T 2128/10 () of 5.4.2016

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2016:T212810.20160405
Datum der Entscheidung: 05 April 2016
Aktenzeichen: T 2128/10
Anmeldenummer: 05006641.4
IPC-Klasse: H01F 38/18
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Induktiver Drehübertrager
Name des Anmelders: Siemens Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: Schleifring und Apparatebau GmbH
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 114(2)
European Patent Convention Art 54
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(3)
Schlagwörter: Verspätetes Vorbringen - Dokument zugelassen (ja)
Neuheit - Hauptantrag (nein)
Neuheit - Hilfsantrag 1 (nein)
Spät eingereichte Hilfsanträge - Änderungen nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung
Spät eingereichte Hilfsanträge - Antrag eindeutig gewährbar (nein)
Spät eingereichter Antrag - Verlegung der mündlichen Verhandlung wäre erforderlich gewesen (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch zurückzuweisen.

II. Im Wesentlichen stellte die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung folgendes fest:

- Der Einspruch ist zulässig;

- Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ ist zulässig;

- Das Merkmal "Ferritspiegel" im abhängigen Anspruch 6 ist ausreichend offenbart (Artikel 100 b) EPÜ);

- Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Patents ist neu (Artikel 54 (2) EPÜ) sowohl im Hinblick auf E1 als auch im Hinblick auf E2 bis E4;

- Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Patents beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit sowohl im Hinblick auf E1 als auch im Hinblick auf eine Kombination der Dokumenten E1 und E2, bzw. E1 oder E2 mit E3.

III. Folgende Dokumenten sind erwähnt worden:

E1: US-A-4827360

E2: EP-A-0510926

E3: DE-P-491895

E4: US-B-6285273

E5: ein Dokument der Suchmaschine Google entnommen, zum Begriff "Ferritspiegel"

E5a: Nachschlagebücher für Grundlagenfächer, Elektrotechnik, Helmut Linder, VEB Fachbuchverlag Leipzig, 1988, ISBN-3-343-00253-4

E6: DE-P-2122341

E7: EP-A-0525459

IV. Mit Schreiben vom 9. November 2015 wurden die Parteien zu einer mündlichen Verhandlung vor der Kammer geladen.

V. Mit Schreiben vom 7. März 2016 reichte die Beschwerdegegnerin neue Patentansprüche im Rahmen der Hilfsanträge 1 und 2 ein.

VI. Die mündliche Verhandlung fand am 5. April 2016 statt.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage eines der mit Schreiben vom 7. März 2016 eingereichten Hilfsanträge 1 und 2 aufrecht zu erhalten. Zudem wurde beantragt, die Dokumente E6 und E7 nicht ins Verfahren zuzulassen.

VII. Anspruch 1 des Streitpatents (Hauptantrag) lautet wie folgt:

"Vorrichtung zur berührungslosen Energie- und Datenübertragung mit einer auf einem ersten Träger (5) drehfest angeordneten Primärwicklungsanordnung (1) und einer auf einem zweiten Träger (6) drehfest angeordneten Sekundärwicklungsanordnung (2), wobei der erste und zweite Träger (5,6) gegeneinander verdrehbar sind und wobei die Primär- und Sekundärwicklungsanordnung (1,2) jeweils mindestens eine Energiewicklung (3) zur induktiven Übertragung elektrischer Energie aufweisen und wobei Primär- und Sekundärwicklungsanordnung (1,2) jeweils mindestens eine Datenwicklung (4) zur induktiven Datenübertragung aufweisen,

dadurch gekennzeichnet, dass

mindestens eine Datenwindung der Datenwicklung (4) mindestens eine Energiewindung der Energiewicklung (3) derart umschließt, dass ein erster Teil der Datenwindung mit dem Wicklungssinn der Energiewicklung (3) gewickelt ist und ein zweiter Teil der Datenwindung entgegen dem Wicklungssinn der Energiewicklung (3) gewickelt ist."

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 enthält am Ende das zusätzliche, aus Unteranspruch 3 des Streitpatents entnommene Merkmal:

", wobei die Energiewindung im Wesentlichen mittig zwischen dem ersten Teil der Datenwindung angeordnet ist, der mit dem Wicklungssinn der Energiewicklung (3) gewickelt ist und dem zweiten Teil der Datenwindung, der entgegen dem Wicklungssinn der Energiewicklung (3) gewickelt ist".

Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 weist stattdessen am Ende das folgende Merkmal auf:

", wobei ein Leiter der primärseitigen Energiewicklung zu beiden Seiten von einem Leiter der primärseitigen Datenwicklung umgeben ist, dies gilt auch für die Sekundärwicklungsanordnung, da der Aufbau von Primär- und Sekundärwicklungsanordnung gleich ist".

VIII. Die Beschwerdeführerin trug im wesentlichen folgendes vor:

- Die Entgegenhaltung E6 sei wegen der hohen Relevanz ins Verfahren zuzulassen;

- Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents (Hauptantrag der Beschwerdegegnerin) sei nicht neu im Hinblick auf E6 oder E1;

- Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 der Beschwerdegegnerin sei nicht neu im Hinblick auf E6 oder E1;

- Der Hilfsantrag 2 der Beschwerdegegnerin sei nicht ins Verfahren zuzulassen.

IX. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

- Die Entgegenhaltung E6 sei nicht ins Verfahren zuzulassen, weil die kennzeichnenden Merkmale des Patentanspruchs 1 dem ersten Anschein nicht aus den Figuren 2a und 4a der E6 zu entnehmen seien;

- Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents (Hauptantrag) sei neu im Hinblick auf E6 und E1;

- Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 sei auch neu im Hinblick auf E6 und E1;

- Hilfsantrag 2 sei ins Verfahren zuzulassen, weil er fristgerecht vor der mündlichen Verhandlung eingereicht worden sei, und weil keinen Verstoß gegen Artikel 123(2) EPÜ vorliege.

X. Die jeweiligen Argumente der Beteiligten werden in den Entscheidungsgründen detailliert erörtert.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag der Beschwerdegegnerin

2.1 Entgegenhaltung E6 - Zulassung ins Verfahren

2.1.1 Das Dokument E6 wurde erst mit der Beschwerdebegründung eingereicht. Nach ständiger Rechtsprechung werden im Verfahren vor den Beschwerdekammern zur Stützung der in der Einspruchsschrift geltend gemachten Einspruchsgründe neue Entgegenhaltungen in pflichtgemäßer Ausübung des Ermessens der Kammer nur zum Verfahren zugelassen, wenn sie prima facie insofern hochrelevant sind, als sie mit gutem Grund eine Änderung des Verfahrensausgangs erwarten lassen, also (im vorliegenden Fall) höchstwahrscheinlich der Aufrechterhaltung des europäischen Patents entgegenstehen.

2.1.2 Schon der Kurzbeschreibung der Figuren 2a, 2b und 2c und der Figuren 4a und 4b der Entgegenhaltung E6 (siehe Spalte 3, Zeilen 13 bis 20 und 26 bis 29) ist zu entnehmen, dass diese zum gleichen Ausführungsbeispiel eines Messwertüberträgers gehören, der einen teilbaren Rotor aufweist. In den Figuren 4a und 4b sind nur die Primär- und Sekundärwicklungen 9, 10 für die Messspannung und in den Figuren 2a und 2b nur die Primär- und Sekundärwicklungen 4, 5 für die Versorgungsspannung eingezeichnet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in den Zeilen 15 und 16 der Spalte 3 der Bezug auf "Wicklungen für die Messspannung" offenbar fehlerhaft ist und als "Wicklungen für die Versorgungsspannung" zu lesen ist, was sich aus Spalte 4, Zeilen 8 bis 13, eindeutig erkennen lässt. Somit ist es für den Fachmann eindeutig, dass die Figuren 2a, 2b und 2c und die Figuren 4a und 4b gemeinsam betrachtet werden müssen, um die Gesamtanordnung aller Wicklungen zu verstehen.

2.1.3 Nach der Beschwerdeführerin sei der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag aus einer gemeinsamen Betrachtung dieser Figuren zu entnehmen. Die Kammer war prima facie der Auffassung, dass dies zutreffend sein könnte, und übte ihr Ermessen daher dahingehend aus, das spät eingereichte Dokument E6 wegen seiner möglichen hohen Relevanz ins Verfahren zuzulassen.

2.1.4 Die Beschwerdegegnerin trug vor, dass die Relevanz nicht prima facie erkennbar sei, weil der Fachmann den beanspruchten Gegenstand nicht gleich mit dem ersten Blick aus den Figuren von E6 entnehmen könne, sondern erst das Dokument intensiv studieren und sehr lange überlegen müsse, wie die Wicklungen angeordnet sein könnten, um eventuell zum beanspruchten Gegenstand zu kommen. Die Kammer war davon nicht überzeugt, weil die Zusammengehörigkeit der Figuren offensichtlich war und deren Inhalt relativ einfach zu verstehen war.

2.2 Neuheit gegenüber E6

2.2.1 In den Figuren 2a, 2b, 2c, 4a und 4b offenbart die E6 ein Ausführungsbeispiel eines Messwertüberträgers, mit einem Rotor 1 und einem Stator 2, die beide das Profil eines E-Kerns aufweisen (Spalte 3, Zeilen 30 bis 32). Anders als beim Ausführungsbeispiel der Figuren 1 und 3 von E6, ist der Rotor 1 bei dem Ausführungsbeispiel der Figuren 2a, 2b, 2c, 4a und 4b teilbar ausgebildet.

In der Schnittdarstellung von Figur 4a sind nur die Wicklungen für die Messspannung eingezeichnet (siehe Spalte 3, Zeilen 26 bis 29). Die Primärwicklung 9 für die Messspannung ist in zwei Teilwicklungen unterteilt, die die Mittelhalbschenkel des Rotors 1 umschlingen (siehe Spalte 4, Zeilen 24 bis 30). Wie bei Figur 3 ist die Sekundärwicklung 10 für die Messspannung in einer zusätzlichen Nut 8 auf dem Stator 2 untergebracht (siehe Spalte 4, Zeilen 14 bis 20).

In der Schnittdarstellung von Figur 2a sind nur die Wicklungen für die Versorgungsspannung eingezeichnet (siehe auch Punkt 2.1.2, oben). Die Primärwicklung 4 für die Versorgungsspannung ist um einen Mittelschenkel 3 des Stators gewickelt und die Sekundärwicklung 5 für die Versorgungsspannung befindet sich in den Hauptnuten 6a, 6b des Rotors 1 (insofern entspricht die Anordnung derjenigen von Figur 1a, siehe Spalte 3, Zeile 32 bis Spalte 4, Zeile 2).

Somit sind alle Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 aus der E6 bekannt.

2.2.2 Der Figur 2a der E6 ist zu entnehmen, dass Abschnitte der Sekundärwicklung 5 für die Versorgungsspannung in den im Halbkreis verlaufenden Hauptnuten 6a, 6b (Bezugszeichen aus Figur 1a) des Rotors angeordnet sind, und zwar nahe an deren Böden. Diese Abschnitte der Sekundärwicklung 5 verlaufen ebenso im Halbkreis. Der Figur 4a ist zu entnehmen, dass in den Hauptnuten 6a, 6b zudem im Halbkreis verlaufende Abschnitte der beiden Teilwicklungen der Primärwicklung 9 für die Messspannung angeordnet sind. Diese sind aber nicht am Boden der Hauptnuten 6a, 6b angeordnet, sondern in radialer Richtung des Rotors weiter nach außen. Dieser Anordnung entnimmt der Fachmann, dass die im Halbkreis verlaufenden Abschnitte der beiden Teilwicklungen der Primärwicklung 9 auf den im Halbkreis verlaufenden Abschnitten der Sekundärwicklung 5 angeordnet bzw. gewickelt sind, und diese somit umschließen.

Die Kammer teilt daher die Ansicht der Beschwerdeführerin (siehe Schreiben vom 6. Juni 2011, Punkt 2.1), dass aus einer Zusammenschau der Figuren 2a und 4a direkt und eindeutig zu entnehmen ist, dass die in zwei Teilwicklungen unterteilte Primärwicklung 9 für die Messspannung die Sekundärwicklung 5 für die Versorgungsspannung umschließt.

2.2.3 Anhand der Stromrichtungspfeile in Figuren 2a und 4a von E6 ist erkennbar, dass in der rechten Hauptnute 6b des Rotors 1 der Strom in den dort befindlichen Abschnitten beider Wicklungen (d.h. Primärwicklung 9 für die Messspannung und Sekundärwicklung 5 für die Versorgungsspannung) gleichsinnig fließt, und zwar aus der Zeichnungsebene. In diesem Sinne können die beiden Wicklungsabschnitte in der rechten Hauptnute 6b als gleichsinnig gewickelt angesehen werden. Diese Abschnitte entsprechen somit dem ersten Teil der Datenwindung nach Anspruch 1 gemäß Hauptantrag.

Zudem ist anhand der Stromrichtungspfeile erkennbar, dass in der linken Hauptnute 6a des Rotors 1 der Strom in den dort befindlichen Abschnitten beider Wicklungen gegensinnig fließt - der eine aus der Zeichnungsebene und der andere in die Zeichnungsebene. In diesem Sinne können die beiden Wicklungsabschnitte in der linken Hauptnute 6a als gegensinnig gewickelt angesehen werden. Diese Abschnitte entsprechen somit dem zweiten Teil der Datenwindung nach Anspruch 1 gemäß Hauptantrag.

Daher teilt die Kammer die Ansicht der Beschwerdeführerin, dass es einer Zusammenschau der Figuren 2a und 4a direkt und eindeutig zu entnehmen ist, dass:

- ein erster Teil der Primärwicklung 9 für die Messspannung mit dem Wicklungssinn der Sekundärwicklung 5 für die Versorgungsspannung gewickelt ist; und

- ein zweiter Teil der Primärwicklung 9 für die Messspannung gegen den Wicklungssinn der Sekundärwicklung 5 für die Versorgungsspannung gewickelt ist.

2.2.4 Aus diesen Gründen kommt die Kammer du dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 im Hinblick auf das in Figuren 2a, 2b, 2c, 4a und 4b von E6 offenbarte Ausführungsbeispiel des Messwertüberträgers gegenüber der E6 nicht neu ist (Artikel 54 EPÜ).

3. Hilfsantrag 1 der Beschwerdegegnerin

3.1 Neuheit gegenüber E6

Nach dem zusätzlichen Merkmal des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrags 1 ist die Energiewindung im Wesentlichen mittig zwischen dem ersten Teil der Datenwindung angeordnet, der mit dem Wicklungssinn der Energiewicklung gewickelt ist und dem zweiten Teil der Datenwindung, der entgegen dem Wicklungssinn der Energiewicklung gewickelt ist. Dieses Merkmal ist der Entgegenhaltung E6 nicht zu entnehmen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist daher neu gegenüber der E6 (Artikel 54 EPÜ).

3.2 Neuheit gegenüber E1

3.2.1 Die E1 offenbart eine magnetische Aufzeichnungs/Wiedergabe-Vorrichtung 20 mit einem rotierenden Transformator, der eine Vielzahl von Transformatorwicklungsanordnungen für Aufzeichnung und Wiedergabe besitzt, die jeweils eine an einer rotierenden Trommel 1 vorgesehene drehseitige Wicklung und eine an einer feststehenden Trommel 2 vorgesehenen festseitige Wicklung umfasst und weiter eine Löschwicklungsanordnung 6, die mit einem Löschmagnetkopf gekoppelt ist. Zwei von den Transformatorwicklungsanordnungen A1 und A2 entsprechen links und rechts Audiokanälen (vgl. Spalte 3, Zeilen 5 bis 20).

3.2.2 Der Spalte 3, Zeilen 42 bis 56, in Verbindung mit den Figuren 2 und 3 ist folgendes zu entnehmen:

- Die rotorseitigen (d.h. in Figur 2 die linksseitigen) Wicklungen der Transformatoren A1 und A2 sind so ausgelegt, dass sie gleichsinnig bezüglich Wicklungsanfang und -ende gewickelt sind;

- Auch die statorseitigen (d.h. in Figur 2 die rechtsseitigen) Wicklungen der Transformatoren A1 und A2 sind so ausgelegt, dass sie gleichsinnig bezüglich Wicklungsanfang und -ende gewickelt sind;

- Die Aufzeichnungs- und Wiedergabeschaltung ("recording/reproducing circuit") ist so an die statorseitigen Wicklungen der Transformatoren A1 und A2 angeschlossen, dass (bei geschlossenem Schalter Sw1) der vom Verstärker 17 gelieferte Aufzeichnungsstrom, aufgeteilt in zwei parallele Zweige, die statorseitigen Wicklungen der Transformatoren A1 und A2 in entgegengesetzten Richtungen durchfließt (siehe Stromrichtungspfeile in Figur 3).

- Das wird erreicht indem der Verstärker 17 ans Ende der statorseitigen Wicklung vom Transformator A1, aber (sozusagen "gegenpolig") an den Anfang der statorseitigen Wicklung vom Transformator A2 angeschlossen ist.

3.3 Die Beschwerdeführerin trug vor, dass beim Aufzeichnen die statorseitigen Wicklungen der Transformatoren A1 und A2 von E1 als erster und zweiter Teil einer Datenwicklung angesehen werden können. Zudem führte die Beschwerdeführerin aus, dass die statorseitige Wicklung der Löschwickelanordnung 6 als Energiewicklung angesehen werden kann, und dass die statorseitigen Wicklungen der Transformatoren A1 und A2 diese Energiewicklung umschließen, und zwar mit der Energiewicklung mittig dazwischen. Diese Argumente wurden von der Beschwerdegegnerin nicht widerlegt und werden von der Kammer geteilt. Der Spalte 3, Zeile 57 bis 63, ist zu entnehmen, dass die Wicklung 6 von den Wicklungen A1 und A2 gleich beabstandet ist.

3.4 In der mündliche Verhandlung wurde (wie in der Ladung angekündigt) die Frage erörtert, ob die in der E1 offenbarte Anordnung der statorseitigen Wicklungen der Transformatoren A1 und A2, die als gleichsinnig gewickelt und gegenpolig angeschlossen beschrieben sind, nicht auch als gegensinnig gewickelt und gleichpolig angeschlossen betrachtet werden können, ohne überhaupt die Anordnung an sich zu verändern.

3.4.1 Hierzu führte die Beschwerdeführerin aus, dass der Wicklungssinn der statorseitigen Wicklungen A1 und A2 und die Bezeichnung von deren Anfang und Ende unerheblich seien. Wichtig sei nur, dass die Wicklungen so am Verstärker 17 angeschlossen werden, dass der Strom, wie in Figur 3 gezeigt, in entgegengesetzte Richtungen fließt.

3.4.2 Die Beschwerdegegnerin wies dagegen auf die Ausführungen im Schreiben vom 8. Februar 2011 hin, wonach E1 explizit darauf hinweist, dass die beiden Wicklungen A1 und A2 gleichsinnig gewickelt sind, und die Wicklungen so am Verstärker angeschlossen sind, dass bei der Wicklung A1 der Aufzeichnungsstrom vom Ende der Wicklung zum Wicklungsanfang hin verläuft, während bei der Wicklung A2 der Aufzeichnungsstrom vom Wicklungsanfang bis zum Ende verläuft.

3.4.3 Nach Ansicht der Kammer ist zunächst zu klären, wie der Fachmann die Begriffe "Wicklungsanfang" und "Wicklungsende" im Kontext der E1 versteht. Es handelt sich bei der E1 nicht um einen Wickelprozess, bei dem die Begriffe "Anfang" und "Ende" einen wirklichen Sinn haben würden, sondern um Wicklungen als Gegenstände. Wicklungen als Gegenstände haben üblicherweise keinen "Anfang" und "Ende", sondern bloß zwei Enden. Die Begriffe "Anfang" und "Ende" werden jedoch umgangssprachlich oft verwendet, um zwischen diesen beiden Enden unterscheiden zu können. Die Kammer ist überzeugt, dass dies bei der E1 der Fall ist.

3.4.4 Nach Ansicht der Kammer ist es für den Fachmann klar, dass die Enden der statorseitigen Wicklungen der Transformatorwicklungsanordnungen A1 und A2 nur als "Anfang" und "Ende" gekennzeichnet wurden, damit ihre relative Wickelrichtungen beschrieben werden können (nämlich: die statorseitigen Wicklungen sind bezüglich Wicklungsanfang und -ende gleichsinnig gewickelt) und damit die Polarität des vom Verstärker 17 fließenden Aufzeichnungsstroms beschrieben werden kann (nämlich, dass bei der Transformatorwicklungsanordnung A1 der Aufzeichnungsstrom vom Ende der Wicklung zum Wicklungsanfang hin verläuft, während bei der Transformatorwicklungsanordnung A2 der Aufzeichnungsstrom vom Wicklungsanfang bis zum Ende der Wicklung jeder Spule verläuft).

3.4.5 Obwohl es in der E1 heißt, dass die statorseitigen Wicklungen der Transformatoren A1 und A2 bezüglich Wicklungsanfang und -ende gleichsinnig gewickelt sind, ergibt sich nichtsdestotrotz aus dem Hinweis, dass die Aufzeichnungs- und Wiedergabeschaltung so an diese Wicklungen angeschlossen ist, dass der vom Verstärker 17 gelieferte Aufzeichnungsstrom diese Wicklungen in entgegengesetzten Richtungen durchfließt, für den Fachmann eindeutig, dass die statorseitigen Wicklungen der Transformatoren A1 und A2 bezüglich ihrer Verbindung zwischen dem Verstärker 17 und Masse gegensinnig gewickelt sind.

3.4.6 Die Kammer ist daher der Auffassung, dass eine der statorseitigen Wicklungen der Transformatoren A1 und A2 als erster Teil einer Datenwicklung angesehen kann, der mit dem Wicklungssinn der statorseitigen Wicklung der Löschwickelanordnung 6 gewickelt ist, und dass die andere statorseitige Wicklung der Transformatoren A1 und A2 als zweiter Teil einer Datenwicklung angesehen werden kann, der gegen den Wicklungssinn der statorseitigen Wicklung der Löschwickelanordnung 6 gewickelt ist.

3.5 Aus den oben stehenden Gründen kommt die Kammer zu dem Schluss, dass sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 aus der Entgegenhaltung E1 bekannt sind. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher nicht neu im Sinne von Artikel 54 EPÜ.

4. Hilfsantrag 2 der Beschwerdegegnerin - Zulassung ins Verfahren

4.1 Nach Artikel 13 (1) VOBK steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung zuzulassen und zu berücksichtigen. Artikel 13 (3) VOBK sieht ergänzend vor, dass Änderungen des Vorbringens nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung nicht zugelassen werden, "wenn sie Fragen aufwerfen, deren Behandlung der Kammer oder dem bzw. den anderen Beteiligten ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten ist."

4.2 Im vorliegenden Fall wurden beim Hilfsantrag 2 die Merkmale zum Anspruch 1 hinzugefügt, dass "ein Leiter der primärseitigen Energiewicklung zu beiden Seiten von einem Leiter der primärseitigen Datenwicklung umgeben ist, dies gilt auch für die Sekundärseite, da der Aufbau von Primär- und Sekundärwicklungsanordnung gleich ist".

Diese Merkmale wurden in der ursprünglich eingereichten Anmeldung (siehe EP 1 705 673 A1) nicht beansprucht. Als Grundlage dafür kommen nur die Beschreibung und Figuren in Frage, siehe z.B. Absätze [0022] und [0024]. Dort sind aber die entsprechenden Offenbarungen im Gesamtkontext der Spülenanordnung des Ausführungsbeispiels gemäß Figuren 1 und 2 offenbart. Diverse weitere Merkmale dieses Ausführungsbeispiels wurden jedoch nicht in den Anspruch 1 mit aufgenommen, z.B.:

- die Anordnung der Spulen als Flachspulenanordnung (siehe bspw. Absatz [0019]);

- die rotationssymmetrische Ausführung (siehe Absatz [0021]); und

- die Anordnung der Leiter der primärseitigen Energiewicklung im Wesentlichen mittig zwischen den beiden Leitern der primärseitigen Datenwicklung (siehe Absatz [0023])

Damit stellt sich die Frage, ob eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vorliegt (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 7. Auflage, II.E.1.2).

4.3 Ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung war die Behandlung dieser Frage weder der Kammer noch der Beschwerdeführerin zuzumuten. Auch Anträge, die kurz vor der in der Ladung zur mündlichen Verhandlung gesetzten Frist eingereicht werden, gelten als verspätet, wenn sie Punkte enthalten, die nur im Rahmen einer weiteren schriftlichen Phase ordnungsgemäß behandelt werden können.

4.4 Auch die gebotene Verfahrensökonomie stellt keinen Grund dar, den geänderten Hilfsantrag 2 ins Verfahren zuzulassen, weil die vorgenommenen Änderungen aus den oben stehenden Gründen nicht prima facie gewährbar erscheinen.

4.5 Die Kammer übte ihr Ermessen deshalb dahingehend aus, den Hilfsantrag 2 nicht ins Verfahren zuzulassen.

5. Schlussfolgerung

Aus den oben stehenden Gründen war den Anträgen der Beschwerdeführerin stattzugeben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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