T 2246/10 () of 10.10.2012

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2012:T224610.20121010
Datum der Entscheidung: 10 October 2012
Aktenzeichen: T 2246/10
Anmeldenummer: 06841268.3
IPC-Klasse: B65D 85/10
B65D 65/38
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Zigarettenverpackung mit Innenumhüllungen aus Polymerfolie
Name des Anmelders: Treofan Germany GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit: ja
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) hat gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung über die Zurückweisung der Anmeldung Nr. 06 841 268.3 Beschwerde eingelegt.

Die Prüfungsabteilung war zur Auffassung gekommen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 eingereicht mit dem Schreiben vom 2. März 2009 keine erfinderische Tätigkeit gegenüber der Kombination der Lehren von D1 (WO 2005/080078 A) und D3 (DE 42 01 558 A) aufweise. In der Entscheidung wurde auch D2 (EP 1 245 616 A) als Beleg für bestimmte Eigenschaften der beanspruchten Folie erwähnt.

II. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf "Basis der Patentansprüche in der Fassung vom 02.03.2009". Diese Ansprüche wurden der Beschwerdebegründung unter der Bezeichnung "Hauptantrag" beigelegt. Hilfsweise wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

III. Der unabhängige Anspruch 1 dieses Hauptantrags lautet wie folgt:

"Verwendung einer einschichtigen oder mehrschichtigen biaxial orientierten Folie als Inner-Liner einer Zigarettenverpackung, dadurch gekennzeichnet, dass die Folie 70 bis 100 Gew.-% eines Polymeren aus mindestens einer aliphatischen Polyhydroxycarbonsäure enthält und die Folie eine Gesamtdicke von mindestens 20 bis 100mym hat".

IV. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Der Fachmann könne aus der Dl, D2 oder D3 keine Information darüber ableiten, dass eine aliphatische PHC(Polyhydroxycarbonsäure)-Folie zur Verwendung als Inner-Liner einer Zigarettenverpackung geeignet sei. Er erhalte auch diesen Entgegenhaltungen keine Motivation, eine PHC-Folie als Inner-Liner zu verwenden.

Der allgemeine Hinweis in D1 bzw. D2 über die Verwendung von aliphatischen PHC-Folien als Verpackungsfolie bzw. als gefaltete Verpackung für Tabak könne den Fachmann nicht zur Verwendung einer PHC-Folie als Inner-Liner für Zigarettenverpackungen leiten.

Die im Anspruch 1 beanspruchte Gesamtdicke für die aliphatische PHC-Folie von mindestens 20 bis 100 mym liege zwar innerhalb des in D1 offenbarten Wertebereiches, sei aber nicht explizit in D1 offenbart.

Entscheidungsgründe

Anspruch 1 - erfinderische Tätigkeit; Artikel 56 EPÜ

1. Es ist unstreitig, dass eine mehrschichtige biaxial orientierte Folie, welche 70 bis 100 Gew.-% eines Polymeren aus mindestens einer aliphatischen Polyhydroxycarbonsaure (PHC) enthält, aus D1 bekannt ist.

2. Die Beschwerdeführerin hat in Frage gestellt, ob eine solche Folie mit einer Gesamtdicke von mindestens 20 bis 100 mym aus D1 bekannt sei.

3. Gemäß den von den Beschwerdekammern in ständiger Rechtsprechung angewendeten Grundsätzen zur Vorwegnahme einer Auswahl eines Teilbereichs numerischer Zahlenwerte durch einen größeren bekannten Bereich ist eine solche Auswahl nur dann nicht vorweggenommen, wenn alle nachfolgenden Kriterien erfüllt sind:

a) der ausgewählte Bereich muss eng sein;

b) er muss genügend Abstand von dem - durch Beispiele belegten - bekannten Bereich haben;

c) der ausgewählte Bereich darf kein willkürlich gewählter Ausschnitt aus dem Vorbekannten, also keine bloße Ausführungsform der Vorbeschreibung, sein, sondern muss zu einer neuen Erfindung führen (gezielte Auswahl), siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (RBEP), 6. Auflage, 2010, Kapitel I.C.4.2.1.

In den Zeilen 5 bis 8 der Seite 10 der D1 wird die bevorzugte Gesamtdicke der in D1 beschriebenen Folie mit 10 bis 100 mym angegeben. Der beanspruchte Bereich von 20 bis 100 mym deckt 89% des aus D1 bekannten Bereiches ab und weist dieselbe Obergrenze auf. Der beanspruchte Bereich erfüllt daher zumindest die unter a) oben aufgeführte Bedingung nicht und ist demgemäß kein Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem aus D1 für die gleiche Folie bekannten Bereich.

4. Daher ist eine Folie, wie sie im Anspruch 1 erwähnt ist, aus D1 bekannt.

5. Dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz folgend haben die Beschwerdekammern immer wieder darauf hingewiesen, dass der zur Bewertung der erfinderischen Tätigkeit heranzuziehende nächstliegende Stand der Technik in der Regel ein Dokument des Standes der Technik ist, das einen Gegenstand offenbart, der zum selben Zweck oder mit dem selben Ziel entwickelt wurde wie die beanspruchte Erfindung und die wichtigsten technischen Merkmale mit ihr gemein hat, der also die wenigsten strukturellen Änderungen erfordert, siehe RBEP, 6. Auflage, 2010, Kapitel I.D.3.1.

6. Aus der angefochtenen Entscheidung ist nicht klar, ob und von welchem nächstliegenden Stand der Technik ausgegangen wird. Allem Anschein nach ist dies die in D1 offenbarte Folie, verbunden mit der Annahme, ein weiteres Absatzgebiet für diese Folie zu finden.

7. Anspruch 1 betrifft jedoch die Verwendung einer Folie als Inner-Liner einer Zigarettenverpackung und ist somit ein Verfahrensanspruch. Dies bedeutet, dass der zu bestimmende nächstliegende Stand der Technik zumindest ein Verfahren zur unmittelbaren Verpackung von Zigaretten betreffen soll.

Damit scheidet D1, im Gegensatz zu der angefochtenen Entscheidung, als nächstliegender Stand der Technik aus, denn in D1 wird die Verwendung der aliphatischen PHC-Folie nicht in diesem spezifischen Sinne, sondern nur allgemein zu "Verpackungszwecken" angesprochen.

Die Kammer schließt nicht aus, dass in besonderen Fällen eine Patentanmeldung, die ein Produkt beschreibt, den nächstliegenden Stand der Technik bilden könnte für einen Verfahrensanspruch zur bestimmter Verwendung dieses Produktes, weil der Hersteller des Produktes (Anmelder einer solchen Patentanmeldung) sich sicherlich bemüht, Einsatzgebiete für sein Produkt zu finden.

Die biologische Abbaufähigkeit mag in D1, siehe Seite 3, Absatz 1, angesprochen sein, führt jedoch nicht für sich genommen und ohne weitere Offenbarung in D1 zum technischen Gebiet des Inner-Liners. Die "üblichen Verpackungstechnologien" in D1, siehe Seite 1, letzter Absatz, deuten ebenso wenig auf ein Umwickeln von Zigaretten hin, welches mit einem faltbaren, formstabilen Verpackungsmaterial vonstatten gehen muss und eine gute Planlage der Folienzuschnitte voraussetzt.

Der Hinweis auf die Siegelfähigkeit in D1, siehe Anspruch 14; Seite 7, dritter Absatz, kann ebenfalls nicht a contrario dazu führen, dass auch eine Nicht-Siegelfähigkeit offenbart ist, die dazu noch in Richtung des Nicht-Verschließens eines Inner-Liners gedeutet werden müsste.

8. Der nächstliegende Stand der Technik müsste daher eher in dem spezifischen Anwendungsgebiet der Verpackungsverfahren von Zigaretten mit Hilfe eines Inner-Liners gesucht werden.

Inner-Liner für Zigarettenpackungen bestehen nach dem bekannten Stand der Technik aus einem zu faltenden Stanniolzuschnitt, der aus Aluminiumfolie, einer Aluminium-Papierkaschierung oder einem metallisierten Papier besteht, siehe dazu den dritten Absatz der vorliegenden Anmeldung sowie Spalte 1, Zeilen 10 bis 16 der D3. Dabei liegt sowohl der D3 als auch der vorliegenden Anmeldung die selbe Aufgabe zu Grunde, nämlich Materialien für den Inner-Liner zur Verfügung zu stellen, die gleichzeitig auch umweltfreundliche Eigenschaften aufweisen, siehe Spalte 1, Zeilen 33 bis 36 der D3 sowie achter und neuer Absatz der vorliegenden Anmeldung.

9. Die Kammer erachtet daher die D3 als den nächstliegenden Stand der Technik.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von der in D3 beschriebenen Verwendung eines Materials als Inner-Liner einer Zigarettenverpackung dadurch, dass anstelle eines oberflächenbehandelten Stanniolpapiers eine Alternative, nämlich eine aliphatische PHC-Folie gemäß Anspruch 1 verwendet wird.

10. Es ist daher zu eruieren, ob es ausgehend von D3 für den Fachmann, welcher sich bemüht, ein alternatives Material für den aus D3 bekannten Inner-Liner zur Verfügung zu stellen, nahe liegend wäre, dafür eine aliphatische PHC-Folie gemäß Anspruch 1 zu nehmen.

11. Für die Kammer, in Übereinstimmung mit der Beschwerdeführerin, definiert der Begriff "Inner-Liner einer Zigarettenverpackung" eine Umwicklung zur direkten Annahme eines Bündels von Zigaretten, siehe hierzu Spalte 1, Zeilen 10 bis 16 der D3 sowie den vierten und zwanzigsten Absatz der vorliegenden Anmeldung. Dabei hat das dazu zu verwendende Material, außer der biologischen Abbaubarkeit, weitere spezielle technische Anforderungen zu erfüllen. Das Material eines solchen Inner-Liners muss in der Lage sein, ein durch ihn eingeschlagenes Zigarettenbündel mit ausreichender Stabilität zusammen zu halten, bis das Bündel samt Inner-Liner in die Schachtel eingeführt wird, denn ein solcher Inner-Liner wird nicht gesiegelt oder auf anderer Art verschlossen. Weiter muss das Material dafür eine gute Planlage ihrer Zuschnitte aufweisen. Daher hat das Material für den Inner-Liner zur Durchführung dieser speziellen technischen Funktion die entsprechenden Eigenschaften aufzuweisen.

12. Solche Eigenschaften sind im vorliegenden Stand der Technik in Bezug auf aliphatische PHC-Folien nicht erwähnt. D1 gibt zwar im vierten Absatz der Seite 2 und im Anspruch 23 an, dass PHC-Folien "mit den üblichen Verpackungstechnologien" verarbeitbar wären, somit eine solche Folie allgemein als Verpackungsfolie verwendet werden könnte. Damit sind jedoch nicht die oben angegebenen Eigenschaften eindeutig offenbart.

Das gleiche gilt auch für die Offenbarung der D2. Im Absatz [0030] der D2 ist angegeben, dass eine PHC-Folie als gefaltete Verpackung für Tabak ("folded packaging for tobacco") geeignet ist. Auch dies führt nicht eindeutig zu den oben angegebenen Eigenschaften, denn Eigenstabilität und Planlage sind damit nicht zwangsläufig verbunden. Im übrigen erwähnt D2 den Tabak als "boxed tobacco", das eher auf die Außenumhüllung der Schachtel deutet, die - wie zutreffend von der Beschwerdeführerin argumentiert - um die Schachtel gefaltet und verschlossen wird.

Der Fachmann kann daher ausgehend von der D3 weder der Dl noch der D2 bei deren ergänzenden Heranziehung einen Hinweis darüber entnehmen, dass eine aliphatische PHC-Folie mit der beanspruchten Materialzusammensetzung und Dicke zur Verwendung als Inner-Liner geeignet ist.

13. Auch wenn, argumentationshalber und wie es die Prüfungsabteilung tat, davon auszugehen wäre, dass die aus der D1 bekannte aliphatische PHC-Folie den nächstliegenden Stand der Technik repräsentierte, wäre die Frage zu klären, ob der Fachmann auf der Suche nach dafür denkbare Anwendungsmöglichkeiten dem vorliegenden Stand der Technik einen Hinweis entnehmen könnte, eine solche Folie als Inner-Liner für Zigarettenverpackungen zu verwenden. D3 lehrt ausschließlich die Verwendung eines oberflächenbehandelten Stanniolpapiers als Inner-Liner. D2 enthält keine Information darüber, dass eine aus D1 bekannte aliphatische PHC-Folie zur Verwendung als Inner-Liner geeignet wäre. Dass D1 keine weiteren Hinweise in diese Richtung enthält, ist schon unter Punkt 7 oben erläutert. Der Fachmann wird daher von keiner der Lehren der D1, D2 oder D3 zur Verwendung einer aliphatischen PHC-Folie als Inner-Liner für Zigarettenpackungen angeregt, geschweige denn dahin geführt.

14. Aus den o.g. Gründen beruht die Verwendung einer aliphatischen PHC-Folie gemäß Anspruch 1 als Inner-Liner einer Zigarettenverpackung auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.

Die unabhängigen Ansprüche 2 bis 15 enthalten bevorzugte Ausführungen der o.g. Verwendung gemäß Anspruch 1 und beruhen daher auch auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.

15. Da die Patentierbarkeit des vorliegenden Anspruchsatzes somit anerkannt ist, bedarf es lediglich noch der Anpassung der Beschreibung an den gegenüber der ursprünglichen Anmeldung veränderten Anspruchsatz, insbesondere die Erwähnung in der Beschreibung sowohl des durch die D3 offenbarten nächstliegenden Standes der Technik als auch der daraus abzuleitenden objektiven Aufgabe.

16. Mit dieser Entscheidung wird dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin stattgegeben, sodass es der hilfsweise beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht mehr bedurfte.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent auf der Basis der mit Schreiben vom 2. März 2009 einreichten Ansprüche 1 bis 15 und einer noch anzupassenden Beschreibung zu erteilen.

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