European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2014:T195211.20140617 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 17 Juni 2014 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1952/11 | ||||||||
Anmeldenummer: | 00110991.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | B62D 15/02 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Lenkstockmodul mit Lenkwinkelsensor und geringer Empfindlichkeit des Lenkwinkelsensors gegenüber Rundlauffehlern der Lenksäule | ||||||||
Name des Anmelders: | Valeo Schalter und Sensoren GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Leopold Kostal GmbH & Co. KG | ||||||||
Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Klarheit der geänderten Ansprüche (nein) | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die am 12. Juli 2011 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr.1 069 025 widerrufen wurde.
II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des mit Schreiben vom 20. März 2007 eingereichten geänderten unabhängigen Anspruchs 1 gegenüber dem Inhalt des Dokuments WO-A-00/76811 (D2) nicht neu sei.
III. Am 17. Juni 2014 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.
Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrags, hilfsweise auf der Grundlage des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 1 oder der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 4 (umnummeriert als Hilfsanträge 2 bis 5).
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
IV. Der Anspruch 1 gemäß Hauptantrag hat den folgenden Wortlaut (Merkmalsgliederung wie von der Patentinhaberin vorgeschlagen):
a) Lenkstockmodul für Kraftfahrzeuge
b) mit einer Signalübertragungskassette (1)
c) wobei die Signalübertragungskassette (1) einen mit einem Lenkrad des Kraftfahrzeugs drehbaren Teil (71) aufweist, und
d) mit einem Lenkwinkelsensor (3),
e) wobei der Lenkwinkelsensor (3) eine im Gehäuse (47) des Lenkwinkelsensors (3) drehbar gelagerte Codescheibe (27) aufweist,
f) dadurch gekennzeichnet, dass die Codescheibe (27) in einem Lagerring (49) und einem Lagerstück (57) gelagert ist,
g) wobei das Lagerstück (57) mit dem drehbaren Teil (71) der Signalübertragungskassette (1) dadurch drehfest verbunden ist,
h) dass am Lagerstück (57) bzw. am drehbaren Teil (71) der Signalübertragungskassette (1) mindestens ein in axialer Richtung weisender Vorsprung (16) vorgesehen ist,
i) der in eine sich in radialer Richtung erstreckende Ausnehmung (75) im drehbaren Teil der Signalübertragungskassette (1) bzw. im Lagerstück (57) eingreift.
Im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 wurde gegenüber dem Anspruch 1 gemäß Hauptantrag der kennzeichnende Teil geändert, der wie folgt lautet:
"dadurch gekennzeichnet, dass die Codescheibe (27) drehfest zwischen einem Lagerring (49) und einem Lagerstück (57) gelagert ist, wobei das Lagerstück (57) mit dem drehbaren Teil (71) der Signalübertragungs-kassette (1) dadurch drehfest verbunden ist, dass am drehbaren Teil (71) der Signalübertragungskassette (1) mindestens ein in axialer Richtung weisender Vorsprung (16) vorgesehen ist, der in eine sich in radialer Richtung erstreckende Ausnehmung (75) im Lagerstück (57) eingreift."
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 entspricht dem Anspruch 1 gemäß Hauptantrag, wobei die Merkmale d) und f) jeweils durch die folgenden Merkmale ersetzt werden:
d) "mit einem ein Gehäuse (47) aufweisenden Lenkwinkelsensor (3),
f) dadurch gekennzeichnet, dass die Codescheibe (27) im Gehäuse (47) des Lenkwinkelsensors (3) in einem Lagerring (49) und einem Lagerstück (57) gelagert ist,"
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 entspricht dem Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2, wobei zusätzlich im Merkmal i) eingefügt wurde, dass die Ausnehmung (75) "langlochig" ist.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 entspricht dem Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 mit der Hinzufügung des folgenden Merkmals j):
j) "wobei die Ausnehmung (75) hin zur Längsachse der Lenksäule (5) offen ausgebildet ist".
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 entspricht dem Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 mit der Hinzufügung des folgenden Merkmals k):
k) "und dass die Signalübertragungskassette (1) und der Lenkwinkelsensor (3) als separate Bauteile ausgebildet sind."
V. Zur Stützung ihres Vorbringens brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes vor:
Das Merkmal e) des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag enthalte gegenüber seinem Pendant im erteilten Patentanspruch 1 die Präzisierung, dass die drehbare Lagerung der Codescheibe im Gehäuse des Lenkwinkelsensors erfolge. Die Merkmale g) bis i) seien den erteilten Patentansprüchen 2 und 3 entnommen worden, wobei die Einschränkung vorgenommen worden sei, dass nicht an der Codescheibe sondern am Lagerstück ein in axialer Richtung weisender Vorsprung bzw. eine Ausnehmung vorgesehen sei. Dies sei insbesondere im Absatz [0038] der Patentschrift offenbart.
Merkmal f) sei durch die vorgenommenen Änderungen nicht berührt und bleibe identisch mit Merkmal f) des erteilten Patentanspruchs 1. Der diesbezügliche auf Artikel 84 EPÜ gestützte Klarheitseinwand der Beschwerdegegnerin gehe somit nicht auf eine Änderungen zurück. Da Merkmal f) bereits einer Klarheitsprüfung durch die Prüfungsabteilung unterzogen worden sei, die es auch bestanden habe, sollte dieser Klarheitseinwand unberücksichtigt bleiben und die Beschreibung und die Zeichnungen zur Auslegung des Merkmals herangezogen werden. Aus dem Absatz [0035] der Beschreibung in Verbindung mit der Figur 3 der Patentschrift gehe klar hervor, dass das Lagerstück 57 und der Lagerring 49 drehfest miteinander verbunden seien und eine Baueinheit bildeten, die zur Lagerung der Codescheibe im Gehäuse des Lenkwinkelsensors diene. Da das Adjektiv "drehbar" im Merkmal f) nicht vorhanden sei, handele es sich um eine drehfeste Lagerung der Codescheibe im Lagerring mit Lagerstück. Folglich sei der Anspruch 1 gemäß Hauptantrag klar im Sinne von Artikel 84 EPÜ und dies gelte auch für den Anspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 2 bis 5.
Für den Fall, dass die Kammer die vorstehende Auffassung bezüglich der Klarheit nicht teilen sollte, werde eine geänderte Fassung des Merkmals f) in dem Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 eingereicht. Nach dieser Fassung sei die "Codescheibe drehfest zwischen einem Lagerring und einem Lagerstück gelagert". Dieser Wortlaut stelle klar, dass die Codescheibe für ihre drehbare Lagerung im Gehäuse des Lenkwinkelsensors drehfest mit dem Lagerring und dem Lagerstück verbunden und zwischen diesen gelagert ist, wie dies aus dem Absatz [0035] der Patentschrift hervorgehe.
VI. Die Gegenargumente der Beschwerdegegnerin, insofern sie für die vorliegende Entscheidung relevant sind, lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag erfülle nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ, da seine Formulierung widersprüchlich und somit missverständlich sei. Die Einspruchsabteilung sei in ihrer Entscheidung zu dem Ergebnis gekommen, dass der Anspruch "klar genug formuliert ist, um nachgearbeitet werden zu können". Bereits aus der Formulierung dieser Begründung werde deutlich, dass die Einspruchsabteilung hier die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ mit denen des Artikels 83 EPÜ verwechselt habe und sich infolgedessen mit dem Erfordernis der Klarheit im Sinne des Artikels 84 EPÜ gar nicht auseinandergesetzt habe.
Tatsächlich enthalte der Patentanspruch 1 einander widersprechende Aussagen. So sei nämlich gemäß dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 die Codescheibe "im Gehäuse des Lenkwinkelsensors drehbar gelagert", gemäß dem kennzeichnenden Teil dieses Patentanspruchs sei sie jedoch "in einem Lagerring und einem Lagerstück gelagert". Da weder der Lagerring noch das Lagerstück Bestandteile des Gehäuses seien, könne die Codescheibe, wenn sie in dem Lagerring und dem Lagerstück gelagert sei, nicht gleichzeitig im Gehäuse gelagert sein. Diese beiden Angaben seien also ganz offensichtlich miteinander unvereinbar, was zu einer unklaren Angabe über die tatsächliche Ausführung der Lagerung der Codescheibe in dem Lenkwinkelsensor führe.
Dieser Klarheitseinwand gelte auch für die Hilfsanträge 2 bis 5.
Der Hilfsantrag 1 sollte von der Kammer nicht in das Verfahren zugelassen werden, denn er löst das Klarheitsproblem nicht, sondern verursacht zusätzliche Schwierigkeiten.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Hauptantrag; Klarheit (Artikel 84 EPÜ)
2.1 Für die Kammer ist der Anspruch 1 des Hauptantrags unklar.
Das Merkmal e) des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag wurde gegenüber dem korrespondierenden Merkmal des erteilten Anspruchs 1 geändert. Es präzisiert nunmehr, dass die Codescheibe im Gehäuse des Lenkwinkelsensors drehbar gelagert ist (Hervorhebung der Änderung durch Fettdruck).
Merkmal f) des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag spezifiziert dagegen, dass die Codescheibe in dem Lagerring und dem Lagerstück gelagert ist.
Aus der Kombination der Merkmale e) und f) dürfte daher logischer Weise gefolgert werden, dass der Lagerring und das Lagerstück zum Gehäuse des Lenkwinkelsensors gehören. Da gemäß der Beschreibung und den Figuren weder der Lagerring noch das Lagerstück Bestandteile des Gehäuses sind, was auch von der Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung bestätigt wurde, kann die Codescheibe, wenn sie in dem Lagerring und dem Lagerstück gelagert ist, nicht gleichzeitig im Gehäuse gelagert sein. Diese beiden Angaben sind also ganz offensichtlich miteinander unvereinbar, was zu einer unklaren Angabe über die tatsächliche Ausführung der Lagerung der Codescheibe in dem Lenkwinkelsensor führt.
2.2 Die Beschwerdeführerin war der Auffassung, dass der Klarheitseinwand der Beschwerdegegnerin unberücksichtigt bleiben sollte, weil Merkmal f) bereits im erteilten Patentanspruch 1 enthalten war und Klarheit kein Einspruchsgrund ist. In Einklang mit der Rechtsprechung sollten deshalb die Beschreibung und die Zeichnungen zur Auslegung dieses Merkmals herangezogen werden.
Die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (G 1/84, ABl. 1985, 299) hat zwar bestätigt, dass die mangelnde Klarheit im Sinne von Artikel 84 EPÜ keinen Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 EPÜ darstellt. Dennoch ist für den Fall, dass die Patentinhaberin die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage von aus der Beschreibung bzw. den Figuren entnommenen Änderungen beantragt, die Beschwerdekammer aufgrund des Artikels 101(3)(a) EPÜ (entspricht Artikel 102(3) EPÜ 1973) befugt, die Änderungen unter Zugrundelegung der Erfordernisse des EPÜ insgesamt zu prüfen. Dazu gehört auch die Prüfung, ob durch die Änderung ein Verstoß gegen die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ entstehen kann.
Im vorliegenden Fall haben die im Anspruch 1 durchgeführte Änderungen - und zwar die Änderung des Merkmals e), die nicht auf die Kombination von erteilten Ansprüchen beruht, sondern auf die Beschreibung basiert- die Art der Lagerung der Kodescheibe betroffen, so dass es hier angebracht ist, in Hinblick auf die Lagerung der Codescheibe eine klare Bestimmung des durch den Wortlaut des Anspruchs definierten Schutzbegehrens zu verlangen.
2.3 Somit erfüllt der Anspruch 1 nicht das Erfordernis der Deutlichkeit der Patentansprüche gemäß Artikel 84 EPÜ.
3. Hilfsanträge 2 bis 5 (mit der Beschwerdebegründung eingereichte Hilfsanträge 1 bis 4)
Die Feststellung der mangelnden Klarheit des Anspruchs 1 gilt auch für den Anspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 2 bis 5, denn die oben genannten widersprüchlichen Angaben sind auch in dem jeweiligen Anspruch 1 dieser Hilfsanträge enthalten.
4. Hilfsantrag 1; Zulassung in das Verfahren
Betreffend den während der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hilfsantrag 1 hat die Kammer in der Ausübung ihres Ermessens entschieden, dass dieser Antrag die für die Zulassung zum Verfahren notwendigen Voraussetzungen nach Artikel 13 (1) VOBK (Verfahrensordnung der Beschwerdekammern) nicht erfüllt.
Die im Anspruch 1 dieses Hilfsantrags 1 durchgeführten Änderungen, werfen neue und komplexe Fragen hinsichtlich Artikel 84 EPÜ und Artikel 123 (2) EPÜ auf.
Weder der von der Beschwerdeführerin zitierten Offenbarungsstelle (Absatz [0035] der Patentschrift bzw. die entsprechende Stelle der EP-Anmeldung) noch den Figuren der Anmeldungsunterlagen ist klar zu entnehmen, dass die Codescheibe "drehfest zwischen einem Lagerring und einem Lagerstück gelagert ist". Die in dieser Textstelle erwähnte "Lagerung" scheint eine gewöhnliche drehbare Lagerung zu sein. Die beanspruchte drehfeste Lagerung der Codescheibe "zwischen einem Lagerring und einem Lagerstück" scheint zu implizieren, dass das "Lagerstück" und die "Codescheibe" als separate Bauteile ausgebildet sind. Dies geht aus dieser Offenbarungsstelle keinesfalls hervor. Auch die Verwendung des Begriffs "drehfest" in Bezug auf die beanspruchte Lagerung der Codescheibe ist weder explizit noch implizit offenbart und es stellt sich immer noch das Problem der Unvereinbarkeit dieser widersprüchlichen Anforderungen.
Folglich war die Zulassung dieses Hilfsantrags angesichts des Standes des Verfahrens und der gebotenen Verfahrensökonomie zu verneinen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.