European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2013:T141411.20130723 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 23 Juli 2013 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1414/11 | ||||||||
Anmeldenummer: | 06009214.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | B32B 18/00 F16L 59/00 C04B 35/532 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Hochtemperaturbeständiger Verbundwerkstoff | ||||||||
Name des Anmelders: | SGL Carbon SE | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Carbone Lorraine Composants | ||||||||
Kammer: | 3.3.09 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Änderungen - Erweiterung (verneint) Verspätete Klarheitseinwände (nicht zugelassen) Verspätete Dokumente (nicht zugelassen) Neuheit - Zugänglichkeit (bejaht) Neuheit (bejaht) Erfinderische Tätigkeit (bejaht) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde des Patentinhabers richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent EP 1 852 252 zu widerrufen.
II. Der Einsprechende hatte den Widerruf des Patentes im gesamten Umfang auf der Grundlage der Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) beantragt.
Im Einspruchsverfahren wurden unter anderem vorgelegt:
D3: H. C. Nicholson, "Bonding of a Pyrolytic Graphite Hypervelocity Impact Target", WANL-PR(FF)-001, NASA CR 54734, 15. September 1965;
D17: EP 0 527 948 B1;
D18: EP 0 538 417 B1;
D23: N. Cunningham et al, "Structural and mechanical characterization of as-compared powder mixtures of graphite and phenolic resin", Carbon 43, 2005, Seite 3054 bis 3066;
D27G: Aufnahmen des Graphits in Colle SGL und Colle GV;
D30A: Erklärung von Frau N. L. Heimerl, unterzeichnet am 2-9-11;
D31: Einwendung Dritter vom 5. März 2008;
D33: Produktdatenblatt von TIMCAL TIMREX® KS6 Primary Synthetic Graphite;
D34: G. Juri et al, "High-Purity Graphite Powders for High Performance", cfi/Ber. DKG 84, 2007, Nummer 4, Seite E22 bis E25;
D34A: G. Juri et al, "High-Purity Graphite Powders for High Performance", Internetausdruck; und
D41: Internetausdurck zu "TIMCAL TIMREX® KS6 Primary Synthetic Graphite".
III. Der am 16. März 2011 mündlich verkündeten und am 4. April 2011 schriftlich begründeten Entscheidung der Einspruchsabteilung lagen die erteilten Ansprüche (Hauptantrag) sowie ein 1. und 2. Hilfsantrag zugrunde, wobei der erteilte Anspruch 1 wie folgt lautete:
"1. Hochtemperaturbeständiger Verbundwerkstoff, umfassend mindestens zwei Schichten aus hochtemperaturbeständigen kohlenstoff- oder grafitbasierenden Werkstoffen, welche durch einen carbonisierten Binder miteinander verbunden sind, dadurch gekennzeichnet, dass der Binder flächige anisotrope Partikel aus Graphit enthält."
Anspruch 1 des 1. Hilfsantrages war gegenüber dem erteilten Anspruch 1 hinsichtlich der Werkstoffe der verbundenen Schichten sowie dem Durchmesser der Graphitpartikel eingeschränkt. Ferner waren die Graphitpartikel als Flocken aus Naturgraphit oder als durch Zerkleinern von zu flächigen Gebilden verdichtetem Graphitexpandat erhaltene Partikel definiert.
Anspruch 1 des 2. Hilfsantrages unterschied sich vom erteilten Anspruch 1 ausschließlich dadurch, dass die Werkstoffe der verbundenen Schichten näher definiert wurden.
IV. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung kann wie folgt zusammengefasst werden:
- Hauptantrag
Der am 1. Dezember 1965 als "unclassified" bezeichnete Bericht D3 sei ab diesem Datum für jeden Interessenten frei käuflich gewesen. Dies könne zweifelsfrei aus den Preisangaben auf dem Deckblatt der D3 gefolgert werden. Es sei daher nicht glaubhaft, dass zwischen der NASA und den in D3 aufgelisteten Vertragspartnern eine Geheimhaltungsvereinbarung bis zum Anmeldedatum des Streitpatents bestanden habe. D3 gehöre damit zum vorveröffentlicht Stand der Technik.
Dem Hauptantrag mangele es an Neuheit gegenüber D3. Aus diesem Dokument gehe hervor, dass Graphitplatten mit einem Binder aus Phenol-Formaldehyd, vermischt mit einem Füllmaterial aus Grafoil®-Pulver, verklebt worden seien. Da das Grafoil®-Pulver durch Pulverisierung von Grafoil®-Folien in einer Hammermühle hergestellt worden sei (wie auch im Streitpatent vorgesehen), müsse dieses Pulver auch flächige, anisotrope Graphitpartikel enthalten.
Ferner sei der Hauptantrag auch nicht neu gegenüber Beispiel 8 der D17 und Beispiel 14 der D18. Diese Beispiele beschrieben die Verklebung von Graphitplatten mit einem RIGIDLOCK®-Binder. Das Argument des Patentinhabers, dass dieser Binder synthetisch hergestellt sei und damit andere Eigenschaften als die anspruchsgemäßen Binder habe, sei nicht überzeugend, da Anspruch 1 nicht auf natürlichen Graphit begrenzt sei, und in D34 gezeigt sei, dass sowohl natürlicher als auch synthetischer Graphit flächige, flockenartige Partikel enthalte.
- 1. Hilfsantrag
Die Neuheit gegenüber D3 sei anzuerkennen, da die dort verbundenen Werkstoffe aus pyrolytischen Graphitplatten bestünden und der Durchmesser der Graphitpartikel weniger als 590 mym betrage.
Auch hinsichtlich D17 sei die Neuheit anzuerkennen, da dort als Binder kein Naturgraphit, sondern der synthetische Graphit RIGIDLOCK® der Firma TIMCAL mit der Bezeichnung TIMREX® KS-6 eingesetzt werde.
Jedoch mangele es dem Gegenstand des Anspruchs 1 des 1. Hilfsantrages an erfinderischer Tätigkeit gegenüber D17 als nächstliegendem Stand der Technik. Wie in D34 gezeigt, könne sowohl natürlicher als auch synthetischer Flockengraphit je nach Herstellungsprozess mehr oder weniger kristallin, rein oder hochrein sein. Somit könne der Fachmann auf dem Gebiet der Verbundwerkstoffe die vom Patentinhaber behaupteten Verbesserungen sowohl mit Naturgraphit als auch mit synthetischem Graphit erzielen. Ferner sei Anspruch 1 ohne Angabe der Mindest- beziehungsweise Maximalmenge von Graphit im Binder so breit formuliert, dass nicht glaubhaft sei, dass die vorgenannten Verbesserungen über den gesamten beanspruchten Bereich erzielt würden.
- 2. Hilfsantrag
Der 2. Hilfsantrag wurde nicht in das Verfahren zugelassen, da die Definition der Werkstoffe der zu verbindenden Schichten nicht die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ erfüllte und da der Antrag verspätet vorgelegt worden sei.
V. Gegen diese Entscheidung legte der Patentinhaber (Beschwerdeführer) am 14. Juni 2011 Beschwerde ein und entrichtete am selben Tag die vorgeschriebene Gebühr. Die am 12. August 2011 eingereichte Beschwerdebegründung enthielt einen Hauptantrag sowie die Hilfsanträge 1-4 zusammen mit
D36: E-Mail-Korrespondenz zwischen Frau H. Galus und Herrn W. Watzka; und
D37: Seminarfolie "Typical Properties of Synthetic Graphite Overview", SGL Group, 6. bis 8. Oktober 2010.
VI. Die Erwiderung des Einsprechenden (Beschwerdegegners) erfolgte mit Schreiben vom 3. Januar 2012. Zusammen mit dieser Erwiderung wurden eingereicht:
D38: "U.S. Government Research & Development Reports", 10. Mai 1966, Band 41, Nummer 9, 14 Seiten;
D39: M. Smalc et al, "Thermal Performance of Natural Graphite Heat Spreaders", Proceedings of IPACK2005, ASME InterPACK '05, 17. bis 22. Juli, San Francisco, USA, Seite 1 bis 11; und
D42: A. V. Tamashausky, "Graphite - A Multifunctional Additive for Paint and Coatings", Paint & Coatings Industry October 2003, Seite 64 bis 66, 68, 70, 72, 74 bis 77, 79.
VII. Mit Schreiben vom 13. Juli 2012 reichte der Beschwerdeführer neue Hilfsanträge 1 bis 5 ein.
VIII. In der am 21. Februar 2013 ergangenen Mitteilung wurde den Parteien die vorläufige Meinung der Kammer mitgeteilt, in der u. a. ausgeführt wurde, dass nicht D17, sondern D3 den nächstliegenden Stand der Technik darzustellen scheine.
IX. Mit Schreiben vom 18. März 2013 wurden vom Beschwerdegegner eingereicht
D43: FR 1,395,964;
D44: US 3,404,061;
D45: US 3,494,382;
D46: US 758,239; und
D47: J. F. Revilock, ""Grafoil" Graphite Tape - Its Manufacture, Properties and Uses", Am. Chem. Soc., Div. Fuel Chem., Prepr.; (United States); Band 12:4; 156th national meeting on standards in nuclear chemistry and technology, Atlantic City, NJ, USA, 8. September 1968.
X. Mit Schreiben vom 21. Mai 2013 wurden vom Beschwerdeführer Hilfsanträge 4-8 eingereicht zusammen mit den Dokumenten
E1: Versuchsbericht zur Grafitfolie F02012Z, datiert 21. Mai 2013;
E2: Versuchsbericht zur Grafitfolie L20003Z, datiert 21. Mai 2013; und
E3: Vortragsfolien "Carbon-related Solutions For Modern Batteries", TIMCAL GRAPHITE & CARBON, Batteries 2009, Cannes-Mandelieu, September 2009.
Ferner wurde das Einreichen der Dokumente D43 bis D47 als verspätet gerügt.
XI. Eine Erwiderung hierzu wurde vom Beschwerdegegner mit Schreiben vom 6. Juni 2013 eingereicht. Hierbei wurden erstmals Klarheitseinwände und Einwände unter Artikel 100(b)/83 EPÜ erhoben. Ferner wurde beantragt, die Dokumente E1 bis E3 nicht in das Verfahren zuzulassen.
XII. Eine weitere Erwiderung seitens des Beschwerdeführers erfolge mit Schreiben vom 10. Juli 2013, in der E1 und E2 in unterschriebener Form als E1-2 und E2-2 nochmals eingereicht wurden. Ferner wurde ausgeführt, dass die Klarheitseinwände sowie die Einwände unter Artikel 100(b)/83 EPÜ als verspätet und verfahrensmissbräuchlich anzusehen seien.
XIII. Am 23. Juli 2013 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Beide Parteien hielten ihre im schriftlichen Verfahren eingereichten Anträge aufrecht, wobei vom Beschwerdegegner der Einwand unter Artikel 100(b)/83 EPÜ zurückgenommen wurde. Vom Beschwerdeführer wurden an die Ansprüche des Hauptantrages angepasste Beschreibungsseiten 3, 3a, 4 und 5 eingereicht.
XIV. Anspruch 1 des Hauptantrages lauteten wie folgt:
"1. Hochtemperaturbeständiger Verbundwerkstoff, umfassend mindestens zwei Schichten aus hochtemperaturbeständigen kohlenstoff- oder grafitbasierenden Werkstoffen, welche durch einen carbonisierten Binder miteinander verbunden sind, dadurch gekennzeichnet, dass der Binder flächige anisotrope Partikel aus Graphit enthält, wobei die flächigen anisotropen Partikel Flocken aus Naturgraphit oder durch Zerkleinern von zu flächigen Gebilden verdichtetem Graphitexpandat erhaltene Partikel sind, und, wobei die thermische Leitfähigkeit in den flächigen anisotropen Partikeln aus Graphit entlang der Schichtebenen des Graphits mindestens um den Faktor 10 höher ist als senkrecht zu den Schichtebenen des Graphits" (das letztgenannte Merkmal ist nachfolgend als Anisotropiegrad bezeichnet).
Die weiteren unabhängigen Ansprüche 5 und 6 sind auf die Verwendung des Verbundwerkstoffs des Anspruchs 1 beziehungsweise auf ein Verfahren zum Verbinden von Schichten oder Bauteilen mit einem Binder gerichtet, wobei der Binder analog zu dem Binder in Anspruch 1 definiert ist.
XV. Die Argumente des Beschwerdeführers bezüglich des Hauptantrages können wie folgt zusammengefasst werden:
- Änderungen - Artikel 123(2) EPÜ
Eine Basis für die Kombination der Merkmale der Ansprüche 1 und 2 liege in Absatz [0013] des Streitpatentes (entsprechend dem vierten Absatz auf Seite 5 der ursprünglich eingereichten Anmeldung) vor. Die Kombination der Ansprüche 1 und 3 sei auf Absatz [0018] des Streitpatents (entsprechend dem die Seiten 7 und 8 der ursprünglich eingereichten Anmeldung überbrückenden Absatz) gestützt. Schließlich finde Anspruch 6 eine Basis in den ursprünglichen Ansprüchen 8, 13 und 16 und sei die Kombination dieser Merkmale der Seite 4, Zeile 17 bis 22 der ursprünglich eingereichten Anmeldung entnehmbar.
- Änderungen - Artikel 84 EPÜ
Diese Einwände seien nicht zulässig, da die vermeintlichen Klarheitsmängel bereits in den erteilten Ansprüchen vorhanden waren. Zudem seien die Einwände verspätet vorgebracht, nicht relevant und außerdem habe nicht ausreichend Zeit bestanden, auf die Einwände reagieren zu können. Auch sei der Einwand, dass der anspruchsgemäße Anisotropiegrad wegen fehlender Angaben zur Messmethode unklar sei, völlig unsubstantiiert. Darüber hinaus wisse der Fachmann, dass der Anisotropiegrad mit einem Laser-Flash-Verfahren bestimmt werden könne.
- Neuheit
Das Dokument D3 sei nicht öffentlich zugänglich gewesen und stelle damit hinsichtlich des Streitpatents keinen Stand der Technik dar. Die Hinweise auf die käufliche Erwerbbarkeit in D3 könnten auch bedeuten, dass das Dokument nur von NASA-Mitarbeitern gekauft werden konnte und damit der Öffentlichkeit nicht zur Verfügung stand. Auch in der Erklärung D30A werde lediglich festgehalten, dass das Dokument für NASA-Mitarbeiter und Vertragspartner zugänglich war. In diesem Zusammenhang sei auch das Dokument D38 nicht relevant, da nicht sicher sei, dass dieses Dokument vor dem Anmeldetag des Streitpatents in der Universitätsbibliothek von Grenoble eingegangen sei. Schließlich werde durch D36 belegt, dass der in D3 enthaltene Eintrag "UNCLASSIFIED" nicht bedeute, das dieses Dokument öffentlich zugänglich war.
Unabhängig hiervon nehme D3 den Gegenstand des Hauptantrages auch nicht neuheitsschädlich vorweg. So sei in D3 die anspruchsgemäße Flächigkeit nicht offenbart. In diesem Zusammenhang sei dem Streitpatent nicht zu entnehmen, dass jede Art des Mahlens automatisch zu flächigen Partikeln führt. Im Gegenteil sei es Teil des allgemeinen Fachwissens, dass die Partikelmorphologie von den Mahlbedingungen abhänge. Da in D3 keinerlei Information zu den Bedingungen während der dort offenbarten Pulverisierung in einer Hammermühle enthalten sei, könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die in D3 offenbarten Graphitpartikel die anspruchsgemäße Flächigkeit aufweisen.
Darüber hinaus enthalte D3 auch keine explizite Offenbarung des anspruchsgemäßen Anisotropiegrades. Es könne auch nicht angenommen werden, dass dieser implizit in D3 vorhanden sei. Wie aus D31 hervorgehe, hänge der Anisotropiegrad stark von der Dichte des Materials ab. Da D3 nichts über die Dichte der verwendeten Grafoil®-Folie aussage, und aus D23 hervorgehe, dass die Dichte von Grafoil®-Folien in einem Bereich von 0,2 bis 1,5 g/cm**(3) variiert, könne nicht zu Gunsten des Beschwerdegegners angenommen werden, dass die Dichte der Grafoil®-Folie in D3 oberhalb von 0,5 g/cm**(3) und damit der Anisotropiegrad im anspruchsgemäßen Bereich liege.
In diesem Zusammenhang seien die auf D39 und D42 gestützten Überlegungen des Beschwerdegegners nicht überzeugend, weil diese Druckschriften keinerlei Anhaltspunkt in Bezug auf das Produkt Grafoil® der D3 enthielten. Auch aus der Streitpatentschrift ergebe sich an keiner Stelle ein Hinweis, dass das in D3 offenbarte Grafoil®-Produkt einen anspruchsgemäßen Anisotropiegrad aufweist.
Die Neuheit sei auch gegenüber dem Beispiel 8 der D17 und Beispiel 14 der D18 zu bejahen. Der in diesen Beispielen offenbarte RIGIDLOCK®-Binder enthalte neben einem Phenolharz das Graphitpulver KS-6. Wie durch D33 und D41 gezeigt, handele es sich bei diesem KS-6 Graphitpulver um einen synthetischen Graphit. Somit offenbarten D17 und D18 nicht die anspruchsgemäßen Graphitpartikel aus Naturgraphit bzw. die anspruchsgemäßen durch Zerkleinern von zu flächigen Gebilden verdichtetem Graphitexpandat erhaltenen Partikel. Da aus D37 hervorgehe, dass synthetischer Graphit einen Anisotropiegrad von 1.625 bzw. 1 aufweise, sei ferner davon auszugehen, dass der Anisotropiegrad in D17 und D18 unterhalb der anspruchsgemäßen Untergrenze liege. In diesem Zusammenhang gehe aus D33 hervor, dass die KS-6 Graphitpartikel Teilchengrößen im Mikrometerbereich aufweisen, während die darin enthaltenen Kristallite Größen im Nanometerbereich besitzen, so dass im Gegensatz zu Partikeln aus Naturgraphit oder Graphitexpandat jeder KS-6 Graphitpartikel eine Vielzahl von Kristalliten enthält. Dies erkläre den in D37 beschriebenen niedrigen Anisotropiegrad von synthetischem Graphit, da die Anwesenheit einer Vielzahl kleiner Kristalle zu einem Herausmitteln der Anisotropie führe, so dass makroskopisch ein geringer Anisotropiegrad vorliege. Schließlich sei auch die anspruchsgemäße Flächigkeit in D17 und D18 nicht offenbart. In diesem Zusammenhang sei D27G nicht relevant, da die dort gefundene Flächigkeit an einem Produkt gemessen worden sei, das erst Jahre nach dem Prioritätsdatum der D17 und D18 zur Verfügung stand.
- Zulässigkeit von E1, E2 (bzw. E1-2 und E2-2) und E3
E1 und E2 belegten, dass das Vermahlen einer Graphitfolie in einer Hammermühle nicht zwangsläufig zu flächigen Graphitpartikeln führt. E3 zeige, dass die in dem RIGIDLOCK®-Binder der D17 enthaltenen KS-6 Graphitpartikel "sehr isotrop" sind. Da diese Dokumente hochrelevant seien, sollten sie in das Verfahren zugelassen werden.
- Zulässigkeit von D43 bis D47
D43 bis D47 seien verspätet vorgebracht und wegen fehlender Relevanz nicht in das Verfahren zuzulassen. D47 könne nicht belegen, dass der anspruchsgemäße Anisotropiegrad auch in dem 1965 in D3 beschriebenen Grafoil®-Produkt vorlag. Insbesondere handele es sich bei dem in D47 offenbarten Grafoil®-Produkt um eine neue Graphitform aus einem Graphitband, welches auch in Form von Schäumen oder geformten Gegenständen vorliegen kann. Das Grafoil®-Produkt der D47 sei somit von der in D3 verwendeten Grafoil®-Folie verschieden. Ferner offenbare keines der Dokumente D43 bis D46 den Anisotropiegrad eines Grafoil®-Produktes, geschweige denn, dass aus diesen Dokumenten der Anisotropiegrad der Grafoil®-Folie der D3 ableitbar sei.
- Erfinderische Tätigkeit
D3 stelle den nächstliegenden Stand der Technik dar. Die dem Patent zugrundeliegende Aufgabe sei in der Bereitstellung eines Binders zu sehen, der keine signifikante Wärmeleitung zwischen den zu verbindenden Schichten bewirkt und zum Abbau von Spannungen zwischen den Schichten führt. Diese Aufgabe werde durch flächige Graphitpartikel mit einem Anisotropiegrad von mindestens 10 gelöst. Infolge der Flächigkeit der Partikel komme es zu einer Ausrichtung der Partikel parallel zu den Werkstoffschichten, was wiederum aufgrund der anisotropen thermischen Leitfähigkeit der Graphitpartikel zur Folge habe, dass die Wärmeleitung parallel, jedoch nicht senkrecht zu den Schichten erfolge und damit eine Wärmeleitung von einer zur anderen Schicht unterbunden werde. Ferner bedinge die große Kristallgröße ein gutes Abgleiten der Graphitschichten, wodurch Spannungen zwischen den Schichten abgebaut würden. Die anspruchsgemäße Lösung werde durch D3 nicht nahegelegt, da D3 zum Wärmetransfer oder Spannungsabbau zwischen den Schichten nichts aussage. Diese Lösung ergäbe sich auch nicht aus D17 oder D18 da diese Druckschriften andere technische Gebiete als D3 beträfen und der Fachmann sie somit nicht mit D3 kombiniert würde.
Hinsichtlich der Argumente des Beschwerdegegners sei nicht relevant, ob kommerzielle Produkte zur Verfügung standen, die bei Anwendung des Verfahrens der D3 tatsächlich zum Anspruchsgegenstand geführt hätten. Es sei nicht zu prüfen, ob der Fachmann zum Anspruchsgegenstand gelangen könnte, sondern ob er angesichts der objektiven Aufgabe tatsächlich zum Anspruchsgegenstand gelangen würde.
XVI. Die Argumente des Beschwerdegegners bezüglich des Hauptantrages können wie folgt zusammengefasst werden:
- Änderungen - Artikel 123(2) EPÜ
Anspruch 2 entspreche einer Kombination der ursprünglichen Ansprüche 1, 2, 4 und 6. Analog entspreche Anspruch 3 einer Kombination der ursprünglichen Ansprüche 1, 3, 4 und 6. Die Merkmalskombinationen dieser Ansprüche seien jedoch nicht ursprünglich offenbart. Ansprüche 2 und 3 erfüllten daher nicht die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ. Ferner seien die Merkmale des Anspruchs 6 zwar in den ursprünglichen Ansprüchen 8, 13 und 16 offenbart, es fehle jedoch auch hier eine Basis für die Kombination dieser Merkmale in der ursprünglich eingereichten Anmeldung.
- Änderungen - Artikel 84 EPÜ
Die Ansprüche seien sehr breit formuliert, so dass Ausführungsformen umfasst seien, die keinen Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit leisteten. Ferner sei der anspruchsgemäße Anisotropiegrad unklar, da im Streitpatent eine Angabe über die Messmethode zur Bestimmung des anspruchsgemäßen Anisotropiegrades fehle.
- Neuheit
D3 sei vor dem Anmeldetag des Streitpatents öffentlich zugänglich gewesen und stelle damit für das Streitpatent Stand der Technik dar. Diese öffentliche Zugänglichkeit gehe aus D3 selbst hervor, da dort vermerkt sei, dass das Dokument käuflich erwerbbar war und da das Dokument entsprechend dem Aufdruck "UNCLASSIFIED" keiner Geheimhaltung unterlag. Dass dieses Dokument ohne Geheimhaltungsverpflichtung zur Verfügung stand, werde außerdem durch die Erklärung D30A belegt. Ferner zeige D38 unzweifelhaft, dass D3 1966 vom Autor der D38 als öffentlich zugänglich angesehen wurde. Dem stehe auch die Erklärung D36 nicht entgegen, da dort explizit auf die Erklärung D30A Bezug genommen werde und festgehalten sei, dass im konkreten Fall der D3 keine Aussagen zur Frage einer Geheimhaltungsverpflichtung gemacht werden könnten.
Ferner nehme D3 den Gegenstand des Hauptantrages neuheitsschädlich vorweg. Die anspruchsgemäße Flächigkeit und der anspruchsgemäße Anisotropiegrad seien zwar nicht explizit offenbart. Gemäß Streitpatent führe das Mahlen von Graphitfolie und damit auch das in D3 offenbarte Pulverisieren in einer Hammermühle jedoch automatisch zu der anspruchsgemäßen Flächigkeit. In diesem Zusammenhang sei auch D39 relevant, deren Autoren zur GrafTech-Gruppe gehörten, die das in D3 offenbarte Produkt Grafoil® der D3 verkaufe. Aus diesem Dokument gehe hervor, dass die Anisotropie von Graphitexpandat oberhalb der anspruchsgemäßen Untergrenze von 10 liege. Zudem wiesen, wie durch D42 gezeigt, flächige Graphitpartikel und damit auch die Grafoil®-Partikel der D3 immer anisotrope physikalische Eigenschaften auf. Dies werde auch durch das Streitpatent selbst bestätigt, welches für Graphit Wärmeleitfähigkeitswerte nenne, die auf einen Anisotropiegrad im anspruchsgemäßen Bereich schließen lassen. Schließlich sei auch vom Beschwerdeführer in D31 zugegeben worden, dass der anspruchsgemäße Anisotropiegrad ein intrinsisches Merkmal der Grafoil®-Partikel der D3 darstelle.
Die Neuheit des Hauptantrages sei auch gegenüber Beispiel 8 der D17 und Beispiel 14 der D18 zu verneinen. Zwar bestünden die im RIGIDLOCK®-Binder enthaltenen KS-6 Graphitpartikel aus synthetischem Graphit, es sei jedoch D34A zu entnehmen, dass Partikel aus natürlichem und synthetischem Graphit die gleiche Morphologie und damit die gleichen physikalischen Eigenschaften aufweisen. Daher sei davon auszugehen, dass der anspruchsgemäße Anisotropiegrad inhärent in den KS-6 Graphitpartikeln der D17 und D18 vorhanden sei. Ferner besäßen diese Partikel, wie in D27G gezeigt, auch die anspruchsgemäße Flächigkeit.
- Zulässigkeit von E1, E2 (bzw. E1-2 und E2-2) und E3
E1 bis E3 seien nicht in das Verfahren zuzulassen, da diese Dokumente verspätet vorgebracht sein.
- Zulässigkeit von D43 bis D47
D43 bis D47 belegten, dass das in D3 offenbarte Produkt Grafoil® den anspruchsgemäßen Anisotropiegrad aufweist. Insbesondere sei D47 zu entnehmen, dass Grafoil® einen Anisotropiegrad von 33.3 aufweise. Aus D43 bis D46 gehe hervor, dass es sich bei dem Grafoil®-Produkt der D47 um dasjenige der D3 handele.
- Erfinderische Tätigkeit
Ausgehend von D3 als nächstliegendem Stand der Technik brauche der Fachmann nur ein kommerzielles Graphitprodukt im Verfahren der D3 einzusetzen, um zum Anspruchsgegenstand zu gelangen. Außerdem sei dem Fachmann bekannt, dass sich in einem Binder enthaltene flächige Graphitpartikel bei Druckausübung parallel zur Binderebene orientieren und dass infolge dieser Orientierung die Wärmeleitung senkrecht zur Binderebene, d. h. zwischen den durch den Binder verbundenen Schichten, verhindert würde. Somit habe es nahegelegen, flächige Graphitpartikel mit einer anisotropen Struktur in D3 einzusetzen. Schließlich sei bekannt, das Graphit ein Schmiermittel sei, so dass es auch nahelag, einen Graphitbinder zum Abbau von Spannungen einzusetzen.
- Hinsichtlich der Anpassung der Beschreibung wurden keine Einwände erhoben.
XVII. Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patentes in folgender Fassung:
- Ansprüche 1 bis 12 gemäß Hauptantrag, eingereicht mit Schreiben vom 12. August 2011;
- Beschreibung Seite 2 gemäß Patentschrift, Seiten 3, 3a, 4 und 5 wie eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer;
- Figur 1 gemäß Patentschrift.
Der Beschwerdegegner beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Hauptantrag
2. Änderungen - Artikel 123(2) EPÜ
2.1 Vom Beschwerdegegner wurden Einwände hinsichtlich der Ansprüche 2, 3 und 6 erhoben.
2.2 Ansprüche 2 und 3 definieren die Werkstoffe der Schichten des Verbundwerkstoffes des Anspruchs 1 näher. Insbesondere bezieht sich Anspruch 2 auf einen "Verbundwerkstoff nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die mindestens zwei miteinander verbundenen Schichten aus je einem der folgenden Werkstoffe bestehen: Graphitfolie, auf eine Dichte zwischen 0,02 und 0,3 g/cm**(3) verdichtetes Graphitexpandat, Carbonfaser-Hartfilz, Carbonfaser-Weichfilz, carbonfaserverstärkter Kohlenstoff". Gleichermaßen ist Anspruch 3 auf einen Verbundwerkstoff nach Anspruch 1 gerichtet, "dadurch gekennzeichnet, dass der Verbundwerkstoff mindestens eine gekrümmte Schicht (3) aus auf eine Dichte zwischen 0,02 und 0,3 g/cm**(3) verdichtetem Graphitexpandat enthält, welche aus einzelnen Segmenten (3a, 3b, 3c) zusammengesetzt sind, die durch einen carbonisierten Binder miteinander verbunden sind, der flächige Partikel aus Graphit enthält".
Während Ansprüche 2 und 3 gegenüber den erteilten Ansprüchen 2 und 3 nicht geändert wurden, unterscheidet sich Anspruch 1 gegenüber dem erteilten Anspruch 1 dadurch, dass der die mindestens zwei Schichten verbindende Binder dahingehend definiert wurde, dass er flächige anisotrope Partikel aus Naturgraphitflocken oder aus durch Zerkleinern von zu flächigen Gebilden verdichtetem Graphitexandat erhaltene Partikel enthält (nachfolgend als "Naturgraphit- oder Expandatpartikel" bezeichnet), und dass die thermische Leitfähigkeit der flächigen anisotropen Partikel entlang der Schichtebenen des Graphits mindestens um den Faktor 10 höher ist als senkrecht zu den Schichtebenen des Graphits (nachfolgend als Anisotropiegrad bezeichnet) (bezüglich der genauen Anspruchsformulierung, siehe Punkt XIV).
2.2.1 Diese im Anspruch 1 hinzugefügte Definition der im Binder enthaltenen Graphitpartikel, die durch den Rückbezug auf Anspruch 1 auch in den Ansprüchen 2 und 3 enthalten ist, findet eine Basis in den Ansprüchen 4 (Naturgraphit- oder Expandatpartikel) und 6 (Anisotropiegrad) der ursprünglich eingereichten Anmeldung. Die die Schichtwerkstoffe betreffenden Merkmale der Ansprüche 2 und 3 sind in den Ansprüchen 2 und 3 der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbart. Die Tatsache, dass diese Merkmale der Graphitpartikel und der Schichtwerkstoffe Teil der ursprünglich eingereichten Ansprüche sind, impliziert, dass es sich hierbei um bevorzugte Merkmale handelt.
2.2.2 Der Beschwerdegegner erhob einen Einwand dahingehend, dass die Kombination dieser bevorzugten Merkmale der Graphitpartikel einerseits mit denjenigen der Schichtwerkstoffe andererseits ursprünglich nicht offenbart sei. Insbesondere enthielten die ursprünglichen diese Merkmale offenbarenden Ansprüche 2, 3, 4 und 6 keine gegenseitige Rückbeziehung. Daher könnten diese ursprünglichen Ansprüchen keine Basis für die Kombination der darin offenbarten Merkmale liefern.
2.2.3 Diesem Argument kann sich die Kammer nicht anschließen. Insbesondere findet sich eine implizite Basis für die angegriffene Merkmalskombination im ersten Satz des vierten Absatzes der Seite 5 der ursprünglich eingereichten Anmeldung, der wie folgt lautet:
"Die flächige anisotrope Partikel aus Graphit enthaltenden carbonisierbaren Binder sind geeignet zur Herstellung von Schichtverbundwerkstoffen aus verschiedenen für Hochtemperaturanwendungen gebräuchlichen Kohlenstoff- oder Graphitwerkstoffen bzw. deren Vorstufen, wie beispielsweise Schichten aus ...".
Aus dieser Textpassage geht unmittelbar und eindeutig hervor, dass der in der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbarte Binder, d. h. auch der Binder mit den bevorzugten Graphitpartikeln, für die verschiedenen, in der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbarten Schichten aus Kohlenstoff- und Graphitwerkstoffen, und damit auch für die in den ursprünglichen Ansprüchen 2 und 3 offenbarten Schichtwerkstoffe eingesetzt werden kann.
2.3 Der vom Beschwerdegegner ebenfalls angegriffene Anspruch 6 bezieht sich auf ein mehrere Schritte umfassendes Verfahren zum Verbinden von Schichten oder Bauteilen mit einem carbonisierbaren Binder, dem flächige anisotrope Graphitpartikel zugesetzt sind. Die Graphitpartikel sind wie im Anspruch 1 als Naturgraphit- oder Expandatpartikel definiert und durch ihren Anisotropiegrad charakterisiert. Eine Basis für die jeweiligen Merkmale des Anspruchs 6 stellen Ansprüche 8 (Verfahrensschritte), 13 (Naturgraphit- oder Expandatpartikel) und 16 (Anisotropiegrad) der ursprünglich eingereichten Anmeldung dar.
Vom Beschwerdegegner wurde argumentiert, dass diese ursprünglichen Ansprüche die Merkmale des Anspruchs 6 nicht in Kombination offenbarten.
Auch dieses Argument muss fehlgehen. Eine Kombination der Merkmale des ursprünglichen Anspruchs 13 beziehungsweise des ursprünglichen Anspruchs 16 mit denjenigen des ursprünglichen Anspruchs 8 ergibt sich unmittelbar und eindeutig aus dem Rückbezug der ursprünglichen Ansprüche 13 und 16 auf den ursprünglichen Anspruch 8. Ferner geht die Kombination der Merkmale der ursprünglichen Ansprüche 13 und 16 untereinander, d. h. eine Kombination der Definition als Naturgraphit- oder Expandatpartikel mit einem Anisotropiegrad von mindestens 10 unmittelbar und eindeutig aus Seite 4, Zeile 17 bis 22 der ursprünglich eingereichten Anmeldung hervor ("In beiden Varianten der erfindungsgemäß dem carbonisierbaren Binder zugesetzten Partikel, d. h. sowohl in Naturgraphitflocken als auch in dem durch Zerkleinern von Graphitfolie gewonnenen plättchenförmigen Partikeln liegt die typische Schichtebenenstruktur des Graphits vor, welche die für Graphit charakteristische hohe Anisotropie der thermischen Leitfähigkeit bewirkt. Die thermische Leitfähigkeit entlang der Schichtebenen, also in der Flächenausdehnung der Partikel ist mindestens um den Faktor 10, bevorzugt mindestens um den Faktor 20 höher als senkrecht zu den Schichtebenen." (Hervorhebungen durch die Kammer)).
2.4 Somit finden die vom Beschwerdegegner angegriffenen Ansprüche 2, 3 und 6 eine Basis in der ursprünglichen Offenbarung. Da keine weiteren Einwände vorgebracht wurden und die Kammer der Überzeugung ist, dass eine Basis auch für die weiteren Ansprüche des Hauptantrages vorliegt, sind die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ erfüllt.
3. Änderungen - Artikel 84 EPÜ
3.1 Vom Beschwerdegegner wurden erstmals mit Schreiben vom 6. Juni 2013 Klarheitseinwände erhoben. Vom Beschwerdeführer wurde beantragt, diese Einwände nicht in das Verfahren zuzulassen.
3.2 Die Klarheitseinwände beziehen sich u. a. auf die Ansprüche des Hauptantrages, der vom Beschwerdeführer bereits mit Schreiben vom 12. August 2011 eingereicht wurde. Die Klarheitseinwände erfolgten somit beinahe zwei Jahre nach Einreichen der beanstandeten Ansprüche und nur etwa sechs Wochen vor der mündlichen Verhandlung vor der Kammer. Diese Klarheitseinwände sind daher als verspätet anzusehen.
3.3 Gemäß einem ersten, ausschließlich im schriftlichen Verfahren vorgebrachten Klarheitseinwand des Beschwerdegegners seien die Ansprüche sehr breit formuliert, so dass sie Ausführungsformen umfassten, die keinen Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit leisteten. Dies ist jedoch für die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ nicht relevant, da dieser Artikel weder eine enge Anspruchsformulierung noch einen Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit fordert.
3.4 Der zweite Klarheitseinwand des Beschwerdegegners besteht darin, dass der anspruchsgemäße Anisotropiegrad unklar sei, da im Streitpatent eine Angabe über die Messmethode zur Bestimmung des Anisotropiegrades fehle.
3.4.1 Das Fehlen von Angaben zur Messmethode kann jedoch einen Klarheitsmangel des zu bestimmenden Parameters nur dann begründen, wenn der Fachmann mehrere Messmethoden in Betracht gezogen hätte und diese zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würden. Diesbezüglich wurde keinerlei Nachweis vom Beschwerdegegner erbracht.
3.4.2 Dem verspäteten Einwand des Beschwerdegegners fehlt es somit an jeglicher Substanziierung. Ferner hätte bei Berücksichtigung dieses Einwandes dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben werden müssen, entsprechend zu reagieren, beispielsweise durch Nachweis, dass das von ihm genannte Laser-Flash-Verfahren die einzige vom Fachmann in Betracht gezogene Messmethode darstellt. Hierzu hätte es der Verlegung der mündlichen Verhandlung bedurft.
3.5 Die Kammer hat daher entschieden, die Klarheitseinwände des Beschwerdegegners nicht in das Verfahren zuzulassen (Artikel 13(1) und (3) RPBA).
3.6 Bei dieser Sachlage kann dahingestellt bleiben, ob, wie vom Beschwerdeführer vorgebracht, die Zulässigkeit des Klarheitseinwandes hinsichtlich des Anisotropiegrades auch deswegen zu verneinen ist, weil dieser bereits im erteilten abhängigen Anspruchs 6 vorhanden war.
4. Neuheit
4.1 Vom Beschwerdegegner wurde die Neuheit auf der Grundlage der Dokumente D3, D17 und D18 angegriffen.
4.2 Öffentliche Zugänglichkeit von D3
4.2.1 Es war zwischen den Parteien strittig, ob D3 vor dem Anmeldedatum des Streitpatentes (4. Mai 2006) öffentlich zugänglich war.
4.2.2 D3 stellt einen Forschungsbericht dar, der von H. C. Nicholson für die NASA abgefasst wurde und der das Datum "15. September 1965" (Seite 3 der D3) trägt. Vom Beschwerdeführer wurde nicht bestritten, dass das Dokument zu diesem Zeitpunkt abgefasst wurde, jedoch vertrat der Beschwerdeführer die Auffassung, dass das Dokument bis zum Anmeldetag des Streitpatentes nicht öffentlich zugänglich war.
4.2.3 Es kann jedoch bereits aus dem Dokument D3 selbst geschlossen werden, dass dieses Dokument nach seinem Erstelldatum der Öffentlichkeit zur Verfügung stand. So enthält D3 unmittelbar unterhalb des Datums auf Seite 3 den Hinweis, dass das Dokument käuflich erworben werden konnte ("Purchase Order C-67076-A"). Dies wird auch durch die folgenden weiteren Einträge in D3 bestätigt:
- "Requests for copies of this report should be referred to: National Aeronautics and Space Administration" (letzter Absatz auf Seite 2); und
- "GPO PRICE $
CFSTI PRICE(S) $
Hard copy (HC) 1.00
Microfiche (MF) .50"
Schließlich enthält D3 noch den Hinweis "INFORMATION CATEGORY UNCLASSIFIED" (Seite 3, linke obere Ecke).
4.2.4 Die öffentliche Zugänglichkeit des Dokumentes D3 wird noch zusätzlich durch die Erklärung D30A von Frau Nora Lynn Heimerl, immerhin "Agency Technical Publications Manager" der NASA, bestätigt. Gemäß dieser Erklärung hat Frau Heimerl das Dokument D3 und die damit verbundenen Dokumente geprüft und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass D3 für NASA-Mitarbeiter und NASA-Vertragspartner bereits 1966 ohne Geheimhaltungsbeschränkung verfügbar wurde ("...was made available for release to NASA employees and NASA contractors back in 1966, with no confidentiality restrictions associated with its release.").
4.2.5 Schließlich weist auf die öffentliche Zugänglichkeit der D3 auch D38 hin. Bei diesem Dokument handelt es sich um eine Veröffentlichung der US-Regierung mit dem Datum "10. Mai 1966" (rechte obere Ecke der Seite 1 und linke obere Ecke der Seite 2). Diese Veröffentlichung enthält eine Übersicht über Forschungs- und Entwicklungsberichte, einschließlich D3 (siehe zweiter Eintrag in der mittleren Spalte der Seite 518) mit der Zielsetzung, diese öffentlich verfügbar zu machen (Seite 2 von D38).
4.2.6 Dieser insgesamt eindeutigen Beweislage hinsichtlich der öffentlichen Zugänglichkeit der D3 steht auch die auf der ersten Seite der D36 enthaltene E-Mail der NASA-Patentanwältin Frau Galus nicht entgegen, da diese E-Mail sich auf die - eigentlich logische - Feststellung beschränkt, dass Dokumente, die den Vermerk "unclassified" bzw. eine Preisangabe enthalten, nicht notwendigerweise frei zugänglich waren. Außerdem verweist diese E-Mail explizit auf die Erklärung von Frau Heimerl (D30A), aus der hervorgeht, dass der Inhalt der D3 einem größeren Personenkreis ohne Geheimhaltungsbeschränkung zugänglich war. Schließlich geht aus dem ersten Absatz der Seite 3 der D36 hervor, dass sich Frau Galus nicht in der Lage sah, zur Frage der Vertraulichkeit im konkreten Fall des Dokumentes D3 Aussagen zu machen ("Documents exchanged between NASA and its contractors are governed by the terms and conditions of the contract under which the document was created and/or exchanged, Without the opportunity to review the applicable terms and conditions, we are unable to comment on your points below.").
4.2.7 D3 ist daher als vor dem Anmeldedatum des Streitpatentes öffentlich zugänglich im Sinne von Artikel 54(2) EPÜ anzusehen und stellt somit hinsichtlich des Streitpatents Stand der Technik im Sinne der genannten Bestimmung dar.
4.3 Neuheit gegenüber D3
4.3.1 D3 stellt eine Untersuchung zur Verbindung von flachen Platten aus pyrolythischem Graphit dar (Zusammenfassung auf der ersten Seite). Zum Verbinden wird ein Binder aus Phenol-Formaldehydharz verwendet, der als Füller Grafoil®-Pulver enthält. Das Pulver wird erhalten, indem Grafoil®-Folien in einer Hammermühle zu einem Pulver mit einer Partikelgröße von 30 Mesh pulverisiert werden (zweiter Absatz der Seite 2). Die Grafoil®-Folien sind ein Produkt der Firma High Temperature Materials Inc. (Fußnote (B) auf Seite 2). Der Binder wird auf beide Platten aufgebracht, die so behandelten Platten werden miteinander verbunden und der Binder unter Druck vernetzt. Danach wird der so erhaltene Verbund zuerst carbonisiert und dann graphitisiert (erster Absatz der Seite 3).
4.3.2 Es war zwischen den Parteien strittig, ob die anspruchsgemäße Flächigkeit und der anspruchsgemäße Anisotropiegrad des Binders in D3 offenbart sind.
4.3.3 Eine explizite Offenbarung der anspruchsgemäßen Flächigkeit fehlt in D3. Vom Beschwerdegegner wurde jedoch ausgeführt, dass gemäß Seite 3, Zeile 30 bis 34 des Streitpatentes das Mahlen von Graphitfolie und damit auch das in D3 offenbarte Pulverisieren in einer Hammermühle automatisch zu der anspruchsgemäßen Flächigkeit führt. Somit stelle diese Flächigkeit ein implizites Merkmal des Grafoil®-Pulvers der D3 dar.
Diesem Argument kann sich die Kammer nicht anschließen. Es ist zwar richtig, dass gemäß der zitierten Textstelle des Streitpatentes der erfindungsgemäße Füller aus Partikeln bestehen kann, welche durch Mahlen von Graphitfolie gewonnen werden ("Eine Alternative sind Partikel, welche durch Zerkleinern (Schneiden, Mahlen, Häckseln oder Shreddern) von zu flächigen Gebilden (z.B, [sic] Graphitfolie) verdichtetem Graphitexpandat gewonnen werden"). Es ist dieser Textstelle jedoch nicht zu entnehmen, dass jede Art des Mahlens automatisch zu flächigen Partikeln führt. Im Gegenteil ist es Teil des allgemeinen Fachwissens, dass die Partikelmorphologie von den Bedingungen während des Mahlens abhängt. Da in D3 keinerlei Information zu den Bedingungen während der dort offenbarten Pulverisierung in einer Hammermühle enthalten ist, kann somit ohne entsprechenden Nachweis nicht davon ausgegangen werden, dass die in D3 offenbarten Graphitpartikel die anspruchsgemäße Flächigkeit aufweisen.
4.3.4 Ferner enthält D3 auch keine explizite Offenbarung des in allen Ansprüchen des Hauptantrages enthaltenen Anisotropiegrades von mindestens 10.
Wie Abbildung 2 der D31 entnehmbar, hängt der Anisotropiegrad, d. h. das Verhältnis der Wärmeleifähigkeiten parallel und senkrecht zur Folienebene, stark von der Dichte des Materials ab. Beispielsweise liegt der Anisotropiegrad bei einer Dichte von 1,5 g/cm**(3) bei weit über 10, während er bei Dichten unterhalb von 0,5 g/cm**(3) unterhalb von 10, und damit außerhalb des anspruchsgemäßen Bereiches liegt. In D3 fehlt jegliche Angabe zur Dichte der dort offenbarten Grafoil®-Folie. Aus D23 geht hervor, dass die Dichte von Grafoil®-Folien zumindest zum Veröffentlichungszeitpunkt dieses Dokuments (2005) in einem Bereich von 0,2 bis 1,5 g/cm**(3) lag. Es kann somit nicht ausgeschlossen werden, dass die Dichte der Grafoil®-Folie in D3 unterhalb von 0,5 g/cm**(3) und damit der Anisotropiegrad unterhalb von 10 lag.
Dem steht auch die Offenbarung der D39 nicht entgegen. Es ist zwar dem Beschwerdegegner darin zu folgen, dass in der Tabelle 1 dieses Dokumentes ein Anisotropiegrad oberhalb der anspruchsgemäßen Untergrenze von 10 offenbart ist. Jedoch bezieht sich diese Tabelle nicht, wie vom Beschwerdegegner behauptet, auf ein Graphitexpandat, sondern auf natürliche Graphitschichten ("natural graphit material" im ersten Satz des der Tabelle 1 vorangehenden Absatzes sowie "Natural Graphit Sheet" in Tabelle 1). Damit besitzt der in Tabelle 1 der D39 offenbarte Anisotropiegrad allein deswegen keine Relevanz für den Offenbarungsgehalt der D3, da das Grafoil®-Produkt der D3 gerade keine natürliche Graphitschicht, sondern eine durch Kompression von expandiertem, natürlichem Graphit hergestellte Folie darstellt (zweiter Absatz der Seite 2 der D3 und Zeile 4 bis 6 der linken Spalte auf Seite 3055 der D23). Unabhängig hiervon wird in D39 an keiner Stelle das spezifische Grafoil®-Produkt der D3 offenbart. Vielmehr wird in den in D39 beschriebenen Experimenten das Handelsprodukt eGraf® Spreader Shield**(TM) eingesetzt (letzter Absatz der linken Spalte der Seite 6).
Auch die auf D42 gestützten Überlegungen des Beschwerdegegners, dass flächige Graphitpartikel immer anisotrope physikalische Eigenschaften aufweisen, vermögen nicht zu überzeugen. Insbesondere sind diese Überlegungen rein theoretischer Natur und haben keinerlei Relevanz für das spezifische Grafoil®-Produkt in D3. Darüber hinaus würde, selbst wenn man von einer Anisotropie der thermischen Leitfähigkeit in Graphit ausgeht, ein Nachweis fehlen, dass diese Anisotropie im anspruchsgemäßen Bereich liegt.
Ferner ist zwar richtig, dass, wie vom Beschwerdegegner ausgeführt, das Streitpatent auf Seite 3, Zeile 37 bis 44 Wärmeleitfähigkeitswerte nennt, die auf einen anspruchsgemäßen Anisotropiegrad schließen lassen. Jedoch ist hier nicht deutlich, ob diese Werte allgemein, beispielsweise in allen Graphitprodukten, vorliegen, oder lediglich für die erfindungsgemäßen Graphitpartikel gelten. Somit kann auch aus dieser Textpassage des Streitpatents nicht mit Sicherheit abgeleitet werden, dass alle Graphitpartikel einschließlich der Grafoil®-Partikel der D3 den anspruchsgemäßen Anisotropiegrad aufweisen.
Schließlich ist auch die Aussage des Beschwerdegegners, vom Beschwerdeführer sei in D31 zugegeben worden, dass der anspruchsgemäße Anisotropiegrad ein intrinsisches Merkmal der Grafoil®-Partikel der D3 darstelle, nicht zutreffend. Insbesondere wird in D31 lediglich festgestellt, dass ein Anisotropiegrad von mindestens 20 im Stand der Technik bereits beschrieben sei. Es wird jedoch an keiner Stelle ausgesagt, dass das spezifische Grafoil®-Pulver der D3 diesen Anisotropiegrad aufweist.
4.3.5 Somit kann zugunsten des Beschwerdegegners bestenfalls angenommen werden, dass die Grafoil®-Partikel der D3 möglicherweise die anspruchsgemäße Flächigkeit und den anspruchsgemäßen Anisotropiegrad aufweisen. Das Vorliegen einer solchen Möglichkeit ist jedoch nicht ausreichend, um die Neuheit zu verneinen (siehe T 793/93 vom 27. September 1995; nicht im ABl. EPA veröffentlicht; Punkt 2.1). Daher sind sowohl die anspruchsgemäße Flächigkeit, als auch der anspruchsgemäße Anisotropiegrad als Unterscheidungsmerkmale gegenüber D3 anzusehen, so dass die Neuheit gegenüber diesem Dokument zu bejahen ist.
4.4 Neuheit gegenüber D17
4.4.1 Beispiel 8 der D17 (Abbildung 8c) offenbart einen hochtemperaturbeständigen Verbundwerkstoff, umfassend eine mit Grafoil®-Folie (Nr. 126 in Abbildung 8c) umwickelte und mit einer Füllerschicht (Nr. 124 in Abbildung 8c) beschichtete Matrixmetallfolie (Nr. 120 in Abbildung 8c), sowie zwei äußere Graphitplatten (Nr. 128 in Abbildung 8c), entsprechend den anspruchsgemäßen mindestens zwei Schichten aus hochtemperaturbeständigen kohlenstoffbasierten Werkstoffen.
Die Grafoil®-Folie und die Grafitplatten sind in Beispiel 8 mit dem Grafitbinder RIGIDLOCK® (Nr. 129 in Abbildung 8c) verklebt.
4.4.2 Von beiden Parteien wurde anerkannt, dass dieser RIGIDLOCK®-Binder neben einem Phenolharz das Graphitpulver KS-6 enthält.
4.4.3 D17 enthält keinerlei Information über die Art dieses KS-6 Graphitpulvers. Gemäß dem Produktdatenblatt D33 und dem Internetausdruck D41 handelt es sich bei diesem KS-6 Graphitpulver um einen synthetischen Graphit, der durch einen kontrollierten Graphitisierungsprozess hergestellt wird. Somit offenbart D17 nicht die anspruchsgemäßen Graphitpartikel aus Naturgraphit bzw. die anspruchsgemäßen durch Zerkleinern von zu flächigen Gebilden verdichtetem Graphitexpandat erhaltenen Partikel.
4.4.4 In D17 wird auch der anspruchsgemäße Anisotropiegrad nicht offenbart. Da aus D37 hervorgeht, dass synthetischer Graphit einen Anisotropiegrad von 1.625 (grobe Graphitpartikel) bzw. 1 (feine Graphitpartikel) aufweist, ist davon auszugehen, dass der Anisotropiegrad in D17 unterhalb der anspruchsgemäße Untergrenze liegt.
4.4.5 Vom Beschwerdegegner wurde diesbezüglich argumentiert, dass der Abbildung 2 der D34A zu entnehmen sei, dass Partikel aus natürlichem und synthetischem Graphit die gleiche Morphologie und damit die gleichen physikalischen Eigenschaften besitzen. Daher sei davon auszugehen, dass der anspruchsgemäße Anisotropiegrad inhärent in den KS-6 Graphitpartikeln des RIGIDLOCK®-Binders der D17 vorhanden sei.
Dieses Argument kann allein deswegen nicht durchgreifen, weil die vom Beschwerdegegner postulierte Korrelation von Partikelmorphologie und physikalischen Eigenschaften in keiner Weise substantiiert wurde. Ferner steht dieses Postulat im Widerspruch zu den in D33 für die KS-6 Graphitpartikel genannten physikalischen Eigenschaften. Insbesondere geht aus D33 hervor, dass die KS-6 Graphitpartikel Teilchengrößen im Mikrometerbereich aufweisen, während die darin enthaltenen Kristallite Größen im Nanometerbereich besitzen (siehe erste und letzte Tabelle in D33). Wie vom Beschwerdeführer ausgeführt wurde, folgt hieraus, dass jeder KS-6 Graphitpartikel eine Vielzahl von Kristalliten enthält, deren Anisotropien sich herausmitteln, so dass makroskopisch ein geringer Anisotropiegrad vorliegt. Im Gegensatz hierzu weisen die anspruchsgemäßen Partikel aus Naturgraphit oder daraus gewonnenem Expandat Einkristalle auf, so dass es nicht zum Herausmitteln der Anisotropien innerhalb eines Partikels kommt und entsprechend eine hohe Anisotropie vorliegt.
4.4.6 Somit unterscheidet sich der Gegenstand aller Ansprüche des Hauptantrages von D17 zumindest dadurch, dass die anspruchsgemäßen Graphitpartikel Naturgraphit- oder Expandatpartikel sind und einem Anisotropiegrad von mindestens 10 aufweisen. Die Neuheit gegenüber D17 ist daher gegeben.
4.5 Neuheit gegenüber D18
Beispiel 14 der D18 offenbart ein Verbundelement aus einem Graphitstab, der mit RIGIDLOCK®-Graphitbinder mit einer Graphitform verklebt ist. Somit wird in Beispiel 14 der D18 der gleiche Binder verwendet wie in Beispiel 8 der D17. Daher liegen die gleichen Unterscheidungsmerkmale wie bezüglich Beispiel 8 der D17 vor, so dass auch die Neuheit gegenüber D18 anzuerkennen ist.
4.6 Zulässigkeit der verspätet vorgebrachten Dokumente
4.6.1 Im Rahmen der Neuheitsdiskussion wurden von den Parteien die Dokumente E1, E1-1, E2, E2-2, E3 und D43 bis D47 eingereicht. Die Zulässigkeit dieser Dokumente war zwischen den Parteien strittig.
4.6.2 Zulässigkeit von E1 und E2 (bzw. E1-2 und E2-2)
E1 und E2 wurden vom Beschwerdeführer mit Schreiben vom 21. Mai 2013 eingereicht, um zu zeigen, dass ein Hammermühlenmahlen von Graphitfolie, wie in der D3 offenbart, nicht zwangsläufig zu flächigen Graphitpartikeln führt. E1 und E2 wurden in unterzeichneter Form als E1-2 und E2-2 mit Schreiben vom 10. Juli 2013 nochmals eingereicht. Vom Beschwerdegegner wurde beantragt, diese Dokumente nicht in das Verfahren zuzulassen.
Die vom Beschwerdeführer eingereichten Erklärungen E1, E2, E1-1 und E2-2 sind als nicht relevant anzusehen, da, wie oben in Punkt 4.3.3 ausgeführt, ohnehin zu Gunsten des Beschwerdeführers angenommen werden muss, dass die anspruchsgemäße Flächigkeit in D3 nicht offenbart ist.
Wegen des späten Zeitpunktes der Einreichung dieser Dokumente und der fehlenden Relevanz hat die Kammer entschieden, diese Dokumente nicht in das Verfahren zuzulassen (Artikel 13(1) RPBA).
4.6.3 Zulässigkeit von E3
E3 wurde vom Beschwerdeführer mit Schreiben vom 21. Mai 2013 eingereicht, um zu zeigen, dass die in dem RIGIDLOCK®-Binder der D17 enthaltenen KS-6 Graphitpartikel "sehr isotrop" sind. Vom Beschwerdegegner wurde beantragt, dieses Dokument nicht in das Verfahren zuzulassen.
Das vom Beschwerdeführer eingereichte Dokument E3 ist als nicht relevant anzusehen, da, wie oben in Punkt 4.4.4 ausgeführt, ohnehin zu Gunsten des Beschwerdeführers angenommen werden muss, dass die in dem RIGIDLOCK®-Binder der D17 enthaltenen KS-6 Graphitpartikel nicht den anspruchsgemäßen Anisotropiegrad aufweisen.
Wegen des späten Zeitpunktes der Einreichung dieses Dokumentes und der fehlenden Relevanz hat die Kammer entschieden, E3 nicht in das Verfahren zuzulassen (Artikel 13(1) RPBA).
4.6.4 Zulässigkeit von D43 bis D47
Die Dokumente D43 bis D47 wurden vom Beschwerdegegner mit Schreiben vom 18. März 2013 eingereicht, um zu belegen, dass das in D3 offenbarte Produkt Grafoil® den anspruchsgemäßen Anisotropiegrad aufweist. Vom Beschwerdeführer wurde beantragt, diese Dokumente als verspätet nicht in das Verfahren zuzulassen.
D47 ist ein wissenschaftlicher Artikel aus dem Jahr 1968, der sich mit Grafoil®-Graphitband ("GRAFOIL graphite tape", Zusammenfassung) beschäftigt, welches einen Anisotropiegrad von 33.3 besitzt (Tabelle III). Das Grafoil®-Graphitband der D47 weist somit einen Anisotropiegrad im anspruchsgemäßen Bereich auf.
Dieses Dokument kann jedoch nicht belegen, dass dieser Anisotropiegrad auch in dem 1965 in D3 beschriebenen Grafoil®-Produkt vorlag. Insbesondere wird in D47 darauf hingewiesen, dass es sich bei dem in diesem Dokument offenbarten Grafoil®-Produkt um eine "neue Graphitform" ("new form of graphite", Zusammenfassung) handelt, was darauf hindeutet, dass dieses Produkt am Veröffentlichungstag der D3 noch gar nicht existierte. Ferner werden die Graphitpartikel in D3 aus Graphitfolien ("Sheets of Grafoil", Seite 2) erhalten, während D47 Graphitbänder ("GRAFOIL graphite tape") offenbart, die auch in Form von Schäumen oder geformten Gegenständen vorliegen können ("foam and molded forms"; erster Satz des vorletzten Absatzes der Seite 1 der D47). Somit handelt es sich bei dem Grafoil®-Produkt der D47 nicht um die in D3 verwendete Grafoil®-Folie.
Vom Beschwerdegegner wurde noch argumentiert, dass den Dokumenten D43 bis D46 entnommen werden könne, dass das in D47 beschriebene Grafoil®-Produkt identisch mit der in D3 verwendeten Grafoil®-Folie sei. Diesem Argument kann schon allein deshalb nicht gefolgt werden, weil es im Widerspruch zu den oben diskutierten Textstellen der D47 steht. Unabhängig hiervon beschäftigt sich keines der Dokumente D43 bis D46 mit dem Anisotropiegrad eines Grafoil®-Produkts, geschweige denn, dass aus diesen Dokumenten eine Identität hinsichtlich des Anisotropiegrades der Grafoil®-Folie der D3 und dem Grafoil®-Band der D47 hervorgehen würde.
Somit sind die Dokumente D43 bis D47 entgegen den Angaben des Beschwerdegegners für die Neuheit nicht relevant. Da diese Dokumente darüber hinaus zu einem sehr späten Verfahrenszeitpunkt eingereicht wurden, hat die Kammer entschieden, diese Dokumente nicht in das Verfahren zuzulassen (Artikel 13(1) RPBA).
5. Erfinderische Tätigkeit
5.1 Die dem Streitpatent zugrundeliegende Erfindung ist auf hochtemperaturbeständige Verbundelemente aus mindestens zwei mit einem Binder verbundenen Schichten aus hochtemperaturbeständigen Kohlenstoff- oder Graphit-basierenden Werkstoffen gerichtet (Anspruch 1). Insbesondere beschäftigt sich die Erfindung damit, solche Binder bereitzustellen, die einen verbesserten Zusammenhalt der Schichten des Verbundelementes gewährleisten, keine signifikante Wärmeleitung zwischen den zu verbindenden Schichten bewirken und Spannungen aufgrund der unterschiedlichen thermischen Ausdehnung der verschiedenen Werkstoffe abbauen (Seite 3, Zeile 12 bis 22).
5.2 Von der Einspruchsabteilung wurde D17 als der nächstliegende Stand der Technik angesehen. Dieses Dokument ist auf ein Verfahren zur Bildung eines Metallmatrixverbundkörpers gerichtet, bei dem eine Form aus keramischem Material mit einem Matrixmetall infiltriert wird (Anspruch 1 und Spalte 5, Zeile 29 bis 37). Es wird insbesondere ein einfaches und zuverlässiges Verfahren zur Herstellung solcher Matrixmetallverbundkörper angestrebt, bei dem bei der Infiltration des Matrixmaterials mit dem Metall weder Druck noch Vakuum angelegt oder schädliche Vernetzungsmittel hinzugefügt werden müssen (Spalte 5, Zeile 20 bis 26).
Das in D17 herzustellende Verbundelement und die durch das Verfahren der D17 zu lösenden Aufgaben sind von denjenigen des Streitpatents grundverschieden. Daher kann D17 nicht als nächstliegender Stand der Technik angesehen werden.
Im Gegensatz zu D17 befasst sich D3 mit der gleichen Art von Verbundelementen wie das Streitpatent, nämlich Verbundelementen aus mit einem Binder verbundenen hochtemperaturbeständigen Graphitplatten. Ferner spricht D3 eine der im Streitpatent genannten Aufgaben an, nämlich das Bereitstellen von Verbundelementen mit verbessertem Zusammenhalt (in D3 ausgedrückt als Scherfestigkeit, siehe insbesondere die beiden ersten Absätze ("Summary" und "Introduction") auf Seite 1).
Daher ist D3 als nächstliegender Stand der Technik anzusehen.
5.3 Die dem Patent im Lichte der D3 zugrundeliegende Aufgabe ist in der Bereitstellung von Bindern zu sehen, die keine signifikante Wärmeleitung zwischen den zu verbindenden Schichten bewirken (Seite 3, Zeile 12 bis 22 des Streitpatents).
5.4 Zur Lösung der oben genannten Aufgabe schlägt das Streitpatent den hochtemperaturbeständigen Verbundwerkstoff aus zwei oder mehreren Schichten gemäß Anspruch 1 vor, welcher dadurch gekennzeichnet ist, dass der die Schichten verbindende Binder Graphitpartikel enthält, die flächig sind und einen Anisotropiegrad von mindestens 10 aufweisen.
5.5 Es ist glaubhaft, dass diese Aufgabe durch die anspruchsgemäße Kombination aus Flächigkeit und hohem Anisotropiegrad gelöst wird. Insbesondere kommt es, wie vom Beschwerdeführer ausgeführt, infolge der Flächigkeit der Partikel zu einer Ausrichtung der Partikel parallel zu den angrenzenden Werkstoffschichten, was wiederum aufgrund der anisotropen thermischen Leitfähigkeit der Graphitpartikel zur Folge hat, dass die Wärmeleitung parallel, jedoch nicht senkrecht zu den Schichten erfolgt und damit eine Wärmeleitung von einer zur anderen Schicht unterbunden wird. Dies wurde vom Beschwerdegegner nicht bestritten.
5.6 Wie oben in Punkt 4.3 ausgeführt, offenbart D3 weder die anspruchsgemäße Flächigkeit, noch den anspruchsgemäßen Anisotropiegrad. Auch gibt D3 keinerlei Hinweis auf die streitpatentgemäße Aufgabenstellung der Verhinderung der Wärmeleitung zwischen den Schichten, geschweige denn, dass ein Hinweis auf die anspruchsgemäße Lösung dieser Aufgabe vorliegt.
Ein solcher Hinweis auf die streitpatentgemäße Aufgabenstellung beziehungsweise deren anspruchsgemäße Lösung fehlt auch in D17 und D18. Insbesondere beschäftigen sich diese beiden Dokumente mit einer von der streitpatentgemäßen Aufgabe grundverschiedenen Aufgabenstellung, nämlich der Bereitstellung eines Verfahrens zur Herstellung von Matrixmetallverbundkörper, bei dem bei der Infiltration des Matrixmaterials mit dem Metall weder Druck noch Vakuum angelegt werden müssen oder schädliche Vernetzungsmittel hinzugefügt werden müssen.
5.7 Vom Beschwerdegegner wurde noch argumentiert, der Fachmann hätte nur ein kommerzielles Graphitprodukt nehmen und das Verfahren der D3 durchführen müssen, um zum Anspruchsgegenstand zu gelangen. Es mag zwar zutreffen, dass zum Anmeldezeitpunkt des Streitpatentes kommerzielle Produkte zur Verfügung standen, die bei Anwendung des Verfahrens der D3 tatsächlich zum Anspruchsgegenstand geführt hätten. Dies ist jedoch bei der Betrachtung der erfinderischen Tätigkeit nicht relevant, da nicht entscheidend ist, was der Fachmann prinzipiell tun könnte, sondern vielmehr was der Fachmann zur Lösung der streitpatentgemäßen Aufgabe im Hinblick auf die Lehre des Standes der Technik tun würde. Wie oben ausgeführt, gab keines der Dokumente D3, D17 und D18 dem Fachmann irgendeine Veranlassung, zur Verhinderung der Wärmeleitung zwischen Schichten einen Binder einzusetzen, der flächige Graphitpartikel mit einem Anisotropiegrad von mindestens 10 enthält.
Vom Beschwerdegegner wurde schließlich ausgeführt, dem Fachmann sei bekannt gewesen, dass sich in einem Binder enthaltene flächige Graphitpartikel bei Druckausübung parallel zur Binderebene orientieren. Ferner sei bekannt gewesen, dass Graphit eine anisotrope Wärmeleitfähigkeit aufweist. Dem Fachmann wäre daher auch bewusst gewesen, dass infolge der Orientierung der flächigen, anisotropen Graphitpartikel parallel zu den Schichten eine Wärmeleitung zwischen den Schichten wirksam unterbinden würde. Diese Argumentationskette beruht jedoch auf einer rückschauenden Betrachtungsweise, die bei der Analyse der erfinderischen Tätigkeit nicht angewendet werden darf. Gemäß dem zur Analyse der erfinderischen Tätigkeit anzuwendenden Aufgabe-Lösungsansatz ist die Frage zu prüfen, ob der vom nächstliegenden Stand der Technik ausgehende und mit der streitpatentgemäßen Aufgabe konfrontierte Fachmann aus dem Stand der Technik Anregungen erhält, die Lehre des nächstliegenden Standes der Technik derart abzuändern, dass er zum Anspruchsgegenstand gelangt. Wie oben ausgeführt, ist diese Frage zu verneinen.
5.8 Daher ist der Gegenstand des Anspruchs 1 als erfinderisch anzusehen. Da die Anspruchsmerkmale der Flächigkeit und des Anisotropiegrades auch in allen übrigen Ansprüchen des Hauptantrages enthalten sind, ist die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands dieser Ansprüche ebenfalls anzuerkennen.
6. Anpassung der Beschreibung
Vom Beschwerdeführer wurde während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer die Beschreibung an die Ansprüche des Hauptantrages angepasst. Vom Beschwerdegegner wurden keine Einwände gegen die geänderten Beschreibungsseiten erhoben. Auch die Kammer sieht keine Veranlassung, Einwände gegen die geänderten Beschreibungsseiten zu erheben.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung das Patent in folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
- Ansprüche 1 bis 12 gemäß Hauptantrag, eingereicht mit Schreiben vom 12. August 2011;
- Beschreibung Seite 2 gemäß Patentschrift, Seiten 3, 3a, 4 und 5 wie eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer;
- Figur 1 gemäß Patentschrift.