European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2014:T042411.20140819 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 19 August 2014 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0424/11 | ||||||||
Anmeldenummer: | 04736308.0 | ||||||||
IPC-Klasse: | B01J 13/02 B01J 13/04 C11D 3/50 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | FLÜSSIGE WASCH- UND REINIGUNGSMITTELZUSAMMENSETZUNGEN ENTHALTEND LAGERSTABILE KAPSELN AUF BASIS VON PEROXYCARBONSÄUREN | ||||||||
Name des Anmelders: | Henkel AG & Co. KGaA | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Reckitt Benckiser (UK) Limited | ||||||||
Kammer: | 3.3.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit - (ja) Erfinderische Tätigkeit - Neuformulierung der technischen Aufgabe Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein) Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja) Verspätetes Vorbringen - Beweismittel erstinstanzlich zugelassen (nein) Ausübung des Ermessens der Einspruchsabteilung |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent EP-B-1 633 468 wurde am 14. Januar 2009 (Datum der Bekanntmachung im Patentblatt 2009/03) mit 34 Patentansprüchen erteilt. Gegenstand des Patents sind lagerstabile Kapseln auf Basis von Imidoperoxycarbonsäuren, ein Verfahren zur Herstellung solcher Kapseln und die Verwendung der Kapseln in flüssigen und dispergierten Wasch- und Reinigungsmitteln.
II. Gegen das Patent wurde unter Hinweis auf die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100(a), (b) und (c) EPÜ Einspruch eingelegt.
III. Der Einspruch stützte sich u.a. auf folgende Dokumente:
D1: US-A-6 066 365
D2: US-A-5 296 156
D3: EP-A-0 435 379
Die weiteren Dokumente D4 bis D12 wurden von der Einspruchsabteilung nicht in das Verfahren zugelassen mit der Begründung, dass zu ihnen nicht substantiiert vorgetragen worden sei, dass sie verspätet eingereicht und zudem nicht relevanter seien als D1, D2 und D3.
IV. Die Einspruchsabteilung entschied, dass der Gegenstand des Streitpatents nicht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgehe und für den Fachmann ausführbar sei. Die Neuheit im Hinblick auf D3 hat sie ebenfalls anerkannt, da dort keine Kapsel mit einem Kern und einer Kapselhülle auf Basis eines anorganischen Salzes offenbart sei.
Den nächstliegenden Stand der Technik sah die Einspruchsabteilung in D3. Die Aufgabe sah sie darin, die Lagerstabilität der in D3 beschriebenen Zusammensetzung zu verbessern. Die erfinderische Tätigkeit hat sie mit der Begründung anerkannt, dass der aus D1 und D2 bekannte Stand der Technik keinen Hinweis darauf gegeben habe, zur Lösung der genannten Aufgabe ein Kapselsystem nach Anspruch 1 vorzusehen.
Das europäische Patent wurde daher auf der Grundlage der geänderten Ansprüche 1 bis 10, eingereicht mit Telefax vom 1. April 2010, aufrechterhalten.
V. Diese Patentansprüche lauten:
"1. Flüssige Wasch- und Reinigungsmittelzusammensetzungen, enthaltend mit mindestens einer organischen Peroxycarbonsäure, welche eine Imidoperoxycarbonsäure, vorzugsweise PAP, ist, beladene Kapseln, umfassend mindestens eine Imidoperoxycarbonsäure, vorzugsweise PAP, welche zumindest im wesentlichen mit einer Kapselhülle auf Basis eines anorganischen Salzes umhüllt und/oder beschichtet sind, wobei die Kapseln eine Kapselhülle auf Basis mindestens eines anorganischen Salzes und einen Kapselkern auf Basis mindestens einer Imidoperoxycarbonsäure umfassen."
"2. Flüssige Wasch- und Reinigungsmittelzusammensetzungen, enthaltend Dispersionen, insbesondere wäßrige Dispersionen, enthaltend mit mindestens einer organischen Peroxycarbonsäure, welche eine Imidoperoxycarbonsäure, vorzugsweise PAP, ist, beladene Kapseln, umfassend mindestens eine Imidoperoxycarbonsäure, vorzugsweise PAP, welche zumindest im wesentlichen mit einer Kapselhülle auf Basis eines anorganischen Salzes umhüllt und/oder beschichtet sind, wobei die Kapseln eine Kapselhülle auf Basis mindestens eines anorganischen Salzes und einen Kapselkern auf Basis mindestens einer Imidoperoxycarbonsäure umfassen."
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 10 betreffen Ausgestaltungen der Zusammensetzungen nach Anspruch 1 oder 2.
VI. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin wurde mit Schreiben vom 17. Februar 2011 eingelegt und richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent auf der Grundlage geänderter Ansprüche aufrechtzuerhalten.
Die Beschwerdebegründung vom 9. Mai 2011 enthielt die Argumente der Beschwerdeführerin und erneut die Dokumente
D9: US-A-5 049 298 und
D11: US-A-4 170 453.
VII. Die Beschwerdegegnerin erwiderte auf den Beschwerdeschriftsatz mit ihrem Schreiben vom 13. September 2011. Sie beantragte, die Dokumente D9 und D11 nicht ins Verfahren zuzulassen.
VIII. Am 19. August 2014 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Die Beschwerdeführerin war nicht vertreten. Sie hatte zuvor mit Schreiben vom 31. Juli 2014 angekündigt, der mündlichen Verhandlung nicht beizuwohnen.
Die Beschwerdegegnerin reichte neue Ansprüche 1 bis 9 als Hilfsantrag 1 ein.
IX. Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von demjenigen des Anspruchs 2 gemäß Hauptantrag (siehe Punkt V. oben) dadurch, dass am Anspruchsende der Wortlaut
", und ein anorganisches Salz, welches die Löslichkeit des die Kapselhülle bildenden Salzes in der Dispersion herabsetzt"
angefügt ist. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 9 betreffen bevorzugte Ausführungsformen der Zusammensetzungen nach Anspruch 1.
X. Die Beschwerdeführerin argumentierte im Wesentlichen wie folgt:
Mangelnde Neuheit gegenüber D3
Dokument D3, Beispiel 2a, offenbare die Herstellung einer Bleichmittelkomposition enthaltend 6-Phthalimido- peroxy-hexansäure (PAP), Natriumlaurylalkylsulfonat und Natriumsulfat. In dem Verfahren würden Partikel von PAP mit einer Natriumsulfat enthaltenden Zusammensetzung überzogen und in eine Reinigungsmitteldispersion (beispielsweise ein Vorwaschmittel) eingearbeitet.
Anspruch 9 der D3 offenbare ein Verfahren zur Herstellung beschichteter Teilchen von PAP in einer Suspension. Gemäß der Ansprüche 3 und 18, die direkt oder indirekt auf Anspruch 9 verwiesen, enthalte die Suspension ein anorganisches Salz (Natriumsulfat) und könnten die beschichteten Agglomerate in einer wässrigen, fließfähigen Bleichmittel- bzw. Waschmittelkomposition Verwendung finden.
Damit sei Anspruch 1 durch D3 neuheitsschädlich vorweggenommen, desgleichen Anspruch 2, da der Unterschied zwischen einer Suspension und einer Dispersion nicht scharf sei.
Zur erfinderischen Tätigkeit:
Sollte die Neuheit gegenüber D3 anerkannt werden, so wären jedenfalls die beanspruchten flüssigen Wasch- und Reinigungsmittel bzw. flüssigen Dispersionen nicht erfinderisch. Es sei naheliegend gewesen, beispielsweise die nach Beispiel 6 der D3 erhältlichen beschichteten PAP-Granulate in eine flüssige Wasch- und Reinigungsmittelkomposition zu formulieren.
Der Gegenstand von Anspruch 1 beruhe auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf D2. Beispiel 7 der D2 offenbare mit einem anorganischen Salz beschichtete Granulate auf Basis von PAP. Der- artige Bleichmittel-Granulate könnten auch in den flüssigen Bleichmittelkompositionen gemäß D11 Verwendung finden, worauf in D2 explizit verwiesen werde (Spalte 5, Zeilen 56 bis 58).
Mit anorganischem Salz (beispielsweise Natriumsulfat) beschichtete Granulate aus einer Imidoperoxycarbonsäure (PAP) seien an sich aus D1 und D9 bekannt, sowie auch ihre Verwendung als Bleichmittel für Textilien im Zusammenhang mit einer Wäsche (D1, Spalte 5, Zeile 52 bis Spalte 6, Zeile 2). Es gebe keinen Hinderungsgrund, diese Granulate je nach dem Endzweck in verschiedener, an sich bekannter Weise zu formulieren, beispielsweise als Pulver, Tabletten, Gel oder Flüssigkeit. Folglich beruhten die Gegenstände der Ansprüche 1 und 2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf D1, D9 und das allgemeine Fachwissen.
XI. Die Beschwerdegegnerin argumentierte im Wesentlichen wie folgt:
D9 und D11 seien nicht ins Verfahren zuzulassen, da die Beschwerdeführerin nichts vorgebracht habe, warum die diesbezügliche ablehnende Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung unrichtig sein sollte. Die aus D11 bekannten Bleichmittelzusammensetzungen seien wasserlöslich und somit nicht relevant.
Zur Neuheit:
D3 offenbare das Umhüllen von Phthalimidoperoxycarbonsäuren (PAP) durch wasserunlösliche Materialien (Fettsäuren, Fettalkohole und Fettsäureester), die als Schmelze aufgebracht werden. Die so umhüllten Teilchen könnten dann mit Hilfe von zusätzlichem hydratisierbaren Material (einem anorganischen Salz, wie z.B. Natriumsulfat) in Formkörper überführt werden; diese Stelle lehre jedoch nicht, die Imidoperoxycarbonsäure mit dem Salz zu umhüllen. Vielmehr werde eine pastenförmige Schmelze aus dem hydratisierbaren Salz und den PAP-Teilchen erzeugt, so dass nach dem Erstarren das Salz auch im Inneren des Formkörpers vorliege. Im Gegensatz dazu müsse eine in ein Wasch- oder Reinigungsmittel gemäß Anspruch 1 des Streitpatents einsetzbare Kapsel einen Kapselkern auf Basis der Imidoperoxycarbonsäure und eine Kapselhülle auf Basis eines anorganischen Salzes aufweisen. Der Formkörper der D3 weise gerade keinen solchen Kapselaufbau auf, sondern sei eine inhomogene Mischung. Der Gegenstand der Patentansprüche 1 und 2 sei daher im Hinblick auf D3 neu.
Aus D1 seien keine Kapseln bekannt, die aus einem Kapselkern aus Imidoperoxycarbonsäure und einer Kapselhülle aus einem anorganischen Salz bestünden. Offenbart werde vielmehr ein homogen aufgebautes Granulat, in dem die Persäure und das anorganische Salz (Natriumsulfat) vermischt seien.
Zur erfinderischen Tätigkeit:
Die Beschwerdeführerin erläutere nicht, was den Fachmann dazu veranlasst haben würde, die Bleichteilchen der D1 oder der D2 in flüssigen Waschmitteln einzusetzen. D1 beschäftige sich mit einer anderen Aufgabe, nämlich Granulate mit geringem Staubanteil herzustellen. Ein Fachmann, der vor der Aufgabe stehe, bleichmittelhaltige Flüssigwaschmittel zu entwickeln, würde daher D1 nicht zu Rate ziehen, da Staubanteile in flüssigen Mitteln nicht aufträten.
D2 habe zur Aufgabe, mechanisch und chemisch stabile frei rieselfähige Granulate zu entwickeln. Diese Eigenschaften spielten bei flüssigen Mitteln keine Rolle, weswegen der Fachmann auch D2 nicht zu Rate gezogen hätte, wenn bleichmittelhaltige Flüssigwaschmittel zu entwickeln seien.
Der Gegenstand des Streitpatents beruhe daher auch auf erfinderischer Tätigkeit.
XII. Anträge:
Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Streitpatent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise, das Patent in geänderter Form auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 9 gemäß Hilfsantrag 1, eingereicht während der mündlichen Verhandlung, aufrechtzuerhalten.
Entscheidungsgründe
1. Zulassung der erstinstanzlich als verspätet zurückgewiesenen Dokumente D9 und D11 in das Beschwerdeverfahren
1.1 Nach Regel 76(2)c) EPÜ muss mit dem Einspruchsschriftsatz mitgeteilt werden, in welchem Umfang gegen das europäische Patent Einspruch eingelegt wird, auf welche Einspruchsgründe der Einspruch gestützt wird, und es müssen die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angegeben werden.
Ob verspätet eingereichte Unterlagen zugelassen werden, liegt im Ermessen der Einspruchsabteilung (Artikel 114(2) EPÜ). Die Richtlinien E VI-2 (April 2010) führen aus, dass bei der Entscheidung über die Zulassung verspätet vorgebrachter Tatsachen, Beweismittel oder Einspruchsgründe deren Bedeutung für die Entscheidung (deren Relevanz), der Stand des Verfahrens und die Gründe für die verspätete Vorlage zu berücksichtigen sind.
In der Entscheidung T 188/05 (vom 18. Juni 2007; Entscheidungsgründe Punkt 1) wird erläutert, dass die Ausübung des Ermessens vom jeweiligen Fall abhänge, jedoch in der Regel die Relevanz des neuen Materials sowie die Frage zu berücksichtigen sei, ob das neue Material früher hätte vorgelegt werden können, und wenn ja, warum dies nicht geschehen sei, ob andere Beteiligte und/oder die Kammer selbst davon überrascht worden seien und wie leicht sie sich damit befassen könnten bzw. ob sie dazu ausreichend Zeit hätten.
1.2 Die Beschwerdegegnerin stimmte der Zulassung der Dokumente D9 und D11 damals wie heute nicht zu.
1.3 Im vorliegenden Fall ließ die Einspruchsabteilung die Dokumente D9 und D11, die erst nach Ende der Einspruchsfrist eingegangen waren, nicht in das Verfahren zu, da sie prima facie nicht relevanter gewesen seien als bereits im Verfahren befindliche Dokumente (insbesondere D3). Die Einspruchsabteilung begründete diese Einschätzung unter Abschnitt 3 der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung ausführlich.
Was die anderen Kriterien zur Ausübung des Ermessens betraf, insbesondere die Frage, ob die Dokumente früher hätten vorgelegt werden können, und wenn ja, warum dies nicht geschah, so konnte die Einspruchsabteilung diese unberücksichtigt bzw. unbeantwortet lassen, da die damalige Einsprechende, obwohl ordnungsgemäß geladen, bei der mündlichen Verhandlung nicht anwesend war. Dies geht daher zu ihren Lasten.
1.4 Die Kammer kommt daher zu der Auffassung, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen pflichtgemäß und richtig ausgeübt hat.
1.5 Gemäß G 7/93 (ABl. EPA 1994, 775; Gründe, Punkt 2.6) soll sich eine Beschwerdekammer nur dann über die Art und Weise, wie die erste Instanz bei einer Entscheidung in einer bestimmten Sache ihr Ermessen ausgeübt hat, hinwegsetzen, wenn sie zum Schluss gelangt, dass die erste Instanz ihr Ermessen nach Maßgabe der falschen Kriterien, unter Nichtbeachtung der richtigen Kriterien, oder in willkürlicher Weise ausgeübt hat.
1.6 Aus obigen Punkten 1.1 bis 1.3 folgt, dass dies nicht der Fall ist. Die Beschwerdeführerin hat auch nichts dazu vorgetragen, aus welchem Grunde D9 und D11 doch noch in das Verfahren zuzulassen wären. Daher bleibt es dabei, dass die Dokumente D9 und D11 vom Verfahren ausgeschlossen sind.
1.7 Die Dokumente D4 bis D8, D10 und D12 hat die Einspruchsabteilung ebenfalls nicht in das Verfahren zugelassen.
Da sich die Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren jedoch nicht mehr auf diese Dokumente stützt, sieht die Kammer keine Veranlassung, diese Ermessensentscheidung zu überprüfen.
2. Neuheit (Haupt- und Hilfsantrag)
2.1 Aus Dokument D3 sind Agglomerate aus Imidoperoxycarbonsäure (IPCA) bekannt, die mit wasserunlöslichen Fettsäuren, z.B. Laurinsäure, in einer Schmelze beschichtet sind (siehe Seite 3, Zeilen 40 bis 55; Seite 5, Zeile 48 bis Seite 6, Zeile 18). Die mit dem wasserunlöslichen Material beschichteten IPCA-Agglomerate können in einer wässrigen Lösung suspendiert sein (Seite 6, Zeilen 52 bis 56; Beispiel 2). Die Suspensionen können durch Zugabe eines anorganischen Salzes, wie Natriumsulfat, zusätzlich stabilisiert werden (Seite 4, Zeilen 37 bis 44). Die beschichteten Aggregate können auch in stückiges, gebrochenes Material überführt werden, das das hydratisierbare Material in Form von anorganischen Salzen (beispielsweise Natriumsulfat) enthält (siehe Seite 6, Zeilen 34 bis 51). Die beschichteten Agglomerate sind für den Einsatz in flüssigen Bleichmittelkompositionen geeignet (siehe Anspruch 18; Seite 6, Zeilen 52 bis 56).
Gemäß Beispiel 2a (Seite 8, Tabelle 1) stellt man zunächst einen wässrigen Träger ("liquid carrier") aus 9,1 Gew.-% PAP, 6 Gew.-% Natriumlaurylsulfat (LAS), 10 Gew.-% Natriumsulfat und Rest Wasser her. Pulverförmiges PAP wird darin eingearbeitet, bis eine Paste entsteht. Danach setzt man wässrigen Träger zu, bis die gewünschte Suspension erhalten wird.
Gemäß Beispiel 6 (Seite 10) legt man in einem Eirich-Mischer ein Gemisch aus wasserfeuchtem und trockenem Agglomerat aus PAP und Laurinsäure vor und setzt eine 50%ige Paste von Natriumdodecylbenzylsulfonat zu. Zu der vorgemischten Paste wird sodann wasserfreies Natriumsulfat zugegeben. Bei 30°C entsteht unter weiterem Mischen ein Granulat von 1 bis 2 mm. Diese Vorgangsweise führt nicht zur Ausbildung einer Kapselhülle aus Natriumsulfat auf einem Kern von PAP.
Die Einspruchsabteilung hielt die Ansicht der Beschwerdegegnerin für plausibel, dass durch die vorstehend beschriebenen Verfahren keine Kapseln mit einem Kern und diesen umgebender Hülle auf Basis eines anorganischen Salzes gemäß den Ansprüchen 1 und 2 des Hauptantrages erhältlich seien. Die Kammer schließt sich dem an. Unter den in D3 beschriebenen Herstellbedingungen werden wegen der guten Wasserlöslichkeit des Natriumsulfats keine Partikel aus PAP mit einer Hülle aus Natriumsulfat erhalten, sondern PAP-Aggregate, die mit LAS beschichtet sind.
Die Neuheit gegenüber D3 ist daher anzuerkennen.
2.2 Aus D1 ist es bekannt, Granulate mit einem Kern aus einem Bleichmittel, z.B. Imidoperoxycarbonsäuren wie Phthalimidoperoxycarbonsäure (PAP), und einer Hülle aus einer hydratisierbaren anorganischen Substanz, bevorzugt Natriumsulfat, herzustellen. Die Umhüllung geschieht in einem geeigneten Reaktor, z.B. einem Schwebebett-Granulator, durch Aufsprühen, Zutropfen u. dgl. einer 30 bis 70%igen wässrigen Lösung der hydratisierbaren anorganischen Substanz bei einer Temperatur von 32,5 bis 40°C auf die Granulatkomponente aus vorgranulierter Persäure (siehe D1, Spalte 2, Zeilen 12 bis 29 und 42 bis 53; Spalte 4, Zeilen 16 bis 20 und 52 bis 60; Spalte 5, Zeilen 2 und 3). Die erhaltenen Granulate von 0,1 bis 5 mm Durchmesser sind wenig staubend und finden als Bleichsubstanz in der Textilwäsche und in streufähigen Formulierungen zusammen mit anderen aktiven Komponenten in der Behandlung von Textilien Verwendung (Spalte 5, Zeile 43 bis 45; Spalte 5, Zeile 52 bis Spalte 6, Zeile 2).
Das Herstellverfahren für die beschichteten Granulate unterscheidet sich insofern nicht von dem des Streitpatents (siehe Abschnitt [0029]). Im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdegegnerin offenbart D1 also keine homogen aufgebauten Granulate, sondern Kapseln im Sinne des Streitpatents mit einem Kern aus Imidoperoxycarbonsäure und einer Kapselhülle aus einem anorganischen Salz (Natriumsulfat).
D1 offenbart allerdings keine flüssigen Wasch- und Reinigungsmittelzusammensetzungen oder flüssige Dispersionen, enthaltend diese beschichteten Granulate.
Die Gegenstände von Anspruch 1 bis 10 gemäß Hauptantrag und von 1 bis 9 gemäß Hilfsantrag 1 sind damit neu gegenüber D1.
2.3 D2 betrifft ein Granulat enthaltend eine wasserunlösliche organische Persäure (z.B. Phthalimido-peroxycarbonsäure (PAP)) als Bleichmittel, eine hydratisierbare anorganische Substanz, z.B. Natriumsulfat, und wahlweise eine oberflächenaktive Verbindung (Spalte 5, Zeile 8 bis 15; 49 bis 64; Spalte 2, Zeile 61 bis Spalte 3, Zeile 18). Die Granulate sind lagerstabil und fließfähig. Anspruch 9 von D2 betrifft eine Reinigungsmittelkomposition, die eine oberflächenaktive Substanz und die besagten Bleichmittelgranulate enthält. Es werden aber keine flüssigen Wasch- und Reinigungsmittelzusammensetzungen oder flüssige Dispersionen, die beschichtete Bleich-Granulate enthalten, offenbart.
Die beanspruchten Zusammensetzungen sind damit neu gegenüber D2.
2.4 Zusammenfassend sind die Gegenstände der vorliegenden Ansprüche 1 bis 10 (Hauptantrag) und 1 bis 9 (Hilfsantrag 1) neu im Hinblick auf den im Verfahren befindlichen Stand der Technik (Artikel 54 EPÜ).
3. Erfinderische Tätigkeit
3.1 Das Streitpatent betrifft flüssige Wasch- und Reinigungsmittelzusammensetzungen bzw. -dispersionen mit Kapseln aufweisend mit einer Imidoperoxycarbonsäure beladene Kapselkerne und eine Kapselhülle auf Basis eines anorganischen Salzes.
Hauptantrag
3.2 Die Kammer geht von D1 als nächstem Stand der Technik aus, weil dieses Dokument Granulate mit einem Kern aus einem Bleichmittel, z.B. Imidoperoxycarbonsäuren wie Phthalimidoperoxycarboxylsäure (PAP), und einer Hülle aus einer hydratisierbaren anorganischen Substanz, bevorzugt Natriumsulfat, offenbart.
3.3 Laut Streitpatent bestand die Aufgabe, flüssige Wasch- und Reinigungsmittelzusammensetzungen anzugeben, die eine Imidoperoxycarbonsäure in stabiler Form enthält und die sich während des Waschvorgangs schnell auflösen (vgl. Abschnitt [0018] des Streitpatents).
3.4 Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent Wasch- und Reinigungsmittelzusammensetzungen enthaltend mit Imidoperoxycarbonsäure beladene Kapseln gemäß den Ansprüchen 1 und 2 des Hauptantrags vor, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie als flüssige Mittel formuliert sind.
3.5 Das Streitpatent enthält Ausführungsbeispiele und Vergleichsversuche, die zeigen, dass mit Natriumsulfat beschichtete Bleichmittelkapseln sich in flüssige Wasch- und Reinigungsmittel stabil einarbeiten lassen, wobei der Aktivsauerstoffgehalt bei Lagerzeiten von 1 und 2 Wochen nur auf 99% bzw. 95% absinkt (Vergleichsbeispiel mit ungekapseltem Bleichmittel: 75% bzw. 65%).
Wie im Streitpatent ausführlich erläutert wird (siehe Abschnitte [0041], [0042], [0045] und [0050]), setzt eine solche Stabilisierung in flüssiger, d.h. wässriger Phase allerdings einen hohen Gehalt der flüssigen Phase an anorganischem Salz (in den Beispielen 12,5 bzw. 11 Gew.-% an Natriumsulfat) voraus, da ein lösliches Salz in einer herkömmlichen wasserbasierten Matrix spontan abgelöst würde. Erst ein Gehalt an gelöstem anorganischen Salz, das derart ausgewählt ist, dass es demjenigen der Kapselhülle entspricht, verhindert bzw. verringert das Auflösen der Kapselhülle in der flüssigen Wasch- und Reinigungsmittelzusammensetzung wegen Überschreiten des Löslichkeitsprodukts, und stabilisiert so die Dispersion.
Das Streitpatent macht aber gerade nicht plausibel, dass und wie eine Stabilisierung der leicht wasserlöslichen Hülle in einer wässrigen Zubereitung auf andere Weise erzielbar wäre.
Da dieses wesentliche Merkmal in Anspruch 1 des Hauptantrags aber fehlt, ist die gestellte Aufgabe, eine stabile Zusammensetzung anzugeben, mit den Mitteln des Anspruchs nicht erfolgreich gelöst.
3.6 Es ist daher erforderlich, die Aufgabe weniger anspruchsvoll zu formulieren. Die Kammer sieht die Aufgabe daher in der Bereitstellung flüssiger Wasch- und Reinigungsmittelzusammensetzungen, die eine Imidoperoxycarbonsäure in gekapselter Form enthalten.
3.7 Die Kammer hat keine Zweifel, dass diese neu formulierte Aufgabe erfolgreich gelöst wurde.
3.8 Es bleibt zu entscheiden, ob die Lösung angesichts des Stands der Technik nahelag.
Die Beschwerdeführerin trug hierzu vor, dass flüssige Wasch- und Reinigungsmittelzusammensetzungen, auch solche mit Persäure als Bleichmittel, an sich aus D3 bekannt seien. Es habe für den Fachmann auf der Hand gelegen, dass die aus D1 bekannten beschichteten Bleichmittelkapseln in vielen verschiedenen Formen zur Anwendung gebracht werden können, so z.B. als Pulver, Tabletten, Gel oder auch als flüssige Komposition. Dies seien triviale Alternativen.
In der Tat offenbart D3 Agglomerate aus Imidoperoxycarbonsäure, die mit wasserunlöslichen Fettsäuren beschichtet sind und durch Zugabe eines anorganischen Salzes, bevorzugt Natriumsulfat, zusätzlich stabilisiert werden können. Die beschichteten Agglomerate sind für den Einsatz in flüssigen Bleichmittelkompositionen geeignet.
Die Kammer sieht tatsächlich keinen Hinderungsgrund, warum der Fachmann die aus D1 bekannten Kapseln nicht in flüssige Wasch- und Reinigungsmittelzusammensetzungen einbringen solle, wenn die Stabilität dieser Mittel nicht von Belang ist (weil sie beispielsweise unmittelbar nach der Formulierung zu Waschzwecken eingesetzt werden). Dass sich die Natriumsulfat-Hülle der beschichteten Persäure-Teilchen in Wasser relativ rasch auflöst, steht dem Einsatz der Wasch- und Reinigungsmittelzusammensetzungen bzw. -dispersionen nicht entgegen.
Die Gegenstände von Anspruch 1 und 2 gemäß Hauptantrag beruhen daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Hilfsantrag 1
3.9 Die Kammer geht wiederum von D1 als nächstem Stand der Technik aus.
3.10 Die dem Streitpatent zugrunde liegende Aufgabe besteht in der Angabe von flüssigen Wasch- und Reinigungsmittelzusammensetzungen, die eine Imidoperoxycarbonsäure in stabiler Form enthalten und die sich während des Waschvorgangs schnell auflösen (vgl. Abschnitt [0018] des Streitpatents).
3.11 Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent Wasch- und Reinigungsmittelzusammensetzungen enthaltend mit Imidoperoxycarbonsäure beladene Kapseln gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 vor, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie als flüssige Mittel formuliert sind und dass die Mittel ein anorganisches Salz, welches die Löslichkeit des die Kapselhülle bildenden Salzes in der Dispersion herabsetzt, enthalten.
3.12 Ausführungsbeispiele und Vergleichsversuche im Streitpatent zeigen, dass mit Natriumsulfat beschichtete Bleichmittelkapseln sich in flüssige Wasch- und Reinigungsmittel stabil einarbeiten lassen, wenn die wässrige Phase einen hohen Gehalt an anorganischem Salz, welches die Löslichkeit des die Kapselhülle bildenden Salzes in der Dispersion herabsetzt, enthält. In den beiden Beispielen weist die flüssige Phase 12,5 bzw. 11 Gew.-% an Natriumsulfat auf. In solchen stabilisierten flüssigen Zusammensetzungen sinkt der Aktivsauerstoffgehalt bei Lagerzeiten von 1 und 2 Wochen nur auf 99% bzw. 95% ab.
Wie im Streitpatent eingehend erläutert wird (siehe Abschnitte [0041], [0042], [0045] und [0050]), würde ein lösliches Salz wie Natriumsulfat in einer herkömmlichen wasserbasierten Matrix spontan abgelöst werden. Erst ein Gehalt an gelöstem anorganischen Salz, das derart ausgewählt ist, dass es demjenigen der Kapselhülle entspricht, verhindert bzw. verringert das Auflösen der Kapselhülle in der flüssigen Wasch- und Reinigungsmittelzusammensetzung wegen Überschreiten des Löslichkeitsprodukts.
Aus diesen Gründen findet es die Kammer plausibel, dass die Aufgabe der Stabilisierung der flüssigen Wasch- und Reinigungsmittelzusammensetzungen erfolgreich gelöst wurde. Durch die beim Waschvorgang eintretende Verdünnung wird sodann die Kapselhülle aufgelöst und das Bleichmittel freigesetzt. Daher ist auch dieser Teil der Aufgabe als gelöst anzusehen.
3.13 Es bleibt zu entscheiden, ob die Lösung angesichts des Stands der Technik nahelag.
Analog zum Hauptantrag könnte man argumentieren, dass es ausgehend von D3 nahegelegen habe, die gemäß D1 erhältlichen Granulate auch in einer flüssigen Wasch- und Reinigungskomposition einzusetzen. Jedoch gibt weder D1 noch anderer Stand der Technik dem Fachmann die Anregung, die mit einem anorganischen Salz verkapselten, flüssigen Wasch- und Reinigungsmittelzusammensetzungen dadurch zu stabilisieren, dass man der flüssigen Matrix ein anorganisches Salz, welches die Löslichkeit des die Kapselhülle bildenden anorganischen Salzes in der Dispersion herabsetzt, zusetzt.
3.14 Im Ergebnis beruhen die Gegenstände von Anspruch 1 und der von ihm abhängigen Ansprüche 2 bis 9 gemäß Hilfsantrag 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent auf der Grundlage der Ansprüche gemäß Hilfsantrag 1, eingereicht während der mündlichen Verhandlung, und einer anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.