T 2313/11 (Datenanalyse / NOLL) of 31.8.2012

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2012:T231311.20120831
Datum der Entscheidung: 31 August 2012
Aktenzeichen: T 2313/11
Anmeldenummer: 04100660.2
IPC-Klasse: G06F 17/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Analyse von Daten
Name des Anmelders: Noll, Uwe
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.5.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 108
European Patent Convention R 99(2)
European Patent Convention R 101(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(2)
Schlagwörter: Unzulässige Beschwerde (unzureichende Beschwerdebegründung)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 04100660.2 mit der Bezeichnung "Verfahren zur Analyse von Daten", veröffentlicht als

A2: EP-A2-1 455 280,

zurückzuweisen.

II. Der zurückgewiesene (= ursprüngliche) Anspruch 1 lautet:

"1. Verfahren zur Analyse von einem Prozess zugeordneten Daten, die als Vektoren vorliegen, wobei in einer Datenbank gespeicherte Vektoren mit zu vergleichenden Vektoren verglichen werden,

dadurch gekennzeichnet, dass die Vektoren normalisiert werden, dass zu Zwecken des Vergleichs aus den normalisierten gespeicherten Vektoren und den normalisierten zu vergleichenden Vektoren diejenigen selektiert werden, deren Beträge weniger als eine erste Vorgabe voneinander abweichen, und dass aus den selektierten normalisierten gespeicherten Vektoren und den selektierten normalisierten zu vergleichenden Vektoren eine von dem jeweiligen eingeschlossenen Winkel abhängige Größe gebildet wird, die mit einer zweiten Vorgabe verglichen wird."

Der in der Beschreibungseinleitung (A2, Absatz 0002) genannte Stand der Technik behandelt Datensätze als Vektoren und erkennt Abhängigkeiten, Muster oder Gruppenzugehörigkeiten, indem Differenzen zu einem Vergleichsvektor --- und zwar die Beträge der Differenzvektoren --- statistisch untersucht werden. Dies führe jedoch für eine Reihe von Anwendungen zu unbefriedigenden Ergebnissen (A2, Absatz 0005).

Aufgabe der Anmeldung sei es daher, einen Vergleich der Vektoren dahingehend zu ermöglichen, dass Abhängigkeiten von gespeicherten Daten mit zu vergleichenden Daten schneller erkannt und ausgewertet werden können (A2, Absatz 0006).

Hierzu schlägt die Anmeldung vor, die Vektoren dadurch zu vergleichen, dass der zwischen ihnen eingeschlossene Winkel betrachtet wird, wobei in einer Vorstufe des Verfahrens die zu vergleichenden Vektoren zunächst normalisiert werden und diejenigen ausgewählt werden, deren Beträge um weniger als einen vorgegebenen Wert voneinander abweichen (A2, Absatz 0007; ursprünglicher Anspruch 1).

III. Die Prüfungsabteilung wies die Anmeldung aus folgenden Gründen zurück.

a) Der wesentliche Einwand lautet, dass das Analyseverfahren nach Anspruch 1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe (Artikel 56 EPÜ 1973). Nur Merkmale, die zum technischen Charakter des Verfahrens beitrügen, könnten eine erfinderische Tätigkeit stützen. Alle Schritte des Verfahrens seien jedoch mathematischer oder gedanklicher Natur zur Lösung einer abstrakten mathematischen Aufgabe (Vergleich von Datenvektoren). Das Verfahren sei nicht auf eine bestimmte technische Anwendung beschränkt oder an eine solche angepasst.

Die bloße Möglichkeit einer technischen Zweckbestimmung oder der Lösung eines technischen Problems überwinde nicht den Ausschluss nach Artikel 52 (2)(3) EPÜ (Hinweis auf die Beschwerdekammerentscheidung T 306/04-Scheduling tasks/HONEYWELL).

Ein reiner Geschwindigkeitsvergleich eigne sich ebenfalls nicht als Kriterium zur Unterscheidung zwischen technischen und nicht-technischen Verfahrensschritten (Hinweis auf T 1227/05-Schaltkreissimulation/INFINEON, ABl. EPA 2007, 574, Punkt 3.2.5).

Vom Anmelder vorgetragene Theorien würden zwar einen Zusammenhang zwischen Information und Energie herstellen, seien jedoch zu abstrakt, als dass sie dem beanspruchten Verfahren technischen Charakter verleihen könnten. Andernfalls müssten alle Verfahren für mathematische und gedankliche Tätigkeiten als technisch und patentfähig angesehen werden, wohingegen Artikel 52 (2)(a)(c) und (3) EPÜ jene Verfahren als solche ausdrücklich vom Patentschutz ausschließe.

In Anspruch 1 stelle allenfalls die Datenbank ein technisches Merkmal dar, dessen Verwendung jedoch naheliege, da Datenbanken in ähnlichen Verfahren des Standes der Technik (D1, D2) für den gleichen Zweck eingesetzt würden.

D1: DE-A-101 52 762,

D2: DE-A-199 63 123.

b) Ferner äußerte die Prüfungsabteilung Zweifel, ob technische Einzelheiten der in der Beschreibungseinleitung zitierten Druckschriften (D1, D2) für die vorliegende Anmeldung hätten herangezogen werden können, ohne den Inhalt der Anmeldung unzulässig zu erweitern (Artikel 123 (2) EPÜ).

c) Schließlich hielt die Prüfungsabteilung auch an Klarheitseinwänden (Artikel 84 EPÜ 1973) fest, die sie in ihrem Ladungsanhang vom 21. März 2011 vorgebracht hatte.

IV. Der Anmelder sandte am 18. Juni 2011 an das Europäische Patentamt ein Fax mit handschriftlichem Vermerk: "Beschwerde EP04100660.2 hinsichtlich Zurückweisung am 16.06.2011 eingelegt und Gebühren einbezahlt. Siehe Anlagen. Gruß Noll". Die Anlagen sind Kopien von früheren Schriftwechseln (mit der Prüfungsabteilung, dem Vertreter des Beschwerdeführers und dem European Research Council) und von Einzahlungsbelegen (betreffend die Beschwerdegebühr).

V. Am 16. Oktober 2011 ging im Europäischen Patentamt ein vom Beschwerdeführer unterzeichnetes Schreiben mit der Betreffzeile "Beschwerdebegründung zur Patent-Anmelde-Nr. 04100660.2" ein, begleitet von zwei Anlagen:

- eine Kopie einer E-Mail des European Research Council vom 12. Oktober 2011;

- ein vom Beschwerdeführer unterzeichnetes Schreiben vom 6. Oktober 2011, das in der Beschwerdebegründung als "Anlage Tension" bezeichnet ist.

Die Beschwerdebegründung erwähnt eine Transformation dunkler Materie in Energie unter Berücksichtigung der Formel E = m*c**(2), wobei im Universum auch eine Spannung T eine Rolle spiele, die sich aufgrund einer Analogie zum Ohmschen Gesetz als T = m*c darstellen lasse (erläutert in der Anlage Tension). Masse, Energie, Geschwindigkeit und Spannung seien die Grundlagen jeglicher technischer Verfahren. Der technische Prozess der Transformation dunkler Materie in Energie sei für die friedliche Energiegewinnung voranzutreiben. Aus finanziellen Gründen könne der Beschwerdeführer seinen technischen Prozess "Nollscher-Energie-Dämon" nicht preisgeben und öffentlich machen. Eine diesbezügliche Bewerbung beim European Research Council sei eingereicht, eine weitere --- hinsichtlich der Spannung T im Universum --- werde folgen.

Im Universum seien irrationale Prozesse vorhanden, die durch die beanspruchte Analyse von Daten erstmals verarbeitet und der Realität angenähert werden könnten. Alle irrationalen Prozesse seien eindeutig von den nicht irrationalen unterscheidbar.

VI. In einem Bescheid (6. Februar 2012) äußerte die Kammer Zweifel an der Zulässigkeit der Beschwerde, da das als Beschwerdebegründung bezeichnete Schreiben nicht zum Ausdruck bringe, aus welchen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Zurückweisungsentscheidung aufzuheben sein solle.

Die Beschwerdebegründung befasse sich nicht mit den konkreten Gründen der Zurückweisungsentscheidung, sondern behaupte lediglich abstrakte universelle Prinzipien, die allen technischen Verfahren zu Grunde liegen sollen.

VII. Innerhalb der im Bescheid gesetzten Frist hat die Beschwerdeführerin drei Stellungnahmen eingereicht, die wiederum sehr allgemeine naturwissenschaftliche, historische und philosophische Zusammenhänge zwischen Energie (Wärme) und Information darlegen und Vergleiche zwischen dem Maxwellschen Dämon einerseits und einem "Nollschen Energie-Dämon" und einem "Nollschen Perpetuum Mobile" andererseits ziehen. Entsprechend habe auch schon die Beschwerdebegründung gezeigt, dass dem beanspruchten Verfahren Technizität innewohne, und habe sich somit gegen die "Ablehnung aufgrund mangelnder Technizität" gerichtet (23. Februar 2012, Seite 6, letzter Absatz).

Entscheidungsgründe

1. Einlegung der Beschwerde

1.1 Das Fax vom 18. Juni 2011 wird von der Kammer als Beschwerdeschrift verstanden. Der handschriftliche Vermerk nennt die Beschwerdeabsicht und das Aktenzeichen, weist auf die Einzahlung der Beschwerdegebühr hin und ist vom Beschwerdeführer, der sich selbst vertreten darf, unterzeichnet.

1.2 Da die angegriffene Entscheidung der Prüfungsabteilung am 14. Juni 2011 zur Post gegeben wurde, lief die zweimonatige Frist zur Einlegung der Beschwerde (Artikel 108 EPÜ) am 24. August 2011 ab. Sowohl die Einreichung der Beschwerdeschrift (18. Juni 2011) als auch die Zahlung der Beschwerdegebühr (20. Juni 2011) erfolgten somit rechtzeitig. Mithin ist die Beschwerde wirksam eingelegt.

2. Begründung der Beschwerde

2.1 Die viermonatige Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung (Artikel 108 EPÜ) lief bis 24. Oktober 2011. Das Schreiben "Beschwerdebegründung" vom 16. Oktober 2011 hielt diese Frist ein.

2.2 Die Beschwerdebegründung legt aber nicht dar, aus welchen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Zurückweisungsentscheidung aufzuheben sein soll, und entspricht somit nicht den Erfordernissen der Regel 99 (2) EPÜ und des Artikels 12 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern.

Die Beschwerdebegründung befasst sich nicht mit den konkreten Gründen der Zurückweisungsentscheidung, sondern postuliert lediglich abstrakte, universelle Grundlagen, die allen technischen Verfahren zu Grunde liegen sollen.

Nach Auffassung der Kammer sind die abstrakten Ausführungen der Beschwerdebegründung zu Phänomenen des Universums vom Ansatz her nicht geeignet, die angegriffene Entscheidung in Frage zu stellen. Insbesondere befasst sich die Beschwerdebegründung nicht mit der Frage, welchem technischen Zweck das beanspruchte Verfahren auf welche Weise dienen würde, und ist daher nicht geeignet, den diesbezüglichen Einwand gegen Anspruch 1 zu entkräften.

Die in der Beschwerdebegründung dargestellte Theorie betreffend Energiegewinnung aus dunkler Materie oder Information bewegt sich vielmehr auf einer Abstraktionsebene, die sowohl von den Gründen der Entscheidung als auch vom Inhalt der Anmeldung losgelöst ist: Die Anmeldung befasst sich weder mit einer Energiegewinnung noch mit einer Beschreibung des Universums, sondern mit mathematischen Vektorvergleichen zur Ermittlung der Ähnlichkeit von Datensätzen in einem unbestimmten (technischen oder nicht-technischen) Prozess.

Die Beschwerdebegründung deutet lediglich einen abstrakten Bezug mathematischer Verfahren zur Technik an. Sie beruft sich auf eine universelle Theorie, die auch im Fall ihrer Gültigkeit keinen hinreichenden Bezug zu den Entscheidungsgründen und dem Anmeldungsgegenstand hätte. Die Beschwerdebegründung lässt somit nicht erkennen, auf welcher Grundlage eine Überprüfung der angefochtenen Entscheidung erfolgen soll, insbesondere, aus welchen sachlichen oder rechtlichen Gründen ihre Begründung unzutreffend sein soll.

2.3 Diese Beurteilung der Beschwerdebegründung wird auch durch die Bescheidserwiderungen des Beschwerdeführers nicht in Frage gestellt. Die Bescheidserwiderungen führen die abstrakten Theorien des Beschwerdeführers lediglich breiter aus und argumentieren, dass schon die in der Beschwerdebegründung dargelegten Theorien die Technizität des beanspruchten Verfahrens aufgezeigt hätten und die Beschwerdebegründung somit auf einen wesentlichen Zurückweisungsgrund eingegangen sei.

Wie bereits ausgeführt, sieht die Kammer diese Theorien jedoch als so abstrakt an, dass aus ihnen ein technischer Charakter des vorliegenden Anmeldungsgegenstands grundsätzlich nicht hergeleitet werden kann. Zwar mag es universelle Gemeinsamkeiten zwischen technischen Verfahren, mathematischen Prinzipien und physikalischen Phänomenen geben. Dies erlaubt jedoch nicht den Umkehrschluss, dass die Einordnung eines Verfahrens unter ein solches abstraktes Dach bereits ausreichen könnte, das Verfahren als technisch anzuerkennen. Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen physikalischen Erscheinungen und technischen Verfahren liegt jedenfalls in einem technischen Zweck.

2.4 Selbst wenn die Bescheidserwiderungen sich mit einem hinreichend bestimmten technischen Zweck befassen würden, wäre anzumerken, dass eine nach Ablauf der 4-Monatsfrist (Artikel 108 EPÜ) eingereichte Begründung eine unzureichende Beschwerdebegründung nicht heilen könnte (Regel 101, Absatz 1, letzter Satzteil).

2.5 Eine unmittelbare Auseinandersetzung mit den Gründen einer Zurückweisungsentscheidung wäre nur im Ausnahmefall entbehrlich, wenn nämlich die Entscheidung für sich genommen bereits erkennen ließe, dass sie unhaltbar wäre, indem sie zB grob fehlerhaft, unlogisch oder völlig unbegründet wäre oder offensichtlich auf einem unzutreffenden Sachverhalt oder einem wesentlichen Verfahrensfehler beruhen würde.

Dies ist hier jedoch in keiner Weise der Fall. Vielmehr geht die Prüfungsabteilung von belegbaren Tatsachen aus und gelangt unter Anwendung einschlägiger gesetzlicher Bestimmungen und aktueller Beschwerdekammer entscheidungen mit nachvollziehbaren Argumenten und logischen Schritten zu ihrer Entscheidung.

Eine unmittelbare Auseinandersetzung mit den Gründen der Zurückweisungsentscheidung wäre daher in der Beschwerdebegründung erforderlich gewesen, um der Kammer zu ermöglichen, ohne eigene Nachforschungen zu erkennen, welche konkrete Argumentation der Beschwerdeführer gegen die Gründe der Zurückweisungsentscheidung anzuführen sucht.

2.6 Die Kammer sieht daher die Beschwerde aufgrund unzureichender Begründung als unzulässig an (Regel 101 (1) EPÜ).

2.7 Eine mündliche Verhandlung ist nicht beantragt worden. Eine Anberaumung von Amts wegen wird von der Kammer nicht als erforderlich oder sachdienlich angesehen, denn der festgestellte Mangel der Beschwerdebegründung kann nicht nachträglich behoben werden (siehe obigen Punkt 2.4). Die vorliegende Entscheidung ergeht daher im schriftlichen Wege.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.

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