T 0160/11 () of 11.7.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T016011.20140711
Datum der Entscheidung: 11 Juli 2014
Aktenzeichen: T 0160/11
Anmeldenummer: 01120208.2
IPC-Klasse: D02G 1/16
D02G 1/12
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 291 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Texturierdüse
Name des Anmelders: Trützschler Switzerland AG
Name des Einsprechenden: Oerlikon Textile GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 23. August 2001 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 1. September 2000 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 01120208.2 wurde das europäische Patent Nr. 1 184 494 erteilt.

Anspruch 1 lautet:

"Texturierdüse (10) mit einem Stauchteil (16), dadurch gekennzeichnet, dass

die austrittsseitig des Stauchteils (16) liegenden Lamellenenden frei zur Umgebung, insbesondere berührungslos zu umgebenden Teilen der Düse, und/oder zu einem anschliessenden Führungsteil (18), ausgeführt sind."

II. Gegen das erteilte Patent wurde, gestützt auf die Einspruchsgründe der Artikel 100 a) und 100 b) EPÜ, Einspruch eingelegt mit dem Antrag auf Widerruf des Patents.

III. Die Einspruchsabteilung hat mit ihrer am 22. November 2010 zur Post gegebenen Entscheidung den Einspruch zurückgewiesen. Sie kam zu dem Ergebnis, dass keiner der vorgebrachten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents entgegenstehe. Folgende Entgegenhaltungen wurden in Betracht gezogen:

D1: EP-A-0 163 039

D2: EP-A-0 554 642

E1: EP-A-0 212 175

E2: DE-A-25 45 590

E3: WO-A-96/23 916

E4: EP-A-0 632 150

E5: EP-B-0 276 704

E6: DE-A-21 16 274

E7: US-A-3 994 052

E8: US-A-3 303 546

E9: DE-A-26 31 393

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 21. Januar 2011 Beschwerde eingelegt, gleichzeitig die Beschwerdegebühr bezahlt und am 9. März 2011 die Beschwerdebegründung eingereicht.

V. Die Beschwerdekammer hat in ihrem Bescheid als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung ihre vorläufige Einschätzung der Sachlage mitgeteilt. Dieser zufolge sei bei der Auslegung des Anspruchs 1 das allgemeine technische Verständnis zugrunde zu legen und der im Patentrecht übliche Sprachgebrauch zu beachten. Die Neuheit werde zu diskutieren sein und die erfinderische Tätigkeit scheine nicht in Frage zu stehen.

VI. Am 11. Juli 2014 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 184 494.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Der Patentanspruch 1 beziehe sich auf ein Stauchteil mit Lamellen, deren Enden frei sein sollen. Dabei sei zu beachten, dass das Lamellenende, wie in Fig. 3 von D1 gezeigt, auch die Fläche 30 enthalte, die nach innen und zu umgebenden Teilen frei sei. Da der Begriff Lamelle im Patent nicht definiert sei, müsse er im Licht der Offenbarung entsprechend interpretiert werden. Da das Stauchteil entweder zusammengesetzt oder einstückig hergestellt werde, könnten auch andere Querschnittsformen als längliche flache Körper unter den Begriff fallen. So zeige E6 ein solches Stauchteil mit "Lamellen" von prismatischem Querschnitt, die sich nicht wesentlich von aus dem Stand der Technik bekannten runden Stäben unterschieden. Eine "Lamelle" müsse auch nicht länglich und schmal sein, wie z.B. die Verwendung des Wortes bei Heizungslamellen oder Lamellenkupplungen zeige.

Ähnlich D1 seien die Lamellenenden auch in E1 oder E4 zumindest teilweise frei zu umgebenden Teilen, so dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu sei.

Bei der entsprechenden sachgerechten Interpretation des Begriffs "Lamelle" nähmen auch E2 (Fig. 7) oder D2 (Fig. 6) den beanspruchten Gegenstand vorweg. Das letztgenannte Dokument verwende ausdrücklich das Wort "Lamellen (63)", deren untere Enden ersichtlich frei zur Umgebung seien.

Im Hinblick auf erfinderische Tätigkeit könne man von E4 als nächstkommendem Stand der Technik ausgehen, worin das Problem des Hängenbleibens von Filamenten (Spalte 4, Zeilen 44 bis 47) schon angesprochen sei. Die inneren Lamellenenden seien dort frei zu umgebenden Teilen. Im Stand der Technik nach E2, E5, E6 oder E9 seien freie Stabenden offenbart. Daher liege es für den Fachmann nahe, die teilweise freien Lamellenenden ganz frei enden zu lassen.

Auch führe D2 zur beanspruchten Lösung, denn dort seien in Fig. 6 bereits freie Lamellenenden gezeigt. Auch wenn man unterstelle, dass es sich hier nur um eine schematische Zeichnung handle, so müssten die gekräuselten Filamente ja irgendwie weggefördert werden. So zeigten Fig. 5a und Fig. 5b eine entsprechende Pfropfenförderwalze 42, vor der ersichtlich die Anformungen 41 der Texturierdüse ins Freie endeten. Da auch hier das Problem der Pfropfenbildung gelöst werde, liege die Kombination der zwei Ausführungsformen für den Fachmann auf der Hand, der so ohne erfinderische Tätigkeit zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelange.

VIII. Die Beschwerdegegnerin argumentierte, die übliche Form der "Lamellen" in einer Texturierdüse sei durch den Stand der Technik eindeutig belegt. Auch gehe aus dem Patentanspruch im Zusammenhang mit der Beschreibung eindeutig hervor, dass mit dem Merkmal "frei zur Umgebung und/oder einem anschließenden Führungsteil" "berührungslos" gemeint sei. Bei korrekter Interpretation seien die Lamellenenden gemäß D1, E1, E4 eben nicht frei zur Umgebung.

D2 zeige in den Figuren nur schematische Ausschnitte aus Texturiervorrichtungen und beziehe sich auf eine völlig unterschiedliche Problematik, nämlich die Druckmessung, so dass dieses Dokument nicht eindeutig und zweifelsfrei das in Rede stehende Merkmal offenbare.

In E2 sei die Stauchkammer aus biegeweichen Stäben gebildet, die einerseits keine Lamellen darstellten und andererseits auch in ihrer Funktion nicht mit Lamellen verglichen werden könnten, da sie auch die Luftströmung unterschiedlich beeinflussten. Daher sei die beanspruchte Lösung neu.

Sie sei auch erfinderisch, da sie für den Fachmann nicht in naheliegender Weise durch den Stand der Technik zu erhalten sei. Ausgehend von E4 sei der Gegenstand des Anspruchs 1 gerade nicht naheliegend, weil dort die Lamellenenden fixiert seien und keine Andeutung eines freien Lamellenendes vorhanden sei. Die Lösung dort werde durch Abschrägen dieser fixierten Lamellenenden und Polieren der Oberfläche erreicht, was in eine völlig andere Richtung weise.

D2 sei schon kein nächstkommender Stand der Technik, da das Problem dort die Messung des Druckverlaufs in der Stauchkammer sei und das dem Patent zugrundeliegende Problem überhaupt nicht angesprochen werde. Auch komme eine Kombination der Ausführung mit Lamellen nach Fig. 6 mit der Bauart nach Fig. 5a und Fig. 5b nicht in Betracht, denn letztere zeigten nur einen rechteckigen Kasten mit Anformungen 41, was nicht mit den Lamellen gemäß Fig. 6 kombinierbar sei.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Neuheit

Die Beschwerdeführerin sieht in einer Reihe von Dokumenten die Lamellenenden, wie in Anspruch 1 des angegriffenen Patents definiert, ausgeführt.

2.1 Lamellenenden

Die Beschwerdeführerin möchte den Begriff "Lamellen" in einer sehr breiten Weise verstanden haben, so dass unter den Begriff auch stabförmige längliche Gegenstände fallen. Ein entsprechendes Verständnis des Fachmanns konnte sie allerdings nicht belegen. Die Kammer bleibt deshalb bei ihrer bereits im Bescheid geäußerten Auffassung, dass es sich bei Lamellen allgemein und im fachmännischen Verständnis um längliche dünne Gegenstände einer gewissen Breitenerstreckung handelt, jedenfalls einer im Vergleich zur Breite dünnen Struktur. Im Ausgangspunkt zutreffend macht die Beschwerdeführerin geltend, dass weder in den Ansprüchen, noch in der Beschreibung genau definiert ist, was eine Lamelle ist. In einem solchen Fall ist festzustellen, was der Fachmann unter Lamelle versteht. Dabei ist die gesamte Offenbarung des Patents heranzuziehen, was im Einzelfall dazu führen kann, dass einem Begriff ein vom allgemeinen fachmännischen Sprachgebrauch abweichendes Verständnis zukommen kann. Ein solches von der obigen Definition abweichendes Verständnis kann nach Auffassung der Kammer der Offenbarung des angegriffenen Patents nicht entnommen werden. Die hierzu genannten nachfolgenden Textstellen tragen die Behauptungen der Beschwerdeführerin nicht:

Absatz (0004)lautet auszugsweise: "Der verbesserte Stauchteil besteht aus einem rohrförmigen Stück mit Schlitzen in Längsrichtung. Diese Schlitze sind am unteren Ende erfindungsgemäss vollständig offen, und die durch diese Schlitze gebildeten Lamellen ...".

Absatz (0013) lautet in Spalte 4, Zeilen 18-20 auszugsweise: "... Der Stauchteil wird bevorzugt durch längsorientierte rings um das Garn angeordnete Lamellen oder Schlitze gebildet ...".

Diese Beschreibungsteile können nur so verstanden werden, dass es zwei Ausführungsformen gibt, nämlich einzelne Lamellen und ein geschlitztes Rohr mit Lamellen als Ergebnis des Schlitzvorgangs.

Auch die weiter angesprochenen Patentdokumente E6 (Fig.5) und E2 (Fig. 1 und Beschreibung Seite 11) führen zu keiner anderen Beurteilung, weil auch diese keine allgemeine Definition einer Lamelle enthalten.

Daher können die in E2, E5, E6, E7, E8 und E9 offenbarten Stäbe oder Stangen die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 nicht infrage stellen.

2.2 Die Ausführung des Lamellenendes "frei zur Umgebung"

Im Hinblick auf D1, E1, E4 machte die Beschwerdeführerin geltend, die Enden der dort offenbarten Lamellen seien austrittsseitig zumindest teilweise frei zu einem anschließenden Führungsteil. Dies sei als unvollständig frei anzusehen. Diese Gestaltungen würden aber unter den Anspruch 1 des angegriffenen Patents fallen. Dem vermag die Kammer nicht zu folgen, denn die Enden 15 bzw. 27 der jeweiligen Lamellen sind jeweils in einem Führungsteil aufgenommen. Das zum Inneren der Stauchkammer gerichtete "Lamellenende" kann somit nicht als ein Lamellenende betrachtet werden, das frei zu einem anschließenden Führungsteil ausgeführt ist.

2.3 In den Entgegenhaltungen D2 und E3 sind Lamellen 63 (Fig. 6) gezeigt. Die Ausführung der Lamellenenden selbst ist jeweils nicht dargestellt und kann auch vom Fachmann nicht in klarer und eindeutiger Weise mitgelesen werden. Es geht in diesem Stand der Technik um die sensorische Überwachung des Bereiches der Düseneintrittsöffnung, beispielsweise durch Messung des statischen Druckes, mit optischen Mitteln oder des dynamischen Druckes. Bei der schematisch gezeigten Anordnung kommt es im fachmännischen Verständnis also auf diese Messeinrichtungen an während die Lamellen sich lediglich nach unten erstrecken. Anhand des gebildeten Pfropfens P ist erkennbar, dass sich die Vorrichtung jedenfalls noch weiter nach unten erstrecken muss, was offensichtlich in der Darstellung weggelassen wurde, da es bei der dortigen Problemlösung keine Rolle spielt. Über die Aufnahme oder Halterung der Lamellen wird nichts gesagt. Daher offenbaren die Dokumente D2 und E3 nicht eindeutig und zweifelsfrei, dass die austrittsseitig des Stauchteils liegenden Lamellenenden frei zur Umgebung und/oder zu einem anschließenden Führungsteil ausgeführt sind. In den Figuren 5a und 5b sind keine Lamellen erwähnt und auch nicht als solche erkennbar. Es ist lediglich von "Anformungen 41, die die Funktion der Stauchkammer übernehmen" die Rede.

2.4 Der Gegenstand des Anspruchs 1 erfüllt daher das Neuheitserfordernis (Artikel 54(2) EPÜ 1973).

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1 Ausgehend von E4 als nächstkommendem Stand der Technik ergibt sich in Übereinstimmung mit dem Patent die Aufgabe, sogenannte "Zupfer", d.h. Verschlingungen der Filamente außerhalb der Lamellen zu vermeiden.

3.2 Nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ergibt sich der Weg zur patentgemäßen Lösung bereits aus E4 selbst in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen des Fachmanns, da dort ein Hängenbleiben der Filamente durch Abschrägen der Lamellen und Polieren deren Oberfläche vermieden wird. Falls diese Maßnahme nicht ausreiche, würde der Fachmann die Lamellenenden vollständig frei gestalten.

3.3 Dieser Argumentation kann die Kammer nicht folgen. In E4 fehlt ein Bezug zur Problematik, die im Patent (Absatz [0003]) beschrieben ist, nämlich dass sich austretende Filamente an der Außenseite der Lamellen verschlingen oder verhaken und dadurch sogar abreißen können. Zu diesem Problem gibt E4 keine Anregung in Richtung der beanspruchten Lösung. Die in E4 offenbarte Lösung zielt in eine unterschiedliche Richtung, nämlich die Reibung zwischen Faden und Stirnseite der Lamellen zu reduzieren, um die Verwendungsdauer der einzelnen Lamellen zu erhöhen.

3.4 Die weiterhin von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Argumentation geht von D2 als nächstkommendem Stand der Technik aus. Dort sind zwar Lamellen an sich offenbart, jedoch geht das dort zugrundeliegende Problem in eine völlig unterschiedliche Richtung (siehe oben 2.3). Nach Auffassung der Beschwerdeführerin würde der Fachmann auch Fig. 5a und Fig. 5b in Betracht ziehen, wo der Pfropfen P mit Hilfe der Pfropfenförderwalze 42 von der Texturierdüse weg gefördert wird. Würde er diese Lehre bei der in Fig. 6 gezeigten Anordnung anwenden, käme er zum beanspruchten Gegenstand.

3.5 Diesem Ansatz kann die Kammer nicht folgen, da schon die Figur 6 nichts über ein Abfördern des Pfropfens offenbart. Zudem handelt es sich um zwei an sich grundverschiedene Ausführungen im Hinblick auf das dem Patent zugrundeliegende Problem, so dass der Fachmann, selbst im Falle einer zufälligen Erkenntnis über die Funktion der Lamellen 63, eine Kombination der zwei verschiedenen Ausführungen zur Lösung des unterschiedlichen Problems nicht in Betracht ziehen würde.

3.6 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gilt daher als auf erfinderischer Tätigkeit beruhend (Artikel 56 EPÜ 1973).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Quick Navigation