T 1890/11 () of 20.9.2016

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2016:T189011.20160920
Datum der Entscheidung: 20 September 2016
Aktenzeichen: T 1890/11
Anmeldenummer: 05814475.9
IPC-Klasse: G02B 5/04
G02B 5/08
G02B 3/00
G02B 23/04
G01B 11/14
G01C 1/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: FERNROHR UND PANFOKAL-FERNROHR MIT PLANKONVEX- ODER PLANKONKAVLINSE UND DAMIT VERBUNDENEM UMLENKMITTEL
Name des Anmelders: Leica Geosystems AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 52(1)
European Patent Convention 1973 Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(3)
European Patent Convention 1973 R 67
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) richtet ihre am 17. Mai 2011 eingegangene Beschwerde gegen die Ent­scheidung der Prüfungsabteilung vom 17. März 2011, mit der diese die europäische Patentanmeldung Nr. 05814475.9 (Veröffentlichungs­nummer EP 1­ 815 278 und WO-A-2006/056475) zurück­gewiesen hat. Die Beschwerdegebühr wurde am 17. Mai 2011 zusammen mit der Einlegung der Beschwerde entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 27. Juli 2011 eingereicht.

Diese Patentanmeldung betrifft ein Fernrohr und ein Panfokal-Fernrohr zur beugungsbegrenzten Abbildung. Zur optischen Distanzmessung enthält die Vorrichtung ein auf der optischen Achse angeordnetes Umlenkmittel (Spiegel oder Prisma) zum Ein- oder Auskoppeln eines Messstrahls.

II. In der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung war die Patentanmeldung zurückgewiesen worden. Der Hauptantrag und die Hilfsanträge 2 und 3 waren nach Regel 137(3) EPÜ nicht zugelassen worden. Die in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 beanspruchte Vorrichtung wurde als nicht erfinderisch angesehen. In der Entscheidung wurden folgende Druckschriften aufgeführt:

D1: EP 1 081 459 A1;

D2: US 6 545 749 B1;

D3: JP 04 319 687 A;

D4: Warren J. Smith ed. - Warren j. Smith: "Modern Lens Design, Secondary Spectrum (Apochromatic Systems)", 1. Januar 1992 [1992-01-01], Modern Lens Design: A Resource Manual; [Optical and Electro-optical Engineering Series], New York [USA], MacGraw Hill, Seiten 72 - 75, ISBN: 978-0-07-059178-4;

D5: WO 2004/001333.

III. Mit ihrer Beschwerde vom 17. Mai 2011 beantragte die Beschwerde­­führerin, die Entscheidung über die Zurück­weisung der Patentanmeldung aufzuheben, den Hauptantrag sowie die Hilfsanträge 2 und 3 zuzulassen; ein Patent auf Basis des Hauptantrags zu erteilen; hilfsweise die Erteilung eines Patents nach einem der Hilfsanträge 1 bis 3; und weiter hilfsweise die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

Mit der Beschwerdebegründung vom 27. Juli 2011 beantragte sie zudem die Rückzahlung der Beschwerde­gebühr. Schließlich beantragte sie hilfsweise die Erteilung eines Patents nach einem der mit der Beschwerde­begründung neu eingereichten Hilfsanträge 2 oder 3.

IV. Mit Bescheid vom 17. Juni 2016 hat die Kammer zur mündlichen Verhandlung gemäß Regel 115 (1) EPÜ geladen. In einer als Anlage beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK hat sie ihre vorläufige Meinung geäußert, dass die Vorrichtung nach den unabhängigen Ansprüchen gemäß Hauptantrag sowie nach den Hilfs­anträgen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Bezüglich des Antrags auf Rückzahlung der Beschwerde­gebühr vertrat sie die Auffassung dass voraussichtlich die Bedingungen für eine Rückzahlung der Beschwerde­gebühr nicht gegeben seien.

V. Am 20. September 2016 fand eine mündliche Verhandlung statt. In der mündlichen Verhandlung beantragte die Beschwerdeführerin, die Zurückweisung aufzuheben und ein Patent auf Grundlage der folgenden Anspruchssätze zu erteilen:

Hauptantrag: Ansprüche 1 bis 14, eingereicht per Telefax am 21. Januar 2011;

Hilfsantrag 1: Ansprüche 1 bis 14, eingereicht während der mündlichen Verhandlung vom 20. September 2016;

Hilfsantrag 2: Ansprüche 1 bis 14, eingereicht während der mündlichen Verhandlung vom 20. September 2016;

Hilfsantrag 3: Ansprüche 1 bis 13, eingereicht während der mündlichen Verhandlung vom 20. September 2016;

Hilfsantrag 4: Ansprüche 1 bis 13 mit der Überschrift "Hilfsantrag 1", eingereicht per Telefax am 21. Januar 2011;

Hilfsantrag 5: Ansprüche 1 bis 13, eingereicht während der mündlichen Verhandlung vom 20. September 2016.

Die in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge 6 und 7 nahm die Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung zurück.

Die Beschwerdeführerin beantragte darüber hinaus die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

VI. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.

VII. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet mit alphabetischer Bezeichnung der Einzelmerkmale (zur Vereinfachung der Diskussion von der Kammer hinzugefügt) wie folgt:

"

a) Fernrohr zur beugungsbegrenzten Abbildung mit

b) einer Objektiveinheit mit wenigstens einer Linse (1),

c) einer Sendeeinheit (2) zum Aussenden eines Strahlenbündels als Sendestrahlenbündel (3) und/oder

d) einer Empfangseinheit (5) zum Empfangen eines Strahlenbündels als Empfangsstrahlenbündel (4),

e) wenigstens einem, insbesondere planoptischen, Umlenkmittel (6,6',7,8) mit wenigstens einer Spiegelfläche (SP) zum Einspiegeln des Sende­strahlenbündels (3) von der Sendeeinheit (2) in den optischen Strahlengang des Fernrohrs und/oder Ausspiegeln des Empfangsstrahlenbündels (4) aus dem optischen Strahlengang des Fernrohrs gegen die Empfangseinheit (5),

f) einem Bildaufrichtsystem (10),

g) einer Fokussiereinheit (11),

h) gegebenenfalls einer Zielachsenmarkierung (18), und

i) einem Okular (12),

j) wobei Objektiveinheit, Umlenkmittel, Bildaufricht­system, Fokussiereinheit und Okular entlang der optischen Achse des Fernrohrs angeordnet sind,

dadurch gekennzeichnet, dass

k) die wenigstens eine Linse (1) als Plankonvex- oder Plankonkavlinse ausgebildet ist, und die vorzugsweise, von der Objektivseite her gesehen, als hinterste Linse der Objektiveinheit ausgebildet ist und dass

l) das wenigstens eine Umlenkmittel (6,6',7,8) an der planen Fläche der Plankonvex- oder Plankonkavlinse angeordnet ist, wobei Linse (1) und Umlenkmittel (6,6',7,8) so miteinander verbunden sind, dass sie ein im Wesentlichen einstückiges Bauteil darstellen, wobei Umlenkmittel und Linse miteinander verbunden oder als aus einem Stück gefertigtes Bauteil ausgebildet sind."

VIII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags in den Merkmalen a), h) und j):

a) Fernrohr zur beugungsbegrenzten Abbildung, ausgebildet als Zielfernrohr für geodätische Anwendungen,

h) [deleted: gegebenenfalls] einer Zielachsenmarkierung (18), und

j) wobei Objektiveinheit, Umlenkmittel, Bildaufricht­system, Fokussiereinheit und Okular entlang der optischen Achse des Fernrohrs angeordnet sind und einen visuellen Fernrohrkanal bilden,

IX. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 in den Merkmalen c) und e):

c) einer Sendeeinheit (2) zum Aussenden eines Strahlenbündels als Sendestrahlenbündel (3),[deleted: und/oder]

e) wenigstens einem, insbesondere planoptischen, Umlenkmittel (6,6',7,8) mit [deleted: wenigstens] einer Spiegelfläche (SP) zum Einspiegeln des Sendestrahlenbündels (3) von der Sendeeinheit (2) in den optischen Strahlengang des Fernrohrs und[deleted: /oder] einer Spiegelfläche zum Ausspiegeln des Empfangsstrahlenbündels (4) aus dem optischen Strahlengang des Fernrohrs gegen die Empfangseinheit (5),

X. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 in den Merkmalen k) und l) und enthält das zusätzliche Merkmal m):

k) die wenigstens eine Linse (1) als Plankonvex- oder Plankonkavlinse ausgebildet ist, und die vorzugsweise, von der Objektivseite her gesehen, als hinterste Linse der Objektiveinheit ausgebildet ist, [deleted: und dass]

l) das wenigstens eine Umlenkmittel (6, 6',7,8) an der planen Fläche der Plankonvex- oder Plankonkav­linse angeordnet ist, wobei Linse (1) und Umlenkmittel (6,6',7,8) so miteinander verbunden sind, dass sie ein im Wesentlichen einstückiges Bauteil darstellen, wobei Umlenkmittel und Linse miteinander verbunden oder als aus einem Stück gefertigtes Bauteil ausgebildet sind[deleted: .] , und

m) wenigstens das Bildaufrichtsystem (10) und/oder die Fokussiereinheit (11) aus Glas mit einer relativen Teildispersion Pg,F , bezogen auf die Wellenlängen g = 435.8 nm und F = 486.1 nm, ausgebildet sind, welche Teildispersion um mindestens 0.005 von derjenigen von Normalgläsern abweicht, welche eine relative Teil­dispersion Pg,F = ag,F + bg,F * nyd besitzen, wobei ag,F = 1.7241 und bg,F = -0.008382 sind, und nyd die Abbesche Zahl bezogen auf die Wellenlänge d = 587.6 nm bezeichnet, sodass eine Korrektur von Abbildungsfehlern im Bildaufrichtsystem (10) beziehungsweise der Fokussiereinheit (11) erfolgt.

XI. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch das zusätzliche Merkmal m):

m) (,und )wenigstens das Bildaufrichtsystem (10) und/oder die Fokussiereinheit (11) aus Glas mit einer relativen Teildispersion Pg,F , bezogen auf die Wellenlängen g = 435.8 nm und F = 486.1 nm, ausgebildet sind, welche Teildispersion um mindestens 0.005 von derjenigen von Normalgläsern abweicht, welche eine relative Teildispersion Pg,F = ag,F + bg,F * nyd besitzen, wobei ag,F = 1.7241 und bg,F = -0.008382 sind, und nyd die Abbesche Zahl bezogen auf die Wellenlänge d = 587.6 nm bezeichnet, sodass eine Korrektur von Abbildungsfehlern im Bildaufrichtsystem (10) beziehungsweise der Fokussiereinheit (11) erfolgt.

XII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 in den Merkmalen a), h) und j):

a) Fernrohr zur beugungsbegrenzten Abbildung, ausgebildet als Zielfernrohr für geodätische Anwendungen,

h) [deleted: gegebenenfalls] einer Zielachsenmarkierung (18), und

j) wobei Objektiveinheit, Umlenkmittel, Bildaufricht­system, Fokussiereinheit und Okular entlang der optischen Achse des Fernrohrs angeordnet sind und einen visuellen Fernrohrkanal bilden,

XIII. Der Hauptantrag und die Hilfsanträge enthalten einen weiteren unabhängigen Anspruch bezüglich eines Panfokal-Fernrohrs und abhängige Ansprüche, die jedoch für den Zweck der vorliegenden Entscheidung nicht erheblich sind und deshalb nicht wiedergegeben werden.

XIV. Die Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Die Patentanmeldung offenbare ein breites Grundprinzip eines Fernrohrs mit Distanzmessung in allgemeiner Form. Einen ersten Kern der Erfindung bilde dabei die Idee der Verwendung einer Plankonvex- oder Plankonkav­linse in der Objektiveinheit, wobei direkt an der planen Seite der Linse das Umlenkmittel angeordnet sei. Dadurch werde das Ziel erreicht, dass weniger einzelne Bauteile im Fernrohr erforderlich seien und das Fernrohr dadurch kompakter, weniger zerstörungsanfällig und robuster sei sowie ggf. auch kostengünstiger hergestellt werden könne, insbesondere ohne dass dabei die Abbildungsqualität des Fernrohrs wesentlich darunter leide. Um bei gleichzeitiger Einschränkung der Freiheitsgrade bzgl. der Abbildungskorrektur dennoch die gattungsgemäß erforderliche hohe Abbildungs­­qualität zu gewährleisten, könne gemäß eines weiteren, zweiten Aspekts der Erfindung die Korrektur von Abbildungs-fehlern in Optiken anderer Glieder des Fernrohrs (wie Fokussier­glied und/oder Bildumkehrglied) verlagert werden.

In Einklang mit der Ansicht der Prüfungsabteilung werde die Druckschrift D1 als nächstliegender Stand der Technik betrachtet. Ausgehend von dieser Druckschrift ergäben sich, neben dem Vorhandensein eines Bild­umkehr­systems, die folgenden Differenzierungs­merkmale:

• Mindestens eine Linse des Fernrohrobjektivs sei als Plankonvex- oder Plankonkavlinse ausgebildet, und

• das Umlenkmittel sei an der planen Fläche dieser Plankonvex- bzw. Plankonkavlinse angeordnet, sodass Plankonvex- bzw. Plankonkavlinse und Umlenkmittel zusammen ein im Wesentlichen einstückiges Bauteil darstellten.

Als objektive technische Aufgabe könne das Bereitstellen eines verbesserten kompakteren Fernrohrs angesehen werden, wobei dieses robuster und weniger zerstörungs­anfällig sein solle.

Aus Sicht der Beschwerdeführerin geben die vorliegenden Druckschriften keinen Hinweis auf die in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag definierte Lösung. Zur Befestigung des Umlenkmittels 12 in der Vorrichtung aus der D1 mache diese Druckschrift keine Angaben. Deshalb sei davon auszugehen, dass dieses Umlenkelement durch irgendein Halteelement, wie z.B. die Glasplatte 6 aus der Druckschrift D3, gehalten werde. Die Aussage in Absatz [0022] der D1, dass der Abstand zwischen Spiegel 12 und der Frontlinse 11 möglichst kurz sein solle, bedeute, dass auf jeden Fall ein Abstand zwischen diesen Teilen verbleiben solle. Die Druckschrift D5 offenbare eine Anbringung des Umlenkmittels 102 an einer bikonvexen Linse, was, ebenso wie die Anbringung gemäß der Druckschrift D3, von der Erfindung wegführe. Weiter sei zu betonen, dass weder in der D1, noch in der D3 oder D5, zwecks Befestigung des Umlenkelements, das Linsensystem modifiziert werde. Deshalb seien die Gegen­stände der unabhängigen Ansprüche gemäß Haupt­antrag durch die Dokumente D1, D3 und D5 (sowohl jeweils alleine betrachtet als auch in der Zusammen­schau) nicht nahegelegt. Insbesondere offen­barten diese Druckschriften nicht die Verwendung von Plankonvex- oder Plankonkavlinsen im Rahmen der Objektiveinheit von Fernrohren.

Die Druckschrift D2 betreffe ein von der Druckschrift D1 und der Patentanmeldung weit entferntes technisches Gebiet von nichtabbildenden Entfernungsmessern. Zur Lösung der technischen Aufgabe der Bereitstellung eines verbesserten kompakteren Fernrohrs würde der Fachmann, ausgehend vom Fernrohr aus der Druckschrift D1, keineswegs auf die Druckschrift D2 zurückgreifen, da die dort verwendete Linse lediglich das auf einen Detektor einfallende Licht sammele und nicht zum Durchschauen geeignet sei. Solche Linsen bestünden häufig aus Kunststoff und vermöchten nicht, ein Gesichtsfeld abzubilden. Deshalb werde der Fachmann die im Strahlen­gang eines nichtabbildenden reinen Entfernungsmessers angeordneten optischen Elemente, wie die Linse aus der D2, nicht in einem optischen Durchsichtkanal eines abbildenden Fernrohrs verwenden. Tatsächlich seien mehrere für die Erfindung wesentliche Merkmale (optischer Durchsicht­kanal, für Fernrohre übliche vielfache Vergrößerungs­wirkung, hohe Abbildungs­qualität) nicht mit der Offenbarung aus D2 vereinbar. Schließlich könne der Druckschrift D2 kein Hinweis entnommen werden, dass die dort verwendete Linse auch in komplett andersartig aufgebauten optischen Systemen Anwendung finden könne, geschweige denn, dass durch die dort verwendete Linse mit Umlenkmittel ein kompakter Aufbau und eine Platz­ersparnis in einem Fernrohr erzielt werden könnten. Das Thema der Kompaktheit und Robustheit werde in der D2 generell nirgends angerissen. Die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche gemäß Haupt­antrag beruhten daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 enthalte die weitere Einschränkung, dass das Fernrohr für geodätische Anwendungen ausgebildet sei; dieses Merkmal finde sich auf Seite 1, Zeile 29, der veröffentlichten Patent­anmeldung. Das weitere Merkmal eines visuellen Fernrohr­kanals sei auf Seite 19, Zeile 14, und Seite 20, Zeilen 19 und 20 offenbart. Durch diese hinzugefügten Merkmale werde das technische Gebiet der beanspruchten Vorrichtung weiter eingeengt, wodurch eine Kombination des nächstliegenden Standes der Technik (D1) mit artfremden Druckschriften wie der D2 auszuschließen sei.

In Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 werde weiter definiert, dass das Umlenkmittel sowohl für das Einspiegeln des Sendestrahlenbündels als auch für das Ausspiegeln des Empfangsstrahlenbündels ausgelegt sei. Dies sei z.B. in der Figur 2 offenbart.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 enthalte die Merkmale aus Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 und weitere Merkmale aus Anspruch 1 des Hilfsantrags 1, welcher der angefochtenen Entscheidung zu Grunde gelegen habe.

Zudem werde dieser frühere Hilfsantrag 1 jetzt identisch als Hilfsantrag 4 vorgelegt. Durch die zusätzlichen Merkmale werde, neben der Verwendung einer Plankonvex- oder Plankonkavlinse, durch die Verwendung von Spezialgläsern eine Verlagerung der Bildkorrektur von der Planfläche in das Bildausrichtsystem und/oder die Fokussier­einheit ermöglicht. Eine solche Korrektur werde im Stand der Technik nirgendwo offenbart, wobei nach Auffassung der Beschwerdeführerin der Lehrbuch­auszug D4 lediglich das allgemeine Fachwissen dokumentiere.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 basiere auf Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 mit wahlweise einer Sendeeinheit und/oder einer Empfangseinheit und dementsprechender Ausführung des Umlenkmittels.

Wie in der Beschwerdebegründung vom 27. Juli 2011 ausführlich begründet worden sei, werde wegen der Nicht­zulassung des Hauptantrags in der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung und damit einhergehender Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör die Rückzahlung der Beschwerdegebühr beantragt.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag

2.1 Die Kammer lässt den von der Prüfungsabteilung nicht zugelassenen Hauptantrag zu.

2.2 Anspruch 1

In der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin die Druckschrift D1 als nächstliegenden Stand der Technik betrachtet. Nach ihrer Auffassung bildet einen ersten Kern der Erfindung die Idee der Verwendung einer Plankonvex- oder Plankonkav­linse in der Objektiv­einheit, wobei das Umlenkmittel direkt an der planen Seite der Linse angeordnet ist.

Nach Ansicht der Beschwerdeführerin kann die technische Aufgabe in der Bereitstellung eines verbesserten Fernrohrs gesehen werden. Auf Seite 6, letzter Absatz und Seite 7, 1. Absatz der Beschwerdebegründung führt die Beschwerdeführerin aus, dass die in der angegriffenen Entscheidung gemachte Aussage, dass die Umlenkmittel "in den schematischen Zeichnungen direkt hinter der Objektivlinse angeordnet sind", kaum als Motivation für genau diese technische Aufgabe angesehen werden können, da der D1 selbst nirgends irgendein Hinweis in diese Richtung zu entnehmen sei.

2.3 Dazu bemerkt die Kammer, dass die Druckschrift D1 in Absatz [0022] im Beispiel von Figur 2 eine "vereinfachte Ausführungsform des erfindungsgemäßen optischen Systems" offenbart. Bezüglich des Spiegels 12 (Umlenk2.9 mittel) wird betreffend die Minimierung eines möglichen Übersprechens betont: "Der Abstand zwischen dem Spiegel 12 und der Frontlinse 11 ist daher möglichst kurz, und der Reflexionsgrad der Spiegel­­­fläche 12 nahezu bei 100% festzulegen" (Hervorhebung durch die Kammer). Die von der Beschwerdeführerin vertretene Auffassung, dass diese Textstelle lediglich besagt, dass diese Elemente auf allen Fälle beabstandet sein sollen, teilt die Kammer nicht. Vielmehr beinhaltet diese Passage einen klaren Hinweis, nach technischen Lösungen zur Minimierung des Abstandes zwischen dem Umlenkelement und der Linse zu suchen. Der Fachmann auf dem Fachgebiet von optischen Distanz­messvorrichtungen/Teleskopen wird daher in den im Verfahren befindlichen Druckschriften auf diesem Gebiet nach Lösungen suchen. Die beanspruchte Lösung (Umlenkmittel an der Planfläche einer Plankonvex- oder Plankonkav­linse der Objektiv­einheit) erscheint aufgrund der bekannten Anordnungen (D2, D3, D5) eine naheliegende Möglichkeit.

2.4 Insbesondere die Druckschrift D2 zeigt in der Figur 1 eine Lösung für diese Aufgabe, bei welcher mittels des an einer plankonvexe Frontlinse 6 angeordneten Prismas 5 der Abstand zwischen diesen beiden Elementen minimiert wird und dadurch das Prisma vorteilhafter-­­weise lediglich eine geringe Abschattung der optischen Empfangsvorrichtung erwirkt (siehe D2, Spalte 4, Zeilen 42 - 46).

2.5 Die Beschwerdeführerin hat argumentiert, dass der Fachmann, ausgehend von der Druckschrift D1, zur Lösung der Aufgabe der Verbesserung des bekannten Fernrohrs Druckschriften auf dem technischen Gebiet der nichtabbildenden Entfernungsmesser nicht heranziehen würde.

Die Kammer vermag diese Ansicht nicht zu teilen: Schon die Druckschrift D1 offenbart Ausführungsformen mit sowohl (lediglich) einem Detektor (Fig. 2, 4, wie in der D2), als auch eine weitere Ausführungsform mit zusätzlich einer Fernrohrfunktion (Fig. 3 und 5). Daraus folgt, dass der Fachmann auf diesem Gebiet bei der Weiterentwicklung der Vorrichtung aus D1 sämtliche Offenbarungen auf dem Gebiet der optischen Distanz­messung (mit und ohne Fernrohrfunktion) beachten wird.

2.6 Die Beschwerdeführerin argumentiert weiter, dass die Druckschriften D1 und D2 in der Praxis nicht in Verbindung gebracht werden könnten, da mehrere für die Erfindung wesentliche Merkmale (optischer Durchsicht­kanal, für Fernrohre übliche vielfache Vergrößerungs­wirkung, hohe Abbildungsqualität) nicht mit der Offenbarung aus D2 vereinbar seien.

Dazu wird festgestellt, dass sich die von der Beschwerde­führerin genannten "wesentlichen" Merkmale teils nicht im Anspruch 1 wiederfinden. Außerdem sind diese Merkmale aus Sicht der Kammer bei der Vorrichtung aus der D1 bei den Ausführungsbeispielen in den Figuren 3 und 5 (Fernrohrsysteme mit Okular) berücksichtigt. Der Fachmann braucht daher der Druckschrift D2 lediglich die Information zu entnehmen, das Umlenk­mittel direkt mit einer Objektiveinheit mit Planfläche zu verbinden.

2.7 Da der Fachmann einerseits der Druckschrift D1 die Offenbarung entnimmt, den Abstand zwischen Umlenkmittel und Objektiveinheit zu minimieren, und da er andererseits aus der Druckschrift D2 die Information erhält, das Umlenkmittel (Prisma) an der Planfläche der Objektiveinheit zu befestigen, wobei zusätzlich die Abschattung minimiert wird, wird er diese Art der Befestigung des Umlenkmittels in der Vorrichtung aus D1 vorsehen.

2.8 Die Beschwerdeführerin hat ausgeführt, dass in der Erfindung das zuvor vorhandene Vorurteil zu überwinden gewesen sei, dass eine Verwendung von Plankonvex- oder Plankonkavlinsen im Rahmen der Objektiveinheit von Fernrohren zu ungenügender Abbildungsqualität führen würde. Die Kammer stellt fest, dass ein solches Vorurteil weder in der Patentanmeldung noch während des Prüfungsverfahrens schriftlich belegt wurde.

Da der Fachmann bei Anwendung der Lehre aus der D2 zur Befestigung des Umlenkelements an einer Planfläche einer plankonvexen Linse in einem Fernrohr nach D1 für das optische Design sämtliche Freiheitsgrade für die anderen Linsenelemente (Anzahl der Elemente, Abstand, Glassorten und Dispersion, Krümmungsradien, ggf. asphärische Oberflächen) zur Verfügung hat, ist das Design eines Fernrohrs mit einem Linsenelement mit Planfläche als fachüblich einzuschätzen. In diesem Zusammenhang wird festgestellt, dass die in der Druckschrift D1 gezeigte Frontlinse 11 des Fernrohr­objektivs rein schematisch dargestellt ist (Absatz [0022]: "wobei das Fernrohr­objektiv nur durch die Frontlinse 11 angedeutet ist") und die Offenbarung der D1 dem Fachmann für ein konkretes Design des Objektivs keinerlei Ein­schränkungen auferlegt. Ergänzend wird bemerkt, dass dann, wenn ein solches Design besondere Maßnahmen erfordern sollte, die vorliegende Patent­anmeldung dies­bezüglich keine konkreten Maßnahmen offenbart.

2.9 Bezüglich des Merkmals im Anspruch 1 "Bildaufricht­system", das in der Druckschrift D1 nicht explizit erwähnt ist, hatte die Prüfungsabteilung die Auffassung vertreten, dass ein solches System als implizit offenbart angesehen wird, da im Allgemeinen Fernrohre mit Okularen ein solches aufweisen. Zur Illustration hatte sie auf die Druckschrift D3 verwiesen, die in Abbildung 1 ein Bildaufrichtsystem innerhalb der Baugruppe 9 in einem ähnlichen Gerät aufweise. Weiter sei die Verwendung eines Bildaufrichtsystems in Fernrohren als fachübliche Gestaltungsoption anzusehen. Die Kammer teilt diese Auffassung.

2.10 Die Vorrichtung nach Anspruch 1 gemäß Hauptantrag beruht deshalb nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Art. 52(1) und 56 EPÜ 1973).

3. Hilfsantrag 1

3.1 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 enthält zusätzlich zu den Merkmalen aus Anspruch 1 gemäß Hauptantrag das Merkmal, dass das Fernrohr als Zielfernrohr für geodätische Anwendungen ausgebildet ist (Merkmal a), siehe VIII supra); das Vorhandensein einer Zielachsen­markierung (Merkmal h); und dass die optischen Elemente entlang der Achse des Fernrohrs einen visuellen Fernrohrkanal bilden (Merkmal j)).

3.2 Diese Merkmale finden sich ebenfalls im Tachymeter-Fernrohr aus dem Stand der Technik, siehe z.B. Druckschrift D1 (Bezeichnung dieser Patent­anmeldung, auch Anspruch 1) und der D5 (Zielachsenmarkierung, siehe Seite 5, Zeile 7 und Figur 1: "reticle" 105). Deshalb können sie nicht zur erfinderischen Tätigkeit beitragen. Daher beruht auch die Vorrichtung nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

4. Hilfsantrag 2

4.1 Anspruch 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 dadurch, dass die Vorrichtung sowohl eine Sendeeinheit als auch eine Empfangseinheit enthält und dass das Umlenkmittel zwei Spiegelflächen zum Ein- und Ausspiegeln der Strahlenbündel enthält. Bezüglich der Offenbarung dieses Anspruchs in den ursprünglichen Unterlagen hat die Beschwerdeführerin auf den ursprünglichen Anspruch 1 und das Ausführungsbeispiel in der Figur 2 verwiesen.

4.2 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 umfasst eine spezielle Auswahl der im ursprünglichen Anspruch 1 definierten Ausführungen ("... Sende­einheit ... und/oder einer Empfangseinheit") und ("Einspiegeln... und/oder Ausspiegeln") und war in dieser speziellen Kombination weder in den ursprüng­lichen Ansprüchen definiert noch im bisherigen Verfahren beansprucht worden. Der Anspruch wurde erst während der mündlichen Verhandlung vorgelegt.

4.3 Da diese erst während der mündlichen Verhandlung vorgelegte spezielle Merkmalskombination insbesondere bei der Recherche und im Sachprüfungs­verfahren nicht geprüft werden konnte, war es der Kammer nicht möglich, abschließend zu klären, zumindest nicht ohne eine Verlegung der mündlichen Verhandlung, ob diese spezielle Kombination zu einer erfinderischen Tätigkeit beitragen würde. Dieser Hilfsantrag 2 wurde daher nach Artikel 13(3) VOBK nicht zugelassen.

5. Hilfsantrag 3

5.1 Da Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 die gleiche Merkmalskombination wie Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 enthält, wurde auch dieser Hilfsantrag nach Artikel 13(3) VOBK nicht zugelassen.

6. Hilfsantrag 4

6.1 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 enthält zusätzlich zu den Merkmalen aus Anspruch 1 gemäß Hauptantrag die weiteren Merkmale bezüglich der Teildispersion des Bildaufrichtsystems bzw. der Fokussiereinheit zur Korrektur der Abbildungsfehler (siehe XI supra). In Abschnitt 3.4 der Entscheidungs­gründe hatte die Prüfungs­abteilung dazu festgestellt, dass die Auswahl der Glassorten, insbesondere solcher mit geeigneter Teildispersion, bei einer Systemauslegung für den Fachmann (Optikdesigner oder Optikrechner) fachüblich sei. Die Abteilung hatte ausgeführt, dass der Anspruch weder die konkreten Linsen oder Elemente noch die Glasarten der optischen Elemente definiere und betrachtete die in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 vorgeschlagene Lösung deshalb nicht als erfinderisch.

6.2 Zum zusätzlichen Merkmal in diesem Anspruch hatte die Beschwerdeführerin vorgebracht, dass dieses nicht lediglich die praktische Wahl einer Spezial-Glassorte für das Fokussierungsglied bzw. das Bildumkehrglied beinhalte, sondern die technische Lösung eines zweiten Aspekts der Erfindung betreffe, nämlich das generische Prinzip, die Korrektur von Abbildungsfehlern bei Fernrohren zumindest teilweise von der Objektiveinheit weg und hin zum Fokussierungs­glied und/oder Bildumkehrglied zu verlagern. Nach den Ausführungen der Beschwerdeführerin wirkt diese Lösung mit der Wahl einer Planfläche in der Eingangsoptik (wie in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag) zusammen. Deshalb sei für die Beurteilung der Patentierbarkeit die Kombination der Merkmale zusammen zu betrachten.

6.3 Die Kammer vermag diese Ansicht der Beschwerdeführerin nicht zu teilen. Zwar wird durch die Wahl einer der Linsenflächen der Eingangsoptik als Planfläche die Anzahl der Freiheitsgrade um einen verringert; die weitere Gestaltung dieser Optik bleibt jedoch frei (siehe Punkt 2.8 supra).

Weiter ist dem Fachmann die Verwendung von Gläsern mit anomaler Dispersion beim Entwurf hochwertiger Optiken (Apochromaten, beugungsbegrenzter Optiken) hinlänglich bekannt. Insbesondere sind solche Gläser vergleichs­weise teuer, schwierig zu bearbeiten und anfällig für Umwelteinflüsse. Siehe dazu Abschnitt 6.2 der Druckschrift D4, Seite 72, etwa Mitte des letzten Abschnitts ("Many, or most, of these materials are characterized by poor resistance to atmospheric attack, poor working characteristics in the shop, and frequently by a high price..."). Deshalb wird der Fachmann beim Systementwurf die Verwendung dieser Gläser nicht in der Eingangsoptik (große Öffnung und in Kontakt mit atmosphärischen Einflüssen), sondern vorzugsweise in den "hinteren" Baugruppen des Teleskops (kleinere Abmessungen und besser gegen Umgebungs­einflüsse geschützt) vorsehen.

6.4 Die in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 beanspruchte Vorrichtung beruht deshalb nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

7. Hilfsantrag 5

7.1 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 enthält zusätzlich zu Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 die Merkmale, dass das Fernrohr als Zielfernrohr für geodätische Anwendungen ausgebildet ist (Merkmal a)); das Vorhandensein einer Zielachsenmarkierung (Merkmal h)); und dass die optischen Elemente entlang der Achse des Fernrohrs einen visuellen Fernrohrkanal bilden (Merkmal j)). Wie in Punkt 3.1 supra in Zusammenhang mit Hilfsantrag 1 ausgeführt, sind diese Merkmale bei Tachymeter-Fernrohren üblich. Sie können deshalb nicht zur erfinderischen Tätigkeit beitragen.

8. Antrag auf Rückzahlung der Beschwerde­gebühr

8.1 Die Beschwerdeführerin hat die Rückzahlung der Beschwerde­­gebühr aufgrund von wesentlichen Verfahrens­mängeln beantragt. Sie hat dies mit der Nichtzulassung des Hauptantrags zum Prüfungsverfahren und damit einhergehender Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör begründet.

8.2 Gemäß Regel 67, Satz 1, EPÜ 1973 wird die Beschwerde­gebühr zurückgezahlt, wenn der Beschwerde abgeholfen oder ihr durch die Beschwerdekammer stattgegeben wird und die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrens­mangels der Billigkeit entspricht. Nachdem vorliegend der Beschwerde nicht stattgegeben wird, kommt eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nicht in Betracht.

8.3 Der Vollständigkeit halber erläutert die Kammer nachstehend, warum eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr auch wegen Fehlens eines wesentlichen Verfahrensmangels ausgeschlossen wäre.

8.4 Ein wesentlicher Verfahrensmangel im erstinstanzlichen Verfahren ist insbesondere die Nicht­gewährung des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 113(1) EPÜ 1973.

Nach dieser Vorschrift dürfen Entscheidungen des EPA nur auf Gründe gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Vorliegend geht es um die Frage der Zulassung zum Verfahren des am 21. Januar 2011 eingereichten Hauptantrags.

8.5 Dazu hatte der 1. Prüfer in einer telefonischen Rücksprache am 1. Februar 2011 die vorläufige Intention der Prüfungsabteilung mitgeteilt, den Hauptantrag sowie die Hilfsanträge 2 und 3 gemäß Regel 137(3) EPÜ nicht zum Verfahren zuzulassen und auch die Begründung hierfür gegeben:

Insbesondere bemängelte der Prüfer, dass aus dem neuen Hauptantrag lediglich Merkmale gestrichen worden seien, so dass die verbleibenden Merkmale im Wesentlichen der Anspruchsfassung vom 10. April 2008 entsprächen. Die Einwände bezüglich dieser Ansprüche (Art. 56 EPÜ) seien bereits im schriftlichen Verfahren diskutiert worden. Die Änderungen seien daher dem Fortgang des Verfahrens nicht zweckdienlich und würden im öffentlichen Interesse einer effizienten Verfahrensführung nicht zugelassen.

8.6 Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung wurde diese Auffassung der Prüfungsabteilung dem Vertreter während der mündlichen Verhandlung erneut mitgeteilt und wurde er dazu gehört. Im Einzelnen geschah demnach Folgendes (siehe Punkt 3 "Haupt­antrag"):

8.6.1 Der Vorsitzende teilte dem Vertreter die vorläufige Meinung der Prüfungsabteilung mit, dass der Hauptantrag gemäß Regel 137(3) EPÜ nicht zum Verfahren zuzulassen sei, und verwies auf die vorangegangene telefonische Rücksprache.

8.6.2 Der Vertreter war der Auffassung, dass die Merkmale jedes eingereichten Antrags diskutiert werden sollten und für jeden Antrag rechtliches Gehör zu geben sei, insbesondere da im vorliegenden Fall die Änderungen im Hauptantrag relativ geringfügig seien.

8.6.3 Der Vorsitzende bemerkte, dass die Merkmale des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag schon im schriftlichen Verfahren diskutiert worden seien und dass durch die Streichung von Merkmalen die Einwände gemäß Artikel 56 EPÜ nicht ausgeräumt würden.

8.6.4 Der Vertreter argumentierte, dass es im Sinne eines effizienten Verfahrens sei, den Hauptantrag zuzulassen, insbesondere im Hinblick auf ein späteres Beschwerdeverfahren.

9. Nach Einschätzung der Kammer wurde dem Vertreter während der mündlichen Verhandlung die Möglichkeit gegeben darzulegen, weshalb seiner Meinung nach der Hauptantrag zuzulassen sei (siehe 8.6.2 und 8.6.4).

9.1 Die Prüfungsabteilung hat dargelegt, erstmals in der telefonischen Rücksprache (siehe 8.5) und sodann während der mündlichen Verhandlung (siehe 8.6.1 und 8.6.3), weshalb ihrer Auffassung nach der Hauptantrag nicht zuzulassen war.

9.2 Die Patentanmelderin hat durch ihren Vertreter deshalb ihr Anliegen zur Frage der Zulassung des Hauptantrags vortragen können und wurde in ihrem Vortrag dazu nicht eingeschränkt. Sie wurde auch von der diesbezüglichen Auffassung der Prüfungsabteilung in Kenntnis gesetzt und hat dazu Stellung nehmen können.

10. Die Frage der Zulassung des Hauptantrags vom 21. Januar 2011 wurde demnach vor und während der mündlichen Verhandlung zwischen der Patentanmelderin und der Prüfungsabteilung eingehend diskutiert, und die Patentanmelderin hatte die Möglichkeit, ihr entsprechendes Anliegen vorzutragen. Auch war ihr die Auffassung der Prüfungsabteilung übermittelt worden und konnte sie dazu Stellung beziehen.

11. Im Ergebnis vermag die Kammer im Vorgehen der Prüfungsabteilung daher keine Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erkennen. Das steht im Einklang mit der Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer; siehe R 10/09, Nr. 2.2, bestätigt in R 11/11, Nr. 6.

12. Nur der Vollständigkeit halber sei ergänzt, dass die Zulassung des Hauptantrags zum Prüfungsverfahren gemäß Regel 137 (3) EPÜ im Ermessen der Prüfungsabteilung stand. Die Ausübung des Ermessens ist aber eine Frage des materiellen und nicht des Verfahrensrechts, so dass insoweit eine Anwendung von Regel 67, Satz 1, EPÜ 1973 nicht in Betracht kommt.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

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