T 1813/11 (Inaktivierung von Prionen/WEIGERT) of 22.3.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T181311.20130322
Datum der Entscheidung: 22 März 2013
Aktenzeichen: T 1813/11
Anmeldenummer: 03706394.8
IPC-Klasse: C11D 3/02
A61L 2/00
A61L 2/16
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Reinigung und Desinfektion chirurgischer und medizinischer Instrumente und Geräte
Name des Anmelders: Chemische Fabrik Dr. Weigert GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Jönsson, Ilona Karin
Kammer: 3.3.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 54(1)
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Zulassung von im Einspruchsverfahren nicht zugelassenen Dokumenten - nein (Ermessensspielraum eingehalten)
Mangelnde Offenbarung - nein
Mangelnde Neuheit - nein
Mangelnde erfinderische Tätigkeit - nein
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung den Einspruch gegen das europäische Patent No. 1 470 211 zurückzuweisen.

II. Die Einsprechende/Beschwerdeführerin legte am 10. August 2011 gegen die Entscheidung Beschwerde ein und zahlte die Beschwerdegebühr am selben Tag. Die Beschwerdebegründung wurde am 11. Oktober 2011 eingereicht. Im Laufe des Verfahrens wurden inter alia die folgenden Dokumente genannt:

D2 = J Infect Dis 153(6), 1145-1148, 1986

D3 = Bundesgesundheitsblatt, Gesundheits- forschung, Gesundheitsschutz 45,

376-394, 2002

D10 = Bericht erstellt von imeter,

Oberflächenspannung/CMC: Na- Laurylsulfat (Dodecylsulfat, SDS)

D20 = WO-A-02/053723.

III. Zu den Anträgen der Parteien siehe nachfolgend Ziffer VI.

IV. Anspruch 1 des Hauptantrags (erteilte Fassung) lautet wie folgt:

"1. Verwendung eines Reinigungsmittels, das Tenside und Alkalihydroxid enthält und anwendungsfertig verdünnt in wässriger Lösung einen pH-Wert von wenigstens 11,5 und eine Oberflächenspannung von weniger als 50 mN/m aufweist, zur Inaktivierung von Prionen bei der maschinellen oder manuellen Reinigung und/oder Desinfektion von medizinischen und/oder chirurgischen Instrumenten und Apparaten, wobei die Einwirkzeit des Reinigungsmittels 5 bis 30 min beträgt, und wobei die Reinigung bei einer Temperatur von 50 bis 60ºC stattfindet."

Die Ansprüche 2 bis 12 sind vom Anspruch 1 abhängig.

V. Die Beschwerdeführerin stützte ihre Beanstandungen auf folgende Hauptargumente:

Zulassung von im Einspruchsverfahren nicht zugelassenen Dokumenten

- Die Einspruchsabteilung habe ihr Ermessen falsch angewandt. Die nicht zugelassenen Dokumente hätten ins Verfahren aufgenommen werden müssen.

Zulassung des im Beschwerdeverfahren eingereichten Dokuments D20

- Die Auffassung der Einspruchsabteilung zur Neuheit des beanspruchten Gegenstands habe eine Nachrecherche notwendig gemacht, dabei sei D20 gefunden worden.

Offenbarung der Erfindung

- In der Beschreibung des Streitpatents zeige kein Beispiel, dass die gestellte Aufgabe gelöst sei. Deshalb könne der Fachmann die Erfindung nicht ausführen.

Neuheit

- D20 beschreibe eine Verwendung wie im Patent beansprucht, nur die Oberflächenspannung der Lösung sei nicht offenbart. Diese ergebe sich aber aus D10; somit sei D20 neuheitsschädlich für den beanspruchten Gegenstand.

Erfinderische Tätigkeit

- D3 sei der nächstliegende Stand der Technik; die Entgegenhaltung unterscheide sich nur in der angewandten Temperatur. Da durch diesen Unterschied kein unerwarteter Effekt erzielt worden sei, sei der beanspruchte Gegenstand durch D3 nahegelegt.

Die Beschwerdegegnerin widersprach der Argumentation der Beschwerdeführerin wie folgt:

Zulassung von im Einspruchsverfahren nicht zugelassenen Dokumenten

- Von der Beschwerdeführerin sei nicht belegt worden, dass diese Dokumente relevanter als die bereits damals im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen seien. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung sei deshalb korrekt.

Zulassung des im Beschwerdeverfahren eingereichten Dokuments D20

- Die Entgegenhaltung hätte bereits im Einspruchsverfahren vorgelegt werden müssen und sei deshalb nicht zuzulassen.

Offenbarung der Erfindung

- Es sei nicht gezeigt worden, dass der Fachmann das beanspruchte Verfahren nicht ausführen könne.

Neuheit

- Die mit dem Patent beanspruchte Kombination von Merkmalen sei in der D20 nicht offenbart.

Erfinderische Tätigkeit

- D3 beschreibe eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden aus dem Stand der Technik, die nicht miteinander kombiniert werden könnten. Der beanspruchte Gegenstand basiere daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.

VI. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 470 211.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise das Patent aufrechtzuerhalten auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 oder 2, eingereicht mit dem Schreiben vom 02. März 2012.

Entscheidungsgründe

1. Zulassung von im Einspruchsverfahren nicht zugelassenen Dokumenten

1.1 Die Kammer kann nur überprüfen, ob die Einspruchsabteilung den ihr bei dieser Entscheidung zustehenden Ermessensspielraum eingehalten hat. Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn die Einspruchsabteilung dabei von falschen Tatsachen ausgegangen ist, ihr Ermessen auf sachfremde Erwägungen gestützt oder gegen Grundsätze der Logik oder sonstige Denkgesetze verstoßen hat.

1.2 Alle von der Einspruchsabteilung nicht zugelassenen Unterlagen sind erst Mitte bis Ende April 2011 und damit deutlich nach dem in der Ladung zur mündlichen Verhandlung festgesetzten Termin, dem 28. Februar 2011, eingereicht worden. Zudem ist die Einspruchsabteilung im Wege einer prima facie Überprüfung zum Schluss gekommen, dass die betreffenden Dokumente nicht relevanter als der zuvor eingereichte Stand der Technik sind. Diese Entscheidung hält einer Überprüfung anhand der vorgenannten Grundsätze stand.

1.3 Die bereits im Einspruchsverfahren nicht zugelassenen Entgegenhaltungen sind deshalb auch im Beschwerdeverfahren nicht zu berücksichtigen.

2. Zulassung des im Beschwerdeverfahren eingereichten Dokuments D20

2.1 Die Einreichung von D20 ist eine Reaktion auf die Diskussion in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung und die darauf basierenden Argumente der Entscheidung. Dementsprechend war die Beschwerdebegründung die erste Möglichkeit für die Beschwerdeführerin auf die Begründung zu reagieren.

D20 wird deshalb in das Verfahren vor der Beschwerdekammer aufgenommen.

Hauptantrag

3. Offenbarung der Erfindung

3.1 Beispiel 1 des Streitpatents beschreibt eine erfindungsgemäße Zusammensetzung, welche im Beispiel 2 in einem erfindungsgemäßen Verfahren verwendet wurde. Im Beschwerdeverfahren wurde nicht gezeigt, dass die im Anspruch 1 beschriebenen Bedingungen nicht eingehalten wurden. Somit kann der Fachmann die verwendeten Zusammensetzungen herstellen und in einem erfindungsgemäßen Verfahren einsetzen.

3.2 Die Argumentation der Beschwerdeführerin, dass nicht bewiesen sei, ob das Problem tatsächlich durch die beanspruchte Verwendung gelöst sei, betrifft nicht die Offenbarung der Erfindung, sondern ist im Zusammenhang mit der erfinderischen Tätigkeit zu diskutieren.

3.3 Der beanspruchte Gegenstand wird als ausreichend offenbart angesehen.

4. Neuheit

4.1 Selbst wenn eine Oberflächenspannung von weniger als 50 mN/m als implizit offenbart anzusehen wäre, offenbart D20 unterschiedliche, meist mit den Bereichen des Streitpatents überlappende Wertebereiche, die unterschiedlichen Ausführungsformen zuzuordnen sind. Eine Ausführungsform, die eine Kombination aller beanspruchten Parameter offenbart, wurde von der Beschwerdeführerin nicht gezeigt.

4.2 Daher ist der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents neu.

5. Erfinderische Tätigkeit

5.1 Das Streitpatent beschreibt ein Reinigungs-/Des-infektionsverfahren, bei dem Prionen mit ausreichender Sicherheit inaktiviert werden und "keine aufwendige separate Dekontaminierung" (Absatz [0003] des Streitpatents) erforderlich ist.

Die Beschwerdeführerin nannte D3 als den nächstliegenden Stand der Technik. Darin wird eine Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit und unter anderem auch die Inaktivierung der Prionen durch maschinelle Reinigung/Desinfektion beschrieben.

Da D3 und das Streitpatent dieselbe Aufgabenstellung haben und zudem auch hinsichtlich der technischen Merkmale sehr ähnlich sind, sieht die Kammer D3 als geeigneten Ausgangspunkt für den Problem-Lösungsansatz an.

5.2 D3 präsentiert eine Zusammenfassung von zum damaligen Zeitpunkt bekannten Verfahren zur Inaktivierung von Prionen. Das dem Streitpatent am nächsten kommende Verfahren ist in dem die Seiten 390/391 überbrückenden Absatz beschrieben. Es enthält im Vergleich zu dem im Anspruch 1 des Streitpatents definierten Verfahren einen zusätzlichen Verfahrensschritt. Daher ist die Aufgabe des Streitpatents im Hinblick auf D3 die Bereitstellung eines vereinfachten Verfahrens (ohne zusätzlichen Dekontaminierungsschritt) zur Inaktivierung von Prionen.

5.3 Als Lösung dieses Problems wurde das Verfahren nach Anspruch 1 des Streitpatents vorgeschlagen.

Das in D3 beschriebene Verfahren unterscheidet sich von jenem nach Anspruch 1 des Streitpatents in einem zusätzlichen thermischen Desinfektions-/Nachspülungs-schritt.

5.4 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass im Streitpatent nicht gezeigt sei, dass das gestellte Problem tatsächlich gelöst wurde. Die Kammer teilt diese Auffassung nicht.

Wie in der angefochtenen Entscheidung erwähnt, wurde bereits im PCT Verfahren ein Beispiel eingereicht, in welchem demonstriert wurde, dass durch die erfindungsgemäße Verwendung Prionen inaktiviert werden. Die Beschwerdeführerin hat nicht gezeigt, dass dabei die beanspruchten Verfahrensbedingungen nicht eingehalten wurden, das beabsichtigte Ergebnis nicht erzielt wurde, oder die erzielten Ergebnisse nicht verallgemeinert werden könnten.

Demnach sieht die Kammer keinen Grund zur Annahme, dass das Problem nicht über den gesamten beanspruchten Bereich gelöst sei.

5.5 Somit ist zu klären, ob D3 in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand führt.

In D3 wird zur Inaktivierung von Prionen die Anwendung von Hitze, Alkohol und Aldehyden als fixierend, aber nicht als ausreichend inaktivierend, beschrieben. Hingegen werden hochalkalische Lösungen, bestimmte oxidierende Substanzen und die Dampfsterilisation bei 134ºC als effektiv bezeichnet. Als Schlussfolgerung wurde zur Kombination von wenigstens zwei (partiell) geeigneten Verfahren geraten. In diesem Zusammenhang wird auf den die Seiten 390/391 überbrückenden Absatz verwiesen, der wie folgt lautet:

"Maschinelle (validierte) Reinigung/Desinfektion in einem Dekontaminationsautomaten unter Einbeziehung eines Reinigungsschrittes im alkalischen Milieu (>pH 10**(5)) bei einer erhöhten, Proteine nicht fixierenden Prozesstemperatur [z.B. 55ºC; je nach verwendetem Reiniger kann die Temperatur bis zu 93ºC (z.B. bei stark alkalischen Reinigern) betragen] und anschließender thermischer Desinfektion/Nachspülung" (Hervorhebung eingefügt).

Die Fußnote **(5) auf Seite 391 der D3 lautet wie folgt:

"**(5)Am ehesten lassen Reinigungsmittel auf der Basis von NaOH oder KOH unter Einbeziehung von Tensiden bei einer Einwirkzeit von 10 Minuten die gewünschte Wirkung erwarten; eine destabilisierende Wirkung auf Pr**(psc) sollte in geeigneten Prüfungen nachgewiesen sein; die Materialverträglichkeit kann durch geeignete Zusätze erhöht werden"

Wird die zitierte Textstelle zusammen mit der Fußnote, wie von der Beschwerdeführerin angeregt, gelesen, so unterscheidet sich diese Offenbarung dennoch von jener des Anspruchs 1 des Streitpatents in a) einem pH-Wert von mindestens 11,5, b) der Angabe einer spezifischen Oberflächenspannung und c) einem zusätzlichen, obligatorischen thermischen Desinfektions-/Nach-spülungsschritt. Nach der Meinung der Beschwerdeführerin ist Merkmal b) implizit erfüllt.

Obwohl das Beispiel 2 des Streitpatents einen separaten Desinfektions-/Nachspülschritt ebenfalls vorsieht, ist er nicht im Wortlaut des Anspruchs 1 des Streitpatents beinhaltet und daher optional. Das zuvor erwähnte, im PCT-Verfahren eingereichte Beispiel zeigt, dass der gewünschte Effekt auch ohne zusätzlichen Desinfektionsschritt erzielt werden kann.

In Anbetracht der Unterschiede wird die vorliegende Erfindung ausgehend von D3 alleine nicht als nahegelegt angesehen.

Die Beschwerdeführerin kombinierte D3 mit D2 um zum beanspruchten Gegenstand zu gelangen. D2 nennt zwei alternative Methoden zur Inaktivierung des Scrapieerregers: Hitzeinaktivierung und chemische Inaktivierung (bei Raumtemperatur). Da beide als separate Alternativen beschrieben wurden und kein Hinweis gegeben ist, dass sie kombiniert werden können, ist auch die Kombination mit der Lehre von D3 nicht nahegelegt und würde zudem auch nicht zum beanspruchten Gegenstand führen.

5.6 Daher wird der beanspruchte Gegenstand des Anspruchs 1 und der davon abhängigen Ansprüche als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend angesehen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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