bis 50. Der im Merkmal h des Anspruchs 1 verwendete Begriff "ausgebildet" sei so zu verstehen, dass der zweite Druckpuffer bei der Erfin­dung eine zusätzliche Maßnahme und eine zusätzliche Ausbildung am Sekundärdichtring sei, so dass für den Fachmann kein Widerspruch bezüglich der zeitlichen Reihenfolge bestehe, weil es hierbei der Druckpuffer und nicht der Sekundärdichtring sei, der sich elastisch verforme/verdichte. Somit sei Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I klar.

Hilfsantrag II

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II sei nur durch eine Ergänzung klargestellt worden, um den Widerspruch beim Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I aufzulösen. Ansonsten handele es sich um den gleichen Gegenstand wie beim Hilfsantrag I. Hilfsantrag II sei nur eine Reaktion auf den Anhang zum Ladungs­bescheid der Kammer und sei somit in das Verfahren zuzulassen.

Der von der Beschwerdegegnerin bemängelte Begriff "Dichtsystem" sei klar und könne nur als Synonym für die "Dichtungs­anord­nung" verstanden werden. Diese umfasse zumindest den Primärdichtring und den Sekundär­dichtring. Die nachgiebigere erste Stirnseite des Se­kundär­dicht­rings nehme die Druckspitzen auf und gebe sie nur verzögert und abgeschwächt an das Dichtsystem ab. Somit sei Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II klar.

Hilfsantrag III

Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 6 sei im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag III aufgenommen worden, so dass es sich hierbei um eine Änderung geringer Kom­plexität handele. Eine derartige starke Einschrän­kung auf einige Ausführungsbeispiele stelle den letzten Versuch der Beschwerdeführerin da, ihr Patent zu retten und sei nicht früher ins Verfahren eingeführt worden, um die Position der Beschwerdeführerin nicht bereits vorab zu schwächen. Auf Anfrage der Kammer, ob die vor­genommene Änderung bezüglich der "oder" Verknüpfung des Merkmals h ("der Sekundärdichtring (3) [ist] als zweiter Druckpuffer (12) ausgebildet") Zielführend sei, wurde wie folgt geantwortet: Die "und/oder" Verknüpfung im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag III sei so zu verstehen, dass der "oder"-Teil wegen des hinzuge­fügten Merkmals i" wegfalle, so dass der Begriff "oder" über­flüssig sei. Die Kombination der Anspruchsmerkmale sei insbe­sondere nicht im Fachbuch D6 offenbart, so dass Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag III neu sei. Hilfsantrag III sei somit in das Verfahren zuzulassen.

XI. Die Beschwerdegegnerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Hauptantrag

Weder im Anspruch 1, noch im Streitpatent sei das Ausmaß der Druckpufferung quantifiziert. Anspruch 1 enthalte auch keine Anforderungen, dass der Druckpuffer "hohe" Drücke und insbesondere Druckspitzen aufnehmen, zwischen speichern, dämpfen und verzögert weiter zu geben hätte. Es reiche aus, dass die in Figur 46 des Fachbuchs D6 gezeigte Dichtung "outer rod seal" Drücke schon deshalb aufnehmen könne, weil sie aus einem kompressiblen Material (Polyurethan) bestehe. Derartige Elastomere könnten auch zurückfedern und wiederholt als Puffer wirken. Im Anspruch 1 gemäß Hauptantrag werde auch kein Spalt und keine Beabstandung beansprucht. Der Gegenstand gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags sei somit gegenüber der Figur 46 des Fachbuchs D6 nicht neu.

Hilfsantrag I

Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag I ver­lange bei der Alternative mit den Merkmalen h, j und k, dass der als zweiter Druckpuffer ausgebildete Sekun­därdichtring sich (bei Druckbeaufschlagung) zeit­lich vor sich selbst verforme. Dies sei erstens in sich widersprüchlich und zweitens technisch nicht ausführ­bar.

Nach der Argumentation der Patentinhaberin solle der Sekundärdichtring nicht als zweiter Druckpuffer wirken. Dies sei durch den Wortlaut des Anspruchs 1 (mit dem Merkmal h) gemäß Hilfsantrag I sowie die von der Patentinhaberin in Bezug genommene Beschreibung auf Seite 2, Zeilen 46 bis 50 der Patentschrift, nicht gestützt.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I verstoße daher gegen Artikel 83 und 84 EPÜ 1973.

Hilfsantrag II

Die Beschwerdeführerin habe die Gelegenheit den Hilfs­antrag bereits im Beschwerdeverfahren vorzubringen nicht genutzt. Indem dieser Hilfsantrag erst spät in dem Beschwerdeverfahren vorgelegt werde, erleide die Beschwerdegegnerin den Verlust einer Überprüfungsins­tanz.

Der Begriff "Dichtsystem" werde zum ersten Mal im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II verwendet ohne explizit definiert worden zu sein. Sofern das "Dichtsystem" mit der beanspruchten Dich­tungs­anordnung identisch sei, so bestehe weiterhin der gleiche Widerspruch wie im Anspruch 1 des Hilfs­antrags, weil die Druckpuffer die "unerwünscht hohe Drücke in­ner­halb des Ringraums" aufnehmen und "nur verzögert und abgeschwächt" auf das Dichtsystem wirken sollen. Bei der Alternative mit den Merkmalen h',i',j' und k', müsse sich nach wie vor der einen zweiten Druck­puffer bildende Sekun­därdichtring (bei Druck­beauf­schlagung) zeit­lich vor dem Dichtsystem von dem er ein Teil sei - d.h. vor sich selbst - verformen. Somit verstoße Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II gegen Artikel 83 und 84 EPÜ 1973.

Hilfsantrag III

Im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag III würden Merkmale aufgenommen, die bisher noch nicht im Einspruchs­ver­fahren abgehandelt worden seien. Die Beschwerde­führerin habe bereits im Einspruchs­verfahren die Mög­lichkeit gehabt, einen derartigen Hilfsantrag zu stellen. Der Beschwerde­gegnerin würde somit eine Über­prüfungsinstanz verloren gehen. Es sei der Be­schwer­de­gegnerin somit nicht mehr zumutbar, einen solchen Hilfsantrag erst gegen Ende der mündlichen Verhandlung im Beschwerde­verfahren einzureichen. Hilfsantrag III sei somit nicht zuzulassen.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag

1.1 Mit der "und/oder" Kombination im kennzeichnenden Teil umfasst der erteilte Anspruch 1 zwei Alternativen, nämlich einerseits die Merkmale a bis f des Oberbegriffs in Kombination mit dem Merkmal g und andererseits die Merkmale a bis f des Oberbegriffs in Kombination mit dem Merkmal h.

Es war unter den Parteien nicht strittig, dass die Merkmale a bis f des Oberbegriffs an sich bekannt sind. Auch die Figur 46 des Fachbuchs D6 (Seite 159, letzter Absatz vor "BIBLIOGRAPHY") offen­bart eine derartige Dichtungsanordnung, wobei die Dichtung "inner rod seal" als Primärdichtring verstan­den wird.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Im Oberbegriff des Anspruchs 1 wird der Sekundär­dichtring in den Merkmalen b bis f im Wesentlichen durch seine Lage beschrieben. Diese Lagebeschreibung trifft sowohl auf die Dichtung "outer rod seal" als auch auf die Dichtung "wiper seal" zu.

1.2 Erste Alternative des Anspruchs 1 mit den Merkmalen a bis f und dem Merkmal g

Hierbei wird die Dichtung "wiper seal" der Figur 46 als Sekundärdichtung verstanden.

Dem Fachmann ist bei der in Figur 46 vorge­stell­ten Lösung zwangsläufig bewusst, das sich die mit "outer rod seal" bezeichnete verwendende U-förmige Poly­ure­than­dichtung ("U-cup seal") unter dem im Ringraum herr­schen­den Druck als Ganzes zwangsläufig elastisch ver­formen wird. Bei einer solchen Verformung kommt es zu einer Vergrößerung des mit dem Ringraum in Verbin­dung stehenden Volumens (siehe Figur 22, Fachbuch D6, "stick: stressing of seal" und "maximum stressed seal"), was sich wiederum druckmindernd im Ringraum auswirkt. Dem Fachmann ist dieses schon aufgrund des an sich bekannten "Haften-Rutschen" ("Stick-slip") Verhal­tens solcher Dichtungen als Teil seines allge­meinen Fachwissens zu solchen Dichtungen bereits bekannt (siehe entsprechende Beschreibung auf Seiten 134 bis 135 und Figur 22 des Fachbuchs D6).

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Der elastomere Körper "outer rod seal" in Figur 46, wirkt somit aufgrund seiner Elastizität als ein "separat erzeugter" erster Druckpuffer.

Merkmal g des Anspruchs 1, dass "innerhalb des Ring­raums (8) ein - bezogen auf den Primär- (2) und den Sekundärdichtring (3) - separat erzeugter erster Druckpuffer (11) angeordnet ist", schließt nicht aus, dass dieser erste Druckpuffer nicht zusätz­liche Funktionen (z.B. als zusätzliche Dichtung - siehe auch Streit­patent, Absatz [0043], Figur 4) aufweisen kann.

Seitens der Beschwerdeführerin wurde auf die in der Beschreibung des Streitpatents offenbarte Problem­stellung und auf zusätzliche Merkmale (wie z.B. ein Spalt bzw. eine Beabstandung) der entsprechenden Lösung für den Druckpuffer, insbesondere der Ausführungsform gemäß Figur 2 verwiesen. Nach Artikel 84 erster Satz müssen die Patentansprüche den Gegenstand angeben, für den Schutz begehrt wird. Sofern solche zusätzlichen Merkmale der Erfin­dung, die die Beschwerdeführerin für wesentlich hält, nur in der Beschreibung und nicht im Anspruch vorkom­men, können diese bei der Beurteilung der Neuheit des beanspruchten Gegenstands nicht mit berücksichtigt werden.

Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin zudem selbst in der mündlichen Verhandlung vor der Besch­werde­kammer eingestanden, dass die in Figur 46 des Fachbuchs D6 gezeigte Dichtung "outer rod seal" einen Druckpuffer darstelle, auch wenn dieser nur eine "geringe" Wirkung aufweise. Im erteilten Anspruch 1 wird der Begriff "Druckpuffer" lediglich verwendet ohne durch zusätz­liche Merkmale insbesondere bezüglich des Ausmaßes der Druckpufferung näher gekennzeichnet zu sein. Anspruch 1 enthält keine den Begriff "Druck­puffer" weiter kenn­zeichnenden Merkmale, die es erlauben den Anspruchs­gegenstand vom Stand der Technik gemäß Figur 46 des Fachbuchs D6 abzugrenzen. Somit offenbart auch die in Figur 46 des Fachbuchs D6 gezeigte Dichtung "outer rod seal" einen Druckpuffer im Sinne des Merkmals g. Der Gegenstand für den Schutz im erteilten Anspruch 1 begehrt wird (Artikel 84 EPÜ 1973, erster Satz) ist daher nicht neu (Artikel 54 EPÜ 1973).

1.3 Zweite Alternative des Anspruchs 1 mit den Merkmalen a bis f und dem Merkmal h

Hierbei wird die Dichtung "outer rod seal" der Figur 46 als Sekundärdichtung verstanden.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Merkmal h des Anspruchs 1, dass "der Sekundär­dichtring (3) als zweiter Druckpuffer (12) ausgebildet ist", schließt nicht aus, dass der Sekundärdichtring (z.B. als Ganzes durch seine Materialeigenschaften) den Druckpuffer bildet.

Eine von der Beschwerdeführerin angeführte dahingehende Einschränkung, dass der Sekundär­dichtring zwingend aus zwei getrennten Bereichen zu bestehen habe, wobei der eine Bereich nur als Dichtring und der zweite Bereich nur als Druck­puffer fungiere, ist der Formulierung des Merkmals h des erteilten Anspruchs 1 nicht zu entneh­men.

Somit nimmt der in Figur 46 des Fachbuchs D6 offenbarte Stand der Technik alle Merkmale des erteilten Anspruchs 1 vorweg. Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ist daher nicht neu (Artikel 54 EPÜ 1973).

2. Hilfsantrag I

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I beinhaltet die Alter­na­tive mit den Merkmalen a bis f, h, j und k. Dement­sprechend gibt es keinen ersten Druckpuffer und nur "der Sekundärdicht­ring (3) [ist] als zweiter Druckpuffer (12) ausgebil­det". Gemäß den Merkmalen j und k ist dieser alleinige "zweite Druckpuffer (12) ? derart ausgebildet, dass sie [sic] sich zum Schutz der gesamten Dichtungsanord­nung zeitlich vor dem Sekundärdichtring (3) elastisch ver­formen".

Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag I ver­langt somit bei dieser Alternative, dass sich der als alleiniger Druckpuffer aus­gebildete Sekun­därdichtring (bei Druckbeauf­schla­gung) zeit­lich vor sich selbst verformt. Dies ist erstens in sich widersprüchlich und zweitens technisch nicht ausführ­bar.

Nach der Argumentation der Beschwerdeführerin soll sich hierbei der zweite Druckpuffer aber nicht vor dem Sekundärdichtring elastisch verformen/verdichten. Jedoch ist dies weder durch den Wortlaut des Anspruchs 1 (mit den Merkmalen h, j und k) gemäß Hilfsantrag I noch durch die angeführte Passage der Beschreibung der Patent­schrift (Seite 2, Zeilen 46 bis 50) gestützt.

Die Kammer kann der Beschwerdeführerin auch nicht folgen, dass die Aussage "der Sekundärdichtring (3) [ist] als zweiter Druckpuffer (12) ausgebildet" bedeutet, dass der zweite Druckpuffer zwangsläufig eine zusätzliche Maßnahme bzw. eine zusätzliche Ausbildung am Sekundärdichtring ist. Die gewählte Formulierung schließt jedenfalls nicht aus, dass der Sekundär­dicht­ring auch als Ganzes "als zweiter Druckpuffer (12) ausgebil­det" ist. Außerdem, würde dadurch der oben genannte Widerspruch nicht aufgelöst, da eine als Feder wirkende elastische Verformung bzw. Verdich­tung auf sie einwirkende Kräfte bzw. Drücke gemäß den Gesetzen der Physik unmittelbar und nicht erst mit einer Verzögerung weitergibt.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I verstößt daher gegen die Bestimmungen des Artikels 100(b) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 83 EPÜ 1973.

3. Hilfsantrag II

3.1 Zulässigkeit

Es steht im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbrin­gens nach Einreichung der Beschwerde­begründung oder Erwiderung zuzulassen und zu berücksichtigen (Artikel 13(1) der Verfahrens­ordnung der Beschwerde­kammern VOBK). Bei der Ausübung dieses Ermessens wird unter anderem berücksichtigt, ob gute Gründe für das späte Vorbringen vorliegen und ob das späte Vorbringen für die Lösung der in der mündlichen Verhandlung zu diskutierenden Punkte zielführend ist.

Hilfsantrag II wird in das Verfahren zugelassen, weil die vorgenommenen Änderungen keine besonderen Schwie­rigkeiten aufwerfen und die hinzugefügten Merkmale den beanspruchten Gegenstand lediglich konvergierend ergänzen. Auf Nach­frage des Vorsitzenden gestand die Beschwerde­geg­nerin während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerde­kammer zu, dass die vorgenommenen Änderungen nicht zu komplex seien. Die Beschwerde­geg­nerin konnte somit auf diesen Hilfsantrag ange­mes­sen eingehen und die in diesem Antrag vorge­nom­menen Änderungen machten es nicht erforderlich die mündliche Verhandlung zu verlegen.

Der von der Beschwerdegegnerin angeführte Verlust einer Überprüfungsinstanz konnte nicht überzeugen, weil im vorliegenden Fall weder neue Druckschriften eingeführt worden sind noch die vorgenommenen Änderungen eine Recherche nach solchen recht­fertigen würde.

3.2 Klarheit und Ausführbarkeit

Der Begriff "Dichtsystem" wird zum ersten Mal in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II verwendet, ohne vorher explizit definiert worden zu sein. Dennoch war es letzt­endlich zwischen den Parteien unstrittig, dass der Fachmann darunter lediglich ein Synonym für die "Dich­tungs­anord­nung" versteht, welche zumindest den Pri­mär­dichtring und den Sekundärdichtring umfasst.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II beinhaltet die Alter­na­tive, wonach es keinen ersten Druckpuffer gibt und alleine "der Sekundärdichtring (3) als zweiter Druck­puffer (12) ausgebildet ist" (Merkmal h'). Hierbei weist der Sekundärdichtring eine den Primärdichtring axial abgewandte erste Stirnseite (19) auf, die als in axialer Richtung elastisch nachgiebiger Verformungs­bereich (20) ausgebildet ist, der eine größere axiale Nachgiebigkeit aufweist, als der übrige Sekundär­dicht­ring (3) (Merkmale i' und j'). Gemäß Merkmal k' muss dieser zweite alleinige Druckpuffer derart ausgestaltet sein, dass er unerwünscht hohe Drücke innerhalb des Ringraums aufnimmt, und dass die unerwünscht hohen Drücke oder Druckspitzen nur verzögert und abgeschwächt auf das "Dichtsystem" wirken. Unter "Dichtsystem" ist hierbei die "Dichtungs­anord­nung" zu verstehen, welche den Sekundärdichtring mit seinem den zweiten Druckpuf­fer bildenden Verformungsbereich mit umfasst.

So besteht weiterhin der gleiche Widerspruch wie in Anspruch 1 des Hilfsantrags I, weil bei der Alternative mit den Merkmalen h' bis k' der Druckpuffer am Se­kun­där­dichtring die "unerwünscht hohe[n] Drücke in­ner­halb des Ringraums" aufnehmen und "nur verzögert und abge­schwächt" auf sich selbst wirken lassen solle. Dies ist in sich wider­sprüch­lich und zusätzlich auch technisch nicht ausführ­bar, weil eine als Feder wirkende elastische Verformung auf sie einwirkende Drücke gemäß den Gesetzen der Physik unmit­telbar und nicht erst mit einer Verzögerung weitergibt.

Somit verstößt Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II gegen die Bestimmungen des Artikels 100(b) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 83 EPÜ 1973.

4. Zulässigkeit des Hilfsantrags III

4.1 Hilfsantrag III der Beschwerdeführerin wurde erst gegen Ende der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerde­kammer vorgelegt. Somit stellt dies eine (späte) Änderung des Vorbringens im Sinne des Artikels 13 VOBK dar. Bei der Zulassung solcher Änderungen steht der Kammer ein Ermessen zu (Artikel 13(1) VOBK), es sei denn, sie werfen Fragen auf, deren Behandlung der Kammer oder der anderen Partei ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten ist (Artikel 13(3) VOBK). Bei der Ausübung ihres Ermessens prüfen die Kammern, ob stichhaltige Gründe für die späte Vorlage vorliegen und ob das späte Vorbringen für die Lösung der in der mündlichen Verhandlung zu diskutierenden Punkte zielführend ist.

4.2 Das dem erteilten Anspruch 1 hinzugefügte Merkmal i" ("und dass der erste Druckpuffer (11) als gasgefüllter Schlauch (14) ausgebildet ist, der durch eine zumindest teilweise elastisch nachgiebige, gegen das abzudich­ten­de Medium beständige Wandung (16) begrenzt ist") im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag III bezieht sich nur auf die erste Alternative der Kombination der Merkmale a bis f und g. Dadurch wurde an der mit "oder" einge­lei­teten zweiten Alternative der Kombination der Merkmale a bis f und h nichts verändert.

Den Ausführungen seitens der Beschwerdeführerin, die "und/oder" Verknüpfung im Anspruch 1 gemäß Hilfs­antrag III sei so zu verstehen, dass der "oder"-Teil wegen des hinzugefügten Merkmals i" wegfalle, so dass der Begriff "oder" überflüssig sei, kann nicht gefolgt werden, weil der Wortlaut des Anspruchs 1 maßgeblich ist und dort die mit "oder" eingeleitete zweite Alter­na­tive der Kombination der Merkmale a bis f und h weiterhin Teil des beanspruchten Gegenstands ist.

Somit ist Hilfsantrag III in seiner vorliegenden Form nicht zielführend, weil dessen Anspruch 1 die Kombina­tion der Merkmale a bis f und h bein­haltet, welche bereits im Kontext des Anspruch 1 des Haupt­antrags als nicht neu befunden wurde (siehe Punkt 1.31.3 ).

4.3 Die Kammer kann aber auch keine stichhaltigen Gründe, die die späte Vorlage des Hilfsantrags III rechtfertigen würden, erkennen. Denn bereits im Einspruchsverfahren bestand Veranlassung auf entsprechende Argumente einzugehen, wie auch nach der Ladung, siehe Punkt 10.4, mit dem Hinweis, dass ein wesentliches Merkmal fehlen würde. Die Beschwerde­führerin hat also eine Vielzahl an Gelegenheiten einen solchen Hilfsantrag vorzulegen nicht genutzt.

4.4 Die Argumente der Beschwerdeführerin,

- Hilfsantrag III stelle den letzten Versuch der Beschwerdeführerin dar, ihr Patent zu retten; und

- Hilfsantrag III sei wegen der erheblichen Ein­schrän­kung auf einige Ausführungsbeispiele nicht früher ins Verfahren eingeführt worden, um die Position der Beschwerdeführerin nicht bereits vorab zu schwächen,

stehen auch Artikel 12(2) VOBK entgegen, wonach die Beschwerdebegründung (und die Erwi­derung) den vollständigen Sachvortrag eines Beteiligten enthalten müssen.

4.5 Aus diesen Gründen wird Hilfsantrag III nicht zugelassen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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