T 0888/11 () of 14.2.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T088811.20130214
Datum der Entscheidung: 14 Februar 2013
Aktenzeichen: T 0888/11
Anmeldenummer: 05740680.3
IPC-Klasse: A61F 2/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Implantierbares Schliessmuskelprothesensystem, insbesondere zum Einsatz im Bereich des Analkanal
Name des Anmelders: Dritte Patentportfolio Beteiligungsgesellschaft mbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Habenicht, Wieland
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag - bejaht
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Zwischenentscheidung über die Aufrecht erhaltung des Europäischen Patents Nr. 1 734 895 in geändertem Umfang wurde am 4. März 2011 zur Post gegeben.

II. Die Beschwerdeführerin I (Patentinhaberin) und der Beschwerdeführer II (Einsprechender) haben gegen diese Entscheidung, jeweils unter gleichzeitiger Ent richtung der Beschwerdegebühr, am 14. April 2011, bzw. am 13. Mai 2011 Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdebegründungen wurden am 22. Juni 2011, bzw. am 14. Juli 2012 ein ge reicht.

III. Die Einspruchsabteilung war zu der Auffassung gekommen, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe in Hinblick auf die technische Lehre der Druckschrift

D4: US-A-4 878 889

in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen.

IV. Folgenden Entgegenhaltung hat für die Entscheidung auch eine Rolle gespielt:

D8: DE-A-100 23 634.

V. Am 14. Februar 2013 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.

Die Beschwerdeführerin I beantragte die Aufhebung der Entscheidung der Einspruchsabteilung und die Aufrecht erhaltung des Patents im ursprünglich erteilten Umfang. Hilfsweise beantragte sie die Aufrecht erhaltung des Patents im Umfang des Hilfsantrags A - überreicht in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung - sowie weiter hilfsweise im Umfang der Hilfsanträge 1 bis 4, überreicht mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2010.

Der Beschwerdeführer II beantragte die Aufhebung der Entscheidung der Einspruchsabteilung und den Widerruf des Patents.

VI. Der erteilte Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"Implantierbares Schließmuskelprothesensystem zum Öffnen und Schließen des Analkanals bzw. eines Hohl organ segments, dadurch gekennzeichnet,

a) dass ein primär evakuierter, elastischer und als Hohl körper ausgeformter Kompressions cuff (1)

b) an der Innenseite eines elastischen Trägerrings (3)

c) über eine integrierte oder nicht integrierte Mikro pumpe (4) beliebiger Bauart,

d) mit einem ebenfalls primär evakuierten, an der Außen seite des Trägerrings an gebrachten, elastischen und eben falls als Hohlkörper ausgeformtem Reservoir cuff (2) verbunden ist,

e) dass der jeweils als Hohlkörper ausgeformte Kompres sions cuff (1) und der Reservoir cuff (2) im Wege der In- und Deflation einer Materialstauchung oder Ver formung bei weitgehend konstanter Wandstärke unter liegen,

f) wobei über einen Port das Transmissionsfluid oder ein Gas oder Gasgemisch in den evakuierten Reservoircuff (2) injezierbar ist und

g) über die Mikropumpe (4) zwischen evakuiertem Reservoir cuff (2) und Kompres sions cuff (1) transferiert wird und

h) die Mikropumpe (4) von einem externen Programmier gerät magnetisch, tele metrisch oder per Induktionsspule

i) über einen zwischengeschalteten und separat zu implantie renden Empfänger, der mit der Prothese über ein Kabel verbunden ist oder per Funk

j) direkt ansteuerbar ist."

Die Merkmalsbezeichnung (Merkmal a bis j) wurde von der Kammer eingefügt.

VII. Zur Stützung seines Antrags hat der Beschwerde führer II im Wesentlichen folgendes vorgetragen:

Die Merkmale, wonach die Cuffs "primär evakuierbar" und ihre Wandstärke bei In- und Deflation "weit gehend konstant" bleiben, seien so unklar, dass sie nicht zur Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik benutzt werden könnten. Doch selbst wenn sie für die Beurteilung der Patentierbarkeit berücksichtigt würden, beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinde rischen Tätigkeit.

D4 offenbare ein implantierbares Schließmuskel prothesen system zum Öffnen und Schließen eines Hohlorgansegments mit einem elastischen Kompressions cuff (16) an der Innenseite eines elastischen Trägerrings (non-elastic backing 22), der über eine Mikropumpe (20) beliebiger Bauart mit einem elastischen Reservoir cuff (18) ver bunden ist.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von der Vorrichtung gemäß D4 lediglich dadurch, dass die Cuffs als Hohl körper ausgeformt seien (Teile der Merkmale a und d), die Pumpe bidirektional sei (Merkmal g) sowie durch die Merkmal h bis j.

Die durch das beanspruchte Prothesensystem zu lösende Aufgabe bestehe darin, eine Vorrichtung bereitzustellen, bei der die zum Aufblähen der Cuffs notwendige Energie reduziert werde, um so eine kleinere Pumpe einsetzen zu können und bei der die durch das wiederholte Aufblähen des Cuffs entstehende Materialermüdung vermieden werde.

Da es aus der D4 bekannt sei (siehe Spalte 1, Zeilen 16 bis 29), dass die Cuffs entweder als dehnbare Ballons oder als nicht dehnbare Körper gestaltet werden können, sei es für den Fachmann naheliegend, zur Lösung der gestellten Aufgabe die in D4 gezeigten dehnbaren Cuffs durch nicht dehnbare zu ersetzen.

Dabei sei es zwingend notwendig, eine bidirektionale Pumpe einzusetzen, weil es sonst nicht möglich sei, den Kompressions cuff zu füllen. Folglich sei das Vorsehen der bidirektionalen Pumpe (Merkmal g) nahe liegend, zumal auch aus D8 eine im gleichen Zusammenhang arbeitende bidirektionale Pumpe bekannt sei.

Da außerdem die Merkmale h bis j im vorliegenden techni schen Gebiet übliche Maßnahmen seien, beruhe der Gegen stand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

VIII. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdeführerin I im Wesentlichen folgendes vorgetragen:

Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 unterscheide sich vom System gemäß D4 zumindest dadurch, dass ein separater elastischer Trägerring vorgesehen sei (Merkmal b), dass sowohl der Kompres sions- als auch der Reservoir cuff als Hohlkörper aus gebildet und primär evakuiert seien (Merkmale a und d), diese im Wege der In- und Deflation einer Material stau chung oder Ver formung bei weitgehend konstanter Wand stärke unter liegen (Merkmal e) sowie durch das Vorsehen einer bi direktio nalen Mikro pumpe (Merkmal g). Dabei seien die zum Teil funktionell ausgedrückten Merkmale a, d und e nicht einzeln, sondern im Zusammenhang zueinander zu berück sichtigen. Diese sähen vor, dass beide Cuffs als Hohl körper ausgebildet sind, d.h. eine eigene Form und Steifigkeit besitzen und auch im evakuierten Zustand als Hohlkörper zu erkennen seien und nicht, wie es bei der Vorrichtung gemäß D4 der Fall sei, als flachgedrückte Ballons.

Die durch das beanspruchte System zu lösende Aufgabe bestehe darin, ein Schließmuskelprothesesystem bereit zu stellen, das eine möglichst kompakte Bauart aufweise, ohne dabei auf seine zuverlässige Funktions weise zu verzichten (siehe Patentschrift, Absatz [0004]).

Die von dem Beschwerdeführer II genannte zu lösende Aufgabe, eine Energieverminderung beim Aufblasen der Cuffs zu erzielen, beruhe auf einer rückschauenden Betrachtungsweise der beanspruchten Erfindung. Auf der Grundlage einer solchen Argumentation könne die fehlende erfinderische Tätigkeit des Anspruchsgegenstands nicht in Frage gestellt werden.

Der Fachmann habe überhaupt keinen Anlass dazu gehabt, die in D4 ge zeigten dehnbaren Cuffs durch solche zu ersetzen, die als Hohlkörper ausgeformt sind und diese an einen Trägerring anzubringen, denn dafür wären erhebliche Umbau maßnahmen der Vorrichtung gemäß D4 notwendig gewesen. Allein schon deswegen beruhe der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 auf einer erfinde rischen Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Auslegung des Anspruchs 1

Der erteilte Anspruch 1 verlangt, dass sowohl der Kompressions- als auch der Reservoircuff "primär evakuiert" sein sollen (Merkmale a und d) als auch, dass beide Cuffs im Wege der In- und Deflation einer Material stauchung oder Verformung bei weitgehend konstanter Wandstärke unterliegen (Merkmal e).

Der Beschwerdeführer II beanstandete, diese Ausdrücke seien unklar und könnten deswegen nicht als Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik benutzt werden.

Im Lichte der Beschreibung und unter Berücksichtigung der weiteren Merkmale des Anspruchs 1 sind jedoch beide Ausdrücke klar verständlich. Sie drücken nämlich aus, dass die erfindungsgemäßen Cuffs Hohlkörper mit einer eigenen Form und Steifigkeit sind und die unter verschiedenen Innendrücken arbeiten können. Solche Cuffs können somit (primär) evakuiert sein und selbst in diesem Zustand eine eigene dreidimensionale Form aufweisen, bevor das Transmissions fluid über einen Port in das System injeziert wird. Bei steigendem Innendruck wird sich die Form der Hohlkörper ändern, nicht aber die Stärke ihrer Wände.

Da also alle im erteilten Anspruch benutzten Ausdrücke eindeutig auszulegen sind, können sie sehr wohl zur Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik dienen.

3. Funktionsweise der Vorrichtung gemäß D4

Die Vorrichtung gemäß D4 benutzt Cuffs, welche auf blasbar und dehnbar sind ("expanding skin", siehe Spalte 3, Zeilen 40 und 41) und die somit im nicht befüllten Zustand keinen Hohlkörper im Sinne des Streitpatents darstellen, sondern in sich zusammenfallen wie ein leerer Luftballon. Da sich beim Aufblasen ihre Wand dehnt, muss dabei zwingend ihre Stärke - anders als im Streitpatent - abnehmen.

Die Funktionsweise des Systems gemäß D4 beruht darauf, dass der Kompressions cuff (16) die Form eines einseitig offenen Rings hat, bestehend aus einer dehnbaren Haut ("flexible expanding skin 24", siehe Spalte 3, Zeilen 40 und 41) und einer Verstärkung (22) ("non-elastic backing, siehe Spalte 3, Zeile 40). Auch der Reservoircuff (18) ist ein einseitig geöffneter Ring und hat die Form eines C, der den Kompressionsring umgibt (siehe Spalte 3, Zeilen 44 bis 46). Bei geschlossenem Hohlorgan ist der Kompressionscuff aufgeblasen, während der Reservoircuff zusätzlich Druck auf den aufgeblasenen Kompressions cuff ausübt und ihn hierbei bei der Schließung des Hohlorgans unterstützt (siehe D4, Spalte 4, Zeilen 24 bis 26). Zum Öffnen des Hohlorgans wird das Fluid vom Kompressions cuff in den Reservoircuff mittels einer eindirektionalen Pumpe gepumpt. Zum Schließen des Hohlorgans wird das im Reservoircuff enthaltene Fluid durch einen Strömungs begrenzer abgelassen, bis der Druck im Reservoircuff nicht mehr ausreicht, um den Strömungs begrenzer zu betätigen.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1 Die Vorrichtung gemäß D4 stellt den nächst liegenden Stand der Technik dar und offenbart:

ein implantierbares Schließmuskelprothesensystem zum Öffnen und Schließen eines Hohlorgansegments mit einem elastischen Kompressions cuff (16), der über eine Mikro pumpe (20) beliebiger Bauart mit einem elastischen Reservoir cuff (18) verbunden ist.

4.2 Hiervon unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 vom System gemäß D4 dadurch, dass der Kompressions- bzw. Reservoir cuff als Hohlkörper ausgeformt sind (Merkmale a und d) sowie durch eine bi direktio nale Pumpe (Merkmal g) und durch die Merkmale h bis j.

4.3 Ferner unterscheidet sich, entgegen der Meinung des Beschwerde führers II, der Gegenstand des Anspruchs 1 vom System gemäß D4 auch durch den elastischen Trägerring (3), an dessen Innen- bzw. Außenseite der Kompressions cuff (Merkmal b) bzw. der Reservoircuff (Merkmal d) anliegen.

Bei der Vor richtung gemäß D4 besteht nämlich der Kompres sions cuff (16) aus dem Zusammenbau einer nicht elastischen Ver stärkung (non elastic backing 22) und einer flexiblen, dehnbaren Haut (skin 24) (siehe Spalte 3, Zeilen 39 bis 41). Da nur diese zwei Teile zusammen einen aufblas baren Körper bilden können, kann die Ver stärkung (22) der D4 nicht - wie von den Merkmalen b bzw. d des Anspruchs 1 ver langt - als Trägerring betrachtet werden, an dessen Seiten der Kompressionscuff bzw. der Reservoircuff anliegen.

Ferner ist unter einem Ring ein "gleichmäßig runder, kreis förmig in sich geschlossener Gegenstand" (siehe Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 6. Auflage, 2006) zu verstehen. Da D4 ausschließlich C-förmige, also offene, Cuffs offenbart, kann sie auch deswegen keinen Trägerring im Sinne des Merkmals d zeigen.

4.4 Von der in D4 gezeigten Schließmuskelprothese ausgehend besteht die durch das System gemäß Anspruch 1 zu lösende Aufgabe darin, ein alternatives System bereitzustellen, das aufgrund seiner kompakten Bauart und Funktion ver einfacht peri anal implantiert werden kann (siehe Patent schrift, Absatz [0004]).

Der Beschwerdeführer II definiert die vom Streitpatent gelöste Aufgabe als die Reduktion der zum Aufblähen der Cuffs notwendigen Energie, wodurch eine kleinere Pumpe eingesetzt werden könne und die durch das wiederholte Aufblähen der Cuffs entstehende Materialermüdung ver mieden werden könne.

Eine solche Definition der zu lösende Aufgabe ist jedoch unzulässig, denn sie beruht auf einer rückschauenden Betrachtung der Erfindung, die schon Teile der Lösung beinhaltet.

4.5 D4 gibt in Spalte 2, Zeilen 27 bis 29 zwar bei der Beschreibung des Standes der Technik an, dass sowohl Hohlkörper (non-expandable pressure variable bulb) als auch aufblasbare Ballons (expandable constant pressure bulb) als Cuffs einsetzbar sind. Folglich könnte dieser Absatz grund sätzlich den Fachmann dazu anregen, die aufblasbaren Cuffs der D4 durch Hohlkörper zu ersetzen. Es ist jedoch kein Anlass erkennbar, weswegen der Fachmann in der Vorrichtung gemäß D4 einen Trägerring einsetzen würde, an dem die beiden Cuffs anliegen, wie von Anspruch 1 des Streitpatents verlangt. Ein geschlossener Ring würde nämlich die Funktionsweise des Systems gemäß D4 verhindern, da diese gerade auf dem Öffnen der beiden C-förmigen Cuffs beruht. Aus diesen Gründen hat es für den Fachmann nicht nahegelegen, die Merkmale a und d in der Vorrichtung gemäß D4 vorzusehen.

Auch unter Berücksichtigung der D8 war es für den Fach mann nicht naheliegend, von der Vorrichtung gemäß D4 ausgehend zur beanspruchten Lösung zu kommen. In der Vor richtung gemäß D8 befinden sich nämlich beide auf blas bare und dehnbare Cuffs innerhalb eines Träger rings und nicht, wie von Anspruch 1 verlangt jeweils innerhalb und außerhalb davon.

4.6 Da, wie oben dargelegt, schon das Vorsehen der Merkmale a und d in der Vorrichtung gemäß D4 nicht naheliegend ist, kann dahin gestellt bleiben kann, ob die weiteren Merkmale des Anspruchs 1 zum Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit beitragen oder nicht.

Folglich beruht der Gegenstand des gesamten Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Auf die Beschwerde der Pateninhaberin (Beschwerde führerin I) hin wird die angefochtene Entscheidung aufgehoben und das Patent in der erteilten Fassung aufrechterhalten.

2. Die Beschwerde des Einsprechenden (Beschwerdeführer II) wird zurückgewiesen.

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