European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2014:T231610.20140723 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 23 Juli 2014 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2316/10 | ||||||||
Anmeldenummer: | 04026386.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | G06F 9/44 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Datenflussmodellierung in Engineering-Systemen | ||||||||
Name des Anmelders: | Siemens Aktiengesellschaft | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.5.06 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Schwerwiegender Verfahrensmangel - (nein) Zurückverweisung an die erste Instanz - (nein) Erfinderische Tätigkeit - (nein) |
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Orientierungssatz: |
Siehe Punkte 3-6. |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Prüfungsabteilung wies die Europäische Patentanmeldung Nr. 04026386.5 zurück. Die Entscheidung, datiert vom 5. Mai 2010, nahm Bezug auf die Dokumente
D1: US 2004/056908 A1 und
D2: Denzlein M., "Benutzerunterstützung für deaktivierte und somit unbedienbare Elemente der Bedienoberfläche", Siemens Technik Report, Jg. 5, Nr. 18, S. 112, August 2002
und argumentierte insbesondere, die Erfindung gemäß den unabhängigen Ansprüchen sei nicht neu gegenüber D1 und den abhängigen Ansprüchen mangele es entweder ebenfalls an Neuheit gegenüber D1 oder an erfinderischer Tätigkeit gegenüber D1 im Lichte von D2, Artikel 54(1) und 56 EPÜ.
II. Das vorangehende Prüfungsverfahren, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, lässt sich so zusammenfassen.
i) Im ersten Prüfungsbescheid vom 31. Juli 2006 vertrat die Prüfungsabteilung den Standpunkt, der Gegenstand der ursprünglichen Ansprüche 1 und 9 sei nicht neu gegenüber D1. Zur Begründung verwies sie pauschal auf Fundstellen in D1, "insbesondere Zusammenfassung, Abbildungen 3a-3f, und Absätze 13-18, 38, 50, 56 und 57", führte jedoch nicht aus, an welchen Stellen in D1 im Einzelnen ihrer Ansicht nach die beanspruchten Merkmale offenbart seien.
ii) In ihrer Erwiderung datiert 22. November 2006 bestritt die Anmeldering diesen Neuheitseinwand nicht ausdrücklich. Statt dessen reichte sie geänderte Ansprüche ein. Darin wurde das ursprüngliche Merkmal, gerichtet auf
"... [Anzeigemittel] ... zur Darstellung von Datenverbindungen der mindestens einen Visualisierungs- und/oder Eingabekomponente ... zu Datengebern und/oder Datennehmern der Visualiserungs- und/oder Eingabekomponenten der zu projektierenden Bedienoberfläche ..."
ergänzt um das Merkmal, nach dem
"... sämtliche Datenverbindungen der mindestens einen Visualisierungs- und/oder Eingabekomponente ... zu den Datengebern und/oder Datennehmern der Visualiserungs- und/oder Eingabekomponente gleichzeitig darstellbar sind." [Hervorhebungen durch die Kammer]
Weiter argumentierte sie, dass und warum ihrer Ansicht nach die geänderten Ansprüche neu und erfinderisch gegenüber D1 seien, insbesondere nämlich weil aus D1 weder bekannt noch nahelegt sei, dass dem Benutzer ein "Hinweis auf die möglichen bzw. sinnvollen Datenverbindungen" gegeben würde und dass "alle für die zu erstellende Datenverbindung geeigneten Komponenten automatisch angezeigt" würden. Ein Antrag auf mündliche Verhandlung wurde nicht gestellt.
iii) In den folgenden 3 1/2 Jahren erging kein weiterer Prüfungsbescheid.
iv) Dann erließ die Prüfungsabteilung ihre schriftliche Entscheidung, die Anmeldung zurückzuweisen. In ihrer Begründung stellte sie fest, dass sich die Ausführungen der Anmelderin im Schreiben vom 22. November 2006 nicht auf den beanspruchten Gegenstand bezögen (Gründe 11) und dass die vorgelegte Anspruchsänderung keine substantielle Änderung der Patentansprüche darstelle (Gründe 7) und reproduzierte im Übrigen ihre Analyse aus dem vorausgehenden Prüfungsbescheid, dergemäß die unabhängigen Ansprüche nicht neu seien gegenüber D1.
III. Am 2. Juli 2010 legte die Anmelderin Beschwerde gegen diese Entscheidung ein und entrichtete die Beschwerdegebühr. Die Beschwerdebegründung ging am 24. August 2010 ein. Die Beschwerdeführerin bemängelte, ihr sei das rechtliche Gehör nach Artikel 113 (1) EPÜ vorenthalten worden, weil sie sich zu dem Zurückweisungsgrund der Prüfungsabteilung hinsichtlich des neuen Anspruchsmerkmals nicht habe äußern können, und die Entscheidung sei unzureichend begründet, Regel 111 (2) EPÜ, weil sie nicht angebe, wo genau D1 die beanspruchten Merkmale offenbare. Sie beantragte das folgende:
a) den Beschluss der Prüfungsabteilung aufzuheben;
b) die Beschwerdegebühr gemäß Regel 103 (1) EPÜ zurückzuerstatten;
c) ein Patent zu erteilen auf der Basis der derzeit geltenden Unterlagen (Hauptantrag), oder
d) mit einem geänderten Anspruch 1 (Hilfsantrag), der mit der Beschwerdebegründung vorgelegt wurde;
e) die Sache zur Fortsetzung des Prüfungsverfahrens zurückzuverweisen; und
f) eine mündliche Verhandlung gemäß Art. 116 (1) EPÜ durchzuführen.
IV. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung teilte die Kammer der Beschwerdeführerin mit, dass auf Grundlage ihrer vorläufigen Auslegung die unabhängigen Ansprüche beider Anträge gegenüber D1 keine erfinderische Tätigkeit aufzuweisen schienen, und dass ein solcher Einwand möglicherweise auch im Lichte der in der Beschreibung selbst diskutierten Stand der Technik geführt werden könne. Darüber hinaus erhob sie einige Klarheitseinwände und erwähnte ihren Zweifel daran, ob der beanspruchte Gegenstand als Lösung eines technischen Problems anzusehen sei. Die Kammer führte schließlich aus, dass nach ihrer vorläufigen Meinung kein wesentlicher Verfahrensmangel vorliege.
V. Mit Schreiben vom 23. Juni 2014 hielt die Beschwerdeführerin ihre Anträge a-e aufrecht und beantragte weiter hilfsweise die Erteilung auf Grundlage zweier geänderte Anspruchssätze, die mit "Hilfsantrag 3" und "Hilfsantrag 4" bezeichnet waren. Ihren Einwand wesentlicher Verfahrensmängel substantiierte sie unter Verweis auf Rechtsprechung des Europäischen Patentamts, insbesondere die Entscheidungen J 7/82, T 1039/00, T 778/98 und, in der mündlichen Verhandlung, J 3/90.
VI. Die dieser Entscheidung zugrunde liegenden Anmeldungsunterlagen sind somit diese:
Ansprüche, Nr.
Hauptantrag
1-16 eingereicht mit Schreiben vom 22. November 2006
Hilfsantrag
1 eingereicht mit der Beschwerdebegründung
2-16 eingereicht mit Schreiben vom 22. November 2006
Hilfsantrag "3" und "4"
1-14 je eingereicht mit Schreiben vom 23. Juni 2014
Beschreibung, S.
1, 2, 4-10 wie ursprünglich eingereicht
3, 3a eingereicht mit Schreiben vom 22. Nov. 2006
Zeichnungen, Blätter
1/9-9/9 eingereicht mit Schreiben vom 24. Nov. 2004
Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:
"Vorrichtung zur Projektierung einer Bedienoberfläche, insbesondere einer Mensch-Maschine-Schnittstelle einer Automatisierungskomponente, mit
Eingabemitteln zur Positionierung mindestens einer Visualisierungs- und/oder Eingabekomponente (1, 2, 3, 4, 11, 22, 33, 44) auf der neu zu projektierenden Bedienoberfläche und
Anzeigemitteln (6) zur Darstellung von Datenverbindungen der mindestens einen Visualisierungs- und/oder Eingabekomponente (1, 2, 3, 4, 11, 22, 33, 44) zu Datengebern und/oder Datennehmern der Visualisierungs- und/oder Eingabekomponente der zu projektierenden Bedienoberfläche,
wobei sämtliche Datenverbindungen der mindestens einen Visualisierungs- und/oder Eingabekomponente (1, 2, 3, 4, 11, 22, 33, 44) zu den Datengebern und/oder Datennehmern der Visualisierungs- und/oder Eingabekomponente gleichzeitig darstellbar sind."
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag entspricht Anspruch 1 des Hauptantrags, abgesehen davon, dass der letzte Absatz nun wie folgt lautet:
"... wobei sämtliche Datenverbindungen der mindestens einen Visualisierungs- und/oder Eingabekomponente (1, 2, 3, 4, 11, 22, 33, 44) zu den Datengebern und/oder Datennehmern der Visualisierungs- und/oder Eingabekomponente durch die Vorrichtung zur Projektierung gleichzeitig dargestellt werden."
Anspruch 1 gemäß "Hilfsantrag 3" entspricht Anspruch 1 des Hilfsantrags, dem das folgende Merkmal hinzugefügt wurde:
"... wobei die Anzeigemittel zur Darstellung einer und/oder mehrerer Stufen von Datenverbindungen derart vorgesehen ist, dass unterschiedliche Kettenlängen von Verknüpfungen zwischen verschiedenen Elementen ausgewählt werden können."
Anspruch 1 gemäß "Hilfsantrag 4" entspricht Anspruch 1 des Hilfsantrags, dem das folgende Merkmal hinzugefügt wurde:
"... wobei weiterhin die Anzeigemittel zur Darstellung mehrerer Sichten auf die Visualisierungs- und/oder Eingabekomponente als zentrales Element vorgesehen sind, wobei jede positionierte Komponente als zentrales Element für die Darstellung der Datenverbindungen auswählbar ist."
Der unabhängige Verfahrensanspruch 9 des Hauptantrags - und, wortgleich, des Hilfsantrags - richtet sich auf ein Verfahren, das im Wesentlichen der Vorrichtung von Anspruch 1 des Hauptantrags entspricht, abgesehen davon, dass die Datenverbindungen verfahrensgemäß "dargestellt" werden anstatt nur "darstellbar" sind. Der unabhängige Verfahrensanspruch 8 nach "Hilfsantrag 3" und "4" entspricht im Wesentlichen dem jeweils unabhängigen Vorrichtungsanspruch.
VII. Die mündliche Verhandlung fand wie vorgesehen am 23. Juli 2014 statt. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.
Entscheidungsgründe
Die behaupteten wesentlichen Verfahrensmängel
1. Nach Darstellung der Beschwerdeführerin hat die Prüfungsabteilung in ihrem Erstbescheid zunächst einen unzulänglichen Neuheitseinwand geführt, da sie darin nicht im Einzelnen aufgeführt hat, wo in D1 die beanspruchten Merkmale offenbart seien. Dann habe sie, trotz substantieller Änderung der Ansprüche durch die Anmelderin, nämlich durch Ergänzung der unabhängigen Ansprüche um ein mehrzeiliges neues Merkmal, zunächst vier Jahre geschwiegen und dann ohne weitere Mitteilung die Anmeldung zurückgewiesen. Die Feststellung in der Entscheidung, das neue Merkmal beinhalte keine substantielle Änderung, das die Beschwerdeführerin im übrigen bestritt, stelle einen Grund dar, zu dem sich die Anmelderin nicht vor der Entscheidung habe äußern können, so dass die Entscheidung gegen das Erfordernis von Artikel 113 (1) EPÜ 1973 verstoße. Die weitere Begründung des Neuheitseinwands in der Entscheidung sei im übrigen, wie die im Erstbescheid geführte, nicht nachvollziehbar und die Entscheidung somit unzureichend begründet, Regel 111 (2) EPÜ 1973.
1.1 Der Beschwerdeführerin seien erst im Beschwerdeverfahren nachvollziehbar begründete Einwände vorgetragen worden, während sie durch die Verfahrensführung der Prüfungsabteilung um die bezahlte Prüfungsleistung gebracht worden sei.
1.2 Die Verletzung des rechtlichen Gehörs wie auch der Begründungspflicht stellten nach allgemeiner Rechtsprechung wesentliche Verfahrensmängel dar. Zum Beleg dafür verwies die Beschwerdeführerin auf den Leitsatz II der Entscheidung J 3/90:
"Das EPA verstößt gegen [den] Grundsatz [von Artikel 113 (1) EPÜ], wenn es bei Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (Art. 114 (1) EPU) die Beteiligten nicht ausführlich über die angestellten Ermittlungen und ihre Ergebnisse unterrichtet und ihnen nicht anschließend - vor Ergehen der Entscheidung - ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gibt.",
den Leitsatz II der Entscheidung J 7/82:
"Wenn eine Entscheidung das Vorbringen eines Beteiligten nicht berücksichtigt und auf einen Grund gestützt wird, zu dem sich der Beteiligte nicht äußern konnte, liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel vor.",
sowie ohne spezifische Fundstelle auf die Entscheidungen T 1039/00 und T 778/98, in der die Beschwerdekammer jeweils eine Verletzung von Artikel 113 (1) EPÜ festgestellt und eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr angeordnet hatte, weil die Entscheidung auf Gründe gestützt war, zu denen sich die Anmelderin nicht hatte äußern können.
1.3 Weiter rechtfertigten es diese Verfahrensmängel, die Entscheidung umgehend aufzuheben und die Sache unter Rückzahlung der Beschwerdegebühr zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückzuverweisen sei.
2. Artikel 11 VOBK legt fest, dass die Kammer eine Angelegenheit an die erste Instanz zurück verweist, wenn das Verfahren vor der ersten Instanz wesentliche Mängel aufweist, es sei denn, dass besondere Gründe gegen die Zurückverweisung sprechen.
2.1 Die Kammer stimmt dem in den zitierten Entscheidungen zum Ausdruck kommenden Grundsatz zu (vgl. insbes. J 7/82, Leitsatz II), dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113 (1) EPÜ 1973 in der Regel einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellen. Die Kammer hat auch Verständnis für die Verärgerung der Beschwerdeführerin, die sich nach einer mehrjährigen Pause mit einer knappen Entscheidung konfrontiert sah, die darüber hinaus ein Merkmal erstmals kommentierte, mit der sie den bestehenden Neuheitseinwand meinte ausgeräumt zu haben, und teilt die Ansicht, dass ein anderes Verhalten der Prüfungsabteilung wünschenswert gewesen wäre. Der Beschwerdeführerin ist auch darin beizupflichten, dass eine erstmalige sachliche Diskussion über die Patentierbarkeit der angemeldeten Erfindung viele Jahre nach deren Anmeldung, und zudem erst in zweiter Instanz vor der Beschwerdekammer, unbefriedigend und nicht wünschenswert ist.
2.2 Zu entscheiden hat die Kammer jedoch zunächst nur, ob die unzweifelhaft vorliegenden Verfahrensschwächen unter den gegeben Umständen als wesentliche Mängel im Sinne des Artikels 11 VOBK gelten müssen, so dass eine unmittelbare Zurückverweisung an die erste Instanz ohne weitere Entscheidung in der Sache angezeigt ist.
3. Begründungsmangel
3.1 In der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer kritisierte die Beschwerdeführerin den Neuheitseinwand der Prüfungsabteilung als unzureichend und benannte mehrere ursprünglich beanspruchte Merkmale, die ihrer Ansicht nach nicht in D1 offenbart seien. Insbesondere werde in D1 eine Bedienoberfläche benutzt, nicht aber projektiert. Gegenüber der Prüfungsabteilung hingegen hat die Beschwerdeführerin als Anmelderin denselben Neuheitseinwand nicht bestritten. Auch aus der im Schreiben vom 22. November 2006 enthaltenen Diskussion dessen, was D1 offenbare (S. 2, 2. Abs.), geht ein solcher Einwand gegen die von der Prüfungsabteilung geäußerten Ansicht nicht hervor. Ebenso wenig hat die Anmelderin den bemängelten Anspruchssatz aufrecht erhalten, sondern diesen durch einen neuen Anspruchssatz ersetzt.
3.2 Nach Ansicht der Kammer musste es für die Prüfungsabteilung daher so scheinen, als hielte die Beschwerdeführerin den Einwand der Prüfungsabteilung und seine Begründung entweder für richtig oder doch wenigstens für so nachvollziehbar, dass sie ihn nicht bestreiten wollte.
3.3 Die Beschwerdeführerin hat weiter darauf verzichtet, eine mündliche Verhandlung vor der Prüfungsabteilung zu beantragen, die ihr die Möglichkeit gegeben hätte, ihre Argumente vor einer abschließenden Entscheidung mit der Prüfungsabteilung zu diskutieren.
3.4 Die Beschwerdekammer kann es unter diesen Umständen nicht als einen wesentlichen Verfahrensmangel ansehen, dass die Prüfungsabteilung ihre - zweifellos knappe - Analyse von D1 in der Entscheidung nicht weiter vertieft hat.
4. Rechtliches Gehör
4.1 Das neue Merkmal, obgleich mehrzeilig formuliert, fordert nur, dass "sämtliche Datenverbindungen ... gleichzeitig darstellbar" sind, während zuvor die "Darstellung von Datenverbindungen" beansprucht war (Hervorhebungen durch die Kammer).
4.2 Die Beschwerdeführerin erläutert im Begleitschreiben datiert vom 22. November 2006, dass dem neuen Merkmal zufolge die "möglichen bzw. sinnvollen Datenverbindungen einer Komponente" oder "[a]lle für die zu erstellende Datenverbindung geeigneten Komponenten" angezeigt würden. Die Prüfungsabteilung stellt hingegen fest (Gründe 11), dass insbesondere das Merkmal, demgemäß "[a]lle für die zu erstellende Datenverbindung geeigneten Komponenten" angezeigt würden "nicht Gegenstand der unabhängigen Patentansprüche" war.
4.3 Die Kammer versteht die Entscheidung in dieser Hinsicht so, dass die Prüfungsabteilung der Meinung war, die Argumente der Anmelderin hätten sich nur auf ein nicht-beanspruchtes Merkmal bezogen, und die Anmelderin habe sich somit zu dem tatsächlich neu beanspruchten Merkmal nicht substantiiert geäußert. Diese Einschätzung hält die Kammer überdies für gerechtfertigt.
4.4 Vor diesem Hintergrund hat die Beschwerdekammer Verständnis dafür, dass die Prüfungsabteilung zu der Einschätzung gelangen konnte, die Änderung stelle "[k]eine substantielle Änderung" der Patentansprüche dar (Entscheidungsgründe 7).
4.5 Für die Prüfungsabteilung erschien somit ihr zuvor dargestellter Neuheitseinwand unverändert gültig zu sein. Da die Beschwerdeführerin zu diesem Grund hatte Stellung nehmen können, war es nicht rechtlich fehlerhaft, sie hierzu nicht nochmals zu hören. Da die Prüfungsabteilung zudem zu der Einschätzung gelangt war, dass die eingereichten Änderungen den unabhängigen Ansprüchen keine für die Prüfung der Neuheit nennenswerten Merkmale hinzufügten, lag es für die Prüfungsabteilung insoweit im Rahmen ihres rechtmäßig auszuübenden Ermessens, die Anmeldung ohne einen weiteren Bescheid zurückzuweisen.
4.6 Es kann bei der Überprüfung der vorinstanzlichen Ermessensausübung offen bleiben, ob die Kammer zu derselben Einschätzung wie die Prüfungsabteilung gelangt wäre, und ob ein weiterer Bescheid vielleicht wünschenswert gewesen wäre, um mögliche Missverständnisse auszuräumen.
4.7 Jedenfalls beruht das Vorgehen der Prüfungsabteilung nach Ansicht der Kammer auf einer nicht unvertretbaren Beurteilung der Sachlage und ist daher unter den gegebenen Umständen nicht mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet.
4.8 Die Kammer sieht sich mit dieser Meinung nicht im Widerspruch zur von der Beschwerdeführerin zitierten Rechtsprechung. Insbesondere widerspricht sie nicht dem anerkannten Verfahrensprinzip, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt, denn sie kommt im gegebenen Fall unter Abwägung aller Umstände zu dem Ergebnis, dass eine solche Verletzung des rechtlichen Gehörs eben nicht vorlag.
5. In der mündlichen Verhandlung räumte die Beschwerdeführerin ein, dass die lange Verzögerung vor der Zurückweisungsentscheidung selbst keinen wesentlichen Verfahrensmangel begründen könne.
6. Zusammenfassend kommmt die Kammer zu dem Ergebnis, dass ein wesentlicher Verfahrensmangel nicht vorlag. Daher kommt weder eine sofortige Zurückverweisung an die erste Instanz nach Artikel 11 VOBK noch eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ 1973 in Frage.
Die Erfindung
7. Die Anmeldung bezieht sich auf die "Projektierung" einer Bedienoberfläche. Insbesondere geht es gemäß Beschreibung um die Bedienoberfläche eines sogenannten "Operator-Panels", wie es zur Bedienung von Steuerungsrechnern im Automatisierungsbereich eingesetzt wird, und das für den jeweiligen Fertigungseinsatz speziell konfiguriert ("projektiert") werden muss (vgl. ursprüngliche Anmeldung, S. 1, Zeilen 6-24).
7.1 Die Erfindung richtet sich darauf, "eine Vorrichtung anzugeben, welche dem Projekteur die Projektierung einer Bedienoberfläche durch Anzeige der Verbindungen der zu projektierenden Komponenten erleichtert" (S. 3, 2. Abs.).
7.2 Die Ansprüche richten sich auf eine Vorrichtung und ein entsprechendes Verfahren "zur Projektierung einer Bedienoberfläche", erwähnen die bevorzugte Anwendung aber nur sehr allgemein durch Bezug auf eine "Automatisierungskomponente", und auch das nur optional ("insbesondere").
7.3 Die Vorrichtung weist anspruchsgemäß "Eingabemittel" auf, mit denen eine "Visualisierungs- und/oder Eingabekomponente ... auf der zu projektierenden Bedienoberfläche" positioniert werden kann, sowie "Anzeigemittel", mit denen "Datenverbindungen" zwischen der besagten Komponente und "Datengebern und/oder Datennehmern" dieser Komponente dargestellt werden können. Es wird weiter gefordert, das "sämtliche Datenverbindungen ... gleichzeitig darstellbar sind" (Hauptantrag) bzw. "dargestellt werden" (Hilfsanträge). Der Verfahrensanspruch 9 lautet in beiden Anträgen gleich und entspricht dem Vorrichtungsanspruch des Hilfsantrags, da er die Darstellung, nicht nur Darstellbarkeit, der Datenverbindungen fordert.
7.4 Die Ansprüche lassen weitgehend offen, was genau eine Visualierungs- oder Eingabekomponente und was ein Datengeber oder -nehmer ist.
Klarheit, Artikel 84 EPÜ 1973, und Anspruchsauslegung
8. Die Ansprüche richten sich auf eine "Vorrichtung" bzw. ein "Verfahren zur Projektierung einer Bedienoberfläche".
8.1 Es geht aus diesem Wortlaut nach Ansicht der Kammer klar hervor, dass die Bedienoberfläche Gegenstand und nicht - oder jedenfalls nicht nur - Mittel der "Projektierung" ist: Anspruchsgemäß wird also ermöglicht, eine Bedienoberfläche und nicht irgendwelche Software zu "projektieren".
8.2 Der Begriff der "Projektierung" selbst ist auslegungsbedürftig.
8.2.1 Während er nach Einschätzung der Kammer auf dem Gebiet der Softwareentwicklung keine wohldefinierte Bedeutung hat, trägt die Beschwerdeführerin vor, dass er auf dem Gebiet der industriellen Automatisierung üblich und verbreitet ist. Als Projektierung würde der Fachmann auf diesem Gebiet den Vorgang bezeichnen, eine bestehende Anlage "einzurichten" oder zu "konfigurieren", in dem er vorhandene Anlagen-Komponenten auswählt und miteinander verknüpft. Durch die Projektierung werde eine "Runtime-Software", deren "konstanter Anteil" schon vorliegt, um einen "dynamischen Anteil" ergänzt und vervollständigt (vgl. Seite 1, Zeilen 5-24). Projektierung in diesem Sinne sei daher nicht vergleichbar mit Programmierung im allgemeinen und insbesondere nicht mit der Entwicklung von Datenverarbeitungsabläufen oder "Datenflüssen" wie in D1 offenbart. "Projektierung" und "Programmierung" würden von ganz unterschiedlichen Fachleuten durchgeführt und repräsentierten somit zwei unterschiedliche technische Gebiete.
8.2.2 Die Kammer kann sich dieser engen Auslegung nicht anschließen. Zum einen stellen sowohl die Beschreibung als auch die Ansprüche den Begriff der Projektierung nur mit knappen Worten in den Kontext der industriellen Automatisierung, zum anderen ist auch der von der Beschwerdeführerin beschriebene Vorgang der "Einrichtung" einer Anlagenkomponente zur Erzeugung des "dynamischen Anteils" einer Software eine Form der Programmierung. Dass es sich um eine einfache Form der Programmierung handelt und daher für Personen ohne eine umfangreiche Ausbildung in der Softwareentwicklung zugänglich ist, steht dem nach Ansicht der Kammer nicht entgegen.
8.2.3 Die Kammer ist daher der Meinung, dass der Begriff der "Projektierung" im Lichte der Anmeldung als eine Form der "Programmierung" ausgelegt werden muss.
9. Die unabhängigen Ansprüche beziehen sich auf eine "Bedienoberfläche" und dabei "insbesondere" auf eine "Mensch-Maschine-Schnittstelle einer Automatisierungskomponente". Die Kammer hält es für unklar, dass anspruchsgemäß eine "Bedienoberfläche" durch die Bezeichnung als "Mensch-Maschine-Schnittstelle" genauer charakterisiert werden soll, da der Fachmann eine Bedienoberfläche als eine Mensch-Maschine-Schnittstelle ansehen würde, nicht aber umgekehrt, Artikel 84 EPÜ 1973. Die Beschwerdeführerin erklärte ihre Bereitschaft, diesem Klarheitseinwand durch Streichung der Wörter "insbesondere einer Mensch-Maschine-Schnittstelle" zu entgegnen, wodurch sich bspw. Anspruch 1 auf eine "Vorrichtung zur Projektierung einer Bedienoberfläche einer Automatisierungskomponente" beziehen würde.
10. Eingabe- und Visualisierungskomponenten würde der Fachmann als Komponenten interpretieren, die die Dateneingabe durch den Benutzer oder die Anzeige von Daten für den Benutzer ermöglichen (vgl. etwa Abb. 1, Nr. 1 und 3 und Abb. 2, Nr. 11 und 33). Datennehmer und -geber hingegen geben anspruchsgemäß nur an, woher eine Komponente ihre Eingangsdaten bezieht und wohin sie ihr Ergebnis weiterreicht.
Stand der Technik
11. D1 offenbart ein System zur Entwicklung und Ausführung eines "Datenflusses" (vgl. Zusammenfassung), also im wesentlichen ein graphisches Programmiersystem. Dieses Programmiersystem enthält eine Bedienoberfläche, auf der der Programmierer Komponenten und Datenverbindungen positionieren kann (siehe bspw. Abb. 3D). D1 offenbart beispielhaft eine Additionskomponente ("Adder") mit zwei Eingängen und einem Ausgang (vgl. auch Abs. 38). Über diese Ein- und Ausgänge ist eine Additionskomponente mit ihren "Datengebern" und "Datennehmern" verbunden: Komponente 327 in Abb. 3F z. B. fungiert als der Datengeber für Komponente 329, und 329 umgekehrt als Datennehmer für 327. Die Abbildungen aus D1 illustrieren, dass in der Regel sämtliche (schon erstellten) Datenverbindungen einer solchen Additionskomponente gleichzeitig auf dem Bildschirm dargestellt werden. D1 offenbart Eingangsparameter ("inputs") für die dargestellten Datenflüsse und die Erzeugung von Berichten ("reports") in Form von HTML (vgl. Abb. 5, 6 und Abs. 31).
12. Die Kammer hält D1 für einen geeigneten Ausgangspunkt für die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit. Unter Hinweis auf die Unterschiede zwischen Projektierung gemäß der Anmeldung und Programmierung bestreitet das die Beschwerdeführerin. Wie oben erläutert, kann die Kammer diesem Argument jedoch wegen der unscharfen Bedeutung des Begriffs "Projektierung" und einem Mangel an Details in Beschreibung und Ansprüchen nicht folgen.
Neuheit und erfinderische Tätigkeit, Artikel 54 und 56 EPÜ 1973
Hauptantrag
13. D1 offenbart eine Anwendung des vorgeschlagenen Systems in unterschiedlichen Anwendungsgebieten (s. Abs. 2), nicht jedoch explizit seine Verwendung für die "Projektierung einer Bedienoberfläche" und somit ebenfalls nicht "Eingabemittel zur Positionierung" von Komponenten "auf der zu projektierenden Bedienoberfläche". D1 offenbart auch weder Eingabe- noch Visualierungskomponenten zur Benutzerinteraktion. In dieser Hinsicht gibt die Kammer der Beschwerdeführerin Recht. Damit ist der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche des Hauptantrags neu gegenüber D1, Artikel 54 (1) EPÜ 1973.
14. Gleichzeitig sind dies nach Ansicht der Kammer die einzigen klar erkennbaren Unterschiede zwischen der beanspruchten Erfindung und D1.
14.1 Wenn man, wie oben erläutert, die "Projektierung" als eine Form der Programmierung ansieht, so macht die Erfindung dank dieser Unterschiede das System aus D1 für neue Entwicklungsaufgaben zugänglich.
14.2 Nach Ansicht der Kammer ist es naheliegend, dass Entwicklungsaufgaben in den in D1 genannten Gebieten auch die Entwicklung von Bedienoberflächen erfordern können. Beispielsweise mag es notwendig sein, dass einzelne Parameter ("inputs") zur Laufzeit vom Benutzer eingegeben werden, und wünschenswert, einen erzeugten HTML-Bericht ("report") dem Benutzer unmittelbar auf dem Bildschirm zu präsentieren.
14.3 Die Kammer ist daher der Meinung, dass es naheliegend ist, das System aus D1 auch für die Projektierung von Bedienoberflächen einzusetzen. Die Notwendigkeit von Benutzerinteraktion folgt unmittelbar und die Integration entsprechender Eingabe- und Visualisierungskomponenten in das System von D1 ergibt sich zwanglos und ohne ersichtliche technische Schwierigkeiten.
14.4 Es ergibt sich daher, dass der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche des Hauptantrags keine erfinderische Tätigkeit gegenüber D1 aufweist, Artikel 56 EPÜ 1973.
14.5 Die Kammer ist weiter der Meinung, dass die anspruchsgemäße Entwicklung einer Bedienoberfläche durch Verknüpfung vorgegebener Komponenten nicht dadurch eingeschränkt wird, dass es sich um die Bedienoberfläche einer "Automatisierungskomponente" handelt. Die von der Beschwerdeführerin vorgeschlagene Änderung (vgl. Punkt 9) kann das Argument der Kammer daher nicht entkräften.
Hilfsantrag
15. Die Analyse des Hauptantrags hängt nicht davon ab, ob die einschlägigen Datenverbindungen nur "darstellbar" sind oder tatsächlich "dargestellt" werden. Damit ergibt sich, dass auch die unabhängigen Ansprüche des Hilfsantrags keine erfinderische Tätigkeit gegenüber D1 aufweisen, Artikel 56 EPÜ 1973.
"Hilfsantrag 3"
16. Die unabhängigen Ansprüche sind um das Merkmal ergänzt, demgemäß "auswählbar" ist, dass unterschiedliche "Kettenlängen" von Datenverbindungen dargestellt werden. Dieses Merkmal, ursprünglich auf Seite 7 der Beschreibung (Abs. 3), Abbildung 3 und Anspruch 7 offenbart, ermöglicht, dass nicht nur die unmittelbaren Verbindungen einer Komponente dargestellt werden, sondern auch weitere, indirekte Verbindung gemäß einer definierten "Kettenlänge" (Abb. 3 etwa stellt Verbindungen der Länge 2 dar).
16.1 Nach Ansicht der Kammer dient diese Funktion ausschließlich der Darstellung von Informationen, gerichtet an den Benutzer und nach dessen Informationsbedürfnis, und entfaltet somit keine Wirkung auf einem nicht von der Patentierbarkeit ausgeschlossenen Gebiet (vgl. Artikel 52 (2) d) EPÜ). Diese Funktion trägt somit nicht zum technischen Charakter der Erfindung bei.
16.2 Nach gefestigter Rechtsprechung (vgl. T 641/00, Leitsatz 2) darf ein solches Merkmal als Zielsetzung in die nach dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz zu formulierende technische Aufgabe aufgenommen werden.
16.3 Die einschlägige Lösung jedoch, die Implementierung der genannten Funktion, stellt den Fachmann vor keinerlei erkennbare Schwierigkeiten. Somit mangelt es auch den unabhängigen Ansprüchen von Hilfsantrag "3" an einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber D1, Artikel 56 EPÜ 1973.
16.4 Die Beschwerdeführerin widersprach diesem Argument in der mündlichen Verhandlung nicht.
"Hilfsantrag 4"
17. Die unabhängigen Ansprüche enthalten das zusätzliche Merkmal, demgemäß "jede positionierte Komponente" als "zentrales Element" für die dargestellten Datenverbindungen "auswählbar" ist. Dieses Merkmal ist ursprünglich auf Seite 8 der Beschreibung (2. Abs.), Abbildung 4 und Anspruch 5 offenbart. Aus Abbildung 4 ist ersichtlich, dass ein "zentrales Element" (Tag 1) nicht in der Mitte des Bildschirms dargestellt werden muss.
17.1 Die Kammer hält auch diese Funktion für eine, deren Beitrag sich auf eine Darstellung von Informationen beschränkt und deren Implementierung für den Fachmann naheliegen würde. Damit kann auch dieses Merkmal keine erfinderische Tätigkeit gegenüber D1 begründen, Artikel 56 EPÜ 1973.
17.2 Auch im Hinblick auf Hilfsantrag "4" widersprach die Beschwerdeführerin diesem Argument nicht.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.