T 0213/11 () of 18.4.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T021311.20130418
Datum der Entscheidung: 18 April 2013
Aktenzeichen: T 0213/11
Anmeldenummer: 03027665.3
IPC-Klasse: A22C 11/02
A47J 42/56
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verschliessvorrichtung für wurstförmige Verpackungen und Darmbremsanordnung für eine solche
Name des Anmelders: Tipper Tie Alpina GmbH
Name des Einsprechenden: Poly-clip System GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(c)
European Patent Convention Art 111(1)
European Patent Convention Art 123(2)
Schlagwörter: Hauptantrag und Hilfsantrag 1 - unzulässige Erweiterung des Gegenstandes des Anspruchs 3 (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat am 25. Januar 2011 gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 1. Dezember 2010 das Patent zu widerrufen, Beschwerde eingelegt, gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet, und am 4. April 2011 eine schriftliche Begründung der Beschwerde eingereicht.

II. Der Einspruch wurde auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a), b) und c) EPÜ gestützt.

Die Einspruchsabteilung ist zu der Auffassung gekommen, dass der Gegenstand des Anspruchs 3 in unzulässiger Weise erweitert wurde.

III. Am 18. April 2013 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

IV. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, und das Patent in geändertem Umfang in der Fassung gemäß Hauptantrag, hilfsweise in der Fassung einer der ebenfalls mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1 oder 2, an die erste Instanz aufrechtzuerhalten.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

Beide Parteien beantragten die Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz zur weiteren Prüfung des Einspruchs, falls einer der Anträge den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ genügen sollte.

V. Hauptantrag

Die Ansprüche des Hauptantrags entsprechen den Ansprüchen wie erteilt, wobei Anspruch 3 wie folgt lautet:

"Darmbremsanordnung (10, 18) für eine Verschliessvorrichtung (1) zur Bildung wurstförmiger Verpackungen, welche Anordnung eine Halterung (18) und mindestens eine in diese werkzeuglos einsetzbare und aus dieser werkzeuglos entnehmbare Darmbremse (2) umfasst, wobei die Anordnung einen Sensor (19) an der Halterung (18) umfasst, durch welchen das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein der Darmbremse feststellbar ist und welcher ein entsprechendes Signal bereitstellt, welches zur Zuführung an die Steuereinrichtung der Verschliessvorrichtung bestimmt ist."

VI. Hilfsantrags 1

Anspruch 1 bleibt unverändert; Anspruch 3 dieses Antrags fügt dem Anspruch 3 des Hauptantrags nach "eine in diese [Halterung] werkzeuglos einsetzbare und aus dieser werkzeuglos entnehmbare Darmbremse (2) umfasst" den folgenden Wortlaut hinzu: "indem die Darmbremse an der Halterung (18) werkzeuglos befestigbar und lösbar ist".

VII. Hilfsantrags 2

Die Ansprüche 1 und 2 dieses Antrags entsprechen den Ansprüchen 1 und 2 des Hauptantrags, während die Ansprüche 3 und 4 gestrichen wurden.

VIII. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen folgendes vorgetragen:

Aus dem Absatz [0010] und der Figur 2 der Patentanmeldung wie veröffentlicht, sei für den Fachmann eindeutig klar, dass Einsetzen und Befestigen sowie Entnehmen und Lösen ein und denselben Vorgang betreffen. Deshalb sei für den Fachmann implizit, dass die Darmbremse auch werkzeuglos in die Halterung einsetzbar und aus dieser werkzeuglos entnehmbar sei. Des Weiteren werde dies noch klarer beim Heranziehen vom ursprünglich eingereichten Anspruch 4, der keine andere Auslegung als die Gleichbedeutung der benannten Begriffe erlaube. Im Anspruch 3 des Hilfsantrags 1 seien deswegen noch zusätzlich die Merkmale des Anspruchs 4 aufgenommen worden.

IX. Die Beschwerdegegnerin hat dem widersprochen und im Wesentlichen folgendes vorgetragen:

Befestigen und Lösen seien im Vergleich zu Einsetzen und Entnehmen verschiedene Vorgänge. Daher impliziere ein werkzeugloses Lösen und Befestigen kein werkzeugloses Einsetzen und Entnehmen.

Da die besagten Begriffe nicht gleichbedeutend seien, könne die Aufnahme der Merkmale des Anspruchs 4, der sich im Übrigen auf ein verschiedenes Ausführungsbeispiel als der ursprüngliche Vorrichtungsanspruch 7 beziehe, keine Abhilfe schaffen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag und Hilfsantrag 1 - unzulässige Erweiterung:

2.1 Die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ sind dahingehend zu verstehen, dass sich vorgenommene Änderungen unmittelbar und eindeutig aus der ursprünglich eingereichten Fassung ergeben müssen. Dabei ist auch die implizite Offenbarung, d.h. das, was für den Fachmann zwangsläufig aus der Patentanmeldung als ganzes hervorgeht, zu berücksichtigen.

2.2 Im vorliegenden Fall ist der Vorrichtungsanspruch 3 während des Prüfungsverfahrens durch die Aufnahme zusätzlicher Merkmale dahingehend geändert worden, dass die Darmbremse nun werkzeuglos in die Halterung einsetzbar und aus dieser werkzeuglos entnehmbar ist.

2.3 Dass die Darmbremse werkzeuglos in die Halterung einsetzbar und aus dieser werkzeuglos entnehmbar ist, ist den ursprünglichen Unterlagen nicht explizit zu entnehmen.

In dem allgemeinen Teil (Absätze [0001] bis [0008]) der veröffentlichten Patentanmeldung wird auf die (nicht) Verwendung von Werkzeugen nicht eingegangen.

In dem, dem einzigen Ausführungsbeispiel gewidmeten Teil der Beschreibung ist aus Spalte 3, Zeilen 12, 13 und 38 bis 43 folgendes zu entnehmen: "In der Seitenwand 4 ist eine Ausnehmung 24 angeordnet, in welcher die Darmbremse befestigt ist" und "Die Darmbremse 2 kann auf einfache Weise durch ein Herausziehen in Richtung des Pfeiles A entnommen werden bzw. in Gegenrichtung zum Pfeil A wieder zwischen die Gabelzinken 8 und 9 in das Halteteil 18 eingesetzt werden."

Ferner gibt der ursprüngliche Anspruch 4 an, dass "die Darmbremse (2) an einer Halterung (18) werkzeuglos befestigbar und lösbar ist".

Dass das Einsetzen und Entnehmen der Darmbremse, wie in Absatz [0010] beschrieben, "einfach" ist, impliziert jedoch nicht, dass dazu kein Werkzeug benötigt wird. Weiters, dass kein Werkzeug benötigt wird um die Darmbremse zu befestigen oder zu lösen, wie in Anspruch 4 angegeben, impliziert noch nicht, dass auch zum Einsetzen und Entnehmen der Darmbremse kein Werkzeug benötigt wird.

2.4 Im Prinzip sind Befestigen und Lösen im Vergleich zu Einsetzen und Entnehmen verschiedene Vorgänge.

Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, dass es für den Fachmann bei Betrachten der Figur 2 eindeutig klar sei, dass das Befestigen der Darmbremse durch dessen Einsetzen erfolge und das Lösen der Darmbremse durch Entnehmen derselben bewerkstelligt werde. Daher werde für den Fachmann unmissverständlich klar, dass Einsetzen und Befestigen sowie Entnehmen und Lösen im Sinne der angefochtenen Erfindung gleichbedeutend seien.

Es stellt sich jedoch zuerst die Frage ob das Merkmal "werkzeuglos in die Halterung einsetzbar und aus dieser werkzeuglos entnehmbar" bezüglich seiner Funktion vollständig und unmittelbar in klarer und eindeutiger Weise durch den Fachmann der Figur 2 und den dazu gehörenden Beschreibungsteilen entnommen werden konnte. In anderen Worten, würde der Fachmann der Figur 2, auch unter Berücksichtigung der benannten Passage des Absatzes [0010], entnehmen, dass es für die Erfindung von Bedeutung ist, ob die Darmbremse werkzeuglos in die Halterung einsetzbar und entnehmbar ist und daher eine erfindungswesentliche Lehre darstellt.

Die Kammer ist davon nicht überzeugt.

Aber auch falls dem zugestimmt werden könnte, würde diese Gleichbedeutung an die spezifische Ausführungsform der Figur 2 gebunden sein. Da ferner keine weiteren Ausführungsbeispiele, die auch zu dieser Feststellung führen, beschrieben werden, ist eine Verallgemeinerung dieser Feststellung im Sinne einer daraus erschließbaren Lehre nicht möglich.

Die Figur 2 sowie der Absatz [0010] beziehen sich auf eine spezifische Ausführungsform in der eine Darmbremse in eine Ausnehmung zwischen die Gabelzinken eines Halteteils eingesetzt wird und wobei darin angeordnete Federteile die Darmbremse in ihrer Arbeitsposition festhalten. Anspruch 3 ist nicht auf ein solches Halteteil mit Federteilen beschränkt. Es ist jedoch nach Artikel 123 (2) EPÜ nicht zulässig, ein isoliertes Merkmal aus einer Reihe von ursprünglich in Kombination für dieses Ausführungsbeispiel offenbarten Merkmalen herauszugreifen.

2.5 Somit gehen die in Anspruch 3 vorgenommenen Änderungen nicht unmittelbar und eindeutig aus den ursprünglichen Unterlagen hervor und daher entsprechen diese Änderungen nicht den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ. Daher muss der Hauptantrag an dem Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ scheitern.

2.6 Dadurch, dass Anspruch 3 des Hilfsantrags 1 weiter hinzufügt: "indem die Darmbremse an der Halterung (18) werkzeuglos befestigbar und lösbar ist" ändert nichts an dem vorgetragenen Sachverhalt, da wie bereits angegeben, Befestigen und Lösen im Vergleich zu Einsetzen und Entnehmen im Allgemeinen verschiedene Vorgänge sind, die keinen Einfluss aufeinander haben. Somit entspricht auch Anspruch 3 des Hilfsantrags 1 aus den bereits zum Hauptantrag vorgetragenen Gründen nicht den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ.

3. Hilfsantrag 2:

Da dieser Antrag den umstrittenen Anspruch 3 nicht mehr beinhaltet steht diesem Antrag der unter Artikel 100 c) EPÜ erhobene Einwand nicht mehr entgegen.

Dies wurde von der Beschwerdegegnerin auch nicht bestritten.

4. Zurückverweisung:

Da ein Beschwerdeverfahren in erster Linie dazu dient die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung zu prüfen, ist eine Zurückverweisung an die erste Instanz gemäß Artikel 111(1) EPÜ in den Fällen in Betracht zu ziehen, in denen die erste Instanz ihre Entscheidung auf der Basis eines Einspruchsgrundes (hier unzulässige Erweiterung) getroffen hat, jedoch über weitere erhobene Einspruchsgründe nicht entschieden hat. Im vorliegenden Fall stützt sich der Einspruch auch auf Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) (Neuheit und erfinderische Tätigkeit) und b) (Ausführbarkeit) des EPÜ.

Da die Beschwerdeführerin eine Zurückverweisung beantragt hat und die Beschwerdegegnerin dieser zugestimmt hat, hält es die Kammer daher für angemessen, die Sache an die erste Instanz zurückzuverweisen, um über die Einhaltung der anderen Erfordernisse des EPÜ zu entscheiden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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