T 0442/11 () of 1.10.2012

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2012:T044211.20121001
Datum der Entscheidung: 01 October 2012
Aktenzeichen: T 0442/11
Anmeldenummer: 05767841.9
IPC-Klasse: B29C 49/42
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN UND VORRICHTUNG ZUR BLASFORMUNG VON BEHÄLTERN
Name des Anmelders: KHS Corpoplast GmbH
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention R 137(4)
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention R 164(2)
European Patent Convention R 99(1)(c)
Schlagwörter: Zulässigkeit der Beschwerde (ja)
Unzulässige Erweiterung, Hauptantrag (nein)
Geänderte Ansprüche in Widerspruch zu Regeln 137 (4) EPÜ in der Fassung vor dem 1. April 2010 und 164 (2) EPÜ, Hauptantrag (nein)
Zurückverweisung (ja)
Orientierungssatz:

Regel 137 (4) EPÜ in der Fassung vor dem 1. April 2010 soll verhindern, dass ein Anmelder im Laufe des Prüfungsverfahrens mit seinem Schutzbegehren auf nicht recherchierte Teile der Anmeldung wechselt, die zum Zeitpunkt der Recherche noch nicht beansprucht waren.

Die Anwendung von Regel 164 (2) EPÜ, zweiter Halbsatz, setzt voraus, dass das Nicht-Behandeln einer Erfindung im internationalen Recherchenbericht tatsächlich gerechtfertigt war.

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/89
G 0002/92
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0145/13

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die am 18. Oktober 2010 zur Post gegebene Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung (Euro-PCT-Anmeldung) Nr. 05 767 841.9 zurückzuweisen.

II. Die Anmeldung wurde am 11. Juli 2005 als internationale Anmeldung eingereicht.

III. In dem am 18. November 2005 abgesandten Bescheid vertrat das Europäische Patentamt als zuständige Internationale Recherchenbehörde (IRB) die Auffassung, die internationale Anmeldung enthalte folgende sechs Erfindungen:

- Erfindung 1: Ansprüche 1, 2, 21, 22 betreffend ein Verfahren zur Blasformung von Behältern, wobei der Vorformling an einer langgestreckt verlaufenden Fläche abrollt bzw. wobei die Bezugsfläche auf der der Vorformling abrollt im Bereich einer Schiene angeordnet ist.

- Erfindung 2: Ansprüche 1, 3, 4, 5—9, 13, 14, 16, 17, 19, 20, 21, 22—29, 33, 34, 36, 37, 39, 40, 41—45 betreffend ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Blasformung von Behältern, wobei der Vorformling an einer Rollenoberfläche abrollt.

- Erfindung 3: Ansprüche 10, 11, 30, 31 betreffend ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Blasformung von Behältern, wobei die Vorformlinge im Bereich der Heizstrecke mit ihren Mündungsabschnitten in lotrechter Richtung nach oben orientiert beheizt werden bzw. mit ihren Mündungsabschnitten in lotrechter Richtung nach unten orientiert beheizt werden.

- Erfindung 4: Ansprüche 12, 32 betreffend ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Blasformung von Behältern, wobei die Mündungsabschnitte der Vorformlinge während aller aufeinander folgenden Verfahrensschritte der Beheizung und der Blasformung auf einem im wesentlichen gleichen Höhenniveau transportiert werden.

- Erfindung 5: Ansprüche 15, 35 betreffend ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Blasformung von Behältern, wobei die Vorformlinge im Wesentlichen horizontal in die Heizstrecke einlaufen und aus der Heizstrecke entnommen werden.

- Erfindung 6: Ansprüche 18, 38 betreffend ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Blasformung von Behältern, wobei ein Stützring des Vorformlings entlang des Transportweges in mindestens einer nutförmigen Vertiefung geführt wird, bzw. bereichsweise in Richtung einer Vorformlingslängsachse geführt angeordnet ist.

Die Anmelderin wurde gemäß Artikel 17 (3) a) und Regel 40.1 PCT zur Zahlung von fünf zusätzlichen Recherchengebühren aufgefordert mit der Begründung, die Anmeldung genüge nicht dem Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung gemäß den Regeln 13.1, 13.2 und 13.3 PCT. Die einzigen gemeinsamen Merkmale der sechs verschiedenen Erfindungen seien jene der unabhängigen Ansprüche 1 und 21. Der Gegenstand dieser Ansprüche sei aber gegenüber der Offenbarung der Druckschrift

D1: EP-A-0 305 699

nicht neu. Damit könnten diese Merkmale nicht als besondere technische Merkmale angesehen werden. Die restlichen Merkmale lösten unterschiedliche Aufgaben durch verschiedene potentiell besondere technische Merkmale. Die sechs Erfindungen seien untereinander also nicht in der Weise verbunden, dass sie eine einzige erfinderische Idee verwirklichten.

Weiterhin wurde der Anmelderin mitgeteilt, dass für die Teile der internationalen Anmeldung, die sich auf die erste Erfindung bezögen, eine internationale Teilrecherche durchgeführt worden sei.

Die Anmelderin wurde dementsprechend aufgefordert, für die Recherche der noch verbleibenden Erfindungen 2 bis 6 innerhalb eines Monats ab dem Absendedatum der Zahlungsaufforderung jeweils eine zusätzliche Recherchengebühr zu entrichten.

IV. Die Anmelderin entrichtete keine der zusätzlichen Recherchengebühren. Der am 8. November 2005 erstellte und am 26. Januar 2006 zur Post gegebene internationale Recherchenbericht beschränkte sich daher auf die erste Erfindung.

V. Die vorliegende Anmeldung trat am 13. Oktober 2006 in die europäische Phase ein.

VI. In einem auf den 17. April 2007 datierten Bescheid nach Artikel 96 (2) EPÜ 1973 wurde der Anmelderin im Wesentlichen mitgeteilt, dass die Prüfungsabteilung mit dem im internationalen Recherchenbericht erhobenen Einwand der mangelnden Einheitlichkeit übereinstimme und sich auch der entsprechenden Begründung der Internationalen Recherchenbehörde anschließe. Für die nicht recherchierten Teile der Anmeldung könne in Übereinstimmung mit Regel 112 EPÜ 1973 ein europäischer Recherchenbericht erstellt werden, wenn für jede weitere Erfindung innerhalb eines Monats ab Zustellung des Bescheids jeweils eine Recherchengebühr entrichtet werde. Für den Fall, dass die Anmelderin keinen Recherchenbericht für die weiteren Erfindungen erstellen lasse, müsse die Anmeldung auf die erste Erfindung beschränkt werden, wobei die zu streichenden Gegenstände in Teilanmeldungen weiterverfolgt werden könnten.

VII. Die Anmelderin bezahlte keine weitere Recherchengebühr. Vielmehr reichte sie mit ihrer Bescheidserwiderung am 1. August 2007 einen geänderten Anspruchssatz als Hauptantrag ein, dessen Verfahrensanspruch 1 die Merkmale der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1, 3 und 20 beinhaltet und dessen Vorrichtungsanspruch 19 unter anderem auf den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 21, 23 und 40 beruht. Dazu trug sie vor, dass sich die Beanstandungen hinsichtlich der mangelnden Einheitlichkeit durch die vorgenommenen Konkretisierungen der unabhängigen Ansprüche erledigt haben dürften.

VIII. Nach einem weiteren Bescheid und einer durchgeführten mündlichen Verhandlung entschied die Prüfungsabteilung die Anmeldung zurückzuweisen. In der am 18. Oktober 2010 zur Post gegebenen schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung stellt sie für den Hauptantrag und den weiteren, als Hilfsantrag eingereichten Anspruchssatz fest, dass die geänderten Ansprüche die zweite Erfindung betreffen, für die kein Recherchenbericht erstellt worden sei. Dies stelle einen Verstoß gegen die Erfordernisse der Regel 137 (4) EPÜ dar. In diesem Zusammenhang verweist sie auch auf die Stellungnahme G 2/92.

Hinsichtlich der unabhängigen Ansprüche nach dem Hauptantrag stellt die Prüfungsabteilung weiter fest, dass das anspruchsgemäße Merkmal, wonach die Transportkette in einer Transportrichtung angetrieben werde, eine unzulässige Verallgemeinerung des einzigen ursprünglich offenbarten Antriebs der Transportkette mittels Rotation eines angetriebenen Kettenrades sei, weswegen auch ein Verstoß gegen die Vorschriften des Artikels 123 (2) EPÜ vorliege.

IX. Gegen diese Entscheidung legte die Anmelderin (Beschwerdeführerin) am 9. Dezember 2010 Beschwerde ein und entrichtete gleichzeitig die Beschwerdegebühr. Die Beschwerdebegründung ging am 17. Februar 2011 ein.

X. Die Beschwerdeschrift enthält keinen expliziten Antrag, der den Beschwerdegegenstand festlegt. In der Beschwerdebegründung formuliert die Beschwerdeführerin ihre Anträge wie folgt: "Sollte der Beschwerde nicht bereits im schriftlichen Verfahren hinsichtlich des Hauptantrages oder des Hilfsantrages stattgegeben werden können, so wird die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt."

XI. Der Vortrag der Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung zielt im Wesentlichen darauf ab, dass die auf die erste Erfindung gerichteten ursprünglichen unabhängigen Ansprüche durch sowohl in der Beschreibung, als auch in den abhängigen Ansprüchen ursprünglich offenbarte Merkmale weiter eingeschränkt worden seien.

XII. Die vorliegenden unabhängigen Ansprüche 1 und 19 nach dem Hauptantrag entsprechen denjenigen, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde lagen. Sie lauten wie folgt:

"1. Verfahren zur Blasformung von Behältern (2), bei dem ein Vorformling (1) aus einem thermoplastischem Material nach einer thermischen Konditionierung entlang eines Transportweges (40) im Bereich einer Heizstrecke (24) innerhalb einer Blasform (4) durch Blasdruckeinwirkung in den Behälter (2) umgeformt wird, dadurch gekennzeichnet, daß der Vorformling (1) mindestens entlang eines Teiles seines Transportweges (40) durch die Heizstrecke (24) hindurch mit einem Umfangsbereich seiner Oberfläche im Bereich eines Mündungsabschnittes (21) direkt auf einer eine Rotationsbewegung des Vorformlings (1) vorgebenden Bezugsfläche abrollt, wobei die Bezugsfläche als Rollenoberfläche von Rollen (42) bereitgestellt wird und die Rollen (42) von einer Transportkette (43) miteinander verbunden werden, die in einer Transportrichtung (45) angetrieben wird."

"19. Vorrichtung zur Blasformung von Behältern (2) aus einem thermoplastischen Material, die mindestens eine entlang eines Transportweges (40) eines Vorformlings (1) angeordnete Heizstrecke (24) und eine mit einer Blasform (4) versehene Blasstation (3) aufweist und bei der die Blasstation (3) an eine mit einer Blasgassteuerung versehene Blasgaszuführung angeschlossen ist, dadurch gekennzeichnet, daß entlang mindestens eines Teiles des Transportweges (40) des Vorformlings (1) durch die Heizstrecke (24) hindurch eine Bezugsfläche angeordnet ist, die durch einen direkten Kontakt mit einem Umfangsbereich einer Oberfläche im Bereich eines Mündungsabschnittes (21) des Vorformlings (1) eine Rotationsbewegung des Vorformlings (1) vorgibt und die derart relativ zum Vorformling (1) positioniert ist, daß der Vorformling (1) auf der Bezugsfläche abrollt und daß die Bezugsfläche als Oberfläche einer Rolle (42) ausgebildet ist sowie daß die Rollen (42) von einer Transportkette (43) miteinander verbunden sind, die in einer Transportrichtung (45) angetrieben ist."

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerde

Nach Regel 99 (1) c) EPÜ muss die Beschwerdeschrift einen Antrag enthalten, in dem der Beschwerdegegenstand festgelegt ist, ansonsten ist die Beschwerde nach Regel 101 (1) EPÜ als unzulässig zu verwerfen.

Im vorliegenden Fall enthält die Beschwerdeschrift keinen derartigen explizit formulierten Antrag. Da die angefochtene Entscheidung aber ausschließlich die Zurückweisung der Anmeldung nach Artikel 97 (2) EPÜ betrifft, kann die gegen diese Entscheidung eingereichte Beschwerde nur darauf abzielen, die angefochtene Zurückweisungsentscheidung aufzuheben.

Diese Interpretation ist konsistent mit dem in der Beschwerdebegründung vorgelegten Antrag, der Beschwerde hinsichtlich des (bereits im Prüfungsverfahren eingereichten) Haupt- oder Hilfsantrages stattzugeben.

Da der Beschwerdegegenstand also unmissverständlich, wenn auch implizit, festgelegt ist, ist das Erfordernis der Regel 99 (1) c) EPÜ erfüllt. Da auch die weiteren in den Artikeln 106 EPÜ, 107 EPÜ 1973 und 108 EPÜ, sowie in den Regeln 97, 99 (1) b) und (2) EPÜ dargelegten Anforderungen erfüllt sind, ist die vorliegende Beschwerde zulässig.

2. Hauptantrag

2.1 Artikel 123 EPÜ - Änderungen

2.1.1 Die angefochtene Entscheidung wird unter anderem damit begründet, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 und 19 nach dem Hauptantrag nicht den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ genüge. Die Prüfungsabteilung erachtet das anspruchsgemäße Merkmal, dass die Transportkette in einer Transportrichtung angetrieben ist, als eine unzulässige Verallgemeinerung des einzigen ursprünglich offenbarten Antriebs der Transportkette mittels Rotation eines angetriebenen Kettenrades (vgl. Punkt 4 der Entscheidungsgründe).

2.1.2 Die Kammer kann sich dem aus folgenden Gründen nicht anschließen.

Das Merkmal, wonach die Rollen von einer Transportkette miteinander verbunden sind, ist in den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen unzweifelhaft, beispielsweise in den Ansprüchen 20 und 40, offenbart. Dabei impliziert der verwendete Begriff "Transportkette" bereits die Funktion der Kette, nämlich jene des Transports. Um diesen Zweck erfüllen zu können, muss die Kette notwendigerweise in einer Transportrichtung angetrieben sein. Nach Auffassung der Kammer geht das unter Artikel 123 (2) EPÜ beanstandete Merkmal "Transportkette ist in einer Transportrichtung angetrieben" also nicht über den Offenbarungsgehalt der ursprünglich verwendeten Bezeichnung "Transportkette" hinaus.

Da auch die weiteren Änderungen in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen offenbart sind, erfüllt der Gegenstand der Ansprüche nach dem Hauptantrag die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ.

2.2 Regel 137 EPÜ - Änderungen der europäischen Patentanmeldung

2.2.1 Die vorliegende Anmeldung wurde am 11. Juli 2005 als internationale Anmeldung eingereicht und trat am 13. Oktober 2006 in die europäische Phase ein. Sie war zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des EPÜ 2000 am 13. Dezember 2007 vor dem Europäischen Patentamt anhängig. Nach den Übergangsbestimmungen für die Ausführungsordnung zum EPÜ 2000 (vgl. Beschluss des Verwaltungsrats vom 7. Dezember 2006, Sonderausgabe 1 zum ABl. EPA 2007, 89) hängt die Anwendbarkeit einer Regel von der Übergangsbestimmung für den entsprechenden EPÜ Artikel ab, auf den sich die Regel bezieht.

Regel 137 EPÜ betrifft Änderungen der europäischen Patentanmeldung und stellt somit eine Ausführungsbestimmung zum Artikel 123 EPÜ dar, für den die Übergangsbestimmungen zum EPÜ 2000 (vgl. Beschluss des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001, Sonderausgabe 4 zum ABl. EPA 2007, 219) in Artikel 1, Absatz 1, vorsehen, dass er in der Fassung nach dem EPÜ 2000 für alle zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens anhängigen Anmeldungen, also auch der vorliegenden, anwendbar ist.

Mit Beschluss des Verwaltungsrats vom 25. März 2009 (vgl. ABl. EPA 2009, 299) wurde die Regel 137 EPÜ geändert, wobei die geänderte Fassung der Regel 137 EPÜ für alle Anmeldungen anwendbar sein soll, zu denen der europäische Recherchenbericht oder der ergänzende europäische Recherchenbericht ab dem 1. April 2010 erstellt wird.

Da für die der Entscheidung zugrunde liegende Anmeldung der europäische Recherchenbericht vor dem 1. April 2010 erstellt wurde, ist die mit Beschluss des Verwaltungsrats vom 25. März 2009 geänderte Fassung der Regel 137 EPÜ hier nicht anwendbar, sondern die Regel 137 (4) EPÜ in der vom 13. Dezember 2007 bis zum 31. März 2010 gültigen Fassung (im Folgenden bezeichnet als Regel 137 (4) EPÜ, Fassung vor dem 1. April 2010).

2.2.2 Regel 137 (4) EPÜ, Fassung vor dem 1. April 2010, sieht vor, dass sich geänderte Patentansprüche nicht auf nicht recherchierte Gegenstände beziehen dürfen, die mit der ursprünglich beanspruchten Erfindung oder Gruppe von Erfindungen nicht durch eine einzige allgemeine erfinderische Idee verbunden sind. Die Regel stimmt damit wörtlich mit der Regel 86 (4) EPÜ 1973 überein, die am 1. Juni 1995 in Kraft trat und in die Ausführungsordnung aufgenommen wurde, um zu verhindern, dass ein Anmelder im Laufe des Prüfungsverfahrens mit seinem Schutzbegehren auf nicht recherchierte Teile der Anmeldung wechselt, die zum Zeitpunkt der Recherche noch nicht beansprucht waren (siehe "Travaux Préparatoires" zur Regel 86 (4) EPÜ 1973, veröffentlicht in der Mitteilung vom 1. Juni 1995 über die Änderung der Europäischen Patentübereinkommens, der Ausführungsordnung und der Gebührenordnung, ABl. EPA 1995, 409ff, insbesondere Seiten 420 und 421).

2.2.3 In der Begründung der angefochtenen Entscheidung wird angeführt, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 und 19 nach dem Hauptantrag nicht die Erfordernisse der Regel 137 EPÜ erfülle. Dabei argumentiert die Prüfungsabteilung sinngemäß, dass die ursprünglich eingereichten Ansprüche 1 bis 45 nicht einheitlich seien und in sechs Erfindungen zerfielen. Die ursprünglichen unabhängigen Ansprüche 1 und 21 seien im vorliegenden Hauptantrag mit Merkmalen der der zweiten Erfindung zugeordneten ursprünglichen abhängigen Ansprüche 3 und 20 bzw. 23 und 20 eingeschränkt worden. Da für die zweite Erfindung aber kein Recherchenbericht erstellt worden sei, sei Regel 137 (4) EPÜ nicht erfüllt.

2.2.4 Die Kammer kann sich dieser Argumentationslinie nicht anschließen.

Die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Ansprüche 1 und 19 stellen im Wesentlichen Kombinationen der ursprünglichen Ansprüche 1, 3 und 20 bzw. 21, 23 und 40 dar. Weil diese Merkmals-kombinationen zum Zeitpunkt der Recherche also schon beansprucht waren, sind sie ausweislich der oben zitierten "Travaux Préparatoires" nicht nach Regel 137 (4) EPÜ, Fassung vor dem 1. April 2010, zu beanstanden.

2.3 Regel 164 EPÜ - Prüfung der Einheitlichkeit durch das Europäische Patentamt

Da es sich bei der vorliegenden Anmeldung um eine Euro-PCT-Anmeldung handelt, sind auch die Erfordernisse der Regel 164 EPÜ zu beachten.

2.3.1 Wie bereits oben erläutert ist nach den Übergangsbestimmungen für die Ausführungsordnung zum EPÜ 2000 für die Anwendbarkeit einer Regel die Übergangsbestimmung für den entsprechenden EPÜ Artikel maßgeblich, auf den sich die Regel bezieht.

Regel 164 EPÜ betrifft die Prüfung der Einheitlichkeit durch das Europäische Patentamt als Bestimmungsamt oder ausgewähltes Amt und stellt somit eine Ausführungsbestimmung zum Artikel 153 EPÜ dar, für den die bereits zitierten Übergangsbestimmungen zum EPÜ 2000 in Artikel 1, Absatz 6, vorsehen, dass er in der Fassung nach dem EPÜ 2000 für alle zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens anhängigen internationalen Anmeldungen und somit auch der vorliegenden anwendbar ist.

Mit Beschluss des Verwaltungsrats vom 27. Oktober 2009 (vgl. ABl. EPA 2009, 582) wurde die Regel 164 EPÜ geändert, wobei durch die Änderungen lediglich die neu geschaffene Möglichkeit einer ergänzenden internationalen Recherche berücksichtigt wurde. Die geänderte Regel 164 EPÜ trat am 1. April 2010 ohne Übergangsbestimmungen in Kraft und war somit zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung anwendbar.

2.3.2 Der die Sachprüfung betreffende Absatz 2 der Regel 164 hat folgenden Wortlaut:

"Stellt die Prüfungsabteilung fest, dass die Anmeldungsunterlagen, die dem europäischen Erteilungsverfahren zugrunde zu legen sind, den Anforderungen an die Einheitlichkeit der Erfindung nicht entsprechen oder dass Schutz für eine Erfindung begehrt wird, die im internationalen Recherchenbericht oder gegebenenfalls im ergänzenden internationalen Recherchenbericht bzw. im ergänzenden europäischen Recherchenbericht nicht behandelt wurde, so fordert sie den Anmelder auf, die Anmeldung auf eine einzige Erfindung zu begrenzen, die im internationalen Recherchenbericht bzw. im ergänzenden internationalen Recherchenbericht oder im ergänzenden europäischen Recherchenbericht behandelt wurde."

Während Regel 164 (2) EPÜ im ersten Halbsatz vor dem Wort "oder" also auf die Nicht-Einheitlichkeit der Erfindung bezüglich der dem europäischen Erteilungsverfahren zugrunde zu legenden Anmeldungsunterlagen abstellt, behandelt die Regel 164 (2) EPÜ im zweiten Halbsatz nach dem Wort "oder" die Konstellation, bei der Schutz für eine Erfindung begehrt wird, die im internationalen (bzw. ergänzenden europäischen)Recherchenbericht nicht behandelt wurde. Die Regel sieht für beide Fälle vor, dass der Anmelder aufzufordern ist, die Anmeldung auf eine einzige Erfindung zu begrenzen, die im internationalen Recherchenbericht behandelt wurde.

Die Erläuterungen zur Intention der Regel 164 (2) EPÜ in Dokument CA/PL 17/06 (vgl. Sonderausgabe 5 zum ABl. EPA 2007, 278) betonen, dass in Übereinstimmung mit der auch in der angefochtenen Entscheidung genannten Stellungnahme G 2/92 (vgl. ABl. EPA 1993, 591) eine Sachprüfung grundsätzlich nur in Bezug auf eine recherchierte Erfindung durchgeführt wird.

Folglich soll der zweite Halbsatz der Regel 164 (2) EPÜ insbesondere verhindern, dass während des Erteilungsverfahrens einer Euro-PCT-Anmeldung von einer recherchierten Erfindung auf eine ursprünglich beanspruchte, aber wegen Nicht-Zahlung der zusätzlichen Recherchengebühr nicht recherchierte Erfindung gewechselt wird.

2.3.3 In Bezug auf den ersten Halbsatz der Regel 164 (2) EPÜ ist festzustellen, dass die vorliegenden Ansprüche 1 bis 40 nach dem Hauptantrag nur einen einzigen unabhängigen Verfahrensanspruch 1 und einen einzigen entsprechenden unabhängigen Vorrichtungsanspruch 19 enthalten, die sich lediglich in der Formulierung ihrer Merkmale als Vorrichtungs- bzw. Verfahrensmerkmale unterscheiden. Ein unabhängiger Verfahrensanspruch und ein entsprechender unabhängiger Anspruch auf eine Vorrichtung, die zur Ausführung des beanspruchten Verfahrens besonders entwickelt wurde, werden grundsätzlich als einheitlich angesehen. Da dies auch für den vorliegenden Anspruchssatz gilt, entsprechen die Anmeldungsunterlagen, die dem europäischen Erteilungsverfahren zugrunde zu legen sind, den nach Regel 164 (2) EPÜ, erster Halbsatz, zu stellenden Anforderungen an die Einheitlichkeit der Erfindung.

2.3.4 Hinsichtlich des zweiten Halbsatzes der genannten Bestimmung ist zu berücksichtigen, dass die vorliegenden unabhängigen Ansprüche 1 und 19 jeweils auf eine Merkmalskombination gerichtet sind, die in der Feststellung der mangelnden Einheitlichkeit sowohl im Bescheid der IRB, als auch in der angefochtenen Entscheidung der zweiten Erfindung zugeordnet und daher nicht recherchiert wurde. Die Anwendung von Regel 164 (2) EPÜ, zweiter Halbsatz, setzt aber voraus, dass das Nicht-Behandeln einer Erfindung im internationalen Recherchenbericht tatsächlich gerechtfertigt war. Die Kammer sieht sich deshalb veranlasst zu überprüfen, ob der Gegenstand der ursprünglichen Ansprüche 2 und 22 tatsächlich nicht einheitlich ist mit jenem der ursprünglichen Ansprüche 3, 20, 23 und 40, der Gegenstand der letztgenannten Ansprüche also zu Recht nicht im internationalen Recherchenbericht behandelt wurde.

2.3.5 In der angefochtenen Entscheidung hat sich die Prüfungsabteilung die von der IRB dargelegte Begründung der mangelnden Einheitlichkeit zu Eigen gemacht und auf die unterschiedlichen Aufgaben verwiesen, die die Erfindungen 1 und 2 jeweils lösen sollten. So gibt die Prüfungsabteilung in der angefochtenen Entscheidung an, dass es die durch die zweite Erfindung zu lösende Aufgabe ist, "eine Translationsbewegung des Vorformlings in eine Rotationsbewegung umzusetzen" (vgl. Punkt 2.3 der Entscheidungsgründe). Die Kammer stellt fest, dass diese Aufgabe wortwörtlich die gleiche ist, die in der ursprünglich eingereichten Beschreibung (vgl. Seite 6, zweiter Absatz) in Zusammenhang mit dem Merkmal des Abrollens des Vorformlings an einer langgestreckt verlaufenden Fläche, also dem von der Prüfungsabteilung als erste Erfindung bezeichneten Gegenstand, genannt ist. Da die von der Prüfungsabteilung als erste und zweite Erfindung bezeichneten Gegenstände somit offenbar die gleiche Aufgabe lösen, kann die Kammer schon aus diesem Grund der in der angefochtenen Entscheidung angegeben Begründung einer mangelnden Einheitlichkeit zwischen diesen beiden, für die angefochtene Entscheidung relevanten Gegenständen nicht folgen.

Zudem wird auf den ursprünglichen Anspruch 5 verwiesen, der darauf abstellt, dass der Vorformling von einer Schiene und zwei Rollen geführt wird. Dieser Anspruch betrifft, obwohl der zweiten Erfindung zugeordnet, eine Kombination der Gegenstände der ersten und zweiten Erfindung, die in Wechselwirkung eine Dreipunktführung des Vorformlings sicherstellen (vgl. Beschreibungsseite 15, zweiter und dritter Absatz). Gerade angesichts dieser in der Anmeldung dokumentierten Wechselwirkung zwischen Schiene und Rollen kann die Kammer in den Gegenständen der ursprünglichen Ansprüche 2 und 22 einerseits und 3, 20, 23 und 40 andererseits keine jeweils eigenständigen Erfindungen erkennen.

Aus den genannten Gründen kommt die Kammer zum Schluss, dass zumindest der Gegenstand der letztgenannten Ansprüche im internationalen Recherchenbericht mitbehandelt oder gegebenenfalls von einer zusätzlichen Recherche in der europäischen Phase abgedeckt werden hätte müssen.

Somit stehen die Ansprüche nach dem Hauptantrag nicht in Widerspruch zu den Erfordernissen der Regel 164 (2) EPÜ, zweiter Halbsatz.

In diesem Zusammenhang weist die Kammer ausdrücklich auch auf die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 1/89 (vgl. ABl. EPA 1991, 155) hin, nach der darauf zu achten ist, dass dem Anmelder gerade bei Einwänden mangelnder Einheitlichkeit "a posteriori" eine gerechte Behandlung zuteil wird und in Grenzfällen nicht davon ausgegangen werden soll, dass eine Anmeldung das Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung wegen mangelnder Neuheit oder erfinderischer Tätigkeit nicht erfüllt (vgl. Punkt 8.2 der Entscheidungsgründe).

2.4 Im vorliegenden Fall kann also die Tatsache, dass die geänderten Ansprüche 1 und 19 nicht nur sämtliche Merkmale der recherchierten Ansprüche 1 bzw. 21 aufweisen, sondern mit den Merkmalen der zu Unrecht nicht recherchierten ursprünglichen Ansprüche 3 und 20 bzw. 23 und 40 weiter eingeschränkt wurden, eine zusätzliche Recherche notwendig machen, sie rechtfertigt aber keine Zurückweisung der Anmeldung.

Da weder die Anforderungen von Artikel 123 (2) EPÜ, noch jene der Regeln 137 (4) EPÜ, Fassung vor dem 1. April 2010, und 164 (2) EPÜ dem Gegenstand der Ansprüche nach dem Hauptantrag entgegenstehen, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben.

3. Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung

Da die vorliegenden Ansprüche nicht recherchierte Merkmale aufweisen, wird die Anmeldung zur weiteren Entscheidung, gegebenenfalls nach Durchführung einer zusätzlichen Recherche, an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.

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