European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2015:T062811.20150826 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 26 August 2015 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0628/11 | ||||||||
Anmeldenummer: | 02719807.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | G02C 7/08 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | BINOKULARE OPTISCHE VORRICHTUNG, INSBESONDERE ELEKTRONISCHE BRILLE, MIT EINER ELEKTRONISCHEN KAMERA ZUR AUTOMATISCHEN SCHARFSTELLUNG EINSCHLIESSLICH KORREKTUR VERSCHIEDENER SEHFEHLER | ||||||||
Name des Anmelders: | Hoffmann, Klaus | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.4.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - (ja) | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde des Patentanmelders richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 02719807.6 zurückzuweisen. Die Prüfungsabteilung hatte die Zurückweisung insbesondere damit begründet, dass der Gegenstand des damaligen Anspruchs 1, eingereicht mit Schreiben vom 19. September 2010, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
II. Am 26. August 2015 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt, in der der Beschwerdeführer geänderte Unterlagen eingereicht hat.
III. Der Beschwerdeführer beantragt, die Entscheidung der Prüfungsabteilung aufzuheben und ein Patent zu erteilen auf Grundlage des in der mündlichen Verhandlung vom 26. August 2015 gestellten Hauptantrags mit folgenden Unterlagen:
Beschreibung Seiten 1-14, 20 und 21 wie in der WO-Schrift 02/065197 veröffentlicht; Seiten 15, 15a, 15b, 16-19 eingereicht während der mündlichen Verhandlung am 26. August 2015.
Ansprüche Nr. 1-9 eingereicht während der mündlichen Verhandlung am 26. August 2015.
Zeichnungen Blatt 1/1 wie in der WO-Schrift 02/065197 veröffentlicht.
IV. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:
"Binokulare elektronische Brille,
- mit einem Brillengestell (B), deren Rahmen als staubdichtes geschlossenes Gehäuse (G), an welchem die Bügel (BÜ) angelenkt sind, ausgestaltet ist,
- mit mindestens einer im Gehäuse (G) angeordneten elektronischen Videokamera (K) mit einem Objektiv, deren Linsen nach vorne schauen, und mit einem CCD-Sensor,
- mit einem motorisch (M) verstellbaren, frontseitig angeordneten Linsensystem (L) mit Linsen aus Kunststoff und mit Führungsmittel zur Einstellung durch Verbiegung und/oder Drehung der einzelnen Linsen, welches mit der elektronischen Kamera (K) in Verbindung steht,
- mit einer mit Linsensystem (L) und Kamera (K) verbundenen elektrischen Steuereinrichtung (ST) und
- mit einem mit der elektrischen Steuereinrichtung (ST) verbundenen Speicher, welcher die manuellen Voreinstellwerte für beiden Augen als Sollwerte zur Anpassung für die automatische Korrektur von Fehlsichtigkeit und Augenabstand während des Betriebs aufweist,
so dass die Korrektur von Sehfehler durch Einstellung der Brechkraft der Linsen (L) und/oder Fokussierung einschließlich einer automatischen Einstellung auf Lese- oder Arbeitsdistanz erfolgt und wobei eine kontrastgesteuerte Fokussierung vorgenommen wird, indem die Steuereinrichtung (ST) so ausgelegt ist, dass permanent eine kontrastgesteuerte Fokussierung eingestellt wird. "
V. Die Ansprüche 2-9 gemäß Hauptantrag sind abhängig von Anspruch 1 und betreffen besondere Ausführungsarten der Brille nach Anspruch 1.
VI. Die folgenden Dokumente sind für die vorliegende Entscheidung von Bedeutung:
- D3: US 4 865 438
- D6: DE 199 59 379 A1
- D8: Naumann/Schröder, "Bauelemente der Optik", Carl Hanser Verlag, 1992; Seiten 348-349.
Entscheidungsgründe
1. Stützung durch die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung (Artikel 123(2) EPÜ)
1.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht im Wesentlichen auf der Kombination der ursprünglichen Ansprüche 1 und 2. Es wurde weiter präzisiert,
- dass der Rahmen des Brillengestells als staubdichtes geschlossenes Gehäuse ausgestaltet ist, an welchem die Bügel angelenkt sind (vgl. ursprünglicher Anspruch 9),
- dass die Kamera eine Videokamera mit einem Objektiv, deren Linsen nach vorne schauen, und mit einem CCD-Sensor ist (vgl. Seite 21, Zeile 15 in Verbindung mit Seite 15, Zeile 27),
- dass die Linsen des Linsensystems aus Kunststoff sind und das Linsensystem mit Führungsmitteln zur Einstellung durch Verbiegen und/oder Drehung der einzelnen Linsen versehen ist (vgl. ursprünglicher Anspruch 4),
- dass eine kontrastgesteuerte Fokussierung vorgenommen wird, indem die Steuereinrichtung so ausgelegt ist, dass permanent eine kontrastgesteuerte Fokussierung eingestellt wird (vgl. Seite 16, Zeilen 19-20 in Verbindung mit Seite 21, Zeilen 1-4).
1.2 Die Kammer sieht daher in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen eine ausreichende Offenbarung für den Gegenstand des Anspruchs 1.
1.3 Eine Offenbarung für den Gegenstand des Anspruchs 2 findet sich in der ursprünglichen Beschreibung auf Seite 20, Zeilen 5-15, in Verbindung mit Seite 16, Zeile 5. Die Gegenstände der übrigen abhängigen Ansprüche finden sich in den ursprünglich eingereichten abhängigen Ansprüchen 3 und 5-10.
2. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973)
2.1 Die Prüfungsabteilung hatte das Dokument D6 als nächstliegenden Stand der Technik angesehen. Dieses Dokument offenbart eine binokulare elektronische Brille,
mit einem motorisch (Elektromagnet) verstellbaren, frontseitig angeordneten Linsensystem (1R, 1L) mit Linsen und mit Führungsmittel zur Einstellung durch Verbiegung und/oder Drehung der einzelnen Linsen, welches mit einem Entfernungssensor in Verbindung steht,
mit einer mit Linsensystem und Entfernungssensor verbundenen elektrischen Steuereinrichtung (5) und
mit einem mit der elektrischen Steuereinrichtung (5) verbundenen Speicher (6), welcher die manuellen Voreinstellwerte für beiden Augen als Sollwerte zur Anpassung für die automatische Korrektur von Fehlsichtigkeit während des Betriebs aufweist,
so dass die Korrektur von Sehfehlern durch Einstellung der Brechkraft der Linsen und/oder Fokussierung einschließlich einer automatischen Einstellung auf Lese- oder Arbeitsdistanz erfolgt.
2.2 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich somit von der Offenbarung des Dokuments D6 dadurch, dass
a) ein Brillengestell vorgesehen ist, dessen Rahmen als staubdichtes geschlossenes Gehäuse ausgebildet ist, und an welchem die Bügel angelenkt sind;
b) die Linsen aus Kunststoff sind;
c) der Speicher Voreinstellwerte für die automatische Korrektur des Augenabstands aufweist;
d) im Gehäuse mindestens eine elektronische Videokamera mit einem Objektiv, deren Linsen nach vorne schauen, und mit einem CCD-Sensor angeordnet ist;
die Steuereinrichtung statt mit dem Entfernungssensor mit der elektronischen Kamera verbunden ist; und
e) eine kontrastgesteuerte Fokussierung vorgenommen wird, indem die Steuereinrichtung so ausgelegt ist, dass permanent eine kontrastgesteuerte Fokussierung eingestellt wird.
2.3 Diese Unterscheidungsmerkmale bewirken,
a) dass das Linsensystem und die Steuerung gehalten werden und sicher untergebracht sind;
b) dass die Linsen leicht und einfach zu handhaben sind (vgl. Seite 17, Zeilen 31-32);
c) dass sich die Brille auch bezüglich des Augenabstands automatisch auf einen Benutzer einstellen lässt;
d)und e) dass das Linsensystem permanent fokussiert wird und laufend ein gestochen scharfes Bild erzeugt wird (vgl. Seite 16, Zeilen 19-20 in Verbindung mit Seite 21, Zeilen 1-4).
2.4 Ausgehend von Dokument D6 hat der Fachmann daher folgende Aufgaben zu lösen:
a) Das Dokument D6 zeigt keinerlei Halterung, Rahmen oder Gehäuse für die Brille. Daher sind entsprechende Strukturen zu realisieren.
b) Für die Linsen wird kein Material angegeben. Es wird in Dokument D6 nur ausgeführt, dass es in Kombination mit einem Prisma eine Linse veränderbarer Brechkraft gibt, die durch die Flüssigkeitsmenge im Inneren verformt werden kann. Es stellt sich somit die Aufgabe, eine andere Art von Linsensystem zu finden, das leicht und einfach zu handhaben ist.
c) Die Brille aus Dokument D6 hat einen Speicher, in dem die Beziehung zwischen der Objektentfernung und dem erforderlichen Antriebsmaß der Elektromagnete gespeichert ist. Dadurch lässt sich die Brille an die Fehlsichtigkeit eines Benutzers anpassen (vgl. Seite 3, Zeilen 43-50, in Verbindung mit Seite 5, Zeilen 23-64). Es stellt sich somit die Aufgabe, die Brille besser auf einen Benutzer einstellen zu können.
d) und f) Das Dokument D6 offenbart eine Fokussierung der Linsen mittels Entfernungssensor. Es ist daher eine andere Art zu finden, wie die Linsen fokussiert werden können.
2.5 Zur Lösung der oben genannten Aufgaben wird der Fachmann das allgemeine Fachwissen und die relevanten Dokumente des Stands der Technik heranziehen.
a) Es ist dem Fachmann allgemein bekannt, dass die in Dokument D6 gezeigte Brille eine Haltestruktur und eine sichere Aufnahme braucht. Es ist daher naheliegend, einen Rahmen mit Bügeln vorzusehen und dabei auch die Steuerung geschützt unterzubringen.
b) Linsen aus Kunststoff sind für ihr geringes Gewicht und ihre einfache Handhabbarkeit allgemein bekannt und bei Brillen sehr geschätzt. Der Fachmann, der für die Brille aus D6 ein anderes Linsensystem sucht, wird daher auch Linsen aus Kunststoff in Betracht ziehen. Die Prismen aus Kunststoff zu fertigen, stellt dabei kein Problem dar. Aber es ist nicht ersichtlich, wie die mit Flüssigkeit gefüllten und daher verformbaren Linsen durch Kunststofflinsen ersetzt werden können. Mit Linsen aus Kunststoff funktioniert das in Dokument D6 offenbarte Prinzip der Brechkraftanpassung nicht mehr. Der Fachmann wird daher auf der Suche nach einer Lösung die mit Flüssigkeit gefüllten Linsen soweit wie möglich mit Kunststoffteilen fertigen. Insbesondere wird er die verformbaren Wände der Linsen, die die Flüssigkeit aufnehmen, aus Kunststoff fertigen. Es ist aber nicht möglich, die Linsen ganz aus Kunststoff zu realisieren.
Der Fachmann würde auch das Dokument D3 konsultieren. Dieses Dokument offenbart zwar eine Brille mit fokussierenden Vergrößerungsgläsern 14, 15, die aus Kunststoff sein können, was die Brille leicht und einfach herstellbar macht (vgl. Spalte 3, Zeilen 24-26). Aber diese Linsen erfordern ein ganz anderes Konzept als die in Dokument D6 verwendeten Linsen. Der Fachmann müsste daher das ganze Konzept für die Vergrößerungslinsen einschließlich des Antriebs aus Dokument D3 in das System der Brille aus Dokument D6 integrieren. Die Vergrößerungslinsen aus Dokument D3 haben aber nicht die gleiche Wirkung. Die Linsen lassen sich auch nicht durch Verbiegung oder Drehung einstellen. Darüber hinaus findet der Fachmann in dem Dokument D6 keine Anregung, das Konzept der Fokussierung mit Gleichgewicht zwischen Akkommodation und Vergenz der Augen komplett aufzugeben.
Die Kammer hält es daher nicht für naheliegend, statt der mit Flüssigkeit gefüllten Linsen in Dokument D6 Linsen zu verwenden, die komplett aus Kunststoff gefertigt sind.
c) Weder das Dokument D6 noch das Dokument D3 noch eines der anderen Dokumente im Verfahren offenbaren, dass Korrekturwerte für den Augenabstand in dem Speicher der Steuerung abgespeichert werden können, um dann die Linsen entsprechend ausrichten zu können. D6 geht von einem Pupillenabstand von 60 mm aus (vgl. Seite 5, Zeile 22). Eine automatische Korrektur des Augenabstands wird daher durch die verfügbaren Dokumente des Stands der Technik nicht nahegelegt.
d) Der Fachmann, der eine andere Art für die Fokussierung der Linsen sucht, wird unter anderen auch das Dokument D3 zu Rate ziehen. Dokument D3 offenbart, wie auch das Dokument D6, einen Entfernungssensor zum Messen des Objekt-Abstands. Dokument D3 offenbart weiter, dass statt des Entfernungssensors mit Infrarotstrahlen die Entfernung auch mittels eines CCD-Bilderfassungselements (vgl. Spalte 4, Zeilen 39-43, "CCD image pick up element") bestimmt werden kann. Der Fachmann lernt daraus, dass statt des Entfernungssensors in Dokument D6 auch eine CCD-Kamera verwendet werden kann.
e) Das Dokument D3 gibt nicht an, wie die Entfernung mit dem Bilderfassungselement bestimmt wird. Dem Fachmann ist jedoch allgemein bekannt, die Fokussierungseinstellungen mittels Kantenkontrastmessung auf dem Bilderfassungselement durchzuführen, bei der die Schärfe von Hell-/Dunkel-Konturen bestimmt und optimiert wird (vgl. zum Beispiel den Lehrbuchauszug D8). Eine Entfernungsmessung findet dabei nicht direkt statt. Die Entfernung kann aber aus der Einstellung des Objektivs bei Fokussierung gewonnen werden.
Eine kontrastgesteuerte Fokussierung würde der Fachmann daher in Erwägung ziehen, wenn er im Dokument D3 liest, dass ein "image-adjusting type range measuring means in the form of CCD image pickup element may be used".
2.6 Zusammenfassend kann die Beschwerdekammer feststellen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht: Ausgehend von Dokument D6 und unter Berücksichtigung des weiteren verfügbaren Stands der Technik, wie er aus Dokument D3 bekannt ist, sowie dem allgemeinen Fachwissen ist es insbesondere nicht naheliegend, die mit Flüssigkeit gefüllten Linsen durch Linsen aus Kunststoff zu ersetzen und diese durch Verbiegen und/oder Drehung einzustellen, und im Speicher zusätzlich Voreinstellwerte für die automatische Korrektur des Augenabstands abzuspeichern.
2.7 Die Ansprüche 2-9 sind abhängig von Anspruch 1 und erfüllen daher ebenfalls die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ 1973.
3. In der Beschreibung wurde der relevante Stand der Technik angegeben, und die Beschreibung wurde an die geänderten Ansprüche angepasst (Regel 27 (1) EPÜ 1973).
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent auf Grundlage der folgenden Fassung zu erteilen:
Beschreibung:
Seiten: 1-14, 20 und 21, wie in der WO-Schrift 02/065197 veröffentlicht;
Seiten: 15, 15a, 15b, 16, 17, 18, 19, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 26. August 2015.
Ansprüche:
Nr.: 1-9, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 26. August 2015.
Zeichnungen:
Blatt: 1/1 wie in der WO-Schrift 02/065197 veröffentlicht.