T 1622/11 () of 25.8.2015

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2015:T162211.20150825
Datum der Entscheidung: 25 August 2015
Aktenzeichen: T 1622/11
Anmeldenummer: 04021342.3
IPC-Klasse: A61B 5/12
H04R 25/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Vorrichtung und Verfahren zur Bestimmung eines Hörbereichs
Name des Anmelders: Siemens Audiologische Technik GmbH
Name des Einsprechenden: Phonak AG
Widex A/S
GN Resound A/S
Oticon A/S
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die vier Einsprechenden legten eine gemeinsame Beschwerde gegen die am 24. Mai 2011 zur Post gegebenen Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, den Einspruch gegen das Patent Nr. 1 516 584 zurückzuweisen.

II. Die gemeinsame Beschwerde wurde am 15. Juli 2011 eingelegt und am selben Tag wurde die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 29. September 2011 eingereicht.

III. Am 25. August 2015 fand eine mündliche Verhandlung statt, in der die Parteien die folgenden abschließenden Anträge stellten:

Die Beschwerdeführerinnen (Einsprechenden) beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Beschwerde zurückzuweisen.

IV. Die folgenden Dokumente sind für diese Entscheidung von Bedeutung:

E1: US-A-4 157 456

E2: DE-A-100 64 210

E4: "Fitting a Wide Range Compression Hearing Instrument Using Real Ear Threshold Data: A New Strategy", High Performance Hearing Solutions, Vol. 2, November 1997, Seiten 37 bis 39

El8: "Ein System zur Anpassung von Hörgeräten: Messtechnik, patientenbezogene Modellierung, Optimierung der Komponenten", Auszug aus der Dissertation von Andre Lodwig, Bochum, Shaker Verlag Aachen 1997/1998, Seiten 124 bis 129

E19: "The effect of occluded ear impedances on the eardrum SPL produced by hearing aids", Gilman et al., Journal of the Acoustical Society of America, 70(2), Aug. 1981, Seiten 370 bis 386

E20: "Effects of normal and pathologic eardrum impedance on sound pressure in the aided ear canal: A computer simulation", Egolf et al., Journal of the Acoustical Society of America, 78(4), October 1985, Seiten 1281 bis 1285

E21: "Electronics Engineers' Handbook", Donald Christiansen, Fourth Edition, McGraw-Hill, 1996, Seiten 23.42 und 23.43

E22: "Using In-Situ Thresholds to Predict Aided Soundfield Thresholds", The Hearing Review, May 2003; Vol. 10, Nummer 5: Seiten 46, 48 und 50

E23: "Fitting a Wide Range Compression Hearing Instrument Using Real Ear Threshold Data: A New Strategy", High Performance Hearing Solutions, Vol. 2, November 1997, Seiten 37 bis 39 [= E4]

E24: EP-B1-1 133 898

E25: US-A-2002/0165466

E26: JP 2000 - 102098

E26*: Englische Übersetzung von E26

E27: US-A-5 710 819

B1: "Hörfläche", Auszug aus Wikipedia, undadiert.

V. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 7 des erteilten Patents lauten wie folgt:

"1. Vorrichtung zur Bestimmung eines Hörbereichs gekennzeichnet durch

- eine Messeinrichtung zum Messen eines Schalldruckpegels eines Umgebungsgeräusches,

- eine Schätzeinrichtung zum Schätzen eines Schalldruckpegels vor dem Trommelfell (5) eines Patienten (1), der ein Hörgerät (2) trägt, zumindest anhand der Bauform des Hörgeräts (2) oder Ohrpassstücks und des gemessenen Schalldruckpegels des Umgebungsgeräusches sowie

- eine Auswerteeinrichtung zum Bestimmen eines messbaren Hörbereichs auf der Grundlage des geschätzten Schalldruckpegels vor dem Trommelfell (5)."

"7. Verfahren zur Bestimmung eines Hörbereichs

gekennzeichnet durch

- Messen eines Schalldruckpegels eines Umgebungsgeräusches,

- Schätzen eines Schalldruckpegels vor dem Trommelfell (5) eines Patienten (1), der ein Hörgerät (2) trägt, zumindest anhand der Bauform des Hörgeräts (2) oder Ohrpassstücks und des gemessenen Schalldruckpegels des Umgebungsgeräusches sowie

- Bestimmen eines messbaren Hörbereichs auf der Grundlage des geschätzten Schalldruckpegels vor dem Trommelfell."

Patentansprüche 2 bis 6 und 8 bis 11 sind abhängige Ansprüche.

VI. Die von den Beschwerdeführerinnen (Einsprechenden) vorgebrachten entscheidungsrelevanten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Dokumente E18 bis E27 seien lediglich als Nachweis des allgemeinen Fachwissens zum Prioritätsdatum mit der Beschwerdebegründung eingereicht worden, weil das allgemeine Fachwissen in der angefochtenen Entscheidung nicht ausreichend anerkannt worden sei. B1 sei zwar nicht Stand der Technik, enthalte aber eine Definition des im Streitpatent verwendeten Begriffs "Hörbereich".

Der nächstliegende Stand der Technik sei durch E1 gegeben. E1 betreffe ein Audiometer, mit dem Umgebungsgeräusche erzeugt und gemessen werden, aus denen ein Hörbereich bestimmt werde. Testtöne würden solange wiederholt, bis die Differenz von äußerem Geräuschpegel und Testpegel einen Schwellwertpegel zwischen Testpegel und Geräuschpegel unterschritten werde, wobei der Schwellenwertpegel insbesondere von der Dämpfung der Ohrmuscheln der verwendeten Kopfhörer abhängig sei. Die Mittel zur Bestimmung des Schwellwertpegels in E1 fielen unter den beanspruchten Begriff einer "Schätzeinrichtung zum Schätzen eines Schalldruckpegels vor dem Trommelfell aufgrund der Bauform der (Ohrmuscheln)". Bei der Bestimmung des Hörbereichs sei die Ankopplung der Ohrmuscheln der Kopfhörer an den Patienten maßgebend, während beim beanspruchten Gegenstand die Ankopplung des Hörgerätes an den Patienten maßgebend sei. In diesem Unterschied sei die Anerkennung der Neuheit von Anspruch 1 des Streitpatents allein begründet. Die objektive Aufgabe könne daher darin gesehen werden, eine Verbesserung bei der Audiogrammerstellung in einem nicht schallisolierten Raum, in dem Störgeräusche vorhanden sind, zu erhalten. Dem Fachmann sei allgemein bekannt gewesen, die Insitu-Audiometrie (E22 bis E24) anzuwenden, um eine genauere Anpassung der Hörgeräteeinstellungen zu erhalten. Somit würde der Fachmann die Lehre von E1 unter Heranziehung von allgemeinem Fachwissen auf die Insitu-Audiometrie übertragen und so ohne erfinderisches Zutun zum beanspruchten Gegenstand gelangen.

In der mündlichen Verhandlung wurde ferner argumentiert, dass sich der patentierte Gegenstand auch in naheliegender Weise aus der Kombination der in Absatz [0002] und [0004] des Streitpatents als bekannt dargestellten Insitu-Audiometrie als nächstem Stand der Technik mit Dokument E2 ergebe. Insbesondere in Absatz [0007] von E2 werde nämlich für die Anpassung eines Hörgerätes die Berücksichtigung von Umgebungsgeräuschen offenbart.

VII. Die von der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) vorgebrachten entscheidungsrelevanten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Dokumente E18 bis E27 und B1 seien nicht ins Verfahren zuzulassen, da sie erstmals mit der Beschwerdebegründung vorgelegt worden seien. Da das Streitpatent im Einspruchsverfahren unverändert aufrechterhalten worden sei und da diese Dokumente lediglich als Nachweis des allgemeinen Fachwissens dienen sollten, hätten sie bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können. Darüber hinaus seien sie für die zu diskutierende erfinderische Tätigkeit nicht prima facie relevant.

Die Beschwerdeführerinnen hätten nicht dargelegt, wie der Fachmann ausgehend von E1 aufgrund seines Fachwissens zu einer Schätzeinrichtung zum Schätzen eines Schalldruckpegels vor dem Trommelfell eines Patienten gelangen würde, welche die Schätzung aufgrund der Bauform des Hörgerätes (oder Ohrpassstücks) und des gemessenen Schalldruckpegels des Umgebungsgeräusches realisiert. Es werde nicht bestritten, dass die Insitu-Audiometrie (mit einem Hörgerät) zum Stand der Technik gehöre. Es bedürfe allerdings einer unzulässigen rückschauenden Betrachtung, von E1 ausgehend, wo keinerlei Hörgerät verwendet wird, eine genauere Anpassung der Hörgeräteeinstellungen erreichen zu wollen. Es sei somit nicht naheliegend, die in E1 offenbarte Hörbereichsbestimmung mittels Kopfhörer durch Verwendung eines Hörgeräts wie in der Insitu-Audiometrie zu ersetzen. Keine der vorgelegten Druckschriften, inklusive E18 bis E27, offenbare die Schätzung des Schalldruckpegels vor dem Trommelfell aufgrund der Bauform des Hörgerätes und des gemessenen Schalldruckpegels des Umgebungsgeräusches zu realisieren.

In E2, inbesondere Absatz [0007], werde lediglich erwähnt, die Anpassung eines Hörgerätes in realen Umgebungssituationen der Person zu realisieren. Die Messung von Umgebungsgeräuschen und die Berücksichtigung derselben bei der Bestimmung des Hörbereichs werde in E2 allerdings nicht offenbart. Somit gelange der Fachmann aus der Kombination der Insitu-Audiometrie mit E2 nicht ohne weiteres zum beanspruchten Gegenstand.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulässigkeit von Beweismitteln

Die Beschwerdegegnerin wandte sich gegen die Zulassung der erstmals mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Druckschriften E18 bis E27 und B1. Da das Streitpatent im Einspruchsverfahren unverändert aufrechterhalten worden sei und da diese Dokumente lediglich als Nachweis des allgemeinen Fachwissens dienen sollten, hätten sie bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können. Darüber hinaus seien sie für die zu diskutierende erfinderische Tätigkeit nicht prima facie relevant.

Ungeachtet dieser prinzipiell durchaus zutreffenden Tatsachen sieht die Kammer die zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereichten Dokumente E18 bis E27 allerdings als einen Versuch an, die bereits in der ersten Instanz gegen das Patent vorgebrachten Argumente zu untermauern. Dies ist somit als normales Verhalten der unterlegenen Parteien zu werten und stellt keinen Verfahrensmissbrauch dar (Rechtsprechung der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts, IV.C.1.4.4(b), 7. Auflage 2013). Demzufolge sieht die Kammer keinen überzeugenden Grund, die rechtzeitig mit der Beschwerdebegründung eingereichten Dokumente E18 bis E27 nicht ins Verfahren zuzulassen.

Dokument B1 ist allerdings ein undatierter, mit der Beschwerdebegründung im Jahr 2011 vorgelegter Internetauszug, der somit als möglicher Nachweis der Definition des Begriffs "Hörbereich" zum Prioritätsdatum in 2003 von vorn herein ausscheidet. Demzufolge entscheidet die Kammer, B1 nicht ins Verfahren zuzulassen.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1 Gegenstand des Streitpatents ist die sogenannte Insitu-Audiometrie, bei der der Hörstatus des individuellen Schwerhörenden mittels Tönen, die vom getragenen Hörgerät generiert werden, gemessen wird (Absatz [0002] des Patents). Wie in Absatz [0004] dargelegt wird und während der mündlichen Verhandlung von der Beschwerdegegnerin bestätigt wurde, waren derartige Verfahren zum Zeitpunkt des Prioritätsdatums seit einigen Jahren bekannt.

3.2 Das Streitpatent erwähnt ferner (Absatz [0005]), dass bei der Bestimmung des Hörstatus allerdings das Problem auftritt, dass laute Umgebungsgeräusche bei einer Hörschwellenmessung die leisen, vom Hörgerät generierten Töne verdecken können. Dies kann vor allem bei einer ambulanten Anpassung der Fall sein, wenn typischerweise ohne schallisolierte Hörkabine gearbeitet wird. Somit ist die im Streitpatent dargestellte Aufgabe, eine verbesserte Anpassung von Hörgeräten auch in nicht schallisolierten Räumen zu gewährleisten (Absatz [0011]).

3.3 Die im Patentanspruch 1 definierte Vorrichtung zur Bestimmung eines Hörbereichs beinhaltet im Wesentlichen eine Schätzeinrichtung zum Schätzen eines Schalldruckpegels vor dem Trommelfell eines Patienten, der ein Hörgerät trägt, zumindest anhand der Bauform des Hörgeräts oder Ohrpassstücks und des gemessenen Schalldruckpegels des Umgebungsgeräusches, sowie eine Auswerteeinrichtung zum Bestimmen eines messbaren Hörbereichs auf der Grundlage des geschätzten Schalldruckpegels vor dem Trommelfell.

3.4 Die Beschwerdeführerinnen gingen im schriftlichen Verfahren von Dokument E1 als nächstliegendem Stand der Technik aus.

E1 betrifft ein Audiometer, mit dem Umgebungsgeräusche erzeugt und gemessen werden, aus denen ein Hörbereich bestimmt wird (Zusammenfassung). Der gemessene Hörbereich ist der Bereich, in dem eine subjektive Hörschwelle messbar ist (wie auch im Streitpatent auf Spalte 2, Zeilen 54 bis 58 dargelegt wird). D.h. die Untergrenze des messbaren Hörbereichs stellt die niedrigste, messbare Hörschwelle dar.

Bei dem Audiometer in E1 wird allerdings kein Hörgerät zur Erzeugung der Testtöne (wie bei der erwähnten Insitu-Audiometrie des Streitpatents) benutzt, sondern Kopfhörer (25) (Spalte 3, Zeilen 15 bis 19). Das Audiometer besitzt ferner eine Messeinrichtung zum Messen eines Schalldruckpegels eines Umgebungsgeräusches (mit einem Mikrophon (15) und angeschlossener Signalverarbeitung (16 bis 19) (Spalte 2, Zeilen 47 bis 55; Spalte 4, Zeilen 49 bis 67)). Die Testtöne werden solange wiederholt, bis die Differenz von äußerem Geräuschpegel und Testpegel einen Schwellwertpegel zwischen Testpegel und Geräuschpegel unterschreitet (Spalte 2, Zeilen 40 bis 65). Dieser Schwellwertpegel ist insbesondere von der Dämpfung der Ohrmuscheln der Kopfhörer abhängig, wie auf Spalte 4, Zeilen 49 bis 58 erläutert wird.

Es erscheint gerechtfertigt, die Mittel zur Bestimmung dieses Schwellwertpegels als unter den beanspruchten Begriff einer "Schätzeinrichtung zum Schätzen eines Schalldruckpegels vor dem Trommelfell" fallend anzusehen. Der Begriff des "Schätzens" wird auch im Streitpatent in breiter, unkonventioneller Weise verwendet, da diesbezüglich in der Beschreibung auf Spalte 4, Zeilen 14 bis 15 und im Text unter Punkt 1 der Figur 1 spezifischer von einer "Berechnung" die Rede ist. Da die Bestimmung des Schwellwertpegels in E1 zudem von der Schalldämpfung der Ohrmuscheln der Kopfhörer abhängig ist und die Schalldämpfung als ein Teilaspekt der "Bauform" der Ohrmuscheln angesehen werden kann, stellen die Mittel zur Bestimmung des Schwellwertpegels in E1 eine Schätzeinrichtung zum Schätzen eines Schalldruckpegels vor dem Trommelfell aufgrund der Bauform der Ohrmuscheln dar.

3.5 Somit ist bei der Bestimmung des Hörbereichs in E1 die Ankopplung der Ohrmuscheln der Kopfhörer an den Patienten maßgebend, während beim beanspruchten Gegenstand die Ankopplung des Hörgerätes an den Patienten maßgebend ist. In die Bestimmung des Hörbereichs in E1 geht folglich nicht die Bauform des Hörgeräts oder Ohrpassstücks ein, wie Anspruch 1 definiert. Aufgrund dieses (unbestrittenen) Unterscheidungsmerkmals ist die Neuheit der beanspruchten Vorrichtung gegenüber E1 gegeben.

3.6 Die Beschwerdeführerinnen sahen die daraus resultierende objektive technische Aufgabe darin, eine Verbesserung bei der Audiogrammerstellung in einem nicht schallisolierten Raum, in dem Störgeräusche vorhanden sind, zu erhalten. Sie waren der Meinung, dass dem Fachmann allgemein bekannt gewesen sei, die Insitu-Audiometrie anzuwenden, um eine genauere Anpassung der Hörgeräteeinstellungen zu erhalten. Somit würde der Fachmann die Lehre von E1 auf die Insitu-Audiometrie übertragen.

3.7 Die Kammer kann dieser Argumentation jedoch nicht folgen. Es ist zwar unbestritten, dass die Insitu-Audiometrie (mit einem Hörgerät) zum Stand der Technik gehört (siehe Punkt 3.1 oben). Es bedarf allerdings einer unzulässigen rückschauenden Betrachtung, von E1 ausgehend, bei dem keinerlei Hörgerät verwendet wird, das Ziel zu postulieren, eine genauere Anpassung der Hörgeräteeinstellungen zu erhalten. Diese Feststellung trifft auch dann zu, wenn man die zum Zeitpunkt der Priorität bekannte Insitu-Audiometrie als zum allgemeinen Fachwissen des auf diesem Gebiet tätigen Fachmannes gehörend ansehen würde.

Ausgehend von E1 ergibt sich somit für den Fachmann unter Heranziehung von allgemeinem Fachwissen keine offensichtliche Veranlassung, das in E1 beschriebene Verfahren beizubehalten und nur dahingehend zu "verbessern", die darin verwendeten Kopfhörer durch ein Hörgerät auszutauschen.

3.8 Die Beschwerdeführerinnen bedienen sich der Druckschriften E22, E23 (= E4) und E24, um zu beweisen, dass es allgemeines Fachwissen war, die Insitu-Audiometrie zu verwenden. Da diese Dokumente aus spezialisierten Quellen wie Fachzeitschriften und Patentschriften stammen, liefern sie nach Meinung der Kammer keinen stichhaltigen Beweis für das allgemeine Fachwissen (Rechtsprechung der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts, I.C.1.6.1, 7. Auflage 2013). Dokumente E22, E23 und E24 bestätigen lediglich die Aussage in Absatz [0004] des Streitpatents dahingehend, dass zum Prioritätsdatum die Insitu-Audiometrie zum Stand der Technik gehörte. Diese Dokumente, sowie die weiteren zitierten Dokumente E2, E19 bis E21 und E25 bis E27, haben keinerlei Relevanz hinsichtlich des Unterscheidungsmerkmals der Bestimmung des Hörbereichs anhand der Bauform des Hörgeräts oder Ohrpassstücks (eines Hörgeräts).

3.9 Folglich würde der von E1 ausgehende Fachmann nicht zu einer Vorrichtung mit einer Schätzeinrichtung zum Schätzen eines Schalldruckpegels vor dem Trommelfell eines Patienten gelangen, die die Schätzung anhand der Bauform des Hörgeräts oder Ohrpassstücks (eines Hörgeräts) und des gemessenen Schalldruckpegels des Umgebungsgeräusches realisiert.

3.10 Während der mündlichen Verhandlung argumentierten die Beschwerdeführerinnen zusätzlich, dass sich der patentierte Gegenstand in naheliegender Weise alternativ auch aus der Kombination der bekannten Insitu-Audiometrie (gemäß Absatz [0002] und [0004] des Patents) als nächstem Stand der Technik mit E2 (insbesondere Absatz [0007]) ergebe.

Es ist im Zusammenhang mit der Insitu-Audiometrie allerdings nicht offenbart, dass der Schalldruckpegel von Umgebungsgeräuschen gemessen wird und dass der gemessene Schalldruckpegel des Umgebungsgeräusches und die Bauform des Hörgeräts bei der Bestimmung des Hörbereichs gemäß Anspruch 1 berücksichtigt wird. Diese Merkmale lösen die im Absatz [0011] des Streitpatents erwähnte technische Aufgabe, eine verbesserte Anpassung von Hörgeräten auch in nicht schallisolierten Räumen zu gewährleisten (siehe obige Punkte 3.1 und 3.2).

In E2, insbesondere Absatz [0007], wird zwar erwähnt, dass sich die Anpassung eines Hörgerätes auch in realen Umgebungssituationen der Person durchführen lässt. Es wird aber keine Messeinrichtung zum Messen des Schalldruckpegels eines Umgebungsgeräusches, und folglich auch keine entsprechende Schätz- und Auswerteeinrichtung gemäß Anspruch 1 offenbart.

Somit würde der Fachmann durch die Kombination der bekannten Insitu-Audiometrie mit der Lehre aus E2 ebenfalls nicht dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 gelangen.

3.11 Aus den vorangehenden Gründen erachtet die Kammer die vorgebrachten Einwände hinsichtlich erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ gegen die Vorrichtung des Patentanspruchs 1 als unbegründet. Dies gilt analog für den unabhängigen Patentanspruch 7, da dieser ein dem Vorrichtungsanspruch 1 entsprechendes Verfahren definiert.

4. Weitere Einwände gegen die Aufrechterhaltung des erteilten Patents wurden nicht vorgebracht.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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