T 1877/10 () of 23.5.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T187710.20130523
Datum der Entscheidung: 23 Mai 2013
Aktenzeichen: T 1877/10
Anmeldenummer: 00116584.4
IPC-Klasse: C09J 107/00
C09J 161/04
C08L 61/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verwendung von reaktiven Phenolharzen bei der Herstellung von hochviskosen selbstklebenden Massen
Name des Anmelders: tesa SE
Name des Einsprechenden: 3M Innovative Properties Company
Kammer: 3.3.09
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 84
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Hauptantrag - Neuheit - nein
Hilfsantrag 4 - Klarheit - nein
Hilfsanträge 8 bis 11 - nicht zum Verfahren zugelassen
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent EP 1 077 244 B1 zu widerrufen.

II. Die Einsprechende hatte den Widerruf des Patentes im gesamten Umfang auf der Grundlage der Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) sowie Artikel 100 b) EPÜ beantragt. Die Einsprechende stütze ihren Einspruch unter anderem auf folgende Dokumente:

D1: US 5 667 858 A;

D5: Handbook of Pressure Sensitive Adhesives Technology, Second Edition; Edited by Donatas Satas, van Nostrand Reinhold, New York, 1989, Seiten 275 bis 277; und

D8: GB 1 172 670 A.

[Das britische Patent GB 1 172 670 wurde im Laufe des Einspruchsverfahrens zweimal eingereicht, nämlich als D8 und als D11. In dieser Entscheidung wird dieses Patent als D8 bezeichnet.]

III. Der am 16. Juni 2010 mündlich verkündeten und am 7. Juli 2010 schriftlich begründeten Entscheidung der Einspruchsabteilung lagen das Streitpatent in der erteilten Fassung (Hauptantrag) sowie geänderte Ansprüche gemäß 1. Hilfsantrag zugrunde.

Der erteilte Anspruch 1 lautet wie folgt:

"1. Schmelzhaftkleber auf der Basis von Naturkautschuk, mindestens bestehend aus 100 Masseteilen des Naturkautschuks,

1 bis 200 Masseteilen eines oder mehrerer klebrigmachender Harze,

1 bis 100 Masseteilen eines oder mehrerer reaktiver Phenolharze mit Methylolgehalten von 1 bis 20 Gew.-% bezogen auf das reaktive Phenolharz,

1 bis 100 Masseteilen von vernetzungsbeschleunigenden Substanzen."

Anspruch 1 des Hilfsantrages 1 basierte auf Anspruch 1 in der erteilten Form mit dem folgenden Zusatz:

"wobei der Schmelzhaftkleber auf der Basis von Naturkautschuk mit den Phenolharzen vernetzt ist."

IV. Die Auffassung der Einspruchsabteilung kann wie folgt zusammengefasst werden:

Die Einspruchsabteilung vertrat die Meinung, dass die Erfindung gemäß dem Patent so deutlich und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann sie ausführen konnte.

Die Einspruchsabteilung widerrief das Patent, da ihrer Meinung nach der Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents im Hinblick auf das Dokument D1 nicht die Erfordernisse der Neuheit erfüllte. Zudem erfüllte der Hilfsantrag 1 nicht die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.

Die Einspruchsabteilung hat über das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit nicht entschieden.

V. Gegen diese Entscheidung der Einspruchsabteilung legte die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) am 7. September 2010 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde ein. Die Einreichung der Beschwerdebegründung erfolgte am 17. November 2010. Die Beschwerdeführerin beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent, wie erteilt, aufrecht zu erhalten. Hilfsweise beantragte sie, das Patent gemäß einem der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3 aufrecht zu erhalten. Außerdem reichte sie folgende Dokumente ein:

D12: Auszug Chemielexikon RÖMPP Online, Version 3.9. Stichwort: "Schmelzklebstoffe";

D13: Auszug Chemielexikon RÖMPP Online, Version 3.9. Stichwort: "Lösemittelklebstoff"; und

D14: Gerd Habenicht "Kleben. Grundlagen, Technologie, Anwendungen", Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 3. Auflage, 1997, Seiten 172 bis 176.

VI. In ihrer Stellungnahme vom 29. März 2011 widersprach die Einsprechende (Beschwerdegegnerin) dem Vorbringen der Beschwerdeführerin und beantragte die Beschwerde zurückzuweisen.

VII. In dem der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Bescheid vom 24. April 2012 teilte die Kammer den Parteien mit, welche Punkte in der mündlichen Verhandlung zu diskutieren seien.

VIII. Mit Schreiben vom 11. Dezember 2012 und 15. Mai 2013 brachte die Beschwerdegegnerin weitere Argumente zur Unterstützung ihres Vorbringens vor. Sie reichte folgende Dokumente ein:

D15: US 6 613 870 B1;

D16: Handbook of Pressure Sensitive Adhesives Technology, Second Edition; Edited by Donatas Satas, van Nostrand Reinhold, New York, 1989. Seiten 352, 419 und 420;

D17: US 4 152 189 A; und

D18: US 4 524 104 A.

IX. Mit Schreiben vom 11. Dezember 2012 und vom 24. April 2013 brachte die Beschwerdeführerin weitere Argumente zur Stützung ihres Vorbringens vor. Außerdem reichte sie acht neue Anspruchssätze (Hilfsanträge 4 bis 11) und folgende Dokumente ein:

D15P:Auszug Chemielexikon RÖMPP Online, Version 3.28. Stichwort: "Haftklebstoffe"; und

D19: Auszug Chemielexikon RÖMPP Online, Version 3.31. Stichwort: Lösemittel.

X. Am 23. Mai 2013 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Während der Verhandlung zog die Beschwerdeführerin die Hilfsanträge 1 bis 3 und 5 bis 7 zurück.

Anspruch 1 des Hauptantrags entspricht Anspruch 1 der erteilten Fassung (siehe Punkt III oben).

Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 lautet:

"1. Selbstklebender Artikel aus einem bahnförmigen Material auf den zumindest einseitig ein Schmelzhaftkleber aufgetragen wird, wobei der Schmelzhaftkleber ein Schmelzhaftkleber auf der Basis von Naturkautschuk, mindestens bestehend aus 100 Masseteilen des Naturkautschuks,

1 bis 200 Masseteilen eines oder mehrerer klebrigmachender Harze,

1 bis 100 Masseteilen eines oder mehrerer reaktiver Phenolharze mit Methylolgehalten von 1 bis 20 Gew.-% bezogen auf das reaktive Phenolharz,

1 bis 100 Masseteilen von vernetzungsbeschleunigenden Substanzen,

ist und wobei der Schmelzhaftkleber lösemittelfrei gefertigt und beschichtet wird."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 lautet:

"1. Verfahren zur Herstellung eines selbstklebenden Artikel, wobei auf ein bahnförmiges Material zumindest einseitig ein Schmelzhaftkleber aufgetragen wird, wobei, Schmelzhaftkleber ein

Schmelzhaftkleber auf der Basis von Naturkautschuk, mindestens bestehend aus 100 Masseteilen des Naturkautschuks,

1 bis 200 Masseteilen eines oder mehrerer klebrigmachender Harze,

1 bis 100 Masseteilen eines oder mehrerer reaktiver Phenolharze mit Methylolgehalten von 1 bis 20 Gew.-% bezogen auf das reaktive Phenolharz,

1 bis 100 Masseteilen von vernetzungsbeschleunigenden Substanzen,

ist und wobei der Schmelzhaftkleber lösemittelfrei gefertigt und lösemittelfrei auf das bahnförmige Material beschichtet wird."

Der jeweilige Anspruch 1 der Hilfsanträge 9 bis 11 basiert auf Anspruch 1 des Hilfsantrags 8, wobei der jeweilige Anspruch 1 stets das Merkmal: "wobei der Schmelzhaftkleber lösemittelfrei gefertigt und lösemittelfrei auf das bahnförmige Material beschichtet wird" enthält.

XI. Die Argumente der Beschwerdeführerin, soweit sie für diese Entscheidung relevant sind, können wie folgt zusammengefasst werden:

- Der Fachmann im technischen Gebiet der Klebemassen/Klebebänder unterscheide explizit zwischen einer Lösungsmittelmasse und einem Schmelzklebstoff. Bei Lösungsmittelmassen erfolge die Herstellung der Klebemasse über eine Verwendung von Lösungsmitteln, während bei Schmelzklebern im gesamten Herstellungsprozess keine Lösungsmittel eingesetzt werden (und somit auch nicht in der resultierenden Klebemasse aufzufinden seien). Ein Schmelzhaftkleber komme während seiner Fertigung und seiner Beschichtung nicht in Kontakt mit einem Lösungsmittel. Ferner sei in der Patentschrift angegeben, wie der Begriff Schmelzhaftkleber zu verstehen ist. Bei einem Schmelzhaftkleber werde nämlich vollständig auf den Einsatz von Lösungsmitteln, sowohl bei der Herstellung der Klebemasse, als auch bei der anschließenden Beschichtung der Klebemasse verzichtet.

- In den Dokumenten D1 und D5, beziehungsweise in dem in D5 zitierten Dokument D8, werden Lösungsmittel-basierte Haftklebemassen offenbart. Die so hergestellten Klebemassen enthalten einen erheblichen Anteil Restlösungsmittel und seien daher nicht neuheitsschädlich für den beanspruchten Gegenstand. Außerdem sei D1 nicht neuheitsschädlich weil, um zum Anspruchsgegenstand zu gelangen, eine mehrfache Auswahl zu treffen sei.

- Hilfsanträge 4 und 8 bis 11 seien in das Verfahren zuzulassen. Die vorgenommenen Änderungen seien eine Reaktion auf die vorläufige Stellungnahme der Kammer. Die Änderungen beschränken den beanspruchten Gegenstand und geben explizit an, was bereits im Anspruch 1 implizit zu verstehen war.

- Das Merkmal "wobei der Schmelzhaftkleber lösemittelfrei gefertigt und lösemittelfrei auf das bahnförmige Material beschichtet wird" sei für den Fachmann deutlich. Die Fertigung fange mit der Vermischung der Edukte zu einer Haftklebemasse an. Dies sei implizit für den Fachmann und gehe eindeutig aus den Beispielen in der Patentschrift hervor.

XII. Die Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:

- Die verspätet eingereichten Dokumente D12, D13, D15P und D19 seien nicht in das Verfahren zuzulassen, da sie prima facie nicht relevant seien.

- Hilfsanträge 4 und 8 bis 11 seien ebenfalls nicht zuzulassen, da sie verspätet seien und nicht konvergieren.

- Dokumente D1 und D5 seien neuheitsschädlich für den beanspruchten Gegenstand. In diesen Dokumenten werden Klebemassen hergestellt, welche die gleichen Zusammensetzungen aufweisen. Nach der Entfernung des Lösungsmittels seien die Klebemassen aus D1 und D5 nicht vom beanspruchten Gegenstand zu unterscheiden. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei durch das Merkmal "Schmelzhaftkleber" nicht auf Schmelzhaftkleber, deren Gehalt an Lösungsmittel "vollständig" entfernt sei, limitiert. Die Literatur auf diesem Gebiet verwendet den Begriff Schmelzhaftkleber auch für Kleber, welche noch Restmengen an Lösungsmittel enthalten. Daher sei dieses Merkmal kein eindeutiges Unterscheidungsmerkmal.

- Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 verletzt die Artikel 84 und 123(2) EPÜ; Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 Artikel 84, 123(2) und 123(3) EPÜ.

XIII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt oder hilfsweise auf Grundlage des Hilfsantrags 4 oder der Hilfsanträge 8 bis 11, sämtliche eingereicht am 24. April 2013.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulässigkeit der Dokumente D12 bis D19

2.1 Im Beschwerdeverfahren wurden von beiden Parteien neun neue Dokumente eingereicht. Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Dokumente der Beschwerdeführerin nicht in das Verfahren zuzulassen.

2.1.1 Die Beschwerdeführerin hat mit der Beschwerdebegründung erstmals die Dokumente D12-D14 eingereicht. Diese sollten insbesondere das Fachwissen im Bereich der Haftklebstoffe widerspiegeln.

2.1.2 Im Laufe des Verfahrens wurden D15 bis D19 eingereicht, um darzulegen, was der Fachmann auf dem Gebiet der Klebemassen/Klebebänder unter den Begriff "Schmelzhaftkleber" versteht.

2.2 Alle Dokumente wurden als Reaktion auf die angefochtene Entscheidung bzw. als Reaktion auf die Argumente der Gegenpartei eingereicht. Beide Parteien hatten ausreichend Zeit, um die Dokumente in Betracht zu ziehen und dementsprechend zu reagieren.

2.3 Außerdem erachtet die Kammer diese Dokumente als hilfreich für die Beurteilung des allgemeinen Fachwissens.

2.4 In Ausübung ihres Ermessens lässt die Kammer D12 - D19 daher in das Verfahren zu (Artikel 114(2) EPÜ).

HAUPTANTRAG (Patent wie erteilt)

3. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)

3.1 Anspruch 1 betrifft Schmelzhaftkleber auf der Basis von Naturkautschuk, mit folgenden Merkmalen:

(a) mindestens bestehend aus 100 Masseteilen des Naturkautschuks;

(b) 1 bis 200 Masseteilen eines oder mehrerer klebrigmachender Harze;

(c) 1 bis 100 Masseteilen eines oder mehrerer reaktiver Phenolharze mit Methylolgehalten von 1 bis 20 Gew.-% bezogen auf das reaktive Phenolharz; und

(d) 1 bis 100 Masseteilen von vernetzungsbeschleunigenden Substanzen.

3.2 Die Beschwerdegegnerin bestritt die Neuheit des Anspruchs 1 im Hinblick auf die Dokumente D1 und D5 (bzw. D8).

3.3 Dokument D1

3.3.1 Dokument D1 betrifft Haftklebemassen, welche sich in ihrer Zusammensetzung mit den beanspruchten Schmelzhaftkleber teilweise überschneiden (siehe D1 insbesondere Spalte 4, Zeilen 7 bis 15 und Tabelle 1). Die Komponenten der Haftklebemasse werden in einem Lösungsmittel gelöst, das nach dem Auftragen auf das Substrat wieder entfernt wird.

3.3.2 Nach Diskussion der Offenbarung in D1 kam die Kammer zu dem Schluss, dass der beanspruchte Gegenstand neu gegenüber D1 ist (mehrfache Auswahl). Da aber der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu gegenüber D8 ist (siehe nächster Punkt), wird hier nicht im Detail darauf eingegangen.

3.4 Dokument D5 (bzw. Dokument D8)

3.4.1 Die Beschwerdegegnerin argumentiert, dass die erste Tabelle auf Seite 277 von Dokument D5 eine Klebstoffzusammensetzung gemäß Anspruch 1 offenbart.

3.4.2 Dokument D5 ist ein Auszug aus dem Fachbuch "Handbook of Pressure Sensitive Adhesive Technology". Bezüglich der oben erwähnten Tabelle wird dort angegeben aus welchem Dokument die Tabelle entnommen ist, nämlich aus D8.

Wie die Beschwerdeführerin ausführt, stellt D5 nur einen Ausschnitt aus D8 dar. Um die Neuheit des Anspruchs 1 zu prüfen, ist es aber notwendig die ursprüngliche Quelle, nämlich D8, als Ganzes zu berücksichtigen.

3.4.3 Es ist unbestritten, dass Beispiel I aus D8 eine Haftklebemasse enthaltend die Komponenten gemäß den Merkmalen (a) bis (d) von Anspruch 1 offenbart.

Wie jedoch aus D8 hervorgeht, wird diese Klebemasse in Toluol hergestellt, welches anschließend entfernt wird (Seite 2, Zeilen 108-111).

Gemäß der Beschwerdeführerin kann Toluol nicht vollständig entfernt sein und die Klebemasse gemäß Beispiel I aus D8 wird daher nicht von Anspruch 1 umfasst.

3.4.4 Die Frage, ob der beanspruchte Gegenstand neu ist, hängt von der Auslegung des Merkmales "Schmelzhaftkleber" in Anspruch 1 ab. Mit anderen Worten, es ist zu klären, ob der Gegenstand des Anspruchs 1, wie von der Beschwerdeführerin angestrebt, ausschließlich lösungsmittelfreie Kleber umfasst.

3.4.5 Gemäß der Beschwerdeführerin schließt der in der Fachwelt etablierte Begriff der Schmelzhaftklebemasse die Anwesenheit eines Lösungsmittels aus. Bei einem Schmelzhaftkleber wird vollständig auf den Einsatz von Lösungsmitteln sowohl bei der Herstellung der Klebemasse als auch bei der anschließenden Beschichtung der Klebemasse verzichtet.

Die Beschwerdeführerin stützt sich insbesondere auf D15P, um das Fachwissen im Bereich der Haftklebstoffe aufzuzeigen. Danach existieren im Bereich der Haftklebstoffe wässrige Systeme (Dispersionsklebstoffe), lösemittelbasierende Systeme (Lösemittelklebstoffe) und Schmelzklebstoffe-System (D15P zweiter Absatz). Ihrer Meinung nach gilt die Lösemittelfreiheit sowohl für die Fertigung als auch für die Beschichtung.

3.4.6 Der Beschwerdeführerin kann insofern zugestimmt werden, dass bei der Vermischung der Komponenten eines Schmelzhaftklebers und der Auftragung eines solchen Klebers auf ein Substrat kein Lösungsmittel verwendet wird. Die Beschwerdegegnerin hat jedoch überzeugend dargelegt, dass über die Herstellung der Komponenten des Schmelzhaftklebers Lösungsmittelreste "eingeschleppt" werden können, so dass der Ausdruck "Schmelzhaftkleber" nicht notwendigerweise einem "lösemittelfreien Klebstoff" gleichgesetzt werden kann. In der Fachwelt wird der Begriff "Schmelzhaftkleber" auch dann verwendet, wenn der Schmelzhaftkleber noch Restmengen an Lösungsmittel enthält, die aus der Herstellung der Komponenten stammen, wie D15 und D17 zeigen:

- In Beispiel 1 aus D15, ein Dokument der Beschwerdeführerin, wird eine Klebemasse auf Acrylatbasis in einem Lösungsmittel polymerisiert und anschließend in einem Extruder das Lösungsmittel weitgehend entfernt, wobei in der Klebemasse ein Restlösemittelgehalt von 0.8% verbleibt. Die so hergestellte Klebemasse wird als Hotmelt (dass heißt Schmelzhaftkleber) bezeichnet (D15, Spalte 3, Zeile, 25-28);

- Auch in D17 werden die Komponenten der "Schmelzklebstoffe" unter Verwendung von Lösungsmitteln (Toluol) hergestellt (siehe Beispiele I bis XX).

Außerdem umfasst ein erfindungsgemäßer Schmelzhaftkleber gemäß Absatz [0030] des Streitpatents auch ein Polymerblend von Naturkautschuk und einem oder mehreren thermoplastischen Elastomeren, die auch in Lösungsmittel hergestellt werden. Diese Elastomere können daher ebenfalls Restlösungsmittel enthalten.

3.4.7 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass der Ausdruck "Schmelzhaftkleber" den beanspruchten Gegenstand nicht auf "lösemittelfreie" Klebstoffe beschränkt. Mit anderen Worten der Gegenstand des Anspruchs 1 schließt die Anwesenheit von Restlösungsmitteln ein, die aus der Herstellung der Komponenten des Schmelzhaftklebers stammen. Im Hinblick darauf kann "lösungsmittelfrei" kein neuheitsbegründendes Merkmal darstellen, wodurch die aus Beispiel I aus D8 bekannte Klebemasse von Anspruch 1 umfasst ist.

3.4.8 Die Beschwerdeführerin argumentiert auch, dass bei der Auslegung des Begriffs "Schmelzhaftkleber" die Offenbarung der Patentschrift heranzuziehen ist. In Absatz [0024] wird beschrieben, dass "Aufgabe der Erfindung ist es, hier Abhilfe zu schaffen und die ökonomischen Vorteile der lösemittelfreien Fertigung und Beschichtung von Schmelzhaftklebern auf Basis von Naturkautschuk ...". Daher wäre der Begriff "Schmelzhaftkleber" als lösemittelfreier Kleber zu interpretieren.

3.4.9 Dieses Argument überzeugt die Kammer nicht. Es ist zwar richtig, dass der Fachmann bei der Prüfung eines Anspruchs unlogische oder technisch unsinnige Auslegungen mit Hilfe der Offenbarung ausschließen sollte. Ein breiter Ausdruck (hier: "Schmelzhaftkleber") sollte jedoch nicht deswegen eng ausgelegt werden (hier als "lösemittelfreier Kleber").

3.4.10 Demnach ist der Gegenstand des Anspruchs 1 im Hinblick auf Beispiel I aus D8 nicht neu. Der Hauptantrag ist daher nicht gewährbar.

HILFSANTRAG 4

4. Zulässigkeit

4.1 Die Ansprüche gemäß Hilfsantrag 4 wurden einen Monat vor der mündlichen Verhandlung eingereicht. Die Beschwerdegegnerin rügte diesen Antrag als verspätet und beantragte diesen Antrag nicht in das Verfahren zuzulassen.

4.2 Dieser neue Antrag unterscheidet sich von dem Hauptantrag im Wesentlichen dadurch, dass die Ansprüche 1 bis 7 gestrichen worden sind. Die Ansprüche sind auf einen selbstklebenden Artikel aus einem bahnförmigen Material, auf das zumindest einseitig ein Schmelzhaftkleber aufgetragen wird gerichtet. Diese Ansprüche basieren auf dem erteilten Anspruch 8.

Außerdem wurde klargestellt, dass der verwendete Schmelzhaftkleber "lösemittelfrei gefertigt und beschichtet wird".

4.3 Durch diese Änderung versuchte die Beschwerdeführerin den Neuheitseinwand gegenüber Anspruch 1 zu entkräften. Darüber hinaus gibt der Anspruch jetzt explizit wider, was die Beschwerdeführerin unter "Schmelzhaftkleber" implizit ausgelegt hat.

4.4 Dieses Vorgehen ist als normales Verhalten einer unterlegenen Partei zu werten und stellt keinen Verfahrensmissbrauch dar. Durch die Änderung entsteht keine überraschend neuartige Sachlage.

4.5 Die Kammer übt daher ihr Ermessen dahingehend aus, diesen Antrag in das Verfahren zuzulassen.

5. Deutlichkeit der Ansprüche (Artikel 84 EPÜ)

5.1 Anspruch 1 ist durch die Einführung des Merkmales "und wobei der Schmelzhaftkleber lösemittelfrei gefertigt und beschichtet wird" abgeändert worden.

5.2 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass eine lösemittelfreie Fertigung mit der Vermischung der Edukte zu einer Klebemasse anfängt. Diese Auslegung des Merkmales ist für den Fachmann implizit und geht auch eindeutig aus der Beschreibung des Patents hervor (Absatz [0024] und Beispiele).

5.3 Dieses Merkmal lässt jedoch zwei mögliche Auslegungen zu. Eine lösemittelfreie Fertigung kann sich in der Tat auf die Fertigung des Schmelzhaftklebers beziehen, wie die Beschwerdeführerin behauptet. Es kann sich aber auch auf die Fertigung aller Komponenten der Klebemasse beziehen, wie die Beschwerdegegnerin stets betonte.

5.4 Da aus diesen Gründen das Merkmal "lösemittelfrei gefertigt" undeutlich ist, kann der Fachmann dessen genaue Bedeutung nicht feststellen. Somit ist unklar welcher Gegenstand vom Schutzbegehren tatsächlich umfasst wird und welcher nicht. Wegen dieses Mangels erfüllt der Anspruch 1 nicht das Erfordernis der Deutlichkeit gemäß Artikel 84 EPÜ.

5.5 Der Hilfsantrag 4 ist daher nicht gewährbar.

HILFSANTRÄGE 8 BIS 11

6. Zulässigkeit

6.1 Die Ansprüche gemäß den Hilfsanträgen 8 bis 11 wurden wie der Hilfsantrag 4 einen Monat vor der mündlichen Verhandlung eingereicht. Die Beschwerdegegnerin rügte diese Anträge ebenfalls als verspätet und beantragte sie nicht zuzulassen.

6.2 Anspruch 1 der Hilfsanträge 8 bis 11 richtet sich auf ein Verfahren zur Herstellung eines selbstklebenden Artikels. Anspruch 1 dieser Anträge basiert nicht auf einem erteilten Anspruch. Der erteilte Anspruchssatz enthält zwar einen Verfahrensanspruch, jedoch mit anderen Merkmalen, nämlich der Verwendung eines Mehrwalzenauftragswerkes.

Ferner enthält der Anspruch 1 dieser Anträge auch das Merkmal "wobei der Schmelzhaftkleber lösemittelfrei gefertigt ...wird", welches zur Zurückweisung des Hilfsantrags 4 geführt hat. Auch in dem nun beanspruchten Verfahren bleibt weiterhin unklar, wie der zu verwendende Schmelzhaftkleber genau hergestellt werden muss.

6.3 Im Hinblick darauf ist Anspruch 1 der Hilfsanträge 8 bis 11 aus den gleichen Gründen nicht gewährbar. Daher werden die Hilfsanträge 8 bis 11 nicht in das Verfahren zugelassen (Artikel 12(4) VOBK).

7. Es liegen somit keine gewährbaren Anträge vor.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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