T 0591/11 () of 19.6.2012

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2012:T059111.20120619
Datum der Entscheidung: 19 Juni 2012
Aktenzeichen: T 0591/11
Anmeldenummer: 99919242.0
IPC-Klasse: E04F 15/18
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 170 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Trägerplatte aus folienartigem Kunststoff für einen plattenbekleideten Bodenaufbau oder eine Wand
Name des Anmelders: Schlüter-Systems KG
Name des Einsprechenden: Isola AS
Dural GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 123(3)
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erweiterung (verneint)
Zulässigkeit verspäteter Beweismittel (teilweise verneint)
Neuheit (bejaht)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 17. März 2010, zur Post gegeben am 19. Januar 2011, das Europäische Patent Nr. 1 073 813 in geändertem Umfang gemäß Hilfsantrag, wie eingereicht während der mündlichen Verhandlung am 17. März 2010, nach Artikel 101(3)a) EPÜ aufrechtzuerhalten.

II. Die Beschwerdeführerinnen I und II (Einsprechende I bzw. Patentinhaberin), hatten am 9. März 2011 bzw. 24. März 2011 Beschwerde eingelegt und am jeweils selben Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründungen waren jeweils am 30. Mai 2011 und 11. Mai 2011 eingegangen. Die Beschwerdeführerin I beantragte die beschleunigte Bearbeitung im Sinne der Mitteilung des Vizepräsidenten GD3 Abl.1998,362 (vgl. Eingabe der Beschwerdeführerin I vom 29. Mai 2011). Die Beschwerdeführerin III (Einsprechende II) hatte am 28. März 2011 Beschwerde eingelegt, daraufhin jedoch mit Eingabe vom 24. August 2011 ihren gemäß Artikel 105 EPÜ erhobenen Einspruch zurückgenommen. Somit war die Beschwerdeführerin III am Verfahren nicht mehr beteiligt.

III. Mit Bescheid gemäß Artikel 15(1) VOBK vom 7. März 2012 teilte die Beschwerdekammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung mit. Die mündliche Verhandlung fand am 19. Juni 2012 bei Anwesenheit aller am Beschwerdeverfahren beteiligten Parteien statt.

IV. Die Beschwerdeführerin I beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdeführerin II beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents im Umfang der erteilten Ansprüche und Figuren sowie der Beschreibung wie in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 17. März 2010 eingereicht.

V. Der unabhängige Anspruch 1 wie erteilt hat folgenden Wortlaut:

"1. Trägerplatte aus folienartigem Kunststoff für einen plattenbekleideten Boden- oder einen Wandaufbau zum Erzielen einer Entkopplung zwischen dem Untergrund und der auf die folienartige Platte aufzubringenden Flächenbekleidung, wobei die Trägerplatte eine Strukturierung zum Ausbilden von Vertiefungen durch im wesentlichen in einer Richtung verlaufende Ausprägungen (N1, N3, N5) auf einer Seite und auf der anderen Seite niveaugleiche, erhabene Bereiche aufweist, zwischen denen Kammern (M1-M3) zur Aufnahme eines zur Ausbildung einer Kontaktschicht mit der aufzubringenden Flächenbekleidung vorgesehenen aushärtenden Kontaktmittel, wie Mörtel oder Kleber, gebildet sind und wobei an der Unterseite der Platte ein netzartiges Gewebe oder ein Vlies (2) vorgesehen ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Strukturierung aus mindestens einer weiteren Schar aus in einer weiteren Richtung verlaufenden und die Ausprägungen (N1, N3, N5) kreuzenden weiteren Ausprägungen (N2, N4, N6) besteht, wobei die gebildeten Kammern (M1-M3) umfänglich durch die zur anderen Seite der Trägerplatte hin offenen erhabene Stege (S1-S6) bildenden Ausprägungen (N1-N6) begrenzt sind und ein in eine Kammer (M1-M3) hineinragender Hinterschnitt (H1-H3) Teil eines Steges (S1-S6) bzw. einer Ausprägung (N1-N6) ist."

VI. Für die vorliegende Entscheidung wurden folgende Beweismittel herangezogen:

i) aus dem Einspruchsverfahren:

El = DE-U-298 07258

E2 = DE-A-37 01 414

E5 = WO-A-99/55 985

E15 = DE-U-298 06 561

ii) mit Eingabe der Beschwerdeführerin I vom 29. September 2011 eingereicht:

E41 = JP 5-33485

E42 = Deutsche Übersetzung des Dokuments E41.

Die Beschwerdeführerin I macht zudem eine Vorbenutzung geltend, wonach der Anspruchsgegenstand des Streitpatents angeblich in einer Besprechung zwischen der Beschwerdeführerin II und Vertretern der Fa. Dörken der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Als Beweismittel hierzu dienen:

E45 = Gesprächsbericht Besprechung vom 29.3.1999

E46 = Werkzeugzeichnung vom 30.3.1999 und Abbildung.

VII. Die Parteien haben im Wesentlichen folgende Argumente vorgetragen:

VII.1 Änderungen

a) Die Beschwerdeführerin I argumentierte, dass in Spalte 2, Zeilen 15 bis 21, des Patents wie erteilt ursprünglich Schrumpfungsspalte im Zusammenspiel mit der Dehnfähigkeit des Materials der Trägerplatte beschrieben worden seien, um dadurch einen flexiblen Spannungsabbau zwischen Untergrund und Oberflächenbelag erreichen zu können. Durch das Streichen der die Schrumpfungsspalte betreffenden Stellen der Beschreibung sei die ursprüngliche Anmeldung erweitert worden, denn nunmehr seien im Patent neue Ausführungsformen zur Erzielung des Spannungsabbaus offenbart, Artikel 123(2) EPÜ. Zudem sei dadurch auch der Schutzbereich des Anspruchs 1 erweitert worden, denn Anspruch 1 umfasse nun Platten mit gegenüber der erteilten Fassung neuen Ausführungsformen, Artikel 123(3) EPÜ.

Weiters führe auch die Änderung gegenüber der erteilten Fassung in Spalte 3, letzte Zeile, des Patents, wo ein "Textilgewebe" durch ein "Gittergewebe" ersetzt worden sei, zur Erweiterung des Schutzbereichs nach Anspruch 1, da es nun nicht mehr zwingend ein Textil umfassen müsse, Artikel 123(3) EPÜ.

b) Die Beschwerdeführerin II erwiderte, dass alle geänderten Passagen ursprünglich offenbart seien, und darüber hinaus eine Erweiterung des Schutzbereichs nur dann eintreten könne, wenn bestimmte Definitionen einzelner Begrifflichkeiten geändert worden wären, wodurch Merkmale in Anspruch 1 eindeutig zu bestimmen seien. Dies sei jedoch nicht der Fall, und in Spalte 2 des Patents sei im übrigen lediglich eine Ausführungsform gestrichen worden, die sich auf den Einbauzustand beim Verlegen der Trägerplatte beziehe, aber nicht etwa auf die Dehnfähigkeit des Materials bzw. der Struktur der beanspruchten Trägerplatte selbst. Das in Spalte 3 des Patents nunmehr angeführte "Gittergewebe" sei durch das im erteilten Anspruch 1 genannte breitere Merkmal "netzartiges Gewebe" bereits umfasst gewesen. Ein Verstoß gegen Artikel 123(2) und (3) EPÜ läge somit nicht vor.

VII.2 Zulässigkeit verspäteter Beweismittel

a) Die Beschwerdeführerin I argumentierte zur Frage der öffentlichen Zugänglichmachung der von ihr geltend gemachten Vorbenutzung, dass der Inhalt der Gesprächsnotiz E45 vom 29. März 1999 zwischen der Beschwerdeführerin II und der Fa. Dörken aufgrund des Verteilers einer Vielzahl von Personen mitgeteilt worden sei. Es möge sein, dass der Gesprächsinhalt als solcher noch vertraulich gewesen sei. Es sei jedoch von keiner Vertraulichkeitsvereinbarung im nachfolgenden Verteilerkreis auszugehen. Für die Behauptung, dass alle Personen am Verteiler Mitarbeiter der Beschwerdeführerin II gewesen seien, gelte die Beweisumkehr, da Dokument E45 aus der Sphäre der Beschwerdeführerin II selbst stamme. Somit sei der Anfangsverdacht der Offenkundigkeit des Gesprächsinhalts aus E45 zusammen mit der im Anschluss erstellten Werkzeugzeichnung E46 gegeben. Die Unterlagen zur Vorbenutzung seien auch nicht verspätet vorgelegt worden, da sie aus der Sphäre der Gegenpartei stammten und erst im Rahmen des parallelen Verletzungsverfahrens, wo sich die Beschwerdeführerin II auf ihr privates Vorbenutzungsrecht berufe, bekannt geworden seien. Danach seien die Anlagen E45 und E46 unverzüglich ins hiesige Verfahren eingebracht worden. Die in den Anlagen E45 und E46 beschriebene "Noppenbahn" sei gegenüber Anspruch 1 neuheitsschädlich, und deren offenkundige Vorbenutzung daher ins Verfahren zuzulassen.

Darüber hinaus sei Dokument E41/E42 in Zusammenhang mit E2 relevant. Weil in Anspruch 1 des Patents zum "Prinzip der Entkopplung" keinerlei Angaben gemacht würden, könne eine "Entkopplung" nach Anspruch 1 alleine dadurch erreicht werden, dass, genau so wie in E41/E42, eine weiche Folie mit sich kreuzenden Nutenscharen als Trägerplatte mit Klebematerial zwischen Wand und oberem Aufbau (z.B. Fliesen) vorgesehen werde: vgl. E41/E42, Figuren 6,8 und Absatz [0031]. Ein Verfüllen der rückwärtigen Nuten sei auch in Anspruch 1 wie erteilt in keiner Weise ausgeschlossen. Da ausgehend von E2 alle Merkmale des Anspruchs 1 mit Ausnahme der in E41/E42 offenbarten weiteren Nutenschar beschrieben seien, werde Anspruch 1 somit durch E41/E42 nahe gelegt. Dokument E41/42 sei für die Gegenseite nicht überraschend, da es im parallelen Verletzungsverfahren seitens der Beschwerdeführerin II selbst eingebracht worden sei, und daraufhin unmittelbar nach Bekanntwerden in das hiesige Verfahren eingeführt worden sei.

b) Die Beschwerdeführerin II erwiderte, E45 betreffe ein internes Gespräch zwischen zwei eng zusammenarbeitenden Parteien und sei selbstverständlich stillschweigend gewesen. Sie habe sich [im laufenden Verletzungsverfahren] auf ein internes Vorbenutzungsrecht berufen, da E45 und E46 geheime Unterlagen seien. Alle am Verteiler genannten Personen seien Mitarbeiter des Unternehmens und unterlägen der Vertraulichkeit. Mangels Offenkundigkeit stellten die Anlagen E45 und E46 zur besagten Besprechung mit der Fa. Dörken bezüglich etwaiger technischer Probleme bei der Herstellung einer modifizierten Trägerplatte somit keinen Stand der Technik dar.

Weiters betreffe E41/E42 lediglich eine Trägerfolie als verlorenen Putzträger mit im Einbauzustand beidseitig gefüllten Hohlräumen, eine Anregung für die Eignung der Folie als Entkopplungsmatte, so wie in Anspruch 1 des Patents gefordert, sei E41/E42 prima facie nicht entnehmbar. So sei in E41/E42 auch kein Gewebe oder Vlies zum Offenhalten der rückwärtigen Nuten beschrieben, um auf diese Weise die Entkopplungswirkung nach Anspruch 1 zu erzielen. Und schließlich hätte E41/E42 von der Beschwerdeführerin I rechtzeitig recherchiert werden müssen, und sei wegen dessen Verspätung nicht im Verfahren zu berücksichtigen.

VII.3 Neuheit

a) Die Beschwerdeführerin I argumentierte, dass unter einem "netzartigen Gewebe" gemäß Anspruch 1 in der nunmehr geänderten Beschreibung des Patents auch ein "Gittergewebe" (ohne textile Eigenschaften) verstanden werden solle, also z.B. ein "Drahtgittergewebe". Da Dokument E5 ein "grid", etwa in Form eines Drahtgittergewebes offenbare, sei in E5 zunächst ein "netzartiges Gewebe" nach Anspruch 1 offenbart. Darüber hinaus beschreibe E5 eine Trägerplatte aus folienartigem Kunststoff, denn die Platte werde mittels Formvorsprüngen eines flexiblen Vakuumformwerkzeugs geformt, also erhitzt, verformt und dann vom Werkzeug entfernt, vgl. E5, Figuren 1, 2 und Seite 6, Zeile 15. Die Platte der E5 müsse daher aus Kunststoff sein, dies gehe auch aus der Einleitung zum Stand der Technik auf Seite 1, dritter Absatz der E5 hervor. Daher sei E5 gegenüber Anspruch 1 neuheitsschädlich.

b) Die Beschwerdeführerin II erwiderte, dass unter einem "Gewebe" ein mit kreuzenden Fäden verwebtes Gebilde und kein Gitter zu verstehen sei, auch ein "Vlies" bilde kein Gitter. Weiters offenbare E5 auch keinen folienartigen Kunststoff als Material für die beschriebene Platte, denn E5 enthalte keinen Hinweis auf das verwandte Material, lediglich Probleme aufgrund der Hinterschneidungen der Platte bei deren Herstellung würden diskutiert. Aus den Formvorsprüngen des Werkzeugs ließe sich folienartiger Kunststoff für die Platte in E5 nicht ableiten, auch ein starres dünnes Metallblech könnte hierfür verwandt werden. Und schließlich sei in E5 eine Verputzplatte offenbart, um ein Verankerungsmittel für den aufgetragenen Putz zu schaffen, die in Anspruch 1 des Patents geforderte Entkopplung eines z.B. Bodenbelags sei E5 nicht entnehmbar. Anspruch 1 sei daher neu gegenüber E5.

VII.4 Erfinderische Tätigkeit

a) Die Beschwerdeführerin I argumentierte, dass, da Anspruch 1 keine näheren Angaben zum Erzielen der Entkopplung enthalte, jegliche Art von Entkopplung aus dem Stand der Technik entgegengehalten werden könne.

Dokument E1 beschreibe auf Seite 3, mittlerer Absatz, eine Drainageplatte im Wandbereich, die zur Verbesserung der Verklammerungsfähigkeit mit dem Belag oder Untergrund ein Vlies bzw. Textilgewebe vorsehe. Auch eine Entkopplungsfunktion könne in E1 durch die Platte übernommen werden. Hierbei seien die gezeigten Abkantungen an der Oberseite der gezeigten Stege völlig unerheblich, denn nur die Variation der Mörteldicke über der Plattenoberfläche sei entscheidend: dadurch würden bei geringen Mörtelüberdeckungen Sollbruchstellen aufgrund von Haarrissen bewirkt. Anspruch 1 unterscheide sich von E1 nur durch das Merkmal der Hinterschnitte an den nach oben ragenden Stegen der Strukturierung. Falls der Fachmann nun nach einer Alternative für die in E1 beschriebenen Verklammerungselemente suche, erhalte er unmittelbar aus Spalte 2, Zeilen 43 bis 57 der E2 die Anregung, dass anstatt eines grobmaschigen Netzvlieses an der Oberseite der Platte auch hinterschnittene schwalbenschwanzförmige Stege zur Verklammerung vorgesehen werden könnten, und gelange auf diese Weise naheliegend zum Gegenstand des Anspruchs 1.

Ausgehend von Dokument E2 seien gegenüber Anspruch 1 alle Merkmale außer einer weiteren Nutenschar in einer weiteren Richtung bekannt. So sei bereits in E2 selbst darauf hingewiesen, auch andere "dehnfähige" Richtungen für Nutenscharen vorzusehen, siehe E2, Spalte 2, Zeilen 43 bis 45. Falls nun der Fachmann nach einer alternativen Formgebung bei Drainageplatten suche, würde er auch E1 in Betracht ziehen, wo sich kreuzende Nuten in Form von wabenförmigen Strukturen angeregt seien, und gelange dadurch wieder zum Gegenstand des Anspruchs 1. Zur Lösung der gestellten Aufgabenstellungen ausgehend von E1 oder E2 würde der Fachmann die angeblich unterschiedlichen Entkopplungswirkungen in E1 und E2 nicht berücksichtigen, denn auch Anspruch 1 erfordere nur irgendeine Art der Entkopplung. Darüber hinaus sei Anspruch 1 ausgehend von E2 auch durch das allgemeine Fachwissen aus E41/E42 nahegelegt, da dort alternative Formgebungen, nämlich sowohl einscharig längsgestreckte, als auch sich kreuzende Nuten angeregt seien, siehe Figuren 5 und 7 bzw. 6 und 8 der E41/E42. Aber auch E15 zeigt, dass Nuten in verschiedene Richtungen unterbrochen werden können, und der Fachmann würde auch eine solche Anordnung ohne weiters nach E2 übernehmen. Zusammenfassend beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 daher auf keiner erfinderischen Tätigkeit.

b) Die Beschwerdeführerin II erwiderte, dass E1 und E2 zwei völlig verschiedene Entkopplungsprinzipien offenbarten. So erfolge in E1 eine Entkopplung durch Aufsprengen des über der Platte befindlichen Mörtels mittels Trennflächenscharen, wobei die Spannungen durch kleine Haarrisse an diesen Sollbruchstellen abgebaut, aber der aufliegende Plattenbelag nicht beschädigt werde. In E2 hingegen erfolge der Spannungsabbau zwischen Untergrund und dem Oberflächenbelag aufgrund der Verformbarkeit und Strukturierung der Platte, nämlich durch die dehnfähigen schwalbenschwanzförmigen Nuten an der Unterseite der Platte. Dieses Grundprinzip der E2 komme an die Erfindung nach Anspruch 1 heran, da die Spannungen innerhalb der eingebrachten Kunststoffplatte aufgenommen würden, jedoch im Gegensatz zum Patent nur in einer Richtung nach dem "Ziehharmonikaprinzip" quer zu den Nuten. Ausgehend von der Funktion der Struktur für die gewünschte Haarrissbildung an der Oberseite der Platte der E1, hätte der Fachmann daher keinerlei Anlass, die Oberseiten der Stege in E1 mit Hinterschnitten aus E2 zu versehen. Umgekehrt würde, ausgehend von E2, durch das Vorsehen einer starren Wabenstruktur nach E1, das Kernelement der E2, nämlich das vorteilhafte "Ziehharmonikaprinzip" zunichte gemacht werden und ist daher ebenfalls für den Fachmann nicht nahe gelegt. Und schließlich könne auch E41/E42, welche sich auf vollständig verfüllte Folien einer verlorenen Betonschalung beziehe, oder E15, die lediglich eine lose aufgelegte Matte zum Spannungsaufbau beschreibe, ausgehend vom Entkopplungsprinzip der E2 keinen Hinweis auf sich kreuzende Nutenscharen nach Anspruch 1 des Patents geben. Der Gegenstand des Anspruch 1 sei somit erfinderisch.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen

(Artikel 123(2) und (3) EPÜ)

Artikel 123(2) EPÜ

2.1 Die gestrichene Passage in Spalte 2, Zeilen 18 bis 21, des erteilten Patents betrifft nach Ansicht der Kammer ein zusätzliches, von der Ausgestaltung der Platte unabhängig auftretendes Bewegungsspiel zwischen Platte und Oberflächenbekleidung zufolge Schrumpfungsspalte im Mörtel im eingebauten Zustand. Ein Zusammenspiel mit den für die Entkopplungswirkung beschriebenen Merkmalen der ursprünglich offenbarten Trägerplatte selbst ist für die Kammer nicht erkennbar, und eine Streichung dieser Passage kann daher auch nicht zu in der Anmeldung nicht offenbarten neuen Entkopplungswirkungen der Merkmale der Platte führen. Die übrigen Änderungen in der Beschreibung sind der Anmeldung ebenfalls entnehmbar und wurden von der Beschwerdeführerin I auch nicht bestritten.

Artikel 123(3) EPÜ

2.2 Die in der Beschreibung erfolgten Änderungen können nach Ansicht der Kammer zunächst zu keiner anderen Interpretation des Anspruchs 1 führen, da sein Gegenstand als solcher für den Fachmann verständlich ist und daher keiner weiteren Interpretation aus der Beschreibung bedarf.

2.3 Der Vollständigkeit halber stellt die Kammer darüber hinaus fest, dass aus den zuvor unter Punkt 2.1 dieser Entscheidung angeführten Gründen das Wegfallen der aus Spalte 2 gestrichenen Schrumpfungsspalte entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin I auch zu keinem weiteren Verständnis z.B. der Dehnfähigkeit der folienartigen Trägerplatte führen kann. Das Ersetzen der Beschreibung in Spalte 2, Zeilen 8 bis 21 der Patentschrift durch die ursprüngliche Seite 3, Zeilen 8 bis 18 stellt somit keine Änderung dar, die zu einer anderen, etwa erweiterten, Auslegung des Schutzbereichs der Merkmale des erteilten Anspruchs 1 führen könnte. Auch das Ersetzen des Ausdrucks "Textilgewebe" in Absatz [0010], Spalte 3, Zeile 58 der Patentbeschreibung durch den ursprünglichen Ausdruck "Gittergewebe" auf Seite 6, Zeile 35 der Anmeldung, kann in keinem Fall eine Schutzbereichserweiterung, d.h. eine breitere fachmännische Auslegung des für sich genommen eindeutigen Merkmals (siehe Punkt 4.1 unten) "netzartiges Gewebe" im erteilten Anspruch 1 nach sich ziehen.

Daher erfüllen die Änderungen der Beschreibung die Erfordernisse der Artikel 123(2) und (3) EPÜ.

Die Kammer ist zudem der Auffassung, dass mit Nennung der E1 und der darin beschriebenen Drainageplatte mit ihren wabenförmigen Strukturelementen für einen Boden- oder Wandaufbau, der Stand der Technik in der Beschreibung hinreichend gewürdigt wurde (Regel 42(1) b) EPÜ).

3. Zulässigkeit verspäteter Beweismittel

3.1 Die Kammer folgt der Auffassung der Beschwerdeführerin II, wonach eine interne Besprechung für Entwicklungszwecke zwischen Auftraggeber und Hersteller (siehe Vermerk auf den Skizzen zu E45), die auf die Vorstellung eines neuen Produktes und dessen technische Umsetzbarkeit gerichtet ist, grundsätzlich als vertraulich einzustufen ist und daher stets der Geheimhaltung gegenüber unbeteiligten Dritten unterliegt. Die bloße Behauptung der Beschwerdeführerin I, wonach die Besprechung vom 29. März 1999 angeblich insbesondere gegenüber den im Verteilerkreis der Gesprächsnotiz E45 genannten Personen keiner Vertraulichkeit unterlag, reicht prima facie zur Substantiierung einer angeblich öffentlichen Zugänglichmachung der neuen "Noppenbahn" (verbesserte "DITRA-Bahn") aus dem Bericht E45 mit beigefügter Werkzeichnung E46 nach Ansicht der Kammer nicht aus. Der praktisch zweifelsfreie Nachweis für die Offenkundigkeit der Gesprächsnotiz E45 oblag der Einsprechenden/Beschwerdeführerin I. Eine Beweislastumkehr ist nach Auffassung der Kammer nicht allein dadurch gegeben, dass die Vorbenutzung der in E45 angesprochenen modifizierten "DITRA-Bahn" in die Sphäre der Patentinhaberin/Beschwerdeführerin II fällt. Eine Zulassung der angeblich offenkundigen Vorbenutzung basierend auf den Beweismitteln E45 und E46 gemäß Artikel 13 VOBK war daher nicht gerechtfertigt.

3.2 Wie von der Beschwerdeführerin I argumentiert, geht aus Anspruch 1 des Patents zunächst nicht hervor, auf welche Art und Weise die "Entkopplung" zwischen Untergrund und auf die Trägerplatte aufgebrachter Flächenbekleidung erreicht werden soll, insbesondere auch nicht, dass zu diesem Zweck das in Anspruch 1 genannte netzartige Gewebe oder Vlies ein Verfüllen der rückwärtigen Nuten der Trägerplatte verhindern soll. Da Dokument E41/E42 insbesondere in Absatz [0031] und den Figuren 6 und 8 eine weiche Trägerfolie mit sich kreuzenden (und auch hinterschnittenen) Nutenscharen zum Aufbringen von Fliesen an einer Wand als Trennschicht, also eine "Entkopplung" in Form einer Trennung zwischen Betonwand und Fliesenmörtel mittels Trägerfolie lehrt, wurde E41/E42, ausgehend von einscharigen Nuten der E2, für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 von der Kammer für prima facie relevant befunden, und in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13 VOBK ins Verfahren aufgenommen.

4. Neuheit

(Artikel 100 a) i.V.m. Artikel 54 EPÜ)

4.1 Wie von der Beschwerdeführerin II argumentiert, beschreibt das Merkmal "netzartiges Gewebe oder ein Vlies" in Anspruch 1 für den Fachmann klar verständlich entweder ein aus kreuzend gewebten Fäden oder aus wirr zusammengefügten Fasern begrenzter Länge hergestelltes Flächengebilde, und Bedarf im Gegensatz zur Ansicht der Beschwerdeführerin I nach Ansicht der Kammer somit auch keinerlei Interpretation aus der Beschreibung des Patents.

4.2 Dokument E5 hingegen offenbart ein Gitter ("grid 212") in allgemeiner Form. So dient die in E5 beschriebene Platte ("vaccum moulded plate 201") als Verputzträger ("plaster plate"), wobei der Verputz ("plaster 210") vollständig durch das Gitter dringt, um schließlich in den hohlen Vorsprüngen ("undercut hollow portion 206") der Platte verankert zu werden. Darüber hinaus ist E5 nach Ansicht der Kammer nicht zu entnehmen, aus welchem Material die Platte geformt wird, sondern lediglich dass die Formvorsprünge eines Werkzeugs ("moulding portion 5") zur Herstellung der hinterschnittenen Platte ("plate or web 1") aus flexiblen Material bestehen sollen, z.B. Gummi oder Kunststoff: siehe E5; Seite 5, Zeilen 23 bis 27; Seite 6, Zeilen 13 bis 15; und Figuren 1 und 2. Auch die Einleitung der E5 bezieht sich nur auf die Form vorbekannter Platten, nicht aber auf deren Material, vgl. E5, Seite 1, dritter Absatz. Nach Ansicht der Kammer sind in E5 daher weder ein folienartiger Kunststoff als Material für die Trägerplatte, noch ein netzartiges Gewebe oder Vlies an deren Unterseite unmittelbar und eindeutig offenbart. Ob nun die in E5 beschriebene Platte zudem eine "Entkopplung" als Trennplatte zwischen z.B. einem Untergrund und auf der Platte verlegtem Bodenbelag (vgl. E5: Anspruch 2) im Sinne des Anspruch 1 bewirkt, oder nicht, kann dahingestellt bleiben, denn auch Anspruch 1 des Patents ist in dieser Hinsicht nicht eindeutig, vgl. Punkt 3.2 dieser Entscheidung.

4.3 Der Gegenstand des Anspruchs 1 erfüllt somit die Erfordernisse der Neuheit gegenüber Dokument E5. Die Neuheit des Anspruchs 1 in Bezug auf den übrigen im Verfahren befindlichen Stand der Technik wurde von der Beschwerdeführerin I nicht bestritten und auch die Kammer hat keinen Anlass, diese anzuzweifeln.

5. Erfinderische Tätigkeit

(Artikel 100 a) i.V.m. Artikel 56 EPÜ)

Dokument E1

5.1 Dokument E1 betrifft eine folienartige Drainageplatte in Form eines tragfähigen Wabengitters mit nach unten offenen und sich kreuzenden Nutenscharen ("zum Untergrund hin offene Kanäle 11b, 12b, 13b"), vgl. E1: Seite 2, Zeile 33 bis Seite 3, Zeile 1; Seite 3, Zeilen 30 bis 37; und Figur 2 (Untersicht). Wie der E1 durchgehend entnehmbar, übernimmt die Drainageplatte abgesehen von deren erhöhter Aufstandsfläche und günstiger Abfuhr des Drainagewassers eine Entkopplungsfunktion bei ihrem Einsatz im Fußboden- oder Wandaufbau: Längenänderungen bei Spannungsauf- oder -abbau in der über der Platte angeordneten Mörtelschicht werden kompensiert, indem die Strukturelemente der Platte vordefinierte Schwächebereiche aufweisen, wodurch sich Trennflächenscharen im Ausmaß von Mikrohaarrissen ausbilden können.

Durch die Vielzahl der gleichmäßig an der Trägerplatte verteilten Strukturelemente wird ein gleichmäßiger Spannungsabbau über die gesamte Mörtelschicht erreicht. Größere durchgehende Risse, die z.B. starre Bodenbeläge zerreißen würden, können daher nicht auftreten. Hierzu weisen die "Strukturelemente 11, 12, 13" von deren "Oberseiten 11a, 12a, 13a" her abgekantete Bereiche auf, wodurch sich beim Aushärten des Mörtels und einer späteren Spannungsbelastung in vielfältiger Weise die gewünschten Haarrisse ausgehend von den Strukturelementen, insbesondere von deren abgekanteten Bereichen, ausbilden (vgl. E1; Seite 2, zweiter und dritter Absatz; Seite 3, erster Absatz; Seite 4, vorletzter Absatz; und Figur 1 (Draufsicht)).

Und schließlich wird in E1 vorgeschlagen, insbesondere um die Verwendbarkeit der Drainageplatte im Wandbereich zu begünstigen, auf einer oder beiden Seiten der Platte ein wasserdurchlässiges Vlies oder netzartiges Textilgewebe vorzusehen: dadurch soll die Verklammerungsfähigkeit beidseits der Platte mit dem Boden- bzw. Wandbelag oder dem Untergrund verbessert werden (vgl. E1, Seite 3, zweiter Absatz).

Dokument E2

5.2 Dokument E2 beschreibt eine wasserundurchlässige, zumindest in einer Vorzugsrichtung dehnfähige Kunststofffolie oder -platte, deren Vorderseite (z.B. zum Aufbringen der Spachtelschicht für eine Verkleidung aus Keramikplatten) mit Verklammerungselementen in Form einer einscharigen Profilierung aus zueinander parallelen, sich abwechselnden schwalbenschwanzförmigen "Stegen 41" und "Nuten 42" versehen ist, und an deren Rückseite (als Befestigung der Kunststofffolie auf dem Wand- oder Bodenuntergrund) als Verklammerungselement ein grobmaschiges Netzvlies vorgesehen ist (vgl. E2; Zusammenfassung; Figuren 1 und 3).

Bei der Aufbringung von Verkleidungen wie z.B. Keramikplatten an Wand- oder Bodenuntergrund treten Schäden in Form von Rissen oder Ablösungen der Verkleidung dann auf, wenn unterschiedliche Ausdehnungsspannungen in der Verkleidung und dem Untergrund auftreten (vgl. E2, Spalte 1, Zeilen 60 bis 66). In E2 erfolgt ein weitgehender Ausgleich dieser Spannungen innerhalb der eingebrachten Kunststoffplatte: Die Platte ist jeweils mit dem Untergrund (Rückseite der Platte) und zumindest teilweise mit der Verkleidung (Vorderseite der Platte) kraftschlüssig verbunden und lässt aufgrund ihrer Dehnfähigkeit zumindest in einer Vorzugsrichtung eine Verschiebung in sich zu. So verklammert sich der an der Unterseite verwendete Kleber bzw. Mörtel in ausreichender Weise an dem auf der Rückseite der Platte vorgesehenen Netzvlies und ist damit fest mit dem Wanduntergrund verbunden. Die zur Untergrundseite gerichteten Nuten (also unterhalb der "Stege 41") bilden in E2 auf diese Weise hohle Druckausgleichsräume: siehe E2, Figur 1. Auf der Vorderseite der Platte verklammert sich zum Anbringen der Verkleidung, z.B. eines Keramikbelags, die hierfür benötigte Spachtelmasse jeweils in den hinterschnittenen Nuten der Profilierung ("Nuten 42"): siehe E2, Figur 1. Auf diese Weise ist die Kunststoffplatte besonders in Querrichtung zu den Stegen und Nuten dehnfähig und nimmt daher entsprechende Spannungen aus dem Untergrund auf, überträgt sie aber nicht auf die äußere Verkleidung (vgl. E2, Spalte 3, Zeilen 1 bis 21 und Zeilen 31 bis 43). Dieses in E2 gelehrte "Ziehharmonikaprinzip" dient der Entkopplung der Scherkräfte und damit dem Spannungsabbau zwischen dem Untergrund und der auf die folienartige Platte aufzubringenden Flächenbekleidung, vgl. auch Patent, Absätze [0003] und [0004] zum Stand der Technik E2.

Argumentationslinien

5.3 Die Parteien stimmen darin überein, dass sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von der Offenbarung aus E1 dadurch unterscheidet, dass entlang der oberen Kanten der durch die "Strukturelemente 11, 12, 13" gebildeten Stege der Trägerplatte Hinterschnitte anstatt der von der Oberseite der Stege her abgekanteten Bereiche vorgesehen sind.

Ausgehend von E1 würde der Fachmann, entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin I, die in E2 beschriebenen Verklammerungselemente in Form von hinterschnittenen schwalbenschwanzförmigen Stegen auf die wabenförmigen "Strukturelemente 11, 12, 13" als Alternative Verklammerung zu dem in E1 beschriebenen Vlies oder netzartigen Textilgewebe jedoch nicht übertragen, da er von dem zentralen Element erwünschter Haarrisse in der Mörtelschicht zur Entkopplung von Spannungen und den hierfür jedenfalls vorteilhaft gelehrten Abkantungen an den Rändern der wabenförmigen Stege nicht abgehen würde (vgl. Punkt 5.1 dieser Entscheidung). Ob zur Ausbildung der in E1 gelehrten Sollbruchstellen in Form von Haarrissen zudem auch eine geringe Mörteldicke über den wabenförmigen Mörtelstelzen der Drainageplatte dienen kann (siehe E1; Seite 4, Zeilen 13 bis 16; und Figur 1 (Draufsicht)), wie von der Beschwerdeführerin I angeführt, oder nicht, sei hierbei dahingestellt, vgl. den in E1 beschriebenen Stand der Technik auf Seite 2 der E1, Zeilen 4 bis 16. E1 enthält nach Ansicht der Kammer keinerlei Hinweis, dass etwa bei relativ geringen Mörtelüberdeckungen die Abkantungen an den Strukturelementen der E1 zur Erzielung von Haarrissen entfallen könnten.

5.4 Darüber hinaus unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1, wieder in Übereinstimmung mit den Parteien, ausgehend von den zur Untergrundseite hin gerichteten einscharigen parallen Nuten unterhalb der "Stege 41" in E2, durch das Vorsehen einer weiteren Schar aus die Schar der E2 durchgehend kreuzenden Nuten an der Unterseite der folienartigen Trägerplatte. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin I würde der Fachmann ausgehend von dem Entkopplungsprinzip eines Spannungsausgleichs innerhalb der eingebrachten Kunststoffplatte durch deren Dehnfähigkeit in einer Vorzugsrichtung quer zu den einscharigen Nuten, nämlich dem in E2 als Kernelement gelehrten "Ziehharmonikaprinzip" (vgl. Punkt 5.2 dieser Entscheidung), zwei sich kreuzende Nutenscharen in Form von Waben aus E1 als alternative Formgebung nicht in Betracht ziehen, denn eine Dehnbarkeit der Wabenstruktur ist in E1 nirgends offenbart. Im Gegenteil, da die Entkopplung von Scherkräften zwischen Untergrund und Belag ausschließlich durch die Bildung von Haarrissen in der Mörtelschicht oberhalb der Platte erfolgt, ist diese als stabile Platte mit wabenförmigen und somit steifen Strukturelementen ausgeführt (vgl. Punkt 5.1 dieser Entscheidung). Selbst unter der Annahme, dass die Angabe in E2, wonach deren Kunststoffplatte "zumindest in einer Vorzugsrichtung dehnfähig ist" (siehe E2: Spalte 2, Zeilen 44 und 45), einen Hinweis auf eine multidirektionale Dehnfähigkeit geben könnte (was nach Ansicht der Kammer E2 nirgends zu entnehmen ist) kann E1 entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin I keinerlei Anregung liefern, anstatt einer steifen Wabenstruktur eine in sich dehnfähige folienartige Kunststoffplatte mit sich kreuzenden Nutenscharen vorzusehen, um dadurch zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen.

5.5 Wie von der Beschwerdeführerin II dargelegt, offenbaren E1 und E2 zwei völlig verschiedene Entkopplungsprinzipien. Dabei ist nach Ansicht der Kammer unerheblich, dass die in Anspruch 1 geforderte Entkopplungswirkung in ihrer Art und Weise nicht eindeutig beschrieben ist. Sobald der Fachmann den nächstliegenden Stand der Technik gewählt hat, ist er an dessen Offenbarung bzw. Lehre gebunden, im vorliegenden Fall an die jeweils verschiedenen Entkopplungsprinzipien der E1 oder E2.

5.6 Und schließlich würde der Fachmann, ausgehend von E2, auch nicht die alternativen Formgebungen der in den Figuren 6 und 8 der E41/E42 gezeigten kreuzenden Nutenscharen in Betracht ziehen, da E41/E42 keine Entkopplung von Spannungen zwischen Untergrund und Flächenbekleidung mittels einer flexiblen, dehnfähigen Folie betrifft, sondern eine starr in Beton eingegossene Trennfolie als verlorene Schalung einer Betonwand: siehe E41/E42, Absatz [0031] und Figur 3. Auch die E15 kann, ausgehend von E2, zunächst keine Anregung zu, so wie in Anspruch 1 des Patents gefordert, sich durchgehend kreuzenden Nutenscharen geben, denn die Profilbahnen mit Scharen von nach oben offenen Kanälen werden von nach unten offenen Kanälen unterbrochen: siehe E15, Seite 10 erster Absatz, und Figuren 5 und 7. Abgesehen davon wird in E15 zur Entkopplung von Scherkräften des Fliesenbelags die Profilbahn nur lose auf der Abdichtschicht des Untergrundes aufgesetzt (vgl. E15, Seite 2, letzter Absatz), und würde für die in E2 vorgeschlagene Entkopplung daher vom Fachmann ebenfalls nicht in Betracht gezogen.

5.7 Das Vorbringen der Beschwerdeführerin I zur erfinderischen Tätigkeit, basierend auf den ansonsten im Verfahren genannten Dokumenten, wurde seitens der Beschwerdeführerin I in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nicht mehr weiterverfolgt. Auch die Kammer hat keinen Anlass, die erfinderische Tätigkeit des Anspruchs 1 im Licht dieser nicht weiterverfolgten Dokumente anzuzweifeln.

Durch die in Anspruch 1 aus dem Stand der Technik nicht nahe gelegte Merkmalkombination wird mittels einer Trägerplatte aus folienartigem Kunststoff eine Entkopplung zwischen dem Untergrund und der auf die folienartige Platte aufzubringende Flächenbekleidung erzielt. Diese Entkopplung kann nach einem Ausführungsbeispiel des Patents dem Abbau von Scherkräften zwischen Untergrund und Belag dienen, und kann einerseits durch die Ausbildung von Trennflächenscharen in der oben liegenden Mörtelschicht an den zahlreichen Kanten und Ecken der die Kammern bildenden Ausprägungen, und andererseits durch die zumindest in geringem Maße dehnfähige Folie der Trägerplatte infolge kreuzender Nuten in zwei Richtungen (multidirektional) bewirkt werden (vgl. Patent, Absätze [0006] und [0014]).

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz

mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geänderter Fassung mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

1) Ansprüche 1-4 und Figuren 1-4 wie erteilt;

2) Beschreibung, Spalten 1-5 wie in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 17. März 2010 eingereicht.

Quick Navigation