T 1753/10 () of 25.3.2015

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2015:T175310.20150325
Datum der Entscheidung: 25 März 2015
Aktenzeichen: T 1753/10
Anmeldenummer: 05716317.2
IPC-Klasse: H01H 47/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Sicherheitsschalteinrichtung für eine Sicherheitsschaltung
Name des Anmelders: Pilz GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Sick AG
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein)
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

Die Beschwerden betreffen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, die am 28. Juni 2010 zur Post gegeben wurde.

Die beschwerdeführende Patentinhaberin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patent in geänderter Form mit folgender Fassung:

- Beschreibung Seite 2, wie in der mündlichen Verhandlung am 25. März 2015 eingereicht, sowie Seiten 3 bis 7 der Patentschrift,

- Ansprüche 1 bis 10, des mit Schreiben von 16. Februar 2015 eingereichten Hilfsantrags 1,

- Zeichnungen 1 bis 4 der Patentschrift.

Die beschwerdeführende Einsprechende beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

I. Das folgende im Verfahren vor der ersten Instanz zitierte Dokument ist für das Beschwerdeverfahren relevant:

D6: EP 0 803 632 B1.

II. Der unabhängige Anspruch 1 des einzigen Antrags der Patentinhaberin lautet:

"Sicherheitsschalteinrichtung für eine Sicherheitsschaltung, mit einem Steuerteil (30, 32) zum Verarbeiten eines Eingangssignals (60, 62, 64; 52) und mit zumindest einem Schaltelement (34, 36), das zumindest einen aktiven und einen inaktiven Schaltzustand besitzt, wobei der Steuerteil (30, 32) dazu ausgebildet ist, das Schaltelement (34, 36) anzusteuern, um ein vom Eingangssignal abhängiges Ausgangssignal an einem Ausgang (44, 46) zu erzeugen, ferner mit einer Diagnosefunktionalität zum Erkennen eines Funktionsfehlers, wobei der Steuerteil (30, 32) dazu ausgebildet ist, das Schaltelement (34, 36) in den inaktiven Zustand zu steuern, wenn ein Funktionsfehler erkannt ist, dadurch gekennzeichnet, dass der Steuerteil (30, 32) ferner dazu ausgebildet ist, nach einer in dem Steuerteil (30, 32) hinterlegten Wartezeit ein Datentelegramm (96) an dem Ausgang (44, 46) zu erzeugen, das von dem erkannten Funktionsfehler abhängt."

III. Die Einsprechende argumentierte im wesentlichen wie folgt:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 verstoße aus drei Gründen gegen Artikel 123(2) EPÜ. Es sei erstens ursprünglich eine "kurze Wartezeit" offenbart, zweitens sei die Wartezeit nur im bevorzugten Ausführungsbeispiel erwähnt, welches zwei Sicherheitsschalteinrichtungen enthalte, und drittens sei nach der ursprünglichen Offenbarung die Wartezeit nicht im Steuerteil sondern in den Mikrocontrollern hinterlegt.

Darüber hinaus sei der Anspruch 1 unklar, da das Merkmal "Wartezeit" unbestimmt sei.

Der einzige Unterschied zum nächstliegenden Stand der Technik sei das Merkmal "Wartezeit", welches keine technische Aufgabe löse. Daher könne die Wartezeit auch nicht die erfinderische Tätigkeit stützen.

IV. Die Patentinhaberin argumentierte im Wesentlichen wie folgt:

Bereits in der ursprünglichen Anmeldung seien die Ansprüche auf eine Sicherheitsschalteinrichtung gerichtet gewesen. Diese sei auch im bevorzugten Ausführungsbeispiel erwähnt und weise daher auch die nunmehr beanspruchte "Wartezeit" auf. Die Aufnahme des Merkmals "Wartezeit" aus der Beschreibung erfordere keine Änderungen anderer Merkmale des Ausführungsbeispiels und verstoße daher nicht gegen Artikel 123(2) EPÜ. Das Adjektiv "kurzen" füge dem Merkmal "Wartezeit" nichts hinzu, sodass sein Weglassen keinen Verstoß gegen Artikel 123(2) EPÜ darstelle.

Der festgestellte Unterschied zum Stand der Technik "Wartezeit" bewirke den technischen Effekt, dass die Übertragung der Fehlerinformation von der Übertragung der Diagnoseinformation entkoppelt sei. Daher löse die Erfindung die objektive Aufgabe, eine alternative Sicherheitsschalteinrichtung anzugeben, die ein schnelles Abschalten und eine umfassende Diagnose ermögliche, insbesondere bei serieller Verschaltung der Sicherheitsschalteinrichtungen.

Entscheidungsgründe

1. Änderungen Artikel 123(2) EPÜ

1.1 Verglichen mit dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1 wurde im Anspruch 1 des derzeitigen Antrags hinzugefügt, dass der Steuerteil dazu ausgebildet ist, das Datentelegramm "nach einer in dem Steuerteil (30, 32) hinterlegten Wartezeit" zu erzeugen.

Die ursprünglich eingereichte Anmeldung offenbart diesbezüglich auf Seite 17, Zeilen 14 bis 17, "Nach einer kurzen Wartezeit, die in den Mikrocontrollern aller Sicherheitsschalter und der Sicherheitssteuerung hinterlegt ist, erzeugt der Sicherheitsschalter 18a ein Datentelegramm...". Außerdem betrifft die oben genannte Offenbarungsstelle die bevorzugte Ausführungsform, welche zwei Sicherheitsschalter 18a und 18b aufweist.

Die an Anspruch 1 durchgeführte Änderung zeigt daher verglichen mit der wörtlichen Offenbarung drei Unterschiede. Zum ersten ist das Adjektiv "kurzen" weggelassen worden. Zum zweiten ist der in der bevorzugten Ausführungsform genannte zweite Sicherheitsschalter 18b unerwähnt. Und zum dritten ist nach dem geänderten Anspruch 1 die Wartezeit im Steuerteil hinterlegt und nicht im Mikrocontroller.

1.2 Die Kammer ist der Auffassung, dass keiner der drei identifizierten Unterschiede dazu führt, dass die durchgeführte Änderung nicht als aus der ursprünglichen Offenbarung unmittelbar und eindeutig ableitbar angesehen werden kann.

Das Adjektiv "kurzen" ist unbestimmt und fügt daher dem Merkmal "Wartezeit" kein weiteres technisches Merkmal hinzu bzw. präzisiert das Merkmal nicht. Daher kann sein Weglassen auch keine unzulässige Änderung darstellen.

Zum zweiten Unterschied stellt die Kammer fest, dass die Ansprüche von Anfang an auf einen einzigen Sicherheitsschalter im Sinne der Beschreibung gerichtet waren. In den Ansprüchen ist der Sicherheitsschalter als Sicherheitsschalteinrichtung bezeichnet. Da die bevorzugte Ausführungsform in der Beschreibung aus zwei Sicherheitsschaltern und einer Sicherheitssteuerung bestehend beschrieben ist bedeutet dies bezogen auf einen einzelnen Sicherheitsschalter auch, dass jeder Sicherheitsschalter mit einer Wartezeit versehen ist. Für den Fachmann ist es offensichtlich, dass die in dem Steuerteil hinterlegte Wartezeit unabhängig von den weiteren Komponenten der beschriebenen Ausführungsform ist. Daher ist es auch nicht erforderlich, einen zweiten Sicherheitsschalter in Anspruch 1 aufzunehmen.

In Bezug auf den dritten Unterschied ist die Kammer der Auffassung, dass aus der ursprünglich eingereichten Beschreibung unmittelbar und eindeutig hervorgeht, dass der Steuerteil in Anspruch 1 dem bzw. den Mikrocontrollern der Beschreibung des Ausführungsbeispiels entspricht, da in den ursprünglich eingereichten Unterlagen sowohl die Mikrocontroller als auch der Steuerteil konsistent mit denselben Bezugszeichen (30, 32) bezeichnet werden. In der allgemeinen Erfindungsbeschreibung und in den Ansprüchen wird die Bezeichnung Steuerteil verwendet und in der Beschreibung der bevorzugten Ausführungsform wird die Bezeichnung Mikrocontroller verwendet. Für den Fachmann ist dabei unmittelbar und eindeutig erkennbar, dass es sich dabei um das entsprechende Merkmal handelt.

1.3 Insgesamt ergibt sich die Hinzufügung von "nach einer in dem Steuerteil hinterlegten Wartezeit" zu Anspruch 1 für den Fachmann unmittelbar und eindeutig aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen. Die Hinzufügung verstößt daher nicht gegen Artikel 123(2) EPÜ.

2. Klarheit Artikel 84 EPÜ

Der Gegenstand des Anspruchs 1 wird auch als klar im Sinne des Artikels 84 EPÜ angesehen.

Zwar ist die im Anspruch 1 genannte Wartezeit nicht weiter bestimmt. Für den Fachmann ist jedoch der Zweck der Wartezeit unmittelbar erkennbar. Die Wartezeit dient offensichtlich dazu, die Übertragung der Fehlerinformation, d.h. die Information, dass ein Fehler erkannt worden ist, zeitlich von der Übertragung der Diagnoseinformation zu trennen. Da die Wartezeit sich auf einen Zeitraum bezieht, an welchem die zu überwachende Anlage infolge eines aufgetretenen Fehlers bereits abgeschaltet worden ist, ist ihre Dauer auch nicht entscheidend. Entscheidend im Sinne der Erfindung ist lediglich, dass die Fehlerinformation und die Diagnoseinformation nicht gleichzeitig übertragen werden. Dies wird durch die beanspruchte Wartezeit gewährleistet. Somit ist der Wortlaut des Anspruchs 1 klar im Sinne des Artikels 84 EPÜ.

3. Erfinderische Tätigkeit Artikel 56 EPÜ

3.1 Es ist unstrittig, dass sich der Gegenstand des Anspruchs 1 durch das Merkmal "nach einer in dem Steuerteil hinterlegten Wartezeit" von der Offenbarung des nächstliegenden Stands der Technik, Dokument D6, unterscheidet.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher neu im Sinne des Artikels 54(2) EPÜ.

3.2 Das unterscheidende Merkmal hat den technischen Effekt, dass die Übertragung der Fehlerinformation von der Übertragung der Diagnoseinformation zeitlich entkoppelt ist. Dies ermöglicht einerseits ein schnelles Abschalten einer überwachten Anlage und außerdem das Übertragen von detaillierten Diagnoseinformationen über dieselbe elektrische Leitung.

Die der Erfindung zugrundeliegende objektive Aufgabe kann daher darin gesehen werden, eine alternative Sicherheitsschalteinrichtung anzugeben, die ein schnelles Abschalten einer überwachten Anlage sowie eine kostengünstige Übertragung von Diagnoseinformationen ermöglicht.

3.3 Diese Aufgabe wird durch die Merkmale im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 gelöst.

Dokument D6 offenbart nichts hinsichtlicht einer zeitlich getrennten Übertragung von Fehlerinformationen und Diagnoseinformationen. Die Türsteuerung nach Dokument D6 benutzt vielmehr eine zeitgleiche Übertragung von Fehlerinformation und Diagnoseinformation. Wie in Figur 9 und der zugehörigen Beschreibung auf Seite 12, Zeilen 41 bis 52 angegeben, stellt nach dem Dokument D6 ein einziges Signal, das "door controller enabling signal", gleichzeitig die Fehlerinformation und die Diagnoseinformation dar. Hierzu weist das Signal nach D6 unterschiedliche Pulsperioden auf. Dem Dokument D6 ist auch keine Anregung zu entnehmen, von der zeitgleichen Übertragung beider Informationen abzuweichen.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht daher auch auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.

3.4 Das Patent genügt daher unter Berücksichtigung der vom Patentinhaber vorgenommenen Änderungen den Erfordernissen des Übereinkommens, Artikel 101(3)a) EPÜ.

Dies hat zur Folge, dass die Beschwerde des Einsprechenden hinsichtlich des Antrags auf vollständigen Widerruf des Streitpatents nicht erfolgreich ist.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geänderter Form mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

Beschreibung Seite 2, wie in der mündlichen Verhandlung am 25. März 2015 eingereicht;

Beschreibung Seiten 3 bis 7 der Patentschrift;

Ansprüche 1 bis 10 des mit dem Schreiben vom 16. Februar 2015 eingereichten Hilfsantrags 1;

Zeichnungen 1 bis 4 der Patentschrift.

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