T 0798/11 () of 28.5.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T079811.20140528
Datum der Entscheidung: 28 Mai 2014
Aktenzeichen: T 0798/11
Anmeldenummer: 00922513.7
IPC-Klasse: F03D 7/00
F03D 11/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: WINDENERGIEANLAGE MIT SCHALLPEGELREGELUNG
Name des Anmelders: Wobben, Aloys
Name des Einsprechenden: Gamesa Eólica S.L.
REpower Systems AG
Vestas Wind Systems A/S
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention R 99(1)(c)
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(3)
Schlagwörter: Zulässigkeit verspäteter Vortrag (nein)
Zulässigkeit der Beschwerde (ja)
Zulässigkeit neuer Hauptantrag (ja)
Änderungen - Erweiterung des Patentanspruchs 1 (nein)
Änderungen - neuer Hauptantrag
Erfinderische Tätigkeit - neuer Hauptantrag (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 26. April 2010, zur Post gegeben am 31. Januar 2011, das Europäische Patent Nr. 1 192 355 in geänderter Form gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag 4 wegen mangelnder Neuheit, bzw. gemäß Hilfsantrag 1 bis 3, 5 und 6 wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit, nach Artikel 101(3)b) EPÜ zu widerrufen. Haupt- und Hilfsanträge 1 bis 6 wurden alle eingereicht während der Verhandlung vor der Einspruchsabteilung.

In ihrer Entscheidung hat die Einspruchsabteilung u.a. die folgende Beweismittel berücksichtigt:

D1 = S. Wagner et al.: "Wind Turbine Noise"; Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 1996; Seiten 163 to 166, 179;

D3 = F. Hagg: "Aerodynamic noise reducted design of large advanced wind turbines"; European Community Wind Energy Conference held at Madrid, Spain, 10-14 September 1990;

D14 = "Windehe - Nordex steigt bei Südwind ein"; Seiten 40 und 42, Neue Energie, Oktober 1998;

D16 = K. Wefelmeier: "Supervisory control of a wind park"; European Community Wind Energy Conference held at Lübeck-Travemünde, Germany, 8-12 March 1993;

D17 = Baugenehmigung des Landkreises Cuxhaven vom 17.Juni 1997 und Widerspruch dagegen zusammen mit verschiedenen Anlagen, betreffend folgendes Bauvorhaben: Errichtung von 10 Windkraftanlagen, Anlagen 8-11 und 26-31 auf folgendem Baugrundstück: in Nordlea, Gemarkung Nordlea;

D21 = M. Steinbuch et al.: "Optimal control of wind power plants"; Seiten 237 bis 246, Journal of Wind Engineering and Industrial Aerodynamics, 27, Elsevier Science Publishers B.V. Amsterdam, 1988.

II. Der Beschwerdeführer (Patentinhaber) hatte am 8. April 2011 Beschwerde eingelegt und am gleichen Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung war am 10. Juni 2011 eingegangen.

III. In der Mitteilung vom 16. Mai 2014 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung in einem Bescheid gemäß Artikel 15(1) VOBK mit.

Eine mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 28. Mai 2014 unter Anwesenheit aller am Beschwerdeverfahren beteiligten Parteien statt. Nach Diskussion zum Hauptantrag vertrat die Kammer die Ansicht, dass Anspruch 1 unzulässig erweitert sei, Artikel 123(2) EPÜ, und verwies auf die ihrer Meinung nach hierfür maßgeblichen Einwände. Der Beschwerdeführer zog daraufhin alle mit Beschwerdebegründung eingereichten Haupt- und Hilfsanträge zurück und reichte als einzigen Antrag einen neuen Hauptantrag mit Ansprüchen 1 bis 3 ein.

IV. Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents im Umfang des neuen Hauptantrags, wie eingereicht in der Verhandlung vor der Kammer.

Die Einsprechenden 1 und 2 als Beschwerdegegnerinnen beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.

Die Einsprechende 3 hatte bereits am 15. Dezember 2008 ihren Einspruch zurückgezogen und ist daher keine Verfahrensbeteiligte.

V. Der unabhängige Anspruch 1 des neuen Hauptantrags hat folgenden Wortlaut (Zeilennummerierungen von der Kammer eingefügt):

1 "Verfahren zum Betrieb eines Windparks (10) mit mehr als zwei Windenergieanlagen (1-9), die drehzahlvariabel sind und die in einem unterschiedlichen Abstand zu einem vorbestimmten Immissionspunkt (A) angeordnet sind, wobei

5 erste Windenergieanlagen in Windrichtung vor zweiten Windenergieanlagen stehen, wobei die Windrichtung und die Windgeschwindigkeit erfasst werden, wobei in Abhängigkeit der Uhrzeit, Windrichtung, Windgeschwindigkeit und Schallleistungspegel am Immissionspunkt die Drehzahl der

10 ersten Windenergieanlagen (1-9) derart eingestellt wird, dass an dem Immissionspunkt (A) ein vorbestimmter Schallpegel nicht überschritten wird, wobei der Windpark mit den Windenergieanlagen (1-9) mittels einer Datenverarbeitungseinrichtung (11) gesteuert wird, wobei

15 die Datenverarbeitungseinrichtung Werte für Windrichtung, Windgeschwindigkeit, Uhrzeit und Schalleistungspegel [sic] verarbeitet, und mittels der Datenverarbeitungseinrichtung die gesamte Steuerung aller Windenergieanlagen (1-9) des Windparks (10) erfolgt und die

20 Datenverarbeitungseinrichtung je nach Ermittlung der Daten für Uhrzeit, Windrichtung, Windgeschwindigkeit und Schallleistungspegel am Immissionspunkt (A) mittels Steuereinheiten der Windenergieanlagen (1-9) diese so einstellt, dass die Drehzahl der ersten Windenergieanlagen

25 (3, 6, 9) verringert wird, wobei bei einem Wind, dessen Windrichtung im Wesentlichen vom Immissionspunkt (A) zum Windpark (10) verläuft, der Wind zuerst auf die ersten Windenergieanlagen trifft und diese Windenergieanlagen (1, 4, 7), die dem Immissionspunkt (A) am nächsten liegen, in

30 ihrer Drehzahl verringert werden, so dass die zweiten Windenergieanlagen, die in Windrichtung hinter den ersten Windenergieanlagen stehen, den Wind mit einer höheren Windgeschwindigkeit erfahren."

VI. Der Beschwerdeführer hat im Wesentlichen folgende Argumente vorgetragen:

Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerde sei zulässig, der verspätete Vortrag der Beschwerdegegnerin Einsprechenden 2 sei nicht ins Verfahren zuzulassen.

Änderungen und Zulässigkeit des neuen Hauptantrags

Die Änderungen in Anspruch 1 des neuen Hauptantrags gegenüber seiner bisherigen Fassung basierten in erster Linie auf Seite 4, letzter Absatz, der Anmeldung (wie veröffentlicht). Dadurch sei der Einwand, dass Steuereinheiten an den Anlagen vorgesehen seien, und auch der Schalleistungspegel am Immissionspunkt zum Steuern verarbeitet werde, behoben worden. Schallpegel und Schallleistungspegel seien in dem letzten Absatz auf Seite 4 gleichbedeutend als Schallpegel am Immissionspunkt zu verstehen. Die Art und Methode der Datenerfassung oder der Ausdruck "u.a." konnten aus der Sicht des Fachmanns basierend auf dem Kontext im letzten Absatz der Seite 4 der Anmeldung im neuen Anspruch 1 ohne weiteres entfallen.

Darüber hinaus beruhten die neuen Änderungen auf den ursprünglichen Verfahren der Ansprüche 4 und 6 bzw. der zugehörigen Beschreibung, welche die Verfahren jedenfalls im Zusammenspiel offenbarten. Dadurch seien in Anspruch 1 nunmehr Zahl und Anordnung von Anlagen des Windparks in Bezug auf Immissionspunkt und Windrichtung bei drehzahlvariablem Betrieb zum Ausdruck gebracht worden. Die Drehzahl der ersten Reihe von Anlagen werde nur einmal verringert, die zweite Angabe am Ende des Anspruchs 1 qualifiziere die Anordnung der Reihen im Vergleich zur Windrichtung.

In Anspruch 1 des bisherigen und neuen Hauptantrags werde die Windrichtung und Windgeschwindigkeit nun "erfasst". Dieser Umstand sei auch dem ursprünglichen Anspruch 1 (implizit) zu entnehmen. Zudem wurde gegenüber dem ursprünglichen Anspruch 1 "Windstärke" in "Windgeschwindigkeit" umbenannt, was aus der Sicht des Fachmanns aber gleichbedeutend sei. Schließlich werde im Anspruch 1 des bisherigen und neuen Hauptantrags die Drehzahl mittels der Datenverarbeitungseinrichtung "eingestellt", während auf Seite 4 der Anmeldung, letzter Absatz, von "steuern" die Rede sei. Einstellen und Steuern sei jedoch in Anspruch 1 gleichbedeutend.

Die Änderungen in Anspruch 1 des neuen Hauptantrags seien daher ursprünglich offenbart, und alle unter Artikel 123(2) EPÜ gegen den bisherigen Hauptantrag erhobenen Einwände ausgeräumt worden. Im Übrigen seien manche Einwände erst in der Verhandlung diskutiert worden. Die Änderungen seien zudem überschaubar und beruhten im Grunde auf den bisherigen Hilfsanträgen 2 und 3, die bereits aus dem Einspruchsverfahren den Gegenparteien bekannt seien. Der neue Hauptantrag sei daher ins Verfahren zuzulassen.

Neuheit und erfinderische Tätigkeit

Die Neuheit des Anspruchs 1 des neuen Hauptantrags werde von den Gegenparteien nicht bestritten. Unter der Drehzahlverringerung einer drehzahlvariablen Anlage nach Anspruch 1 sei keine Abschaltung der Anlage zu verstehen. Darüber hinaus würden drehzahlstarre Anlagen mit zwei festen Drehzahlen aus der Sicht des Fachmanns keine drehzahlvariablen Anlagen darstellen. Der Schallpegel müsse in Anspruch 1 am Immissionspunkt erfasst, also gemessen werden, wobei sowohl "Schallpegel am Immissionspunkt" als auch "Schallleistungspegel am Immissionspunkt" in Anspruch 1 die Höhe der Schallimmission am Immissionspunkt zum Ausdruck bringen würden.

Die Baugenehmigung Nordlea aus D17 könne als nächstliegender Stand der Technik erachtet werden, denn D17 betreffe einen Windpark mit einem Abregelungskonzept für Anlagen zur Einhaltung von Schallgrenzwerten an Immissionspunkten. Dieses Abregelungskonzept sehe jedoch vor, während der Nachtzeit drehzahlstarre Anlagen AN BONUS einmalig auf eine erste Stufe umzuschalten. Und auch für die drehzahlvariablen E-40 gelte, dass im Windpark die Drehzahl einer Anlage (unabhängig von Windrichtung und Windgeschwindigkeit) nur einmalig während der Nachtzeit um 1 U/min zur Einhaltung der Schallgrenzwerte verringert werde. Windgeschwindigkeit und Windrichtung könnten bestenfalls direkt an jeder Anlage des Typs E-40 (vgl. Brief der Fa. ENERCON im Anhang 2 der D17) zur Schalloptierung gemessen werden. Aber das in D17 unter Punkt 8 der Geräuschimmissionsprognose vorgeschlagene Abregelungskonzept Nordlea schließe selbst eine solche Datenerfassung an Anlagen E-40 des Windparks aus.

Anspruch 1 unterscheide sich daher von der Offenbarung aus D17 durch eine zentrale übergeordnete Steuerung aller Anlagen des Windparks, die drehzahlvariabel seien, und in ständiger Abhängigkeit von Windrichtung, Windgeschwindigkeit und Schallpegel am Immissionspunkt gesteuert würden. Hierbei werde die Drehzahl der in Windrichtung ersten Anlagen zur Einhaltung eines Schallpegels am Immissionspunkt verringert, so dass zudem in Windrichtung dahinter liegende zweite Anlagen eine höhere Windgeschwindigkeit erführen.

Dadurch werde gegenüber D17 unter Einhaltung der Schallgrenzwerte der Energieertrag des Windparks maximiert. Siehe Patent, Abs. 0003.

D21 betreffe nicht die Problematik der Einhaltung von Schallgrenzwerten, ganz zu schweigen von einer aktiven Steuerung aller drehzahlvariablen Anlagen des Windparks in Abhängigkeit der ermittelten Daten am Immissionspunkt, insbesondere des Schallpegels, unter Einhaltung eines vorbestimmten Schallpegels am Immissionspunkt. D16 liege noch weiter ab, und könne wie D21 ebenso keine Anregung auf eine aktive Steuerung aller Anlagen liefern, wenn an einem bestimmten Immissionspunkt der Schallpegel überschritten werde. Selbst wenn D21 (od. D16) ausgehend von D17 vom Fachmann in Betracht gezogen werden würde, würde er aus D21 (od. D16) folglich keine Anregung erhalten, das gelehrte Abschaltungskonzept Nordlea aus D17 so abzuändern, dass er zu einem Betriebsverfahren nach Anspruch 1 des neuen Hauptanspruchs gelangen würde.

D21 würde wegen der fehlenden Problematik der Einhaltung von Schallgrenzen keinen geeigneten Startpunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 darstellen. D1, D3 od. D14 beschrieben lediglich allgemeines Fachwissen, wiederum ohne Hinweis auf eine zentrale Steuerung aller Anlagen in Abhängigkeit des Schallpegels am Immissionspunkt. Selbst eine Zusammenschau von D21 mit D1 (bzw. mit D3 od. D14) könne daher nicht zu Anspruch 1 führen.

Anspruch 1 des neuen Hauptantrags sei daher neu und erfinderisch. Die öffentliche Zugänglichkeit der Baugenehmigung D17 könne somit dahingestellt bleiben.

VII. Die Beschwerdegegnerinnen haben im Wesentlichen folgende Argumente vorgetragen:

Zulässigkeit der Beschwerde

Nach Auffassung der Einsprechenden 1 als Beschwerdegegnerin sei die Beschwerde wegen der Zulassung von verspäteten Anträgen durch die Einspruchsabteilung unzulässig. Nach Ansicht der Einsprechenden 2 als Beschwerdegegnerin sei mit Einlegung der Beschwerde mit dem Antrag, das Patent in "vollem Umfang" aufrechtzuerhalten, keine begründete Festlegung des Beschwerdegegenstandes erfolgt. Deswegen sei die Beschwerde unzulässig. Obwohl verspätet, seien ihrerseits lediglich ergänzende Argumente zur Zulässigkeit der Beschwerde vorgetragen worden und daher ins Verfahren zuzulassen.

Änderungen und Zulässigkeit des neuen Hauptantrags

Nach Ansicht der Beschwerdegegnerin Einsprechenden 2 sei in Anspruch 1 des neuen Hauptantrags basierend auf Seite 4, letzter Absatz der Anmeldung der ursprünglich verarbeitete Schallpegel (Immission am Immissionspunkt) unzulässig durch den Schallleistungspegel (Emission an der Windkraftanlage) ersetzt worden. Außerdem seien aus dem letzten Absatz auf Seite 4 die Art und Methode der Datenerfassung, bzw. der Umstand, dass "u.a." auch noch weitere Daten verarbeitet würden, nicht in Anspruch 1 aufgenommen worden.

Darüber hinaus werde im Verfahren nach Anspruch 1 des neuen Hauptantrags im Vergleich zum bisherigen Hauptantrag die Drehzahl aufgrund zweier Bedingungen, also zweimal, verringert. Weiters seien in Anspruch 1 nach Ansicht der Beschwerdegegnerin Einsprechenden 1 nun "mehr als zwei" also z.B. drei Windenergieanlagen umfasst. Diese Änderungen seien der Anmeldung nirgends zu entnehmen. Außerdem offenbarten die ursprünglichen Ansprüche 4 und 6 unterschiedliche Verfahren, während im neuen Anspruch 1 Zahl und Anordnung der Anlagen im Windpark bezüglich des Immissionspunkts und der Windrichtung nun beide Verfahren kombinierten.

Sowohl in Anspruch 1 des bisherigen, als auch des neuen Hauptantrags werde gegenüber dem ursprünglichen Anspruch 1 die Windrichtung und Windgeschwindigkeit "erfasst", was ursprünglich nicht offenbart sei. Zudem sei "Windstärke" unzulässigerweise in "Windgeschwindigkeit" umbenannt worden. Und schließlich "steuere" die Datenverarbeitungseinrichtung auf Seite 4, letzter Absatz der Anmeldung die Drehzahl, wohingegen in Anspruch 1 des bisherigen und neuen Hauptantrags die Drehzahl "eingestellt" werde, was aber nicht steuern bedeute.

Durch die neuen Änderungen in Anspruch 1 seien also einerseits neue Probleme zur unzulässigen Erweiterung aufgeworfen worden, und andererseits alte Einwände zum bisherigen Anspruch 1 nicht ausgeräumt worden. Somit sei Anspruch 1 des neuen Hauptantrags jedenfalls nicht eindeutig gewährbar. Eine Zulassung des neuen Hauptantrags erst am Tag der Verhandlung sei auch deswegen nicht gerechtfertigt, da mehrere der in der Verhandlung diskutierten Einwände bereits zuvor schriftlich erhoben worden seien.

Neuheit und erfinderische Tätigkeit

Unter der Drehzahlverringerung einer drehzahlvariablen Anlage nach Anspruch 1 könne durchaus auch eine Reduktion der Drehzahl auf "0", also eine Abschaltung der Anlage verstanden werden. Eine Anlage "drehzahlvariabel" zu betreiben schließe zudem nicht aus, dass eine Anlage bei einer ersten und einer anderen zweiten Drehzahl betrieben werde. Aus Anspruch 1 sei im Übrigen nicht klar verständlich, wie der Schallleistungspegel erfasst werde.

Nach Ansicht der Beschwerdegegnerin Einsprechenden 2 offenbare D17 im Anhang 2 der Baugenehmigung Nordlea, dass die Anlage vom Typ E-40 der Fa. ENERCON drehzahlvariabel sei, und die Schalloptimierung mittels Absenkung der Drehzahl im Regelfall von a) Uhrzeit, b) Windrichtung, und c) Windgeschwindigkeit abhängig gemacht werde. Auch die Anlagen vom Typ AN BONUS 44-3 der Fa. AN BONUS würden mit zwei verschiedenen Drehzahlen, also drehzahlvariabel betrieben.

Unter Punkt 8 der Geräuschimmissionsprognose würden die Abregelungskonzepte für die Anlagen E-40 und AN BONUS 44-3 Anwendung finden. Aus der Karte in Anlage 1 der D17 seien mehrere Immissionspunkte mit unterschiedlichem Abstand zu den Anlagen ersichtlich, und obwohl die Windrichtung und Windgeschwindigkeit in D17 nicht explizit erfasst werde, sei dies aus der Sicht des Fachmanns aufgrund des Briefs der ENERCON zur E-40 im Regelfall zwangsläufig für alle drehzahlreduzierten Anlagen in D17 (auch für die AN BONUS) der Fall. Die Windrichtung drehe irgendwann auch zwangsläufig vom Immissionspunkt zur nächstliegenden Reihe von Windanlagen. Es sei für den Fachmann selbstverständlich, dass dann die Drehzahl der in Windrichtung zum Immissionspunkt nächstliegenden ersten Anlage verringert werden müsse, um die Schallgrenzwerte einzuhalten. Dem Fachmann sei darüber hinaus aus der Karte in Anhang 1 auch bewusst, dass der Windpark Nordlea eine Ausnahme darstelle, da der Windpark von Immissionspunkten "umzingelt" sei, und die Windrichtung nur deswegen keine übergeordnete Rolle spiele.

Daher unterscheide sich das Verfahren zum Betrieb eines Windparks nach Anspruch 1 des neuen Hauptantrags vom gelehrten Kontext aus D17 durch eine Gesamtparksteuerung von in Windrichtung ersten Anlagen mit dahinter liegenden zweiten Anlagen des Windparks.

Dadurch solle gegenüber D17 eine Umsetzung der Baugenehmigung des Windparks Nordlea erfolgen, bei der trotz Einhaltung von Schallgrenzen der Energieertrag maximiert werden solle.

Eine Lösung zur Ertragssteigerung von drehzahlvariablen Anlagen eines Windparks erhielte der Fachmann unmittelbar aus D21: durch geschickte zentrale Steuerung aller Anlagen des Windparks sei es dort möglich, eine Energieoptimierung zu erreichen, indem die in Windrichtung erste Reihe von Anlagen in der Drehzahl reduziert werde, vgl. D21, Seite, 245, letzter Absatz. Auch D16 lehre vorteilhaft eine Gesamtparksteuerung. Ausgehend von D17 sei Anspruch 1 für den Fachmann im Lichte der D21 (bzw. D16) daher nahe gelegt, falls die Baugenehmigung D17 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sei.

Nach Auffassung der Beschwerdegegnerin Einsprechenden 1 könne auch D21 als nächstliegender Stand der Technik dienen. Anspruch 1 unterscheide sich in diesem Fall von D21 nur durch die in Anspruch 1 genannten Maßnahmen zur Einhaltung von Schallgrenzwerten mittels der in D21 vorhandenen zentralen Steuerung des Windparks. Solche Maßnahmen zum Schallschutz seien dem Fachmann jedoch allgemein bekannt, siehe z.B. D1, Seiten 5, 125 und 179. D3 adressiere beispielsweise eine Drehzahlreduktion von drehzahlvariablen Anlagen zur Schallminderung. D14 beschreibe Sensoren eines Windparks für die Windrichtung und Windgeschwindigkeit bei der Reduzierung der Lärmbelastung, usw.. Folglich sei Anspruch 1 auch ausgehend vom Windpark der D21 im Lichte des allgemeinen Fachwissens D1 (bzw. D3 oder D14) nahe gelegt, falls eine Einhaltung gewisser Schallgrenzwerte an Immissionspunkten des Windparks gefordert sei.

Anspruch 1 beruhe daher auf keiner erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerde und Zulässigkeit verspäteten Vortrags

1.1 Die Beschwerdegegnerin Einsprechende 1 moniert in ihrer Erwiderung auf Seite 2 die Zulässigkeit der Beschwerde ("the appeal be considered non-admissible"), da die Einspruchsabteilung keine der verspäteten Haupt- bzw. Hilfsanträge ins Verfahren hätte zulassen sollen. Dieser Einwand liegt neben der Sache, denn er betrifft lediglich die Frage, ob die Einspruchsabteilung ihre Ermessenentscheidung, nämlich die Anträge am Tag der Verhandlung ins Verfahren zuzulassen, rechtsfehlerfrei ausübte, oder nicht.

1.2 Ansonsten erfolgte seitens der Einsprechenden 1 als Beschwerdegegnerin zur Zulässigkeit der Beschwerde kein Vortrag. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hatte die Einsprechende 2 als Beschwerdegegnerin daraufhin zum ersten Mal vorgetragen, dass in der Beschwerdeschrift der Antrag gestellt worden sei, "das Patent unter Zurückweisung des Einspruchs in vollem Umfang aufrecht zu erhalten". Dieser Antrag sei aber vor der Einspruchsabteilung nicht verhandelt und in der Beschwerdebegründung auch nie begründet worden. Daher erfolgte mit Einlegung der Beschwerde auch keine substantiierte Festlegung des Beschwerdegegenstandes nach Regel 99 (1)c) EPÜ. Deshalb sei die Beschwerde unzulässig.

1.2.1 Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin Einsprechenden 2 erstreckt sich der Beschwerdegegenstand nach Regel 99(1)c) EPÜ nicht auf den Antrag in welcher Form das Patent aufrechtzuerhalten ist. Der Beschwerdegegenstand ergibt sich vielmehr aus der Rechtswirkung der Entscheidung, so wie in der Entscheidungsformel formuliert. Im vorliegenden Fall wurde das Patent widerrufen. Dass die Beschwerdeführerin durch diese Rechtswirkung beschwert ist (Artikel 107 EPÜ), bedarf keiner weiteren Erklärung. Sie hat auch durch ihren Antrag in der Beschwerdeschrift "den angegriffenen Beschluss aufzuheben" den Beschwerdegegenstand unmissverständlich festgelegt und somit das Erfordernis der Regel 99(1)(c) EPÜ erfüllt. Die weitere Angabe, "das Patent unter Zurückweisung des Einspruchs in vollem Umfang aufrecht zu erhalten", ist dabei unerheblich. Der genaue Umfang wurde, in Übereinstimmung mit Regel 99(2) EPÜ, mit der Beschwerdebegründung festgelegt.

1.2.2 Die von der Beschwerdegegnerin Einsprechenden 2 neu aufgeworfene Frage zur Zulässigkeit der Beschwerde war für die Kammer daher prima facie nicht zielführend. Eine Zulassung dieses Vortrags zur Zulässigkeit der Beschwerde, der sehr spät, nämlich erst während der Verhandlung vor der Kammer erfolgte, kam für die Kammer in Ausübung ihres Ermessens deshalb nicht in Betracht, Artikel 13(3) VOBK.

1.3 Die Kammer hat ansonsten keinen Grund anzunehmen, dass die Bestimmungen der Artikel 106 bis 108 und Regel 99 EPÜ nicht erfüllt sind. Insbesondere hat sie festgestellt, dass die Beschwerde frist- und formgerecht eingereicht worden ist. Somit ist die Beschwerde zulässig.

2. Änderungen und Zulässigkeit des neuen Hauptantrags

2.1 Anspruch 1 des neuen Hauptantrags wurde im Vergleich zu seiner bisherigen Fassung wie folgt geändert (Zeilenangaben siehe Anspruch 1 unter Punkt V dieser Entscheidung):

i) In Zeile 18 des Anspruchs erfolgt nun die gesamte Steuerung aller Windenergieanlagen des Windparks mittels der Datenverarbeitungseinrichtung. Die Variante "oder eines Teils hiervon" wurde gestrichen. In den Zeilen 22 und 23 wurde ergänzt, dass die Datenverarbeitungseinrichtung "mittels Steuereinheiten der Windenergieanlagen diese" (Windenergieanlagen) einstellt.

ii) In den Zeilen 9 und 10 des Anspruchs erfolgt die Einstellung der Drehzahl der Windenergieanlagen nun auch in Abhängigkeit des Schallleistungspegels, was durch den neu eingefügten Wortlaut "und Schallleistungspegel am Immissionspunkt" zum Ausdruck gebracht wird. Darüber hinaus wurde in den Zeilen 14 bis 17 die Formulierung "wobei die Datenverarbeitungseinrichtung Werte für Windrichtung, Windgeschwindigkeit, Uhrzeit und Schalleistungspegel [sic] verarbeitet" eingefügt, und in den Zeilen 21 und 22 wurde zu den ermittelten Daten "und Schallleistungspegel" neu in den Anspruch eingefügt.

iii) In den Zeilen 1 und 2 des Anspruchs ersetzt nun "mehr als zwei" den bisherigen Wortlaut "wenigstens zwei", und in den Zeilen 5 und 6 wurde die Formulierung "wobei erste Windenergieanlagen in Windrichtung vor zweiten Windenergieanlagen stehen" neu eingefügt. Darüber hinaus ersetzt in den Zeilen 10 und 24 nun das Wort "ersten" den bisherigen Wortlaut "wenigstens einer". Schließlich wurde am Ende des bisherigen Hauptantrags der Wortlaut " ... wird, wobei bei einem Wind, dessen Windrichtung im Wesentlichen vom Immissionspunkt (A) zum Windpark (10) verläuft, der Wind zuerst auf die ersten Windenergieanlagen trifft und diese Windenergieanlagen (1, 4, 7), die dem Immissionspunkt (A) am nächsten liegen, in ihrer Drehzahl verringert werden, so dass die zweiten Windenergieanlagen, die in Windrichtung hinter den ersten Windenergieanlagen stehen, den Wind mit einer höheren Windgeschwindigkeit erfahren." neu hinzugefügt.

2.2 Das erste Merkmal (i) geht unmittelbar aus der ursprünglichen Beschreibung im Zusammenhang mit der gesamten Steuerung aller Windenergieanlagen hervor: siehe Anmeldung wie veröffentlicht, Seite 4, letzter Absatz, Zeilen 8 bis 14.

Dadurch wurde der Einwand zum bisherigen Hauptantrag ausgeräumt, dass nämlich Steuereinheiten an den jeweiligen Anlagen durch die Datenverarbeitungseinrichtung angesteuert werden müssen, und nicht etwa irgendeine, z.B. zentrale, Steuereinheit des Windparks.

2.3 Darüber hinaus geht das zweite Merkmal (ii) direkt aus Seite 4, letzter Absatz, der veröffentlichten Anmeldung, bzw. aus dem ursprünglichen Anspruch 2 für den Fachmann hervor.

Die Hinzufügung des Merkmals (ii) behebt einen weiteren Einwand zum bisherigen Hauptantrag, da nun sowohl das Verarbeiten der Werte über die Windrichtung, Windgeschwindigkeit, Uhrzeit sowie den Schallleistungspegel als auch das nachfolgende Steuern mittels dieser vier verarbeiteten, also ermittelten, Daten am Immissionspunkt erfolgt. Wie vom Beschwerdeführer argumentiert, geht aus dem Kontext des letzten Absatzes auf Seite 4 (der veröffentlichten Anmeldung) für den Fachmann auch hervor, dass "Schallpegel am Immissionspunkt" in Zeile 4 und "Schallleistungspegel am Immissionspunkt" in Zeilen 11 und 12 des letzten Absatzes gleichbedeutend als die Höhe der Schalleinwirkung auf einen bestimmten Ort, also als Schallpegel zu verstehen ist.

Ob die Daten vor ihrer Verarbeitung entweder am Immissionspunkt gemessen, oder etwa aufgrund von vorherigen Messungen dort angenommen werden, ist für die Art der Steuerung mittels der auf Seite 4, letzter Absatz, beschriebenen Datenverarbeitungseinrichtung aber offenbar ohne Belang. Die Art bzw. Methode der Datenerfassung zur Verarbeitung von am Immissionspunkt vorherrschenden Daten konnte im Gegensatz zur Ansicht der Beschwerdegegnerin Einsprechenden 2 somit ohne weiteres aus dem Anspruch des neuen Hauptantrags entfallen. In Ermangelung jedweden Zusammenhangs mit den für die Steuerung der Anlagen angegebenen vier Werten Windrichtung, Windgeschwindigkeit, Uhrzeit sowie Schallpegel konnte die Angabe "u.a." (unter anderem) in Zeile 3 des letzten Absatzes auf Seite 4 aus dem Anspruchswortlaut des neuen Hauptantrags zudem ebenso entfallen.

2.4 Schließlich basieren die im Anspruch neu hinzugefügten Merkmale des dritten Merkmals (iii) unmittelbar auf den ursprünglichen Ansprüchen 4 und 6 bzw. der zugehörigen Beschreibung.

Das dritte Merkmal (iii) trägt der Zahl und Anordnung von Anlagen des Windparks in Reihen Rechnung, falls die Anlagen in einem unterschiedlichen Abstand zu einem vorbestimmten Immissionspunkt angeordnet sind und außerdem drehzahlvariabel betrieben werden. Dadurch wurde auch dieser Einwand zum bisherigen Hauptantrag beseitigt.

Die Auffassung der Beschwerdegegnerinnen, wonach die Ansprüche 4 und 6 in der Anmeldung eigenständige alternative Verfahren beträfen, und daher ursprünglich nicht in Kombination offenbart seien, kann seitens der Kammer nicht gefolgt werden. Wie vom Beschwerdeführer argumentiert, betreffen diese Ansprüche Aspekte, die in der Beschreibung eindeutig im Zusammenspiel angesprochen sind. So ist einleitend zu Figur 2 aus dem letzten Absatz auf Seite 3 der Anmeldung (wie veröffentlicht) direkt entnehmbar, dass der Wind zuerst auf die erste Reihe von Windenergieanlagen trifft. Folglich sinkt entsprechend der Höhe der Windgeschwindigkeit die Rotordrehzahl bei jenen Anlagen mit variabler Drehzahl, die hinter der ersten Reihe plaziert sind. Zu Figur 2 offenbart Seite 6, dritter Absatz (wie veröffentlicht) für drehzahlvariabel betriebene Anlagen, dass deshalb bei der erfindungsgemäßen Windparksteuerung die gesamte erste Reihe in der Drehzahl reduziert wird, während dahinterstehende Reihen aufgrund der sich dann einstellenden höheren Windgeschwindigkeiten entsprechend mit erhöhter Leistung betrieben werden können. Vgl. in Übereinstimmung dazu auch die restliche Beschreibung zum Ausführungsbeispiel der Figur 2 ab Seite 4, dritter Absatz, bis Seite 5, zweiter Absatz der Anmeldung (wie veröffentlicht).

Im Gegensatz zur Ansicht der Beschwerdegegnerinnen schließt darüber hinaus der Wortlaut "mehr als zwei" in Merkmal (iii) drei Windkraftanlagen aus, da die nachfolgend im Anspruch geforderte Anordnung von ersten Anlagen, die in Windrichtung vor zweiten Anlagen stehen, mindestens vier Windkraftanlagen voraussetzt. Und schließlich ist für den Fachmann aus dem Zusammenhang des Anspruchswortlauts auch nicht ersichtlich, dass die Drehzahl der ersten Windenergieanlagen in einem ersten Schritt verringert wird und daraufhin in einem zweiten Schritt, wenn der Wind vom Immissionspunkt zum Windpark verläuft, die Drehzahl der ersten Windenergieanlagen welche dem Immissionspunkt am nächsten liegen ein zweites Mal verringert wird. Wie vom Beschwerdeführer erwidert, qualifiziert die zweite Angabe vielmehr die Anordnung der dem Immissionspunkt am nächsten liegenden ersten Reihe im Vergleich zur in Windrichtung dahinter befindlichen zweiten Reihe von Windenergieanlagen beim Betrieb des Windparks.

2.5 Gegenüber seiner ursprünglichen Fassung wird in Anspruch 1 sowohl im bisherigen als auch im neuen Hauptantrag (siehe Zeilen 6 und 7 des Anspruchs) nunmehr die Windrichtung und Windgeschwindigkeit "erfasst". Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin Einsprechenden 1 impliziert jedoch die im ursprünglichen Anspruch geforderte Einstellung der Drehzahl in Abhängigkeit von Windrichtung und Windstärke, dass zuvor die Windrichtung und Windstärke festgestellt, also erfasst werden müssen.

Außerdem wurde "Windstärke" aus dem ursprünglichen Anspruch 1 zu "Windgeschwindigkeit" im bisherigen und neuen Hauptantrag umbenannt. Die Kammer teilt hierzu die Ansicht des Beschwerdeführers, wonach eine Windstärke (in Beaufort) aus der Sicht des Fachmanns stets einer bestimmten Windgeschwindigkeit (in m/s) entspricht, und daher beiden Begriffen die gleiche Bedeutung zukommt.

Und schließlich wurde, basierend auf Seite 4, letzter Absatz, Zeile 10 der Anmeldung (wie veröffentlicht), wo die Datenverarbeitungseinrichtung je nach Ermittlung der Daten Steuereinheiten der Windkraftanlagen so steuert, dass deren Drehzahl reduziert wird, in Anspruch 1 des ursprünglichen und neuen Hauptantrags (siehe Zeile 24 des Anspruchs) der Begriff "steuert" durch "einstellt" ersetzt. Die Kammer folgt hierbei der Ansicht des Beschwerdeführers, dass für den Fachmann, wenn in Anspruch 1 des bisherigen und neuen Hauptantrags von einer "gesamten Steuerung" aller Windenergieanlagen mittels der Datenverarbeitungseinrichtung die Rede ist, eine Einstellung der Drehzahl der Windenenergieanlagen dieser Steuerung entspricht. Dieses Verständnis ist im Übrigen im Einklang mit der ursprünglichen Offenbarung: Ein Einstellen der Drehzahl einer Windenergieanlage im ursprünglichen Anspruch 1 erfolgt gemäß ursprünglichem Anspruch 2 und Seite 4, letzter Absatz, Zeile 10 der Anmeldung (wie veröffentlicht) mittels Steuerung durch die Datenverarbeitungsanlage.

2.6 Da die ursprünglichen Offenbarung des Gegenstandes gemäß Anspruch 1 des neuen Hauptantrag von den Beschwerdegegnerinnen ansonsten nicht angezweifelt wurde, und auch nach Auffassung der Kammer gegeben ist, erfüllt Anspruch 1 des neuen Hauptantrags die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ. Die Änderungen in Anspruch 1 des neuen Hauptantrags im Vergleich zur erteilten Fassung sind zudem einschränkender Natur, sodass die Kammer auch keine Verletzung von Artikel 123(3) EPÜ zu erkennen vermag.

2.7 Mit Einreichung des neuen Hauptantrags erfolgten die Änderungen (i) bis (iii), siehe oben unter Punkt 2.1 dieser Entscheidung. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass diese Änderungen aus Sicht der Kammer am Tag der Verhandlung gegenüber dem bisherigen Hauptantrag eindeutig gewährbar waren, und alle bis dato bestehenden Einwände zur unzulässigen Erweiterung des Anspruchs 1 des bisherigen Hauptantrags behoben worden waren.

Die Kammer stimmt zwar mit der Ansicht der Beschwerdegegnerinnen überein, dass manche Fragen zum Einwand der unzulässigen Erweiterung des Anspruchs 1 des bisherigen Hauptantrags schon vor der Verhandlung in den Beschwerdeerwiderungen aufgeworfen worden waren. Wie vom Beschwerdeführer argumentiert, waren jedoch aus Sicht der Einspruchsabteilung in den mit Beschwerdebegründung eingereichten Haupt- und Hilfsanträgen bereits alle Einwände zur ursprünglichen Offenbarung behoben worden, vgl. Punkt 6 und 10 der angefochtenen Entscheidung. Außerdem war beispielsweise die Frage, ob in der ursprünglichen Anmeldung bei Windenergieanlagen in unterschiedlichem Abstand zum Immissionspunkt die Drehzahl der Anlage die dem Immissionspunkt am nächsten liegt verringert wird, oder nicht, erstmals im Kammerbescheid (vgl. Punkt 3.2) angesprochen und dann erst während der Verhandlung vor der Kammer konkret diskutiert worden. Und schließlich beruht ein Großteil der Änderungen im neuen Hauptantrag auf den bisherigen Hilfsanträgen 2 und 3. Dies gilt insbesondere für die Änderung nach Merkmal (iii), denn im Grunde wurde am Tag der Verhandlung nur "wenigstens zwei" (Anlagen) durch "mehr als zwei" ersetzt. Der übrige Wortlaut des Merkmals (iii) in Anspruch 1 des neuen Hauptantrags beruht auf den mit Beschwerdebegründung rechtzeitig eingereichten (und bereits aus dem Einspruchsverfahren bekannten) Hilfsanträgen 2 und 3. Die abhängigen Ansprüche 3 und 4 des bisherigen Hauptantrags wurden gestrichen und lediglich Anspruch 6 in Anspruch 3 umnumeriert.

2.8 Die Kammer erachtete daher im vorliegenden Fall die Einreichung eines neuen Hauptantrags zur Behebung des von der Kammer im Rahmen der Diskussion festgestellten Mangels der unzulässigen Erweiterung trotz des späten Zeitpunkts für gerechtfertigt. Darüber hinaus erschienen die neu vorgetragenen Änderungen in Anspruch 1 den Beschwerdegegnerinnen (und auch der Kammer) ohne Verlegung der Verhandlung zumutbar, insbesondere in Hinblick auf die Frage der Komplexität der Änderungen und die gebotene Verfahrensökonomie, vgl. Artikel 13(1) und (3) VOBK.

Die Kammer hatte daher entschieden, den neuen Hauptantrag in Ausübung ihres Ermessens ins Verfahren zuzulassen.

3. Klarheit und Verständnis des Anspruchs 1

3.1 Anspruch 1 betrifft ein Verfahren zum Betrieb eines Windparks. Dieser Windpark umfasst erste und zweite Windenergieanlagen die drehzahlvariabel sind. Erst der Betrieb von drehzahlvariablen, d.h. "pitchgeregelten", ersten Anlagen ermöglicht aus der Sicht des Fachmanns in Anspruch 1 deren Drehzahl zu reduzieren bzw. die zu steuernden Anlagen in einer anderen Drehzahl-Leistungskennlinie zu betreiben. Dadurch wird mit dem Verfahren des Anspruchs 1 eben gerade eine Abschaltung der ersten Anlagen trotz Einhaltung der Schallgrenzwerte vermieden und der Energieertrag in Zusammenspiel mit den in Windrichtung dahinter liegenden zweiten drehzahlvariablen Anlagen während des Betriebs maximiert.

3.2 Die Kammer teilt daher die Ansicht des Beschwerdeführers, dass beim Betrieb des Windparks nach Anspruch 1, technisch sinnvolles Verständnis vorausgesetzt, unter der Drehzahlverringerung einer drehzahlvariablen ersten Windenergieanlage jedenfalls keine Abschaltung der Anlage, also eine Reduzierung auf die "Drehzahl Null", verstanden werden darf. Dieses Verständnis ist im Übrigen durchgehend von der Beschreibung gestützt: vgl. Patent, z.B. Absätze 0002, 0015, 0016, und insbesondere Absatz 0019 (nicht drehzahlvariabel) im Gegensatz zu Absatz 0020 (drehzahlvariabel).

3.3 Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerinnen versteht es sich darüber hinaus für den Fachmann aus Anspruch 1 von selbst, dass auch die Höhe des Schallpegels am Immissionspunkt aufgrund von Messungen erfasst werden muss, um daraufhin in der Datenverarbeitungseinrichtung verarbeitet zu werden. Ebenso entnimmt der Fachmann aus dem Zusammenhang des Anspruchs 1, dass mit "Schallleistungspegel am Immissionspunkt" aus technischer Sicht nur die Höhe der Schallimmission am Immissionspunkt, also der Schallpegel, gemeint sein kann. Die Formulierungen "Schallleistungspegel am Immissionspunkt" und "Schallpegel am Immissionspunkt" werden vom Fachmann daher als Synonyme aufgefasst. Auch dieses Verständnis steht im Einklang mit der Beschreibung, vgl. Patent, Absatz 0001, 0014 oder 0015, und die Erläuterungen unter Punkt 2.3 dieser Entscheidung zur ursprünglichen Offenbarung des Anspruchs 1.

3.4 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß neuem Hauptantrag ist nach Auffassung der Kammer daher für den Fachmann klar verständlich, Artikel 84 EPÜ.

4. Neuheit und Erfinderische Tätigkeit

4.1 Die Neuheit des Anspruchs 1 gemäß neuem Hauptantrag gegenüber dem im Verfahren genannten Stand der Technik wurde seitens der Beschwerdegegnerinnen nicht bestritten, und ist auch aus Sicht der Kammer gegeben.

4.2 Unbeschadet der Frage, ob die Baugenehmigung für die Errichtung des Windparks "Nordlea" mitsamt nachfolgendem Widerspruch und Anlagen, die zusammen das Beweismittelkonvolut D17 bilden, eine offenkundige Vorbenutzung dieses Windparks belegen, oder nicht, stellt D17 in Übereinstimmung mit den Parteien nach Ansicht der Kammer einen geeigneten (wenngleich hypothetischen) Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 dar. Zum Beispiel ist dem als Anlage der D17 beigefügten Bericht Nr. 1.96.080-5 des ttz-Umweltinstituts Bremerhaven eine Geräuschimmissionsprognose für die Errichtung eines Windparks in Nordlea zu entnehmen. Gemäß Aufgabenstellung unter Punkt 1 auf Seite 1 des Berichts soll ein Abregelungskonzept der Anlagenhersteller für einzelne Windenergieanlagen angewendet werden, siehe Anhang 2 der D17, damit im Windpark an den Immissionspunkten, siehe Anhang 1 der D17, die berechneten Immissions-Richtwerte eingehalten werden können.

4.3 In D17 Anhang 2, zwei Briefe zur Bestätigung der Schalleistungspegel der Anlagen, erfolgen die Herstellerangaben (ENERCON bzw. AN Maschinenbau) stets zum Schallleistungspegel der Anlagen in Nabenhöhe, also zur Schallemission der jeweiligen Anlage an ihrem Standpunkt, im Gegensatz zum Schallpegel an einem Immissionspunkt des Windparks.

Im ersten Brief der Firma ENERCON vom 21. August 1996 des Anhangs 2 wird attestiert, dass die (unbestritten drehzahlvariable) Anlage ENERCON E-40 mit einer Nennleistung von 500 kW geeignet sei, mit verringerter Drehzahl betrieben zu werden, um den Schallleistungspegel weiter zu senken. Es heißt: "Diese Schalloptimierung wird im Regelfall abhängig gemacht von a) Uhrzeit, b) Windrichtung und c) Windgeschwindigkeit." Wie vom Beschwerdeführer argumentiert, mag aus der Sicht des Fachmanns zwar an jeder Anlage E-40 die Windrichtung und Windgeschwindigkeit zur Bestimmung der Drehzahl-Leistungskennlinie gemessen werden. Eine Erfassung dieser zwei Daten am Immissionspunkt, ganz zu schweigen von deren Verarbeitung in einer zentralen Datenverarbeitungsanlage zur Steuerung mehrerer Anlagen, geht aus den Angaben des Herstellers aber nicht hervor.

Darüber hinaus wird im zweiten Brief des Anhangs 2 der Firma AN Maschinenbau vom 26. Juli 1996 auf den Schallleistungspegel der AN BONUS 44-3 mit einer Nennleistung von 600kW Bezug genommen. Hierin wird ein erster Schalleistungspegel bei voller Leistung bestätigt, und ein, im Vergleich zum ersten niederer, zweiter Schalleistungspegel in der kleinen Generatorstufe mit bis zu 140 kW Leistung. Im Gegensatz zur Ansicht der Beschwerdegegnerin Einsprechenden 2 stellt die Anlage AN BONUS 44-3 jedoch aus der Sicht des Fachmanns keine drehzahlvariable Anlage dar, denn die Drehzahl drehzahlvariabler Anlagen kann stufenlos proportional zur Windgeschwindigkeit angepasst werden. Daher würde der Fachmann unter einer drehzahlvariablen (pitchgeregelten) Windkraftanlage nach Anspruch 1 des neuen Hauptantrags auch keine (stallgeregelte) Anlage wie die AN BONUS 44-3 mit zwei verschiedenen, aber dennoch fixen Drehzahlen verstehen.

4.4 Obwohl die Schalloptimierung einer ENERCON E-40 im Regelfall nicht nur von der Uhrzeit, sondern auch von der Windrichtung und Windgeschwindigkeit an der Anlage abhängig sein kann, siehe zuvor unter Punkt 4.3, wird im Abregelungskonzept des Windparks Nordlea lediglich von Schallleistungspegeln bei mittleren Windgeschwindigkeiten (ca. 8 m/s in 10 m Höhe) an der Anlage ausgegangen. Die Steuerung der E-40 erfolgt im Windpark Nordlea also unabhängig von der Windgeschwindigkeit an der Anlage. Vgl. Punkt 4 auf Seite 3 des Berichts 1.96.080-5. Zum Einfluß der Windrichtung auf das Abregelungskonzept im Windpark findet sich in D17 keinerlei Aussage. Folglich ist der Planung zum Betrieb des Windparks Nordlea umso weniger zu entnehmen, dass Windrichtung und Windgeschwindigkeit am Immissionspunkt erfasst und dann zur Steuerung mehrerer Anlagen zentral verarbeitet werden sollen. Auch von welcher Richtung der Wind während des Betriebs auf die jeweiligen Windenergieanlagen im Windpark Nordlea trifft, ist in D17 nicht beschrieben, vgl. etwa Punkt 2 auf Seite 2 des Berichts 1.96.080-5, letzter Absatz: "Bei Vorherrschen geeigneter Windverhältnisse ...".

4.5 Die Geräuschimmissionsprognose aus D17 endet mit der Zusammenfassung unter Punkt 8 auf Seite 9 des Berichts 1.96.080-5. Es sei geplant, den Windpark Nordlea mit 43 Windkraftanlagen zu erstellen, 19 vom Typ ENERCON E-40 und 24 vom Typ AN BONUS 44-3. Es seien hierzu insgesamt dreizehn Immissionspunkte rund um den geplanten Windpark festgelegt worden. Das Abregelungskonzept des Windparks sehe vor, dass nach Abregelung von sechs Anlagen des Herstellers AN BONUS auf die erste Generatorstufe und der Verringerung der Drehzahl der Anlage "38" des Herstellers ENERCON um eine Umdrehung pro Minute (1 U/min), die geforderten Richtwerte während des Nachtzeitraums (also während einer bestimmten Uhrzeit) eingehalten werden können. Irgendeine ständige Datenverarbeitung während des Betriebs über die Ermittlung der Uhrzeit hinaus wird beim Abregelungskonzept des gesamten Windparks Nordlea offenbar nicht benötigt, bzw. ist für den Fachmann aus D17 nicht zu entnehmen.

Den hypothetischen Nachweis der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung vorausgesetzt, stellt dieses (einzige) Ausführungsbeispiel eines Abregelungskonzepts für einen Windpark gemäß Seite 9 des Berichts 1.96.080-5 der D17 folglich den nächstliegenden Stand der Technik in Bezug auf den Betrieb des Windparks nach Anspruch 1 dar.

4.6 Die Kammer teilt daher die Auffassung des Beschwerdeführers, dass sich das Verfahren zum Betrieb eines Windparks gemäß Anspruch 1 vom in D17 vorgeschlagenen Konzept der Windparksteuerung Nordlea durch folgende Merkmale unterscheidet:

(I) die gesamte Steuerung aller Windenergieanlagen des Windparks erfolgt mittels einer (zentralen) Datenverarbeitungseinrichtung;

(II) alle Anlagen des Windparks sind drehzahlvariabel;

(III) die Datenverarbeitungseinrichtung verringert die Drehzahl einer ersten Reihe von Windenergieanlagen (also mindestens zwei) je nach Ermittlung, d.h. in Abhängigkeit, der Daten für Windrichtung, Windgeschwindigkeit und Schallleistungspegel (d.h. Schallpegel) am Immissionspunkt, und zwar so, dass an dem Immissionspunkt ein vorbestimmter Schallpegel nicht überschritten wird;

(IV) die Windrichtung verläuft im Wesentlichen vom Immissionspunkt zum Windpark, wobei der Wind zuerst auf die ersten Windenergieanlagen die dem Immissionspunkt am nächsten liegen trifft und diese in ihrer Drehzahl verringert werden, so dass in Windrichtung dahinterliegende zweite Windenergieanlagen den Wind mit einer höheren Windgeschwindigkeit erfahren.

4.7 Die diesen Merkmalen zugrunde liegende Aufgabe kann in Übereinstimmung mit den Parteien darin gesehen werden, unter Einhaltung von Schallgrenzwerten an einem Immissionspunkt den Energieertrag des Windparks zu maximieren. Vgl. Patent, Absätze 0002 und 0003.

4.8 Das Dokument D21 betrifft eine theoretische Voruntersuchung zur optimalen Windparksteuerung ("wind farm control") um den Energieertrag des Windparks zu optimieren, siehe D21, Seite 238, zweiter Absatz und Einleitung auf Seite 242, "introduction". Der Windpark wird hierzu (unbestritten) mit drehzahlvariablen Anlagen gesteuert, vgl. D21, Seite 243, im dritten Absatz mit der Überschrift "Load control": "This implies that operation with pitch angle control is needed."

Um den Energieertrag einer Windenergieanlage zu maximieren, muss die sogenannte Schnelllaufzahl ("tip speed ratio") lambda = omegaR/v, welche das Verhältnis der Umfangsgeschwindigkeit des Rotors (Blattspitzengeschwindigkeit) zur Windgeschwindigkeit angibt, optimiert werden, vgl. D21, Seite 244 unten, Überschrift "Maximising energy capture". Daraus folgt ein maximaler Leistungskoeffizient ("power coefficient") des Rotors Cp(lambda), und die maximale Rotorleistung Pr in Gleichung (2) auf Seite 244 lautet daher:

Pr = 1/2 . Cp(lambda) . rho . A . v**(3)

4.9 Ohne auf deren Koeffizienten näher einzugehen, ist aus Gleichung (2) unmittelbar ersichtlich, dass die Rotorleistung einer drehzahlvariablen Anlage von der Windgeschwindigkeit v sehr stark beeinflusst ist, nämlich proportional zu deren dritter Potenz. Da die Windgeschwindigkeit im Windschatten einer Anlage von deren Schnelllaufzahl ("tip speed ratio") lambda abhängt, schlägt D21 daher vor, die Schnelllaufzahl (und somit die Rotordrehzahl) von ersten Anlagen zu verringern, um dadurch in Windrichtung dahinterliegenden zweiten Anlagen eine höhere Windgeschwindigkeit im Windschatten der ersten Anlagen zu ermöglichen. Vgl. D21, Seite 244, letzter Absatz, bis Seite 245, erster Absatz.

Die Steuerung aller drehzahlvariablen Anlagen des Windparks erfolgt also in Abhängigkeit der von einer Windparksteuerung verarbeiteten Windgeschwindigkeit und Windrichtung: siehe D21, Seite 245, die Leistung des gesamten Windparks Pfarm in Gleichung (3), und dritter und vierter Absatz ("wind farm control" mit dem Simulationsprogramm "Milly").

4.10 Obwohl bei einer solchen Steuerung des Windparks die Leistung der ersten Anlagen verringert wird, kann die Leistung des gesamten Windparks dennoch mittels der zentralen Datenverarbeitungsanlage maximiert, und dabei (leicht) erhöht werden, siehe Seite 245 letzter Absatz, dritter Satz: "Finally, a farm control strategy downrated can (slightly) increase the overall energy capture".

Basierend auf diesen (theoretischen) Ergebnissen wird in Zukunft anhand eines experimentellen Windparks eine solche Windparksteuerung weiter untersucht werden, siehe D21, Seite 245, letzter Absatz, letzter Satz.

4.11 Ausgehend von der Geräuschimmissionsprognose des Windparks Nordlea in D17 hat die Kammer zunächst erhebliche Zweifel, ob D21 bei korrekter Anwendung des "Aufgabe-Lösungs-Ansatzes" nach ständiger Rechtsprechung zur Leistungsmaximierung vom Fachmann überhaupt in Betracht gezogen werden würde. Wie vom Beschwerdeführer argumentiert, wird in D21 die Problematik der Optimierung des Energieertrags eines Windparks bei gleichzeitiger Einhaltung von Schallgrenzwerten an einem Immissionspunkt überhaupt nicht angesprochen.

Auch das in D21 adressierte Problem des Windschattens hinter Windkraftanlagen wegen dem Anwachsen der Windleistung mit der dritten Potenz der Windgeschwindigkeit ist nach Ansicht der Kammer dem Fachmann auf dem Gebiet der Windkraftwerke hinlänglich bekannt und wird beim Entwurf eines Windparks (so wie bei Nordlea) daher üblicherweise berücksichtigt: So müssen aus diesem Grund im Normalfall Mindestabstände zwischen den Anlagen des Windparks eingehalten werden. Abgesehen davon stellt die theoretische Untersuchung nach D21 lediglich eine "leichte" Erhöhung der Gesamtleistung des Windparks in Aussicht, und dass, ohne dafür praktisch erprobte Ergebnisse zu liefern, noch nicht einmal anhand des geplanten experimentellen Windparks, vgl. zuvor unter Punkt 4.10 dieser Entscheidung.

4.12 Aber selbst wenn der Fachmann die theoretische Untersuchung aus D21 zur Verbesserung des Energieertrags des in D17 geplanten Windparks Nordlea tatsächlich heranziehen würde, müssten gegen die zentrale Lehre der D17 erstens alle leistungsstärkeren Anlagen (AN BONUS 44-3, drehzahlstarr, 600 kW) irgendwie durch eine größere Anzahl leistungsschwächerer Anlagen (ENERCON E-40, drehzahlvariabel, 500 kW) mit entsprechender Anordnung im Windpark ersetzt werden, um dadurch, so wie in Anspruch 1 des neuen Hauptantrags gefordert, alle Anlagen des Windparks Nordlea mittels einer zentralen Rechenanlage der D21 drehzahlvariabel (d.h. pitchgeregelt) zu steuern. Vgl. Herstellerangaben unter Punkt 4.3 dieser Entscheidung.

Selbst dann würde das Abregelungskonzept des Windparks Nordlea zum Zweck des Einhaltens der geforderten Schallrichtwerte an den Immissionspunkten den Fachmann zweitens lediglich eine einmalige Verringerung der Drehzahl von bestimmten drehzahlvariablen Anlagen bzw. das einmalig konstante Fahren mancher Anlagen auf einer niedereren Drehzahl während des Nachtzeitraums suggerieren, und zwar unabhängig von Windrichtung, Windgeschwindigkeit und ständiger Erfassung des Schallpegels. Vgl. Abregelungskonzept unter Punkt 4.5 dieser Entscheidung.

Nur ergänzend stellt die Kammer fest, dass, wie vom Beschwerdeführer argumentiert, Anhang 2 der D17 bzw. D21 bestenfalls eine Erfassung und Verarbeitung von Windrichtung und Windgeschwindigkeit an den Anlagen implizieren kann. Vgl. Punkte 5.3 und 5.9 dieser Entscheidung. Selbst wenn der Fachmann also, entgegen dem (einzigen) Abregelungskonzept Nordlea in D17, aus Anhang 2 der D17 schließen würde, dass zur Schalloptimierung der ENERCON E-40 im Regelfall auch Windrichtung und Windgeschwindigkeit eine Rolle spielen könnten, würde er drittens weder aus D17, noch aus der zentralen Gesamtparksteuerung der D21 irgendeinen Hinweis erhalten, stets zur Einhaltung des Schallpegels am Immissionspunkt alle Anlagen in Abhängigkeit der verarbeiteten Daten Windgeschwindigkeit, Windrichtung und Schallpegel am Immissionspunkt zu steuern, um hierfür die Drehzahl der in Windrichtung ersten Anlagen zu reduzieren.

4.13 Darüber hinaus zielt die Simulation eines kleinen Windparks mit einer übergeordneten Parksteuerung aus D16 auf die Stabilisierung der Ausgangsleistung von in Windrichtung ersten drehzahlvariablen Anlagen ab. Wenn der Windpark von einer Windfront mit höherer Windgeschwindigkeit erreicht wird, werden die Rotoren der ersten Reihe entsprechend beschleunigt, um mit einem verbesserten Leistungskoeffizienten Cp ("improved Cp") zu arbeiten. Siehe D16, Seite 573, Punkt 4.4, Überschrift "Results of Simulation". Die Gesamtleistung des Parks kann insofern verbessert werden, dass geringere Leistungsschwankungen auftreten, oder dass bei niedrigen Windgeschwindigkeiten der Energieertrag geringfügig ansteigt: siehe D16, Seite 574, Punkt 5, Überschrift "Summary". Eine Kombination mit drehzahlstarren Anlagen wird für die Parksteuerung zudem nicht ausgeschlossen ("A combination with fixed speed generators is possible...").

Im Ergebnis liegt der Offenbarungsgehalt der D16 von Anspruch 1 des neuen Hauptantrags daher noch weiter ab als D21, ganz zu schweigen vom Fehlen jedweder Hinweise auf eine aktive Einhaltung des Schallpegels an einem Immissionspunkt unter Reduktion der Drehzahl der in Windrichtung ersten Anlagen in ständiger Abhängigkeit vom ermittelten Schallpegel am Immissionspunkt durch eine zentrale Datenverarbeitungsanlage des Windparks.

4.14 Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass für den Fachmann, ausgehend vom Windpark Nordlea der D17, der Gegenstand des Anspruchs 1 des neuen Hauptantrags im Lichte der Dokumente D21 oder D16 unter Berücksichtigung der zu lösenden Aufgabe ohne rückschauende Betrachtungsweise jedenfalls nicht nahe gelegt ist.

Ob die Baugenehmigung samt Widerspruch und Anlagen des Konvoluts D17 für den Windpark Nordlea vor dem Anmeldezeitpunkt des Patents nun tatsächlich der Öffentlichkeit zugänglich war, oder nicht, kann für die vorliegende Entscheidung somit dahingestellt bleiben.

4.15 Wie schon zuvor unter Punkt 4.11 dieser Entscheidung zu Dokument D21 erläutert, betrifft D21 im Gegensatz zum Beweismittelkonvolut D17 nicht die in Anspruch 1 des Patents adressierte Kernproblematik der Einhaltung von gesetzlichen Schallgrenzwerten eines Windparks im Binnenland mit hierzu im Widerspruch stehendem Erfordernis nach maximalem Energieertrag. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin Einsprechenden 1 würde der Fachmann folglich D21 in Anwendung des "Aufgabe-Lösungs-Ansatzes" nach ständiger Rechtsprechung als Startpunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 nicht in Erwägung ziehen.

4.16 Schließlich enthält die als Reaktion auf den neuen Hauptantrag verspätet von der Einsprechenden 1 als Beschwerdegegnerin angezogene D1 lediglich eine Fülle von allgemeinen Informationen zur Lärmempfindung oder zur Schallausbreitung, vgl. D1, beispielsweise unter Punkt 1.3.1 auf Seite 5, oder unter Punkt 6 ab Seite 125. Die Zusammenfassung auf Seite 179, letzter Absatz, gibt zwar den Hinweis, dass eine Reduktion der Blattspitzengeschwindigkeit ("reduction of tip speed") oder Veränderung des Anstellwinkels ("changing the pitch settings") die Lärmentwicklung vor allem zu Nachtzeiten vermindern kann. Auf die in Anspruch 1 geforderte zentrale Steuerung aller Anlagen in ständiger Abhängigkeit der Schallpegelermittlung am Immissionspunkt im Vergleich zu einem vorbestimmten Schallpegel kann das allgemeine Fachwissen aus D1 jedoch wieder keine Anregungen liefern. Dies gilt ebenso für die von der Beschwerdegegnerin Einsprechenden 1 vorgetragenen allgemeinen Erkenntnisse zur Reduzierung der Lärmbelastung aus D3 (vgl. Seite 385, linke Spalte, Punkt 3: "new noise reduced control concepts") oder etwa D14 (vgl. Seite 41, mittlere Spalte: "Sensoren ermitteln nun Windrichtung und Windgeschwindigkeit ...").

Der Vollständigkeit halber stellt die Kammer also fest, dass im Gegensatz zur Ansicht der Beschwerdegegnerin Einsprechenden 1 selbst bei der Zusammenschau von D21 mit D1 (oder mit D3 bzw. D14) der Fachmann nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 des neuen Hauptantrags gelangen würde.

4.17 Die Kammer hat sich abschließend auch davon überzeugt, dass die von den Beschwerdegegnerinnen im schriftlichen Verfahren darüber hinaus genannten Dokumente für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit in jedem Fall nicht relevanter sind, als die während der Verhandlung von den Parteien diskutierten.

4.18 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des neuen Hauptantrags beruht daher auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Windpark nach Anspruch 3 des neuen Hauptantrags steuert die Windenergieanlagen mit einem Verfahren nach Anspruch 1 und ist somit ebenfalls gewährbar.

5. Die unabhängigen Ansprüche nach dem Hauptantrag erfüllen somit alle Erfordernisse des EPÜ. Da die Patentbeschreibung in Übereinstimmung mit den Parteien an den neuen Hauptantrag entsprechend angepasst wurde, stellt die Kammer abschließend fest, dass unter Berücksichtigung der mit dem Hauptantrag vorgenommenen Änderungen das europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen. Somit kann das Patent in geänderter Fassung aufrechterhalten werden, Artikel 101(3)a) EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:

Beschreibung:

Seite 3 der Patentschrift wie in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht

Seiten 2 und 4 wie erteilt

Ansprüche:

1-3 des neuen Hauptantrags wie eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer

Zeichnungen:

Figuren 1 und 2 der Patentschrift wie erteilt

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