T 2054/11 () of 9.10.2015

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2015:T205411.20151009
Datum der Entscheidung: 09 October 2015
Aktenzeichen: T 2054/11
Anmeldenummer: 04104585.7
IPC-Klasse: F02M 25/07
F02B 37/013
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Aufgeladene Brennkraftmaschine und Verfahren zum Betreiben einer derartigen Brennkraftmaschine
Name des Anmelders: Ford Global Technologies, LLC, A subsidary of Ford
Motor Company
Name des Einsprechenden: Bayerische Motoren Werke
Aktiengesellschaft
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13
Schlagwörter: Einvernahme von verspätet angebotenen Zeugen (nein)
Zulässigkeit verspätetes Beweismittel (nein)
Klarheitseinwand Hilfsantrag (nicht zulässig)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein), Hilfsantrag (ja)
Orientierungssatz:

siehe Gründe 2.6 -2.14, 3.2,3.3

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0552/18

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 17. Mai 2011, zur Post gegeben am 19. Juli 2011, das europäische Patent Nr. 1 640 596 in geändertem Umfang gemäß erstem Hilfsantrag, Ansprüche wie eingereicht am 13.Januar 2010 und in der Verhandlung angepasster Beschreibung, nach Artikel 101(3)a) EPÜ aufrechtzuerhalten. Die Beschwerdeführerin Einsprechende hatte am 7. September 2011 Beschwerde eingelegt und am gleichen Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung war am 1. Oktober 2011 eingegangen. Die Beschwerdeführerin Patentinhaberin hatte am 22. September 2011 Beschwerde eingelegt und ebenfalls am gleichen Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Auch die Beschwerdebegründung war am 22. September 2011 eingegangen.

II. Der Einspruch gegen das Patent war auf die Gründe der mangenden Neuheit und mangelnden erfinderischen Tätigkeit, Artikel 100 a), 54 und 56 EPÜ gestützt. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass die Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung nicht entgegenstünden. Sie hatte dabei unter anderem die folgenden Entgegenhaltungen berücksichtigt:

D2 = EP 1 375 868 A1

D3 = DE 102 35 531 A1

D5 = BMW Bilder einer Präsentation mit dem Titel "BMW Medialaunch", die am 23.Juni 2004 auf dem BMW Techniktag Motoren Steyr 22.-24 Juni gegeben wurde, über den BMW Reihensechszylinder Dieselmotor inklusive Programmablauf.

D8 = DE 198 37 978 A1

D10= CD mit einem Video über die Techniktage vom 22. bis 24. Juni 2004 in München und Steyr

D11: Teilnehmerliste BMW Techniktage Motoren 2004

D13= Eidesstattliche Versicherung des Herrn Steinparzer vom 3.Mai 2011

III. Folgende Beweismittel wurden zudem aus dem Beschwerdeverfahren in vorliegender Entscheidung berücksichtigt:

mit Eingabe vom 27.Mai 2014:

Angebot Zeugeneinvernahme der Herren Steinparzer und Bruch

mit Eingabe vom 5. Oktober 2015:

D14= Auszug der 24. Auflage des "Kraftfahrttechnischen Taschenbuchs", Robert Bosch GmbH, 2002

IV. In einem Bescheid gemäß Artikel 15(1) VOBK teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung nach erfolgter Ladung zur mündlichen Verhandlung mit, welche am 9. Oktober 2015 unter Anwesenheit aller am Beschwerdeverfahren beteiligten Parteien stattfand.

V. Die Beschwerdeführerin Einsprechende beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents, hilfsweise die Zurückverweisung der Sache an die Einspruchsabteilung zur Zeugeneinvernahme von Herrn Steinparzer und Herrn Bruch, weiter hilfsweise die Zeugeneinvernahme durch die Kammer.

Die Beschwerdeführerin Patentinhaberin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung. In Hinblick auf die Beschwerde der Einsprechenden beantragt die Patentinhaberin, diese zurückzuweisen und somit das Patent in der Fassung, die in der angefochtene Entscheidung als gewährbar erachtet wurde, aufrechtzuerhalten (Hilfsantrag), oder - hilfsweise - das Streitpatent in der Fassung einer der (weiteren nummerierten) Hilfsanträge 1 bis 5, eingereicht mit Schriftsatz vom 20. Januar 2012 aufrechtzuerhalten.

VI. Die unabhängigen Ansprüche haben folgenden Wortlaut:

Hauptantrag - wie erteilt:

"1. Aufgeladene Brennkraftmaschine (1) mit einer Gesamtansaugleitung (2) zur Versorgung mit Frischluft bzw. Frischgemisch und einer Gesamtabgasleitung (4) zur Abführung des Abgases und mit mindestens zwei in Reihe geschalteten Abgasturboladern (6,7), die jeweils eine in der Gesamtabgasleitung (4) angeordnete Turbine (6a,7a) und einen in der Gesamtansaugleitung (2) angeordneten Verdichter (6b,7b) umfassen und von denen ein erster Abgasturbolader (6) als Niederdruckstufe (6) dient und ein zweiter stromaufwärts der Gesamtabgasleitung (4) bzw. stromabwärts der Gesamtansaugleitung (2) des ersten Abgasturboladers (6) angeordneter Abgasturbolader (7) als Hochdruckstufe (7) dient, wobei

. die zweite Turbine (7a) des zweiten Abgasturboladers (7) eine variable Turbinengeometrie aufweist

. eine erste Bypaßleitung (12) vorgesehen ist, in der ein Absperrelement (13) angeordnet ist und die stromaufwärts dieser zweiten Turbine (7a) von der Gesamtabgasleitung (4) abzweigt und stromabwärts dieser zweiten Turbine (7a) wieder in die Gesamtabgasleitung (4) mündet, und

. eine zweite Bypaßleitung (14) vorgesehen ist, die stromaufwärts des zweiten Verdichters (7b) von der Gesamtansaugleitung (2) abzweigt und stromabwärts dieses zweiten Verdichters (7b) wieder in die Gesamtansaugleitung (2) mündet, wobei in dieser zweiten Bypaßleitung (14) ein Absperrelement (15) angeordnet ist,

dadurch gekennzeichnet, daß

. eine Abgasrückführung (8) vorgesehen ist, welche eine Leitung (9) umfaßt, die stromaufwärts der beiden Turbinen (6a,7a) aus der Gesamtabgasleitung (4) abzweigt und in die Gesamtansaugleitung (2) mündet."

"18. Verfahren zum Betreiben einer aufgeladenen Brennkraftmaschine (1) nach Anspruch 1,

dadurch gekennzeichnet, daß

. bei niedrigen Lasten d. h. im unteren Teillastbereich bzw. bei kleinen Abgasmengen der überwiegende Anteil des Abgasstromes durch die zweite Turbine (7a) des zweiten Abgasturboladers (7) geleitet wird."

Hilfsantrag - wie aufrechterhalten von der

Einspruchsabteilung:

Wie Hauptantrag, wobei am Ende des Anspruchs 1 folgender Wortlaut angefügt wurde:

"..., und

. in der Leitung (9) zur Abgasrückführung (8) ein zusätzlicher Kühler (10) vorgesehen ist."

Der Verfahrensanspruch "18" wurde in "17" umnumeriert.

VII. Die Beschwerdeführerin Einsprechende hat im Wesentlichen folgende Argumente vorgetragen:

Einvernahme von Zeugen

Mit Schreiben vom 23. März 2010 sei die offenkundige Vorbenutzung des Gegenstandes nach Anspruch 1 in Form des Diavortrags D10 und einer Präsentation am zerlegten Motor während der BMW Techniktage 2004 in jedem Fall angesprochen worden. Herr Steinparzer sei ein hervorragender Techniker und könne aus diesem Grund Tatsachen aus der bereits mit Einspruchseinlegung eingereichten Veröffentlichung D5 bezeugen. Erst in der Verhandlung vor der Einspruchsabteilung wurde ausgeführt, dass D5 nicht relevant sei. Die Einsprechende hatte folglich keine Zeit, zuvor einen lückenlosen Nachweis für die Vorbenutzung basierend auf D5 zu führen. Daraufhin sei mit Schreiben vom 27. Mai 2014 spezifisch angesprochen worden, dass Merkmale des Anspruchs 1 aus der Diashow bzw. dem ausgestellten Motor abgeleitet werden konnten. Merkmal "h)" sei allerdings nicht auf Seite 4 der D5, sondern auf Seite 7 der D5 ersichtlich. Durch Einvernahme der beiden angebotenen Zeugen sei sowohl eine Herausarbeitung als auch Bezeugung möglich, dass einzelne Merkmale des Anspruchs 1, insbesondere Merkmal "h)", zu sehen gewesen seien. Ohne Anhörung der Zeugen sei die offenkundige Vorbenutzung jedoch nicht bewiesen, wie im Übrigen von der Einspruchsabteilung korrekt befunden. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den bereits am 23. März 2010 benannten Zeugen Herr Steinparzer nicht zu hören, stelle daher einen schwerwiegenden Verfahrensfehler dar. Somit sei eine Vernehmung der Zeugen Steinparzer und Bruch durch die Beschwerdekammer bzw. durch die Einspruchsabteilung nach Zurückverweisung an die erste Instanz gerechtfertigt.

Zulässigkeit D14

Das Fachbuch D14 sei erst jetzt zugänglich gewesen. Es enthalte nur eine Skizze, deren Inhalt leicht erfassbar sei; seine Zulassung in das Verfahren sei daher gerechtfertigt. Zudem sei D14 in Bezug auf die erfinderische Tätigkeit des aufrechterhaltenen Anspruchs 1 hochrelevant. Die Kammer könne daher D14 nicht "sehenden Auges" unberücksichtigt lassen.

Hauptantrag: Erfinderische Tätigkeit

D3 stelle den nächstliegenden Stand der Technik dar. Anspruch 1 wie erteilt unterscheide sich von Figur 1 der D3 durch eine Abgasrückführung, welche von der Gesamtabgasleitung (Abgaszweig 4) abzweige, anstatt irgendwo von der gezeigten Zylinderbank des Motors 1. In der Ausführungsform nach Figur 6 der D2 sei eine solche Abgasrückführung zum Zwecke der Verminderung von NOx Emissionen mittels hoher AGR-Raten bereits offenbart. Wie in Anspruch 1 des Patents gefordert, zeige nämlich auch Figur 6 der D2 eine Abgasrückführung (Abgasrückführleitung 32) die in Fluidverbindung mit dem gesamten über Knotenpunkte P1 zusammenhängenden Abgassystem steht. Die stromabwärts liegende Zwillingsturbine 13A/B sei ebenfalls wie in Anspruch 1 gefordert "in" dieser in Figur 6 offenbarten Gesamtabgasleitung angeordnet. Absatz 0038 der D2 führe auch nicht von "hohen" AGR-Raten weg, denn die AGR-Raten in Absatz 0035 des Patents seien wegen deren Berechnung mittels der angegebenen Bruchformel (2 Summanden im Nenner, Ergebnis kleiner als 100%) nicht mit der 50% Rückführrate aus Abs. 0038 der D2 vergleichbar. Da dem Fachmann hinlänglich bekannt sei, dass hohe AGR-Raten der Verminderung von NOx Emissionen dienten, und Figur 6 der D2 eine gegenüber D3 erhöhte AGR-Rate suggeriere, würde der Fachmann die Leitung der Abgasrückführung in Figur 1 der D3, genauso wie in Figur 6 der D2 gezeigt, von der Gesamtabgasleitung (Abgaszweig 4) stromaufwärts der Turbinen abzweigen, um dadurch direkt zum erteilten Anspruch 1 zu gelangen. Anspruch 1 des Hauptantrags beruhe daher auf keiner erfinderischen Tätigkeit.

Hilfsantrag: Klarheit

Da außer in den erteilten Ansprüchen 14 und 15 zuvor kein Kühler genannt sei, sei ein "zusätzlicher" Kühler in Anspruch 16 wie erteilt, und damit auch im neuen Anspruch 1 des Hilfsantrags, ohne die Merkmale der Ansprüche 14 und 15 nicht klar.

Hilfsantrag: Erfinderische Tätigkeit

Anspruch 1 des Hilfsantrags schließe nicht aus, dass die in Figur 2 der D2 gezeigte Ladeluftleitung 25 nach dem Einmündungspunkt P2 bis hin zum Eintritt in den Motor 1 ebenfalls die "Leitung zur Abgasrückführung" darstelle. Jedenfalls werde Abgas mittels des Ladeluftkühlers 27 in D2 gekühlt. Daher sei der in Figur 6 gezeigte Ladeluftkühler 27 als "zusätzlicher Kühler" in der Abgasrückführleitung zu verstehen, und Anspruch 1 im Lichte der D3 und D2 für den Fachmann nahe gelegt. Somit sei auch der aufrechterhaltene Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag nicht erfinderisch.

VIII. Die Beschwerdeführerin Patentinhaberin hat im Wesentlichen folgende Argumente vorgetragen:

Einvernahme von Zeugen

Die Einsprechende unterliege bei der Geltendmachung von Vorbenutzungen dem hohen Maßstab der fast lückenlosen Beweisführung. Ein solcher Nachweis wurde nicht vollbracht, insbesondere wurde kein vollständiger Nachweis in Bezug auf die Zugänglichkeit spezifischer Merkmale des Anspruchs 1 vorgetragen. So sei etwa der Vortrag zur Diapräsentation D10 lückenhaft, z.B. hinsichtlich Dauer, Lichtverhältnisse, oder Erläuterung einzelner Folien. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung Herrn Steinparzer nicht zu hören sei daher rechtsfehlerfrei. Der Vortrag zur Vorbenutzung sei keinesfalls so relevant, dass zum jetzigen Verfahrensstand die letztlich im Beschwerdeverfahren extrem verspätet angebotenen Zeugen zu berücksichtigen seien.

Zulässigkeit D14

Das Vorbringen sei auch hier wieder extrem spät, und daher weder fair noch zumutbar. Gerade die Einfachheit, nämlich die gezeigte rein schematische Darstellung kompliziere die Bewertung der D14. In jedem Fall müsse die Sachlage noch erörtert werden, und es sei zu überlegen, als Reaktion auf D14 weitere Hilfsanträge zu stellen. Da D14 plötzlich ausgerechnet das erfindungswesentliche Merkmal des Anspruchs 1 der aufrechterhaltenen Fassung betreffe, sei es nicht leicht, neue Hilfsanträge noch während dieser Verhandlung vorzulegen.

Hauptantrag : Erfinderische Tätigkeit

Figur 6 der D2 offenbare keine "Gesamtabgasleitung" im Sinne des Anspruchs 1 wie erteilt, da die Zwillingshochdruckturbine 13A/B zweiflutig sei. Aus diesem Grund sei die Turbine in Teilabgasleitungen, aber nicht "in" einer Gesamtabgasleitung wie im erteilten Anspruch 1 gefordert, angeordnet. Hohe AGR-Raten zur Verminderung von Schadstoffemissionen seien dem Fachmann zwar bekannt. Dies gehe aber zu Lasten des Ladedrucks, weshalb D2 dem Fachmann in Abs. 0038 lediglich vergleichsweise niedere AGR-Raten bis maximal 50% suggeriere, wohingegen im Patent, vgl. Abs. 0035, hohe AGR-Raten von 60 bis 70% und mehr erzielt würden. Eine Abgasrückführung nach Figur 6 der D2 zur Erhöhung der AGR-Raten, und damit zur Reduzierung der Schadstoffe vorzusehen, werde dem Fachmann ausgehend von D3 daher durch D2 gerade nicht vorgeschlagen. Aus diesem Grund sei ausgehend von D3 eine Abgasrückführung, die von einer Gesamtabgasleitung (Abgaszweig 4) oberhalb der Hochdruckturbine abzweigt, wobei die Turbine zudem in der Gesamtabgasleitung angeordnet ist, durch D2 für den Fachmann zur Reduzierung von NOx auch nicht nahe gelegt. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag sei daher erfinderisch.

Hilfsantrag: Klarheit

Der Einwand betreffe die erteilten Ansprüche und sei wegen G 3/14 daher unzulässig.

Hilfsantrag: Erfinderische Tätigkeit

Die Ladeluftleitung 25 mit Ladeluftkühler 27 stromabwärts des Einmündungspunktes P2 der Abgasrückführleitung 32 in Figur 6 der D2 stellten keinen Teil der Leitung zur Abgasrückführung nach Anspruch 1 wie aufrechterhalten dar. Wenn überhaupt, lehre D2 lediglich, dass Teile des rückgeführten Abgases in der Gesamtansaugleitung (Ladeluftleitung 25) vom Ladeluftkühler gekühlt werden. Ein zusätzlicher Kühler in der Abgasrückführleitung sei jedenfalls für den Fachmann nicht nahe gelegt. Daher beruhe auch Anspruch 1 des Hilfsantrags im Lichte der D3 und D2 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Einvernahme von verspätet angebotenen Zeugen

2.1 Es herrscht Übereinstimmung unter den Parteien, dass die angeblich offenkundigen Vorbenutzungen während des BMW-Techniktags in München und Steyr, erstens durch Diavorführung des Dokuments D5 und zweitens durch Präsentation eines zerlegten Motors aus Dokument D5, mit Schriftsatz der Einsprechenden Beschwerdeführerin vom 23. März 2010 geltend gemacht wurden. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Einspruch der Beschwerdeführerin, was die Veröffentlichung am BMW Techniktag betrifft, nur auf den schriftlichen Stand der Technik D5 gestützt.

2.2 Die Kammer verweist auf die ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern(vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 7. Auflage 2013 (ReBK), III.G.4.3.2), wonach das Europäische Patentamt an die Behauptung einer Vorbenutzung sehr strenge Anforderungen stellt. Es gilt der hohe Beweismaßstab des (fast) zweifelsfreien Nachweises. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Umstand, dass praktisch alle Beweismittel dem Wissen des Einsprechenden unterliegen, wohingegen die Patentinhaberin lediglich die Beweisführung angreifen kann, indem sie auf darin enthaltene Widersprüche oder Lücken hinweist.

2.3 Demzufolge sind zur Substantiierung, also vollständigen Begründung einer Vorbenutzung, mit Einlegung des Einspruchs zuallererst jene Tatsachen und Beweismittel vorzulegen, anhand derer die Einspruchsabteilung (und die Inhaberin des Streitpatents) ohne eigene Ermittlung folgende Feststellungen treffen kann:

a) "was" wurde vorbenutzt: die Einsprechende hat anzugeben, welche erkennbaren Merkmale und Eigenschaften dem behaupteten Stand der Technik ihrer Meinung nach objektiv entnommen werden konnten. Hierbei hat die Aufzählung der Merkmale in derart abstrahierter Form zu erfolgen, dass eine etwaige Wesensgleichheit oder -ähnlichkeit des benutzten Gegenstandes mit dem Gegenstand des Streitpatents festgestellt werden kann.

b) "wann" wurde vorbenutzt: anzugeben ist das Datum der Benutzung, also ob vor dem Anmeldetag des Patents eine Benutzung erfolgt ist.

Dieses Substantiierungserfordernis einer Vorbenutzung ist im vorliegenden Fall unbestritten erfüllt und gilt für die Parteien zudem als bewiesen: der BMW Techniktag in München und Steyr fand vom 22. bis 24 Juni 2004 statt.

c) "wie" wurde vorbenutzt: anzugeben sind alle Umstände der Benutzung, durch die diese der Öffentlichkeit (insbesondere "wem") zugänglich wurde, z.B. Ort und Art der Benutzung.

2.4 Ferner spielt bei der Komplexität von Vorbenutzungen eine Rolle, ob ein früheres Vorbringen von Beweismitteln zur Stützung behaupteter Tatsachen für die Einsprechende möglich war und ob dies von ihr erwartet werden konnte, etwa das Angebot der Einvernahme eines Zeugen.

2.5 Zur Stützung der Umstände der öffentlichen Zugänglichmachung von D5 reichte die Einsprechende Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall am 26. März 2010, das heißt fast ein Jahr nach Einspruchseinlegung und somit verspätet die Video-CD gemäß D10 und eine Teilnehmerliste der BMW Techniktage D11 ein. Darüber hinaus legte die Einsprechende Beschwerdeführerin sehr spät, nämlich erst zur mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 17. Mai 2011, eine eidesstattliche Versicherung D13 des Zeugen Fritz Steinparzer vor.

2.6 Die Benennung des Zeugen Steinparzer seitens der Einsprechenden Beschwerdeführerin bzw. ein Antrag auf Anhörung des Zeugen erfolgte aber zu keinem Zeitpunkt des Einspruchsverfahrens. So heißt es im verspäteten Schriftsatz der Einsprechenden Beschwerdeführerin vom 23. März 2010 auf Seite 9 oben "Gerne sind wir auch bereit...als Zeuge zu benennen". Darin vermag die Kammer keine unbedingte Zeugenbenennung zu sehen.

Zudem trägt die Einsprechende Beschwerdeführerin nicht vor, wozu der Zeuge gehört werden soll. Allein die Tatsache, dass der Zeuge Steinparzer zur Zeit der Techniktage Motoren 2004 Leiter der Entwicklung Dieselmotoren bei BMW, Steyr war, ist hierfür nicht ausreichend. Auf dieser Grundlage hätte die Einspruchsabteilung also eine Ladung nicht vornehmen können.

2.7 Die Kammer ist daher der Auffassung, dass in der Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Zeugen Steinparzer nicht als Zeugen zu hören, kein Verfahrensfehler gesehen werden kann.

2.8 Im schriftlichen Einspruchsverfahren erfolgte insbesondere zu dem erfindungswesentlichen Merkmal des Anspruchs 1, nämlich der Anordnung des behaupteten Abgasrückführungssystems aus D5 in Bezug auf eine Gesamtabgasleitung, kein substantiierter Vortrag, also zu der Frage "was" eigentlich anhand des Diavortrags D10 (Video), oder anhand des zerlegten BMW Motors im Detail "wie" präsentiert wurde, dass ausgerechnet dieses Merkmal, welches aus D5 nicht unmittelbar hervorgeht, für die Öffentlichkeit beim BMW Techniktag tatsächlich zugänglich war.

2.9 Dieser Mangel hätte im Übrigen in der Verhandlung vor der Einspruchsabteilung selbst durch Beweisbeschluss am Tag der Verhandlung und Zeugeneinvernahme des Zeugen Steinparzer (falls er denn noch als Zeuge am Tag der Verhandlung angeboten worden wäre) nicht behoben werden können. Im Gegensatz zur Auffassung der Einsprechenden Beschwerdeführerin konnten nämlich durch die Einvernahme des Zeugen Steinparzer fehlende Tatsachen nicht im Nachhinein ergänzt werden. Dies gilt insbesondere für solche Umstände, aus denen nun Details der Abgasrückführung mit ganz bestimmten Merkmalen bei der Präsentation der Dias oder des zerlegten Motors für die Öffentlichkeit zugängig gemacht worden waren. Denn hierzu liegen seitens der Einsprechenden Beschwerdeführerin auch in der erst zur Verhandlung vorgelegten eidesstattlichen Versicherung D13 keine Angaben vor.

Zeugen können Tatsachenbehauptungen lediglich durch ihre Aussage erhärten, also unter Einvernahme bejahen, aber nicht anstelle der Einsprechenden Beschwerdeführerin vortragen, um dadurch Lücken in der Substantiierung der angeblichen Vorbenutzung zu füllen (vgl. ReBk III.G.2.2).

2.10 Darüber hinaus erfolgte im schriftlichen Beschwerdeverfahren zur behaupteten Vorbenutzung der Abgasrückführung erneut kein substantiierter Vortrag: auf den Seiten 2 und 3 der verspäteten Eingabe vom 27. Mai 2014 wird lediglich Anspruch 1 erwähnt und behauptet, dass Herr Steinparzer bezeugen könne, dass der ausgestellte Motor Anspruch 1 entspräche. Eine solch pauschale Behauptung der Einsprechenden Beschwerdeführerin kann nach Ansicht der Kammer jedenfalls die Anforderung an die Substantiierung der Zugänglichmachung der fraglichen Merkmale einer Vorbenutzung nicht erfüllen.

Wie von der Patentinhaberin Beschwerdeführerin argumentiert, wurden erneut keine Angaben zu den Umständen gemacht, wie spezifische Merkmale aus der Diashow oder dem zerlegten Motor abgeleitet werden konnten, also dass z.B. bestimmte Folien aus D5 während der Diashow oder Motorpräsentation zu fraglichen Merkmalen näher erläutert wurden.

2.11 Zu der Auflistung der Anspruchsmerkmale auf Seite 3 der Eingabe vom 27. Mai 2014, vorletzter Absatz, ist zudem festzustellen, dass das genannte Merkmal "h)", also die Anordnung bzw. Abzweigung der Abgasrückführung, offenbar den zitierten Seiten 4 und 23 der D5 nicht zu entnehmen ist. In der Verhandlung vor der Kammer führte die Einsprechende Beschwerdeführerin dann aus, dass das Merkmal "h)" anstatt auf Seite 4, auf Seite 7 der D5 zu finden sei, aber auch dort ist dieses erfindungswesentliche Merkmal des Anspruchs 1 nicht ersichtlich. Schließlich kann der ebenfalls angebotene Zeuge Bruch nach dem Vortrag der Einsprechenden Beschwerdeführerin lediglich bekräftigen, dass D5 der Öffentlichkeit "in Hardware gezeigt und ausführlich erklärt", und das "Verfahren" gemäß Video D10 den geladenen Teilnehmern "vorgestellt" wurde. Diese pauschalen Angaben stellen jedoch wiederum keine konkrete Kenntnis über die Umstände der Zugänglichmachung der Abgasrückführung gemäß Kennzeichen des Anspruchs 1 des Streitpatents in das Wissen des Zeugen Bruch, siehe Seite 8 der Eingabe vom 27. Mai 2014, vorletzter Absatz.

2.12 Die Kammer ergänzt, dass weder im Einspruchs- noch im Beschwerdeverfahren nachvollziehbare Gründe für die erhebliche Verfahrensverzögerung - zu Ungunsten der Patentinhaberin Beschwerdeführerin - bei der Geltendmachung der Vorbenutzungen und deren Stützung (ein Jahr nach Einlegung des Einspruchs, u.a. gestützt auf fünf Jahre verspätete Zeugenangebote) von der Einsprechenden Beschwerdeführerin genannt wurden.

2.13 Zusammenfassend sieht die Kammer daher keinen Anlass, die nun nach ihrer Beschwerdebegründung vom 5. September 2011 mit abermals verspäteter Eingabe vom 27. Mai 2014 von der Einsprechenden Beschwerdeführerin letztlich angebotenen Zeugen Steinparzer oder Bruch zur Beweisaufnahme (vor der Einspruchsabteilung oder der Beschwerdekammer) gemäß Artikel 12(4) und 13(1) VOBK ins Verfahren zuzulassen.

Die Anträge auf Zeugeneinvernahme durch die Kammer bzw. auf Zurückverweisung an die erste Instanz zur Zeugeneinvernahme waren somit in Hinblick auf die geltend gemachten Vorbenutzungen als unzureichend substantiiert und daher prima facie nicht relevant, und als ungerechtfertigt, da unbegründet verspätet, zurückzuweisen. Insbesondere vermag die Kammer auch keinen Verfahrensfehler der Einspruchsabteilung zu erkennen, die Zeugen nicht gehört zu haben, siehe oben unter Punkt 2.7.

2.14 Die Einspruchsabteilung hatte die angeblich offenkundigen Vorbenutzungen als nicht bewiesen erachtet, vgl. Einspruchsentscheidung, Punkte 17 und 18. Die Einsprechende Beschwerdeführerin räumt ein, dass ohne Einvernahme der Zeugen eine Überprüfung durch die Kammer zum gleichen Ergebnis führen würde. Auch die Kammer hat keinen Grund, von der Entscheidung der Einspruchsabteilung abzuweichen.

3. Zulässigkeit verspätetes Beweismittel

3.1 Die Einreichung des Auszugs D14 aus einem Fachbuch erfolgte praktisch zum spätest möglichen Zeitpunkt, nämlich 4 Tage vor der mündlichen Verhandlung vor der Kammer. Nach Auffassung der Einsprechenden Beschwerdeführerin sei D14 für sie erst jetzt zugänglich gewesen, deren Inhalt leicht erfassbar und in Bezug auf die erfinderische Tätigkeit des Anspruchs 1 wie aufrechterhalten hochrelevant. Aufgrund der Einfachheit und Kürze sei es daher durchaus zumutbar, dass sich die Patentinhaberin Beschwerdeführerin (und auch die Kammer) mit D14 auseinandersetze. Wegen dessen Relevanz könne die Kammer den Fachbuchauszug D14 zudem nicht einfach "sehenden Auges" unberücksichtigt lassen.

3.2 Die Kammer ist der Ansicht, dass das Auffinden eines Fachbuchs, offenbar für Maschinenbaustudenten, die extreme Verspätung seiner Vorlage, nämlich über 6 Jahre nach Einspruchseinlegung, wohl nicht rechtfertigen kann. Darüber hinaus wäre es zu diesem Verfahrenszeitpunkt weder für die Patentinhaberin Beschwerdeführerin noch für die Kammer zumutbar bzw. fair, auf die verspätete Vorlage der D14 während der Verhandlung angemessen zu reagieren. Dies umso mehr, als die Einsprechende Beschwerdeführerin im bisherigen Beschwerdeverfahren der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung nur die geltend gemachten Vorbenutzungen wegen mangelnder Neuheit dem aufrechterhaltenen Anspruch 1 entgegenhielt, und jetzt erstmals Dokument D14 zur Begründung mangelnder erfinderischer Tätigkeit im Lichte der D3 und D2 ("fresh case") vorlegt.

3.3 Die Patentinhaberin Beschwerdeführerin erwägt, zu Recht, als Reaktion weitere Hilfsanträge zu stellen (vgl. Artikel 13(2) VOBK). Dies würde aus Sicht der Kammer zum Stand des Verfahrens mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verlegung der Verhandlung führen, da eine Diskussion der neuen Sachlage wohl schon zur aufrechterhaltenen Fassung, in jedem Fall aber in Bezug auf neu zuzulassende Hilfsanträge über den Rahmen der Verhandlung hinausgehen würde. Zur angeblich hohen Relevanz der D14 verweist die Kammer auf den Umstand, dass es im Beschwerdeverfahren nach Anberaumung einer mündlichen Verhandlung und insbesondere unmittelbar vor bzw. während der Verhandlung, auf die Relevanz bei der Frage der Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung von späten Änderungen des Vorbringens einer Partei de facto nicht mehr ankommt (vgl. Artikel 13(3) VOBK).

3.4 In Ausübung ihres Ermessens kam eine Zulassung der D14 ins Verfahren für die Kammer folglich nicht in Betracht.

4. Hauptantrag: Erfinderische Tätigkeit

4.1 Die Kammer stimmt mit der Ansicht der Einsprechenden Beschwerdeführerin (und der Einspruchsabteilung auf Seite 9 ihrer Entscheidung) insofern überein, dass im Kennzeichen des erteilten Anspruchs 1 unter der "Gesamtabgasleitung 4" das gesamte (zusammenhängende) Abgasleitungssystem stromaufwärts der Turbinen, also vom Austritt aus den Zylindern 3 bis hin zum Eintritt in die Hochdruckturbine 7a (bzw. in die erste Bypaßleitung 12) verstanden werden muss. Siehe Patent, Figur 1.

Dieses Verständnis wird auch von der Patentbeschreibung gestützt, wonach beispielsweise zwei Zylindergruppen, die jeweils über eine Abgasleitung verfügen, zu einer gemeinsamen Abgasleitung 4 zusammengeführt werden, wodurch sämtliche Abgasleitungen miteinander in Verbindung stehen und in sämtlichen Abgasleitungen derselbe Abgasdruck herrscht. Siehe Patent, Absatz 0095.

Erst durch eine Gesamtabgasleitung nach Anspruch 1 werden im Patent, siehe Absatz 0035, die erwünschten hohen AGR-Raten erreicht. Dies steht im Gegensatz zu Abgasrückführsystemen, bei denen nur aus einem einzelnen Zylinder oder einer separaten Zylinderbank (siehe z.B. Figur 7 der D8) in das Ansaugsystem zurückgeführt werden kann.

4.2 In Übereinstimmung mit den Parteien wird Figur 1 der D3 als nächstliegender Stand der Technik erachtet. Dokument D3, Figur 1 und Absätze 0019 bis 0025 offenbart alle Merkmale des erteilten Anspruchs 1 mit Ausnahme der beanspruchten Abzweigung der Abgasrückführung im Kennzeichen des Anspruchs 1. Denn Figur 1 und Absatz 0025 der D3 beschreiben eine Abgasrückführung (Abgasrückführleitung 12), welche nicht unmittelbar und eindeutig aus dem zusammenhängenden Abgasleitungssystem (Abgaszweig 4) zwischen Austritt aus den Zylindern und dem Eintritt in die Hochdruckturbine 2.1, sondern von einer nicht näher gezeigten bzw. beschriebenen schematisch angedeuteten Stelle an der Zylinderbank des Motors 1 abzweigt.

4.3 Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 unterscheidet sich von der Offenbarung aus D3 daher dadurch, dass eine Abgasrückführung vorgesehen ist, welche eine Leitung umfasst, die stromaufwärts der beiden Turbinen (Hochdruck 2.1 und Niederdruck 3.1 in Figur 1 der D3) aus der Gesamtabgasleitung (Abgaszweig 4) abzweigt.

Die diesem Merkmal zugrunde liegende Aufgabe kann (aufgrund der durch die Abzweigung der Abgasrückführung bewirkten hohen Abgasrückführraten) in einer Senkung der Stickoxidemissionen gesehen werden, siehe Patent, Abs. 0035.

4.4 Figur 6 der D2 zeigt zwei Abgasleitungen 20A/B, die stromaufwärts einer Zwillingsstromhochdruckturbine 13A/B an den Knotenpunkten P1 mit einer Abgasrückführleitung 32 in Fluidverbindung steht. Die Abgasrückführleitung 32 zweigt also stromaufwärts der beiden gezeigten Turbinen 13A/B (Hochdruck) und 16 (Niederdruck) aus den beiden Abgasleitungen 20A/B ab und mündet in eine Gesamtansaugleitung, nämlich die gezeigte Ladeluftleitung 25.

4.5 Für die Kammer ist erstens zu entscheiden, ob die zwei Abgasleitungen 20A/B in Figur 6 der D2 eine "Gesamtabgasleitung" im Sinne des erteilten Anspruchs 1 darstellen, oder nicht. Dies ist nach Auffassung der Kammer zu bejahen, siehe oben unter Punkt 4.1 zum Verständnis des Anspruchs 1, denn Figur 6 offenbart ein zusammenhängendes Abgassystem, welches zu einer gemeinsamen Leitung zusammengeführt ist: die Abgasrückführleitung 32 verbindet zwangsläufig stets die beiden Abgasleitungen 20A/B von den Abgassammelleitungen 6 der beiden Zylinderbänke, wodurch in sämtlichen Leitungen auch immer der gleiche Druck P1 herrscht.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob im Falle eines zweiflutigen Gehäuses der variablen Zwillingshochdruckturbine 13A/B in Figur 6 der D2 die Turbine anstatt "in einer Gesamtabgasleitung" nach Anspruch 1 des Patents "in Teilabgasleitungen" angeordnet sein könnte, wie von der Patentinhaberin Beschwerdeführerin behauptet. Die Kammer teilt hierzu die Ansicht der Einsprechenden Beschwerdeführerin, dass weder Anspruch 1 des Patents noch die Patentbeschreibung (vgl. Figur 1) dem Fachmann eine Stütze für ein derartiges Unterscheidungsmerkmal gegenüber D2 geben kann. Anspruch 1 erfordert lediglich, dass das Gesamtsystem, durch welches das gesamte Abgas strömt, stromabwärts in Fluidverbindung mit der Turbine steht. Die Zwillingsturbine 13A/B aus Figur 6 der D2 ist somit ungeachtet zweiflutiger Ausführungen ebenfalls "in" (vgl. Oberbegriff Anspruch 1) der "Gesamtabgasleitung" im Sinne des Verständnisses des Anspruchs 1 (vgl. Kennzeichen) angeordnet.

4.6 Zweitens ist für die Kammer zu entscheiden, ob der Fachmann zur Senkung von Stickoxidemissionen das Ausführungsbeispiel der Abgasrückführung nach Figur 6 der D2 in Betracht ziehen würde, oder nicht. Es herrscht Übereinstimmung, dass hohe AGR-Raten zur stärkeren Reduzierung von Stickoxidemissionen dem Fachmann hinlänglich bekannt, und daher grundsätzlich in Betracht gezogen werden. Dies umso mehr, als in Absatz 0048 der D2 explizit die vorteilhafte Abgasrückführleitung 32 nach Figur 6 der D2 zur optimalen Einstellung der Motorbetriebswerte hinsichtlich der Schadstoffemission (NOx, CO, CO2) vorgeschlagen wird.

Im Gegensatz zur Ansicht der Patentinhaberin Beschwerdeführerin kann auch die Passage in Absatz 0038 der D2, wonach "bis etwa 50% des Abgases" der Brennkraftmaschine der Ladeluftseite zurückgeführt wird, den Fachmann nicht vom Prinzip der Abgasrückführung nach Figur 6 der D2 wegführen. Wie von der Einsprechenden Beschwerdeführerin dargelegt, beziehen sich die in Absatz 0035 des Streitpatents angeblich erreichten "hohen" Abgasrückführraten von "60 bis 70 %" auf die zuvor in Absatz 0033 angegebene Formel, welche auf einer Massenberechnung von Abgas und Frischluft in Bruchform (mit 2 Summanden im Nenner, d.h. Ergebnis stets unter 100%) beruht, wohingegen in Absatz 0038 der D2 offenbar auf das Abgasvolumen abgestellt wird. Die im Patent erreichten AGR-Raten sind folglich nicht mit den AGR-Raten der D2 unmittelbar vergleichbar. Die Offenbarung aus D2 kann dem Fachmann daher keinen Anlass geben, die in Figur 6 gezeigte Abgasrückführung gerade nicht vorzusehen, weil dadurch womöglich "keine hohe" AGR-Rate erzielt werden würde.

4.7 Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass der Fachmann ausgehend von der nur schematisch in Figur 1 angedeuteten Abzweigung einer Abgasrückführung vom Motor 1 der D3, ohne weiteres zur Senkung von Stickoxidemissionen erhöhte Abgasrückführraten nach dem in D2 nach Figur 6 vorgeschlagenen Prinzip in Betracht ziehen würde, und die Abgasrückführleitung 12 der D3 stromaufwärts der in Figur 1 der D3 gezeigten Turbinen 2.1 und 2.2 von der Gesamtabgasleitung (Abgaszweig 4) abzweigen würde.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt gemäß Hauptantrag ist ausgehend von D3 somit im Lichte der D2 nahe gelegt und beruht daher auf keiner erfinderischen Tätigkeit.

5. Hilfsantrag: Klarheit

5.1 Am Ende des aufrechterhaltenen Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag wurde das Merkmal hinzugefügt, dass in der Leitung zur Abgasrückführung ein zusätzlicher Kühler vorgesehen ist. Dieses Merkmal beruht auf Anspruch 16 wie erteilt, der auf den erteilten Anspruch 1 rückbezogen ist. Die Einsprechende Beschwerdeführerin bemängelt die Klarheit der Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 16 auf der Anspruch 1 des Hilfsantrags basiert

5.2 Der vorliegend erhobene Klarheitseinwand resultiert nicht aus einer Änderung eines Anspruchs im Hilfsantrag der geänderten Fassung des Patents nach G 3/14 (ABl.2015, A102), vgl. Leitsatz, sondern würde bereits auf die erteilten Ansprüche 1 und 16 zutreffen. Unter G 3/14 ist der Einwand der Einsprechenden Beschwerdeführerin folglich unzulässig.

6. Hilfsantrag: Erfinderische Tätigkeit

6.1 Die Kammer teilt die Ansicht der Patentinhaberin Beschwerdeführerin (und der Einspruchsabteilung unter Punkt 14 ihrer Entscheidung), dass der neu hinzugefügte Wortlaut am Ende des Anspruchs 1 wie aufrechterhalten aus der Sicht des Fachmanns so zu verstehen ist, dass der in Figur 6 der D2 gezeigte Ladeluftkühler 27 keinen "zusätzlichen Kühler" einer Abgasrückführleitung 32 der D2 darstellt, welche, wie im aufrechterhaltenen Anspruch 1 gefordert, von der Gesamtabgasleitung 20A/B der D2 abzweigt (Punkte P1) und in die Gesamtansaugleitung 25 der D2 einmündet (Punkt P2). Dieser Umstand kommt in Anspruch 1 auch klar zum Ausdruck, wonach ein zusätzlicher Kühler "in" der Leitung zur Abgasrückführung (Abgasrückführleitung 32) vorzusehen ist, die im Gegensatz zur Auffassung der Einsprechenden Beschwerdeführerin technisch sinnvoll nicht gleichzeitig von der in Anspruch 1 definierten Gesamtansaugleitung (Ladeluftleitung 25) bis hin zum Motoreinlass gebildet werden kann.

Dieser zusätzliche Kühler in der Abgasrückführung stellt einen weiteren Unterschied der Brennkraftmaschine nach Anspruch 1 in der aufrechterhaltenen Fassung gegenüber dem Stand der Technik D3 dar. Der Kühler senkt die Temperatur des heißen Abgasstromes, vgl. Absatz 0100 der Patentschrift. Die objektiv technische Aufgabe kann entsprechend formuliert werden.

6.2 Ein zusätzlicher Kühler in der Leitung der Abgasrückführung ist ausgehend von D3 zur Kühlung der Abgase für den Fachmann durch D2 auch nicht nahegelegt, da in D2 eine Kühlung der rückgeführten Abgase unbestritten bereits auf andere Weise, nämlich mittels des Ladeluftkühlers 27 in der Ladeluftleitung 25 erfolgt. Es ist weder ausgeführt worden, noch ist es für die Kammer einleuchtend, warum der Fachmann (als weiteren Schritt) den Ladeluftkühler 27 der D2 versetzen, bzw. einen zusätzlichen Kühler zwischen dem Anfangspunkt P1 und dem Endpunkt P2 der Abgasrückführleitung 32 anordnen würde. Somit würde eine Kombination der Lehren aus D3 und D2 jedenfalls nicht zum Erfindungsgegenstand führen.

6.3 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags erfüllt daher die Erfordernisse der erfinderischen Tätigkeit. Der Verfahrensanspruch 17 des Hilfsantrags betrifft ein Verfahren zum Betreiben einer aufgeladenen Brennkraftmaschine nach Anspruch 1, setzt also die Merkmale der Maschine nach Anspruch 1 voraus, und ist erfüllt aus den gleichen Gründen die Erfordernisse des Artikels 52(1) und 56 EPÜ.

7. Da der Hilfsantrag gewährbar ist, erübrigt sich für die Kammer die Hilfsanträge 1 bis 5 zu berücksichtigen.

8. Die unabhängigen Ansprüche nach dem Hilfsantrag erfüllen daher alle Erfordernisse des EPÜ. Die Kammer bestätigt im Ergebnis die angefochtene Zwischenentscheidung, wonach unter Berücksichtigung der mit dem Hilfsantrag vorgenommenen Änderungen das europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen. Somit kann das Patent in geänderter Fassung aufrechterhalten werden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

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