T 1696/10 () of 22.1.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T169610.20140122
Datum der Entscheidung: 22 Januar 2014
Aktenzeichen: T 1696/10
Anmeldenummer: 02023167.6
IPC-Klasse: B60N 2/08
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Arretiervorrichtung mit gerillten Sperrstiften
Name des Anmelders: C.Rob. Hammerstein GmbH & Co.KG
Name des Einsprechenden: Brose Fahrzeugteile GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 1 316 465 wurde von der Einspruchsabteilung mit der am 5. Juli 2010 zur Post gegebenen Entscheidung widerrufen. Dagegen wurde von der Patentinhaberin am 5. August 2010 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 8. November 2010 eingereicht.

II. In Ihrer Entscheidung befand die Einspruchsabteilung, dass der Gegenstand des Streitpatents nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht und dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 neu gegenüber dem zitierten Stand der Technik sei, jedoch nicht erfinderisch im Hinblick auf D9 in Verbindung mit dem fachmännischen Wissen bzw. D7 in Verbindung mit Dokument D2 oder D9.

III. Es fand am 22. Januar 2014 eine mündliche Verhandlung statt. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) hatte bereits mit am 16. Januar 2014 eingegangenem Fax mitgeteilt, dass der Einspruch zurückgenommen werde. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form auf der Grundlage der erteilten Ansprüche 1 bis 10, der während der mündlichen Verhandlung eingereichten Spalten 1 bis 7 der Beschreibung und der erteilten Figuren 1 bis 8.

Der erteilte Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"Arretiereinrichtung einer Längsverstellvorrichtung eines Kraftfahrzeugsitzes, mit a) einer Rastenleiste (28), die periodisch angeordnete Rastöffnungen (30) und Raststege (32) aufweist und einer Bodenschiene der Längsverstellvorrichtung zugeordnet ist und die mindestens zwei, unabhängig von einander in Rastöffnungen (30) einrastbare und gemeinsam ausrastbare Sperrstifte (40) aufweist, welche in einem Führungsteil (36) angeordnet sind, das für jeden Sperrstift (40) eine Stiftbohrung (38) aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass mindestens einer der Sperrstifte (40) eine Riffelung (50) mit mehreren Einzelrillen (56) aufweist, dass sich diese Riffelung (50) in Nähe eines unteren Endes der zugehörigen Stiftbohrung (38) befindet, wenn der Sperrstift (40) in eine der Rastöffnungen (30) eingerastet ist, dass die Einzelrillen (56) beabstandet sind und zur Verfügung stehen, mit dem Material des Führungsteils am unteren Ende der Stiftbohrung (38) in Wechselwirkung zu treten".

IV. Mit ihrer Erwiderung vom 23. Mai 2011 auf die Beschwerdebegründung wies die damalige Beschwerdegegnerin auf die Argumentation der Einspruchsabteilung hinsichtlich fehlender erfinderischer Tätigkeit hin und brachte zusätzlich vor, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gegenüber einer neu geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung gemäß Anlagen K1 bis K8 nicht neu sei.

V. Die Beschwerdeführerin vertrat die Auffassung, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 im Hinblick auf D7 (DE-A-197 09 149) neu sei und im Hinblick auf D9 (GB-A-2 355 399) und D7 oder D2 (DE-U1-297 00 866) auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Zunächst ergebe sich die Neuheit daraus, dass D7 die Merkmale wonach (i) "sich diese Riffelung in Nähe eines unteren Endes der zugehörigen Stiftbohrung befindet, wenn der Sperrstift in eine der Rastöffnungen eingerastet ist" und (ii) "die Einzelrillen beabstandet sind und zur Verfügung stehen, mit dem Material des Führungsteils am unteren Ende der Stiftbohrung in Wechselwirkung zu treten" nicht offenbare. Zur Frage der erfinderischen Tätigkeit sei betreffend die in D9 gezeigte Arretiereinrichtung zu bemerken, dass diese keine "Einzelrillen" sondern lediglich eine Einzelrille aufweise und dass diese die Merkmale (i) und (ii) ebenfalls nicht zeige. In D9 werde in sämtlichen Figuren ein Sperrstift mit einer einzigen Einzelrille gezeigt, die in der Mitte der Stiftbohrung angeordnet sei. Damit könne diese Rille im Unfallzustand nicht mit dem unteren Ende der Stiftbohrung in Wechselwirkung treten. Die Figur 6 der Streitpatentschrift (nachfolgend als EP-B bezeichnet) zeige dagegen eine erfindungsmäßige Ausbildung der Arretiervorrichtung gemäß dem Anspruch 1, bei der mehrere Einzelrillen mit dem unteren Ende der Stiftbohrung in Wechselwirkung treten können und bei der mehrere Einzelrillen am Sperrstift unterhalb der unteren Kante der Stiftbohrung ausgebildet seien. Das "untere Ende" der Stiftbohrung sei gemäß der Erfindung als die untere Kante der Stiftbohrung zu verstehen, denn auf diese Weise lasse sich das erwünschte Verhaken oder Verkrallen der Sperrstifte in der Stiftbohrung im Unfallzustand erreichen (siehe z.B. auch Absatz [0025] in EP-B). Zudem biete die erfindungsgemäße Einrichtung den Vorteil, dass, auf Grund der genannten Merkmale, selbst bei sich nicht vollständig im Eingriff befindenden Sperrstiften im Unfallzustand einem Hochdrücken der Sperrstifte entgegengewirkt werden könne. Schließlich sei auch noch anzumerken, dass gemäß D9 für das Führungsteil ein leicht verformbares Material eingesetzt werde, welches für ein Verhaken oder Verkrallen des Sperrstiftes nicht geeignet sei. Insgesamt weise somit der beanspruchte Gegenstand auch eine erfinderische Tätigkeit auf, da der Fachmann aus dem vorliegenden Stand der Technik keinen Hinweis bekomme, insbesondere weder aus D9, noch aus D7 oder D2, um ausgehend von D9 oder von D7 zu den genannten, aus D9 bzw. D7 nicht bekannten Merkmalen des Anspruchs 1 zu gelangen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ist im Hinblick auf D7 neu, denn die Merkmale, wonach (i) "sich diese Riffelung in Nähe eines unteren Endes der zugehörigen Stiftbohrung befindet, wenn der Sperrstift in eine der Rastöffnungen eingerastet ist" und (ii) "die Einzelrillen beabstandet sind und zur Verfügung stehen, mit dem Material des Führungsteils am unteren Ende der Stiftbohrung in Wechselwirkung zu treten" sind nicht in D7 offenbart. Die Kammer folgt bezüglich der Auslegung des Wortlauts des Anspruchs 1 und insbesondere der obigen Merkmale (i) und (ii) den Ausführungen der Beschwerdeführerin. Folglich implizieren nach der Auffassung der Kammer die genannten Merkmale, dass mehrere Einzelrillen (zumindest zwei) vorhanden sind, die sich in der vollständig eingerasteten Stellung des Sperrstifts zumindest etwas unterhalb des unteren Endes der Stiftbohrung befinden und daher im Unfallzustand mit der unteren Kante der Stiftbohrung in Wechselwirkung treten können. Eine solche erfindungsgemäße Ausführungsform entsprechend dem Wortlaut des Anspruchs 1 ist speziell in der Figur 6 von EP-B gezeigt, wobei die weiteren Figuren lediglich der besseren Illustration der Erfindung dienen. Bei der in D7 dargestellten Arretiereinrichtung findet die Wechselwirkung im Unfallzustand zwischen der Flanke des Raststeges und dem Sperrstift statt (siehe z.B. D7, Spalte 4, Zeilen 42-59; Spalte 5, Zeilen 42-56). Es gibt keine Aussage und keine Hinweise in D7, die auf eine potentielle Wechselwirkung zwischen dem unteren Ende der Stiftbohrung und den an dem Sperrstift ausgebildeten Einzelrillen hindeuten könnten. Folglich ist der Anspruchsgegenstand neu.

3. Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ergibt sich für den Fachmann ausgehend von D9 oder D7 und im Hinblick auf den vorliegenden Stand der Technik nicht in naheliegender Weise. Weder D9, noch eines der weiteren Dokumente D7 oder D2 enthält einen Hinweis, der dem Fachmann die besagten Merkmale (i) und (ii) nahelegen könnte. Ausgehend von D9 hat der Fachmann keinen Grund und keine Veranlassung, technische Maßnahmen zu ergreifen, um die genannten Merkmale zu verwirklichen. Figur 4 von D9 macht deutlich (siehe auch Beschreibung, Seiten 9-10), dass im Unfallzustand, durch die Verformung des Materials des Führungsteils, welches in die Einzelrille des Sperrstifts eindringt und diese mehr oder weniger auffüllt, der Sperrstift in der Stiftbohrung vom Material des Führungsteils unmittelbar und vollkommen umschlossen ist und damit in der Stiftbohrung eingefangen ist. Hieraus ist ersichtlich, dass im Unfallzustand die Wechselwirkung zwischen dem Sperrstift und dem Führungsteil durch Kräfte bewirkt wird, die im Wesentlichen auf der gesamten die Stiftbohrung definierenden inneren Fläche des Führungsteils verteilt sind. Diese Art der Wechselwirkung unterscheidet sich grundsätzlich von derjenigen gemäß der Erfindung, die dagegen auf Kräften basiert, die hauptsächlich an der unteren Kante der Stiftbohrung wirken. Angesichts der dargestellten Funktionsweise der Arretiereinrichtung von D9 würde der Fachmann keinen Grund haben, technische Maßnahmen gemäß den Merkmalen (i) und (ii) zu ergreifen oder auch nur in Betracht zu ziehen, da diese Merkmale eine prinzipiell unterschiedliche, alternative Funktionsweise der Arretiereinrichtung implizieren. Da diese Merkmale auch durch D7 oder D2 oder dem fachmännischen Wissen nicht nahegelegt werden, ergibt sich der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht in naheliegender Weise aus dem vorliegenden Stand der Technik (Art. 56 EPÜ). Entsprechendes gilt von D7 ausgehend.

4. Schließlich stellt die Kammer fest, dass die von der ehemaligen Einsprechenden geltend gemachte angebliche offenkundige Vorbenutzung der Aufrechterhaltung des Patents aus folgenden Gründen nicht entgegensteht. Das diesbezügliche Vorbringen vermag nämlich lediglich zu beweisen, dass eine zweite am Sperrstift ausgebildete Rille zum Zeitpunkt des Ausbaus von Daimler-Benz C-Klasse Fahrzeugen im Jahr 2010 vorhanden war. Der Zeitpunkt des Ausbaus liegt also nach dem Prioritätstag des Streitpatents, d.h. nach dem 28. November 2001, 15. Januar 2002 bzw. 14. September 2002. Zudem behauptet die Beschwerdeführerin, es handle sich bei dieser zweiten Rille um eine Gebrauchsrille und nicht um eine industriell gefertigte Rille, und bietet zum Beweis Zeugen an. Das zum Nachweis der offenkundigen Vorbenutzung vorgelegte Beweismaterial ermöglicht es nicht, diese Frage zu entscheiden. Unabhängig hiervon geht jedenfalls aus dem vorliegenden Beweismaterial nicht hervor, dass diese zweite Rille, selbst wenn sie industriell gefertigt und vor dem Prioritätstag der Erfindung offenkundig vorbenutzt sein sollte, zum Zusammenwirken mit dem unteren Ende des Führungsteils im Sinne des Merkmals (ii) bestimmt und dazu auch in der Lage ist, und dies sowohl auf Grund ihrer Beschaffenheit und der Beschaffenheit des Führungsteils, sowie auf Grund der relativen Positionierung beider Bauteile zueinander. In Ermangelung entsprechender Nachweise ist aus der Sicht der Kammer die Relevanz der angeblichen offenkundigen Vorbenutzung für die Frage der Neuheit bzw. der erfinderischen Tätigkeit des Anspruchsgegenstands nicht gegeben. Folglich steht die behauptete offenkundige Vorbenutzung, selbst wenn diese tatsächlich stattgefunden haben sollte, der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angegriffene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anweisung, das Patent in geänderter Form gemäß den folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

- Ansprüche 1-10 wie erteilt

- Beschreibung, Spalten 1-7, wie in der mündlichen

Verhandlung eingereicht

- Figuren 1-8 wie erteilt.

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