T 0208/11 () of 27.2.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T020811.20130227
Datum der Entscheidung: 27 Februar 2013
Aktenzeichen: T 0208/11
Anmeldenummer: 04739801.1
IPC-Klasse: B22C 1/02
B22C 1/04
B22C 1/08
B22C 1/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung eines Kern- und/oder Formsandes für Giessereizwecke
Name des Anmelders: S & B Industrial Minerals GmbH
Name des Einsprechenden: Ashland-Südchemie-Kernfest GmbH
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(c)
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 111(1)
Schlagwörter: Entscheidung über die Beschwerde - Ermessensausübung bei verspätetem Einspruchsgrad
Änderungen - Erweiterung - unzulässige Zwischen-verallgemeinerung (bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0986/93
T 0620/08
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent EP-B1-1 631 403 betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines Kern- und/oder Formsandes für Gießereizwecke.

Gegen das erteilte Patent hatte die Einsprechende (hier: die Beschwerdegegnerin) Einspruch eingelegt und diesen darauf gestützt, dass der Gegenstand des Patents nicht neu bzw. nicht erfinderisch sei (Artikel 100 a) EPÜ), und dass das Patent die Erfindung nicht so deutlich offenbare, dass der Fachmann sie ausführen könne (Artikel 100 b) EPÜ).

In der mündlichen Verhandlung hatte die Einsprechende angeblich erstmals auch den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) / 123(2) EPÜ geltend gemacht.

II. Die Einspruchsabteilung ist zum Ergebnis gekommen, dass der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents entgegensteht. Sie hat daher entschieden, das Patent zu widerrufen. Die Entscheidung ist am 23. November 2010 zur Post gegeben worden.

III. Das Vorbringen der Einsprechende in der mündlichen Verhandlung bezüglich des Artikels 100 c) EPÜ ist weder in der Entscheidung noch im Protokoll der mündlichen Verhandlung erwähnt. Mit Schreiben vom 30. November 2010 hat die Einsprechende beantragt, das Protokoll zu korrigieren, um den Antrag der Einsprechenden und die Ablehnung der Einspruchsabteilung bezüglich der Aufnahme des neuen Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) zu erwähnen. In einer Mitteilung vom 14. Dezember 2010 hat die Einspruchsabteilung den Antrag der Einsprechenden, das Protokoll entsprechend zu korrigieren, abgelehnt.

IV. Gegen die oben genannte Entscheidung hat die Patentinhaberin (hier: die Beschwerdeführerin) am 25. Januar 2011 Beschwerde unter gleichzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr eingelegt und am 22. März 2011 ihre Beschwerde begründet.

V. Als Nachweis, dass der Einspruchsgrund während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung geltend gemacht wurde, hat die Beschwerdegegnerin eine eidesstattliche Versicherung von Herrn Dr. Arndt-Rosenau (D33) mit Schreiben vom 17. Oktober 2011 eingereicht.

VI. Eine mündliche Verhandlung fand am 27. Februar 2013 statt.

VII. Anträge

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt oder auf der Grundlage des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde oder hilfsweise die Sache and die erste Instanz zurückzuverweisen, mit der Auflage auch den Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) / 123(2) EPÜ zu prüfen.

VIII. Ansprüche

a) Anspruch 1 der ursprünglich eingereichten Anmeldung hat folgenden Wortlaut:

"1. Verfahren zur Herstellung eines Kern- und/oder Formsandes für Gießereizwecke, wonach ein granularer mineralischer Formgrundstoff, wie beispielweise Quarzsand, Zirkonsand, Chromitsand etc., mit einem Additiv auf Basis einer organischen und anorganischen Komponente, gegebenenfalls unter Zugabe eines Bindemittels, gemischt wird, und wonach die Mischung im Wesentlichen Additivkörner und Formgrundstoffkörner und/oder Aggregatkörner aus dem Additiv und dem Formgrundstoff aufweist,

dadurch gekennzeichnet,

dass die Additivkörner und/oder die Aggregatkörner grobkörnig gemahlen oder pellettisiert werden, wobei mehr als 50 Gew.-% der betreffenden Körner eine Korngröße von mindestens ca. 0,05 mm aufweisen."

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 10 der Anmeldung betreffen bevorzugte Ausführungsformen des in Anspruch 1 definierten Verfahrens, wovon Anspruch 6 relevant ist:

"6. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, dass die von dem Additiv bis zum Erreichen einer Temperatur im Bereich von 250ºC bis 800ºC emittierte Gasmenge bei Erhitzung weniger als 500 ml/g, insbesondere weniger als 350 ml/g, beträgt."

b) Hauptantrag

Anspruch 1 des erteilten Patents lautet wie folgt:

"1. Verfahren zur Herstellung eines Kern- und/oder Formsandes für Gießereizwecke, wonach

- ein granularer mineralischer Formgrundstoff mit Formgrundstoffkörnen einer mittleren Körnung kleiner als 0,50 mm mit Additivkörnern eines Additivs auf Basis einer mehr als 50 Gew.-% Kohlenstoff sowie weniger als 30 Gew.-% Sauerstoff enthaltenden organischen Komponente und einer anorganischen mineralischen Komponente gemischt wird, wobei sich

- die fertige Mischung aus mehr als 90 Gew.-% des Formgrundstoffes sowie dem Rest Additiv plus gegebenenfalls Bindemittel zusammensetzt, und wobei

- das Additiv als Rohmaterial einen Wassergehalt von weniger als 10 Gew.-% aufweist sowie die vom Additiv im Temperaturbereich von 250ºC bis 800ºC emittierte Gasmenge weniger als 500 ml/g beträgt, und wonach

- die Additivkörner vor dem Mischvorgang grobkörnig gemahlen oder pellettisiert werden, so dass mehr als 50 Gew.-% der betreffenden Additivkörner einer Korngröße von mindestens ca. 0.05 mm aufweisen."

Der unabhängige Anspruch 2 des erteilten Patents unterscheidet sich vom Anspruch 1 nur durch das Merkmal, dass die granularen mineralischen Formgrundstoffkörner mit dem Additiv umhüllt anstatt gemischt werden.

Die abhängigen Ansprüche 3 bis 9 betreffen bevorzugte Ausführungsformen des in Anspruch 1 bzw. in Anspruch 2 definierten Verfahrens.

c) Hilfsantrag

Anspruch 1 und Anspruch 2 des Hilfsantrags haben denselben Wortlaut wie Anspruch 1 bzw. Anspruch 2 des Hauptantrags mit der Ausnahme, dass die emittierte Gasmenge als weniger als 400 ml/g definiert ist.

IX. Vorbringen der Beteiligten

a) Die Einspruchsabteilung und die Beschwerdegegnerin waren der Auffassung, dass es kein anerkanntes Standard-Meßverfahren zur Bestimmung des Gasvolumens gebe und der Fachmann nicht in der Lage sei, das beanspruchte Verfahren zu erreichen (Artikel 100 b) EPÜ). Diese Schlussfolgerung betraf das in Anspruch 1 definierte Merkmal, dass die vom Additiv im Temperaturbereich von 250ºC bis 800ºC emittierte Gasmenge weniger als 500 ml/g beträgt.

b) Die Beschwerdegegnerin machte auch geltend, dass dieses Merkmal in der ursprünglich eingereichten Anmeldung nicht offenbart sei (Artikel 100 c) / 123(2) EPÜ), was bereits während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung beanstandet worden sei.

Der abhängige Anspruch 6 der Anmeldung, sowie Seite 5 (Zeilen 23 bis 25), Seite 6 (Zeilen 23 bis 32) und Seite 7 (Zeilen 11 bis 17) definierten die Gasemissionen des Kern- und/oder Formsandes bei einer Aufheizung von einer nicht weiter festgelegten Ausgangstemperatur bis auf eine Endtemperatur, die im Bereich von 250ºC bis 800ºC liegen könne, während sich diese Gasemissionen bei den erteilten Ansprüchen 1 und 2 auf eine Aufheizung vom Ausgangswert 250ºC bis auf den Endwert 800ºC bezögen. Wegen dieser unterschiedlichen Temperaturbereiche seien auch die jeweiligen Gasemissionen unterschiedlich.

Nach dem Beispiel auf Seite 11 der Anmeldung werde die emittierte Gasmenge im Bereich 250ºC bis 800ºC auf weniger als 400 ml/g beschränkt. Es sei jedoch eindeutig, insbesondere durch die Verwendung des Begriffs "hierdurch", dass dieses Ergebnis nur durch die Kombination aller Merkmale des Beispiels erreicht werden könne. Im Bezug auf dieses Beispiel stelle die Änderung eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar.

Obwohl Anspruch 1 des Hilfsantrags die emittierte Gasmenge als weniger als 400 ml/g definiert, gelte dies auch für den Hilfsantrag, weil auch dort die anderen Merkmale des Beispiels, insbesondere der Gehalt an flüchtigen Inhaltsstoffen der organischen Komponente des Additivs, nicht enthalten seien.

c) Der Vertreter der Beschwerdeführerin konnte sich an die Einzelheiten der Diskussion des Einspruchsgrunds nach Artikel 100 c) EPÜ während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung nicht erinnern, da sie vor drei Jahren stattgefunden habe. Die Beschwerdeführerin trug jedoch vor, dass das Einbringen neuer Einspruchsgründe nach Ablauf der Einspruchsfrist nicht möglich sei. Im vorliegenden Fall sei der neue Einspruchsgrund verspätet eingereicht worden und nicht relevant; deshalb sei er nicht als zulässig anzusehen.

Wenn der Fachmann den gesamten Zusammenhang der Anmeldung in Betracht ziehe, erfülle die Änderung die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ. Insbesondere offenbarten Seite 5 (Zeilen 23 bis 25), Seite 6 (Zeilen 23 bis 32) und Seite 7 (Zeilen 11 bis 17) die allgemeine Lehre, dass innerhalb des Temperaturbereichs 250ºC bis 800ºC ein Verflüchtigen der organischen Komponente des Additivs erfolge. Die Lehre des Beispiels auf Seite 11 sei, dass die Summe der flüchtigen Inhaltsstoffe innerhalb dieses Temperaturbereichs zur Charakterisierung des Additivs in Betracht gezogen werden solle.

Nach Anspruch 1 des Hilfsantrags sei das Merkmal des Beispiels gemäß Seite 11, Zeile 21 definiert, nämlich, dass die emittierte Gasmenge weniger als 400 ml/g betrage. Es liege daher keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vor.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulässigkeit des Einspruchsgrunds gemäß

Artikel 100 c) / 123(2) EPÜ

2.1 Die Beschwerdegegnerin hat nach ihren Angaben den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ erstmals während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung geltend gemacht. Dieses Vorbringen ist allerdings weder in der angefochtenen Entscheidung noch im Protokoll der mündlichen Verhandlung erwähnt. Die Beschwerdegegnerin hatte zwar beantragt, das Protokoll zu korrigieren; die Einspruchsabteilung hat aber in ihrer Mitteilung vom 14. Dezember 2010 diesen Antrag abgelehnt. Es ist dieser Mitteilung zu entnehmen, dass die Einspruchsabteilung der Auffassung war, dass die Beschwerdegegnerin weder einen "förmlichen" Antrag noch ausführliche Argumente zur Begründung vorgebracht hatte, und sie deshalb entschieden hat, den Antrag zurückzuweisen.

2.2 Nach der eidesstattlichen Versicherung von Dr. Arndt-Rosenau (D33), der in der Begleitung des Vertreters der Beschwerdegegnerin an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hatte, wurde "der Antrag von dem Vorsitzenden abgelehnt und die Einbringung des Einspruchsgrundes in das Verfahren nicht zugelassen". Dass die Beschwerdegegnerin den neuen Einspruchsgrund vorgebracht hat, wurde vom Vertreter der Beschwerdeführerin, der ebenfalls an der Verhandlung teilgenommen hatte, nicht bestritten. Er hat hierzu lediglich festgestellt, sich nicht an die detaillierte Diskussion erinnern zu können.

2.3 Die Beschwerdekammer ist auf Grundlage dieser Sach- und Beweislage zum Schluss gekommen, dass der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ während der mündlichen Verhandlung erhoben wurde, aber die Einspruchsabeilung in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 114(2) EPÜ beschloss, diesen Einwand nicht zu berücksichtigen.

2.4 Das Argument der Beschwerdeführerin, dass das Einbringen neuer Einspruchsgründe nach Ablauf der Einspruchsfrist nicht mehr möglich sei, steht nicht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe auch G 9/91, Punkt 16 der Gründe), dass die Einspruchsabteilung in Anwendung des Artikels 114(1) EPÜ unter bestimmten Voraussetzungen nicht daran gehindert ist, einen von der Einsprechenden nach Ablauf der Einspruchsfrist vorgebrachten Einspruchsgrund noch zu prüfen oder sogar selbst einen neuen Grund einzuführen. Im vorliegenden Fall hat die Einspruchsabteilung von dieser Möglichkeit zwar nicht Gebrauch gemacht, was aber nichts daran ändert, dass der neue Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ im Einspruchsverfahren herangezogen wurde und damit keinen neuen Einspruchsgrund darstellt, der erstmalig im Beschwerdeverfahren vorgebracht wurde (siehe hierzu auch T 0986/93, Punkt 2.4 der Gründe).

2.5 In der obengenannten Entscheidung G 9/91 hat die Grosse Beschwerdekammer der Voraussetzungen für eine Prüfung von nach Ablauf der Einspruchsfrist genannten Einspruchsgründen dahingehend definiert, dass prima facie triftige Gründe dafür sprechen sollten, dass diese neuen Einspruchsgründe relevant sind und der Aufrechterhaltung des Patents ganz oder teilweise entgegenstehen würden.

Im vorliegenden Fall betrifft die Änderung ein Merkmal, das nicht explizit in der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbart ist. Die Beschwerdegegnerin hat glaubhaft argumentiert (siehe oben), dass die Anmeldung keine Stützung für die Änderung bietet. Nach Meinung der Kammer ist der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ daher prima facie als sehr relevant anzusehen.

Die Kammer ist nicht daran gehindert, einen Einspruchsgrund, der die Einspruchsabteilung gemäß Artikel 114(2) nicht zugelassen hat, zu berücksichtigen, wenn die Kammer der Auffassung ist, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen unzutreffend ausgeübt hat (siehe T 986/93, Punkt 2.4 und T 620/08 Punkt 3.4 der Gründe). Im vorliegenden Fall macht weder die angefochtene Entscheidung noch das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung Angaben zu dem neuen Einspruchsgrund bzw. zu dessen Ablehnung, sodass nicht erkennbar ist, nach welchen Kriterien die Einspruchsabteilung dieses Ermessen ausgeübt hat. In der Mitteilung vom 23. November 2011, mit der die beantragte Korrektur des Protokolls abgelehnt wurde, wird nur auf formale Kriterien wie einen entsprechenden Antrag oder eine fehlende ausführliche Begründung verwiesen. Sachliche Kriterien, die zur Ablehnung des neuen Grundes geführt haben, sind nicht angegeben. Offensichtlich hat sich daher die Einspruchsabteilung nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob der neue Einspruchsgrund prima facie als relevant anzusehen ist oder nicht. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den neuen Grund nicht zu berücksichtigen, ist daher nicht korrekt ergangen.

Aufgrund dieser Umstände und der Tatsache, dass die Kammer den neuen Einspruchsgrund prima facie als sehr relevant anzieht, wird dieser Grund noch im Verfahren berücksichtigt. Im Interesse eines effizienten Verfahrens und mit Zustimmung der Beteiligten hat die Kammer im Rahmen ihrer Befugnis nach Artikel 111(1) EPÜ entschieden, über diesen Grund selbst zu entscheiden.

3. Artikel 100 c) / 123(2) EPÜ

Hauptantrag

3.1 Der erteilte Anspruch 1 des Hauptantrags wurde derart geändert, dass nunmehr definiert ist, dass die vom Additiv im Temperaturbereich von 250ºC bis 800ºC emittierte Gasmenge weniger als 500 ml/g beträgt.

3.2 Die Beschwerdegegnerin trägt vor, dass die untere Grenze (250ºC) und die obere Grenze (800ºC) in Bezug auf das emittierte Gasvolumen nicht in der Anmeldung offenbart seien.

3.3 Eine Änderung ist zulässig, wenn der Fachmann sie unmittelbar und eindeutig aus der Offenbarung der ursprünglich eingereichten Fassung der Patentanmeldung, nämlich der Beschreibung, den Patentansprüchen und den Zeichnungen, entnehmen kann. Die Beschwerdeführerin verwies als Stützung für die Änderung auf die folgenden Textstellen.

3.3.1 Anspruch 6:

Nach dem unabhängigen Anspruch 6 der Anmeldung beträgt die von dem Additiv bis zum Erreichen einer Temperatur im Bereich von 250ºC bis 800ºC emittierte Gasmenge bei Erhitzung weniger als 500 ml/g.

Dieser Anspruch betrifft daher die Gasentwicklung bei der Erhitzung auf eine Temperatur innerhalb des Bereichs 250ºC bis 800ºC. Eine solche Gasentwicklung entspricht nicht der Gasmenge gemäß dem erteilten Anspruch 1, die im ganzen Bereich von 250ºC bis 800ºC und nur in diesem Bereich emittiert wird.

3.3.2 Seite 5 und Seite 6:

Auf Seite 5, dritter Absatz der Anmeldung ist offenbart, dass ein Erweichen und Verflüchtigen der organischen Materialien bzw. der organischen Komponente des Additivs im Niedrigtemperaturbereich ab ca. 250ºC bis 800ºC erfolgt.

Im letzten Absatz auf Seite 6 (Zeile 22 bis Seite 7, Zeile 2) ist offenbart, dass die organische Komponente des Additivs maximal ca. 60 Gew.-%, vorzugsweise maximal 50 Gew.-% an bis zu Temperaturen von ca. 250ºC bis 500ºC, insbesondere ca. 400ºC bis 500ºC, vorzugsweise bis zu ca. 500ºC, flüchtigen Inhaltsstoffen aufweist, und dass sich, sobald die Gießereiform bzw. der Kern- und/oder Formsand die angegebene Temperatur (ca. 250ºC bis 800ºC, insbesondere ca. 400ºC bis 500ºC, vorzugsweise ca. 500ºC) erreicht hat, die angegebenen Inhaltsstoffe der (organische) Komponente des Additivs verflüchtigt haben und folglich in die Gasphase übergegangen sind.

Die Seiten 5 und 6 enthalten deshalb lediglich die allgemeine Lehre, dass sich die organische Komponente des Additivs bis zu Temperaturen, die innerhalb des Temperaturbereichs 250ºC bis 800ºC liegen, verflüchtigen kann.

3.3.3 Seite 7

Seite 7 offenbart weiter, dass sich ein Gewichtsanteil an flüchtigen Inhaltsstoffen von maximal ca. 60 Gew.-% und vorzugsweise maximal 50 Gew.-% der organischen Komponente des Additivs unter Berücksichtigung einer Erhitzung im Bereich von ca. 250ºC bis 800ºC, insbesondere im Bereich von ca. 400ºC bis 500ºC, vorzugsweise bis ca. 500ºC, problemlos einstellen lässt.

Hier ist jedoch die emittierte Gasmenge nicht zu entnehmen.

3.3.4 Seite 11

Auf Seite 11 (Zeilen 16 bis 23) ist ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel der Erfindung dargestellt, wobei die organische Komponente maximal ca. 35 Gew.-% an flüchtigen Inhaltsstoffen aufweist. Hierdurch lässt sich die emittierte Gasmenge im angegeben Temperaturbereich von 250ºC bis 800ºC, insbesondere 400ºC bis 500ºC, vorzugsweise bis 500ºC, auf weniger als 400 ml/g beschränken.

In diesem Beispiel ist die "emittierte Gasmenge im angegeben Temperaturbereich von 250ºC bis 800ºC" angesprochen. Diese Angabe liest sich wie das geänderte Merkmal in den Ansprüchen 1 und 2, hat aber in Kontext der Seite 11 ebenso wie auf der Seite 7 eine andere Bedeutung. So wird nämlich unmittelbar anschließend der Temperaturbereich eingeschränkt auf "insbesondere 400ºC bis 500ºC, vorzugsweise bis ca. 500ºC", was als bevorzugte Ausführungsformen nur Sinn macht, wenn damit Erhitzen auf einen im genannten, immer genauer begrenzten Bereich liegenden Temperaturwert gemeint ist. Dies stimmt auch mit den obengenannten Angaben auf den vorhergehenden Seiten überein. Eine klare und eindeutige Offenbarung der Emission der genannten Gasmenge bei einer Erhitzung von genau 250ºC auf 800ºC lässt sich damit auch dieser Stelle der Anmeldung nicht entnehmen. Ferner beschränkt sich dieses Beispiel darauf, dass bei einer organischen Komponente mit maximal ca. 35 Gew.-% an flüchtigen Inhaltsstoffen eine emittierte Gasmenge von weniger als 400 ml/g erfolgt.

Das Beispiel ist damit keine Offenbarung des in Anspruch definierten allgemeinen Merkmals, dass im Temperaturbereich von 250ºC bis 800ºC die emittierte Gasmenge weniger als 500 ml/g beträgt. Es ist klar, dass die emittierte Gasmenge stark von dem Anteil von flüchtigen Inhaltsstoffen abhängig ist, was durch den Begriff "Hierdurch" betont ist. Daher kann auch die Gasmenge nicht isoliert ohne den Anteil an flüchtigen Inhaltsstoffen aus dem Beispiel entnommen werden.

Bezüglich des Artikels 123(2) EPÜ kann ein isoliertes Merkmal (hier: die emittierte Gasmenge) aus der Merkmalkombination eines Beispiels nur herausgegriffen werden, wenn das betreffendes Merkmal nicht in direktem technischen Zusammenhang mit den übrigen Merkmalen des Beispiels steht (siehe die Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 6. Auflage 2010, Punkt III.A.2). Da die emittierte Gasmenge mit dem Anteil an flüchtigen Inhaltsstoffen verknüpft ist, kann die emittierte Gasmenge des Beispiels nicht allein zur Abgrenzung des Anspruchsgegenstands verwendet werden.

Entgegen der Argumentation der Beschwerdeführerin, dass die Änderung der Ansprüchen 1 und 2 der Anmeldung in ihrer Gesamtheit zu entnehmen sei, offenbaren die zitierte Stellen weder alleine noch gemeinsam das in Anspruch 1 definierte Merkmal, dass die Additiv im Temperaturbereich von 250ºC bis 800ºC eine Gasmenge weniger als 500 ml/g emittiert. Es liegt daher einen Verstoß gegen Artikel 100 c) / 123(2) EPÜ vor.

Hilfsantrag

3.4 Nach Anspruch 1 des Hilfsantrags ist die emittierte Gasmenge als weniger als 400 ml/g definiert.

Die oben erwähnten Einwände hinsichtlich des erteilten Anspruchs 1 gelten auch für Anspruch 1 des Hilfsantrags. Obwohl im Beispiel auf Seite 11 die emittierte Gasmenge als weniger als 400 ml/g offenbart ist, gilt dies auch nur in Kombination mit einem Gehalt von maximal ca. 35 Gew.-% flüchtigen Inhaltsstoffen in der organischen Komponente.

Daher erfüllt Anspruch 1 des Hilfsantrags auch nicht die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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