T 0395/11 () of 4.11.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T039511.20141104
Datum der Entscheidung: 04 November 2014
Aktenzeichen: T 0395/11
Anmeldenummer: 05768242.9
IPC-Klasse: F01D 5/14
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: TURBINENRAD IN EINER ABGASTURBINE EINES ABGASTURBOLADERS
Name des Anmelders: Daimler AG
Name des Einsprechenden: Abb Turbo Systems AG
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag, Hilfsanträge 1 und 2
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 11. Juni 2005 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 19. Juni 2004 als internationale Anmeldung eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 05768242.9 wurde das europäische Patent Nr. 1 759 091 erteilt.

Anspruch 1 lautet:

"Turbinenrad in einer Abgasturbine (3) eines Abgasturboladers (2), bestehend aus einer Turbinenradnabe (13) und einer Mehrzahl von auf der Turbinenradnabe (13) angeordneten Turbinenradschaufeln (15), die sich axial zwischen einem Turbinenradeintritt (16) und einem Turbinenradaustritt (17) erstrecken,

dadurch gekennzeichnet, dass das Turbinenrad einen radialen Turbinenradeintritt aufweist und die Turbinenradschaufeln (15) im Bereich der Turbinenradeintrittskante (16) den größten Außendurchmesser (D) aufweisen, dass die dem Turbinenradeintritt (16) benachbarte Stirnwand (20) des Turbinenrades (12) sich radial bis zum größten Außendurchmesser (d) der Turbinenradschaufeln (15) erstreckt und dass die Turbinenradschaufeln (15) in der Weise ausgebildet sind, dass das Verhältnis von Nabenkonturdicke (dn) zur Außenkonturdicke (da) jeder Turbinenradschaufel (15) in der dem Turbinenradaustritt (17) zugewandten axialen Hälfte des Turbinenrades (12) der Funktion

dn/da > 8 für x/lax > 0.5,

folgt, wobei

dn die Nabenkonturdicke einer Turbinenradschaufel (15)

da die Außenkonturdicke einer Turbinenradschaufel (15)

x die aktuelle axiale Position ausgehend von der dem Turbinenradeintritt (16) benachbarten Stirnwand des Turbinenrades (12)

lax die axiale Gesamtlänge des Turbinenrades (12)

bezeichnet."

II. Gegen das erteilte Patent wurde, gestützt auf die Einspruchsgründe des Artikels 100 a) EPÜ, Einspruch eingelegt mit dem Antrag auf Widerruf des Patents.

III. Die Einspruchsabteilung hat mit ihrer am 22. Dezember 2010 zur Post gegebenen Entscheidung das Patent widerrufen. Sie kam zu dem Ergebnis, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. In ihrer Entscheidung waren die folgenden Entgegenhaltungen relevant:

D2: DE-A-102 12 032

E1: Axial and Radial Turbines, Moustapha, Zelesky, Baines, Japikse, Concepts ETI, Inc. d.b.a. Concepts NREC, USA, 2003, Seiten 303 u. 304.

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 16. Februar 2011 Beschwerde eingelegt, gleichzeitig die Beschwerdegebühr bezahlt und am 28. Februar 2011 die Beschwerdebegründung sowie zwei Hilfsanträge eingereicht.

V. In ihrer Beschwerdeerwiderung vom 31. August 2011 vertrat die Beschwerdegegnerin weiterhin ihre Auffassung, die beanspruchten Gegenstände seien mangels Neuheit oder erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig. Die geänderten Ansprüche gemäß den Hilfsanträgen seien unklar und daher nicht zulässig, jedenfalls aber wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar.

VI. Die Beschwerdekammer hat in ihrem Bescheid als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung ihre vorläufige Einschätzung der Sachlage mitgeteilt, wonach der Gegenstand des Anspruchs 1 neu sein dürfte und die Begründung mangelnder erfinderischer Tätigkeit durch die Einspruchsabteilung nicht zu beanstanden sei. Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 könnte dem Fachmann naheliegen; ob der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 erfinderisch sei, werde zu diskutieren sein.

VII. Mit Schreiben vom 29. August 2014 nahm die Beschwerdeführerin ihren in der Beschwerdeschrift gestellten Antrag auf mündliche Verhandlung zurück und bat um Entscheidung im schriftlichen Verfahren.

VIII. Anträge

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt oder gemäß einem der Hilfsanträge 1 oder 2.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) hat den Widerruf des Patents beantragt. Da das Patent bereits im Einspruchsverfahren widerrufen wurde, versteht die Kammer diesen Antrag als auf die Zurückweisung der Beschwerde gerichtet.

IX. Hilfsanträge

Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 umfasst den Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag, an den angefügt wurde:

"... und wobei die Schaufelraddicke (d) zwischen der Nabenkontur (18) und der Außenkontur (19) jeder Turbinenradschaufel (15) der Funktion

d = da (d n - da) (h/hN)**(ex)

folgt, wobei

d die aktuelle Schaufelraddicke

h die aktuelle radiale Position im Bereich der

Turbinenradschaufel (15) ausgehend vom

Außendurchmesser und radial nach innen verlaufend

hN die radiale Erstreckung zwischen Turbinenradnabe

und Außendurchmesser

ex einen Exponenten

bezeichnet, und wobei der Exponent (ex) im folgenden Wertebereich liegt:

1 <= ex <= 2."

Hilfsantrag 2 basiert auf dem Hilfsantrag 1, wobei der letzte Halbsatz geändert wurde in:

"... und wobei der Exponent (ex) einen Wert zwischen 1 und 1,2 einnimmt."

X. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei neu gegenüber E1, weil dort jedenfalls nicht das beanspruchte Verhältnis der Nabenkonturdicke zur Außenkonturdicke der Turbinenradschaufeln eindeutig und zweifelsfrei offenbart sei. Es handle sich um eine schematische Zeichnung, der in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der Beschwerdekammern ein konkretes numerisches Verhältnis nicht entnehmbar sei.

Ausgehend von D2 als nächstkommendem Stand der Technik finde der Fachmann keine Anregung zur patentgemäßen Ausbildung der Turbinenradschaufeln, denn diese Druckschrift befasse sich in erster Linie mit der Auslegung der Turbinenschaufeln in der Weise, dass ihre Eigenfrequenz einen berechenbaren Maximalwert nicht übersteigt. Das Dokument gehe bei der Optimierung der Turbinenradschaufeln einen unterschiedlichen Weg. Es werde eine Dicke der Turbinenschaufeln im Bereich der Knotenlinie der ersten Eigenfrequenz behandelt, über die Außenkonturdicke werde nichts gesagt. Jedenfalls fehle jeglicher Hinweis auf das beanspruchte Verhältnis der Nabenkonturdicke zur Außenkonturdicke der Turbinenradschaufeln, die der Fachmann aus diesem Dokument auch nicht herleiten könne.

Auch das Dokument E1 könne die erfinderische Tätigkeit beim Gegenstand des Anspruchs 1 nicht in Frage stellen. Das beanspruchte Verhältnis der Nabenkonturdicke zur Außenkonturdicke der Turbinenradschaufeln lasse sich E1 nicht entnehmen. Es gehe dort um möglichst dünne Schaufelblattenden und um die Grenzen beim Herstellungsverfahren sowie um die Spannungsminimierung durch Ausbildung eines Radius zwischen Schaufelfuß und Turbinennabe.

XI. Die Beschwerdegegnerin argumentierte, die Figur 9.24 der E1 offenbare dem mit allgemeinem Fachwissen ausgestatteten Fachmann bereits das beanspruchte Verhältnis der Nabenkonturdicke zur Außenkonturdicke der Turbinenradschaufeln von >8, weil es sich nicht nur um eine schematische Zeichnung handle, sondern um eine Funktionskurve. Unabhängig von der realen (gekrümmten) Kontur des Schaufelblattes werde dort nur der Dickenverlauf dargestellt.

Zumindest beruhe der beanspruchte Gegenstand gegenüber E1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit, denn E1 offenbare klar, dass die Außenkonturdicke möglichst gering sein solle und zur Turbinenradnabe hin dicker werden solle, um die Spannungen zu reduzieren. Das dabei noch andere Faktoren wie die Zunahme der Masse berücksichtigt werden müssten, sei selbstverständlich. Es handle sich letztlich nur um ein Optimierungsproblem, das der Fachmann im Rahmen seiner gewöhnlichen Tätigkeit lösen könne. Jedenfalls sei das Verhältnis der Nabenkonturdicke zur Außenkonturdicke der Turbinenradschaufeln von 8 weder mit unerwarteten Wirkungen noch mit einem überraschenden Effekt verbunden.

In Figur 3 von D2 sei eine Zunahme der Turbinenschaufelraddicke direkt durch den von der Basis aus nach oben abnehmenden Abstand der Konturlinien klar erkennbar. Ein Schaufeldickenverhältnis von >8 könne der Fachmann im Rahmen der Optimierungsaufgabe daraus ohne weiteres ableiten.

Die Hilfsanträge sollten nicht zum Verfahren zugelassen werden, da die geänderten Ansprüche nicht klar seien. Es sei nicht definiert, an welcher axialen Position der nun beanspruchte radiale Verlauf der Schaufelraddicke gemeint sei.

Die Zunahme der Schaufelraddicke von außen nach innen mit dem Exponenten 1 sei linear und daher ohne technischen Effekt, eine exponentielle Zunahme sei aber bereits aus Fig. 9.24 von E1 bekannt. Bei linearem Anstieg sei eine technische Aufgabe nicht erkennbar und die angestrebte Eigenschaft werde nicht erreicht. Die Wahl eines anderen Exponenten sei zumindest naheliegend.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag

2.1 Neuheit

Die Feststellung der Neuheit durch die Einspruchsabteilung ist nicht zu beanstanden. Bei der Figur 9.24 in E1 handelt es sich um eine Detailzeichnung, die zwar schematisch ist, aber durchaus einen Offenbarungsgehalt für den Verlauf der Dicke einer Turbinenradschaufel aufweist. Die Kriterien gemäß T 204/83 sind daher erfüllt. Das konkret beanspruchte Dickenverhältnis ist der Zeichnung jedoch nicht entnehmbar. Selbst durch Nachmessen der Breite am Auslauf der Fußausrundung und an der Turbinenschaufelspitze ergibt sich nicht eindeutig der beanspruchte Wert von dn/da > 8, eher ein Wert in der Größenordnung von 6.

2.2. Erfinderische Tätigkeit

2.2.1 Die Einspruchsabteilung ging in ihrer Entscheidung von D2 als nächstkommendem Stand der Technik aus, worin die Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 offenbart sind. D2 [0003] befasse sich bereits mit der Erhöhung der Stabilität der Turbinenradschaufeln, insbesondere im Motorbremsbetrieb. Der mit dem Problem befasste Fachmann würde ein größeres Schaufeldickenverhältnis zwischen Nabenkonturdicke und Außenkonturdicke in Betracht ziehen und käme in naheliegender Weise zur Lösung, wobei die spezielle Auswahl des Wertes von 8 keinen besonderen Effekt bewirke. Die Kammer kommt bei genauerer Betrachtung zum gleichen Ergebnis.

2.2.2 Es handelt sich um ein Optimierungsproblem, das der Fachmann (z.B. Hochschulingenieur) mit seinem Wissen und Können angeht. In Absatz [0007] des Patents (Lösung des Problems) ist beschrieben, dass die Schaufeln im Bereich der Nabe ,,verhältnismäßig" dick und im Bereich der Außenkontur ,,verhältnismäßig" dünn ausgebildet sind. Wenn der Fachmann einerseits die Turbine im Hinblick auf das Ansprechverhalten optimieren will, muss er die Masse reduzieren. Andererseits müssen die Turbinenschaufeln die Fliehkräfte aufnehmen, die entsprechend der Fliehkraftformel (F = m * r * omega**(2)) radial nach außen quadratisch ansteigen.

2.2.3 E1 offenbart eine Schaufel eines Turbinenrades, wobei im Text (S. 303, vorletzter Absatz) ausgesagt wird, dass die Schaufelenden möglichst dünn sein sollen, wobei es Grenzen in Abhängigkeit des Bearbeitungsverfahrens gebe. Der Fachmann wird dadurch angeregt, die Schaufelenden so dünn wie möglich auszuführen, um die Masse und damit die Fliehkräfte zu minimieren. Er wird daher die Schaufel an der Nabe dick genug ausführen, damit sie die Spannungen aufnehmen kann, und sie bis zur Außenkontur immer dünner machen, um Gewicht zu sparen.

2.2.4 Der Wert dn/da > 8 bedeutet im Klartext, dass die Turbinenradschaufel an der Nabe 8 mal so dick ausgeführt ist wie an der Schaufelspitze. Der Fachmann weiß, dass aus Festigkeitsgründen zur Spannungsoptimierung eine Fußausrundung am Übergang vom Schaufelfuß zur Nabe immer erforderlich ist. Eine Definition der genauen Lage, an der die Dicke der Turbinenradschaufel im Nabenbereich zu messen ist, geht jedoch aus dem Patent nicht hervor. Der Fachmann ist jedenfalls aufgrund seines fachlichen Wissens und Könnens unter Beachtung der Fliehkraftformel in der Lage, durch einfache Vergleichsversuche ein optimales Dickenverhältnis für seinen Zweck zu ermitteln. Dabei liegt der Wert >8 unmittelbar im auffindbaren Bereich.

2.2.5 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gilt daher nicht als auf erfinderischer Tätigkeit beruhend (Artikel 56 EPÜ 1973).

3. Hilfsanträge (Artikel 56 EPÜ 1973)

3.1 Mit Hilfsantrag 1 wird ein Verlauf der Schaufelraddicke beansprucht, deren Kontur linear bis parabelförmig von der Nabe zur Außenkontur verläuft. Allein unter Beachtung der Fliehkraftformel wäre der Exponent 2 logischerweise ideal für eine masselose Turbinenradschaufel. Da jedoch die nach außen zunehmende Masse der Turbinenradschaufel zusätzliche Kräfte und damit Spannungen in der Schaufel erzeugt, muss mehr Materialstärke vorhanden sein, um diese radial zunehmenden Fliehkräfte aufzunehmen. Das bedeutet, dass von der parabolischen Idealform für eine masselose Turbinenschaufel in Richtung linear korrigiert werden muss.

Somit liegt der Bereich von 1 <= ex <= 2, wie im Hilfsantrag 1 beansprucht, für den Fachmann nahe.

3.2 Mit Hilfsantrag 2 wird der Bereich von 1 <= ex <= 1,2 beansprucht, was einem Verlauf der Schaufelraddicke entspricht, deren Kontur zwischen linear und im Vergleich zu einem Wert ex = 2 weniger stark gekrümmt von der Nabe zur Außenkontur verläuft. Die auftretenden Kräfte und Spannungen infolge der Fliehkraft hängen in erster Linie von der Masse ab, so dass je nach Dichte des Werkstoffes unterschiedliche Fliehkräfte wirken. Der Fachmann wird daher eine entsprechende Optimierung im Hinblick auf Masse und Festigkeit des verwendeten Werkstoffes für das Turbinenschaufelrad durchführen und für den gewählten Werkstoff und das Schaufelprofil den für seinen Zweck geeigneten Verlauf der Schaufeldicke ermitteln. Dabei würde er den beanspruchten Wertebereich im Rahmen einfacher Versuche herausfinden.

Der beanspruchte Gegenstand mit eingeschränktem Wertebereich 1 <= ex <= 1,2 kann somit ebenfalls nicht als auf erfinderischer Tätigkeit beruhend gelten.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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