T 0930/11 () of 20.5.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T093011.20140520
Datum der Entscheidung: 20 Mai 2014
Aktenzeichen: T 0930/11
Anmeldenummer: 01978418.0
IPC-Klasse: E03C 1/18
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 437 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: SPÜLE UND VERFAHREN ZUM HERSTELLEN EINER SPÜLE
Name des Anmelders: BLANCO GmbH + Co KG
Name des Einsprechenden: Franke GmbH
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Zulassung verspätet vorgebrachter Beweismittel (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsanträge 1 bis 3 (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 1 327 030 (im Folgenden: Patent) betrifft eine einstückig und schweißnahtfrei ausgebildete Spüle mit einem Spülbecken und einem Armaturentragebereich, insbesondere eine Küchenspüle, sowie ein Verfahren zu deren Herstellung, wobei die Spüle zumindest teilweise durch superplastische Umformung (im Folgenden: SPF, für engl. "Super Plastic Forming") aus einem Ausgangsmaterial hergestellt wird.

II. Gegen das Patent im gesamten Umfang wurde ein Einspruch eingelegt, gestützt auf die Gründe des Artikels 100 (a) EPÜ, nämlich mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit.

III. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, den Einspruch aufgrund des Artikels 101 (2) EPÜ zurückzuweisen.

IV. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Einsprechende (im Folgenden: Beschwerdeführerin) mit ihrer Beschwerde.

V. Beweismittel

Die Beschwerdeführerin nahm Bezug unter anderem auf folgende bereits in der angefochtenen Entscheidung genannten Druckschriften:

D2: DE 199 07 212 A1

D3: K. Osada, "Use superplastic duplex stainless for strength and resistance to corrosion in Boeing 737 washroom sinks", Nickel, Dezember 1991

A6: K. Osada, "Commercial applications of superplastic forming", Journal of Materials Processing Technology, 68, 1997, Seiten 241-245

A12: DE 699 11 724 T2

A13: DE 697 05 541 T2

A15a: Auszug aus "Kompetenz kennt keine Grenzen - Das Franke Versandshandbuch 1991", FRANKE-Spüle SUNLINE mit Design von L. Colani, Deckblatt und Seiten 34 bis 37

A16: "Dubbel - Taschenbuch für den Maschinenbau", Hrsg. W. Beitz und K.-H. Küttner, Springer Verlag, 14. Auflage, 1981, Seite 975

Außerdem führten die Beteiligten unter anderem folgende Beweismittel erstmals ins Beschwerdeverfahren ein:

D16: US 3 729 750 A1

A17: Prof. Dr. P. Hora, "Spüle und Verfahren zum Herstellen einer Spüle - gutachtliche Stellungnahme zu Dokumenten", 15.10.2013

H01: A. J. Barnes, "Superplastic Forming 40 Years and Still Growing", Journal of Materials Engineering and Performance, Volume 16(4), August 2007

H04: N. Chandra and D. Kannan, "Superplastic Sheet Metal Forming of a Generalized Cup Part - Part I: Uniform Thinning", Journal of Materials Engineering and Performance, Volume 1(6), Dezember 1992

H05: N. Chandra and D. Kannan, "Superplastic Sheet Metal Forming of a Generalized Cup Part - Part II: Nonuniform Thinning", Journal of Materials Engineering and Performance, Volume 1(6), Dezember 1992

D20: Fotografische Abbildungen der Colani-Spüle

VI. In der als Anlage zur Ladung für eine mündliche Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) und 17 (2) VOBK teilte die Kammer ihre vorläufige Meinung zu der Beschwerde mit.

VII. Die mündliche Verhandlung fand am 20. Mai 2014 statt.

VIII. Anträge

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Patentinhaberin (im Folgenden: Beschwerdegegnerin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Basis eines der Anspruchssätze, eingereicht als Hilfsantrag 1 mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2011 und als Hilfsanträge 2 und 3 mit Schriftsatz vom 20. März 2014.

IX. Ansprüche

a) Hauptantrag (wie erteilt)

Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags lautet folgendermassen:

"Spüle, insbesondere Küchenspüle, umfassend mindestens ein Spülbecken (102) und mindestens einen Armaturentragebereich (110) zum Tragen mindestens einer Armatur (112), wobei die Spüle (100) bis auf Befestigungsmittel der Spüle (100) einstückig und schweißnahtfrei ausgebildet ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Spüle (100) zumindest teilweise durch superplastische Umformung aus einem Ausgangsmaterial hergestellt ist, und dass die Materialstärke der Spüle (100) in dem Armaturentragebereich (110) mindestens ungefähr die Hälfte der Anfangsmaterialstärke beträgt."

b) Hilfsantrag 1

Im Vergleich zu dem Anspruch 1 des Hauptantrags enthält der Anspruch 1 die zusätzlichen Merkmale,

- dass "die Spüle (100) neben dem Spülbecken (102) mindestens ein weiteres Becken (122) umfasst" und

- dass "ein Zwischenbereich (118) zwischen dem Spülbecken (102) und dem weiteren Becken (122) senkrecht zu seiner Längserstreckung eine Ausdehnung von höchstens ungefähr 18 mm aufweist" und/oder

- dass "der Zwischenbereich (118) zwischen dem Spülbecken (102) und dem weiteren Becken (122) keine ebene Zwischenfläche zwischen den Seitenwänden (104b, 120a) der beiden Becken (102, 122) aufweist".

c) Hilfsantrag 2

Im Vergleich zu dem Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 enthält der Anspruch 1 die zusätzlichen Merkmale, dass "das Material der Spüle (100) einen Duplexstahl umfasst" und "die Materialstärke der Spüle (100) in dem Armaturentragebereich (110) mindestens ungefähr 1 mm beträgt".

d) Hilfsantrag 3

Im Vergleich zu dem Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 enthält der Anspruch 1 das zusätzliche Merkmal, dass "die Spüle (100) an ihrer Oberseite mindestens eine in einer glatten Fläche auslaufende Knicklinie aufweist".

X. Das schriftsätzliche Vorbringen der Beteiligten lässt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Hauptantrag

Vorbringen der Beschwerdeführerin:

Ausgehend von einer sogenannten "Monoblockspüle" gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1, wie sie u. a. aus D2, D16 und A15a bekannt sei, könne die durch die kennzeichnenden Merkmale gelöste Aufgabe so formuliert werden, eine Spüle dieser Gattung anzugeben, welche sich durch eine hohe Flexibilität bezüglich der Ausgestaltung des Spülbeckens und des Armaturentragebereichs auszeichne.

Zur Lösung dieser Aufgabe zöge der Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens auf dem Gebiet der Umformtechnik, siehe A16, die Anwendung von SPF in Erwägung. So würde er ohne erfinderisches Zutun zum ersten Merkmal im Kennzeichen des Anspruchs 1 gelangen. Der Fachmann erhielte sogar aus D3 bzw. A6 einen konkreten Hinweis auf die Anwendung von SPF zur Herstellung einer einstückig und schweißnahtfrei ausgebildeten Spüle in Form eines Handwaschbeckens.

Da sich der Armaturentragebereich in einem Randbereich der Monoblockspüle befinde, siehe D2, D6 oder A15a, welcher produktionsbedingt durch SPF kaum umgeformt wäre, erfolgte praktisch keine Ausdünnung des Ausgangsmaterials im Armaturentragebereich. Demnach wiese der Armaturentragebereich die im zweiten Merkmal im Kennzeichen des Anspruchs 1 geforderte Materialstärke zwangsläufig auf.

Folglich beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Monoblockspüle in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen auf dem Gebiet der Umformtechnik, gegebenenfalls in Kombination mit D3 bzw. A6.

Vorbringen der Beschwerdegegnerin:

Dem Fachmann seien die Nachteile von SPF bekannt, nämlich der hohe Preis des superplastischen Ausgangsmaterials, die lange Prozessdauer, der erhöhte apparative Aufwand, die Anfälligkeit für Rissbildung und die schwer vorhersagbare Variation der Materialstärke über das fertiggestellte Erzeugnis. Der Fachmann hätte daher die Anwendung von SPF zur Herstellung von Spülen nicht in Betracht gezogen, insbesondere da es sich bei Spülen einerseits um Produkte in grossen Stückzahlen, welche innerhalb kurzer Prozesszeiten hergestellt werden müssen, und andererseits aber um Inneneinrichtungsgegenstände handle, bei denen eine einwandfreie Oberflächenbeschaffenheit unabdingbar sei.

Selbst wenn der Fachmann die Anwendung von SPF bei der Herstellung von Spülen erwöge, so zöge er aufgrund der bekannten Nachteile von SPF doch nicht ernsthaft in Betracht, eine komplette Spüle einschließlich eines Armaturentragebereichs, welcher eine ausreichende mechanische Stabilität zum Tragen einer Armatur und daher eine besonders hohe Materialstärke aufweisen müsse, durch SPF herzustellen. Vielmehr hätte der Fachmann ein fachübliches Zwei-Schritt-Verfahren angewandt, wie in der D2 und im Absatz 0004 der Patentschrift beschrieben, und nur die eine komplexe Form und einen hohen Umformungsgrad aufweisenden Bestandteile der Spüle, insbesondere den Spülbecken, durch SPF hergestellt und anschließend mit einer weniger komplex gestalteten Abdeckung, welche durch gewöhnliches Tiefziehen hergestellt sei, einen geringen Umformgrad erfordere und den Armaturentragebereich beinhalte, verschweißt. Eine auf diese Weise erhaltene Spüle wäre aber weder einstückig noch schweißnahtfrei ausgebildet und somit keine Monoblockspüle.

Auch das in D3 bzw. A6 offenbarte Handwaschbecken für eine Flugzeug-Toilette könnte den Fachmann nicht dazu anregen, eine Spüle einschließlich eines Spülbeckens und eines Armaturentragebereichs einstückig und schweißnahtfrei durch SPF herzustellen, und zwar schon deshalb, weil dieses Handwaschbecken keinen Armaturentragebereich umfasse.

Schließlich ergäbe sich das zweite Merkmal im Kennzeichen des Anspruchs 1 nicht zwangsläufig, wenn eine Monoblockspüle durch SPF hergestellt wäre. Da die Korngrößen im Gefüge des superplastischen Ausgangsmaterials implizit deutlich kleiner als die Materialstärke seien, könnte wohl eine allzu grosse Ausdünnung des Ausgangsmaterials im Armaturentragebereich erfolgen.

b) Hilfsantrag 1

Vorbringen der Beschwerdegegnerin:

Die eingefügten Merkmale seien in keiner der Druckschriften D2, D16, A15a, D3 und A6 offenbart. Diese gestalterischen Merkmale seien nur mittels SPF erreichbar. Dank dieser Merkmale könne das Volumen der beiden Becken bei konstanten Außenabmessungen der Spüle vergrößert werden. Außerdem werde dadurch erreicht, dass nur wenig Wasser im Zwischenbereich zwischen den beiden Becken stehen bleiben könne und damit weniger Kalkablagerungen auftreten.

Vorbringen der Beschwerdeführerin:

Aufgrund des Ausdrucks "und/oder" umfasse der geänderte Anspruch 1 u. a. eine Ausführungsform mit zwei Becken und einem Zwischenbereich, der senkrecht zu seiner Längserstreckung eine Ausdehnung "von höchstens ungefähr 18 mm" aufweise, und eine alternative Ausführungsform mit zwei Becken und einem Zwischenbereich, der "keine ebene Zwischenfläche" aufweise.

Die Colani-Spüle besitze zwei Spülbecken, wobei ein Zwischenbereich zwischen diesen Becken "höchstens ungefähr 18 mm" breit sei. Damit zeige die Colani-Spüle die zusätzliche Merkmale der erstgenannten Ausführungsform. Aus den zum Hauptantrag genannten Gründen beruhe diese Ausführungsform auf keiner erfinderischen Tätigkeit.

Sollte entschieden werden, dass die Colani-Spüle keinen "höchstens ungefähr 18 mm" breiten Zwischenbereich aufweist, würde dieses Merkmal lediglich eine naheliegende Massnahme darstellen, um ornamentale Effekte zu erreichen. SPF ermögliche zweifelsohne die Herstellung eines solch schmalen Zwischenbereichs. Demnach könnte dieses Merkmal das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht begründen.

Gleiches gelte für das zusätzliche Merkmal der alternativen Ausführungsform, dessen Zwischenbereich "keine ebene Zwischenfläche" aufweist. Dieses gestalterische Merkmal sei hinlänglich bekannt und ohne Schwierigkeit durch SPF erreichbar.

c) Hilfsantrag 2

Vorbringen der Beschwerdegegnerin:

Auch diese im Vergleich zum Hilfsantrag 1 eingefügten Merkmale seien in keiner der Druckschriften D2, D16, A15a, D3 und A6 offenbart. Die Auswahl eines superplastischen Duplexstahls als Ausgangsmaterial sei nicht naheliegend. Insbesondere sei dem Fachmann bekannt, dass Duplexstähle besonders anfällig für interkristalline Korrosion und damit für eine Spüle ungeeignet seien. Deshalb zöge der Fachmann eher superplastische Aluminium- oder Titan-Legierungen vor. Die ausgewählte Materialstärke im Armaturentragebereich von "mindestens ungefähr 1 mm" sei wesentlich höher als bei herkömmlichen durch Tiefziehen hergestellten Spülen, welche üblicher Weise eine Stärke von 0,5 bzw. 0,8 mm aufwiesen. Der hohe Preis eines superplastischen Ausgangsmaterials in einer solchen Stärke hielte den Fachmann davon ab, SPF anzuwenden.

Vorbringen der Beschwerdeführerin:

Die im Vergleich zum Hilfsantrag 1 eingefügten Merkmale ergäben keinen synergetischen Effekt mit den im Zusammenhang mit dem Hilfsantrag 1 genannten Unterscheidungsmerkmalen. Auch seien diese eingefügten Merkmale per se naheliegend. Bei dem Duplexstahl würde es sich nur um die Auswahl eines zur Durchführung von SPF geeigneten superplastischen Ausgangsmaterials unter einer begrenzten Anzahl von bekannten Möglichkeiten handeln. Insbesondere sei bereits in der D3 bzw. A6 offenbart, dass ein rostfreier Duplexstahl zur Herstellung einer Spüle in Form eines Handwaschbeckens geeignet sei. Bei der Materialstärke im Armaturentragebereich von "mindestens ungefähr 1 mm" würde es sich lediglich um ein Parameter handeln, zu dem der Fachmann durch routinemäßige Erprobung oder Anwendung normaler Entwurfsverfahren gelangen würde. Insbesondere würde der Fachmann feststellen, dass zur Vermeidung des Risikos der Rissbildung im stark ausgedünnten Zwischenbereich eine Anfangsmaterialstärke wesentlich höher als 0,8 mm ausgewählt werden müsste, weil die Stärke von 0,8 mm für herkömmliche durch Tiefziehen hergestellte Spülen üblich sei. So erhielte der Fachmann im nicht bzw. kaum ausgedünnten Armaturentragebereich eine Materialstärke von "mindestens ungefähr 1 mm".

d) Hilfsantrag 3

Vorbringen der Beschwerdegegnerin:

Eine Knicklinie, wie sie im Anspruch 1 definiert werde, sei in keiner der Druckschriften D2, D16, A15a, D3 und A6 offenbart. Aus dem Absatz 0023 der Patentschrift gehe explizit hervor, dass die Knicklinie eine Linie in einer Oberfläche zu verstehen sei, wobei die Oberfläche senkrecht zur Längserstreckung der Linie "einen Krümmungsradius von weniger als ungefähr 10 mm" aufweise.

Vorbringen der Beschwerdeführerin:

Die Colani-Spüle wiese einen Ablaufbereich auf, an dessen äußeren Rand eine in einer glatten Fläche auslaufende Knicklinie erkennbar sei, welche der im Anspruch 1 definierten Knicklinie entspreche. Aus den zum Hilfsantrag 2 genannten Gründen beruhe der beanspruchte Gegenstand auf keiner erfinderischen Tätigkeit.

Sollte entschieden werden, dass die im Anspruch 1 definierte Knicklinie im Lichte der Lehre im Absatz 0023 der Patentschrift auszulegen sei, würde dieses zusätzliche Merkmal wiederum lediglich eine besondere Gestaltung der Spüle darstellen, welche im Belieben des Fachmanns läge und ohne Schwierigkeit durch SPF herstellbar wäre. Demnach könnte dieses Gestaltungsmerkmal das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht begründen.

Entscheidungsgründe

1. Zulassung verspätet vorgebrachter Beweismittel

1.1 Die Druckschrift D16 ist erstmals mit der Beschwerdebegründung eingeführt worden. Die Beschwerdeführerin und die Beschwerdegegnerin haben die Dokumente A17, H01, H04, H05 bzw. D20 erst nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht. Die Zulassung solcher verspätet vorgebrachten Beweismittel liegt im Ermessen der Kammer, siehe Artikel 114 (2) EPÜ und Artikel 12 (4) bzw. 13 (1) und (3) VOBK.

1.2 Die Kammer war der Auffassung, dass der Inhalt dieser Dokumente prima facie hochrelevant zum Nachweis des allgemeinen Fachwissens zu SPF (A17, H01, H04, H05) bzw. zum Nachweis der Ausbildung sogenannter Monoblockspülen (D16, D20) waren. Das Einreichen dieser Dokumente ist auch als angemessene Reaktion auf die angefochtene Entscheidung bzw. auf den Hilfsantrag 1 und die der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigelegte vorläufige Meinung der Kammer zu werten. Schließlich warfen A17, H01, H04, H05 und D20 keine Fragen auf, deren Behandlung der Kammer oder den Beteiligten nicht ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung zuzumuten gewesen wäre. Diese Dokumente waren daher zuzulassen. Im Übrigen haben die Beteiligten nicht gegen die Zulassung dieser Dokumente gesprochen.

2. Hautantrag - Wortlaut des Anspruchs 1

2.1 Das erste Merkmal im Kennzeichen des Anspruchs 1, dass "die Spüle ... zumindest teilweise durch superplastische Umformung aus einem Ausgangsmaterial hergestellt ist", ist so zu verstehen, dass die Spüle zumindest teilweise durch SPF "hergestellt worden ist". Dieses Merkmal versucht also, die Spüle durch ihr Herstellungsverfahren zu definieren. In der Praxis lässt sich dieses Merkmal wohl aus der Gefügestruktur der fertiggestellten Spüle ermitteln, siehe Absatz 0011 der Patentschrift. Somit ergibt dieses Merkmal ein strukturelles Merkmal der fertig umgeformten Spüle und einen deutlichen Unterschied zu einer durch Tiefziehen bzw. Gießen hergestellten Spüle.

2.2 Das zweite Merkmal im Kennzeichen des Anspruchs 1, dass "die Materialstärke der Spüle ... in dem Armaturentragebereich ... mindestens ungefähr die Hälfte der Anfangsmaterialstärke beträgt", bezieht sich auf die Anfangsmaterialstärke, welche ohne weiteres aus der fertiggestellten Spüle ableitbar ist.

2.3 Diese Punkte sind zwischen den Beteiligten nicht streitig.

3. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

3.1 Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass der nächstliegende Stand der Technik eine "Monoblockspüle" gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1 ist, wie sie u. a. in D2, D16 und A15a offenbart ist.

3.2 Die Druckschrift A15a beschreibt die vom Designer L. Colani entworfene SUNLINE-Einbauspüle aus Edelstahl für die Küche (im Folgenden: Colani-Spüle). Diese Küchenspüle weist ein Spülbecken, ein Zweitbecken, einen dazwischen befindlichen schmalen Zwischenbereich, einen Ablaufbereich mit mehreren Ablaufrinnen und einen Armaturentragebereich auf (vgl. Abbildungen auf dem Deckblatt und auf Seiten 34 bis 37). Die Küchenspüle zeichnet sich durch eine "extravagante" Form mit "besonders weichen, hydrodynamischen Konturen, ... ohne harte Übergänge oder störende Kanten" aus (Seite 35, linke Spalte, Absatz 1 und Abbildungen). Dazu heißt es auf Seite 35, linke Spalte, Absatz 1, dass die Küchenspüle "aus einem Guss bzw. einem Stück in ihre extravaganten Formen gebracht" wird. So wie die Beschwerdegegnerin vorgetragen hat, ist die Colani-Spüle also implizit durch Gießen oder durch ein kompliziertes mehrschrittiges Tiefziehen hergestellt worden. Diese Küchenspüle kommt der beanspruchten Erfindung am nächsten, denn sie offenbart die meisten Merkmale des Anspruchs 1 und zeigt die größte Ähnlichkeit mit den in der Patentschrift dargestellten Küchenspülen mit zwei Becken, siehe Figuren 1 und 2.

3.3 Die D2 offenbart eine durch Tiefziehen geformte Edelstahlspüle (Spalte 2, Zeilen 14 bis 18) und, alternativ, eine Edelstahlspüle bestehend aus einer den Ablaufbereich beinhaltenden Abdeckung und zumindest einem Becken, welche getrennt voneinander durch Tiefziehen geformt und anschließend miteinander verschweißt worden sind (Spalte 2, Zeilen 19 bis 25). Die Figur 1 der D2 zeigt eine Edelstahlspüle 10 gemäß dieser zweiten Alternative mit einem Spülbecken 12, einem Restebecken 14, einem Ablaufbereich 16 sowie einem umlaufenden Rand 18, welcher Durchbrüche 23, 24 für dort zu montierende Armaturen aufweist (Spalte 2, Zeilen 63 bis 68). Ein "Armaturentragebereich" im Sinne des Anspruchs 1 ist lediglich in der Figur 1 der D2 explizit offenbart. Genau genommen offenbart die D2 also nicht eine einstückige und schweißnahtfreie Spüle mit einem Armaturentragebereich gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1. Demnach liegt die D2 dem Gegenstand des Anspruchs 1 ferner ab als die Colani-Spüle.

3.4 Die D16 zeigt eine einfache einstückige Spüle mit einem einzigen Becken, welche aus Keramik, emailliertem Gusseisen, emailliertem geprägten Metal oder spritzgegossenem Kunststoff besteht (Figuren und Spalte 3, Zeilen 26 bis 32). Auch diese Spüle liegt vom beanspruchten Gegenstand weiter ab als die Colani-Spüle.

3.5 Die Kammer kommt also zu dem Schluss, dass die Colani-Spüle den nächstliegenden Stand der Technik darstellt.

3.6 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich davon durch die zwei Merkmale im Kennzeichen des Anspruchs 1, nämlich

- dass "die Spüle (100) zumindest teilweise durch superplastische Umformung aus einem Ausgangsmaterial hergestellt ist", und

- dass "die Materialstärke der Spüle (100) in dem Armaturentragebereich (110) mindestens ungefähr die Hälfte der Anfangsmaterialstärke beträgt".

Dieser Punkt ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

3.7 "Durch superplastiche Umformung ... hergestellt"

Aus der Patentschrift ist zu entnehmen (siehe Absatz 0008), dass der angefochtenen Erfindung die Aufgabe zugrunde liegt, eine Spüle zu schaffen, "welche eine hohe Flexibilität bezüglich der Ausgestaltung des Spülbeckens und des Armaturentragebereichs erlaubt, dabei jedoch einfach und mit geringem apparativem Aufwand herstellbar ist". Es ist jedoch nicht glaubhaft, dass dieses angestrebte Ziel mit SPF im Unterschied zum Herstellungsverfahren der A15a erreicht wird. Insbesondere ist allgemein bekannt und zwischen den Beteiligten unstreitig, dass SPF besonders zeitaufwändig und kostenintensiv ist und einen erhöhten apparativen Aufwand bedingt. Auf die im Absatz 0008 der Patentschrift erwähnte Aufgabe kann also nicht zurückgegriffen werden.

SPF ermöglicht aber zweifelsohne eine hohe Flexibilität bezüglich der Ausgestaltung des Spülbeckens und des Armaturentragebereichs. SPF ermöglicht auch eine Herstellung der extravaganten Colani-Spüle der A15a in nur einem Arbeitsgang, während diese Spüle bisher durch ein kompliziertes mehrschrittiges Tiefziehen oder durch Gießen hergestellt worden ist, wobei das Gießen bekanntermassen eine aufwändige Nachbearbeitung der rauhen Gussoberfläche erfordert. Die mit dem ersten Unterscheidungsmerkmal gelöste technische Aufgabe ausgehend der Colani-Spüle der A15a kann deshalb so formuliert werden, eine Spüle dieser Gattung zu schaffen, welche eine hohe Flexibilität bezüglich der Ausgestaltung des Spülbeckens und des Armaturentragebereichs erlaubt, dabei jedoch in einem einzigen Arbeitsgang herstellbar ist.

3.8 "Materialstärke der Spüle in dem Armaturentragebereich"

Die Beschwerdegegnerin argumentiert, dass mit dem zweiten Unterscheidungsmerkmal implizit eine ausreichende mechanische Festigkeit im Armaturentragebereich der Spüle erreicht wird, um das Gewicht der Armatur tragen und die auf die Armatur bei deren Bedienung einwirkenden Kräfte, z. B. bei der Betätigung eines Mischwählhebels, aufnehmen zu können (Absatz 0004, Spalte 1, Zeilen 23 bis 30 in der Patentschrift). Der Beschwerdeführerin ist aber zuzustimmen, dass das zweite Unterscheidungsmerkmal nichts über die tatsächliche Materialstärke im Armaturentragebereich, geschweige denn über die mechanische Festigkeit im Armaturentragebereich aussagt. Sollte die Anfangsmaterialstärke zu gering ausgewählt sein, würde nach Durchführung von SPF die Materialstärke im Armaturentragebereich nicht ausreichen, um eine ausreichende mechanische Festigkeit zu gewährleisten. Eine Materialstärke im Armaturentragebereich > ca. 0,8 mm bzw. 1 mm wird erst im abhängigen Anspruch 7 definiert. Die Kammer kommt deshalb zu dem Schluss, dass auch die von der Beschwerdegegnerin geltend gemachte Wirkung dieses zweiten Unterscheidungsmerkmals bei der Formulierung der objektiven technischen Aufgabe nicht berücksichtigt werden kann. Auf dieses zweite Unterscheidungsmerkmal wird später eingegangen.

3.9 Hinsichtlich des ersten Unterscheidungsmerkmals gehört SPF, neben dem Tiefziehen, zu den bekannten Umformtechniken von Blechen. SPF ermöglicht die Herstellung von Werkstücken mit genauer Form in einem Arbeitsgang und ist besonders geeignet zur Herstellung von dreidimensionalen, komplex geformten, dünnwandigen und zugleich stabilen Teilen in einem Stück, welche bei konventioneller Fertigungsverfahren aus separat hergestellten Einzelteilen zusammengesetzt, insbesondere zusammengeschweißt werden müssen. So besteht ein herkömmliches SPF-Verfahren zur Herstellung eines Erzeugnisses im Wesentlichen aus folgenden Schritten: (1) Festklemmen der Ränder eines Bleches, d. h. einer ebenen Platine eines Ausgangsmaterials, zwischen einem ersten Formwerkzeug und einem zweiten Formwerkzeug mit einer Formfläche, die komplementär zur Form des herzustellenden Erzeugnisses ist; (2) Erhitzen der Platine auf ihre Umformtemperatur; (3) Anwenden eines Gasdrucks auf die Platine, um diese langsam gegen der Formfläche des zweiten Formwerkzeugs zu drücken; (4) Entfernen des fertiggestellten Erzeugnisses. Aufgrund der Verringerung der Fertigungsschritte, insbesondere des Wegfalls von Schweißverbindungen, und der gebotenen Gestaltungsflexibilität wurde SPF seit 1964 zur Herstellung von komplexen Teilen verwendet, wie z. B. Waschbecken, Kochgeschirr, Zuckerschalen, Paneele für die Bauindustrie, Gehäusen für die Elektroindustrie, Beplankungen für die Luft- und Raumfahrtindustrie, Karosserieteile für Schienen- oder Kraftfahrzeuge. Dies gehört zweifelsohne zu dem allgemeinen Fachwissen auf dem Gebiet der Umformtechnik (siehe z. B. A6, Abschnitte 2.1 bis 2.3; A13, Seite 1, Absatz 2; A12, Absätze 0002 bis 0004; A16, Seite 975, linke Spalte, "Superplastisches Umformen"; H01, insbesondere Abbildungen). Der Fachmann erkennte deshalb, dass SPF zur Lösung der gestellten Aufgabe Verwendung finden könnte. Insbesondere erkennte der Fachmann, dass SPF die Herstellung der eine komplexe Form aufweisenden Colani-Spüle in einem einzigen Arbeitsgang ermöglichte und zugleich eine hohe Flexibilität bezüglich der Ausgestaltung des Spülbeckens und des Armaturentragebereichs böte.

3.10 Alternativ, sollte der Fachmann nicht alleine aufgrund seiner allgemeinen Fachkenntnisse SPF als Lösung erkennen, erhielte er aus der D3 bzw. A6 einen konkreten Hinweis auf die Anwendung von SPF zur Lösung der gestellten Aufgabe. So ist in diesen Druckschriften gelehrt, dass eine Spüle in Form eines Handwaschbeckens für Flugzeug-Toiletten durch SPF schweißnahtfrei und in nur einem Arbeitsgang hergestellt werden kann (D3, insbesondere "complex shape" und "superplastic forming has minimized troublesome and costly welding and assembly times"; A6, Abschnitt 2.2, insbesondere "the shapes of the sink decks are compressed of three-dimensional surfaces without welding seams"). Diese durch SPF hergestellte Spüle der D3 bzw. A6 weist zwar keinen Armaturentragebereich im Sinne der Erfindung auf, ihre Form ist jedoch komplex, mit Knicklinien, scharfen Kanten und einem hohen Umformungsgrad. Der Fachmann erkennte die Vorteile dieser Lehre der D3 bzw. A6 zur Lösung der gestellten Aufgabe und hätte keine praktischen Schwierigkeiten, diese Lehre auf die Colani-Spüle anzuwenden.

3.11 Schließlich ist in der A12 eine Wanne offenbart, die durch SPF aus einer 1,2 mm starken Platine hergestellt worden ist (siehe Figur 1 und Absätze 0019 und 0020). Da die Form und Abmessungen dieser Wanne diejenigen einer Spüle sehr ähnlich sind, entnähme der Fachmann der A12, dass SPF zur Herstellung einer Spüle geeignet wäre.

3.12 Die Beschwerdegegnerin betont, dass SPF vor der Anmeldung ausschließlich zur Herstellung von filigranen, fragilen Leichtbauteilen verwendet wurde, so dass der Fachmann nicht erwartete, dass SPF zur Herstellung einer Spüle mit einem stabilen Armaturentragebereich geeignet wäre, welches das Gewicht der Armatur tragen und die auf die Armatur bei deren Bedienung einwirkenden Kräfte aufnehmen muss. Die unter Punkt 3.9 genannte Beispiele von SPF-Erzeugnissen zeigen jedoch, dass SPF bereits mehrfach zur Herstellung von Teilen hoher Stabilität verwendet wurde. Das in der Patentschrift beschriebene SPF-Verfahren gemäß der Erfindung entspricht einem herkömmlichen SPF-Verfahren, wie es oben unter Punkt 3.9 beschrieben wurde (siehe Figuren 3 bis 7 und Absätze 0072 bis 0090 in der Patentschrift).

3.13 Die Beschwerdegegnerin verweist auch auf die allgemein bekannten Nachteile von SPF, nämlich der hohe Preis des superplastischen Ausgangsmaterials, die lange Prozessdauer, der erhöhte apparative Aufwand, die Anfälligkeit für Rissbildung und die schwer vorhersagbare Variation der Materialstärke über das fertiggestellte Erzeugnis. Sie meint, dass diese Nachteile den Fachmann daran hinderten, SPF zur Herstellung von Spülen zu verwenden. Diesbezüglich weist die Beschwerdegegnerin darauf hin, dass es sich bei Spülen einerseits um Produkte in grossen Stückzahlen, welche innerhalb kurzer Prozesszeiten hergestellt werden müssen, und andererseits aber um Inneneinrichtungsgegenstände handelt, bei denen eine einwandfreie Oberflächenbeschaffenheit unabdingbar ist. Die Kammer ist aber der Auffassung, wie die Beschwerdeführerin, dass der Fachmann SPF auch zur Herstellung von Spülen anwendete, sollte ihm dies aufgrund der von SPF gebotenen Vorteile und trotz diesen Nachteilen wünschenswert erscheinen. Insbesondere erkennte der Fachmann auf Anhieb, dass aufgrund dieser Nachteile SPF möglicherweise nur zur Herstellung von High-End-Spülen in Kleinserien geeignet wäre.

3.14 Die Beschwerdegegnerin sieht als Anzeichen für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit, dass SPF vor der Anmeldung nicht zur Herstellung von Monoblockspülen verwendet wurde, obwohl die Vorteile von SPF lange vor der Anmeldung bekannt waren. Diesem Argument kann nicht gefolgt werden. Erstens ist bereits in der D3 bzw. A6 gelehrt, dass eine einstückig und schweißnahtfrei ausgebildete Spüle in Form eines Handwaschbeckens durch SPF hergestellt werden kann. Zweitens kann die Tatsache, dass bisher keine Monoblockspüle mittels SPF hergestellt worden ist, verschiedene Ursachen haben. So könnten kommerzielle statt technische Erwägungen einer Anwendung von SPF entgegengestanden haben.

3.15 Die Beschwerdegegnerin betont, dass aufgrund der schwer vorhersagbaren Materialausdünnung und des Risikos der Rissbildung SPF für die Herstellung von Spülen unanwendbar wäre. Zur Vermeidung dieser Nachteile wendete der Fachmann die Lösung der A13 an, in dem er ein Loch im Ausgangsmaterial ausschnitte (siehe "dritte Option" auf Seite 6, Zeile 17 bis Seite 7, Zeile 5), wodurch ein Loch im Erzeugnis verbliebe, was bei Spülen inakzeptabel wäre. Dem kann nicht gefolgt werden. Der Fachmann kennt sicherlich diese Probleme bei der Anwendung von SPF und weiß auch, dass man diese Probleme am leichtesten beheben kann, indem man mit einem Ausgangsmaterial dickerer Stärke anfängt (siehe A13, Seite 5, insbesondere "erstere Option" in den Zeilen 24 bis 30). Sollten diese Probleme bei der Anwendung von SPF auftreten, erhöhte der Fachmann deshalb in naheliegender Weise die Anfangs-materialstärke.

3.16 Die Kammer kommt also zu dem Schluss, dass der Fachmann in naheliegender Weise die Colani-Spüle durch SPF herstellte und damit zum ersten Unterscheidungsmerkmal gelangte.

3.17 Schließlich ist die Kammer der Auffassung, dass bei einer SPF-Herstellung der Spüle das zweite Unterscheidungsmerkmal sich zwangsläufig ergäbe, wie die Beschwerdeführerin argumentiert. Es ist nämlich allgemein bekannt, dass bei Kontakt zwischen dem Ausgangsmaterial und den SPF-Formwerkzeugen die Umformung von einer im Kontaktbereich wirkenden Haftreibung behindert wird, so dass sich die vom Werkzeug abgestützten Bereiche des Ausgangsmaterials, insbesondere seine festgeklemmten Randbereiche, nur geringfügig oder gar nicht verformen bzw. ausdünnen. Die Anfangsstärke in den Randbereiche des Erzeugnisses bleibt also weitgehend erhalten, während die anderen stärker umgeformten Bereiche des Erzeugnisses stark ausgedünnt werden. Dieses Fachwissen ist u. a. in der A12 (Absatz 0007, Satz 2 und Figur 4 mit Absatz 0028), A13 (Seite 4, Zeile 27 bis Seite 5, Zeile 10), A17, H04 (Abschnitt 1, letzter Absatz, Abschnitt 3 und Figuren 7 bis 9), H05 (Figuren) dokumentiert. Nun befindet sich der Armaturentragebereich der Colani-Spüle in einem flachen Randbereich der Spüle (siehe die A15a) und damit in einem Randbereich des Ausgangsmaterials, welcher durch SPF nicht oder kaum umgeformt bzw. ausgedünnt wäre. Damit betrüge die Materialstärke der durch SPF hergestellte Spüle in dem Armaturentragebereich sicherlich "mindestens ungefähr die Hälfte der Anfangsmaterialstärke", entsprechend dem zweiten Unterscheidungsmerkmal.

3.18 Die Beschwerdegegnerin ist der Auffassung, wie die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung, dass bei einer SPF-Herstellung der Spüle eine allzu grosse Ausdünnung des Ausgangsmaterials im Armaturentragebereich erfolgen könnte, nachdem die Korngrößen im Gefüge des superplastischen Ausgangsmaterials implizit deutlich kleiner als die Materialstärke wären. Die Beschwerdegegnerin meint, dass die geringe Ausdünnung in den festgeklemmten Randbereichen der Platine in der H04, H05 und A12 nur für superplastische Aluminium- oder Titan-Legierungen beobachtet wurde. Ein anderes Verhalten wäre mit Duplexstähle zu erwarten. Dieses Argument überzeugt aber nicht. Erstens hat die Beschwerdegegnerin keinerlei Beleg für ihre Behauptung erbracht, dass die randseitige Ausdünnung einer Platine aus Duplexstahl anders als bei Platinen aus superplastischen Aluminium- oder Titan-Legierungen sei. Zweitens geht aus der Patentschrift selbst hervor, dass bei der superplastischen Umformung einer Platine aus Duplexstahl sich die festgeklemmten Randbereiche der Platine "nur geringfügig oder gar nicht verformen" (siehe Absatz 0081). Demnach muss davon ausgegangen werden, dass bei der SPF-Herstellung einer Spüle aus Duplexstahl das Ausgangmaterial im Armaturentragebereich ebenfalls nur kaum verformt bzw. ausgedünnt wäre, wie bei superplastischen Aluminium- oder Titan-Legierungen. Drittens ist im Anspruch 1 gar nicht ausgeschlossen, dass die Spüle aus superplastischen Aluminium- oder Titan-Legierungen besteht.

3.19 Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruht also nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

4. Hilfsantrag 1 - Erfinderische Tätigkeit

4.1 Im Vergleich zum Hauptantrag ist der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 durch das zusätzliche Merkmal eingeschränkt,

- dass "die Spüle (100) neben dem Spülbecken (102) mindestens ein weiteres Becken (122) umfasst",

- dass "ein Zwischenbereich (118) zwischen dem Spülbecken (102) und dem weiteren Becken (122) senkrecht zu seiner Längserstreckung eine Ausdehnung von höchstens ungefähr 18 mm aufweist" und/oder

- dass "der Zwischenbereich (118) zwischen dem Spülbecken (102) und dem weiteren Becken (122) keine ebene Zwischenfläche zwischen den Seitenwänden (104b, 120a) der beiden Becken (102, 122) aufweist".

4.2 Zusätzlich zu den oben erörterten Merkmalen des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag weist die Colani-Spüle einen grossen Spülbecken, einen multifunktionalen Zweitbecken und einen schmalen Zwischenbereich zwischen diesen Becken auf. Der Zwischenbereich weist eine ebene Zwischenfläche auf, welche an ihrer schmalsten Stelle geringfügig breiter als 18 mm ist. Diese geringe Breite lässt sich den konkreten Abmessungen (d. h. Breite 50 cm und Länge 86 cm) und den Abbildungen der Colani-Spüle in der A15a (Seiten 36 und 37) direkt entnehmen. Diese Spüle weist also "einen Zwischenbereich" zwischen dem Spülbecken und dem Zweitbecken auf, der "höchstens ungefähr 18 mm" breit ist. Ein wesentlicher Punkt ist hier, dass der relative Ausdruck "ungefähr 18 mm" breit ausgelegt werden darf. Damit offenbart die Colani-Spüle die Kombination der ersten zwei zusätzlichen Merkmale des Hilfsantrags 1. Ein weiterer wesentlicher Punkt ist hier, dass der Anspruch 1 nicht verlangt, dass der Zwischenbereich zwischen den beiden Becken über seine gesamte Länge "höchstens ungefähr 18 mm" breit sein muss. Der Anspruch lässt es offen, ob nur "ein" Zwischenbereich zwischen den Becken, nicht "der" Zwischenbereich zwischen den Becken, eine solche Breite aufweist.

4.3 Somit unterscheidet sich der Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 durch dieselben Merkmale von der Colani-Spüle wie der Anspruch 1 des Hauptantrags. Folglich beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

4.4 Selbst wenn der Ausdruck "höchstens ungefähr 18 mm" im Sinne der Beschwerdegegnerin so ausgelegt wäre, dass die Breite des Zwischenbereichs <= 18 mm sein muss, könnte dieses Merkmal das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht begründen. Die Colani-Spüle weist eine ebene Zwischenfläche, die geringfügig breiter als 18 mm ist. Bei der Auswahl einer noch geringeren Breite handelte es sich aber nur um eine rein gestalterische Änderung, die keiner erfinderischen Tätigkeit bedürfte und der Fachmann schon allein in Betracht zöge, weil er durch SPF eine hohe Gestaltungsfreiheit genöße. Da zwischen einer Breite <= 18 mm und den vorgenannten Unterscheidungsmerkmalen (vgl. Punkt 4.3) kein synergistischer Effekt bzw. Zusammenhang bestände, beruhte der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber der Colani-Spüle wieder nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

4.5 Bei dieser Sachlage braucht auf das dritte zusätzliche Merkmal des Hilfsantrags 1 nicht näher eingegangen werden (dass "der Zwischenbereich ... keine ebene Zwischenfläche" aufweist), weil es nur eine alternative Ausgestaltung der Spüle definiert (vgl. der Ausdruck "und/oder" im Anspruch 1). Der Vollständigkeit halber weist die Kammer aber darauf hin, dass sie die Meinung der Beschwerdeführerin teilt, dass dieses Merkmal lediglich eine besondere ornamentale Gestaltung der Spüle darstellt, welche in das Belieben des Fachmanns gestellt und hinlänglich bekannt ist und ohne praktische Schwierigkeit durch SPF erreichbar wäre. Demnach könnte auch dieses alternative Gestaltungsmerkmal das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht begründen.

5. Hilfsantrag 2 - Erfinderische Tätigkeit

5.1 Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Colani-Spüle nicht offenbart, dass das Material der Spüle einen Duplexstahl umfasst und dass die Materialstärke der Spüle in dem Armaturentragebereich mindestens ungefähr 1 mm beträgt. Somit unterscheidet sich der Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 von der Colani-Spüle, zusätzlich zu den im Zusammenhang mit dem Hauptantrag diskutierten Unterscheidungsmerkmalen, durch die zwei zusätzlichen Merkmale des Hilfsantrags 2.

5.2 Da zwischen diesen Unterscheidungsmerkmalen und denen des Hauptantrags kein synergetischer Zusammenhang erkennbar ist, ist eine unabhängige Erörterung der erfinderischen Tätigkeit möglich.

5.3 Bei der Auswahl vom Duplexstahl handelt es sich nur um die Auswahl eines zur Durchführung von SPF geeigneten superplastischen Ausgangsmaterials unter einer begrenzten Anzahl von bekannten Möglichkeiten, ohne dass ein überraschender Effekt darin zu erkennen ist. So ist in der A6 (Figur 5) offenbart, dass für den japanischen Markt zwischen 1991 und 1993 SPF-Erzeugnisse zu 30 % aus Duplexstählen und zu 70 % Aluminium- oder Titan-Legierungen hergestellt wurden. Wie die Beschwerdegegnerin selbst vorgetragen hat, ist dem Fachmann auch bekannt, dass superplastische Aluminium- oder Titan-Legierungen im Vergleich zu Duplexstählen relativ teuer und nur schwer verfügbar sind. Schließlich ist in der D3 bzw. A6 (Seite 243) explizit offenbart, dass ein rostfreier Duplexstahl zur SPF-Herstellung einer Spüle verwendet werden kann. Es muss davon ausgegangen werden, dass dieser rostfreie Duplexstahl eine ausreichende Korrosionsfestigkeit aufweist. Aus diesem Grund würde der Fachmann in naheliegender Weise als Ausgangsmaterial einen rostfreien Duplexstahl auswählen, um die Colani-Spüle durch SPF herzustellen.

5.4 Bei der ausgewählten Materialstärke von "mindestens ungefähr 1 mm" im Armaturentragebereich handelt es sich lediglich um einen Parameter, zu dem der Fachmann durch routinemäßige Erprobung oder Anwendung normaler Entwurfsverfahren gelangen würde. Wie oben unter Punkt 3.15 ausgeführt wurde, kennt der Fachmann das Risiko der Rissbildung bei der Anwendung von SPF und weiß auch, dass man dieses Risiko am leichtesten reduzieren kann, indem man mit einem Ausgangsmaterial dickerer Stärke anfängt. Um das Risiko der Rissbildung im stark ausgedünnten Zwischenbereich zwischen dem Spülbecken und dem Zweitbecken zu reduzieren, wählte der Fachmann in naheliegender Weise eine Anfangsmaterialstärke höher als 1 mm aus, weil eine Stärke von 0,8 mm für herkömmliche durch gewöhnliches Tiefziehen hergestellte Spülen üblich ist. So wurde z. B. in der A12 für die SPF-Herstellung einer Wanne, die bezüglich ihrer Form und ihren Abmessungen einer Spüle ähnlich ist, eine Anfangsmaterialstärke von 1,2 mm ausgewählt (siehe Absatz 0020). Da sich der Armaturentragebereich im nicht bzw. kaum ausgedünnten Randbereich der Platine befände, betrüge die Materialstärke im Armaturentragebereich der fertiggestellten Spüle dann zwangsläufig "mindestens ungefähr 1 mm".

5.5 Der Fachmann gelangte also ohne Ausübung einer erfinderischen Tätigkeit zu den zusätzlichen Merkmalen des Hilfsantrags 2.

5.6 Da die Unterscheidungsmerkmale des Anspruchs 1 nach Hilfsantrags 1 für den Fachmann ebenfalls naheliegend wären, beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

6. Hilfsantrag 3 - Erfinderische Tätigkeit

6.1 Zusätzlich zu den oben erörterten Merkmalen des Anspruchs 1 nach Hilfsantrags 2 weist die Colani-Spüle einen Ablaufbereich mit mehreren Ablaufrinnen auf. In den Abbildungen dieser Spüle ist deutlich erkennbar, dass der Ablaufbereich einerseits durch eine geschwungene Knicklinie begrenzt ist, die sich entlang des Längsrandes der Spüle erstreckt und in einer glatten Fläche ausläuft (siehe A15a, Deckblatt und Seiten 34 und 36; D20). Diese Knicklinie nimmt die im Anspruch 1 definierte Knicklinie vorweg.

6.2 Somit unterscheidet sich der Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 durch dieselben Merkmale von der Colani-Spüle wie der Anspruch 1 des Hilfsantrags 2. Folglich beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

6.3 Die Beschwerdegegnerin verweist auf die Lehre im Absatz 0023 der Patentschrift, demzufolge die Knicklinie eine Linie in einer Oberfläche ist, wobei die Oberfläche senkrecht zur Längserstreckung der Linie "einen Krümmungsradius von weniger als ungefähr 10 mm" aufweist. Allerdings ist der Anspruch 1 nicht auf diese besondere Ausgestaltung der Knicklinie beschränkt.

6.4 Und selbst wenn die beanspruchte Knicklinie im Sinne der Beschwerdegegnerin zu verstehen wäre, könnte dieses Merkmal das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht begründen. In der Colani-Spüle ist der Krümmungsradius der genannten Knicklinie nicht erkennbar. Bei der Auswahl eines besonderen Krümmungsradius < 10 mm würde es sich aber nur um eine besondere ornamentale Gestaltung der Knicklinie der Colani-Spüle handeln, die im Belieben des Fachmanns läge und ohne praktische Schwierigkeit durch SPF herstellbar wäre. Da zwischen einem Krümmungsradius < 10 mm und die vorgenannten Unterscheidungsmerkmalen zwischen dem Anspruch 1 und der Colani-Spüle kein synergistischer Effekt bestände, würde der beanspruchte Gegenstand erneut auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruhen.

7. Die Kammer kommt also zu dem Schluss, dass weder der Hauptantrag noch die Hilfsanträge 1 bis 3 der Beschwerdegegnerin gewährbar sind.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

Quick Navigation