T 0766/11 () of 17.4.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T076611.20130417
Datum der Entscheidung: 17 April 2013
Aktenzeichen: T 0766/11
Anmeldenummer: 05811242.6
IPC-Klasse: B22D 11/128
B22D 11/20
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Steuer- und/oder Regeleinrichtung für ein Stützrollengerüst einer Stranggießvorrichtung für Metalle, insbesondere für Stahlwerkstoffe
Name des Anmelders: SMS Siemag AG
Name des Einsprechenden: Siemens VAI Metals Technologies GmbH
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Neuheit (bejaht)
Offenkundige Vorbenutzung (nein)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0947/99
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent EP-B1-1 807 230 betrifft eine Steuer- und/oder Regeleinrichtung für ein Stützrollengerüst einer Stranggießvorrichtung. Gegen das erteilte Patent hatte die Einsprechende Einspruch eingelegt und diesen darauf gestützt, dass der Gegenstand des Patents nicht neu bzw. nicht erfinderisch sei (Artikel 100 a) EPÜ).

II. Die Einspruchsabteilung ist zum Ergebnis gekommen, dass keiner der Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents entgegensteht, und hat daher entschieden, den Einspruch zurückzuweisen. Die Entscheidung ist am 8. Februar 2011 zur Post gegeben worden.

III. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (die Einsprechende) am 6. April 2011 Beschwerde unter gleichzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr eingelegt und am 15. Juni 2011 ihre Beschwerde begründet.

IV. Die Kammer hat in ihrer Mitteilung als Anlage zur Ladung zu einer mündlichen Verhandlung eine vorläufige Stellungnahme zu den Fragen der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit abgeben.

Als Antwort hat die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 5. April 2013 zwei neue Druckschriften (E4 und E5) eingereicht.

V. Die mündliche Verhandlung fand am 17. April 2013 statt.

VI. Anträge

Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin (die Patentinhaberin) beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

VII. Ansprüche

Anspruch 1 des erteilten Patents lautet wie folgt:

"1. Steuer- und/oder Regeleinrichtung für ein Stützrollengerüst (2) einer Stranggießvorrichtung (1) für Metalle, insbesondere für Stahlwerkstoffe (3), wobei das Stützrollengerüst aus mehreren aufeinanderfolgenden Rollensegmenten (8) besteht, die jeweils über einen die Stützrollen (10) tragenden Unterrahmen (11) und einen gegenüberliegenden Oberrahmen (12) mittels paarweisen Kolben-Zylinder-Einheiten (13) gegeneinander geregelt anstellbar sind, zum Fördern, Richten und/oder zum Verbessern der Innenqualität und zum Ändern der Dicken der Metalle;

wobei auf dem Oberrahmen (12) des Rollensegments (8) die Signale von Positionsgebern der Hydraulik-Zylinder-Einheiten (13) jeweils an einen Klemmenkasten (21) geführt sind, und

wobei von dem Klemmenkasten (21) ein Kabelpaket (23) über eine lösbare Medienkupplung (22) auf ein ortfestes Hallengerüst (17) geführt ist,

dadurch gekennzeichnet,

dass für jedes Rollensegment (8) eine separater Achsen-Regler (18) mit einem angeschlossenen Ventilstand (26) auf dem ortfesten Hallengerüst (17) angeordnet ist; und

dass Signale von sämtlichen Achsen-Reglern (18) jeweils über ein Feldbusmodul (20) zu einer gemeinsamen speicherprogrammierbaren Steuerung (19) in einen Steuerraum (25) der Stranggießvorrichtung (1) geführt sind."

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 6 betreffen bevorzugte Ausführungsformen des in Anspruch 1 definierten Gegenstandes.

VIII. Entgegenhaltungen

Die folgende Druckschriften wurden bereits im Einspruchsverfahren genannt:

D1: WO-A-03/051 558

O1: Kaufvertrag CATY-P00059 zwischen der Fa. Wuhan Iron & Steel (Group) Corporation und Voest-Alpine Industrieanlagenbau GmbH & Co, Seiten 1 bis 29, 21. Dezember 2000.

O2: Acceptance Certificate, zum Vertrag CATY-P00059 30. September 2002.

O3: Functional Description "Hydraulic ASTC Control System", 4. Juli 2002.

O4: Technical Specification, Modernization Slab Caster No.3, Wuhan Iron & Steel, Dezember 2000.

O5: Fotoaufnahmen, Modernization Slab Caster No.3, Wuhan Iron & Steel.

D20: Vertriebsprospekt (auf Chinesisch) für SMART Segmente der Fa. Voest-Alpine Industrieanlagenbau GmbH & Co.

D20a: Gleicher Prospekt auf Englisch.

D21: Teilnehmerliste eines VAI CC Seminars.

D22: "Glossary of Intellectual Property Terms" des U.S. Department of State, Veröffentlichung "Focus on Intellectual Property Rights", 29. April 2008.

Die folgenden Druckschriften wurden mit der Beschwerdebegründung eingeführt:

D23: C. Federspiel et al., "ASTC- VAI's Automatic Strand Taper/Thickness Control System", Proceedings of CCC 2000, Linz, Österreich, Juni 2000.

D24: C. Federspiel et al., "Automatic control of strand taper and thickness during casting", Millennium Steel, London, UK, Juni 2001.

D25: Bestätigung der Veröffentlichung von D24 durch den Verleger.

Die folgende Druckschriften wurden mit dem Schriftsatz vom 5. April 2013 eingereicht:

E4: A. Späti, "Industrieautomation ohne Signalbarrieren", Technische Rundschau 23, Seiten 52 bis 56, 2003.

E5: A. Späti, "Automation ohne Grenze", Technica, Oktober 2003.

IX. Vorbringen der Beteiligten

Neuheit

a) Offenkundige Vorbenutzung

i) Bei der offenkundigen Vorbenutzung handele es sich um ein Modernisierungsprojekt der Fa. Voest-Alpine Industrieanlagenbau GmbH & Co (VAI) für die Brammenstranggießanlage der Fa. Wuhan Iron & Steel Group Corporation (China).

ii) Die Beschwerdeführerin trug vor, dass die Steuer- und Regeleinrichtung dieser Stranggießanlage die in O4 beschriebene SMART- (Single Minute Adjustment and Restranding Time) und ASTC- (Automatic Strand Taper/thickness Control) Technologie aufweise, wobei jedes Rollensegment in Verbindung mit einem Master-Controller stehe und der Master-Controller sich in einem Steuerraum der Stranggießanlage befinde. Die Fotoaufnahmen der Stranggießanlage (O5) zeigten, dass die Achsen-Regler auf dem Hallengerüst angeordnet seien. Die Stranggießanlage weise daher alle beanspruchten Merkmale auf.

iii) Die Grundlage für den Verkauf des Modernisierungsprojekt sei der Kaufvertrag O1. Gemäß Artikel 15 des Vertrags sei "Know-How and related Technical Documentation" für einen Zeitraum von 5 Jahren ab Vertragsdatum geheim zu halten. Jedoch beziehe sich dieses "Know-How" nur auf die Herstellung des Vertragsprodukts, d.h. die Brammen, und nicht auf die Stranggießanlage selbst, wie durch die Definition von Know-How in D22 bestätigt sei:

"Information that enables a person to accomplish a particular task or to operate a particular device or process."

iv) Außerdem offenbarten die Druckschriften D23 und D24 die SMART und ASTC Systeme. Es gehe es aus diesen Druckschriften sowie der Werksbesichtigung (siehe unten) hervor, dass VAI kein Interesse daran gehabt habe, die Brammenstranggießanlage geheim zu halten, sondern daran, solche Stranggießanlagen zu verkaufen.

v) Die Brammenstranggießanlage selbst werde daher nicht von der Geheimhaltungsvereinbarung umfasst. Deshalb sei der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber dieser Brammenstranggießanlage nicht neu.

vi) Dass die Stranggießanlage der Fa. Wuhan Iron & Steel die Merkmale des Anspruchs 1 aufweist, wurde von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten.

Der Gegenstand des Vertrags schließe jedoch auch Bauteile der Gießanlage sowie die technische Dokumentation ein. Das Know-How betreffe Information für den Betrieb der Anlage und sei nicht nur auf die Herstellung von Brammen beschränkt.

b) Seminar und Werksbesichtigung

i) Die Beschwerdeführerin trug vor, dass bei einem Strangguss-Seminar in China im November 2003 eine Werksbesichtigung der Stranggussanlage 3 der Wuhan Iron & Steel Corporation stattgefunden habe. Der Besuch sei ohne Geheimhaltungsverpflichtung erfolgt und die Teilnehmer (D21 sei die Teilnehmerliste des Seminars) hätten die Möglichkeit gehabt, nicht nur die Stranggießanlage zu besichtigen, sondern auch aktiv Fragen zu stellen. Die Beschwerdeführerin hatte hierfür Herrn Oliver Schutz als Zeugen angeboten.

ii) Zusätzlich hätten die Fachleute Kenntnis der Steuerungs- und Regelungssysteme SMART und ASTC, die von VAI entwickelt und schon in D23 und D24 veröffentlicht wurden. Sie würden daher erkennen, dass die Kästen auf dem Hallengerüst (siehe O5) Module für die Steuerung und Regelung der Rollensegmente enthalten würden.

iii) Die Beschwerdegegnerin führte aus, dass es bei einer Werksbesichtigung üblich sei, eine allgemeine Beschreibung der Anlage zu geben. Sie wies darauf hin, dass eine Stranggießanlage eine sehr große und komplexe Vorrichtung sei. Die Besucher würden sehr viele Komponenten sehen und es gebe keinen Grund, warum insbesondere die Steuerungs- und Regelungsfunktion erklärt worden sei. Es sei pure Spekulation, welche Antwort auf welche Frage der Werksführer gegeben hätte, und ohne weitere Erläuterung sei es nicht möglich feststellen, was sich im in O5 gezeigten Kasten befinde.

c) Dokument D1

i) Die Beschwerdeführerin trug vor, dass D1 (Figur 2) eine Regeleinrichtung für ein Rollensegment offenbare, die einen separaten Achsen-Regler mit einem angeschlossenen Ventilstand aufweise.

Nach dem zweiten Ausführungsbeispiel (letzter Satz auf Seite 5) würden statt der Regelungseinheiten auf dem Rollensegment sogenannte intelligente Klemmen vorgesehen. Aus E4 und E5 ergebe sich, dass intelligente Klemmen eine integrierte SPS (speicherprogrammierbare Steuerung) aufwiesen. Mit Bezug auf D1 bedeute dies, dass die intelligenten Klemmen als Achsen-Regler mit einem angeschlossenen Ventilstand fungierten.

Da der Fachmann das zweite Ausführungsbeispiel als Alternative zum ersten Ausführungsbeispiel verstehen würde, würden die intelligenten Klemmen nicht auf dem Rollensegment, wie beim ersten Ausführungsbeispiel, sondern auf den ortfesten Hallengerüst angeordnet. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei daher nicht neu.

ii) Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass die Druckschriften E4 und E5 die Kommunikation für die Steuerung und Regelung einer Anlage im Allgemeinen betreffen. Nach E4 und E5 seien "intelligente Klemmern" Klemmern, die selbst eine Steuerungsfunktion aufweisen und über eine Ethernetverbindung mit einem zentralen Steuerungssystem kommunizieren. Die Lehre der E4 und der E5 sei sehr allgemein und die Relevanz intelligenter Klemmern für die Steuereinrichtung eines Stützrollengerüsts einer Stranggießanlage sei nicht beschrieben.

Gemäß der Aufgabe sowie dem Anspruch 1 der D1 sollen die Steuerung und Regelung auf dem Rollensegment aufgebracht werden. Hinsichtlich dieser Lehre würden auch beim zweiten Ausführungsbeispiel die intelligenten Klemmen auf dem Rollensegment montiert und über ein Ethernetkabel mit einem zentralen Steuerungssystem verbunden. Eine Trennung der Steuerelemente von dem Rollensegment widerspreche der Aufgabe der D1. Es gebe daher keinen Hinweis in D1, den Achsen-Regler auf dem Hallengerüst anzuordnen.

Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

a) Die Beschwerdeführerin hat zur erfinderischen Tätigkeit nur hinsichtlich der D1 argumentiert.

i) Der in Anspruch 1 definierte Gegenstand unterscheide sich vom in Figur 2 der D1 dargestellten Ausführungsbeispiel dadurch, dass der Achsen-Regler ortsfest und nicht auf dem Rollensegment angeordnet sei.

ii) Nach Absatz [0006] des Streitpatents liege der Erfindung die Aufgabe zugrunde, die Feldverkablung und das Regelungskonzept zu verbessern.

Gemäß dem Anspruch 1 seien die Achsen-Regler auf dem ortfesten Hallengerüst angeordnet, während sie nach der D1 auf dem Rollensegment montiert werden; die Achsen-Regler nach dem Anspruch 1 sowie der D1 stünden mit einer zentralen Steuerung in Verbindung. Die Verkabelung der Anlage nach dem Anspruch 1 und nach der D1 seien daher ähnlich und die Aufgabe, die Feldkabelung zu verbessern, sei hinsichtlich der D1 nicht gelöst.

Anspruch 1 sowie D1 wiesen ein verteiltes Regelungssystem auf, wobei die Achsen-Regler autonom seien. Es liege kein Unterschied zwischen den beiden Lösungen der Aufgabe, das Regelungskonzept zu verbessern, vor.

iii) Da die im Streitpatent offenbarten Aufgaben schon in D1 gelöst seien, liege die objektive Aufgabe darin, eine alternative Ausführungsform für die in D1 offenbarte Steuerungsanlage zu finden.

iv) Das Merkmal, dass sich die Regelungs- und Steuerungselemente in entfernten Einrichtungen der Stranggießanlage bzw. des Rollensegments befinden, sei wohlbekannt (D1, Seite 1, Zeilen 24 bis 25 und Seite 4, Zeilen 30 bis 32). Angesichts dieser Lehre und in Kenntnis, dass die Stranggießanlage ein Hochtemperaturbereich sei, sei es naheliegend die Achsen-Regler der D1 an einer kühlen Stelle, z.B. auf dem ortfesten Hallengerüst, anzuordnen. Der vorteilhafte Effekt dieser Maßnahme sei absehbar, und ein Merkmal mit bekannten Vorteilen sei naheliegend (T 0204/06, Punkt 2.11). Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

b) Dem widerspricht die Beschwerdeführerin wie folgt:

i) Figur 2 der D1 zeige, dass der Achsen-Regler mit angeschlossenem Ventilstand auf dem jeweiligen Rollensegment angeordnet sei; diese Komponenten werden mit einem zentralen Leitungssystem verbunden. Dies entspreche der Aufgabe der D1, eine dezentrale Steuerung und Regelung mit Modulen unmittelbar auf einem Rollensegment zu installieren, um eine intelligente Rollensegmenteinheit zu schaffen.

Im Gegensatz dazu würden sich nach der Erfindung die Komponenten der Steuer- und/oder Regeleinrichtung an drei unterschiedlichen Orten, nämlich auf den Rollensegmenten, auf dem Hallengerüst und in einem Steuerraum, befinden. Der Achsen-Regler und Ventilstand seien auf dem Hallengerüst angeordnet. Da sie nicht auf dem Rollensegment montiert, aber trotzdem in der Nähe seien, seien sie vor der hohen Temperatur geschützt, während die Ausfallsicherheit der Signale nicht leide. Dadurch würden die Steuerung und Regelung der Stranggießanlage verbessert und vereinfacht.

Entscheidungsgründe

1. Der Beschwerde ist zulässig.

2. Spät eingereichte Druckschriften

2.1 D23 und D24

Diese Druckschriften beschreiben die SMART- und ASTC-Systeme für die Steuerung und Regelung der Rollensegmente einer Stranggießanlage. Die Lehre der D23 (Seite 3 "Automation Concept") ist, dass jedes Rollensegment vier Zylinder und einen Segment-Controller aufweist und die Segmentdaten, z.B. die Lage der Zylinder erfasst und zum Master-Controller übermittelt werden. Die D24 (Figur 4) enthält eine ähnliche Offenbarung.

D23 und D24 wurden erst mit der Beschwerdebegründung eingereicht. Sie wurden jedoch nicht als Stand der Technik eingereicht, sondern zum Nachweis, dass die SMART- und ASTC-Technologie zur Zeit der Werksbesichtigung der Fa. Wuhan Iron & Steel nicht einer Geheimhaltungspflicht unterlagen. Sie werden daher berücksichtigt.

2.2 E4 und E5

Außerdem hat die Beschwerdeführerin E4 und E5 mit dem Schriftsatz vom 5. April 2013 eingereicht, um die Bedeutung des in D1 verwendeten Begriffs "intelligente Klemmen" zu erläutern. Dies ist für das Verständnis der D1 wichtig und daher werden diese Druckschriften im Verfahren zugelassen.

2.3 D20 und D20a

Bei den Druckschriften D20 und D20a handelt sich um einen Vertriebsprospekt (D20 auf Chinesisch und D20a auf Englisch). D20 und D20a waren spät im Einspruchsverfahren eingereicht und die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass sie prima facie nicht relevant für die Frage der Neuheit seien. Sie hat sie daher nicht im Verfahren zugelassen.

Das Bild auf Seite 1 der D20/20a zeigt Kästen am Hallengerüst der Stranggießanlage, aber es ist nicht zu erkennen, was diese Kästen enthalten und insbesondere, ob sie Achsenregler und Ventilstände betreffen. Es ist auch in D20/20a nicht explizit offenbart, dass sich der Master-Controller im Steuerraum befindet und, wenn der Segment-Controller des ASTC-Systems dem Achsen-Regler beim Anspruch 1 gleichzusetzen wäre, wo dieser sowie ein ebenfalls nicht entnehmbarer Ventilstand angeordnet ist.

Zusammenfassend ist das Merkmal, dass die Achsen-Regler mit angeschlossenem Ventilstand auf dem ortfesten Hallengerüst angeordnet sind, nicht eindeutig aus D20/D20a entnehmbar. Da diese Dokumente somit verspätet vorgelegt wurden und nicht prima facie relevant bzw. relevanter als der nachfolgend erörterte übrige Stand der Technik sind, folgt die Kammer der Entscheidung der Einspruchsabteilung, diese Dokumente nicht zu berücksichtigen.

3. Neuheit

3.1 Offenkundige Vorbenutzung

3.1.1 Bei der offenkundigen Vorbenutzung handelt sich um ein Modernisierungsprojekt der Fa. VAI für die Brammenstranggießanlage der Fa. Wuhan Iron & Steel Group Corporation (China). Eine Kopie des Vertrags wurde als O1 eingereicht. Es ist unstreitig, dass von VAI eine Anlage mit den beanspruchten Merkmalen installiert wurde. Die Frage ist jedoch, ob diese Gießanlage und insbesondere die Positionierung der Achsen-Regler der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden war.

3.1.2 Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass es keine Geheimhaltungspflicht oder Vertraulichkeit hinsichtlich der Brammenstranggießanlage gegeben habe. Als Folge des Verkaufs der Gießanlage und/oder einer Werksbesichtigung während eines Strangguss-Seminars in China war der Gegenstand des Anspruchs 1 zugänglich gemacht worden.

In dem Vertrag gibt es eine Geheimhaltungsvereinbarung (Artikel 15 auf Seite 25) für das "Know-How and related Technical Documentation" für einen Zeitraum von 5 Jahren ab Vertragsabschluss (21. Dezember 2000). Dieser Zeitraum überlappt das Prioritätsdatum des Streitpatents (9. November 2004) und daher ist die Frage der Geheimhaltung wichtig zur Bestimmung, ob die Steuerungs- und Regelungssysteme der Brammengießanlage zum Stand der Technik gehören (Artikel 54(2) EPÜ).

Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass sich das Know-How gemäß Artikel 2.3 des Vertrags auf die Herstellung des Vertragsprodukts, somit auf die Herstellung von Brammen, beziehe, und nicht auf die Stranggießanlage selbst.

Aus folgenden Gründen ist die Beschwerdekammer allerdings der Meinung, dass die Geheimhaltungsvereinbarung nicht so eng zu interpretieren ist.

Zunächst ist der Gegenstand des Vertrags in Artikel 2 festgelegt und bezieht neben den Bauteilen der Stranggießanlage auch das Know-How und die technische Dokumentation ein (siehe Punkt 2.1 des Vertrags). Beides ist im Punkt 1.22 des Vertrags definiert ("Technical Documentation means the technical indices, specifications, drawings and documents (including the licensed patent and know-how) related to design, inspection, Erection, Cold Test, Commissioning, Performance Test, operation and maintenance of Contract Plant, ...") und betrifft damit wie üblich die Information, die sich nicht ohne weiteres für den Fachmann aus dem ersichtlichen Aufbau der Anlage ergibt. Wenn in Artikel 15 davon die Rede ist, dass das Know-How und die technische Dokumentation geheim zu halten sind, umfasst das damit zumindest die nicht offensichtlichen technischen Informationen und Angaben. Hierzu gehört aber typischerweise die Steuerung der einzelnen Rollensegmente.

3.1.3 Die Beschwerdeführerin verwies ferner auf D23 und D24 und argumentierte, dass diese Technologie nicht unter die Geheimhaltungsvereinbarung des Vertrags fällt. D23 und D24 beschreiben von VAI entwickelte "SMART"- Rollensegmente und das "ASTC"-Regelungssystem. Nach diesen Offenbarungen hat jedes Rollensegment einen separaten Achsen-Regler, der mit einem sich in einem Steuerraum der Stranggießanlage befindenden Master-Leitsystem verbunden ist. Die D23 und D24 sind wissenschaftliche Artikel und die Beschwerdeführerin hat sie eingereicht, um zu nachweisen, dass VAI kein Interesse hatte, das SMART-Segment-Technik und das ASTC- Regelungskonzept geheim zu halten.

Es ist damit klar, dass die SMART-Segment- und ASTC- Technologien während der fünf Jahre der Geheimhaltungspflicht des Vertrags der Öffentlichkeit zugänglich waren. Es wäre jedoch rein spekulativ, daraus zu schließen, dass damit der die Steuerung betreffende Teil des Vertragsgegenstands nicht unter die Geheimhaltungsvereinbarung des Artikels fallen soll. Vielmehr kann der Vertrag nur so ausgelegt werden, wie es sich aus dem Text des Vertrags ohne Bezug auf irgendwelche weiteren Dokumente, die im Vertrag nicht genannt sind, ergibt. Dieser Text sagt im Artikel 15 aber klar aus, dass die technische Dokumentation und das Know-How vertraulich zu behandeln sind, was wie oben dargelegt die Steuerung der Rollensegmente einschließt.

3.1.4 Die Beschwerdeführerin verwies schließlich zusätzlich auf D22, die "Know-How" definiert:

"Information that enables a person to accomplish a particular task or to operate a particular device or process."

Sie war der Meinung, dass dies bedeute, dass "Know-How" lediglich den Betrieb der Stranggießanlage, d.h. die Herstellung von Brammen betreffe. Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass der "Betrieb der Stranggießanlage" unter anderen Informationen zur Steuerung und Regelung der Anlage einschließt und nicht nur auf das Endprodukt beschränkt ist. Zudem bezieht sich Artikel 15 des Vertrags ausdrücklich nicht nur auf Know-How, sondern auch auf die relevante technische Dokumentation.

3.2 Werksbesichtigung

3.2.1 Im Zuge eines Strangguss-Seminar in Wuhan, China, fand eine Werksbesichtigung der Stranggussanlage 3 der Wuhan Iron & Steel Corporation statt.

3.2.2 Wie die Beschwerdegegnerin argumentiert hat, ist eine Stranggießanlage eine sehr große und komplexe Vorrichtung mit sehr viele Bauteilen. Die Kammer ist nicht überzeugt, dass bei der Vielzahl von Bauteilen ein Besucher ohne Kenntnis des im Streitpatent beanspruchten Gegenstands oder weitere Erklärung erkannt hätte, welche baulichen Einheiten, geschweige denn die in D23 und D24 beschriebenen Steuerungsmodulen, sich hinter den Kästen verbergen.

3.2.3 Die Beschwerdeführerin trug vor, dass während der Besichtigung Fragen zur Steuerung und Regelung der Anlage hätten gestellt werden können, die dann auch beantwortet werden wären.

Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern genügt es für das Zugänglichmachen, dass die theoretische Möglichkeit besteht, von einer Information Kenntnis zu nehmen. Es ist unerheblich, ob ein Grund vorlegt, nach solchen Information zu suchen oder zu fragen, oder, ob ein Mitglied der Öffentlichkeit tatsächlich davon Kenntnis genommen hat (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, Punkt I.C.1.8).

In T 947/99 betraf die angebliche offenkundige Vorbenutzung eine Werksbesichtigung einer Eisfabrik. Es wurde zwar nicht nachgewiesen, dass ein Merkmal des Herstellungsverfahrens den Besucher explizit erklärt wurde. Die Kammer entschied gleichwohl, dass Information über das Verfahren trotzdem der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, weil

(i) die Besucher keiner Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitsverpflichtung unterlagen,

(ii) die Information einen allgemeinen bekannte Verfahrensschritt betraf und,

(iii) wenn ein Besucher nach Details des Herstellungsverfahrens gefragt hätte, er die relevante Information erhalten hätte (siehe Punkt 10.6 der Entscheidung).

Der vorliegende Fall unterscheidet sich jedoch von demjenigen der T 947/99. Wenn nämlich jemand auf der Werksbesichtigung eine Frage über die Steuerung und Regelung der Gießanlage gestellt hätte, hätte er keine solche Information erhalten, weil gemäß Artikel 15 des Vertrags diese Information vertraulich war (siehe oben).

3.2.4 Zu diesem Punkt hat die Beschwerdeführerin Herrn Schutz als Zeugen angeboten.

Sie hat ihren Beweisantritt indes lediglich damit begründet, dass Herr Schutz bei der Werksbesichtigung als Mitarbeiter des Vertriebs der Beschwerdeführerin (VAI) zugegen gewesen wäre und im Rahmen der Besichtigung die Teilnehmer Fragen hätten stellen und Antworten von VAI hätten bekommen können.

Damit hat die Beschwerdeführerin indes keine Angaben zu den eigentlichen Beweistatsachen gemacht, die die von ihr behauptete Vorbenutzung belegen könnten. Ebenso stellt die behauptete Möglichkeit, Fragen zu stellen und Antworten zu erhalten, lediglich eine hypothetische Überlegung der Beschwerdeführerin dar. Dass tatsächlich Fragen bezüglich der technischen Konstruktion und Funktionsweise der Gießanlage gestellt und detailliert beantwortet worden wären, hat die Beschwerdeführerin selbst nicht einmal behauptet.

Die Beschwerdekammer war dementsprechend vor die Situation gestellt, dass sie zum einen keinen substantiierten Sachvortrag der Beschwerdeführerin hatte, was der Zeuge im Einzelnen aussagen könnte und welche Relevanz dies für die im vorliegenden Beschwerdeverfahren entscheidungsrelevanten technischen Aspekte hätte. Zum anderen stützt sich die Beschwerdeführerin allein auf eine hypothetische Möglichkeit, die in Ermangelung jeglichen Sachvortrages indes nicht Grundlage für eine Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen sein kann.

Insofern hat die Beschwerdekammer davon abgesehen, den Zeugen zum Termin zur mündlichen Verhandlung zu laden und zu vernehmen.

3.3 Zusammenfassung

Der Kaufvertrag für die Modernisierung der Brammenstranggießanlage Fa. Wuhan Iron & Steel enthält eine Geheimhaltungsvereinbarung zum Know-How und der technischen Dokumentation der Gießanlage. Die Rechtsprechung der Beschwerdekammern geht von einem engen Neuheitsbegriff aus, d.h. die Merkmale der Erfindung müssen sich klar, eindeutig und unmittelbar aus dem Stand der Technik ergeben. Im vorliegenden Fall war aus den obengenannten Gründen die Geheimhaltungspflicht des Vertrags nicht nur auf die Herstellung von Brammen beschränkt, sondern umfasste auch technische Details, zu denen typischerweise die Regelung und ihre Anordnung gehört.

Bei der Werksbesichtigung war nicht erkennbar, wo die Regelung und insbesondere ob die Achsen-Regler in den seitlich angeordneten Kästen eingebaut waren. Obwohl die Teilnehmer der Werksbesichtigung neben der bloßen Zurschaustellung der Gießanlage die Möglichkeit hatten, Fragen zu stellen, unterlagen die Details der Gießanlage gemäß dem Kaufvertrags der Geheimhaltung, sodass nicht erwiesen ist, dass ein Steuerungs- und Regelungssystem, wie es in Anspruch 1 definiert ist, der Öffentlichkeit zugänglich war.

3.4 Neuheit bezüglich der D1

3.4.1 D1 offenbart eine Steuer- und Regeleinrichtung für ein Stützrollengerüst einer Stranggießvorrichtung, die für jedes Rollensegment einen separaten Achsen-Regler (14) mit einem angeschlossenen Ventilstand aufweist. Die Frage ist hier, ob diese Bauteile auf dem ortfesten Hallengerüst angeordnet sind, wie in Anspruch 1 definiert ist.

3.4.2 Nach dem in Figur 2 dargestellten Ausführungsbeispiel besitzt jedes Rollensegment einen Regler (14) (siehe Seite 4, Zeilen 34 bis 36). Die Leitungen für die Busverbindungen (11) und die Spannungsversorgung (12) sind mit Steckverbindungen (13) ausgerüstet, sodass beim Segmentwechseln auch der Regler (14) gewechselt wird. Bei diesem Ausführungsbeispiel ist es nicht zu entnehmen, dass die Achsenregler (14) nicht auf dem Rollensegment, sondern auf dem ortfesten Hallengerüst montiert sind.

3.4.3 D1 offenbart jedoch eine Variante, wobei statt der Regelungs- und Steuerungseinheiten auf dem Rollensegment intelligente Klemmen vorgesehen werden können (Seite 5, letzter Satz). Die Beschwerdeführerin trug vor, dass diese Variante neuheitsschädlich für den Gegenstand des Anspruchs 1 sei.

Nach E4 und E5 sind "intelligente Klemmen" Klemmen, die eine integrierte speicherprogrammierbare Steuerung (SPS) enthalten und mit einem Zentralsteuerungssystem über ein Ethernet verbunden sind. Solche Klemmen haben den Vorteil, dass bei einem Ausfall des Zentralrechners die Steuerfunktionen aufrecht erhalten werden können.

Jedoch beschreiben E4 und E5 intelligente Klemmen in allgemeinen und es ist diesen Dokumente nicht zu entnehmen, wie solche Klemmen für Steuer- und Regeleinrichtungen in einer Stranggießanlage zu verwenden wären.

Wie die Beschwerdegegnerin argumentiert hat, ist der Grundgedanke der D1, eine dezentrale Steuerung und Regelung unmittelbar auf einem Rollensegment zu installieren, welches auch bei einem Ausfall von Kommunikationsdaten einen weiteren Betrieb sichert (Seite 2, Zeile 33 bis Seite 3, Zeile 6). Angesichts dieser Lehre würde der Fachmann die intelligenten Klemmen ebenfalls auf den Rollensegmenten montieren und über Ethernet mit dem Leitsystem verbinden; dadurch wird die Aufgabe der D1 beim zweiten Ausführungsbeispiel ebenfalls gelöst. Aus E4 und E5 ergibt sich daher nicht, dass die Achsen-Regler auf dem Hallengerüst montiert sind.

3.4.4 Zusammenfassend enthält D1 keinen Hinweis, dass die Achsenregler nicht auf dem Rollensegment montiert sind. Da dieses Merkmal nicht der D1 zu entnehmen ist, ist der beanspruchte Gegenstand hinsichtlich dieser Entgegenhaltung neu.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1 Die Beschwerdeführerin hat die erfinderische Tätigkeit nur ausgehend von der D1 (erstes Ausführungsbeispiel) angefochten.

4.2 Wie oben dargelegt, unterschiedet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 vom ersten Ausführungsbeispiel (siehe D1, Figur 2 und Seite 4, Zeile 34 bis Seite 5, Zeile 7) dadurch, dass der Achsenregler und Ventilstand nicht auf dem Rollensegment, sondern auf dem ortfesten Hallengerüst installiert sind.

4.3 Die dieses Merkmal betreffende Aufgabe ist darin zusehen, die Regelung und Steuerung der Stranggießanlage zu verbessern.

4.4 Wie die Beschwerdegegnerin argumentiert hat, hat die Tatsache, dass die Achsenregler und Ventilstand nicht auf dem Rollensegment, sondern auf dem Hallengerüst montiert sind, die Vorteile, dass die entsprechenden Module hohen Temperaturen nicht ausgesetzt sind und trotzdem die Feldverkabelung einfach gehalten wird.

Der Zweck der in D1 offenbarten Erfindung ist es, ein intelligentes Rollensegment zu schaffen, welches auch bei einem Ausfall von Kommunikationsdaten einen weiteren Betrieb sichert (Seite 2, Zeile 33 bis Seite 3, Zeile 7). Deshalb werden der Achsenregler und der Ventilstand auf dem Rollensegment angeordnet, sodass sie eine quasi-unabhängige Einheit bilden.

Es steht daher im Gegensatz zur Lehre der D1, den Achsen-Regler oder alle sonstigen Steuerungs- und Regelungsmodulen nicht auf dem Rollensegment zu anordnen. Ausgehend von D1 ist es daher nicht naheliegend, den Achsen-Regler mit angeschlossenen Ventilstand auf dem ortfesten Hallengerüst und damit zwar in der Nähe des Rollensegments, aber eben nicht auf diesem zu installieren, um den Achsenregler nicht den dort herrschenden mechanischen und thermischen Bedingungen auszusetzen und trotzdem den Verkabelungsaufwand nicht wesentlich zu erhöhen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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