T 0379/11 (Bewertung technischer Hilfsmittel / ABB AG) of 24.4.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T037911.20180424
Datum der Entscheidung: 24 April 2018
Aktenzeichen: T 0379/11
Anmeldenummer: 04725893.4
IPC-Klasse: G06Q 10/00
G07C 3/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN UND SYSTEM ZUR SYSTEMATISCHEN EVALUATION VON BEWERTUNGSKENNGRÖßEN TECHNISCHER BETRIEBSMITTEL
Name des Anmelders: ABB AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.5.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Merkmale zur Kenngrössenbestimmung (nein
Erfinderische Tätigkeit - rein wirtschaftliche Überlegungen)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung die Patentanmeldung 04725893.4 wegen mangelnder Neuheit (Artikel 54 EPÜ) und mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) zurückzuweisen.

II. Die Prüfungsabteilung war insbesondere der Auffassung, dass Anspruch 1 des Hauptantrages nicht neu sei gegenüber der D1 (US5838881).

III. Die Beschwerdeführerin beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent zu erteilen auf der Grundlage des Hauptantrages oder des ersten oder zweiten Hilfsantrages, alle eingereicht mit der Beschwerdebegründung. Hilfsweise wurde mündliche Verhandlung beantragt.

IV. In der Ladung zur mündlichen Verhandlung legte die Kammer ihre vorläufige Meinung dar, wonach sie mit den von der Prüfungsabteilung in der Zurückweisung dargelegten Gründen im Wesentlichen übereinstimme und die Zurückweisung als gerechtfertig ansehe.

V. Anspruch 1 des Hauptantrages lautet wie folgt

1. Verfahren zur systematischen Bewertung und Einstufung technischer Betriebsmittel mittels einer Datenverarbeitungseinrichtung (20), die mit wenigstens einem Datenspeicher (21) zusammenwirkt und eine Eingabe- (22) sowie Anzeigevorrichtung (23) aufweist, wobei schrittweise

für das jeweilige technische Betriebsmittel wenigstens ein erster Datensatz mit wirtschaftlich relevanten Eingangskenngrößen sowie wenigstens ein zweiter Datensatz mit technisch relevanten Eingangskenngrößen erfasst und/oder ermittelt wird,

für jeden Datensatz durch wissensbasiert vorbestimmte numerische und/oder logische Verknüpfungen sowie wissensbasiert vorbestimmte betriebsmittelspezifische Wichtungsfaktoren die ermittelten Eingangskenngrößen zu jeweils einer wirtschaftlichen Bewertungskenngröße FIx und einer technischen Bewertungskenngröße RIx, zusammengeführt werden, wobei die individuell unterschiedlichen Wichtungen der verschiedenen technisch relevanten Eingangskenngrößen unter anderem die mit dem jeweiligen Fehlermodus des technischen Betriebsmittels einhergehenden Gefährdungen und technischen Folgen, insbesondere bei Kopplung und/oder Betrieb mehrerer Betriebsmittel in einem Verbund, berücksichtigen, und wobei die Höhe der für die Kenngrößenbestimmung relevanten Kosten im wesentlichen vom jeweiligen technischen Betriebmittel und seiner Stellung oder Wertigkeit, insbesondere im jeweiligen Betriebsmittelverbund, abhängt, und

aus den ermittelten Bewertungskenngrößen durch wissensbasiert vorbestimmte numerische Verknüpfungen und Wichtungsfaktoren resultierend eine einzige Gesamtbewertungskenngröße EIx zur Validierung des jeweiligen technischen Betriebsmittels bestimmt wird.

VI. Anspruch 1 des ersten Hilfsantrages lautet wie folgt:

1. Verfahren zur systematischen Bewertung und Einstufung von Transformatoren mittels einer Datenverarbeitungseinrichtung (20), die mit wenigstens einem Datenspeicher (21) zusammenwirkt und eine Eingabe- (22) sowie Anzeigevorrichtung (23) aufweist, wobei schrittweise

für den jeweiligen Transformator wenigstens ein erster Datensatz mit wirtschaftlich relevanten Eingangskenngrößen sowie wenigstens ein zweiter Datensatz mit technisch relevanten Eingangskenngrößen, welche technischen Eingangskenngrößen Rn hierbei nicht in physikalischen Einheiten, jedoch mit einer, für den jeweiligen Transformator spezifisch vorbestimmten Skalierung oder auf einer beliebigen Skala oder Definitionsbereich angegeben sind, erfasst und/oder ermittelt wird,

für jeden Datensatz durch wissensbasiert vorbestimmte numerische und/oder logische Verknüpfungen sowie wissensbasiert vorbestimmte betriebsmittelspezifische Wichtungsfaktoren die ermittelten Eingangskenngrößen zu jeweils einer wirtschaftlichen Bewertungskenngröße FIx und einer technischen Bewertungskenngröße RIx, zusammengeführt werden, wobei die individuell unterschiedlichen Wichtungen der verschiedenen technisch relevanten Eingangskenngrößen unter anderem die mit dem jeweiligen Fehlermodus des Transformators einhergehenden Gefährdungen und technischen Folgen, insbesondere bei Kopplung und/oder Betrieb mehrerer-Transformatoren in einem Verbund, berücksichtigen, und

aus den ermittelten Bewertungskenngrößen durch wissensbasiert vorbestimmte numerische Verknüpfungen und Wichtungsfaktoren resultierend eine einzige Gesamtbewertungskenngröße EIx zur Validierung des jeweiligen Transformators bestimmt wird.

VII. Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrages unterscheidet sich vom ersten Hilfsantrag durch das folgende zusätzliche Merkmal zur weiteren Definition der Eingangskenngrößen Rn.

"und durch Vorverarbeitung von verfügbaren technischen Betriebsmitteldaten und Parametern wie Daten von Sensor und Überwachungssystemen und Diagnosedaten und/oder Daten betreffend die Belastung des Transformators und/oder Ölfüllstände und/oder Öltemperatur und/oder mechanisch wirkende Kräfte und/oder Gasbildung gewonnen werden,"

VIII. Die Kammer lud zur mündlichen Verhandlung ein. Niemand war präsent für die Beschwerdeführerin, wie im Schreiben vom 23. April 2018 angekündigt worden war.

IX. Die Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:

Dokument D1 sei nicht zu entnehmen, dass die von einem mit einem Betriebsmittel, insbesondere einem Transformator, einhergehenden oder von diesem ausgehenden Gefährdungen und/oder technischen Folgen, insbesondere bei einer Fehlfunktion oder einem Ausfall, in der Bewertung des jeweiligen Betriebsmittels berücksichtigt werden, insbesondere berücksichtige D1 keine Wirkbeziehungen der Betriebsmittel untereinander, wenn diese innerhalb eines Verbundes redundant oder parallel eingesetzt würden. D1 offenbare auch keine individuell unterschiedliche "Wichtungen" verschiedener technischer Eingangsgrößen.

Entscheidungsgründe

1. Anmerkungen zur Erfindung

Die Erfindung betrifft ein Verfahren und ein System zur systematischen Bewertung und Einstufung technischer Betriebsmittel. Aus Datensätzen mit wirtschaftlich relevanten Eingangsgrößen und aus Datensätzen mit technisch relevanten Eingangsgrößen wird durch wissensbasierte Bewertung eine Gesamtbewertungs-kennungsgröße EIx zur Validierung des jeweiligen technischen Betriebsmittels ermittelt. Die ermittelte Gesamtbewertungskennungsgröße EIx , wird zur Beurteilung der Lebensdauer von Transformatoren und zum Anlagenmanagement verwendet (siehe Seite 18, dritter Absatz der veröffentlichten Anmeldung).

2. Hauptantrag - Anspruch 1 - erfinderische Tätigkeit gegenüber der D1

2.1 Das Dokument D1 zeigt unstreitig folgende technische Merkmale des Anspruches 1: eine Datenverarbeitungsan-lage in Form eines Prozessors, Spalte 6, zweiter bis sechster Absatz, und ein Verfahren zur systematischen Bewertung und Einstufung technischer Betriebsmittel, Spalte 2, zweiter Absatz. Ein Datenspeicher und eine Eingabe- und Anzeigevorrichtung ist in D1 ein notwendiges Merkmal der beschriebenen Datenverarbeitung, insbesondere da die verschiedenen Komponenten des Systems für online Überwachung und Kontrolle, wie z.B. "controller", "fuzzy logic", "fuzzy module", "analog input" and "alarm outputs", eingesetzt werden und zusammenwirken.

2.2 Das Ziel von D1 ist es, eine effizientere Arbeitsweise und eine erweiterte Lebensdauer der überwachten Transformatoren zu erreichen, Spalte 11, Zeilen 13 bis 28. Abbildungen 5 und 6 der D1 illustrieren wie aus verschiedenen Eingangsgrößen durch wissensbasierte Bewertung Ausgangswerte ermittelt werden, die zur Kontrolle des Kühlsystems der überwachten Transformatoren dienen. Die Eingangsgrößen ergeben sich aus der Überwachung von Transformatoren, Spalte 5, Zeilen 23 bis 37, Spalte 6, Zeilen 3 bis 9, und 28 bis 35.

2.3 Der Unterschied der vorliegenden Anmeldung zu D1 liegt, wie von der Prüfungsabteilung unter Absatz 2.1 der Entscheidung festgestellt, in den nicht-technischen Merkmalen, nämlich, dass der erste Datensatz "wirtschaftlich relevante" Eingangskenngrößen enthält, die Bewertungskenngröße FIx eine "wirtschaftliche" Bewertungskenngröße ist und die Höhe der für die Kenngrößenbestimmumg relevanten Kosten im Wesentlichen vom jeweiligen Betriebsmittel und / oder seiner Stellung oder Wertigkeit abhängt, insbesondere im jeweiligen Betriebsmittelverbund.

2.4 Diese Merkmale berücksichtigen rein wirtschaftliche Erwägungen und führen zu keinem technischen Effekt, der eine erfinderische Leistung im Sinne des Artikels 56 EPÜ begründen könnte.

2.5 Obwohl das Verfahren technische Objekte im Sinne von technischen Betriebsmitteln, wie beispielsweise Transformatoren, verwaltet und es mittels einer Datenverarbeitungs-einrichtung ausgeführt wird, wird kein technisches Problem gelöst, sondern ein rein administratives Problem mit dem Ziel einer administrativen Entscheidung über Kosten und Lebensdauer der bewerteten Betriebsmittel. Des Weiteren stellt der Einsatz von wissensbasierten Methoden zur Ermittlung von Wichtungsfaktoren oder von Kenngrößen im erfindungsgemäßen Bewertungsverfahren eine Verwendung von rein mathematischen Konzepten und Modellen dar, mit einer nichttechnischen Zielsetzung.

2.6 Die Beschwerdeführerin führt aus, dass die beanspruchte Bewertung und/oder Einstufung eines technischen Betriebsmittels nicht mit der in D1 offenbarten Fehlerdiagnose bzw. Überwachung eines technischen Betriebsmittels gleichgesetzt werden könne.

Die Kammer ist von diesem Argument nicht überzeugt, da beide Ansätze Parameterwerte und Kenngrößen technischer Betriebsmittel ermitteln und gewichtet verarbeiten, um zu einer Entscheidung über den Zustand der überwachten technischen Betriebsmittel zu kommen. Dies ergibt sich z.B. aus einem Vergleich der Abbildungen 5 und 7 der D1 und der Abbildungen 1 und 10 der Anmeldung.

2.7 Die in der vorliegenden Anmeldung ermittelte Gesamtbewertungskenngröße EIx dient der Risiko/Lebensdauerbeurteilung der überwachten technischen Betriebsmittel, vgl. Seite 14, letzter Absatz der Anmeldung. Eine Lebensdauerbeurteilung der überwachten technischen Betriebsmittel ist ebenfalls die Zielsetzung in D1, vgl. Spalte 11, Zeilen 10 bis 28. Auch wenn D1 nicht explizit eine einzige Gesamtbewertungskenngröße EIx offenbart, betrachtet die Kammer dieses Merkmal als Teil des administrativen Verfahrens, denn diese Kenngröße stellt eine Aussage über die Lebensdauer eines Betriebsmittels dar. Ein technischer Beitrag ist nicht erkennbar.

2.8 Des Weiteren ist auch in D1 die Anzahl der Ausgangsgrößen von der Konfiguration der zu überwachenden Betriebsmittel und von der gewünschten Ausgabeinformation bestimmt, vgl. Spalte 4, Zeilen 15 bis 32.

2.9 Es ist für die Kammer nicht ersichtlich, wie die mit einem Betriebsmittel verbundenen Kosten, so unterschiedlich diese je nach Betriebsmittel auch sein mögen, als technischer Beitrag gewertet werden kann. Derartige Kosten und Kenngrößen sind rein administrativer und nicht-technischer Art und üben keinen technischen Effekt aus, wie bereits die Prüfungsabteilung in ihrer Entscheidung festgestellt hat.

2.10 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass D1 keine wissensbasiert vorbestimmte betriebsmittelspezifische Wichtungsfaktoren offenbare.

Dem steht die gewichtete Verknüpfung über mehrere Schichten des neuronalen Netzwerkes der Abbildung 7 der D1 entgegen. In der Lernphase eines solchen Netzwerkes werden vorbestimmte Wichtungsfaktoren eingesetzt, D1, Spalte 8, Zeilen 3 bis 14, wie allgemein üblich bei neuronalen Netzwerken.

2.11 Es ist für die die Kammer irrelevant, welche Eigenschaften oder Störungen der Betriebsmittel durch die Kenngrößen oder Wichtungsfaktoren repräsentiert sind, da es sich in jedem Fall um numerische Werte handelt, die mit einer nicht-technischen Zielsetzung eingesetzt werden. Gleiches gilt auch für die Bewertung von Betriebsmittel "im Verbund".

Auch in D1 fliesen Abhängigkeiten und Wirkbeziehungen zwischen Transformatoren, vgl. D1, Spalte 5, Zeilen 23 bis 37, in die Bewertung ein. In der allgemeinen Breite, die diesem Merkmal gegeben werden kann, ist dieses durch die D1 vorweggenommen.

2.12 Aus oben genannten Gründen fehlt es dem Anspruch 1 des Hauptantrags an erfinderischer Tätigkeit gegenüber der D1 im Sinne des Artikel 56 EPÜ.

3. Hilfsanträge

3.1 Anspruch 1 des Hilfsantrages 1 definiert, dass technische Eingangskenngrößen für einen Transformator mit einer auf den jeweiligen Transformator spezifisch vorbestimmten Skalierung, auf einer beliebigen Skala oder Definitionsbereich angegeben sind.

3.2 Das genannte Merkmal hat eine Normierung auf eine bestimmte Skala zum Effekt, was einen reinen mathematischen Effekt darstellt. Eine Skalierung von Bewertungskenngrößen ist auch bereits aus D1, Spalte 8, Zeilen 15 bis 34; Abbildung 7 bekannt, wie die Prüfungsabteilung unter 3.4 der Entscheidung angeführt hat.

3.3 Anspruch 1 des Hilfsantrages 2 definiert zusätzlich noch eine Vorverarbeitung von verfügbaren technischen Betriebsmitteldaten und Parametern.

3.4 Eine Vorverarbeitung von verfügbaren technischen Betriebsmitteldaten ist ebenfalls aus D1 bekannt, Spalte 6, Zeilen 9 bis 11 und Zeile 28, bis Spalte 7, Zeile 45; Abbildungen 2 und 4.

3.5 Daher genügt keiner der Hilfsanträge den Erfordernissen des Artikels 56 EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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