European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2012:T235510.20121120 | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Datum der Entscheidung: | 20 November 2012 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2355/10 | ||||||||
Anmeldenummer: | 99963257.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | B60R 16/02 G01C 21/36 |
||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
|
||||||||
Bezeichnung der Anmeldung: | Fahrzeugkommunikationssystem und Verfahren zum Austausch von Daten in einem Fahrzeug | ||||||||
Name des Anmelders: | Continental Automotive GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Volkswagen Aktiengesellschaft | ||||||||
Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
|
||||||||
Schlagwörter: | Neuheit (Hauptantrag, Hilfsantrag I: nein) Erfinderische Tätigkeit (Hilfsantrag II: nein) |
||||||||
Orientierungssatz: |
- |
||||||||
Angeführte Entscheidungen: |
|
||||||||
Anführungen in anderen Entscheidungen: |
|
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat am 30. November 2010 per Fax gegen die am 29. Oktober 2010 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung des Einspruchs gegen das europäische Patent Nr. 1 131 228 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung ist am 28. Februar 2011 vorab per Fax eingegangen.
II. Der Einspruch war auf die Einspruchsgründe der mangelnden Neuheit und der mangelnden erfinderischen Tätigkeit nach Artikel 100 a) EPÜ 1973 gestützt.
Als Stand der Technik hat die Einspruchsabteilung unter anderem folgende Druckschriften berücksichtigt:
D3: EP 0 514 972 B1
D4: DE 197 07 188 A1.
III. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) reichte ihre Beschwerdeerwiderung mit Schreiben vom 11. Juli 2011 ein.
IV. In Erwiderung auf die mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung zugestellte Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK, ABl. EPA 2007, 536) reichte die Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 19. Oktober 2012 Patentansprüche gemäß der Hilfsanträge I bis IV ein.
V. Am 20. November 2012 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt. Die Beschwerdegegnerin nahm die mit Schreiben vom 19. Oktober 2012 eingereichten Hilfsanträge III bis IV zurück und ersetzte den Hilfsantrag II in der mündlichen Verhandlung durch einen neuen Hilfsantrag II.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde oder alternativ die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 11 gemäß Hilfsantrag I, eingereicht mit Schreiben vom 19. Oktober 2012, oder der Ansprüche 1 bis 5 gemäß Hilfsantrag II, eingereicht während der mündlichen Verhandlung.
VI. Der erteilte Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt (die Merkmale sind in Anlehnung an die von der Beschwerdeführerin bereits im Einspruchsschriftsatz verwendete Merkmalsanalyse nummeriert; die hinzugefügte Nummerierung ist durch Fettdruck gekennzeichnet):
"S0 Fahrzeugkommunikationssystem, das aufweist:
S1 - wenigstens eine im Fahrzeug angeordnete Recheneinheit (1) zum Steuern von Applikationen (15),
S2 - mehrere unterschiedliche, mit der Recheneinheit (1) verbundene Datenquellen (2, 4, 5, 6, 8), und
S3 - mehrere mit der Recheneinheit (1) verbundene Bedienplätze (9) mit Benutzerschnittstellen zum Zugriff auf die Applikationen (9) und zur Datenwiedergabe,
dadurch gekennzeichnet, daß das Fahrzeugkommunikationssystem
S4 eine in der wenigstens einen Recheneinheit (1) realisierte zentrale Systemsteuerung (17) mit einem Prioritätenmanagement (19),
S5 das den einzelnen Bedienplätzen (9) Zugriffsrechte unterschiedlicher Priorität auf die Applikationen (15) einräumt, aufweist."
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I wurde im Vergleich zu Anspruch 1 gemäß Hauptantrag um das folgende Merkmal ergänzt (Nummerierung in Fettdruck durch die Kammer hinzugefügt):
"
S6 wobei eine Rangordnung, die einem Bedienplatz (9) zukommt, entweder einheitlich für alle Applikationen oder einzeln für jede Applikation festgelegt wird."
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II wurde im Vergleich zu Anspruch 1 gemäß Hauptantrag um die Merkmale der erteilten Ansprüche 3 bis 6 ergänzt (Nummerierung in Fettdruck durch die Kammer hinzugefügt):
"
S6* und eine Bedienplatzsteuerung (20.1, 20.2), mit der die einzelnen Bedienplätze (9) individuell konfigurierbar sind, aufweist und
S7* das Prioritätenmanagement (19) den Applikationen (15) individuelle Zugriffsrechte auf einen Datenbus (12) und oder die Recheneinheit (1) einräumt, wobei
S8* das Prioritätenmanagement (19) den Applikationen (15) Zugriff auf den Datenbus (12) in Abhängigkeit von der gegenwärtigen Belastung des Datenbusses (12) einräumt und
S9* bei Erreichen oder Überschreiten einer definierten Belastung des Datenbusses (12) wenigstens eine niederrangige Applikation abbrechbar ist oder deren Datenübertragungsrate reduzierbar ist."
VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:
Die von der Einspruchsabteilung vorgenommene Auslegung des in den Ansprüchen verwendeten Begriffs "Bedienplatz" als physischer, räumlicher Platz, der nicht mit einer "Bedieneinheit" gleichgestellt werden könne, sei so im Streitpatent nicht definiert. Dem Streitpatent sei vielmehr zu entnehmen, dass ein Bedienplatz Ein- und Ausgabeeinheiten aufweise (siehe Absatz [0023], auch Absatz [0053]) und als Mensch-Maschinen-Schnittstelle bzw. MMI - bei früheren Großrechnern als Terminaleinheit bezeichnet - zu verstehen sei (Absatz [0014]). Dies lege nahe, den Begriff "Bedienplatz" in seiner Allgemeinheit als eine Bedieneinheit zu verstehen. Gegen die Identifikation eines Bedienplatzes mit einem Fahrersitzplatz oder einem Passagiersitzplatz im Sinne eines physischen, räumlichen Platzes im Fahrzeug spreche, dass einem Sitzplatz keine Priorität zugewiesen werden könne, sondern allenfalls der als Hardware realisierten MMI-Schnittstelle oder Terminaleinheit. Außerdem sei auch ein Bedienplatz im Sinne einer Terminaleinheit durch die Präsenz des vor der Terminaleinheit sitzenden Nutzers ein physisch räumlicher Platz.
Im Gegensatz zur Ansicht der Einspruchsabteilung steuere die Prioritätensteuerung des Streitpatents (siehe dazu Absatz [0013]) auch die völlige Verweigerung eines Zugriffs auf eine Applikation. Entgegen der Behauptung der Beschwerdegegnerin gehe aus Anspruch 1 nicht hervor, dass unter dem beanspruchten Prioritätenmanagement nur eine Konfliktlösung zu verstehen sei, sondern ein Prioritätenmanagement wie beansprucht könne auch Zugriffsrechte der Bedienplätze auf Applikationen regeln. Im Übrigen stelle eine ja/nein-Entscheidung bei Regelung der Zugriffsrechte die einfachste Form einer Konfliktlösung dar. Dokument D4 zeige (Spalte 2, Zeilen 43 ff. und 52 ff.) in Verbindung mit einem Bedienplatz des Fahrers und des Beifahrers ein Bildtelefon sowie PC-Funktionen, wobei während der Fahrt nur eine Bedienung durch den Beifahrer erlaubt werde.
Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I sei identisch zum erteilten Anspruch 1. Wenn einem Bedienplatz der Zugriff auf eine Applikation gestattet sei und einem anderen Bedienplatz nicht, so definiere dies bereits eine Rangordnung für die Bedienplätze.
Ausgehend von D4 seien die zusätzlichen Merkmale von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II durch das Standardwissen des Fachmanns oder die Lehre von D3 nahegelegt. Denn es sei bekannt, wie eine Verkehrssteuerung auf einem Datenbus in Computernetzwerken funktioniere, und insbesondere, dass bei Erreichen der Belastungsgrenze für einen Datenbus zwangsläufig eine niederrangige Applikation abzubrechen sei. Eine Verkehrssteuerung mit Prioritätensteuerung sei beispielsweise auch in Dokument D3 (Seite 3, Zeilen 48 bis 53) beschrieben. Das Merkmal einer individuellen Konfigurierbarkeit der Bedienplätze gehe bereits aus D4 (Spalte 4, Zeilen 18 bis 35) hervor.
VIII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin kann wie folgt zusammengefasst werden:
Die Begrifflichkeiten im Streitpatent seien in Hinblick auf ein Fahrzeug zu sehen. In einem PKW stellten demnach der Fahrersitzplatz, der Beifahrersitzplatz und die Rücksitzplätze Plätze im Fahrzeug dar. Erfindungsgemäß erfolge ausgehend von diesen Plätzen die Kommunikation mit Geräten im Fahrzeug unterschiedlich, d. h. es erfolge ein Prioritätenmanagement nach dem jeweiligen Bedienplatz (siehe Streitpatent, Absätze [0011], [0013], [0030], [0049], [0073]) und nicht nach einzelnen Mensch-Maschine-Schnittstellen (MMI) oder dem aktuellen Benutzer. Eine MMI-Schnittstelle sei also nicht zu verwechseln mit dem beanspruchten Bedienplatz. Bedienelemente bzw. MMI (wie Radio, Dreh-/Drücksteller usw.) seien beispielsweise dem Bedienplatz des Fahrers zugeordnet, so dass als "Bedienplatz" der Platz des Fahrers mit den zugeordneten MMI zu verstehen sei.
Unter dem Begriff "Priorität" verstehe man nach allgemeinem Verständnis einen "Rang" bei der Lösung von Konflikten. Im Unterschied dazu habe eine reine ja/nein-Entscheidung darüber, ob einem Fahrer die Berechtigung für eine Anwendung gegeben werde oder nicht, nichts mit Prioritäten zu tun.
In D4 werde ein einziger Bedienplatz offenbart, und zwar der Fahrerbedienplatz, und folglich auch kein Prioritätenmanagement für mehrere Bedienplätze. Insbesondere zeige D4 kein Mehrplatzsystem, bei dem unterschiedlichen Bedienplätzen Zugriffsrechte unterschiedlicher Priorität auf eine Applikation bzw. unterschiedliche Ränge eingeräumt würden. Da es in D4 nur darum gehe, was dem Fahrer in bestimmten Fahrsituationen zuzumuten sei, werde in D4 kein Prioritätenmanagement angesprochen, sondern lediglich Zugangsrechte. In D4 sei ein Zugriffskonflikt ausgeschlossen, es finde also kein Prioritätenmanagement statt, da entweder nur der Fahrer oder der Beifahrer auf das Bildtelefon zugreifen könne. Ein reines Sperren einer Funktion während des Fahrens sei keine Prioritätssteuerung, sondern ausschließlich ein Verweigern eines Zugriffs. Damit sei der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 neu gegenüber D4.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I definiere durch den Begriff "Rangordnung" näher, dass Prioritätenmanagement im Sinne von Konfliktmanagement ("es geht etwas vor") zu verstehen sei, wie in Absatz [0017] des Streitpatents beschrieben. Insbesondere könne eine Zuteilung von Zugriffsrechten durch ja/nein-Entscheidung nicht mehr als Rangordnung verstanden werden. Die Formulierung, dass eine Rangordnung "festgelegt wird", drücke aus, dass diese Rangordnung auch veränderbar sei.
Eine individuelle Konfigurierbarkeit gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags II (siehe erteilter Anspruch 3) sei in D4 nicht offenbart, da damit insbesondere eine in den Grundeinstellungen hinterlegte Konfiguration entsprechend den gesetzlichen Vorgaben gemeint sei. Weiterhin möge es zwar naheliegend sein, dass eine Applikation bei Überlastung des Datenbusses - wie von der Beschwerdeführerin argumentiert - nicht mehr auf einen belegten Datenbus zugreifen könne. Allerdings definiere Anspruch 1 im Unterschied dazu, dass bei Erreichen oder Überschreiten einer definierten Belastung des Datenbusses eine niederrangige Applikation abbrechbar oder deren Datenübertragungsrate reduzierbar sei, was für den Fachmann auch unter Berücksichtigung der vorliegenden Druckschriften nicht naheliegend sei. Fraglich sei auch, ob die in D3 angesprochenen "low priority sources" einer Applikation wie beansprucht gleichgesetzt werden könnten.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Hauptantrag der Beschwerdegegnerin - Neuheit gegenüber Dokument D4 (Artikel 54 (1) EPÜ 1973)
2.1 D4 zeigt ein Fahrzeugkommunikationssystem (siehe Figur) mit einer im Fahrzeug angeordneten Recheneinheit (zentraler Bordcomputer 1) zum Steuern von Applikationen (Spalte 2, Zeilen 43 bis 58: Bildtelefon, PC-Funktionen), wobei im Sinne des Streitpatents eine Applikation mindestens eine Funktion umfasst (siehe Absatz [0027] des Streitpatents) (Merkmale S0 und S1). Diese Recheneinheit aus D4 ist mit mehreren Datenquellen verbunden (Spalte 3, Zeilen 40 bis 47: Sensoren, die z.B. die Fahrgeschwindigkeit oder die eingeschaltete Zündung repräsentieren) (Merkmal S2) sowie mit mehreren Bedienplätzen (siehe Figur: Tastatur 2 und Bildschirm 9, Telefon 6 und Lautsprecher 10, Radioempfänger 7) mit Benutzerschnitt stellen zum Zugriff auf die Applikationen (Tastatur, Bedientasten des Telefons oder des Radios) und zur Datenwiedergabe (Bildschirm, Lautsprecher im Telefon, Lautsprecher des Radios) (Merkmal S3). Damit sind alle Merkmale des Oberbegriffs von Anspruch 1 aus D4 bekannt.
Die Kammer kann der Auffassung der Beschwerdegegnerin nicht folgen, dass in D4 nur ein einziger Bedienplatz gezeigt sei. Selbst wenn man der Beschwerdegegnerin und auch der Einspruchsabteilung in ihrer engen Auslegung des Begriffs "Bedienplatz" folgt, wonach dieser Begriff im Unterschied zu einer "Bedieneinheit" oder einer MMI-Schnittstelle einen Bezug zu einem physisch räumlichen Platz eines Fahrzeuginsassen impliziert und darunter ein Platz im Fahrzeug mit zugeordneter MMI zu verstehen sei, so offenbart D4 die Bedienung eines Bildtelefons oder die Ausführung von PC-Funktionen sowohl durch den Fahrer als auch durch andere Insassen des Fahrzeugs (Spalte 2, Zeilen 43 bis 46: " Sensoren signalisieren, daß nicht der Fahrer telefoniert"; Zeilen 52 bis 54: " wenn nicht der Fahrer die Bedienung vornimmt"). Damit offenbart D4 mehrere Bedienplätze gemäß Merkmal S3, und zwar den Fahrersitzplatz und Sitzplätze von anderen Insassen im Fahrzeug wie dem Beifahrer, die über gemeinsam genutzte Bedieneinheiten auf Applikationen bzw. Funktionen zugreifen. Die in Anspruch 1 gewählte Formulierung "Bedienplätze (9) mit Benutzerschnittstellen" verlangt nicht, dass jedem so verstandenen "Bedienplatz" eine individuelle Bedieneinheit zuzuordnen ist. Dies steht auch in Einklang mit der Offenbarung des Streitpatents (siehe Spalte 2, Zeilen 44 bis 51: "Bedienplatz des Fahrzeug führers bezüglich einer Navigationseinrichtung"). Selbst wenn gemäß Streitpatent (siehe Absatz [0023]) ein Bedienplatz "jeweils Eingabeeinheiten und Ausgabeeinheiten" aufweist, so können diese Bedieneinheiten durchaus gemeinsam von mehreren Bedienplätzen genutzt sein, wie z. B. durch die Angabe eines Mikrofons als Eingabemittel oder eines Lautsprechers als Ausgabemittel angedeutet.
2.2 In der Recheneinheit (1) aus D4 ist eine zentrale Systemsteuerung realisiert (Spalte 3, Zeilen 38 bis 40: "zentraler Bordcomputer 1, von dem die Informations aktivitäten koordiniert und gesteuert werden") mit einem Prioritätenmanagement, das den einzelnen Bedienplätzen Zugriffsrechte unterschiedlicher Priorität auf die Applikationen einräumt (Spalte 2, Zeilen 43 bis 46 sowie Zeilen 52 bis 58: Bildtelefon bzw. PC-Funktionen werden während der Fahrt nur ausgeführt, wenn nicht der Fahrer die Bedienung vornimmt, wobei Sitzbelegungs sensoren einbezogen werden können, d. h. dem Beifahrer wird der Zugriff gestattet) (Merkmale S4, S5).
Die Beschwerdegegnerin ist der Auffassung, dass ein "Prioritätenmanagement, das den einzelnen Bedienplätzen Zugriffsrechte unterschiedlicher Priorität auf die Applikationen einräumt" - im Unterschied zu der Regelung von Zugangsrechten bzw. dem Verweigern eines Zugriffs auf eine Applikation gemäß D4 - so zu verstehen sei, dass damit Konflikte bei Zugriff von mehreren Bedienplätzen auf eine Applikation gelöst werden sollten, indem unterschiedlichen Bedienplätzen Zugriffsrechte unterschiedlicher Priorität bzw. unterschiedlichen Ranges zugeordnet würden (Streitpatent Absatz [0017] bzw. Spalte 3, Zeilen 26 bis 34). Dies sei zu unterscheiden von der in D4 gezeigten ja/nein-Entscheidung darüber, ob dem Fahrer in einer bestimmten Fahrsituation der Zugriff auf eine Applikation zugemutet werden könne.
Die Kammer folgt in diesem Punkt jedoch der Auffassung der Beschwerdeführerin, wonach bereits die in D4 gezeigte Verweigerung des Zugriffs auf die Applikationen Bildtelefon oder PC während der Fahrt für den Fahrer, nicht aber für die anderen Fahrzeuginsassen, ein Prioritätenmanagement im beanspruchten Sinne darstellt. Das Verweigern eines Fahrer-Zugriffs auf Bildtelefon oder PC während der Fahrt führt bei aufeinanderfolgenden Zugriffsversuchen von Fahrer und Beifahrer auf diese Applikationen während der Fahrt dazu, dass der Beifahrer den Zugriff und damit den Vorrang vor dem Fahrer erhält. Das Verweigern eines Zugriffs ist dabei als niedrigster Rang bei der Definition von Prioritäten für die Zugriffsrechte auf Applikationen anzusehen, während das Erlauben des Zugriffs zumindest einen weiteren, höheren Rang definiert. Diese Interpretation steht auch in Einklang mit der Offenbarung des Streitpatents (siehe Absatz [0013]): Wie dort in Spalte 2, Zeilen 41 bis 49 ausgeführt, kann die einem Bedienplatz zukommende Rangordnung "entweder einheitlich für alle Applikationen oder einzeln für jede Applikation festgelegt werden", beispielsweise indem "dem Bedienplatz des Fahrzeugführers bezüglich einer Navigationseinrichtung höchste Priorität eingeräumt" werden kann, während "dem Fahrzeugführer ein Zugriffsrecht auf einen Fernsehempfänger völlig oder nur während der Fahrt verweigert sein kann." Dieses Beispiel für die vom Prioritätenmanagement den Bedienplätzen eingeräumte Rangordnung bzw. Prioritäten von Zugriffsrechten auf Applikationen unterscheidet zwischen dem "Einräumen einer höchsten Priorität" und dem "Verweigern des Zugriffsrechts", zeigt also eine Rangordnung mit zwei Rängen, und zwar für den Fahrerbedienplatz bei Zugriff auf zwei unterschiedliche Applikationen.
Gleichzeitig beinhaltet das angeführte Beispiel des Streitpatents eine weitere mögliche Rangordnung mit zwei Rängen für den Fahrerbedienplatz bzgl. des Zugriffs auf eine einzige Applikation ("Fernsehempfänger"), wobei das Zugriffsrecht "nur während der Fahrt verweigert sein kann", d. h. bei stehendem Fahrzeug wird der Zugriff erlaubt. Dabei spielt die Fahrsituation die entscheidende Rolle. Es wird also der Fahrzeugführung Vorrang gegeben vor der Bedienung eines Fernsehers im Auto. Genau dies ist aber auch in D4 in Bezug auf die Bedienung des Bildtelefons oder die Ausführung von PC-Funktionen gezeigt.
Die Formulierung von Anspruch 1 ("den einzelnen Bedienplätzen Zugriffsrechte unterschiedlicher Priorität auf die Applikationen einräumt") umfasst letztlich aber auch, dass zwei unterschiedlichen Bedienplätzen bei Zugriff auf dieselbe Applikation unterschiedliche Prioritäten eingeräumt werden. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin zeigt D4 aber gerade ein Prioritätenmanagement in diesem Sinne basierend auf einer Rangordnung mit zwei Rängen ("Zugriff verweigert" bzw. "Zugriff eingeräumt") für die Bedienplätze des Fahrers und eines Beifahrers während der Fahrt bei Zugriff z. B. auf ein Bildtelefon.
2.3 Auch wenn man der Interpretation der Beschwerdegegnerin folgt und unter "Priorität" einen "Rang" versteht und damit unter "Prioritätenmanagement" das Beachten einer "Rangordnung", so zeigt Dokument D4 also wie vorstehend ausgeführt zumindest ein Ausführungsbeispiel einer Rangordnung mit zwei Rängen, welches unter den Wortlaut des erteilten Anspruchs 1 fällt. Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ist also nicht neu gegenüber D4.
3. Hilfsantrag I der Beschwerdegegnerin - Neuheit gegenüber Dokument D4 (Artikel 54 (1) EPÜ 1973)
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 definiert zusätzlich, dass eine einem Bedienplatz zukommende Rangordnung entweder einheitlich für alle Applikationen oder einzeln für jede Applikation festgelegt wird. Folgt man der Argumentation der Beschwerdegegnerin, so soll damit näher definiert werden, dass Prioritätenmanagement im Sinne von Konfliktmanagement ("es geht etwas vor") und damit im Sinne von "Vorrang geben" zu verstehen ist. Ein Vorrang kann für einen Bedienplatz aber nur gegeben werden bei Vorliegen von konkurrierenden Anforderungen, z. B. bei konkurrierendem Zugriff auf eine Applikation durch einen anderen Bedienplatz (wie im Streitpatent in Absatz [0017] ausgeführt) oder aber beim Abwägen, ob bei alleiniger Betrachtung des Bedienplatzes "Fahrer" parallel zu der primären Aufgabe der Fahrzeugführung der Zugriff auf ein Bildtelefon oder einen PC während der Fahrt erlaubt sein soll (wie im Streitpatent in Absatz [0013] angesprochen).
Wie bereits weiter oben in Abschnitt 2.2 ausgeführt, zeigt D4 eine dem Bedienplatz des Fahrers zukommende Rangordnung in Bezug auf die Applikationen "Bildtelefon" und "PC", und zwar zum einen im Vergleich zum Bedienplatz eines anderen Fahrzeuginsassen während der Fahrt und zum anderen abhängig von der Fahrsituation; dem Fahrer wird während der Fahrt - nicht aber den anderen Insassen und nicht bei stehendem Fahrzeug - der Zugriff auf die genannten Applikationen verweigert. Die in Merkmal S6 geforderte Festlegung der Rangordnung "einheitlich für alle Applikationen oder einzeln für jede Applikation" stellt keine weitere Einschränkung dar, was auch nicht bestritten wurde.
Da das Festlegen einer solchen Rangordnung nicht notwendigerweise eine jederzeit veränderbare Rangordnung bedeuten muss, wie von der Beschwerdegegnerin angedeutet, sondern auch das einmalige Festlegen bei Fertigstellung bzw. Programmierung des beanspruchten Fahrzeug kommunikations systems umfasst, ist das entsprechend ausgelegte Fahrzeugkommunikationssystem aus D4 auch neuheitsschädlich für den Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I.
4. Hilfsantrag II der Beschwerdegegnerin - erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973)
4.1 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 wurde im Vergleich zu Anspruch 1 gemäß Hauptantrag um die Merkmale der erteilten Ansprüche 3 bis 6 ergänzt.
Im Vergleich zu Anspruch 1 gemäß Hauptantrag wird damit einerseits eine Bedienplatzsteuerung definiert, mit der die einzelnen Bedienplätze individuell konfigurierbar sind (Merkmal S6*), was bereits aus D4 bekannt ist. Denn in D4 kann (siehe Spalte 4, Zeilen 18 bis 35) die Ausgabe von Informationen an den Fahrer - und damit für den Bedienplatz "Fahrer" - durch Vorgabe von individuell programmierbaren Grenzwerten unterbunden werden; eine individuelle Konfigurierbarkeit im Sinne von Anspruch 1 wird also durch die in D4 beschriebene individuelle Programmierung von Grenzwerten erreicht. Eine in den Grundeinstellungen hinterlegte Konfiguration entsprechend den gesetzlichen Vorgaben ist nicht beansprucht und kann deshalb nicht in den Anspruchsgegenstand hineingelesen werden.
Andererseits führt Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II nun Merkmale auf (Merkmale S7* bis S9*), die - betrachtet man nur die erste Alternative in Merkmal S7* - ein busbezogenes Prioritätenmanagement beschreiben, welches den Zugriff auf den Datenbus durch Einräumen individueller Zugriffsrechte für die Applikationen regelt, wobei bei Erreichen oder Überschreiten einer definierten Belastung des Datenbusses eine niederrangige Applikation abbrechbar oder deren Datenübertragungsrate reduzierbar ist.
4.2 Die aus D4 nicht bekannten Merkmale S7* bis S9* bewirken, dass im Falle gleichzeitiger Übertragungsanforderungen von Applikationen eine Kollision der Daten auf dem Datenbus verhindert wird und wichtige Daten übertragen werden.
Die zu lösende Aufgabe besteht also darin, den Zugriff der Applikationen auf den Datenbus so zu regeln, dass die Übertragung wichtiger Daten bzw. die Ausführung hochrangiger Applikationen nicht gestört wird.
4.3 Ausgehend vom bekannten Fahrzeugkommunikationssystem aus D4 ist es dem allgemeinen Fachwissen des Fachmanns auf diesem Gebiet zuzurechnen, dass zur Lösung dieser Aufgabe bei Zugriff mehrerer Teilnehmer bzw. Applikationen auf einen gemeinsamen Datenbus die Zugriffsrechte der Applikationen auf den Datenbus definiert werden müssen. Dabei sind dem Fachmann ein sogenanntes Zeitscheibenverfahren und eine Arbitrierung mittels Vorgabe von Prioritäten bekannt, wie beispielsweise aus der D3 (Seite 3, Zeilen 48 bis 53: "allotting to each prospective message source station one time slice"; "arbitration among priority numbers is an allowable solution" - "standard knowledge in the art of computer networks") hervorgeht. Die D3 beschreibt ein Datenverarbeitungssystem für ein Fahrzeug, stammt also aus dem gleichen technischen Gebiet wie das Streitpatent und kann somit das Fachwissen des Fachmanns auf diesem Gebiet belegen.
Die Merkmale S7* bis S9* beschreiben nun aber nichts anderes als eine Arbitrierung des Zugangs zum Datenbus mittels Vorgabe von Prioritäten für die Teilnehmer bzw. Applikationen, wobei zwangsläufig ein Teilnehmer mit einer hohen Priorität vorrangigen Zugang zum Datenbus erhält. Die Auswahl dieser dem Fachmann bekannten Arbitrierung aus einer dem Fachmann bekannten Menge von Lösungen - wie mit D3 belegt - für die gestellte Aufgabe kann jedoch nicht als erfinderisch angesehen werden.
4.4 Die Beschwerdegegnerin führte zwar an, dass es naheliegend sein mag, dass eine Applikation bei Überlastung des Datenbusses - wie von der Beschwerdeführerin argumentiert - nicht mehr auf einen belegten Datenbus zugreifen könne. Allerdings werde im Unterschied dazu beansprucht, dass bei Erreichen oder Überschreiten einer definierten Belastung des Datenbusses eine niederrangige Applikation abbrechbar oder deren Datenübertragungsrate reduzierbar sei, was für den Fachmann auch unter Berücksichtigung der vorliegenden Druckschriften nicht naheliegend sei.
Die in Merkmal S9* definierte Variante, dass die Datenübertragungsrate von niederrangigen Applikationen reduzierbar ist, entspricht aber genau dem, was sich bei Zugriff einer Applikation mit höherer Priorität, d. h. einer höherrangigen Applikation bei Arbitrierung mittels Vorgabe von Prioritäten einstellt: In diesem Fall erhält die höherrangige Applikation vorrangigen Zugang zum Datenbus, so dass eine niederrangige Applikation warten muss, bis die höherrangige Applikation die Datenübertragung beendet hat; die pro Zeiteinheit übertragenen Daten der niederrangigen Applikation und damit deren Datenübertragungsrate wird reduziert.
4.5 Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II kann also nicht als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend angesehen werden.
5. Da sämtliche Anträge der Beschwerdegegnerin wegen mangelnder Neuheit bzw. mangelnder erfinderischer Tätigkeit des Gegenstands des jeweiligen Anspruchs 1 nicht gewährbar sind, ist das Streitpatent zu widerrufen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.