T 1241/10 () of 24.4.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T124110.20140424
Datum der Entscheidung: 24 April 2014
Aktenzeichen: T 1241/10
Anmeldenummer: 02025903.2
IPC-Klasse: C08L 77/06
C08L 77/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Formmasse auf Basis von Polyetheramiden
Name des Anmelders: Evonik Degussa GmbH
Name des Einsprechenden: EMS-CHEMIE AG
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(2)
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung - Hauptantrag (ja)
Neuheit - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja: nicht naheliegende Alternative)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die am 01. April 2010 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent 1 329 481 (Anmeldenummer 02025903.2) widerrufen wurde.

II. Das Patent enthielt 19 Ansprüche, die identisch mit den ursprünglich eingereichten Ansprüchen waren, wobei die Ansprüche 1, 15 und 19 wie folgt lauteten:

"1. Formmasse, die folgende Komponenten enthält:

I. 99,9 bis 95 Gew.-Teile eines Polyetheramids auf Basis eines linearen aliphatischen Diamins mit 6 bis 12 C-Atomen, einer linearen aliphatischen oder aromatischen Dicarbonsäure mit 6 bis 12 C-Atomen und eines Polyetherdiamins mit wenigstens 3 C-Atomen pro Ethersauerstoff und primären Aminogruppen an den Kettenenden,

II. 0,1 bis 5 Gew.-Teile eines Copolymeren, das die nachstehenden Grundbausteine enthält:

a) 0 bis 85 Gew.-%

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

b) 0 bis 80 Gew.-%

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

c) 0 bis 15 Gew.-%

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

d) 0,8 bis 20 Gew.-% eines Grundbausteins, ausgewählt aus

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

e) 0 bis 95 Gew.-%

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

wobei

Alkyl = Methyl, Ethyl, Propyl, Butyl, Pentyl oder Hexyl,

R1 bis R7 = H oder CnH2n+1 mit n = 1 bis 6 oder Phenyl und

m = 0 oder 1,

wobei die Summe der Gew.-Teile von I. und II. 100 ergibt."

"15. Formteil, hergestellt aus der Formmasse gemäß einem der vorhergehenden Ansprüche."

"19. Verwendung der Formmasse gemäß einem der Ansprüche 1 bis 14 zur Herstellung von Formteilen mittels Extrusion oder Blasformen."

Ansprüche 2 bis 14 waren auf bevorzugte Ausführungsformen des Verfahrens nach Anspruch 1 gerichtet. Ansprüche 16 bis 18 waren auf bevorzugte Ausführungsformen des Verfahrens nach Anspruch 15 gerichtet.

III. Gegen das Patent wurde am 18. Oktober 2006 Einspruch eingelegt. Die Einsprechende machte die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100(b) und Artikel 100(a) EPÜ (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) geltend.

IV. Die angefochtene Entscheidung wurde auf Grundlage des erteilten Patents als Hauptantrag und zweier während der mündlichen Verhandlung eingereichte Hilfsanträge getroffen.

Die angefochtene Entscheidung stützte sich inter alia auf:

E1: DE 691 27 027 T2

E2: CH 642 982

E3: Kunststoff-Handbuch 3/4: Technische Thermoplaste, Polyamide, Carl Hanser Verlag München Wien, 1998, Seiten 769-875.

E7: CH 655 941

E8: US 5,998,545

E9: US 4,429,081

In ihrer Entscheidung befand die Einspruchsabteilung, dass der Hauptantrag (erteilte Fassung) den Erfordernissen von Artikel 83 EPÜ genügte. Der Gegenstand der Ansprüche 1, 15 und 19 des Hauptantrags war neu gegenüber E1, E2, E3 und E7, jedoch nicht erfinderisch, ausgehend von E7 als nächstliegendem Stand der Technik. Die Einspruchsabteilung fand auch, dass die Hilfsanträge 1 und 2 nicht erfinderisch waren.

V. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung legte die Patentinhaberin am 31. Mai 2010 Beschwerde ein und entrichtete gleichzeitig die vorgeschriebene Gebühr. Mit ihrer am 5. August 2010 eingegangenen Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin einen neuen Hauptantrag und vier Hilfsanträge ein. Der Hauptantrag unterschied sich von der erteilten Anspruchsfassung durch das Merkmal, dass das Copolymer der Komponente II höchstens 85 anstatt 95 Gew.-% des optionalen Grundbausteins e) enthält. Mit Schreiben vom 28. Februar 2014 wurden diese Anträge durch die erteilten Ansprüche als Hauptantrag, sowie sechs neue Hilfsanträge, ersetzt. Auch wurden zwei Versuchsberichte eingereicht.

VI. Die Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden ging mit Schreiben vom 9. Februar 2011 ein. E11 (DE 36 87 813 T2) wurde eingereicht.

Die Einsprechende beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

VII. Am 29. Oktober 2013 erging eine Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer. In einer am 10. März 2014 versandten Mitteilung äußerte die Kammer ihre vorläufige Meinung zu den Einwänden nach Artikel 123(2)(3), 83, 54 und 56 EPÜ.

VIII. In ihrer Antwort vom 14. März 2014 reichte die Beschwerdeführerin zusätzliche Informationen über das Produkt Elastamine RP-405 ein.

IX. Am 20. März 2014 beantragte die Beschwerdegegnerin, den zuletzt eingereichten Hauptantrag, die Hilfsanträge 1 und 3 sowie die dem Schriftsatz der Beschwerdeführerin beigefügten Vergleichsversuche nicht ins Verfahren zuzulassen.

X. Die mündliche Verhandlung fand am 24. April 2014 statt.

XI. Die Argumente der Beschwerdeführerin hinsichtlich Artikel 123(2), 123(3), 84, 83 und 56 EPÜ lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Hauptantrag (erteilte Ansprüche)

- Zulässigkeit

Der Hauptantrag sei zulässig, weil er schon Gegenstand der Entscheidung der Einspruchsabteilung war. Gegenüber dem mit der Beschwerdebegründung gestellten Hauptantrag seien nur minimale Änderungen vorgenommen worden. Dieser Antrag enthalte keinen neuen Verfahrensgegenstand und stelle keine Verfahrensbehinderung dar.

- Artikel 83 EPÜ

Anspruch 1 sei zwar breit definiert, aber es sei von der Einsprechenden nicht gezeigt worden, inwiefern die Erfindung nicht durchführbar wäre.

- Artikel 54 EPÜ

Zur Neuheit des Hauptantrags wurden im Beschwerdeverfahren keine Argumente vorgetragen.

- Artikel 56 EPÜ

E7 sei der nächstliegende Stand der Technik. Anspruch 1 gemäß dem erteilten Patent unterscheide sich davon durch den Einsatz eines Polyetheramids auf Basis eines linearen aliphatischen Diamins mit 6 bis 12 Kohlenstoffatomen in Kombination mit linearen aliphatischen oder aromatischen Dicarbonsäuren mit 6 bis 12 Kohlenstoffatomen.

Die nachgereichten Versuchsberichte zeigten den Effekt der Unterschiede zwischen dem beanspruchten Gegenstand und dem nächstliegenden Stand der Technik E7. Sie seien daher hochrelevant für die erfinderische Tätigkeit und sollten somit ins Verfahren zugelassen werden.

In den Vergleichsbeispielen des Versuchsberichts I werden erfindungsgemäße Polyetheramide, die unter Verwendung von Dodecamethylendiamin und Dodecandicarbonsäure hergestellt wurden, mit Polyetheramiden gemäß E7 verglichen, die, wie bei den Beispielen von E7, eine Polyamidkomponente aus Laurinlactam und einer Dicarbonsäure aufweisen. Der Vergleichsversuch 1 vergleiche ausschließlich die Eigenschaften der Polyetheramidkomponente I des Streitpatents mit den Verbindungen aus E7.

Daraus gehe hervor, dass die erfindungsgemäßen Polyetherpolyamide bei höheren Temperaturen nachkondensiert werden konnten, was zu einer gegenüber den Vergleichsbeispielen deutlichen Erhöhung der Lösungsviskosität führe. Die Behandlung bei niedrigeren Temperaturen führe zu keiner signifikanten Steigerung der Lösungsviskosität.

Auch wenn die Vergleichsversuche I nicht die Komponente II enthielten, zeigten sie dennoch den erfindungswesentlichen Unterschied zwischen der Lehre des Streitpatents und der Lehre des nächstliegenden Standes der Technik. Die Komponente II des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag unterscheide sich ohnehin nicht von der Komponente II im nächstliegenden Stand der Technik. Somit seien die Vergleichsversuche I für einen Vergleich mit E7 geeignet.

Die Aufgabe, die gegenüber E7 gelöst sei, sei daher das Bereitstellen einer Formmasse, bei der die Polyetheramidkomponente eine Erhöhung des Molekulargewichts durch Nachkondensation ermöglicht, was zu einer höheren Schmelzviskosität führe.

Bezüglich der Frage des Naheliegens, in E7 wurden Mengen an modifiziertem Copolymer in der Größenordnung von 17 Gew.-%, bezogen auf die Summe von Blockpolyetherpolyamiden und modifizierten Copolyolefinen, eingesetzt. Diese Menge liege oberhalb der anspruchsgemäßen Obergrenze gemäß Streitpatent.

Weiterhin lehre E7 Polyamidelastomere mit deutlich kleineren Kettenlängen zu verwenden, d.h. der Fachmann würde aus E7 die Information erhalten, dass es überhaupt nicht notwendig sei, die Polyetheramidketten, z.B. durch Nachkondensation, zu verlängern. Ausgehend von E7 würde der Fachmann keinerlei Information erhalten, dass er, wenn er die anspruchsgemäßen Diamine und Dicarbonsäuren verwendet, im Gegensatz zum Einsatz von Laurinlactam, durch Nachkondensation höhere Molekulargewichte erreichen kann.

- Zulässigkeit von E11

E11 sei verspätet eingereicht worden und es sei weniger relevant als E7. E11 befasse sich auch mit einer anderen Aufgabe als das Streitpatent. Darüber hinaus offenbare E11 keine differenzierte Bestimmung der Säure und Anhydridfunktionalität in dem Copolymer und lehre sogar die Eliminierung dieser Funktionalitäten aus dem Imid-Polymer. Außerdem offenbare E11 bei Mischung mit einem thermoplastischen Polymer, ein Mischverhältnis außerhalb des jetzt beanspruchten Bereichs. E11 sollte daher nicht ins Verfahren zugelassen werden.

XII. Die Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Hauptantrag (erteilte Ansprüche)

- Zulässigkeit

Die erteilten Ansprüche seien nicht Teil der Beschwerdebegründung. Somit habe sich die Beschwerdeführerin über diesen Antrag inhaltlich nicht mit der Entscheidung der Einspruchsabteilung befasst. Die Beschwerde sei diesbezüglich nicht begründet. Mit dem neuen Hauptantrag kehre außerdem die Beschwerdeführerin in einem späten Stadium des Verfahrens zu einem breiter gefassten Antrag zurück. Dieser Antrag sei ohne Grund und verspätet eingereicht worden und sollte nicht ins Verfahren zugelassen werden. Darüber hinaus sei der neue Hauptantrag in Bezug auf Artikel 56 EPÜ nicht gewährbar.

- Artikel 83 EPÜ

Im Patentanspruch 1 sei ein Copolymer angegeben, das lediglich teilweise definiert sei. Somit sei für den Fachmann nicht nachvollziehbar, welches weitere Monomerbestandteil bzw. welcher weitere Grundbaustein im Copolymer enthalten sein soll. Durch die Formulierung "Copolymer" sei dadurch ein derartig breites Spektrum an möglichen Monomereinheiten gegeben, dass es für den Fachmann nicht möglich sei, zusätzlich zu dem unter Komponente II in Merkmal d) definierten Bestandteil ein weiteres Monomer auszuwählen, um den Gegenstand des Patentanspruches 1 nachzuarbeiten. Darüber hinaus würden nicht alle kombinierbaren Monomere zu Copolymeren führen, die die dem Streitpatent zugrunde liegende Aufgabe lösten.

Die Definition der in Komponente II verwendeten Monomere sei nicht vollständig, da die Summe der Gewichtsangaben nicht 100% sei. Daher sei es für den Fachmann nicht ersichtlich, wie der Fachmann die nicht angegebenen Monomeren auszuwählen hätte, um den technischen Effekt herbeizuführen.

- Artikel 54 EPÜ

Zur Neuheit der erteilten Ansprüche hinsichtlich E1, E2 und E3 wurde auf den Einspruchsschriftsatz vom 16. Oktober 2006 verwiesen.

Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags sei nicht neu gegenüber E7. So offenbare E7 eine Formmasse, die 5 bis 95 Gew.-% mindestens eines Polyamidelastomeren, z.B. eines Blockpolyetherpolyamids, enthält, der sich von Einheiten ableitet, die von a) mindestens einer Polyamid-bildenden Komponente sowie b) einem Polyetherdiamin stammen. In E7 seien alle Verbindungen beschrieben, die auch gemäß Patentanspruch 1 des Hauptantrags zur Herstellung von Komponente I (Polyetheramid) verwendet werden. Gemäß E7 weise die dort beschriebene Polymerlegierung zusätzlich 5 bis 60 Gew.-% einer Komponente C) auf, die ein mindestens teilweise modifiziertes Copolyolefin als Additionsprodukt von 0,5 bis 9 Gew.-% Maleinsäureanhydrid an Copolyolefinelastomeren, hergestellt aus Ethylen, Propylen und wenigstens einem nicht konjugierten Dien mit mindestens 6 Kohlenstoffatomen darstelle. Die gemäß Komponente C) definierten modifizierten Copolyolefine seien somit identisch mit den Copolymeren im Sinne der Komponente II von Anspruch 1 des Streitpatentes, die Maleinsäureanhydrid in identischen Mengen enthalten.

Der Gegenstand des Hauptantrags weise weiterhin keine Neuheit gegenüber E8 auf. Auch wenn E8 die genauen Anzahl der C-Atome der verwendeten Diamine und Disäuren zur Herstellung der Polyamidblöcke dem Polyetheramid nicht offenbart, liege eine Auswahlsituation vor. Der Gegendstand von Anspruch 1 des Streitpatents würde aus einer willkürlichen Auswahl resultieren, da die in Anspruch 1 offenbarten Zahlenbereiche mit keinem besonderen technischen Effekt gegenüber E8 verbunden wären.

- Artikel 56 EPÜ

Die in E7 beschriebenen Formmassen wiesen eine verbesserte Verarbeitbarkeit, insbesondere bei der Extrusion zu Rohren und Folien, auf, daher sei davon auszugehen, dass alle in E7 offenbarten Formmassen eine für deren Extrusion zu Rohren oder Folien ausreichend hohe Scherviskosität haben. Zu diesem Zweck erwähne E7 die Einarbeitung eines modifizierten Copolyolefins mit 0,5 bis 9 Gew.-% Maleinsäureanhydrid. E7 offenbare außerdem ein Polyetheramid aus einem alpha,omega-Diamin mit einer alpha,omega-Dicarbonsäure. Breite Mengenverhältnisse von 5-95 Gew.-% Polyetheramid und 5-60 Gew.-% Copolyolefin seien auch in E7 offenbart.

Die Vergleichsversuche I sollten nicht ins Verfahren zugelassen werden, da sie zu einem sehr späten Zeitpunkt, nämlich weniger als zwei Monate vor der mündlichen Verhandlung, präsentiert wurden und ohne Erklärung, warum die Vergleichsversuche zu einem derartig späten Zeitpunkt ins Beschwerdeverfahren eingeführt werden sollten. Der Beschwerdegegnerin sei es in der kurzen Zeit nicht mehr möglich, die von der Beschwerdeführerin vorgenommenen Versuche zu überprüfen oder etwaige Vergleichsversuche auszuführen, mit der sich die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Tatsachen entkräften ließen.

Da das Streitpatent keinen besonderen technischen Effekt zeige, sei gegenüber der E7 als nächstliegendem Stand der Technik die objektive technische Aufgabe, eine alternative Formmasse zur Verfügung zu stellen, die sich gut extrudieren bzw. blasformen ließe.

Um dieses Problem zu lösen, konnte der Fachmann nur aufgrund der allgemeinen Lehre von E7 schon durch eine willkürliche Auswahl aus den Mengenangaben von E7 zum Gegenstand des Streitpatents gelangen. Insbesondere die Tabelle auf Seite 7 der E7, die die Anwesenheit von 17 Gew.-% eines modifizierten Copolyolefins in der Formmasse offenbare, würde dem Fachmann die Motivation geben, eine andere Menge, womöglich 5 Gew.-%, zu probieren. Darüber hinaus gebe E11 einen Hinweis auf die Mischverhältnisse des Polyetheramids und des modifizierten Copolyolefins, da E11 die Verwendung eines Imid-Polymers analog der Komponente II des Streitpatents in einer Menge von 1 Gew.-% bis 99 Gew.-% offenbare.

Die Einarbeitung eines Polyamids sei in E7 nicht erforderlich und im Streitpatent nicht ausgeschlossen, sodass die Anwesenheit des Polyamids in den Formmassen der E7 nicht nachteilig sei.

- Zulässigkeit von E11

E11 betreffe ein Gemisch aus mindestens einem thermoplastischen Polymer und einem zweiten Polymer, wobei das zweite Polymer ein gemäß der Lehre von E11 hergestelltes Polymer sei. Dieses sei insbesondere ein thermoplastisches Copolymer, das Glutarimidreste und gegebenenfalls Säure- und/oder Säureanhydridfunktionelle Reste umfasst. Maßgeblich bei den Polyglutarimiden sei auch, dass diese restliche Säure- und/oder Anhydridreste besitzen, die unvermeidlich bei der Herstellungsreaktion gemäß der E11 entstünden. Das Endprodukt weise einen Imidierungsgrad von weniger als 95 %, vorzugsweise von 10 % bis weniger als 95 %, insbesondere von 25 % bis weniger als 95 %, weiter bevorzugt von 40 % bis 88 % und insbesondere von 50 % bis 85 % auf. Insofern fänden sich in E11 identische Gewichtsangaben, wie sie gemäß b) des geltenden Anspruchs 1 des Hauptantrags genannt werden. E11 sei daher auch als nächstliegender Stand der Technik geeignet und sollte ins Verfahren zugelassen werden.

In E11 sei insbesondere eine bessere Schmelzviskosität, eine größere Kompatibilität und Mischbarkeit, eine größere Beständigkeit, eine größere Schlagfestigkeit, eine bessere Duktilität und eine bessere Lösungsmittelbeständigkeit der dort beschriebenen Polymermischungen beschrieben. Mitunter wiesen die dort beschriebenen Formmassen daher dieselben Eigenschaften auf, wie die des Streitpatents. Ausgehend von E11 sei die Aufgabe lediglich, eine weitere thermoplastische Formmasse zur Verfügung zu stellen. Ausgehend von E11, das bereits explizit eine Mischung der dort beschriebenen Polyglutarimide mit Polyetheramiden vorsehe, würde der Fachmann beispielsweise die aus der E3, E7 oder E9 bekannten Polyetheramiden zumischen, um so zum Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 des Hauptantrages zu gelangen.

XIII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in der Fassung einer der Hilfsanträge 1 bis 6, eingereicht mit Schreiben vom 28. Februar 2014.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Hauptantrag

2. Zulässigkeit

2.1 In ihrer Entscheidung hatte die Einspruchsabteilung befunden, dass die erteilte Fassung des Streitpatents zwar die Erfordernisse der Artikel 83 und 54 EPÜ, nicht aber die des Artikels 56 EPÜ erfüllte.

2.2 Die Beschwerdebegründung enthielt einen neuen Hauptantrag sowie vier Hilfsanträge. Der neue Hauptantrag unterschied sich von dem erteilten Anspruch 1 dadurch, dass der optionale Grundbaustein e) der Komponente II zu maximal 85 Gew.-% anstatt 95 Gew.-% im Copolymer enthalten sein konnte.

2.3 Der geltende Hauptantrag der Beschwerdeführerin, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent wie erteilt aufrechtzuerhalten, war nicht in der Beschwerdebegründung enthalten, sondern wurde erst am 28. Februar 2014 eingereicht, zwei Monate vor der mündlichen Verhandlung. Er ist somit in diesem Verfahrensstadium als verspätet zu betrachten (Artikel 12(2) VOBK) und es stellt sich die Frage, ob der jetzige Hauptantrag in das Beschwerdeverfahren zugelassen werden kann.

2.4 Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern können neue Anträge, die einen geänderten Anspruchssatz enthalten, ausnahmsweise in das Beschwerdeverfahren zugelassen werden. In ihrer Beschwerdeerwiderung (Seite 3) hatte die Beschwerdegegnerin den in der Beschwerdebegründung gestellten Hauptantrag aufgrund von Artikel 123(2) EPÜ angegriffen. Der Einwand der Beschwerdegegnerin betraf genau die Herabsetzung der Obergrenze des optionalen Grundbausteins e), der nun durch Anspruch 1 des jetzigen Hauptantrags auf seinen erteilten Wert zurückgeführt wurde. Die Rückkehr zu der erteilten Fassung der Ansprüche, die auch Gegenstand des Hauptantrags in der Entscheidung der Einspruchsabteilung war, kann daher als Reaktion auf den Einwand der Beschwerdegegnerin angesehen werden. Die Beschwerdegegnerin konnte sich daher auf solche Änderungen einstellen.

2.5 Die erteilten Ansprüche des jetzigen Hauptantrags, die Gegenstand der Entscheidung der Einspruchsabteilung waren, unterscheiden sich nur minimal von den in der Beschwerdebegründung enthaltenen Ansprüche. Die Ansprüche des jetzigen Hauptantrags werfen auch keine neuen Fragen auf, deren Behandlung der Kammer oder der Beschwerdegegnerin ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten wäre (Artikel 13(3) VOBK). Ein solcher Antrag wurde seitens der Beschwerdegegnerin auch nicht gestellt. Daher ist die Beschwerdekammer der Meinung, dass der Hauptantrag zugelassen werden kann.

3. Artikel 83 EPÜ

3.1 Bezüglich Artikel 83 EPÜ stellt sich die Frage, ob der Fachmann in der Lage war, die beanspruchte Formmasse zu erhalten. Ob alle kombinierbaren Comonomere zu Copolymeren II führen, die die dem Streitpatent zugrunde liegende Aufgabe lösen, ist, da die Ansprüche keine Angabe dieser Aufgabe enthalten, eine Frage der erfinderischen Tätigkeit, nicht die der unzureichenden Offenbarung (G 0002/03, Pt. 2.5.2). Die Beschwerdegegnerin hat nicht klargemacht, warum der Fachmann nicht in der Lage wäre, aufgrund der Beschreibung für die Herstellung von Copolymer II geeignete Comonomere auszuwählen, um zusammen mit der Komponente I die beanspruchte Formmasse zu bilden. Ein Nachweis, dass die Auswahl der Comonomere im Copolymer II bei der Herstellung der beanspruchten Formmasse dem Fachmann vor einen unzumutbaren Aufwand stellt, wurde nicht erbracht.

3.2 Beispiel 1 des Streitpatents beschreibt die Komponente II als ein teilimidisiertes Polymethacrylat Copolymer der Fa. Röhm GmbH, Darmstadt, das die nachstehenden Grundbausteine enthält:

54,4 Gew.-% Methylmethacrylateinheiten (Monomer a),

33 Gew.-% Imideinheiten (Monomer b),

2,6 Gew.-% Methacrylsäureinheiten (Monomer c) und

1,2 Gew.-% Anhydrideinheiten (Monomer d).

Somit offenbart Beispiel 1 des Streitpatents ein Copolymer nach Anspruch 1 des Hauptantrags. Es wurde nicht bestritten, dass Beispiel 1 nicht die komplette Zusammensetzung des Copolymers angibt (die Summe der Monomermengen a) bis d) beträgt lediglich 91,2%). Der Einwand der Beschwerdegegnerin, wonach der Fachmann die restlichen Monomere, die 8,2 Gew.-% des Copolymers ausmachen, nicht auszuwählen wisse, um den geltend gemachten technischen Effekt zu erreichen, wurde aber nicht durch Fakten gestützt. Dieses Argument betrifft außerdem die Frage der erfinderischen Tätigkeit, nicht die der ausreichenden Offenbarung. Es wurde somit durch die Beschwerdegegnerin nicht gezeigt, dass die Komponente II nicht "auf bekannte Weise durch Polymerisation der entsprechenden Monomeren hergestellt werden" kann, wie die Absätze [0014] und [0015] des Streitpatents lehren.

3.3 Ein Patentanspruch widerspricht nicht schon deshalb den Erfordernissen von Artikel 83 EPÜ, weil er breit abgefasst ist. Da, wie oben gezeigt, keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen, dass die Erfindung nicht im gesamten Bereich ausführbar ist, sieht die Kammer keinen Grund, den Anspruch 1 in seiner derzeitigen Breite unter Artikel 83 EPÜ zu beanstanden.

4. Artikel 54 EPÜ

4.1 Warum die Entgegenhaltungen E1, E2 und E3 der Neuheit des Anspruchs 1 entgegenstehen sollten, wurde von der Beschwerdegegnerin weder in ihrer Beschwerdeerwiderung, noch in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer näher erklärt. Auch wurden keine Argumente oder Gründe angegeben, weshalb die angefochtene Entscheidung der Einspruchsabteilung aufgehoben werden sollte. Somit enthält die Beschwerdeerwiderung entgegen Artikel 12(2) VOBK keinen vollständigen Sachvortrag bezüglich der Neuheit gegenüber E1, E2 und E3. Die Kammer sieht keinen Grund, die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung diesbezüglich anzuzweifeln. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist daher neu gegenüber E1, E2 und E3.

4.2 Die Merkmale der in Anspruch 1 des Streitpatents beanspruchten Formassen sind in E7 in Form einer Kombination der Ansprüche 2, 5 und 7 offenbart. Da jedoch Anspruch 7, der ein Polytetrahydrofurandiamin, d.h. ein Polyetherdiamin im Sinne von Anspruch 1 des Streitpatents definiert, lediglich als von Anspruch 2 abhängig formuliert ist, müsste der Fachmann eine Auswahl bezüglich der Monomere des Polyetheramids treffen, um die beanspruchte Formmasse bereitzustellen. Eine weitere Auswahl ist bezüglich der Gewichtsprozente der Komponenten zu treffen, d.h. der Fachmann müsste aus den in Anspruch 1 von E7 definierten Zusammensetzungen die auswählen, bei der 95 Gew.-% Polyamidelastomere und 5 Gew.-% des modifizierten Copolyolefins zum Einsatz kommen. Die allgemeine Lehre oder die Beispiele von E7 offenbaren die beanspruchten Polyetheramide auch nicht in konkreter Form, ohne dass eine Auswahl aus mehreren Monomeren zu treffen wäre. Die Kombination von 95 Gew.-% Polyamidelastomeren und 5 Gew.-% modifiziertem Copolyolefin ist in E7 auch nicht konkret offenbart.

Folglich führt die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung zu E7 aus, dass aus diesem Dokument eine zweifache Auswahl notwendig wäre, um zum Gegenstand von Anspruch 1 des damals geltenden Hauptantrags zu kommen (Punkte 3.2.3 und 3.2.4). Aus diesem Grund entschied die Einspruchsabteilung, die Neuheit des Anspruchs 1 gegenüber E7 anzuerkennen. Die Beschwerdeerwiderung (Seiten 11 und 12) enthält zwar eine Merkmalsanalyse von Anspruch 1 gegenüber E7. Sie führt aber nicht aus, inwiefern die Begründung der Einspruchsabteilung über die Auswahlsituation falsch wäre. Im Hinblick auf die Begründung der Einspruchsabteilung sieht die Kammer keinen Grund, die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung diesbezüglich anzuzweifeln. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist daher neu gegenüber E7.

4.3 E8 betrifft eine Mischung aus Polymeren (A) mit Polyamidblöcken und Copolymeren (B), die vinylaromatische sowie Carboxylsäureanhydrideinheiten umfassen (Spalte 1, Zeile 66 bis Spalte 2, Zeile 1).

4.3.1 Das Copolymer (B) kann gemäß E8 verschiedene vinylaromatischen Verbindungen enthalten. Das ungesättigte Carbonsäureanhydrid kann dabei auch Maleinsäureanhydrid sein (Spalte 3, Zeilen 56 bis 58). Das Mischungsverhältnis der Polymere (A) zu den Copolymeren (B) gemäß E8 ist in Spalte 2 angegeben. Hiernach beträgt der Gehalt an Copolymer (B) zwischen 1 und 5 Gewichtsteilen, während der Gehalt an Polymer (A) zwischen 99 und 95 Gewichtsteilen der Mischung ausmacht.

4.3.2 Die Polyamidblöcke-umfassenden Polymere (A) können Polyetherblöcke aufweisen (Spalte 2, Zeilen 24 bis 25) und lassen sich durch Polykondensation von Polyamidsequenzen mit Carboxylterminierten Ketten und Polyoxyalkylensequenzen, die Diaminterminiert sind, darstellen (siehe Spalte 2, Zeilen 28 bis 31 und 35 bis 39). Die für diese Reaktion verwendeten Polyamidsequenzen lassen sich wiederum durch Kondensation von Dicarbonsäuren und Diaminen herstellen (Spalte 2, Zeilen 43 bis 46).

4.3.3 Es wurde aber in der Beschwerdeerwiderung sogar von der Beschwerdegegnerin selbst anerkannt, dass E8 bezüglich des Polymers (A) die genaue Anzahl der C-Atome der verwendeten Diamine und Disäuren zur Herstellung der Polyamidblöcke im Polyetheramid nicht offenbart (Seite 17, zweiter Absatz). Die im Anspruch 1 des Streitpatents beanspruchten Zahlenbereiche der C-Atomen der Diamine und Disäuren können demzufolge nicht als ein Teilbereich aus einem in E8 offenbarten größeren Bereich angesehen werden. Somit liegt bezüglich der zwei Zahlenbereiche betreffend dre Anzahl an C-Atomen der Diamine und Disäuren im Anspruch 1 des Streitpatents auch keine Auswahlsituation aus Parameterbereichen vor, wie von der Beschwerdeführerin behauptet.

4.3.4 E8 wurde von der Einspruchsabteilung nicht in das Verfahren zugelassen, weil E8 kein Polyetheramid nach Anspruch 1 des Streitpatents in Kombination mit einem Copolymeren von Maleinsäureanhydrid oder Glycidylacrylat offenbaren würde (Entscheidung vom 01. April 2010, Punkt 2, Seite 3). Aus der Beschwerdeerwiderung ist nicht zu entnehmen, inwiefern E8 eine solche Kombination offenbare und inwiefern die Einspruchsabteilung ihr Ermessen diesbezüglich nicht korrekt ausgeübt hätte. Die Kammer sieht keinen Grund, von der Entscheidung der Einspruchsabteilung, E8 nicht ins Verfahren zuzulassen, abzuweichen.

5. Artikel 56 EPÜ.

5.1 Das Streitpatent betrifft die Herstellung wärmeform- und hydrolysebeständiger Polyetheramid Formmassen, die eine hohe Schmelzeviskosität aufweisen und sich daher gut zu flexiblen Rohren extrudieren lassen bzw. als blasgeformte flexible Artikel eignen. Die daraus hergestellten Formteile sollten ohne Verwendung externer Weichmacher eine ausreichende, dauerhafte Flexibilität aufweisen (Absätze [0001] und [0003]).

5.2 Ähnliche Polyetheramidformmassen sind in E7 offenbart. E7 (Anspruch 1) beschreibt kälteschlagzähe und flexible thermoplastische Formmassen, bestehend aus Polymerenlegierungen (Blends) aus

A) 5-95 Gew.-% mindestens eines Polyamidelastomeren,

B) bis zu 90 Gew.-% eines Polyamides oder Gemisches von Polyamiden und

C) 5-60 Gew.-% mindestens teilweise modifizierten Copolyolefinen, wobei die Summe aller %-Ansätze gleich 100 beträgt.

Wie im Streitpatent zeichnen sich die in E7 offenbarten Formmassen durch eine im Vergleich mit Polyamidelastomeren reduzierte Wasseraufnahme und damit eine gute Hydrolysebeständigkeit (E7: Seite 4, rechte Spalte, Zeilen 18 bis 22; Streitpatent: Absätze [0035] bis [0039]), eine gute Extrudierbarkeit sowie gute Flexibilität (E7: Seite 3, linke Spalte, Zeilen 57 bis 65; Seite 4, linke Spalte, Zeilen 40 bis 46; Streitpatent: Absatz [0034]) aus. Darüber hinaus enthalten diese Formmassen keine Weichmacher (Seite 3, linke Spalte, Zeilen 53 und 54) und eignen sie sich für die Herstellung von Rohren (Seite 4, rechte Spalte, Zeile 5). E7 ist daher der nächstliegende Stand der Technik.

5.3 Auf Basis der Vergleichsversuche I formulierte die Beschwerdeführerin die gelöste technische Aufgabe als die Bereitstellung von Polyetheramidformmassen bei der das Polyetheramid die Möglichkeit der Nachkondensation zur Erhöhung der Schmelzeviskosität des Blends ermöglicht. Da diese Definition des Problems in den obenerwähnten Absätzen [0001] und [0003] nicht genannt wird, stellt sich die Frage, ob dieses Problem aus anderen Stellen im Streitpatent ableitbar ist.

5.3.1 Absatz [0005] des Streitpatents offenbart, dass "Polyetheramide auf der Basis von Caprolactam oder Laurinlactam kommen jedoch als Komponente I nicht infrage, da sie einerseits zu niedrige Schmelztemperaturen, andererseits zu niedrige Schmelzeviskositäten aufweisen". Darin wird nicht klar gemacht in welchem Zusammenhang die Schmelztemperaturen der erwähnten Polyetheramiden zu niedrig seien. Von einer Nachkondensation dieser Polyetheramide ist nicht die Rede. Somit lässt sich aus dieser Textstelle nicht ableiten, dass Polyetheramide aus Lactamen keine Nachkondensation erlauben, die beanspruchten Polyetheramide dagegen schon.

Absatz [0011] des Streitpatents offenbart, dass für eine eventuell durchzuführende Festphasen-Nachkondensation für die erfindungsgemäßen Polyetheramide im Vergleich zur aliphatischen Polyamide wie PA612, PA1010, PA1012 oder PA1212 überraschend drastische Bedingungen gewählt werden müssen (165 bis 185°C im Vergleich zu 155 bis 165°C). Diese Textstelle betrifft somit allgemeine Polyamide des Standes der Technik und die erfindungsgemäßen Polyetheramiden und erlaubt keine Rückschlüsse auf Nachkondensationstemperaturen von Polyetheramiden aus Lactamen.

5.3.2 Aus den von der Beschwerdeführerin zitierten Textstellen kann also nicht abgeleitet werden, dass die beanspruchten Polyetheramidformmassen, in Gegensatz zu Polyetheramiden aus Lactamen, die Möglichkeit der Nachkondensation bei Temperaturen, die eine signifikante Erhöhung der relativen Lösungsviskosität hervorrufen, ermöglichen.

5.3.3 Obwohl die Vergleichsversuche I darlegen, dass die Nachkondensation der Polyetheramide aus Lactamen bei Temperaturen, die eine signifikante Erhöhung der relativen Lösungsviskosität hervorrufen, nicht möglich ist, kann mangels Offenbarung dieses Effekts im Streitpatent und in der ursprünglich eingereichten Anmeldung die Aufgabe, die durch den Gegenstand von Anspruch 1 gelöst wird, nicht die einer vorteilhaften Nachkondensation sein.

5.3.4 Da deswegen die verspätet (zwei Monate vor der mündlichen Verhandlung) eingereichten Vergleichsversuche I für die Formulierung der technischen Aufgabe nicht relevant sind, werden sie nicht in das Verfahren zugelassen.

5.4 Beispiel 1 des Streitpatents zeigt, dass ein aus Hexamethylenediamin, 1,12-Dodecandisäure und Polyetherdiamin (Jeffamin D400) hergestelltes Polyetheramid zu einer Formmasse verarbeitet werden kann. Die Formmasse nach Beispiel 1 enthält auch ein teilimidisiertes Polymethacrylat aus

54,4 Gew.-% Methylmethacrylateinheiten (Monomer a),

33 Gew.-% Imideinheiten (Monomer b),

2,6 Gew.-% Methacrylsäureinheiten (Monomer c) und

1,2 Gew.-% Anhydrideinheiten (Monomer d),

einen Wärmestabilisator, einen Stabilisatorbatch und einen Farbbatch (Tabelle auf Seiten 5 und 6 der Patentschrift). Abbildung 1 zeigt die Viskositätskurve des in Beispiel 1 benutzten Polyetheramids und Abbildung 2 die der in Beispiel 1 hergestellten Formmasse, die über einen Temperaturbereich von 220°C bis 240°C eine Viskosität über 1,8 10**(2) Pas aufweist. Die Abbildungen zeigen, dass die Einarbeitung des teilimidisierten Polymethylacrylats einen Aufbau der Schmelzeviskosität bewirkt. Ein Vergleich mit Formmassen aus E7 wird jedoch nicht beschrieben.

5.5 Nach Extrusion der Formmasse aus Beispiel 1 zu einem Rohr wurde die Hydrolysebeständigkeit an diesem Rohr nach zwei Methoden durchgeführt. Bei beiden Methoden wurde in einem Zugversuch die Änderung der Reißdehnung ermittelt.

Ein Vergleich mit entsprechenden Rohren aus folgenden Materialien:

- eine Polyetheresteramid-Formmasse des Standes der Technik, die aus PA612-Blöcken mit mittlerer Molmasse von 1083 sowie aus Polytetrahydrofuranblöcken ausgehend von einem PTHF 650 mit einer mittleren Molmasse von 649 zusammengesetzt ist (etarel = 1,97) und NAUGARD® 445, CuJ-KJ-Stabilisatorbatch und Farbbatch und

- einem handelsüblichen thermoplastischen Polyetherester, der für viele vergleichbare Anwendungen als Stand der Technik anzusehen ist,

ergab, dass die Polyetheramid-Formmasse von Beispiel 1 des Streitpatents hydrolysebeständiger ist als Formmassen auf Basis von Polyetheresteramid und Polyetherester. Ein Vergleich mit Formmassen aus E7 ist jedoch nicht möglich, da die Vergleichsformmassen keine Polyetheramide nach E7 (aus Lactamen) enthalten.

5.6 Daher macht Beispiel 1 des Streitpatents lediglich glaubhaft, dass eine Formmasse nach Anspruch 1 des Hauptantrags über einen Temperaturbereich von 220°C bis 240°C eine Viskosität über 1,8 10**(2) Pas aufweist und dass sie zu hydrolysebeständigen Artikeln extrudiert werden kann. Das Streitpatent enthält aber kein einziges Beispiel, das einen fairen Vergleich der Schmelzeviskosität der Formmassen oder der Hydrolysebeständigkeit von Rohren aus der beanspruchten Formmasse mit E7 ermöglicht. Da keine Vergleichsversuche vorliegen, die gegenüber E7 eine verbesserte Wirkung hinsichtlich der Schmelzeviskosität und der Hydrolysebeständigkeit der im Streitpatent beanspruchten Formmassen belegen könnten, kann die zu lösende Aufgabe nur als das Bereitstellen weiterer extrudierbaren, hydrolysebeständigen Formmassen auf Basis von Polyetheramid gesehen werden.

5.7 Nach dem Streitpatent (Absatz [0004]) wird diese Aufgabe gelöst durch eine Formmasse, die folgende Komponenten enthält:

I. 99,9 bis 95 Gew.-Teile eines Polyetheramids auf Basis eines linearen aliphatischen Diamins mit 6 bis 12 C-Atomen, einer linearen aliphatischen oder aromatischen Dicarbonsäure mit 6 bis 12 C-Atomen und eines Polyetherdiamins mit wenigstens 3 C-Atomen pro Ethersauerstoff und primären Aminogruppen an den Kettenenden,

II. 0,1 bis 5 Gew.-Teile eines nachfolgend näher beschriebenen Copolymeren, wobei die Summe der Gew.-Teile von I. und II. 100 ergibt,

III. 0 bis 50 Gew.-%, bevorzugt 0 bis 30 Gew.-%, bezogen auf die Formmasse, an weiteren Polymeren sowie IV. 0 bis 10 Gew.-%, bezogen auf die Formmasse, an üblichen Zusatzstoffen. In Hinblick auf das Beispiel des Streitpatents kann anerkannt werden, dass die oben definierte Aufgabe durch diese Merkmale gelöst wird.

5.8 Es bleibt zu untersuchen, ob die in Anspruch 1 vorgeschlagene Lösung durch den Stand der Technik nahegelegt wird.

5.9 Die Bestandteile der Formmassen von E7 werden auf Seite 3, rechte Spalte, Zeile 1 bis Seite 4, linke Spalte, Zeile 25 näher beschrieben:

A) 5-95 Gew.-% mindestens eines Polyamidelastomeren, das insbesondere ein Blockpolyätherpolyamid (H) und /oder ein Blockpolyätheresterpolyamid (J) sein kann,

- wobei das Blockpolyätherpolyamid (H) von folgenden Einheiten abgeleitet sein kann:

- a) mindestens einer polyamidbildenden Komponente aus einem Lactam oder einem C6-C12 omega-Aminocarbonsäure oder einem Salz eines aliphatischen unverzweigten alpha,omega-Diamins mit einer alpha,omega-Dicarbonsäure,

- b) einem Polyätherdiamin mit vorzugsweise mindestens 3 Sauerstoffatomen, welche durch eine lineare oder verzweigte Kette von mindestens 2 Kohlenstoffatomen voneinander getrennt sind,

- c) einer linearen, aliphatischen Dicarbonsäure mit 6-13 Kohlenstoffatomen, dimerisierten Fettsäuren mit 36 Kohlenstoffatomen, oder aromatischen Dicarbonsäuren mit 8 Kohlenstoffatomen,

B) bis zu 90 Gew.-% in eines Polyamides oder Gemisches von Polyamiden und

C) 5-60 Gew.-% mindestens teilweise modifizierten Copolyolefinen aus der Gruppe (L) von Additionsprodukten von 0,5-9 Gew.-% Maleinsäureanhydrid oder Fumarsäure an Copolyolefinelastomere, hergestellt aus Äthylen, Propylen und wenigstens einem nicht konjugierten Dien mit mindestens 6 Kohlenstoffatomen.

5.10 Um aus dieser allgemeinen Offenbarung in E7 zu dem im Hauptantrag beanspruchten Gegenstand zu gelangen, müsste ein Fachmann in der in E7 offenbarten Formmasse mehrfach auswählen. Er müsste zuerst eine Formmasse mit einer Menge an Copolyolefin Komponente (B) von 5 Gew.-%, die Untergrenze der erlaubten Menge nach E7 (Seite 3, rechte Spalte, Zeile 4), auswählen, dann dieses Copolyolefin mit Maleinsäureanhydrid modifizieren und die Menge an Maleinsäureanhydrid innerhalb des beanspruchten Bereichs von 0,8 und 20 Gew.-% aus dem offenbarten Bereich 0,5 bis 9 Gew.-% auswählen (Seite 4, linke Spalte, Zeilen 17 und 18). Darüber hinaus müsste er sich zusätzlich für die Anwesenheit eines Blockpolyätherpolyamids (H) entscheiden, wobei die Komponente (H) aus a) einem Salz eines aliphatischen unverzweigten alpha,omega-Diamins mit b) einer alpha,omega-Dicarbonsäure und c) einer Dicarbonsäure mit 6-13 Kohlenstoffatomen hergestellt werden müsste.

5.11 E7 enthält aber keinen Hinweis, der den Fachmann zu dieser Auswahl führen könnte in der Erwartung, dass weitere extrudierbare und hydrolysebeständige Formmassen erhalten werden können. Zunächst ist aus E7 eine Menge von 5 Gew.-% eines mit Maleinsäureanhydrid modifizierten Copolyolefins (B) nicht zu entnehmen. Darüber hinaus zeigen die Formmassen der Beispiele von E7 gegenüber dem Polyetheramid (A) einen verhältnismäßig sehr hohen Anteil an modifiziertem Copolyolefin (C) (17 und 20 Gew.-%), und zwar deutlich höher als die im Hauptantrag des Streitpatents beanspruchte Obergrenze von 5 Gew.-%. Eine Motivation, die kleinstmöglich offenbarte Menge an modifizierten Copolyolefin von 5 Gew.-% des breit definierten Bereichs von 5 bis 60 Gew.-% (Seite 3, rechte Spalte, Zeile 4) auszuwählen, ist aus E7 nicht abzuleiten. In der konsistenten Verwendung einer Menge an modifiziertem Copolyolefin von 17 Gew.-% in den Beispielen von E7 kann die Kammer keine Motivation sehen, diese durch die insbesondere kleinstmögliche Menge von 5 Gew.-% zu ersetzen.

In den Beispielen von E7 wird die Menge an Maleinsäureanhydrid in den Copolyolefinen (C) nicht offenbart. E7 enthält auch keine Lehre über die Menge an diesem Comonomer. Es ist daher aus E7 nicht zu entnehmen, warum ein Fachmann eine Menge an Maleinsäureanhydrid innerhalb des beanspruchten Bereichs ausgewählt hätte.

Die Beispiele der E7 deuten auch alle darauf hin, ein Blockpolyätherpolyamid (H) aus einer polyamidbildenden Komponente aus Lactam (Caprolactam oder Laurinlactam) zu verwenden. Ein Anreiz, Polyetheramide aus Diamine und Dicarbonsäure zu verwenden, ist in E7 nicht enthalten.

5.12 Eine Motivation, die Mischverhältnisse der Formmassen von E7 auf 95 Gew.-% Polyetheramid und 5 Gew.-% modifiziertes Copolyolefin zu bringen, kann auch in E11 nicht gefunden werden. E11 bezweckt die Verbesserung der Verarbeitbarkeit von Polyimiden (Seite 2, Anfang Absatz 4). Die Polyimide können unter anderem mit Polyetheramide gemischt werden (Seite 10, Zeile 20), wobei die Menge an Polyimide von 1 Gew.-% bis 99 Gew.-% variiert. Ein Hinweis auf ein Mischverhältnis von 95 Gew.-% Polyetheramid und 5 Gew.-% Polyimide kann aus E11 nicht entnommen werden, insbesondere in Anbetracht der korrespondierenden Beispiele

5.13 220 bis 253 auf Seiten 49 bis 52, die ein Mischverhältnis von 50/50 angeben. Darüber hinaus beschreibt E11 die Reduzierung oder im wesentlichen Eliminierung der Säure- oder Anhydridfunktionalität im Imid-Polymer (Seite 2, letzter Absatz), was gegen die Lehre sowohl des Streitpatents als auch der E7 geht, die gerade den Einsatz von Anhydridfunktionalitäten beschreiben. Somit kann E11 in Kombination mit E7 nicht zur Lösung der Aufgabe führen.

5.14 Aus diesem Grund kommt E11 auch nicht als nächstliegender Stand der Technik in Betracht, ein Argumentationsansatz, der von der Beschwerdegegnerin erwähnt wurde. Da E11 erst mit der Beschwerdeerwiderung eingereicht wurde und aus dem Obenstehenden hervorgeht, dass E11 nicht relevanter als E7 ist und weder als nächstliegender Stand der Technik noch als Kombinationsdokument entscheidungserheblich ist, wird E11 nicht in das Verfahren zugelassen.

5.15 Aus diesen Gründen erfüllt der Hauptantrag die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.

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