T 0534/11 (Rotationsdüse / REINING CHRISTIAN) of 11.11.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T053411.20141111
Datum der Entscheidung: 11 November 2014
Aktenzeichen: T 0534/11
Anmeldenummer: 03090428.8
IPC-Klasse: B01D 46/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Filtervorrichtung mit einem Filterschlauch und einer Reinigungseinrichtung für den Filterschlauch
Name des Anmelders: Reining, Christian
Name des Einsprechenden: FilterCare GmbH
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54(2)
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 123(3)
European Patent Convention Art 117(1)(d)
European Patent Convention R 112(1)
European Patent Convention Art 112(1)(a)
Guidelines for examination in the EPO C-V 3.1(2)
Schlagwörter: Neuheit - offenkundige Vorbenutzung (ja)
Neuheit - Geheimhaltungsverpflichtung (nein)
Beweisaufnahme - Beweisbeschluss
Beweisaufnahme - Zeugenvernehmung
Beweisaufnahme - offenkundige Vorbenutzung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0793/93
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent EP-B-1 543 872 wurde im Einspruchsverfahren mit der Begründung widerrufen, dass der Anspruch 1 über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus unzulässig erweitert (Artikel 123(2) EPÜ) und zudem unklar sei (Artikel 84 EPÜ).

II. Die folgenden Dokumente wurden u.a. im Einspruchsverfahren genannt:

Anlage 2: Fotos "Rotationsdüse"

Anlage 3: Zeichnungen "Hochdruckdüsenkopf"

Anlage 4: Schreiben Fa. Merrem & laPorte BV, 19. Mai 2000

Anlage 5: Rechnung FilterCare an Fa. Merrem & laPorte BV, 2. Juli 2000

Anlage 6: Schreiben Fa. Merrem & laPorte BV, 28. Juni 2007

Anlage 7: Rechnung FilterCare an Nickelhütte Aue GmbH, 7. Februar 2000

Anlage 8: Schreiben an Nickelhütte Aue, 29. Juni 2007

III. Die Beschwerde des Patentinhabers (Beschwerdeführers), eingelegt mit Schreiben vom 23. Februar 2011, richtet sich gegen die besagte Widerrufsentscheidung der Einspruchsabteilung. Die Beschwerdebegründung vom 4. März 2011 enthielt die Argumente des Beschwerdeführers sowie neue Ansprüche 1 bis 5 als Hauptantrag. Die Hilfsanträge 1 und 2 wurden mit Schreiben vom 15. März 2011 eingereicht.

Mit einer weiteren Eingabe vom 2. Mai 2012 reichte der Beschwerdeführer neue Ansprüche in der Form eines dritten Hilfsantrags ein. Es wurde beantragt, der Großen Beschwerdekammer gewisse Fragen zur Entscheidung gemäß Artikel 112(1) EPÜ vorzulegen. Die von der Beschwerdegegnerin geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung der Erfindung wurde bestritten (Schreiben vom 16. Oktober 2012).

Mit Schreiben vom 2. Oktober 2014 zog der Beschwerdeführer den bisherigen Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 und 2 zurück und machte den bisherigen dritten Hilfsantrag vom 2. Mai 2012 zum Hauptantrag.

IV. Die Erwiderung der Beschwerdegegnerin (Einsprechenden 2) auf den Beschwerdeschriftsatz ging mit Schreiben vom 21. Juli 2011 ein. Zur Stützung ihres Vorbringens einer offenkundigen Vorbenutzung wurde Zeugenbeweis angeboten. Des weiteren beantragte die Beschwerdegegnerin, der Grossen Beschwerdekammer eine bestimmte Frage zur Entscheidung gemäß Artikel 112(1) EPÜ vorzulegen.

Weitere Argumente gingen mit den Schreiben vom 20. August 2012, vom 18. Dezember 2012 und vom 10. Oktober 2014 ein.

V. Eine Mitteilung der Beschwerdekammer gemäß Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) erging am 17. März 2014. Sie enthielt eine vorläufige Stellungnahme der Kammer zu den aufgeworfenen Fragen.

Am 2. April 2014 fasste die Kammer eine Entscheidung über eine Beweisaufnahme nach Regel 117 EPÜ (Beweisbeschluss) durch Zeugeneinvernahme. Für die mündliche Verhandlung wurden die drei namhaft gemachten Zeugen geladen. Die genauen Tatsachenkomplexe, zu denen die Zeugen befragt werden sollten, gehen aus dem Beweisbeschluss hervor, der den Beteiligten zugestellt wurde.

VI. Am 11. November 2014 fand eine mündliche Verhandlung statt.

Der Beschwerdeführer reichte einen geänderten Anspruch 1 als neuen Hauptantrag ein. Dieser basiert auf Anspruch 1 des bisherigen Hauptantrags (bzw. auf dem dritten Hilfsantrag vom 2. Mai 2012) und lautet:

"Filtervorrichtung mit wenigstens einem Filterschlauch (3) zwischen einer Rohgasseite und einer Reingasseite, wobei jeder Filterschlauch (3) einen Schlauchkörper (3.1) mit einer Längsachse und einem ersten Ende mit einer Schlauchöffnung (3.2) aufweist, der in einer Öffnung (5) einer Kopfplatte (7) eingespannt ist, und mit einer Reinigungseinrichtung (13) mittels gasförmigem Druckfluid, die einen Düsenkopf (13.2) mit einer Mehrzahl von Düsen (13.3) zur Abgabe des Druckfluids aufweist, die tangential zur Reinigungseinrichtung (13) angeordnet sind und bei Betätigung die Reinigungseinrichtung (13) in eine Drehung um ihre Längsachse versetzen, wobei die Reinigungseinrichtung (13) durch die Schlauchöffnung (3.2) in den Filterschlauch (3) eingreift und während der Betätigung der Düsen (13.3) in Längsrichtung jedes Filterschlauchs (3) auf der Längsachse über die gesamte Länge des Schlauchkörpers (3.1) bewegbar angeordnet ist und in dem Schlauchkörper (3.1) eine Druckwelle erzeugt, die sich in Bewegungsrichtung der Reinigungsvorrichtung (13) von der Schlauchöffnung (3.2) zu einem freien Ende des Schlauchkörpers (3.1) fortsetzt."

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 5 wurden gestrichen.

Ein im schriftlichen Verfahren hilfsweise gestellter Antrag auf Vorlage gewisser Fragen an die Große Beschwerdekammer gemäß Artikel 112(1) EPÜ wurde vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung nicht aufrecht erhalten.

VII. Bezüglich der Details der Einvernahme der Zeugen G. Spies und Krieger am 11. November 2014 wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, insbesondere auf die Anlage dazu, verwiesen.

VIII. Der Beschwerdeführer argumentierte im Wesentlichen wie folgt:

Zum erstinstanzlichen Verfahren:

Die Einspruchsabteilung habe in der angefochtenen Entscheidung das Patent widerrufen, ohne vorher einen Prüfungsbescheid zu übersenden. Dies sei überraschend erfolgt und stelle einen Verstoß gegen Artikel 101(1) EPÜ in Verbindung mit Regel 81 EPÜ dar.

Zur Ausführbarkeit:

Für die Erfindung sei nicht wesentlich, ob eine Druckwelle mit der Bewegung der Reinigungseinrichtung mitwandere oder unabhängig von der Bewegung der Reinigungseinrichtung im Schlauchköroper entlang laufe (sich fortsetze). Beide Varianten hätten auf den auf der Rohgasseite anhaftenden Schmutz die gleiche Wirkung.

Zur offenkundigen Vorbenutzung:

Der Beschwerdeführer zog die Glaubwürdigkeit der Zeugen in Zweifel; diese seien möglicherweise beeinflusst worden und hätten nur vorformulierte Sachverhalte bestätigt, ohne eigene Ausführungen zu machen.

Die Ausführungen der beiden Zeugen stimmten zwar in einigen Punkten überein, in anderen aber wieder nicht, so z.B. in der Aussage darüber, ob die Rotationsdüse während des Wechselns von einem Filterschlauch zum nächsten kontinuierlich mit Druckluft beaufschlagt gewesen sei. Es sei ungewöhnlich, dass eine neue Technologie, wie die Filterabreinigung mittels Rotationsdüsen, beim Kunden erstmals von einem Vertriebsmann, und nicht von einem Techniker eingesetzt worden sei, der auch keine praktische Einschulung erhalten habe.

Während der mündlichen Verhandlung bestritt der Beschwerdeführer, dass die Vorbenutzungshandlung ohne eine zumindest implizite Geheimhaltungsverpflichtung stattgefunden habe. Dies sei bei der Vorstellung neuer Technologien beim Kunden sonst üblich.

Der Beschwerdeführer könne in den Abbildungen der Anlage 2 keine tangential ausgerichteten Düsen erkennen. Es bestehe überdies ein Unterschied zwischen den Fotos und der Konstruktionszeichnung gemäß Anlage 3. Die auf den Fotos abgebildete Rotationsdüse solle sich seit dem Jahr 2000 im Einsatz befinden haben, was schwer vorstellbar sei.

IX. Die Beschwerdegegnerin argumentierte im Wesentlichen wie folgt:

Zur Ausführbarkeit:

Das Merkmal, das sich auf die Druckwellenerzeugung beziehe, sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann es ausführen könne. Es bleibe aus der Beschreibung offen, was überhaupt mit dem Begriff "Druckwelle" gemeint sei, nämlich eine bloße ringförmige Ausbeulung des Schlauchkörpers (strichpunktiert in Figur 1 angedeutet) oder aber eine andere, sich selbständig in Richtung auf das freie Ende des Schlauchkörpers bewegende Druckwelle. Der Beschwerdeführer habe erklärt, die Erzeugung einer Druckwelle setze voraus, dass das Druckfluid kontinuierlich abgegeben werde. Eine solche Lehre sei jedoch ursprünglich nicht offenbart.

Zur Neuheit:

Offenkundige Vorbenutzungen: Die Beschwerdegegnerin macht die offenkundige Vorbenutzung einer Filtervorrichtung samt Reinigungseinrichtung mit den Merkmalen des Streitpatents geltend. Es handele sich bei der Reinigungseinrichtung um das in Anlage 2 dargestellte, als "Rotationsdüse" bezeichnete Bauteil, das zur Reinigung von Filterschläuchen verwendet worden sei. Diese Rotationsdüse weise neben radial ausgerichteten auch tangential ausgerichtete Düsen auf, die im Betrieb eine Rotation des Düsenkopfes bewirkten. Am 26. Januar 2000 seien 420 Stück Filterschläuche bei der Fa. Nickelhütte Aue GmbH, in Aue, DE, unter Verwendung des in den Anlagen 2 und 3 dargestellten Rotations-Düsenkopfes gereinigt worden. Als Beweis dienten die Rechnung vom 7. Februar 2000 (Anlage 7) sowie die Aussage von Zeugen. In der Anlage 7 werde bestätigt, dass die Reinigung mit Hilfe eines

rotierenden Düsenkopfes durchgeführt worden sei. Eine weitere Reinigung von Filterschläuchen mit Hilfe derselben Technik habe am 26. Juni 2000 durch die Beschwerdegegnerin im Auftrag der Fa. Merrem & la Porte B.V., Zaltbommel, NL, bei der Firma Avfal Terminal Moerdijk in Moerdijk, NL, stattgefunden (siehe Anlagen 4 und 5 bzw. Zeugenbeweis). In den Jahren 2000 und 2001 schließlich habe die Firma Merrem & la Porte B.V. bei der Firma Alcan Aluchemie in Rotterdam und bei der

Firma Abbott Reinigungen durchgeführt, wofür die Beschwerdegegnerin ebenfalls den Düsenkopf gemäß Anlagen 2 und 3 zur Verfügung gestellt habe (siehe Anlage 6). Dafür werde ebenfalls Zeugenbeweis angeboten.

Alle diese Vorbenutzungshandlungen hätten ohne jede Verpflichtung zur Geheimhaltung stattgefunden.

X. Anträge:

Der Beschwerdeführer beantragte in der mündlichen Verhandlung, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Streitpatent auf der Grundlage des einzigen Patentanspruchs, eingereicht während der mündlichen Verhandlung, aufrechtzuerhalten.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen. Hilfsweise beantragte sie, der Großen Beschwerdekammer folgende Frage gemäß Artikel 112 Absatz 1 EPÜ zur Entscheidung vorzulegen:

"Darf ein im Einspruchsverfahren beschwerdeführender Patentinhaber, der sein Patent vor der Einspruchsabteilung mit seinem einzigen Hauptantrag nur in einer gegenüber der erteilten eingeschränkten Fassung verteidigt hat, im Beschwerdeverfahren auf eine gegenüber dieser Fassung erweiterte (bis hin zur erteilten) Fassung zurückgreifen oder ist er im Beschwerdeverfahren auf die vor der Einspruchsabteilung zuletzt verteidigte Fassung beschränkt, so dass ihm allenfalls Einschränkungen dieser Fassung möglich sind?"

Entscheidungsgründe

1. Änderungen (Artikel 123(2) und (3) EPÜ)

1.1 Artikel 123(2) EPÜ

Bezüglich des Merkmals in Anspruch 1

"... Druckwelle ..., die sich in Bewegungsrichtung der Reinigungsvorrichtung (13) von der Schlauchöffnung (3.2) zu einem freien Ende des Schlauchkörpers (3.1) fortsetzt" hat die Beschwerdegegnerin eingewandt, dass keine Grundlage in den ursprünglichen Unterlagen vorhanden sei. Die Textstelle auf Seite 4, Zeilen 4 bis 8, offenbare nur eine Druckwelle, die sich zu einem "freien Ende des Filterschlauches" fortpflanze, was aber nicht dasselbe sei.

Die Kammer vermag dem Einwand nicht zu folgen, da offenbar das freie Ende das Schlauchkörpers auch das freie Ende des Filterschlauches darstellt, so dass sinngemäß keine unzulässige Erweiterung vorliegt.

Ein weiterer Einwand betrifft das Merkmal in Anspruch 1, wonach die "Reinigungseinrichtung ... in dem Schlauchkörper eine Druckwelle erzeugt".

Ursprünglich offenbart sei nur, dass eine kontrollierte Druckwelle erzeugt werde, wenn das Druckfluid aus den Düsen austrete (siehe Seite 4 oben und Anspruch 4). Die Kammer hält den Einwand nicht für stichhaltig, da dem verständigen Leser klar ist, dass die Druckwelle von den Düsen (genau genommen vom austretenden Druckfluid) erzeugt wird.

Ein weiterer Einwand betrifft das Merkmal in Anspruch 1, dass "eine Mehrzahl von Düsen ... bei Betätigung ... die Reinigungseinrichtung (13) in eine Drehung um ihre Längsachse versetzen". Auch dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Die ursprüngliche Beschreibung, Seite 3, Zeilen 36 und 37, offenbart im Zusammenhang mit Figur 1, dass die Reinigungs­einrichtung eine Längsachse aufweist, die in etwa mit einer Längsachse des Schlauchkörpers zusammenfällt oder parallel dazu liegt. Um diese Achse rotiert die Reinigungseinrichtung bei Betätigung der Düsen, wie man Figur 1 entnimmt.

Gemäß einem weiteren Einwand sei nicht ursprünglich offenbart, dass "die Reinigungseinrichtung ... während der Betätigung der Düsen (13.3) in Längsrichtung jedes Filterschlauchs (3) auf der Längsachse über die gesamte Länge des Schlauchkörpers (3.1) bewegbar angeordnet" sei. Die Offenbarung auf Seite 4, Zeilen 1 und 2, betrifft in der Tat nur die bewegliche Anordnung, nicht aber einen Zusammenhang mit der Betätigung der Düsen. Gleiches gilt für Seite 2, Zeilen 18 bis 22. Jedoch ist für den Fachmann klar, dass die Tatsache der Beweglichkeit der Reinigungseinrichtung als solcher nichts mit dem Zustand der Betätigung oder Nichtbetätigung der Düsen zu tun hat, so dass die Kammer hier keinen Verstoß gegen Artikel 123(2) EPÜ erblicken kann.

Schließlich meint die Beschwerdegegnerin noch eine unzulässige Erweiterung darin zu erkennen, dass laut dem Anspruch "die Druckwelle sich in Bewegungsrichtung der Reinigungseinrichtung von der Schlauchöffnung (3.2) zu einem freien Ende des Schlauchkörpers (3.1) fortsetze". Zwar basiere dieses Merkmal auf dem ursprünglichen Anspruch 4, es stehe jedoch im Gegensatz zur Beschreibung, Seite 5, erster Absatz. Die Kammer sieht aber keinen derartigen Widerspruch, da auch die Beschreibung, l.c., dieselbe Bewegungsrichtung "entsprechend von oben" offenbart.

1.2 Artikel 123(3) EPÜ

Gemäß einem Einwand der Beschwerdegegnerin werde die Reinigungseinrichtung bei Betätigung derselben in eine Drehung um ihre Längsachse versetzt, der direkte Bezug auf die Betätigung der Düsen als Ursache für die Drehung sei aber gegenüber dem erteilten Anspruch weggefallen. Der Einwand ist nach Ansicht der Kammer nicht stichhaltig, weil sich der Ausdruck "bei Betätigung" auf die "Mehrzahl von Düsen" bezieht, nicht aber auf die "Reinigungseinrichtung".

Der vorliegende Patentanspruch genügt also den Erfordernissen des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ.

2. Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)

2.1 Der Einwand der Beschwerdegegnerin ist im Wesentlichen, dass das Merkmal, das sich auf die Druckwellenerzeugung bezieht, nicht so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann die beanspruchte Erfindung ausführen kann. Es bleibe aus der Beschreibung offen, was überhaupt mit dem Begriff "Druckwelle" gemeint sei, nämlich möglicherweise eine bloße ringförmige Ausbeulung des Schlauchkörpers (strichpunktiert in Figur 1 angedeutet) oder aber eine andere, sich selbständig in Richtung auf das freie Ende des Schlauchkörpers bewegende Druckwelle.

Der Beschwerdeführer habe im Schreiben vom 12. Dezember 2007 (Seite III) erklärt, dass die Erzeugung einer Druckwelle voraussetze, dass das Druckfluid kontinuierlich abgegeben werde. Eine solche Lehre sei jedoch nicht ursprünglich offenbart.

2.2 Nach Auffassung der Kammer ist die im Anspruch beschriebene Druckwelle, "die sich in Bewegungsrichtung der Reinigungsvorrichtung (13) von der Schlauchöffnung (3.2) zu einem freien Ende des Schlauchkörpers (3.1) fortsetzt", nur das zwangsläufige Resultat des Auftreffens eines oder mehrerer rotierenden Strahlen des gasförmigen Druckfluids auf die flexible Wandung des Filterschlauchs bzw. des Schlauchkörpers. In dem Maße, wie die Reinigungseinrichtung und mit ihr der rotierende Düsenkopf in den Schlauchkörper abgesenkt werden, setzt sich die Druckwelle (bzw. die Deformation des Schlauchkörpers) von der Schlauchöffnung zum unteren, freien Ende des Schlauchkörpers fort.

Es bedarf also nach Ansicht der Kammer keiner möglicherweise nicht offenbarten zusätzlichen Maßnahmen, um die beschriebene Druckwelle zu erzeugen, so dass die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ erfüllt sind.

Noch weitergehende Erläuterungen dazu sind nicht vonnöten, da das Streitpatent aus den weiter unten angegebenen Gründen keinen Bestand hat.

3. Neuheit

3.1 Dokumente

Neuheitsschädliche druckschriftliche Entgegenhaltungen wurden nicht genannt und sind der Kammer auch nicht bekannt geworden.

3.2 Offenkundige Vorbenutzung

3.2.1 Beschwerdegegnerin und Beschwerdeführer

(A) Die Beschwerdegegnerin macht die offenkundige Vorbenutzung einer Filtervorrichtung mit Filterschläuchen samt Reinigungseinrichtung mit den Merkmalen des Streitpatents geltend. Diese Reinigungseinrichtung umfasse das in den Anlagen 2 und 3 dargestellte, als "Rotationsdüse" bzw. "Hochdruckdüsenkopf" bezeichnete Bauteil, das zur Reinigung von Filterschläuchen verwendet worden sei.

(1) Laut Beschwerdegegnerin weist diese Rotationsdüse neben radial ausgerichteten auch tangential ausgerichtete Düsen auf, die im Betrieb eine Rotation des Düsenkopfes bewirken.

(2) Am 26. Januar 2000 seien 420 Stück Filterschläuche bei der Fa. Nickelhütte Aue GmbH in Aue, DE, unter Verwendung einer in den Anlagen 2 und 3 dargestellten Rotationsdüse gereinigt worden. Zum Beweis dienten die Rechnung vom 7. Februar 2007 (Anlage 7) sowie die Aussage von Zeugen. In Anlage 8 werde kundenseitig bestätigt, dass die Abreinigung der Filterschläuche mit Hilfe eines Rotationsdüsenkopfs durchgeführt worden sei.

(3) Diese Vorbenutzungshandlung habe ohne jede Verpflichtung zur Geheimhaltung stattgefunden.

(B) Der Beschwerdeführer zog die Glaubwürdigkeit der Zeugen in Zweifel und argumentierte, diese seien möglicherweise beeinflusst worden. Der Beschwerdeführer könne in den Abbildungen der Anlage 2 keine tangential ausgerichteten Düsen erkennen. Es bestehe überdies ein Unterschied zwischen den Fotos gemäß Anlage 2 und den ­Zeichnungen gemäß Anlage 3.

3.2.2 Rechtsprechung

Gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern und gemäß den Richtlinien für die Prüfung im EPA, C-V 3.1.2 sind bei der Geltendmachung der Benutzung eines Erzeugnisses oder Verfahrens als Stand der Technik im Einzelnen festzustellen:

i) der Zeitpunkt der Benutzung;

ii) was benutzt wurde; sowie

iii) die Umstände der Benutzungshandlung, insbesondere ob und inwieweit die Öffentlichkeit Zugang und Kenntnis davon hatte und ob diese Kenntnis frei verwertbar bzw. verbreitbar war.

Um eine Vorbenutzung zu beweisen, sind die entsprechenden patentschädlichen Tatsachen i), ii) und iii) zur Überzeugung der Kammer glaubhaft zu machen, d.h. lückenlos nachzuweisen (siehe T 793/93, vom 27. September 1995, Entscheidungsgründe 2.1).

3.2.3 Würdigung des schriftlichen Beweismaterials

Nach Auffassung der Kammer geht aus der Abbildung in Anlage 2 nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit hervor, ob einige der Düsen tangential ausgerichtet sind und folglich geeignet wären, den Düsenkopf im Betrieb in Rotation zu versetzen. Auch Anlage 3 gibt dazu keine Auskunft. Die vorgelegten Fotos und Zeichnungen zeigen überdies nicht eindeutig, ob der Düsenkopf drehbar ist, wie von der Beschwerdegegnerin behauptet wird. Die Zeichnungen in Anlage 3 sind zwar bemaßt, aber nur skizzenhaft ausgeführt und als Konstruktions­unterlagen ungeeignet. Allerdings ist in Anlage 8 von einem "Rotations-Düsenkopf" die Rede und in Anlage 6 von einer "Rotationsdüse", was das Vorbringen der Beschwerdegegnerin insoweit stützt.

Da die Anlagen 2 und 3 undatiert sind, bleibt zunächst offen, ob die laut Anlagen 6 und 8 vorbenutzte Rotationsdüse der in den Anlagen 2 und 3 dargestellten Düse entspricht (bzw. mit dieser baugleich ist).

Da aufgrund des schriftlichen Vorbringens der Beschwerdegegnerin allein also nicht alle Zweifel ausgeräumt werden konnten, die behaupteten Vorbenutzungshandlungen andererseits ausreichend substantiiert waren, war es erforderlich, die Aussagen der namhaft gemachten Zeugen einzuholen (Artikel 117 (1)d) und Regel 117 EPÜ).

3.2.4 Würdigung der Zeugenaussagen

(1) Die Zeugen

Während der mündlichen Verhandlung wurden zur Vorbenutzung bei Fa. Nickelhütte Aue zwei Zeugen befragt, nämlich Herr G. Spies, technischer Vertriebsmitarbeiter der Beschwerdegegnerin, die die Reinigungsarbeiten durchführte, und der Leiter der Metallurgie bei Fa. Nickelhütte Aue GmbH, Herr Krieger. Letzterer leitete u.a. den Betrieb der zu reinigenden Schlauchfilteranlagen.

(2) Die Zeugenaussagen

Im Folgenden wird auf die einzelnen Protokollpunkte der Zeugenaussagen laut Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen. Davon beziehen sich die Punkte 1 bis 47 auf die Zeugenaussage des Zeugen G. Spies und die Punkte 48 bis 90 auf die Zeugenaussage des Zeugen Krieger.

a) Zeitpunkt der Vorbenutzung

Als Zeitpunkt für die Vorbenutzungshandlung bei Fa. Nickelhütte Aue wurde von den Zeugen übereinstimmend das Jahr 2000 angegeben (siehe Punkte 30, 50 und 71). Dies blieb unwidersprochen und deckt sich mit den Angaben in der zugehörigen Rechnung der Beschwerdegegnerin laut Anlage 7 und mit dem Inhalt des Schreibens Anlage 8.

Damit steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die behaupteten Vorbenutzungshandlungen jedenfalls vor dem Prioritätstag des Streitpatents (10. Dezember 2003) stattgefunden haben müssen.

b) Vorbenutzungshandlung

Es blieb unbestritten, dass die Fa. Nickelhütte Aue eine Filtervorrichtung betrieb, die mit einer Vielzahl von Filterschläuchen zwischen einer Rohgasseite und einer Reingasseite versehen war, wobei jeder Filterschlauch einen Schlauchkörper mit einer Längsachse und einem ersten Ende mit einer Schlauchöffnung aufwies, der in einer Öffnung einer Kopfplatte eingespannt war. Die Schlauchfilteranlage entsprach also insofern dem Anspruchsgegenstand. Die Filterschläuche selbst bezog man von der Firma Gutsche und später von der Beschwerdegegnerin (vgl. Punkte 53 und 49).

Der bei der Abreinigung der Filterschläuche im Jahre 2000 persönlich anwesende Zeuge Krieger sagte aus, dass das dabei zu verwendende Reinigungsgerät (die Rotationsdüse) von Mitarbeitern der Beschwerdegegnerin, von denen einer der Zeuge G. Spies war (Punkt 71), zur Anlage mitgebracht wurde. Es bestand aus einem drehbar gelagertem Düsenkopf aus Metall mit mehreren Düsen im Umkreis, wobei seitlich angeordnete Düsen für den Antrieb des Kopfes sorgten. Dieser Düsenkopf wurde über ein festes Rohr an einen langen Druckluftschlauch angeschlossen. Die Druckluft wurde von der vorhandenen stationären Anlage bezogen. Das Reinigungsgerät wurde sodann am Kopfende des Filterschlauchs eingeführt und mittels des Druckluftschlauchs ins Innere des jeweiligen Filterschlauchs hinabgelassen, so dass nacheinander jeder Filterschlauch über seine volle Länge abgereinigt wurde.

Dass die Reinigung erfolgreich war, konnte der Zeuge an der Abnahme des Differenzdruckes vor und nach der Reinigung erkennen. Vgl. Punkte 54, 61, 62, 79, 80 und 84.

Die Aussagen des Zeugen G. Spies decken sich mit diesen Angaben. Insbesondere beschrieb der Zeuge G. Spies ebenfalls eine Reinigungseinrichtung, bestehend aus einem Verbindungsrohr als Senkgewicht, einem drehbaren Düsenkopf und mehreren Austrittsdüsen. Davon waren mindestens zwei Düsen tangential angeordnet und bewirkten so die Drehung des Düsenkopfes, während andere nach außen strahlend positioniert waren und die Reinigung des Filterschlauchs bewirkten. Der Reinigungseffekt konnte von dem Zeugen durch Druckdifferenz­messung festgestellt werden. Vgl. Punkte 1, 2, 5, 6, 7, 16, 18, 21, 22, 23, 31 und 33.

Die Zeugen konnten allerdings nicht bestätigen, dass die in Anlage 2 und 3 dargestellte Rotationsdüse der seinerzeit verwendeten zu 100% entsprach (Punkt 30 [Spies], 82 [Krieger]). Der Zeuge Spies gab an, es seien verschiedene Rotationsdüsen im Einsatz gewesen (Punkte 15, 18, 20, 28). Grundsätzlich seien aber an jeder mindestens zwei Austrittsdüsen tangential angeordnet gewesen (Punkte 16 und 17). Der Zeuge Krieger erklärte, die auf dem Bild gezeigte Rotationsdüse sei nicht diejenige gewesen, die im Jahr 2000 zum Einsatz gekommen sei (Punkt 82). Die Funktion habe aber auf radial nach außen blasenden Reinigungsdüsen und tangential angeordneten Reinigungsdüsen, die für den Antrieb des drehbaren Düsenkopfes sorgten, beruht (Punkte 61, 62). Bei der im Jahr 2000 verwendeten Rotationsdüse habe es im oberen Bereich des Kopfes vier solcher Antriebsdüsen gegeben, die nicht im 90° Winkel, sondern schräg eingeschraubt gewesen seien (Punkt 82). Die bei einem späteren Einsatz im Jahr 2009 verwendete Reinigungseinrichtung sei etwas modifiziert gewesen, wobei das Wirkprinzip allerdings dasselbe geblieben sei (Punkte 57, 63).

Abschließend bestätigte der Zeuge Krieger noch die Richtigkeit der Angaben im Schreiben gemäß Anlage 8.

c) Objektive Glaubhaftigkeit der Aussagen

Die Aussagen beider Zeugen waren jeweils in sich konsistent und haben in plausibler Weise den Einsatz der im Einzelnen beschriebenen Reinigungseinrichtung mit einem rotierenden Düsenkopf in der aus 420 Einzelschläuchen bestehenden Filteranlage der Nickelhütte Aue geschildert. Nicht nur zur technischen Ausgestaltung der Reinigungseinrichtung, sondern auch zur zeitlichen Einordnung des Einsatzes des neuen Systems in diesem Betrieb machten die Zeugen nachvollziehbare Angaben, die durch die vorgelegte Rechnung über die ausgeführten Arbeiten (Anlage 7) zudem inhaltlich gestützt werden.

Lediglich was den von dem Beschwerdeführer gerügten Punkt des erstmaligen Einsatzes eines neuen Systems bei einem Kunden durch einen technisch zuvor offenbar nicht näher eingewiesenen Vertriebsmitarbeiter, nämlich den Zeugen G. Spies, betrifft, bestehen auf den ersten Blick Zweifel, ob dessen Aussage insoweit tatsächlich glaubhaft und aus eigener Erinnerung geschöpft ist. Die persönliche Anwesenheit dieses Zeugen bei der Reinigungsaktion im Jahr 2000 wird jedoch durch den Zeugen Krieger ebenso bestätigt wie auch die Tatsache, dass der Einsatz nicht vom Zeugen G. Spies allein, sondern von ihm zusammen mit einem gemeinsam angereisten Servicetechniker der Beschwerdegegnerin, einem Herrn Clayton, durchgeführt wurde. Dies lässt den Umstand, dass der Zeuge G.Spies zuvor keine technische Einweisung von der Beschwerdegegnerin erhalten hatte, in einem weniger fragwürdigen Licht erscheinen, denn unter diesen Umständen kann davon ausgegangen werden , dass die technische Durchführung der Reinigung im Wesentlichen von dem anwesenden technischen Mitarbeiter verantwortet und geleitet wurde. Dass letzterer nicht - was nahe gelegene hätte - ebenfalls als Zeuge benannt worden war, ist wiederum mit dem Hinweis auf dessen Wegzug nach Australien plausibel erklärt.

In einem Punkt divergieren die beiden Zeugen­aussagen, nämlich betreffend die Frage, ob die Druckluft beim Wechsel von einem Filterschlauch zum nächsten angeschaltet geblieben oder jeweils ausgeschaltet worden ist. Hier erscheint die Aussage des Zeugen Krieger, die Druckluft sei beim Wechsel von einem Filterschlauch zum nächsten abgeschaltet gewesen und habe auch abgeschaltet sein müssen, schon um nicht zu viel des (auf der Reinluftseite zwar nur begrenzt, aber doch auch vorhandenen) Staubs aufzuwirbeln, mit dieser Begründung glaubhafter als die gegenteilige Version des Zeugen Spies, nach der die Druckluft ununter­brochen gelaufen sei und er deswegen auch die Rotation des Düsenkopfes habe beobachten können. Allerdings handelt es sich bei der Schilderung der ununterbrochen laufenden Druckluftzufuhr beim Wechsel der zu reinigenden Schläuche nur um eine Hilfstatsache, anhand derer der Zeuge G. Spies belegen wollte, dass er die ansonsten durch den Filterschlauch verdeckte Rotation des Düsenkopfes beim Reinigen mit eigenen Augen habe sehen können. Dass der Düsenkopf drehbar war, hat jedoch der Zeuge Krieger aus eigenem Wissen und in glaubhafter Weise dergestalt geschildert, dass er den Düsenkopf in nicht eingebautem Zustand selbst in der Hand gehabt habe und er den Kopf ohne weiteres manuell mehrfach habe drehen können. Hiernach kommt es auf die Frage, ob die Druckluft beim Wechsel der Düsen anblieb oder nicht, nicht maßgeblich an. Daher hat die Kammer davon abgesehen, den Zeugen G. Spies mit der Aussage des Zeugen Krieger zu konfrontieren, um hier weitere Aufklärung zu erhalten.

Der Beschwerdeführer fragte bei der Vernehmung des Zeugen Krieger nach, ob bei der Reinigung elektrische Erdungsmaßnahmen für den Fall einer Aufladung der metallischen Stützkörbe durch das Reiben (Anstreifen) der rotierenden Düsen vorgesehen gewesen seien. Der Zeuge antwortete, dass kein Explosionsschutz vorhanden gewesen sei und auch ein Reiben oder Schlagen der rotierenden Düsen an den Stützkörben nicht beobachtet worden sei (Punkte 86, 87). Diese Frage ist zwar für sich genommen nicht entscheidungs­erheblich, da sie kein Anspruchsmerkmal berührt, ist aber zur Abklärung der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen zulässig. Die Kammer hält die vom Zeugen abgegebene Erklärung für technisch plausibel, zumal sich auch im Streitpatent kein Hinweis auf eventuelle Gefahr durch elektrische Aufladung findet.

d) Subjektive Glaubwürdigkeit der Zeugen

Der Zeuge G. Spies berichtete über die Umstände der Reinigungsaktion nüchtern und alle für das in Frage stehende Verfahren erforderlichen Kernpunkte behandelnd. Da er jedoch im Randbereich des Geschehens nur wenige Details schildern konnte und auch im Übrigen kaum signifikante Anzeichen für - ggf. auch zurückkehrende Erinnerung an - eigenes Erleben zum Zeitpunkt des konkreten Reinigungstermins im Jahr 2000 lieferte, sich vielmehr häufig auf unpersönliche und allgemeine Formulierungen beschränkte, stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang eigene Erinnerung an den konkreten Reinigungsvorgang bei ihm vorhanden war oder ob er anstelle der konkreten Erinnerung lediglich schilderte, wie ein typischer Reinigungsvorgang mit dem System der Einsprechenden vonstatten ging. Da die Aussage des Zeugen ersichtlich auch von taktischen Erwägungen geprägt war, wie seine ausweichenden Antworten auf die Frage nach dem letzten Zeitpunkt, zu dem er die Bilder der Anlage 2 zu Gesicht bekommen hatte, zeigen (Punkte 9 bis 12), ist allein aufgrund seiner Aussage möglicherweise nicht ganz auszuschließen, dass seine Schilderung maßgeblich durch Erkenntnisse aus der Unternehmens­dokumentation bestimmt wurde (Punkt 23) und die noch ergänzend behauptete eigene Erinnerung (Punkt 23 am Ende, Punkt 25) im Wesentlichen nur eine mittelbare war. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Zeuge G. Spies damals wie heute Arbeitnehmer der Beschwerdegegnerin ist und insoweit generell eine gewisse persönliche Abhängigkeit nicht in Abrede gestellt werden kann, die möglicherweise auf das Aussageverhalten des Zeugen nicht völlig ohne Einfluss bleibt.

Demgegenüber schilderte der Zeuge Krieger als dritte, unabhängige und soweit ersichtlich keiner der Beteiligten persönlich verpflichtete Person die Situation der erstmaligen Reinigungsaktion mit der Rotationsdüse in seinem Unternehmen nicht nur in den Kernpunkten, sondern auch im Randgeschehen detailreich und lebendig. Die Schilderung der Abläufe wirkt nicht geglättet, sondern weist teilweise sogar unnötige Sprünge und originelle Details auf, die zunächst verblüffend wirken (fehlende Referenzen für das neue System, vgl. Punkt 57, zeitlicher Abstand zwischen den Reinigungen, Punkt 66), auf Nachfrage aber überzeugend erläutert werden konnten. Gerade diese scheinbaren Brüche im Aussageverhalten und das fehlende Bemühen, vorgehaltene Widersprüche zu verschleiern (z.B. Punkte 72 und 76) stärken die Glaubwürdigkeit des Zeugen erheblich, der ersichtlich noch eigene Erinnerung an die für ihn damals neue Reinigungsmethode hatte (Punkt 50, dritter Absatz). Er hat sich nach Überzeugung der Kammer in keiner Weise von der offenbar guten Geschäftsbeziehung seiner Firma zur Beschwerde­gegnerin zu einer angepassten Aussage verleiten lassen, sondern klar und nüchtern sein Erleben geschildert. Teil dieser Schilderung ist die Anwesenheit und Mitwirkung des Zeugen G. Spies bei der Reinigung, dessen Aussage daher gestützt wird, so dass die Zweifel, die an seiner Aussage isoliert betrachtet ggfs. bestehen würden, im Ergebnis nicht durchgreifen.

e) Die Kammer ist daher insgesamt davon überzeugt, dass die Reinigung der Filterschläuche wie von der Beschwerdegegnerin behauptet mit einer Rotationsdüse mit den von den beiden Zeugen geschilderten Merkmalen im Januar 2000 durchgeführt wurde.

f) Weiteres Merkmal "Druckwelle"

Was das Anspruchsmerkmal betrifft, wonach in dem Schlauchkörper eine Druckwelle erzeugt werden soll, die sich in Bewegungsrichtung der Reinigungsvorrichtung von der Schlauchöffnung zu einem freien Ende des Schlauchkörpers fortsetzt, so ist die Kammer der Auffassung, dass bei Betätigung der vorbenutzten Reinigungseinrichtung durch ein Fluid (Druckluft) durch das Ausströmen desselben und durch das Verschieben des Düsenkopfes über die Länge des Schlauchkörpers ebenfalls eine Druckwelle in dem Schlauchkörper erzeugt wurde, die sich von der Schlauchöffnung zu einem freien Ende des Schlauchkörpers fortsetzt. Dieses Erfindungsmerkmal stellt sich also automatisch ein, da im Streitpatent keine andere Betriebsweise der Reinigungseinrichtung beschrieben ist als die, die bei der Vorbenutzungshandlung zur Anwendung kam. Siehe dazu auch Punkt 2.2.

3.2.5 Geheimhaltungsverpflichtung

Es bleibt zu untersuchen, ob Information über die Vorbenutzung der Öffentlichkeit zugänglich war oder ob eine explizite oder implizite Geheimhaltungs­verpflichtung vorlag.

(1) Hierzu sagte der Zeuge Krieger aus, dass keine Geheimhaltungsvereinbarung bestanden habe. Dies habe ihn zwar gewundert, weil er derartige Geheimhaltungsabsprachen an sich auch von anderen Unternehmen gekannt habe. Dennoch sei es so gewesen, ihm habe auch niemand etwas anderes gesagt. Er selber habe deswegen auch ohne weiteres bei Gelegenheit Informationen über das Reinigungs-System an Dritte weitergegeben (vgl. Punkt 65).

(2) Der Beschwerdeführer gab zu bedenken, es sei unwahrscheinlich, dass eine neu entwickelte Reinigungstechnologie erstmals im großen Stil an einer Kundenanlage zur Anwendung gebracht worden sei, und zwar von einem technischen Vertriebsmitarbeiter ohne besondere Erfahrung im Umgang mit solchen Filteranlagen. Dies lege die Vermutung einer versuchsweisen Anwendung nahe, für die man mindestens implizite Geheimhaltung unterstellen müsse.

(3) Die Kammer kann sich jedoch dem Argument des Beschwerdeführers nicht anschließen, und zwar aus den folgenden Gründen. Bei der Abreinigung von 420 Stück Filterschläuchen kann nicht mehr von einem Versuch oder einer (gemeinsamen) Entwicklung ausgegangen werden. Außerdem wurde eine kaufmännische Rechnung über die durchgeführten Arbeiten ausgestellt (Anlage 7). Bei der Abreinigung wurde der technische Vertriebsmitarbeiter, der Zeuge G. Spies, von einem Servicetechniker der Beschwerdegegnerin, Herrn Clayton, unterstützt. Kundenseitiges Personal war ebenfalls zugegen (vgl. Punkt 1 der Anlage zum Protokoll). Dass der Reinigungsauftrag ohne vorherige Einholung von Referenzen erteilt wurde (Punkt 66), erklärte der Zeuge Krieger plausibel unter den Punkten 48, 49, 50 und 67 seiner Aussage: Die einzige Alternative zur Abreinigung habe im Austausch der Filterschläuche gelegen. Dies wäre kostenaufwändiger gewesen und hätte zudem eine längere Betriebs­unterbrechung erforderlich gemacht.

Die Kammer kommt daher zum Ergebnis, dass die Vorbenutzung bei Fa. Nickelhütte Aue im Jahre 2000 der Öffentlichkeit zugänglich war.

3.2.6 Gesamtbewertung

Für die Kammer stellt sich das Ergebnis der Beweisaufnahme wie folgt dar: Die bei Fa. Nickelhütte Aue zur Anwendung gelangte Reinigungseinrichtung wurde mittels gasförmigen Druckfluids betrieben. Sie wies einen drehbaren Düsenkopf mit einer Mehrzahl von Düsen zur Abgabe des Druckfluids auf, die tangential zur Reinigungseinrichtung angeordnet waren und die bei Betätigung die Reinigungseinrichtung in eine Drehung um ihre Längsachse versetzten. Des weiteren wurde die Reinigungseinrichtung durch die Schlauchöffnung in den Filterschlauch eingeführt und war in Längsrichtung jedes Filterschlauchs auf der Längsachse über die gesamte Länge des Schlauchkörpers bewegbar angeordnet.

Aus der Zusammenschau des schriftlichen Beweismaterials (Anlagen 2, 3, 7 und 8) und der Zeugenaussagen ergibt sich für die Kammer zweifelsfrei, dass eine Filtereinrichtung samt Reinigungseinrichtung mit den Merkmalen des Anspruchs 1 gemäß Streitpatent offenkundig vorbenutzt war und somit zum Stand der Technik zählt.

Die Kammer konnte unter diesen Umständen auf die Vernehmung des Zeugen van Hagen und die Aufklärung der weiteren behaupteten Vorbenutzungshandlungen verzichten.

3.2.7 Schlussfolgerung

Der Gegenstand des Anspruchs ist daher nicht neu und der Hauptantrag somit nicht gewährbar (Artikel 54(2) EPÜ).

3.3 Mangels Vorliegens eines gewährbaren Antrags muss die Beschwerde zurückgewiesen werden.

4. Antrag gemäß Artikel 112(1) EPÜ

Der Vorlageantrag der Beschwerdegegnerin war nur hilfsweise gestellt. Da dem Hauptantrag der Beschwerdegegnerin stattgegeben wird, erübrigt sich eine Befassung mit dem Hilfsantrag.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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