T 1765/11 () of 18.6.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T176511.20130618
Datum der Entscheidung: 18 Juni 2013
Aktenzeichen: T 1765/11
Anmeldenummer: 02012960.7
IPC-Klasse: F16D 69/02
C04B 35/573
C04B 35/80
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Bremssystem mit Verbundwerkstoff Bremsscheibe
Name des Anmelders: AUDI AG
Name des Einsprechenden: DaimerChrysler AG
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 100(a)
Schlagwörter: Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Mit ihrer am 1. Juni 2011 zur Post gegebenen Entscheidung hat die Einspruchsabteilung das europäische Patent No. 1 273 818 widerrufen.

II. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 10. August 2011 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdebegründung ist am 11. Oktober 2011 eingegangen.

III. Am 18. Juni 2013 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

Wie mit dem Schreiben vom 6. Mai 2013 angekündigt, hat die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) nicht an der mündlichen Verhandlung teilgenommen.

IV. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs (Hauptantrag) oder die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der Ansprüche gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 3 eingereicht am 11. Oktober 2011.

Die Beschwerdegegnerin hat im schriftlichen Verfahren beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

V. Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag lautet wie folgt:

"Bremssystem umfassend eine Reibpaarung aus organisch oder anorganisch gebundenen Metall- oder Sintermetall-haltigen und/oder CFC-haltigen Bremsbelägen und eine Bremsscheibe aus faserverstärktem Keramikverbund werkstoff aus C/SiC mit Tragkörper und mindestens einer Reibschicht, dadurch gekennzeichnet, daß die Reibschicht der Bremsscheibe einen SiC-Anteil oberhalb von 65 % besitzt, und daß die Werkstoff-Zusammensetzungen in Tragkörper und Reibschicht der Bremsscheibe unterschiedlich sind."

VI. Folgende Entgegenhaltungen spielten für die vorliegende Entscheidung eine Rolle:

E1: DE -A- 44 38 456;

E6-1: PWT Bericht PWT/VE Aggregaten und Komponenten vom 29. Juni 2001;

E6-2: Benachrichtigung über die Erteilung der Genehmigung von einem Fahrzeugtyp hinsichtlich der Bremsen nach der Regelung Nummer 13-H;

E6-3: Übergabebescheinigungen für Fahrzeuge CL 55 AMG "F1 Limited Edition" vom 21.11.2000 und 13.11.2000;

E6-4: "Untersuchung des Si-Gehaltes in der Oberflächenschicht der Bremsscheibe" , 8-08-2006;

E6-5: Brief der Firma TMD Friction vom 09.06.2005;

E6-6: Eidesstattliche Versicherung von Herrn Kurbjuhn, 26.11.2008;

E6-7: Übergabebescheinigung für Fahrzeug CL 55 AMG "F1 Limited Edition" vom 27 März 2001;

E6-8: Excel Folie betreffend Scheibe mit den Nummern KF 1704 bis KF 1737;

E6-9 Liste von Aufträgen:

E6-10: Brief der Firma TMD Friction vom 23. September 2010;

E11: "Auto: Hightech-Bremsscheibe im Mercedes CL 55 AMG F1 Keramik bremst Grauguss aus", VDI Nachrichten 18.8.00;

E12: "CL 55 AMG 'F1 Limited Edition'- Verzögerung mit 2000 PS" Motor-Informations-Dienst vom 16.06.2000;

E13: "Verbundwerkstoffe: Nie wieder Bremsscheibe wechseln Wenn Alu und Keramiken Verstärkung brauchen" Industrieanzeiger, Heft 13, 2001;

E14: "Automobil: Kohlenstofffaser-Keramik-Verbundwerkstoffe haben aussichtsreiche Zukunft in der Bremsentechnik Konkurrenz mit Karbon ausgebremst", VDI Nachrichten 21.09.01;

E15: "Keramik - auch zum Bremsen", Neue Zürcher Zeitung 18.07.2000;

E16: Brief der Firma TMD Friction vom 21. Dezember 2011; und

E17: Niederschrift der Vernehmung des Zeugen Herrn Kurbjuhn während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung.

VII. Die Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich im Wesentlichen wie folgt zusammenfassen:

Es sei nicht bewiesen worden, dass die Bremsscheiben der vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents gelieferten Fahrzeuge des Typs Mercedes-Benz Cl 55 AMG "F1 Limited Edition" eine Reibschicht mit der Zusammensetzung gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags aufweisen. Somit sei - entgegen der Meinung der Einspruchsabteilung - die angebliche offenkundige Vorbenutzung derartiger Bremsscheiben nicht Teil des Stands der Technik. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei daher neu.

Als nächstliegender Stand der Technik sei E1 anzusehen. Davon ausgehend bestehe die zu lösende Aufgabe darin, das Reibverhalten zu verbessern. Diese Aufgabe mittels einer Reibschicht, die einen SiC-Anteil oberhalb von 65 % besitzt, sei durch den Stand der Technik nicht nahegelegt worden. Somit beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

VIII. Die im schriftlichen Verfahren vorgebrachten Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich im Wesentlichen wie folgt zusammenfassen:

Aus den Dokumenten E6-7, E6-8, E11 bis E15 gehe hervor, dass Fahrzeuge des Typs Mercedes-Benz Cl 55 AMG "F1 Limited Edition" vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents auf dem Markt gebracht worden seien. Der Werkstoffbericht E6-1 beschreibe den Werkstoffzustand für die Bremsscheiben dieser Fahrzeuge. Demzufolge seien die Bremsscheiben gemäß dem erteilten Anspruch 1 von diesen Bremsscheiben nicht zu unterscheiden. Ferner bewiesen E6-5, E6-10, und E16, dass das Bremssystem der offenkundig vorbenutzten Fahrzeuge auch einen organisch gebundenen metallhaltigen Bremsbelag mit dem Handelsnamen "Pagid 199" aufweise, der unter die beanspruchten Bremsbeläge falle. Daher sei der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag - Neuheit

2.1 Bei dem Fahrzeug Mercedes-Benz Cl 55 AMG "F1 Limited Edition" handelt es sich um eine -ursprünglich auf 55 (siehe E12, letzter Absatz) und letztendlich auf 62 Exemplare (siehe E17, Seite 6)- limitierte Serie, die in Rahmen eines Pilot-Projekt zum Einsatz sogenannter Keramik-Bremsscheiben auf dem Markt gebracht wurde (siehe E6-2, E11 und E12). Es ist unstrittig, dass einige Exemplare dieser Serie vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents geliefert wurden (siehe E6-3 und E6-7).

2.2 Strittig ist jedoch, welche Zusammensetzung die Reibschicht der Keramik-Bremsscheibe dieser Fahrzeuge aufgewiesen hat.

Es ist zwar richtig, dass der strengvertrauliche Bericht E6-1, der den Werkstoffzustand sowie die absichernde QS-Maßnahme der CMC Bremsscheiben für die Sonderserie CL 55 AMG F1 Limited Edition im Frühjahr 2001 beschreibt (siehe Seite 1), auf Seite 14 besagt, dass für die Reibschicht ein Verhältnis Si/SiC von 1:9 bestimmt wurde.

Allerdings geht aus E6-1 nicht hervor, dass die Proben, die zur Ermittlung dieses Verhältnisses verwendet wurden, aus einer der gelieferten Bremsscheiben stammen. Nach der Aussage des Zeugen (siehe E17, Seite 24) stammen die Proben in der Tat nicht aus den gelieferten Scheiben, sondern aus Probescheiben, die aufgrund irgendeines Mangels aus dem Herstellungsprozess herausgenommen wurden. Daher wurde nicht bewiesen, dass die in E6-1 angegebene Zusammensetzung an einer Bremsscheibe gemessen wurde, die auf einem vor dem Prioritätsdatum gelieferten Fahrzeug montiert war.

Ferner war bei der Herstellung der Bremsscheiben das Verhältnis Si/SiC für die Reibschicht nicht strikt festgelegt (siehe E17, Seite 55). Vielmehr war das Qualitäts kriterium für die Reibschicht die vollständige Silizierung (siehe E6-1, Seite 14). Tatsächlich ist in E6-4, die die Untersuchung des Si-Gehaltes in der Oberflächenschicht eines Rückstellmusters der Bremsscheiben seitens des Fraunhofer Instituts Keramische Technologie und Systeme betrifft, eine ganz andere Zusammensetzung der Reibschicht - nämlich etwa 34 % Silizium und 65 % Siliziumkarbid - beschrieben (siehe Tabelle 1). Deshalb wurde auch nicht bewiesen, dass die in E6-1 angegebene Zusammensetzung derjenigen der Reibschicht einer auf den gelieferten Fahrzeugen montierten Bremsscheibe entspricht.

2.3 Daher gehört eine Bremsscheibe mit einer Reibschicht gemäß vorliegendem Anspruch 1 nicht zum Stand der Technik, und der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu.

3. Erfinderische Tätigkeit

E1 stellt den nächstliegenden Stand der Technik dar und offenbart ein Bremssystem umfassend eine Reibpaarung aus organisch oder anorganisch gebundenen Metall- oder Sintermetall-haltigen und/oder CFC-haltigen Bremsbelägen (Reibplatte, siehe Spalte 9, Zeilen 32 bis 41) und eine Bremsscheibe aus faserverstärktem Keramikverbund werkstoff aus C/SiC (siehe Anspruch 1) mit Tragkörper (1) und mindestens einer Reibschicht (2).

Von E1 ausgehend besteht die zu lösende Aufgabe darin, eine Bremswirkung zu erzielen, die hinsichtlich Reibverhalten und Standzeit verbessert ist (siehe Absätze [0009] und [0010] sowie die Beispiele).

Diese Aufgabe wird gemäß Anspruch 1 dadurch gelöst, dass die Reibschicht der Bremsscheibe einen SiC-Anteil oberhalb von 65 % besitzt. Diese Lösung ist aus dem nachgewiesenen Stand der Technik nicht bekannt und kann daher nicht als naheliegend angesehen werden.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht daher auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Der Einspruch wird zurückgewiesen und das Patent daher wie erteilt aufrechterhalten.

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