T 1747/11 () of 7.9.2012

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2012:T174711.20120907
Datum der Entscheidung: 07 September 2012
Aktenzeichen: T 1747/11
Anmeldenummer: 04011122.1
IPC-Klasse: B60R 25/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Vorrichtung zur Verriegelung der Lenkspindel eines Fahrzeuges
Name des Anmelders: VALEO Sicherheitssysteme GmbH
Name des Einsprechenden: Huf Hülsbeck & Fürst GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
European Patent Convention 1973 Art 54(1)
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (Hauptantrag, Hilfsantrag 2: nein)
Zulassung Hilfsantrag 1 (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat am 5. August 2011 gegen die am 6. Juni 2011 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 1 447 286 in geändertem Umfang aufrechterhalten wurde, Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung ist am 6. Oktober 2011 eingegangen.

II. Der Einspruch war auf die Einspruchsgründe der mangelnden Neuheit und der mangelnden erfinderischen Tätigkeit nach Artikel 100 a) EPÜ 1973 gestützt.

Als Stand der Technik hat die Einspruchsabteilung unter anderem folgende Druckschriften berücksichtigt:

D5: DE 31 31 558 C;

D6: JP 11-310104 A;

D6Ü: Übersetzung zu D6;

D6ÜD: deutsche Übersetzung der D6 von

vereidigtem Übersetzer;

D14: DE 696 07 275 T2.

III. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) reichte ihre Beschwerdeerwiderung mit Schreiben vom 17. April 2012 ein.

IV. In Erwiderung auf die mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung zugestellte Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK, ABl. EPA 2007, 536) reichte die Beschwerdegegnerin einen neuen Hilfsantrag 1 und einen neuen Hilfsantrag 2 mit Schreiben vom 30. Juli 2012 ein.

V. Anspruch 1 in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Form (Hauptantrag) lautet wie folgt (die Nummerierung der Merkmale in Anlehnung an die von der Beschwerdeführerin und auch im Einspruchsverfahren verwendete Merkmalsanalyse wurde hinzugefügt und ist durch Fettdruck gekennzeichnet):

"1.1 Vorrichtung zur elektrischen Verriegelung der Lenkspindel (2) einer Lenkeinrichtung eines Fahrzeuges mit

1.2 einem in einem Gehäuse (3) angeordneten und von einer Ent- in eine Verriegelungsstellung und umgekehrt verschiebbaren Sperrbolzen (6) mit den Merkmalen:

1.3 a) die Vorrichtung (1) umfaßt auf ihrer der Lenkspindel (2) zugewandten Seite ein Führungsteil (12) mit

1.4 einer an den Sperrbolzen (6) formschlüssig angepaßten Führungsausnehmung (13), in welcher der vordere Teil des Sperrbolzens (6) verschiebbar gelagert ist,

1.5 b) in dem Führungsteil (12) ist eine sich quer zur Längsachse (14) des Sperrbolzens (6) erstreckende erste Ausnehmung (15) vorgesehen, die über eine erste Öffnung (23) in die Führungsausnehmung (13) mündet;

1.6 c) in dem Sperrbolzen (6) befindet sich eine Ausnehmung (21), die in der Verriegelungsstellung des Sperrbolzens (6) der ersten Öffnung (23) der ersten Ausnehmung (15) des Führungsteiles (12) gegenüberliegt;

1.7 d) in der ersten Ausnehmung (15) des Führungsteiles (12) ist ein federbeaufschlagtes Sicherungselement (17) verschiebbar angeordnet,

1.8 e) das Sicherungselement (17) ist durch ein an dem Gehäuse (3) innenseitig befestigtes Verschlußelement (20) in seiner Lage fixiert, so daß

1.9 in der Verriegelungsstellung des Sperrbolzens (6) bei Entfernen des Gehäusebereiches, an dem das Verschlußelement (20) befestigt ist, das Sicherungselement (17) durch die auf das Sicherungselement (17) ausgeübte Federkraft in die Ausnehmung (21) des Sperrbolzens (6) geschoben wird und den Sperrbolzen (6) in seiner Verriegelungsstellung sichert."

In Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 wurde im Vergleich zum Hauptantrag in Merkmal 1.2 ein zusätzliches Merkmal 1.2a eingefügt (hervorgehoben in Fettdruck), so dass der geänderte Teil von Anspruch 1 folgendermaßen lautet:

"1.1 Vorrichtung zur elektrischen Verriegelung der Lenkspindel (2) einer Lenkeinrichtung eines Fahrzeuges mit

1.2 einem in einem Gehäuse (3) angeordneten und von einer Ent- in eine Verriegelungsstellung und umgekehrt verschiebbaren Sperrbolzen (6),

1.2a die einen in dem Gehäuse (3) angeordneten Elektromotor (4) mit nachgeschaltetem Spindelantrieb (5) zur Verschiebung eines Sperrbolzen (6) umfaßt,

mit den Merkmalen: …"

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 wurde im Vergleich zu Anspruch 1 gemäß Hauptantrag um die folgenden Merkmale ergänzt:

1.10 wobei die Ausnehmung (21) des Sperrbolzens (6) an dessen Rand angeordnet und derart ausgestaltet ist,

1.11 daß in der Verriegelungsstellung des Sperrbolzens (6) bei Entfernen des Verschlußelementes (20) eine Sicherung des Sperrbolzens (6) durch Klemmung erfolgt."

VI. Am 7. September 2012 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, oder hilfsweise die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form auf der Grundlage des 1. oder 2. Hilfsantrags, beide eingereicht mit Schreiben vom 30. Juli 2012.

VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:

Das Streitpatent erwähne mit keinem Wort einen Unterschied zwischen einer elektrischen und einer rein mechanischen Lenkspindel verriegelungsvorrichtung und gebe auch keinen Hinweis auf besondere Vorteile. Die beanspruchte "Vorrichtung zur elektrischen Verriegelung" gemäß Merkmal 1.1 sei lediglich zu einer elektrischen Verriegelung der Lenkspindel einer Lenkeinrichtung eines Fahrzeugs geeignet und schränke nicht auf eine rein elektrisch angetriebene Verriegelungsvorrichtung ein (siehe Richtlinien C-III, 4.13), so dass auch Vorrichtungen zur rein mechanischen Verriegelung der Lenkspindel unter den Schutzbereich des Streitpatents fielen. Dem Fachmann sei bereits beim Lesen des Begriffs "Vorrichtung zur Verriegelung der Lenkspindel" bekannt gewesen, dass der Sperrbolzen rein mechanisch oder aber elektromechanisch angetrieben werden könne, wozu beispielsweise die Druckschrift D14 als klarer Hinweis diene. Die in D14 beschriebene elektrisch angetriebene Lenkradverriegelungs vorrichtung solle eine klassische mechanische Lenkradverriegelungsvorrichtung ersetzen und sei bei gleichem Platzangebot wie diese anzuordnen. So verstehe der Fachmann heutzutage beispielsweise auch, dass der Motor eines Kraftfahrzeugs nicht auf einen Verbrennungsmotor beschränkt sei, sondern auch einen Elektromotor umfassen könne, und dass ein Fahrrad über zwei Räder verfüge (siehe Richtlinien C-III, 4.5).

Folglich offenbare die Druckschrift D6 - auch wenn diese nur eine mechanische Verriegelungsvorrichtung offenbaren sollte - eindeutig Merkmal 1.1, da die in D6 gezeigte Vorrichtung zur elektrischen Verriegelung geeignet sei. D6 zeige bereits ein Umwandlungsmittel 24, aber es werde offen gelassen, wie der Sperrbolzen 18 in D6 verschoben werde, weshalb in den Figuren auf die Darstellung des Schließzylinders als mechanischer Antrieb verzichtet worden sei. Der Fachmann lese implizit mit, dass die Vorrichtung aus D6 auch zur elektrischen Verriegelung geeignet sei. Im Rahmen seines Fachwissens (siehe z. B. Druckschrift D14) sei ihm bekannt, dass der Sperrbolzen rein mechanisch oder aber elektromechanisch angetrieben werden könne. In D14 werde klar gesagt (Seite 4, vorletzter Absatz), dass ein elektrisch angetriebenes Lenkradschloss unter Verwendung der standardgemäßen Bauteile eines mechanisch betätigten Lenkradschlosses ohne Änderung der Bauart realisierbar sei. Auch im Streitpatent (siehe Figuren 2 und 3 sowie Absatz [0008]) komme es nicht auf eine elektrische Betätigung des Sperrbolzens an, und das Merkmal der "elektrischen Verriegelung" beruhe nicht auf dem Kerngedanken der Erfindung.

Die in Merkmal 1.4 geforderte, an den Sperrbolzen formschlüssig angepasste Führungsausnehmung bedeute nicht, dass das Führungsteil massiv ausgestaltet sei und die Führungsausnehmung 13 den Sperrbolzen 6 vollständig umgebe, was auch an keiner Stelle des Streitpatents beschrieben sei. Eine formschlüssige Führung werde auch durch Nuten oder Ausnehmungen im Führungsteil nicht beeinträchtigt. Im Übrigen zeige D6, dass der vordere Teil des Sperrbolzens formschlüssig gelagert sei.

Merkmal 1.5 sei durch die Druckschrift D6 neuheitsschädlich verwirklicht, da sich aus dem Streitpatent nicht ergebe, wie groß und wie lang das Führungsteil 12 zur sicheren und formschlüssigen Aufnahme des Sperrbolzens 6 ausgestaltet sei. D6 zeige in Figur 1 ein eng am Sperrbolzen 18 anliegendes unteres Gehäuseteil und damit ein vergleichbares Führungsteil 12 für den Sperrbolzen. Fraglich sei allenfalls, ob der obere Teil des Gehäuses im Bereich des Verriegelungs mittelaufnahmeteils 14 in D6 ebenfalls als Führungsteil 12 angesehen werden könne. Da der im Längsschnitt in Figur 1 aus D6 gezeigte Freiraum für den Sperrstab 40 eine Längsnut darstelle, sei davon auszugehen, dass das Gehäuse aus D6 nicht nur im unteren Bereich des Verriegelungsmittel aufnahmeteils 14 eine formschlüssige Führung für das Führungsteil bilde. Das Merkmal 1.5 verlange außerdem nicht, dass die erste Ausnehmung "direkt" in die Führungsnehmung münde, und sei deshalb in D6 offenbart. In Einklang damit sei in den Figuren des Streitpatents zu erkennen, dass die erste Ausnehmung 15 für das Sicherungselement 17 nicht direkt, sondern indirekt über die zweite Ausnehmung 19 für das Verschlußelement 20 in die Führungsausnehmung 13 des Führungsteils 12 für den Sperrbolzen 6 münde.

Damit seien alle Merkmale des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag aus D6 bekannt, insbesondere die im bisherigen Verfahren strittigen Merkmale 1.1 und 1.5.

Wenn ausgehend von D6 die Verschiebung des Sperrbolzens nicht mehr mechanisch, sondern elektrisch betätigt erfolgen solle, so stelle sich für den Fachmann die Aufgabe, den Komfort zu verbessern. Angesichts der Lehre von D14, wonach eine mechanische und eine elektrische Verriegelungsvorrichtung vom Gehäuse her gleich seien und keine andere Bauart erforderten, beruhe der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der mit der letzten Eingabe der Patentinhaberin im Beschwerdeverfahren gestellte neue Hilfsantrag 1 ziehe völlig überraschend neue Merkmale aus der Beschreibung heran, die erstmalig in das Beschwerdeverfahren eingeführt würden. Dies mache eine neue Recherche erforderlich, was wegen der späten Einreichung des Hilfsantrags 1 für die Beschwerdeführerin nicht mehr möglich gewesen sei, so dass Hilfsantrag 1 als verspätet zurückzuweisen sei. Die Frage der Interpretation des Begriffs "zur elektrischen Verriegelung" sei bereits in der Beschwerdebegründung diskutiert worden. Im Übrigen seien die neu eingeführten, auf den konkreten Antrieb des Sperrbolzens gerichteten Merkmale, worauf es bei der Sicherung des Sperrbolzens durch ein Sicherungselement technisch nicht ankomme, willkürlich ausgewählt und hätten keinen funktionellen Zusammenhang mit dem ursprünglichen Erfindungsgedanken.

In Bezug auf Hilfsantrag 2 sei fraglich, was unter dem irreführenden Begriff "Klemmung" zu verstehen sei. Eigentlich verstehe man darunter eine kraftschlüssige Sicherung, was jedoch angesichts des entsprechenden, im Streitpatent gezeigten Ausführungsbeispiels in Figur 3 (welches unter den Schutzumfang fallen müsse) nicht gemeint sein könne. Dort werde eine formschlüssige Arretierung des Sperrbolzens 6 durch einen Sicherungsbolzen 17 mit kreisförmigem Querschnitt gezeigt, der in eine halbkreisförmige Ausnehmung 21 einfahre (siehe Absatz [0021]). Da der Begriff "Klemmung" in Form von formschlüssiger Fixierung des Sperrbolzens verwendet werde und auch keine nicht-axiale Anordnung der Ausnehmung des Sperrbolzens beansprucht sei, stelle Hilfsantrag 2 kein weiteres Merkmal unter Schutz.

VIII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin kann wie folgt zusammengefasst werden:

Der Ausdruck "Vorrichtung zur elektrischen Verriegelung" gemäß Merkmal 1.1 bedeute für den Fachmann keine Vorrichtung "geeignet" zur elektrischen Verriegelung, sondern eine Vorrichtung, die einen elektrischen Aktuator zur Verriegelung beinhalte. Eine elektrische Verriegelungsvorrichtung könne nicht zur mechanischen Verriegelung verwendet werden, da beide Typen von Verriegelungs vorrichtungen von der Struktur her gänzlich unterschiedlich seien und unterschiedliche technische Probleme mit sich brächten. Die von der Beschwerdeführerin zitierte Passage aus D14 beziehe sich auf eine spezielle Erfindung und biete keinen Anreiz zur Übertragung auf alle Typen von Verriegelungs vorrichtungen.

D6 zeige eine mechanische und eben keine elektrische Verriegelungsvorrichtung einer Lenkspindel mit einem Schließzylinder 11 (siehe Figur 2 sowie Absatz [0017]), um mittels eines Schlüssels den Sperrbolzen ein- bzw. auszurücken. Dieser Schließzylinder könne in böswilliger Absicht abgebrochen werden, was in jedem Falle (siehe Figuren 4 und 6 in D6) zu einer Trennung der beiden Teile des Gehäuses führe, die einerseits den Zylinder beinhalteten und andererseits den Sperrbolzen lagerten. Ein Sicherheitselement 40, welches an der Abdeckung 44 des Schließzylinders befestigt sei, löse bei Abbrechen des Schließzylinders die irreversible Blockierung des Sperrbolzens 18 aus. D6 zeige nicht, dass dieses Sicherheitselement innenseitig an dem den Sperrbolzen aufnehmenden Gehäuse gelagert sei.

D6 zeige also eine aus zwei Teilen bestehende Vorrichtung zur mechanischen Verriegelung, und zwar bestehend aus einem Teil umfassend den Schließzylinder 11 zur Aufnahme des Zündschlüssels und aus einem Teil zur Aufnahme des Sperrbolzens. Der Schließzylinder sei nahe beim Fahrer angeordnet und deshalb leicht zugänglich und gefährdet. Eine elektrische Verriegelungsvorrichtung sei abweichend davon einteilig ausgebildet und könne in einem nicht zugänglichen Bereich angeordnet werden, so dass der Fachmann keine elektrische Verriegelungs vorrichtung in D6 mitlesen würde.

D6 erwähne zwar auch eine elektromagnetische Betätigung des Sicherungselementes 32 anstelle einer Beaufschlagung durch die Feder 34, jedoch wäre bei einer solchen elektromagnetischen Betätigung das Merkmal 1.7 nicht mehr verwirklicht. Im Übrigen sei die elektromagnetische Betätigung nicht näher beschrieben und könne deshalb nicht implizit oder explizit als elektrischer Aktuator einer elektrischen Verriegelungs vorrichtung betrachtet werden.

Merkmal 1.5 sei klar und liefere einen synergetischen Beitrag zur beanspruchten Erfindung. Der Interpretation der Beschwerdeführerin, wonach die Vorrichtung aus D6 einen vorderen Teil zur formschlüssigen Führung des Sperrbolzens zeige und Merkmal 1.5 auch ein indirektes Münden der ersten Ausnehmung in die Führungsausnehmung umfasse, sei aber nicht zu folgen.

Systeme zur elektrischen Verriegelung seien als Ersatz für mechanische Systeme eingeführt worden, um den Platzbedarf und die Anzahl der Teile zu reduzieren, den Mechanismus zu vereinfachen und die Anbringung der Vorrichtung flexibler zu gestalten. Um die Gefahr der Manipulation des Sperrbolzens zu verhindern, tendiere der Fachmann dazu, das Gehäuse in weniger zugängliche Bereiche zu verlagern. Zur Lösung der Aufgabe, ein effizienteres Sicherungssystem einer elektrischen Vorrichtung gegen unbefugtes Entriegeln der Lenksäule bereitzustellen, würde der Fachmann nur elektrische Verriegelungsvorrichtungen als Stand der Technik in Betracht ziehen, da sich diese in Bezug auf die Anzahl der Einzelteile und auf die Kinematik von einer mechanischen Verriegelungsvorrichtung unterschieden.

In elektrischen Verriegelungsvorrichtungen der Lenkspindel sei der Schließzylinder durch einen Startknopf ersetzt, so dass sich das Problem einer Sicherung des Sperrbolzens bei Abbrechen des Schließzylinders nicht mehr stelle. Die vorliegende Erfindung löse das Problem, unter Weglassen des Schließzylinders die Vorrichtung sicherer zu gestalten, so dass es nicht mehr nötig sei, irgendeinen Teil der elektrischen Verriegelungsvorrichtung in einem Bereich in Reichweite des Benutzers anzuordnen. Ausgehend von D6 würde der mit diesem Problem konfrontierte Fachmann bei Weglassen des Schließzylinders auch das Verschlußelement (als Betätigungsglied zwischen dem Schließzylinder und dem Sicherungselement des Sperrbolzens) weglassen. Es finde sich jedoch im Stand der Technik keine Anregung, bei Weglassen des Schließzylinders das Verschlußelement beizubehalten, so dass der Fachmann nicht zum Gegenstand der Erfindung gelange.

Ausgehend von D6 stelle sich dem Fachmann nicht das Problem, den Komfort zu verbessern. Auch habe der Fachmann keinen Grund bzw. Anreiz, die in D6 gezeigte mechanische Verriegelungsvorrichtung mit einer elektrischen Verriegelung auszustatten ("could-would"), insbesondere da mechanische und elektrische Verriegelungsvorrichtungen zwei ganz unterschiedliche Produkte mit unterschiedlichen Funktionen darstellten. Während die mit einem Schlüssel betätigte mechanische Verriegelungsvorrichtung nahe beim Fahrer angebracht und damit sichtbar und leicht zugänglich sei, könne eine elektrische Verriegelungs vorrichtung kompakt ausgeführt und beliebig platziert werden, insbesondere auch versteckt an einem vom Fahrgastraum aus nicht zugänglichen Ort, so dass kein Sicherungselement erforderlich sei. D14 beinhalte neben einem spezifischen Ausführungsbeispiel zwar eine allgemeine Bemerkung in Bezug auf mechanische und elektrische Lenkradschlösser, welche allerdings nur eine Andeutung ohne jegliche Detaillierung darstelle. Es sei auszuschließen, dass die Lehre aus D14 auf die in D6 gezeigte Lenkverriegelungs vorrichtung übertragbar sei.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 präzisiere - basierend auf der ursprünglichen Offenbarung - die Vorrichtung zur elektrischen Verriegelung der Lenkspindel. Eine solche Präzisierung solle der Beschwerdegegnerin und Patentinhaberin zu ihrer Verteidigung gestattet sein, da die Interpretation des Merkmals "zur elektrischen Verriegelung" im Einspruchsverfahren und auch bisher im Beschwerdeverfahren nicht in der Diskussion gewesen sei. Erst die Kammer habe die Frage zur Interpretation dieses Merkmals aufgeworfen. Es sei keine grundlegend neue Argumentation zu führen und auch keine zusätzliche Recherche nötig, insbesondere da die Einsprechende und Beschwerdeführerin bereits Druckschriften im erstinstanzlichen Verfahren eingereicht habe, welche eine Vorrichtung zur elektrischen Verriegelung der Lenkspindel zeigten. Dies zeige, dass die Einsprechende bereits die Gelegenheit gehabt habe, die fraglichen Merkmale aus der Beschreibung zu recherchieren, und sie habe auch mehrfach Dokumente im erstinstanzlichen Verfahren dazu nachgereicht.

Die mit dem zusätzlichen Merkmal von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 geforderte "Sicherung … durch Klemmung" beschreibe klar, dass der Sperrbolzen sich nicht bewegen könne, und stelle eine Einschränkung dar, welche im Stand der Technik nicht gezeigt sei.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag der Beschwerdegegnerin - Neuheit

(Artikel 54 (1) EPÜ 1973)

2.1 Gemäß Merkmal 1.1 wird eine "Vorrichtung zur elektrischen Verriegelung" beansprucht. Dies mag zwar in breiter Auslegung eine Vorrichtung definieren, die nicht notwendigerweise elektrische Aktuatoren aufweist, sondern lediglich zur elektrischen Verriegelung geeignet ist, wie von der Beschwerdeführerin mit Hinweis auf die "Richtlinien für die Prüfung im EPA" (Ausgabe April 2010, Teil C, Kapitel III, Nr. 4.13) angeführt wurde. Wie dort aber richtigerweise ausgeführt, ist eine aus dem Stand der Technik bekannte Vorrichtung nicht als neuheitsschädlich für den beanspruchten Gegenstand anzusehen, wenn es noch weiterer Änderungen bedarf, damit sie für den genannten Zweck verwendet werden kann. In D6 ist eindeutig (siehe Figur 2 sowie z. B. Absatz [0017] der Übersetzung D6ÜD) eine Verriegelung des Riegels bzw. Sperrbolzens 18 durch eine sich mit dem Schließzylinder drehende Nockenwelle beschrieben, welche über eine Nockenführung 24 den Riegel 18 bewegt. D6 zeigt also eine rein mechanische Betätigung des Sperrbolzens bei Drehen des in den Schließzylinder einzusteckenden Schlüssels und damit eine rein mechanische Verriegelungsvorrichtung. Eine elektrische Betätigung des Sperrbolzens würde Änderungen an der in D6 gezeigten Vorrichtung erforderlich machen, beispielsweise eine durch Drehen des Zündschlüssels ausgelöste Aktivierung eines elektrischen Antriebs zur Verschiebung des Riegels 18, wozu entsprechende Sensoren sowie Aktuatoren integriert werden müssten oder u. U. auch der Schließzylinder durch einen Startknopf zu ersetzen wäre. Nach den bei der Neuheitsprüfung anzulegenden strengen Kriterien kann die in D6 gezeigte Vorrichtung damit nicht als "zur elektrischen Verriegelung geeignet" angesehen werden.

2.2 Es geht vorliegend nicht um die Frage, ob der Sperrbolzen einer "Vorrichtung zur Verriegelung der Lenkspindel einer Lenkeinrichtung" prinzipiell rein mechanisch oder aber auch elektromechanisch angetrieben werden kann, sondern ob D6 das beanspruchte Merkmal 1.1 einer "Vorrichtung zur elektrischen Verriegelung" neuheitsschädlich vorwegnimmt. Dies ist wie vorstehend ausgeführt nicht der Fall. Auch der Verweis der Beschwerdeführerin auf das Wissen des Fachmanns (z. B. belegt durch D14) und die "Richtlinien für die Prüfung im EPA" (Ausgabe April 2010, Teil C, Kapitel III, Nr. 4.5), womit auf eine implizite Offenbarung der elektrischen Verriegelung bei einer "Vorrichtung zur Verriegelung" abgestellt wird, ändert daran nichts. Denn D6 zeigt wie vorstehend ausgeführt eindeutig eine mechanische Verriegelung, und zwar einen Schließzylinder mit einer Nockenwelle als mechanischen Antrieb, welche über ein Umwandlungsmittel den Sperrbolzen verschiebt. D6 lässt also keineswegs, wie von der Beschwerdeführerin behauptet, offen, wie der Sperrbolzen verschoben wird, so dass der Fachmann nicht implizit eine elektrische Verriegelung in D6 mitlesen wird. Es mag dem Fachmann bekannt sein, dass die Lenkradverriegelungs vorrichtung aus D6 auch mit einem elektromechanischen Antrieb anstelle eines Schließzylinders versehen sein könnte, jedoch ist dies allenfalls bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen.

2.3 In D6 wird zwar eine elektromechanische Betätigung des Sicherungselements (siehe Absatz [0032] der D6ÜD, wobei das Sicherungselement als "Anschlagplatte 32" bezeichnet ist) erwähnt, jedoch würde diese modifizierte Betätigung die Beaufschlagung des Sicherungselements durch eine Feder ersetzen, so dass Merkmal 1.7 nicht mehr verwirklicht wäre. Die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag würde durch dieses Ausführungsbeispiel also nicht in Frage gestellt.

2.4 Die Beschwerdegegnerin sah einen weiteren Unterschied darin, dass das Sicherheitselement 40 aus D6, welches unstreitig dem "Verschlußelement" aus Anspruch 1 entspricht, nicht innenseitig an dem den Sperrbolzen aufnehmenden Gehäuse gelagert sei. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag definiert in Merkmal 1.2 ein Gehäuse, in dem der Sperrbolzen gelagert ist, und weiter in Merkmal 1.8 ein an dem Gehäuse innenseitig befestigtes Verschlußelement. In D6 ist der Sperrbolzen 18 (siehe Figur 1) in einem Gehäuse 11 gelagert, welches mit einer Gehäuseabdeckung 44 verschlossen ist, an welcher das Verschlußelement 40 befestigt ist. Nachdem Anspruch 1 aber nicht verlangt, dass das Gehäuse einstückig ausgebildet sein muss, fällt auch die in D6 gezeigte Ausbildung eines Gehäuses mit Gehäuseabdeckung, welche einen Teil des Gehäuses bildet, unter den Wortlaut von Anspruch 1. Im Übrigen wurde im Einspruchsverfahren nicht bestritten, dass die Merkmale 1.2 und 1.8 aus D6 bekannt sind.

2.5 Auch das strittige Merkmal 1.5 ist nach Ansicht der Kammer aus D6 bekannt. Die von der Beschwerdegegnerin wie auch von der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung vertretene gegenteilige Auffassung beruht auf einer engen Auslegung der in Merkmal 1.4 erstmalig definierten "Führungsausnehmung", welche in D6 (mit Bezugsziffer 16 gekennzeichnet) nur im unteren Gehäuseteil, d. h. im linken Bereich der in Figur 1 dargestellten Ausnehmung des Gehäuses 11 und damit nur in dem mit Bezugsziffer 13 gekennzeichneten Gehäuseteil gesehen wurde. Dieser Auffassung kann die Kammer jedoch nicht folgen, da die in Anspruch 1 verwendeten Begriffe "Führungsausnehmung" und "Führungsteil" breiter auszulegen sind. Merkmal 1.4 spezifiziert das vorher in Merkmal 1.3 definierte "Führungsteil (12)" dahingehend, dass es eine "an den Sperrbolzen (6) formschlüssig angepasste Führungsausnehmung (13)" aufweist. Eine Führungsausnehmung für den Sperrbolzen in einem Führungsteil ist in D6 in Figur 1 unzweifelhaft durch die in dem Gehäuse 11 ausgebildete Ausnehmung zur Aufnahme des Sperrbolzens realisiert, wobei eine Führung des Sperrbolzens 18 in den durch die Bezugsziffern 13 und 14 gebildeten Gehäuseteilen erfolgt (Bemerkung: auch in dem mittleren Gehäuseteil 14 liegt der Sperrbolzen 18 zumindest unten an der Ausnehmung an und wird also "geführt"). Weiterhin fordert Merkmal 1.4, dass die Führungsausnehmung an den Sperrbolzen formschlüssig angepasst ist. Nach Auffassung der Kammer bedeutet dies aber nicht, dass die Führungsausnehmung über ihre gesamte Länge formschlüssig an den Sperrbolzen angepasst sein muss, sondern umfasst auch eine "zumindest abschnittsweise formschlüssig angepasste Führungsausnehmung". Dem entspricht die in D6 offenbarte, sich über die Gehäuseteile 13 und 14 erstreckende Ausnehmung, wobei diese Führungsausnehmung zumindest in dem mit der Bezugsziffer 16 gekennzeichneten Abschnitt (im Gehäuseabschnitt 13) formschlüssig an den Sperrbolzen 18 angepasst ist. Diese so verstandene Führungsausnehmung dient gemäß dem weiteren Teilmerkmal aus Merkmal 1.4 zur verschiebbaren Lagerung des vorderen Teils des Sperrbolzens, wobei eine solche Lagerung in D6 in Figur 1 in jedem Fall in dem mit Bezugsziffer 16 gekennzeichneten Abschnitt der Führungsausnehmung erkennbar ist. Damit ist aber auch das strittige Merkmal 1.5 in D6 offenbart, da die Anschlagplatte 32 aus D6 im Führungsteil in einer sich quer zur Längsachse des Sperrbolzens erstreckenden Ausnehmung aufgenommen ist, welche über eine erste Öffnung direkt in die sich über die Gehäuseteile 13 und 14 erstreckende Führungs ausnehmung mündet. Es kann bei dieser Auslegung des Merkmals einer "an den Sperrbolzen formschlüssig angepassten Führungsausnehmung" dahingestellt bleiben, ob das in Merkmal 1.5 geforderte Münden der ersten Ausnehmung in die Führungsausnehmung nur ein direktes Münden oder auch ein indirektes Münden der ersten Ausnehmung in die Führungsausnehmung mitumfasst. Auch muss nicht weiter darauf eingegangen werden, ob der im Längsschnitt in D6 gezeigte Freiraum für den Sperrstab 40 lediglich eine Längsnut darstellt und damit auch im mittleren Gehäuseteil 14 eine an den Sperrbolzen formschlüssig angepasste Führungsausnehmung vorliegt.

2.6 Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ist damit neu gegenüber dem druckschriftlichen Stand der Technik, da Merkmal 1.1 nicht in D6 gezeigt ist. Der im schriftlichen Verfahren vorgetragene Neuheitseinwand basierend auf Dokument D5 wurde im Übrigen von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung fallengelassen.

3. Hauptantrag der Beschwerdegegnerin - erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973)

3.1 Wie vorstehend zur Neuheit ausgeführt, unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag von der in D6 gezeigten Vorrichtung nur durch Merkmal 1.1 ("Vorrichtung zur elektrischen Verriegelung"), und deshalb wird diese Vorrichtung von der Kammer als nächstliegender Stand der Technik angesehen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin kann eine elektrische Verriegelungsvorrichtung, die sich in der Anzahl der Teile von einer mechanischen Verriegelungs vorrichtung unterscheidet und üblicherweise wegen der Platzierung in nicht zugänglichen Bereichen keine Sicherung des Sperrbolzens mehr erfordert, nicht als erfolgversprechender Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dienen. Außerdem geht auch das Streitpatent von einem unbefugtem Öffnen des Gehäuses aus, also einem zumindest teilweise zugänglichen Gehäuse, so dass die bei mechanischen Verriegelungsvorrichtungen eingesetzten Sicherungselemente weiterhin beibehalten und somit keine Einzelteile eingespart werden.

3.2 Eine elektrische Verriegelung der Lenkspindel ermöglicht im Vergleich zu einer mechanisch mittels Schlüssel vorgenommenen Verriegelung eine komfortablere Betätigung der Verriegelungsvorrichtung der Lenkspindel einer Lenkeinrichtung, indem beispielsweise ein Startknopf anstelle eines zu drehenden Schlüssels vorgesehen wird. Allgemein ist bei der Betätigung von Systemen in Kraftfahrzeugen zu beobachten, dass ursprünglich mit mechanischer Kraft ausgeführte Betätigungen durch komfortablere elektrische Betätigungen ersetzt werden. Die sich stellende objektive Aufgabe kann also darin gesehen werden, die Betätigung der in D6 gezeigten mechanischen Lenkspindelverriegelungsvorrichtung komfortabler zu gestalten.

Von der Beschwerdegegnerin wurden Aufgabenstellungen vorgeschlagen, welche unzulässigerweise schon Teile der angestrebten Lösung beinhalten ("Weglassen des Schließzylinders") oder eine Platzierung der Vorrichtung in einem nicht zugänglichen Bereich unterstellen, welche im Anspruchswortlaut keine Entsprechung findet, da mit dem Sicherungselement und dem innenseitig am Gehäuse befestigten Verschlußelement weiterhin eine Sicherung gegen unbefugtes Öffnen beansprucht wird. Da mit D6 eine mechanische Verriegelungsvorrichtung den nächstliegenden Stand der Technik bildet, kann bei der Formulierung der objektiven Aufgabe auch nicht von einer elektrischen Vorrichtung und der Bereitstellung eines effizienteren Sicherungssystems ausgegangen werden.

3.3 Ausgehend von der in D6 gezeigten mechanischen Verriegelungsvorrichtung der Lenkspindel einer Lenkeinrichtung, d.h. einem mechanisch betätigten Lenkradschloss, wird der Fachmann auf der Suche nach komfortableren Alternativen auf die Druckschrift D14 stoßen, in der bereits die Entwicklung von mechanisch zu elektrisch betätigten Lenkradschlössern aufgezeigt wird. Wie in D6 ist auch in D14 (siehe Figur 1) ein in die Lenkspindel eingreifender Sperrbolzen mit rechteckigem Querschnitt gezeigt, der über ein Übertragungsglied betätigt wird. In D14 wird nun klar gesagt (Seite 4, vorletzter Absatz), dass die ursprünglich für ein mechanisch betätigtes Lenkradschloss vorgesehenen standardgemäßen Bauteile, insbesondere auch das Lenkradschlossrohr, ohne Änderung der Bauart und der Abmessungen ein elektrisch angetriebenes Lenkradschloss aufnehmen können. Der Fachmann erhält also aus D14 die Anregung, eine komfortablere elektrische Betätigung des Lenkradschlosses bei einem bisher rein mechanisch betätigten Lenkradschloss unter Beibehaltung der Bauart und der Abmessungen, d. h. ohne gravierende Änderungen, vorzusehen. Nach Ansicht der Kammer kann es angesichts dieser Lehre keine erfinderische Tätigkeit begründen, das mechanisch mittels eines schlüsselbetätigten Schließzylinders betätigte Lenkradschloss aus D6 - also eine rein mechanische Verriegelung der Lenkspindel - so zu modifizieren, dass ein elektrischer Antrieb zur Betätigung vorgesehen wird.

3.4 Die Kammer teilt nicht die Auffassung der Beschwerdegegnerin, dass für den Fachmann ausgehend von D6 kein Anreiz bestehe, eine elektrische Verriegelung vorzusehen. Auch wenn in D14 nicht das Thema der Komfortverbesserung explizit angesprochen wird, so ist dem Fachmann beim Lesen der Druckschrift D14 klar, dass der Ersatz einer klassischen, rein mechanischen Lenkverriegelung durch eine elektrische Lenkverriegelung eine Verbesserung des Betätigungskomforts mit sich bringt. Zudem lehrt D14, dass die standardgemäßen Bauteile der mechanischen Lenkverriegelungsvorrichtung ohne Änderung von Bauart und Abmessungen übernommen werden können, d. h. es sind nur die Antriebskomponenten auszutauschen unter Beibehaltung des vorher den Schließzylinder aufnehmenden Lenkradschlossrohres. Es kann also nicht davon gesprochen werden, dass D14 ohne jegliche Detaillierung den Austausch eines mechanischen Lenkradschlosses durch ein elektrisch angetriebenes Lenkradschloss vorschlägt, da die Beibehaltung des standardgemäßen Lenksäulenrohres und insbesondere auch des Lenkradschlossrohres angeregt wird. Außerdem schlägt D14 gerade keine Änderung der Bauart dahingehend vor, dass die Lenkverriegelungsvorrichtung an einen vom Fahrgastraum aus nicht zugänglichen Ort verlagert wird, sondern behält die räumliche Anordnung mit einem dem Fahrer zugewandten Lenkradschlossrohr bei. Damit kann das Argument der Beschwerdegegnerin nicht greifen, dass elektrische Lenkverriegelungsvorrichtungen grundsätzlich unterschiedlich von mechanischen Lenkverriegelungs vorrichtungen seien, da D14 gerade die weitestgehende Beibehaltung der Merkmale einer mechanischen Lenkverriegelungsvorrichtung bei Einsatz eines elektrisch angetriebenen Lenkradschlosses lehrt. Gemäß der Lehre von D14 bleibt das Lenkradschlossrohr dabei unverändert, also weiterhin dem Fahrer zugewandt und damit zugänglich, so dass auch bei Weglassen des Schließzylinders weiterhin die Gefahr besteht, dass eine Manipulation des Sperrbolzens bei unbefugtem Zutritt erfolgen kann. Deshalb ist nicht nachvollziehbar, wieso der Fachmann bei Übertragung der Lehre von D14 auf D6 auf das in D6 zum Schutz vor unbefugtem Entriegeln der Lenkradsperre vorgesehene Verschlußelement oder sogar auf das Sicherungselement verzichten sollte.

3.5 Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ist deshalb nicht erfinderisch gegenüber den Entgegenhaltungen D6 in Verbindung mit D14.

4. Zulassung des Hilfsantrags 1 der Beschwerdegegnerin (Artikel 13(1) VOBK)

4.1 Nachträglich zu ihrer Beschwerdeerwiderung und nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdegegnerin erst mit ihrem Schreiben vom 30. Juli 2012 einen neuen Hilfsantrag 1 eingereicht.

4.2 Nach Artikel 13(1) VOBK steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens einer Beschwerdegegnerin nach Einreichung ihrer Beschwerdeerwiderung zuzulassen. Bei der Ausübung dieses Ermessens werden insbesondere die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt.

4.3 Das späte Einreichen von Hilfsantrag 1 wurde von der Beschwerdegegnerin damit begründet, dass das zusätzliche Merkmal des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 nur die Vorrichtung zur elektrischen Verriegelung der Lenkspindel präzisiere, da erst die Kammer die Frage zur Interpretation dieses Merkmals, welches im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren als Unterschied gesehen wurde, in ihrer Mitteilung aufgeworfen habe. Die Beschwerdeführerin habe bereits Druckschriften im erstinstanzlichen Verfahren eingereicht, welche eine Vorrichtung zur elektrischen Verriegelung der Lenkspindel zeigten, so dass keine grundlegend neue Argumentation zu führen und auch keine zusätzliche Recherche nötig gewesen sei.

4.4 Die Kammer kann sich dieser Sichtweise der Beschwerdegegnerin nicht anschließen, da bereits in der Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin (Seite 7, Unterpunkt c), Diskussion zu Merkmal 1.1) die Frage zum Verständnis des Merkmals "Vorrichtung zur elektrischen Verriegelung" angesprochen wurde. In ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK hat die Kammer lediglich die Argumentation der Beschwerdeführerin im Wesentlichen zusammengefasst und auf die zu diskutierenden Fragen hingewiesen, ohne neue Argumente, neue Fragen oder gar einen neuen Sachverhalt einzuführen. Die Kammer ist deshalb der Ansicht, dass der vorliegende Hilfsantrag 1 nicht als Reaktion auf neue Einwände seitens der Kammer zu werten ist. Vielmehr hätte dieser Antrag bereits mit der Beschwerdeerwiderung vorgelegt werden können.

4.5 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist mit Merkmalen präzisiert worden, welche die konkrete Ausbildung eines elektrischen Antriebs betreffen (im Gehäuse angeordneter Elektromotor, nachgeschalteter Spindelantrieb zur Verschiebung eines Sperrbolzens). Diese zusätzlichen Merkmale sind allein in der Beschreibung der ursprünglich eingereichten Anmeldung (EP-A, Absatz [0012]) offenbart und haben mit dem im Streitpatent beschriebenen Kerngedanken der Erfindung (EP-B, Absatz [0008]) nichts zu tun.

Abgesehen davon, dass die isolierte Aufnahme einzelner Merkmale eines Ausführungsbeispiels aus der Beschreibung der Patentschrift Fragen hinsichtlich der Zulässigkeit der Änderungen unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Zwischenverallgemeinerung aufwirft, hat die konkrete Ausgestaltung der elektrischen Verriegelung einer Lenkspindel im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren und auch im Beschwerdeverfahren bis zum Zeitpunkt des Einreichens des Hilfsantrags 1 keine Rolle gespielt. Vielmehr hat die Beschwerdegegnerin mit ihrer Beschwerdeerwiderung als einzigen Hilfsantrag den schon im Einspruchsverfahren vorgelegten Hilfsantrag eingereicht (entspricht dem vorliegenden Hilfsantrag 2), welcher eine Einschränkung auf das im Streitpatent beschriebene Ausführungsbeispiel gemäß Figur 3 und die dort beschriebene Sicherung des Sperrbolzens darstellt. Anspruch 1 gemäß vorliegendem Hilfsantrag 1 hingegen beinhaltet erstmals technische Merkmale, die den Antrieb zur Betätigung bzw. Verschiebung des Sperrbolzens definieren und damit nicht in Zusammenhang mit der Sicherung des Sperrbolzens bei unbefugtem Öffnen des Gehäuses stehen. Der Gegenstand dieses Anspruchs 1 ist gegenüber dem erteilten Anspruch 1 und dem Anspruch 1 des früheren einzigen Hilfsantrags also auf einen gänzlich anderen technischen Aspekt gerichtet, und es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass dieser neue technische Aspekt eine zusätzliche Recherche erforderlich macht. Außerdem ist die Kammer nicht der Ansicht, dass eine Einsprechende eine Recherche zu allen in der Beschreibung offenbarten Merkmalen von vornherein vorsorglich zu machen hat. Im vorliegenden Fall sind auch keine Anhaltspunkte zu erkennen, die darauf hindeuten, dass die Beschwerdeführerin gezielt eine Recherche in Hinblick auf die im Hilfsantrag 1 erstmalig definierte, detaillierte Ausbildung der Komponenten einer elektrischen Verriegelung der Lenkspindel durchgeführt hat oder hätte durchführen müssen.

4.6 Unter Berücksichtigung des Verfahrensstandes und der gebotenen Verfahrensökonomie hat die Kammer deshalb von ihrem Ermessen gemäß Artikel 13(1) VOBK Gebrauch gemacht und den Hilfsantrag 1 nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen.

5. Hilfsantrag 2 der Beschwerdegegnerin - Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973)

5.1 Der Hilfsantrag 2 entspricht dem im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren vorgelegten einzigen Hilfsantrag.

5.2 Die zusätzlichen Merkmale von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 sind nach Auffassung der Kammer nicht geeignet, den beanspruchten Gegenstand gegenüber der in D6 gezeigten Lehre weiter abzugrenzen, und können deshalb keine erfinderische Tätigkeit begründen.

Die gemäß Merkmal 1.10 geforderte Anordnung der Ausnehmung des Sperrbolzens an dessen Rand ist auch bei der in D6 gezeigten Durchgangsöffnung 28 verwirklicht, da diese sich vom Rand des Sperrbolzens aus nach innen erstreckt. Die in Merkmal 1.11 definierte Sicherung des Sperrbolzens durch Klemmung ist weit auszulegen, insbesondere da im Streitpatent selbst nicht ausgeführt ist, dass dem Begriff "Klemmung" eine eingeschränkte Bedeutung zukommen soll. Im Streitpatent wird zudem in Bezug auf das gemäß Hilfsantrag 2 beanspruchte Ausführungsbeispiel (siehe Figur 3 sowie Absatz [0021]) eine formschlüssige Anpassung des kreisförmigen Sicherungsbolzens 17 an eine halbkreisförmige Ausnehmung 21 des Sperrbolzens 6 beschrieben, also keine - bei enger Auslegung des Begriffs "Klemmung" anzunehmende - kraftschlüssige Sicherung des Sperrbolzens. Laut Streitpatent wird durch Verwendung des Begriffs "Klemmung" also allenfalls beschrieben, dass eine Bewegung des Sperrbolzens verhindert wird, d. h. dass beim Versuch den Sperrbolzen zu bewegen der Sperrbolzen "klemmt". Genau dieses Verhalten zeigt aber auch der Sperrbolzen aus D6 in seiner gesicherten Stellung.

6. Da keiner der Anträge der Beschwerdegegnerin gewährbar ist, ist dem Antrag der Beschwerdeführerin stattzugeben.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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