European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2012:T007711.20120515 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 15 Mai 2012 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0077/11 | ||||||||
Anmeldenummer: | 04025730.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | C07F 7/18 C07F 7/08 C07D 333/18 H01L 29/24 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Unsymmetrische lineare organische Oligomere | ||||||||
Name des Anmelders: | H.C. Starck GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | CABOT CORPORATION | ||||||||
Kammer: | 3.3.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit (ja) - keine naheliegende Lösung | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 1 531 155 zu widerrufen, hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) Beschwerde eingelegt.
II. Mit dem Einspruch war das Streitpatent in seinem gesamten Umfang wegen mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit (Artikel 100 (a) EPÜ) und unzulässiger Erweiterung (Artikel 100 (c) EPÜ) angegriffen worden. Während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung wurde der Einspruchsgrund der mangelhaften Offenbarung (Artikel 100 (b) EPÜ) von der Einsprechenden vorgebracht und von der Einspruchsabteilung unter Artikel 114(1) EPÜ geprüft.
III. Der Einspruch war unter anderem auf die folgenden Dokumente gestützt:
(1) EP 1 475 401 A2
(6) US 5 900 160 A
(7) US 6 518 168 B1
(20) Nogues et al.; Colloids Surf. A, Bd, 198-200,
2002, Seiten 577-591.
Weiterhin zog die Patentinhaberin das folgende nachveröffentlichte Dokument heran:
(19) Edsger C.P. Smits et al.; Nature, Bd. 455,
16 October 2008, Seiten 956-959
IV. Die Einspruchsabteilung war der Ansicht, dass der Gegenstand des Hauptantrags, der den erteilten Ansprüchen entsprach, zu einem Einwand unter Artikel 100 (c) EPÜ Anlass gab. Die Einspruchsabteilung vertrat weiter die Auffassung, dass der Gegenstand des ersten und einzigen Hilfsantrags die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ erfüllt, da die Definition von "X" in Bezug auf "Vinyl" entsprechend der Seite 4, Zeile 1, der ursprünglich eingereichten Beschreibung angepasst worden war. Es sei eindeutig, dass sich "gegebenenfalls substituierten" nur auf diese Gruppe "Vinyl" und nicht eine der anderen Gruppen beziehe. Zudem gelangte die Einspruchsabteilung zur Auffassung, dass der Fachmann ausreichende Hinweise hatte, um die Verbindungen der Formel (I) herzustellen, und somit kein Einwand unter Artikel 100 (b) EPÜ bestand. Der beanspruchte Gegenstand sei auch neu gegenüber Dokument (1). Formel I1 aus Dokument (1) und Formel (I) des Anspruchs 1 unterschieden sich in der Art und Definition der Variablen. Zur Formel (I) gelange man durch eine Auswahl aus mehreren Listen.
Der Gegenstand des ersten Hilfsantrags sei dem Fachmann jedoch, ausgehend vom Dokument (20) und unter Berücksichtigung der Lehre der Dokumente (6) und (7), nahegelegt worden. Die zu lösende Aufgabe bestand in der Bereitstellung von alternativen Verbindungen, welche sich zur Herstellung von SAMs eignen, Schichten enthaltend solche Verbindungen, und elektronische Bauteile enthaltend solche Schichten. Dokument (20) lehre die Verwendung von Thiophen, welches eine geeignete Redoxfunktionalität aufweise, und die Verwendung der Gruppe "SH" für die Bindung zu Metalloberflächen wie Gold und Platin. Der Fachmann sei sich bewusst, dass die Endgruppe variabel sei und in Bezug auf die zu besetzende Oberfläche variiert werden müsse. Der Fachmann bekomme aus Dokument (6) und (7) ausreichende Information, um die Verbindungen aus Dokument (20) zu modifizieren, um sie auf anderen Oberflächen anwenden zu können, und gelange damit ohne erfinderische Tätigkeit zum beanspruchten Gegenstand.
V. Der vorliegenden Beschwerde liegen die folgenden Ansprüche zugrunde:
- Ansprüche 1 bis 12 des Hauptantrags, der dem in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsantrag 1 entspricht,
- Ansprüche 1 bis 6 des ersten Hilfsantrags
- Ansprüche 1 bis 5 des zweiten Hilfsantrags
- Ansprüche 1 bis 5 des dritten Hilfsantrags
- Ansprüche 1 bis 4 des vierten Hilfsantrags
- Ansprüche 1 bis 4 des fünften Hilfsantrags
- Ansprüche 1 bis 4 des sechsten Hilfsantrags
alle Anträge eingereicht mit dem Schreiben vom 2. März 2011.
VI. Die Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:
Dokument (20) kann als nächstliegender Stand der Technik angesehen werden. Die erfindungsgemäßen Verbindungen unterscheiden sich von den in Dokument (20) beschriebenen Molekülen nicht nur durch ihre Eigenschaft, beispielsweise auf Silizium oder oxidischen Materialen immobilisiert werden zu können (siehe etwa Absatz [0043] des Streitpatents), sondern auch durch ihre Eigenschaft, in Form einer SAM-Schicht sowohl als halbleitende Schicht als auch Dielektrika-Schicht eingesetzt werden zu können und sich daher insbesondere als SAM-Schicht in Feldeffekt-Transistoren zu eignen (siehe etwa Absatz [0057] des Streitpatents).
Ausgehend vom Dokument (20) bestand demnach die objektive, zu lösende Aufgabe darin, Verbindungen anzugeben, die als SAM-Schicht auf Silizium oder oxidischen Materialen immobilisiert und die in Form einer solchen Schicht sowohl als halbleitende Schicht als auch als Dielektrika-Schicht beispielweise in Feldeffekt-Transistoren eingesetzt werden können, welche insbesondere auf Silizium- oder oxidischen Materialen wie SiO2, Al2O3, ZrO2, HfO2 oder Ta2O5 basierende Substrate umfassen. Die halbleitenden Eigenschaften der erfindungsgemäßen Verbindungen sind in Dokument (19) gezeigt.
An keiner Stelle des Dokuments (20) wird erwähnt, dass die dort beschriebenen SAM-Schichten auf Gold bzw. Platin als halbleitende Schicht eingesetzt werden können.
Dass jedoch SAM-Verbindungen erhalten werden können, die als halbleitende Schicht auf Silizium- oder oxidischen Materialen gebunden werden können, war für den Fachmann auch in Kenntnis der Lehre der Dokumente (6) oder (7) nicht naheliegend, da die darin beschriebene SAM-Schichten als Beschichtungsmaterial in einem Ätzverfahren zur Oberflächenstrukturierung (6) oder in einem CVD- oder Sol-Gel-Verfahren zur Oberflächenstrukturierung (7) dienen.
VII. Mit Schreiben vom 26. August 2011 zog der Einsprechende seinen Einspruch zurück.
VIII. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:
"1. Verbindungen der allgemeinen Formel (I),
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
worin
n eine ganze Zahl von 4 bis 10 ist,
Ar unabhängig für jedes n für einen gegebenenfalls substituierten 1,4-Phenylen-, 2,7-Fluorenylen-,
2,5-Thienylen- oder 1,2-Ethenylenrest steht, wobei wenigstens ein gegebenenfalls substituierter
2,5-Thienylenrest oder gegebenenfalls substituierter
2,5-Thienylenrest und gegebenenfalls substituierter
1,4-Phenylenrest enthalten ist,
R**(1) für eine gegebenenfalls durch ein(e) oder mehrere O- oder S-Atome, Silylen-, Phosphonoyl- oder Phosphorylgruppen unterbrochene C3-C30-Alkylengruppe steht,
R**(2) für H oder eine lineare oder verzweigte
C1-C20-Alkylgruppe, bevorzugt eine C1-C12-Alkylgruppe, oder eine gegebenenfalls durch ein(e) oder mehrere O- oder S-Atome, Silylen-, Phosphonoyl- oder Phosphorylgruppen unterbrochene lineare
C1-C20-Alkylgruppe, bevorzugt C1-C12-Alkylgruppe, steht und
X für eine Gruppe ausgewählt aus einer gegebenenfalls substituierten Vinylgruppe, Alkoxysilyl-, Chlorosilyl-, Siloxangruppe steht".
IX. Die Beschwerdeführerin beantragte die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent in beschränktem Umfang auf Grundlage des Hauptantrags oder der Hilfsanträge 1 bis 6, eingereicht mit der Beschwerdebegründung, aufrechtzuerhalten.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Hauptantrag
2. Im Einklang mit der Einspruchsabteilung ist die Kammer zum Schluss gekommen, dass der Gegenstand des Hauptantrags den Erfordernissen der Artikel 123(2), 83 und 54 genügt (siehe Punkt IV).
3. Erfinderische Tätigkeit
3.1 Das Streitpatent betrifft unsymmetrische lineare organische Oligomere der allgemeinen Formel (I) (siehe Punkt VIII), und ihre Verwendung als Halbleiter in elektronischen Bauelementen. SAMs aus selbstorganisierenden erfindungsgemäßen Verbindungen haben den Vorteil, dass sie extrem dünn, d.h. in molekularen Dimensionen von maximal wenigen Nanometern, bevorzugt monomolekular, in einfacher Weise eine halbleitende Schicht bilden (siehe Absätze [0001], [0011] und [0057] des Streitpatents).
3.2 Obwohl der Inhalt des Streitpatents keine Daten enthält, die zeigen, dass die beanspruchten Verbindungen als halbleitende Schichten verwendet werden können, ist die Kammer, angesichts des Inhalts des nachveröffentlichten Dokuments (19), überzeugt, dass die erfindungsgemäßen Verbindungen diese Eigenschaft aufweisen (siehe Seite 957, Spalte 1, Abbildung 1a in Zusammenhang mit Seite 957, Spalte 2, zweiten Absatz und Abbildung 2).
3.3 Im Gegensatz zur Meinung der Einspruchsabteilung wird der beanspruchte Gegenstand durch die zitierten Dokumente nicht nahegelegt.
3.4 Dokument (20) offenbart die folgende Verbindung:
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Diese wird zur Bildung von SAMs auf Edelmetallen wie Au und Pt verwendet (siehe Abbildungen 2,3,5,6 und 7). Die Verbindungen der Formel (I) des Streitpatents unterscheiden sich von der Verbindung des Dokuments (20) durch die Natur der Endgruppe, nämlich einer "SH-Gruppe" für die Verbindung des Dokuments (20) und einer Gruppe X für die Verbindungen der Formel (I). Trotz dieser Strukturähnlichkeit hätte der Fachmann aufgrund dieses Dokuments keine Veranlassung gehabt, SAM-Moleküle bereitzustellen, die zur Bildung von halbleitenden Schichten geeignet sind, da die im Dokument (20) offenbarten SAM-Schichten keine halbleitende Wirkung aufweisen, sondern nur dazu dienen, die Unebenheiten der Substratoberfläche, auf die ein Halbleiter angebracht werden kann, zu beseitigen und die Haftung des Halbleiters am metallischen Substrat zu erhöhen.
3.5 Ebensowenig würde der Fachmann in den Dokumenten (6) und (7) einen Hinweis finden, der ihn zur vorliegenden Erfindung führen würde.
3.5.1 Dokument (7) beschreibt Verfahren, um SAM-bildende Moleküle an verschiedene Substrate zu binden, in denen diese Moleküle durch Silane und/oder Chlorsilane am Substrat aus Silizium verankert sind (siehe Spalte 11, Zeilen 4-16). Doch geht aus der Lehre dieses Dokuments nicht hervor, dass die so erhaltenen Monoschichten eine halbleitende Wirkung aufweisen.
3.5.2 Die Lehre des Dokuments (6) ist derjenige des Dokuments (7) ähnlich. Die Verankerung am Substrat erfolgt durch Alkylsiloxan- oder Alkoxysiloxanderivate (siehe Spalte 16, Zeilen 26-29 und Spalte 17, Zeilen 35-40), um Monoschichten zu bilden. Desweiteren erwähnt dieses Dokument die Möglichkeit, dass SAM-Moleküle mit geeigneten Redoxfunktionalitäten sowie z.B. Thiophen modifiziert werden können (siehe Spalte 20, Zeilen 37-46). Dennoch - genauso wie bei Dokument (7) - kann der Fachmann dem Dokument (6) nicht entnehmen, dass die Verankerung an Substraten der im Dokument (20) beschriebenen Thiophenylderivate durch das Verankerungsverfahren der Dokumente (6) und (7), wonach die Bindung durch Silan- und/oder Siloxanderivate erfolgt, zu Monoschichten führt, die halbleitende Eigenschaften aufweisen.
3.6 Da kein zitiertes Dokuments SAM-Moleküle mit einer halbleitenden Wirkung erwähnt, lässt sich der beanspruchte Gegenstand vom Stand der Technik nicht in naheliegender Weise ableiten.
3.7 Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 4 sind daher auch erfinderisch. Die Herstellungsansprüche 5 bis 7 sowie die Verwendungsansprüche 8 bis 9 und die Schichten und elektronischen Bauteile der Ansprüche 10 bis 12, die die Verbindungen des Anspruchs 1 enthalten, werden auch als erfinderisch angesehen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgenden Ansprüchen und einer noch anzupassenden Beschreibung zu erteilen:
Ansprüche:
Nr. 1 bis 12 gemäß Hauptantrag eingereicht mit Schreiben vom 2. März 2011.