European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2015:T209810.20151214 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 14 Dezember 2015 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2098/10 | ||||||||
Anmeldenummer: | 02792603.9 | ||||||||
IPC-Klasse: | H02K 55/04 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | SCHIFFSANTRIEB | ||||||||
Name des Anmelders: | Siemens Aktiengesellschaft | ||||||||
Name des Einsprechenden: | GE Power Conversion Brazil Holdings Limited American Superconductor Corporation |
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Kammer: | 3.5.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - (nein) Änderungen - Erweiterung des Patentanspruchs (nein) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
Beschwerde und angefochtene Entscheidung
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin Siemens Aktiengesellschaft (im Folgenden: Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent mit der Nummer 1 449 290 zu widerrufen.
Die Einsprechenden 1 und 2 sind Beschwerdegegnerinnen:
- Beschwerdegegnerin 1: GE Power Conversion Brazil Holdings Limited (vormalig Converteam Ltd); und
- Beschwerdegegnerin 2: American Superconductor Corporation.
II. Von den in der Entscheidung erwähnten Entgegenhaltungen O1 bis O22, sind lediglich folgende für diese Entscheidung relevant:
O1: "High Temperature Superconducting Motors and Generators for Submarines and Surface Ships";
Bruce Gamble und Jeffrey Goldman, American Superconductor Corporation;
"Proceedings", "Naval Symposium on Electric Machines", 28.-31. Juli 1997, Hotel Viking, Newport, Rhode Island (USA), Seiten 275-282, XP008000614.
O2: "STATUS OF THE NAVY HTS SUPERDRIVE MOTOR FOR SHIP PROPULSION DEVELOPMENT";
S. Kalsi, B. Gamble, N. Henderson; S. Karon, M. Mulholland, G. Snitchler, R. Howard, W. Sand, P. Winn und C. Gold, American Superconductor Corporation;
"Proceedings", "Third Naval Symposium on Electric Machines", Embassy Suites Hotel, Philadelphia International Airport (Pennsylvania, USA), 4.-7. Dezember 2000.
O19: WO 99/05023;
O21: EP 0 590 867 A1
III. Im Wesentlichen stellte die Einspruchsabteilung in der Entscheidung folgendes fest:
- Der Einspruch der Einsprechenden 1 ist zulässig;
- Das Dokument O2 gehört zum Stand der Technik im Sinne des Art. 54(2) EPÜ;
- Der nächstliegende Stand der Technik ergibt sich aus Dokument O1;
- Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Patents unterscheidet sich von O1 lediglich durch die Merkmale des kennzeichnenden Teils (wonach der HTSL-Wicklung aufweisende Rotor des zumindest einen Elektromotors bzw. Generators 6 bis 12, vorzugsweise 8-polig ausgebildet ist);
- Ausgehend von Dokument O1, das für eine Leistung von 200 PS einen 4-poligen und für eine Leistung von 20 MW einen 18-poligen Motor offenbart, würde der Fachmann im Rahmen normaler Routinetätigkeit ohne erfinderisches Zutun zu einem Elektromotor oder Generator gelangen, der 6 bis 12-polig ausgebildet ist.
- Zudem zeigt das Dokument O2, dass für einen ähnlichen wie im Dokument O1 angezeigten Schiffsantrieb Motoren mit 6 bzw. 12 Polen bekannt sind.
- Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Patents beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Art. 52 (1) und 56 EPÜ).
Verlauf des schriftlichen Teils des Beschwerdeverfahrens
IV. Mit der Beschwerdebegründung (Schreiben vom 10. Dezember 2010) reichte die Beschwerdeführerin geänderte Fassungen von Anspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 5 ein und beantragte, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten (Hauptantrag); hilfsweise auf der Grundlage einer der Hilfsanträge 1 bis 5 aufrechtzuerhalten.
V. Mit einem Schreiben vom 20. April 2011 reichte die Beschwerdegegnerin 1 folgende zwei Internet-Ausdrucke ein (Nummerierung durch die Kammer):
A1: "Power and Energy Devices and Systems", Purdue University, https://engineering.purdue.edu/ECE/Research/Areas/PEDS/EDPCC.html (Annexe 1);
A2: "Resume of Dr. David Cope, President, Engineering Matters®, Inc.", http://engineeringmatters.com/resume_dcope.html (Annexe 2).
Zudem stellte die Beschwerdegegnerin 1 den Antrag, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufrechtzuerhalten und das Patent im vollen Umfang zu widerrufen (in anderen Worten die Beschwerde zurückzuweisen).
VI. Nach mehreren weiteren schriftlichen Erwiderungen wurden die Beteiligten zu einer mündlichen Verhandlung geladen. In einer Anlage zur Ladung vom 11. September 2015 legte die Kammer ihre vorläufige Auffassung hinsichtlich der Entgegenhaltungen O1 und O2 sowie zu dem damaligen Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 bis 5 dar.
VII. Mit einem Schreiben vom 13. November 2015 reichte die Beschwerdeführerin geänderte Anspruchssätze gemäß den Hilfsanträgen 6 bis 9 ein.
Verlauf der mündlichen Verhandlung
VIII. Eine mündliche Verhandlung fand am 14. Dezember 2015 statt. Für die Beschwerdegegnerin 1 (Einsprechende 1) war, wie mit Schreiben vom 9. November 2015 angekündigt, niemand anwesend.
IX. Die Beschwerdeführerin überreichte folgenden Internet-Ausdruck (Nummerierung durch die Kammer):
A3: "ASNE/NAVY Symposium and Exhibition 1986", Maritime Reporter and Engineering News, Seiten 1 bis 8, http://magazines.marinelink.com/Magazines/MaritimeReporter/1986/09/content/asnenavy-sy...".
X. Zudem überreichte die Beschwerdeführerin:
- Ansprüche 1 bis 31 eines zehnten Hilfsantrags; sowie
- Ansprüche 1 bis 30 eines elften Hilfsantrags.
XI. Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage wurden folgende abschließende Anträge von den beteiligten Parteien gestellt:
- Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage der Ansprüche des in der mündlichen Verhandlung vom 14. Dezember 2015 eingereichten Hilfsantrags 11, der nunmehr den einzigen Antrag darstelle, aufrechtzuerhalten.
- Die Beschwerdegegnerin 2 (Einsprechende 2) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.
XII. Nach einer Beratung kam die Kammer zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Antrags der Beschwerdeführerin (vormalig Hilfsantrag 11) nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Gegenstand des Antrags der Beschwerdeführerin
XIII. Anspruch 1 des Antrags der Beschwerdeführerin lautet wie folgt (Merkmalsgliederung durch die Kammer):
a) Schiff mit einem Schiffsantrieb für das Schiff,
b) das zum Antrieb zumindest eines Schiffspropellers zumindest einen Elektromotor aufweist,
c) der in einer außerhalb eines Schiffsrumpfes angeordneten Motorgondel oder in einem Stevensrohr an einem Schiffsheck untergebracht ist,
d) wobei der Schiffsantrieb den zumindest einen Schiffspropeller (8; 23, 24), den zumindest einen Elektromotor (7; 21, 22), mittels dem der zumindest eine Schiffspropeller (8; 23, 24) antreibbar ist, und eine umrichtergespeiste Stromversorgung, mittels der der zumindest eine Elektromotor (7; 21, 22) mit elektrischer Energie versorgbar ist, aufweist,
e) wobei die umrichtergespeiste Stromversorgung zumindest eine Antriebsmaschine (53) und zumindest einen davon angetriebenen Generator (52) aufweist,
f) wobei der zumindest eine Elektromotor (7; 21, 22) und der zumindest eine Generator (52) der Stromversorgung als Drehstrom-Synchronmaschinen ausgebildet sind, und
g) wobei der zumindest eine als Drehstrom- Synchronmaschine ausgebildete Elektromotor (7; 21, 22) eine rotierende Erregerwicklung (10) aus HTSL(Hochtemperatursupraleiter)-Draht aufweist, und
h) wobei jede rotierende Erregerwicklung (10) aus HTSL-Draht in einem Kryostaten (14; 27, 28) angeordnet ist, der vakuumisoliert ist und mittels dem die rotierende Erregerwicklung (10) aus HTSL-Draht auf eine Temperatur von 15 bis 77 K tiefkühlbar ist, und
i) wobei der zumindest eine als Drehstrom- Synchronmaschine ausgebildete Elektromotor (7; 21, 22) einen Ständer mit einer Luftspalt-Drehstromwicklung (11) aus Kupfer-Bündelleiter aufweist bzw. aufweisen,
j) die in einem Ringspalt (12) zwischen einem Rotor (9) und einem geblechten magnetischen Eisenjoch (13) angeordnet ist,
k) wobei der die rotierende Erregerwicklung (10) aus HTSL-Draht aufweisende Rotor des als Drehstrom-Synchronmaschine ausgebildeten zumindest einen Elektromotors (7; 21, 22) 6 bis 12, vorzugsweise 8polig, ausgebildet ist
l) und bei dem jeder Kryostat (14; 27, 28) durch zumindest zwei redundante Kältemittelkreisläufe (44, 45) mit Kältemittel versorgbar ist.
Vorgetragene Argumente
XIV. Die Beschwerdegegnerin trug vor, dass Anspruch 1 des Antrags der Beschwerdeführerin prima facie den Schutzbereich erweitere und daher nicht ins Verfahren zuzulassen sei. Die Beschwerdeführerin argumentierte gegenteilig und machte zudem im Wesentlichen geltend, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Dies wurde von den Beschwerdegegnern bestritten.
Entscheidungsgründe
1. Zulassung des Antrags der Beschwerdeführerin
1.1 Nach Artikel 13 (1) steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung zuzulassen und zu berücksichtigen.
1.2 Als einziger Einwand gegen die Zulassung des neuen Antrags brachte die Beschwerdegegnerin 2 vor, dass ein "Schiff" im Verfahren vorher nicht beansprucht worden sei, und daher eine Änderung des Anspruchs 1, die sich auf ein "Schiff mit einem Schiffsantrieb für das Schiff" bezieht, prima facie den Schutzbereich erweitere.
1.3 Die Kammer folgt diese Argumentation nicht, weil aus Anspruch 1 hervorgeht, dass der Schiffsantrieb des Schiffes sämtliche Merkmale des Schiffsantriebs gemäß dem erteilten Anspruchs 1 umfasst. Deshalb wurde der Schutzbereich nicht erweitert, sondern eingeschränkt. Aus diesem Grund übte die Kammer ihr Ermessen dahingehend aus, den Antrag ins Verfahren zuzulassen.
2. Stand der Technik
2.1 Es wurde nicht bestritten, dass die Entgegenhaltung O1 zum Stand der Technik gehört. Diese Entgegenhaltung wurde von beiden Einsprechenden (Beschwerdegegnerinnen) eingereicht und wurde bei der internationalen Recherche in der BNS-Datenbank des EPA unter der Nummer XP008000614 vorgefunden. Zudem geht aus dem Titelblatt des von der Beschwerdegegnerin 2 vorgelegten Exemplars von O1 hervor, dass diese Entgegenhaltung ein Exzerpt aus dem Tagungsbericht des Marine-Symposiums über elektrische Maschinen ist, das vom 28. bis 31. Juli 1997 stattgefunden hat. Dies entspricht den Angaben in der BNS-Datenbank des EPA.
2.2 Strittig ist aber die Frage, ob die Entgegenhaltung O2 zum Stand der Technik gehört.
2.2.1 Die von der Beschwerdegegnerin 2 eingereichten Unterlagen der Entgegenhaltung O2 umfassen folgendes:
- ein Deckblatt des Tagungsberichts des dritten Marine-Symposiums über elektrische Maschinen, die vom 4. bis 7. Dezember 2000 stattgefunden hat;
- ein Inhaltsverzeichnis;
- ein Vorwort;
- eine Liste von Namen und Kontakt-Details, offenbar der Teilnehmer; und
- ein Tagungsbeitrag mit dem Titel "Status of the Navy HTS Superdrive Motor for ship propulsion development".
2.2.2 Der Tagungsbeitrag über den "HTS Superdrive Motor" ist in dem Inhaltsverzeichnis aufgelistet.
2.2.3 Das Dokument A1, das von der Beschwerdegegnerin 1 als Annex 1 zum Schreiben vom 20. April 2011 eingereicht wurde, nimmt mit der Referenz [15] auf einem Tagungsbeitrag Bezug, der den Titel "Formulation and Implementation of Optimized Current Waveforms for an 8/6 Switched Reluctance Machine" trägt und der dem Tagungsbericht des dritten Marine-Symposiums über elektrische Maschinen, Philadelphia, PA, Dezember 4-7, 2000 entnommen wurde. Auch dieser Tagungsbeitrag ist in dem Inhaltsverzeichnis der Entgegenhaltung O2 aufgelistet. Daraus kommt die Kammer zu dem Schluss, dass dieses Inhaltsverzeichnis und der Tagungsbeitrag "Status of the Navy HTS Superdrive Motor for ship propulsion development" in der Tat zum Tagungsbericht des dritten Marine-Symposiums über elektrische Maschinen gehören. Die in dieser Hinsicht geäußerten Zweifel der Beschwerdeführerin sind daher nicht überzeugend.
2.2.4 Zu der Frage, ob der Tagungsbericht des dritten Marine-Symposiums über elektrische Maschinen der Öffentlichkeit zugänglich war, sprechen folgende Umstände für eine Veröffentlichung, nämlich dass:
- der Tagungsbericht des [ersten] Marine-Symposiums über elektrische Maschinen (Entgegenhaltung O1) zweifelsohne veröffentlicht wurde; und
- der Tagungsbeitrag mit dem Titel "Formulation and Implementation of Optimized Current Waveforms for an 8/6 Switched Reluctance Machine" eindeutig diesem Tagungsbericht irgendwann entnommen wurde.
2.2.5 Dagegen sprechen die Argumente der Beschwerdeführerin, wonach:
- der Tagungsbericht des dritten Marine-Symposiums eventuell erst später, d.h. nach dem Prioritätsdatum vom 29. Januar 2001 hätte veröffentlicht werden können; und
- die Möglichkeit bestünde, wie bei dem "ASNE/NAVY Symposium and Exhibition 1986" (vgl. Internet-Ausdruck A3, eingereicht in der mündlichen Verhandlung), dass nur manche Teile des dritten Marine-Symposiums als öffentlich angesehen wurden, während andere Teile (insbesondere der Tagungsbeitrag über HTS Motoren) unter Geheimhaltungsverpflichtung stattgefunden haben und im Tagungsbericht nicht veröffentlicht worden seien.
2.2.6 Die Kammer findet die Argumente der Beschwerdeführerin nicht überzeugend. Gegen die theoretische Möglichkeit, dass der Tagungsbericht des dritten Marine-Symposiums erst später veröffentlicht worden sei, spricht die gängige Praxis bei Tagungen und Symposien, Tagungsberichte schon im Rahmen der Tagung selbst herauszugeben bzw. zu verteilen. Falls ein Teil einer Tagung als vertraulich zu betrachten ist, wird in der Regel explizit darauf hingewiesen, wie es beispielsweise beim "ASNE/NAVY Symposium and Exhibition 1986" gemacht wurde. A3 zeigt zudem, dass in solchen Fällen die vertraulichen Teile eher nicht in Hotels und dergleichen stattfinden, sondern auf militärischem Boden. Dies war bei dem dritten Marine-Symposium offenbar nicht der Fall.
2.2.7 Unter Abwägung der Beweismittel und Argumente kommt die Kammer zu dem Schluss, dass die Entgegenhaltung O2 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde und daher zum Stand der Technik im Sinne von Artikel 54 (2) EPÜ gehört.
3. Neuheit und erfinderische Tätigkeit
3.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu. Dies wurde nicht bestritten.
3.2 Offenbarungsgehalt des nächstliegenden Standes der Technik
3.2.1 Die Entgegenhaltung O1 wurde von allen Parteien als nächstliegender Stand der Technik akzeptiert. O1 beschreibt die Anwendung von HTSL-Materialien in Motoren und Generatoren für U-Boote und Schiffe (siehe Abstrakt). Bezüglich der Anspruchsmerkmale des Anspruchs 1 offenbart O1 folgendes:
3.2.2 Im Teil IV.A und in der Figur 3 ist ein fiktives elektrisches Verteilungsnetz eines U-Boots beschrieben, das als Propellerantrieb einen durch einen permanentmagneterregten Antriebsmotor und als Stromversorgung zwei Umrichter und zwei Turbine-Generatoren umfasst. Dort steht, dass HTSL Motoren und Generatoren in einem solchen System funktionieren werden, aber auch in weiteren Systemen verwendet werden können. Im Teil VIII sind Motorkonfigurationen mit hoher Effizienz und niedrigem Gewicht/Volumen beschrieben. Dort steht (siehe Seite 279), dass eine zylindrische, mehrpolige Synchronmaschine als Schiffsmotor geeignet ist. Somit sind die Merkmale a, b, d, e und f des Anspruchs 1 in O1 offenbart.
3.2.3 Im Teil V steht, dass die beschriebenen Motor- und Generatorsysteme auf Erfahrungen mit kommerziellen HTSL-Motoren und Generatoren beruhen (Anspruchsmerkmal g).
3.2.4 Im Teil VI unter dem Titel Kühlmethoden ("cooling methods", Seite 278, rechte Spalte) heißt es, dass der Rotorblock [des 1000 HP Motors] durch einen Kaltgas-Wärmetauscher (d.h. Kryostat) gekühlt wird und dass die [HTSL-] Wicklungen über den Rotorblock konduktionsgekühlt sind. Im darauffolgenden Absatz sind Betriebstemperaturen von 27 bzw. 30 K erwähnt. Im Teil VII auf Seite 279 sind bekannte kryogenische Kältesystemen ("cryogenic refrigeration systems") beschrieben, die geeignet wären, die HTSL-Erregerwicklung des HTSL-Rotors zu kühlen. Dort sind Betriebstemperaturen von 20 bis 40 K erwähnt. Eine Vakuumisolierung des Kryostaten ist auf Seite 281 erwähnt (siehe rechte Spalte, erster Absatz unter dem Titel "Failure Mode - Complete loss of cooling"). Somit ist Anspruchsmerkmal h offenbart.
3.2.5 Das Anspruchsmerkmal l bezieht sich auf "jeder Kryostat". Das steht mit dem Rest des Anspruchs nicht im Einklang, weil dort lediglich ein Kryostat erwähnt ist. Aus diesem Grund wird der Begriff "jeder Kryostat" als "der Kryostat" ausgelegt.
Bezüglich Anspruchsmerkmal l ist festzustellen, dass in der O1 auf eine Redundanz in der Kühlung hingewiesen wird. Insbesondere wird in der Figur 8 auf redundante Kühler ("redundant coolers") im Rotor hingewiesen. Zudem wird auf Seite 281, rechte Spalte unter der Rubrik "Fehlermodus - Kühlmittel- bzw. Kältemittelleck" ("Failure mode - Coolant/refrigerant leak") ausgeführt, dass Motorkonstruktionen mit lediglich statischen Dichtungen möglich sein könnten, und mit innerhalb des Rotors angeordneten redundanten Kompressoren ("motor designs may be feasible with only static seals, and with redundant compressors placed inside the rotor").
Die Kammer ist der Auffassung, dass der Fachmann den Hinweis auf redundante Kompressoren in Kombination mit dem Hinweis auf einen Kaltgas-Wärmetauscher (d.h. Kryostat) lesen würde, weil die Kompressoren ansonsten nicht "redundant" wären.
Die Kammer teilt jedoch die Ansicht der Beschwerdeführerin, dass es aus O1 nicht eindeutig hervorgeht:
- ob die redundanten Kompressoren an einen (gemeinsamen) Kaltkopf angeschlossen sind, der den Kryostat durch einen Kältemittelkreislauf mit Kältemittel versorgt;
oder ob sie an redundante (getrennte) Kaltköpfe angeschlossen sind, die den Kryostat durch redundante (getrennte) Kältemittelkreisläufe mit Kältemittel versorgt.
Somit ist die Kammer der Auffassung, dass das Anspruchsmerkmal l in O1 nicht offenbart ist.
3.2.6 Der Seite 280, linke Spalte, zweiter Absatz ist zu entnehmen, dass Kupfer-Bündelleiter ("finely divided wire) für die Ständerwicklung verwendet werden. Im Teil VIII auf Seite 279 heißt es, dass Eisen nur als externer Rückschluss verwendet wird. Daraus ist zu entnehmen, dass die Drehstrom-Ständerwicklung im Luftspalt steht (siehe auch Figur 8). Somit sind die Anspruchsmerkmale i und j offenbart, mit der Ausnahme, dass das Eisenjoch geblecht ist.
3.2.7 Betreffend das Anspruchsmerkmal k sind im Teil V von O1 4-polige Motoren mit 200 PS (150 kW), 1000 PS (750 kW) und 5000 PS (3,7 MW) erwähnt, wobei der 200 PS starke Motor angeblich schon entwickelt wurde, während der 1000 PS starke Motor noch in der Entwickelung sei und der 5000 PS starke Motor lediglich im Entwicklungsprogramm sei. Um den Effekt von HTSL auf das Antriebssystem zu zeigen, wurde eine vorläufige Maschinen-Konfiguration entwickelt, um 20 MW zu liefern (siehe Seite 280). Die Maschine ist in Figur 8 gezeigt und seine Eigenschaften sind in der Tabelle IV wiedergegeben. Dort steht, dass der Motor 18-polig ausgebildet ist.
3.3 Unterschiedsmerkmale
Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich vom aus O1 bekannten Stand der Technik dadurch, dass:
c) [der Elektromotor] in einer außerhalb eines Schiffsrumpfes angeordneten Motorgondel oder in einem Stevensrohr an einem Schiffsheck untergebracht ist;
j) [teilweise] das Eisenjoch geblecht ist;
k) der Rotor des Elektromotors 6 bis 12, vorzugsweise 8polig, ausgebildet ist; und
l) jeder Kryostat durch zumindest zwei redundante Kältemittelkreisläufe mit Kältemittel versorgbar ist.
3.4 Anspruchsmerkmal j (Blech)
Es wurde nicht behauptet, dass es zur erfinderischen Tätigkeit beiträgt, Blech für das Eisenjoch anzuwenden. Auch die Kammer ist der Ansicht, dass es auf der Hand liegt, diese übliche Konstruktionsweise einzusetzen.
3.5 Anspruchsmerkmal k
3.5.1 Nach Angaben der Beschwerdeführerin stellt sich bei der Anwendung eines HTSL-Antriebsmotors in einem Schiff ein Optimum aus geringem Außendurchmesser und gleichzeitig hoher Leistung dann ein, wenn eine Polzahl zwischen 6 und 12 ausgewählt wird (siehe Beschwerdebegründung, unter A.3a "Hintergrund der Erfindung").
3.5.2 Diese zwei Effekte sind jedoch weder im Streitpatent noch in der ursprünglichen Anmeldung erwähnt. Zudem wurde die behauptete Optimierung nach Ansicht der Kammer nicht überzeugend bewiesen. Deshalb kann die behauptete Optimierung nicht zur Formulierung der objektiven Aufgabe herangezogen werden.
3.5 3 Bei der Entwicklung bzw. Auswahl eines Synchronmotors für einen bestimmten Zweck muss immer eine bestimmte Polzahl ausgewählt werden, um das Verhältnis zwischen Netzfrequenz und Motorgeschwindigkeit zu bestimmen. Ausgehend von der Entgegenhaltung 1 kann die objektive Aufgabe somit angesehen werden, eine geeignete Polzahl für die Anwendung eines HTSL-Antriebsmotors in einem Schiff auszuwählen.
3.5.4 Anhand dieser Aufgabe würde der Fachmann die Entgegenhaltung O2 in Betracht ziehen, weil dort die Anwendung von HTSL-Antriebsmotoren in Schiffen das Hauptthema ist.
3.5.5 O2 bespricht den Entwicklungsstatus des HTSL SuperDrive Motor als Marineschiffsantrieb, der von der "US Navy's Office of Naval Research" (ONR) finanziert wurde.
3.5.6 Im Teil II sind die Erfordernisse des Navy SuperDrive Motors wiedergegeben. Dort steht, dass (unter anderem) folgende Ziele gegeben wurden:
- ein konzeptionelles Design für einen 25 MW, 120 U/min Schiffs-Antriebsmotor zu entwickeln; und
- einen Vorentwurf für einen 4 MW, 400 U/min Modell-Motor zu schaffen, um die Technologien des 25 MW Motors zu demonstrieren.
3.5.7 Das konzeptionelle Design des 25 MW Motors ist im Teil III von O2 beschrieben. Dort steht unter dem Titel "Conceptual Design of 25 MW Motor", dass die Erregerwicklungen des Motors aus 12 HTSL-Wicklungen ("pole windings") bestehen. Die Polzahl 12 ist auch in der Tabelle 2 wiedergegeben (siehe Teil IV).
3.5.8 Im Teil VI ist das Design des 4 MW, 400U/min Modell-Motors beschrieben. Der Tabelle 6 ist zu entnehmen, dass dieser "Sub-size" Motor 6-polig ausgebildet ist, während der "Full-size" (25 MW) Motor 12-polig ausgebildet ist.
3.5.9 Somit entnimmt der Fachmann aus O2, dass die Polzahl 6 bzw. 12 durchaus für die vorgegeben Anwendung geeignet ist. Es liegt daher auf der Hand, die nach Anspruchsmerkmal k vorgegebene Polzahl bei einem Schiffsmotor gemäß O1 anzuwenden.
3.6 Anspruchsmerkmal c
3.6.1 Nach Anspruchsmerkmal c ist der Elektromotor in einer außerhalb eines Schiffsrumpfes angeordneten Motorgondel oder in einem Stevensrohr an einem Schiffsheck untergebracht. Nach Angaben der Beschwerdeführerin spielt die oben erwähnte Optimierung aus hydrodynamischen Gründen eine noch größere Rolle, wenn der Antriebsmotor so untergebracht ist. Nachdem diese Optimierung weder ursprünglich offenbart noch später bewiesen wurde, kann dieses Argument nicht zur Begründung der erfinderischen Tätigkeit beitragen.
3.6.2 Aus den Entgegenhaltungen O19 und O21 ist zu entnehmen, dass es im technischen Gebiet von Schiffsantrieben zum Prioritätsdatum bekannt war, die Antriebsmotoren in Gondeln ("Pods") unterzubringen. Zudem wurde in der eingereichten Anmeldung eingeräumt, dass Schiffe mit Podantrieben mit permanenterregten Synchronmotoren damals bekannt waren.
3.6.3 Die Beschwerdegegnerin 2 trägt vor, dass nichts im Wege steht, den HTSL-Antriebsmotor gemäß Entgegenhaltung O1 in einer Gondel (Pod) unterzubringen und, dass keine überraschende oder synergetische Wirkung durch diese Merkmalskombination ursprünglich offenbart oder nachher bewiesen wurde. Die Kammer findet diese Argumente überzeugend.
3.7 Anspruchsmerkmal l
3.7.1 Nach Meinung der Beschwerdegegnerin 2 sei es aufgrund der Hinweise in O1 auf redundante Kühler und redundante Kompressoren offensichtlich, Redundanz im gesamten Kühlsystem vorzusehen. Somit liege es auf der Hand, die erwähnten redundanten Kompressoren über redundante Kaltköpfe und redundante Kältemittelkreisläufe mit dem Kryostat zu verbinden, und somit den Kryostat durch zwei redundante Kältemittelkreisläufe mit Kältemittel zu versorgen.
3.7.2 Nach der Beschwerdeführerin sei es bei einem Schiff mit in einem Stevensrohr bzw. in einer Gondel angeordneten HTSL-Antriebsmotor wegen der erschwerten Zugänglichkeit problematisch, einen defekten Kältemittelkreislauf zu reparieren. Deshalb trügen zwei redundante Kältemittelkreisläufe dazu bei, eine sicherere Kühlung zu gewährleisten. Aufgrund des engen Bauraums liege es nicht nahe, zwei Kältemittelkreisläufe einfach so vorzusehen.
Aufgrund der konkreten Hinweise in O1 auf Redundanz bei der Kühlung kommt die Kammer zu dem Schluss, dass der Fachmann doch den Anreiz hat, Redundanz nicht nur bei den Kompressoren, sondern beim gesamten Kühlsystem vorzusehen. Ein besonderes Hindernis wegen des engen Bauraums sieht die Kammer nicht. O1 zeigt zumindest die Bereitschaft, bei einem Kompressor, der innerhalb des Rotors angeordnet ist, den erhöhten Platzbedarf von redundanten Kompressoren in Kauf zu nehmen, um die offensichtlichen und wohlbekannten Vorteile von Redundanz zu gewinnen. Der erhöhte Platzbedarf aufgrund von redundanten Kaltköpfen und Kältemittelkreisläufen dürfte daher für den Fachmann nicht abschreckend sein. Auch in einem Stevensrohr bzw. einer Gondel dürfte dies der Fall sein, weil diese Komponenten keinen Einfluss auf den Gesamtdurchmesser des Motors zu haben scheinen. Somit liegt es nach Ansicht der Kammer auf der Hand, ausgehend von der Entgegenhaltung O1, den Kryostat durch zumindest zwei redundante Kältemittelkreisläufe mit Kältemittel zu versorgen.
3.8 Schlussfolgerung
Aus den vorstehenden Gründen ist die Kammer der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem einzigen Antrag der Beschwerdeführerin naheliegend ist und somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht. Daher wird den Anträgen der Beschwerdegegnerinnen stattgegeben, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.