T 1138/10 () of 19.4.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T113810.20130419
Datum der Entscheidung: 19 April 2013
Aktenzeichen: T 1138/10
Anmeldenummer: 05021949.2
IPC-Klasse: B60J 1/20
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Fensterrollo für ein Fahrzeugfenster
Name des Anmelders: HS Products Engineering GmbH
Name des Einsprechenden: BOS GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(1)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 R 67
Schlagwörter: Hauptantrag: Neuheit (ja), erfinderische Tätigkeit (nein)
Hilfsantrag: Neuheit und erfinderische Tätigkeit (ja)
Rückerstattung der Beschwerdegebühr (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Der von der Beschwerdegegnerin (Einsprechende) gegen das europäische Patent Nr. 1 645 448 eingereichte und auf den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ gestützte Einspruch führte zum Widerruf des Patents durch die am 30. März 2010 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung.

Dabei berief sich die Einspruchsabteilung u.a. auf den folgenden Stand der Technik

D1: US-A-6 086 133,

D4: DE-C-197 54 557,

D6: DE-U-20 2004 000 631.

II. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 20. Mai 2010 Beschwerde eingelegt und die Beschwerdegebühr gleichzeitig entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 28. Juli 2010 eingereicht.

III. Am 19. April 2013 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin überreichte die Auszugsseiten 359, 360 und 375 des Fachbuchs "Maschinenelemente", Band I, Konstruktion und Berechnung von Verbindungen, Lagern und Wellen, zweite neubearbeitete Auflage, 1981, nachfolgend als Dokument D10 bezeichnet.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs oder hilfsweise, die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage folgender Unterlagen:

- Ansprüche 1 bis 28 gemäß einzigem Hilfsantrag, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 19. April 2013,

- Beschreibungsseiten: 2, 5, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 19. April 2013 und 3, 4, 6 wie erteilt;

- Zeichnungen: Figuren 1-4 wie erteilt.

Des Weiteren beantragte sie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

Die Beschwerdegegnerin stellte keinen Antrag im Beschwerdeverfahren und hat mit Schreiben vom 9. April 2013 mitgeteilt, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.

IV. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag hat den folgenden Wortlaut:

Fensterrollo für ein Fahrzeugfenster mit einer Rollowelle, einer Rollobahn, welche auf die Rollowelle auf- und abwickelbar ist, und einer Antriebseinrichtung, welche eine gemeinsame Kraftübertragungseinrichtung (5, 13) mit einer Antriebswelle (13) aufweist, die beim Auf- und Abwickeln der Rollobahn (3) sowohl mit der Rollowelle (2) als auch mit dem ausziehbaren Rollobahnende (6) in Antriebsverbindung steht, wobei zwischen der gemeinsamen Kraftübertragungseinrichtung (5, 13) und dem ausziehbaren Rollobahnende (6) eine federelastische Ausgleichseinrichtung (7) vorgesehen ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Rollowelle (2) drehfest mit der Antriebswelle (13) und axial verschiebbar gegenüber der Antriebswelle (13) angeordnet ist.

Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag hat den folgenden Wortlaut:

Fensterrollo für ein Fahrzeugfenster mit einer Rollowelle, einer Rollobahn, welche auf die Rollowelle auf- und abwickelbar ist, und einer Antriebseinrichtung, welche eine gemeinsame Kraftübertragungseinrichtung (5, 13) mit einer Antriebswelle (13) aufweist, die beim Auf- und Abwickeln der Rollobahn (3) sowohl mit der Rollowelle (2) als auch mit dem ausziehbaren Rollobahnende (6) in Antriebsverbindung steht, wobei zwischen der gemeinsamen Kraftübertragungseinrichtung (5, 13) und dem ausziehbaren Rollobahnende (6) eine federelastische Ausgleichseinrichtung (7) vorgesehen ist, wobei die Rollowelle (2) drehfest mit der Antriebswelle (13) angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Rollowelle (2) axial verschiebbar gegenüber der Antriebswelle (13) angeordnet ist, wobei die Rollowelle (2) ein Innengewinde (36) aufweist, welches drehbar auf einem am Fahrzeug, insbesondere an der Fahrzeugtür ortsfest angeordneten Außengewinde (28) sitzt.

V. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin kann wie folgt zusammengefasst werden:

Zum Hauptantrag

Der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt sei neu gegenüber dem in der Druckschrift D1 offenbarten Fensterrollo. Zuerst sei entgegen dem Verständnis der Einspruchsabteilung festzustellen, dass eine drehfeste Verbindung zwischen Rollowelle und Antriebswelle, wie es das erste Merkmal des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 verlange, der Druckschrift D1 nicht zu entnehmen sei. Das in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Dokument D10 belege eindeutig (vgl. insbesondere Seite 360, zweiter Absatz: "Festigkeit: Jede drehfeste Verbindung … der Gestaltfestigkeit der Welle…"), dass der Begriff "drehfest" auf dem für den Fachmann hier relevanten Gebiet der Maschinenelemente eng zu interpretieren sei und keine Relativbewegung zwischen zwei in drehfester Verbindung stehenden Elementen zulasse. Die einzige Verbindung zwischen der Antriebswelle ("drive shaft 85B") und der Rollowelle ("shade tube 79B") sei in D1 über die Rotationsfeder in Form einer Schraubenfeder ("helical spring 91A,91B") gegeben. Da diese Feder relativ weich ausgeführt sei, um nur eine geringe Kraft auf die Rollowelle auszuüben (vgl. D1: Spalte 8, Zeilen 26-31: "mild"), könne über diese Rotationsfeder 91A,91B kein Drehmoment übertragen werden. Die Einspruchsabteilung sei der Auffassung gewesen, dass diese Rotationsfeder zugleich drehfest und federelastisch sei. Da die Funktionen "drehfest" und "federelastisch" konträr zueinander seien, beinhalte die Argumentation der Einspruchsabteilung hier einen technischen Widerspruch.

Die Druckschrift D1 offenbare auch nicht das zweite Merkmal des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1, wonach die Rollowelle gegenüber der Antriebswelle axial verschiebbar angeordnet sei. Das axiale Spiel der Rollowelle 79A dürfe nicht als axiale Verschiebbarkeit verstanden werden. Diese Funktionalität sei in D1 überhaupt nicht vorgesehen noch werde in D1 explizit von einer Anordnung zur axialen Verschiebbarkeit gesprochen.

Der Anspruch 1 definiere zwei verzweigte Kraftpfade, die an ihren Enden offen seien. Der eine Kraftpfad befinde sich zwischen der gemeinsamen Kraftübertragungs-einrichtung und dem ausziehbaren Rollobahnende, der zweite Kraftpfad zwischen der gemeinsamen Kraftübertragungseinrichtung und der Rollowelle. Gemäß der Definition des Anspruchs 1 befinde sich die Ausgleichseinrichtung in dem ersten Kraftpfad. In D1 befinde sich die Ausgleichseinrichtung in Form der Rotationsfeder 91B nicht zwischen der gemeinsamen Kraftübertragungseinrichtung 101,105 und dem ausziehbaren Rollobahnende 9B (erster Kraftpfad), sondern zwischen der gemeinsamen Kraftübertragungs-einrichtung 101,105 und der Rollowelle 79B (zweiter Kraftpfad).

Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit. Dadurch, dass gemäß der vorliegenden Erfindung eine axiale Verschiebbarkeit der Rollowelle gegenüber der Antriebswelle vorgesehen sei, könnten mit dem erfindungsgemäßen Fensterrollo Fenster mit einer Geometrie abgedeckt werden, die von der Rechteckform abweiche, zum Beispiel in Form eines Parallelogramms. Wenn die Druckschrift D1 als nächstkommender Stand der Technik angesehen und die Lehre der Druckschrift D4, in der grundsätzlich ein axiales Spiel der Rollowelle offenbart sei, berücksichtigt werde, könne eine Zusammenschau dieser Druckschriften nicht in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand führen. Denn auch bei einem breiten Verständnis der axialen Verschiebbarkeit in der Form eines axialen Spiels würde der Fachmann die Lehren beider Druckschriften als nicht kombinierbar erachten. Es bestehe nämlich eine Funktionskollision zwischen der Rotationsfeder 91A,91B, die aufgrund ihrer Konstruktion eine axiale Verschiebung der Rollowelle unterbinde, und der Lehre der D4, wonach zur Begrenzung der Verschiebbarkeit der Rollowelle Anschlagnasen 17 vorgesehen seien. Der Kontakt der Rollowelle mit diesen Anschlägen 17 würde Reibungskräfte erzeugen, welche im Zusammenspiel mit den Kräften der Rotationsfeder Funktionsstörungen, z.B. in Form eines Klapperns, verursachten. Würde der Fachmann eine Kombination in Betracht ziehen, wäre er somit auf technische Schwierigkeiten gestoßen, die nicht durch einfache handwerkliche Maßnahmen beseitigt werden könnten.

Zum Hilfsantrag

Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag bestehe aus der Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 16. Die hinzugefügten Merkmale aus dem erteilten Anspruch 16 ermöglichten eine aktive vorbestimmte axiale Verschiebung der Rollowelle gegenüber der Antriebswelle, um auch Fenster mit schwierigen Geometrien abdecken zu können, die von der Rechteckform abweichten. Zwar zeige die Druckschrift D6 eine Gewindeführung zur Verschiebung einer Rollowelle, jedoch sei diese bei einem manuell betätigbaren Rollo eingesetzt. Eine solche Gewindeführung sei nicht ohne Weiteres bei einem automatischen aus der D1 bekannten Fensterrollo einsetzbar, denn die Rotationsfeder 91A, 91B blockiere jegliche Verschiebung der Rollowelle, die das Maß eines axialen Spiels (vgl. D4) überschreite.

Zur Rückerstattung der Beschwerdegebühr

Wie dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zu entnehmen sei, wurde in der mündlichen Verhandlung von der Patentinhaberin im Rahmen ihrer Bemühungen, die erst in der mündlichen Verhandlung erhobenen Einwände im Sinne einer der Verfahrensökonomie zuträglichen Handlung zu beheben, angeboten, einen deutlich eingeschränkten Anspruch als Hilfsantrag 2 einzureichen. Bei den durchgeführten Änderungen des Hilfsantrags 2 habe es sich ausschließlich um die Kombination von Unteransprüchen gehandelt, welche das Prüfungsverfahren durchlaufen hätten. Daraufhin wurde die Patentinhaberin mit dem Einwand der Einspruchsabteilung konfrontiert, dass der Gegenstand des neu eingereichten Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 im Einspruchsverfahren nicht klar sei. Da es Aufgabe der mit der Prüfung beauftragten Instanz sei, unter anderem auch die Einhaltung der Klarheitskriterien aller Ansprüche zu prüfen, sei die Patentinhaberin zum Zeitpunkt der Erstellung des Hilfsantrags 2 im Einspruchsverfahren davon ausgegangen, dass kein Klarheitsproblem vorliege, da es sich um bereits geprüfte Unteransprüche handele. Die Erhebung eines solchen Einwandes erstmalig im Einspruchsverfahren sei demnach für die Patentinhaberin überraschend gekommen. Deshalb habe sie beantragt, einen geänderten Anspruchssatz einzureichen, welcher dem Verständnis der Einspruchsabteilung hinsichtlich der Klarheit des Hilfsantrags 2 im Einspruchsverfahren Rechnung trage. Der Patentinhaberin wurde jedoch die Erstellung und die Einreichung eines weiteren Hilfsantrags verwehrt, da nach Meinung der Einspruchsabteilung ein solcher neuer Hilfsantrag der Einsprechenden nicht zumutbar gewesen sei. Die Zurückweisung des Antrags auf Einreichung eines weiteren Hilfsantrages habe der Patentinhabern die Möglichkeit verwehrt, zum ersten Mal auf den erstmalig erhobenen Einwand der mangelnden Klarheit bereits geprüfter Unteransprüche strukturell durch entsprechende Änderungen zu reagieren. Damit sei durch die Zurückweisung des Antrags auf Einreichung eines dem Klarheitseinwand begegnenden Hilfsantrags das rechtliche Gehör der Patentinhaberin verletzt worden.

An dieser Stelle sei auch darauf hingewiesen, dass die Zulassung eines Hilfsantrags im Einspruchsverfahren, welcher auf den erstmaligen Klarheitseinwand eingehe, möglicherweise dieses Beschwerdeverfahren hätte vermeiden können. Der Antrag sei demnach als weiterer Versuch der Patentinhabern zu verstehen, die Verfahrensökonomie unter der eventuellen Vermeidung eines Beschwerdeverfahrens zu beachten, so dass die Rückerstattung der Beschwerdegebühr gerechtfertigt sei.

VI. Auf das Einreichen der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdegegnerin mit dem am 18. Januar 2011 eingegangenen Schreiben erklärt, dass sie beschlossen habe, im vorliegenden Verfahren in der Sache nicht mehr Stellung zu nehmen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag

2.1 Neuheit gegenüber D1

2.1.1 Es stellt sich die Frage, ob das Merkmal des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 bezüglich der drehfesten Anordnung der Rollowelle mit der Antriebswelle aus der Druckschrift D1 bekannt ist. In Zusammenhang mit dieser Frage ist die Auslegung des Begriffs "drehfest" entscheidend.

Das Ausführungsbeispiel der Erfindung in der Figur 2 des umstrittenen Patents in Verbindung mit der zugehörigen Textstelle in den Zeilen 5-6, Spalte 6: "Die Wanderwelle 30, welche drehfest mit der Verlängerung 29 der Antriebswelle 13 verbunden ist,…" lässt keine andere Auslegung für den im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 verwendeten Begriff "drehfest" zu, als dass eine begrenzte relative Drehung zwischen der Antriebswelle 13 und der in Drehrichtung formschlüssig mit der Wanderwelle 30 verbundenen Rollowelle 2 möglich sein muss. Bei diesem zweifelsohne vom Anspruch 1 des umstrittenen Patents gedeckten Ausführungsbeispiel ist eine Rollfeder bzw. Spiralfeder 15 zwischen der Rollowelle 2 und der Antriebswelle 13 angeordnet, welche als eine in Drehrichtung federelastische Ausgleichseinrichtung 7 im Sinne des Anspruchs 1 wirkt (Spalte 5, Zeilen 4-7 der europäischen Patentschrift). Innerhalb der begrenzten Federausgleichbewegungen dieser Ausgleichseinrichtung 7 ist somit die Rollowelle "drehfest" mit der Antriebswelle verbunden. Das von der Beschwerdeführerin zitierte Dokument D10, das eine engere und zugegebenermaßen üblichere Auslegung des Begriffes "drehfest" enthält, bezieht sich auf eine Verbindung zwischen Welle und Nabe und kann die obige Feststellung nicht in Frage stellen. Dieses Dokument ist somit nicht als Lexikon für den umstrittenen Begriff "drehfest" im Kontext des Streitpatents verwendbar.

Die Einspruchsabteilung hat unter Punkt 2.4 der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt, wie beim Fensterrollo nach der Figur 9 der Druckschrift D1 (ähnlich wie bei den Ausführungsbeispielen nach den Figuren 2 und 3 des umstrittenen Patents und abgesehen von begrenzten Federausgleichbewegungen (vgl. helical spring 91B)) die Rollowelle (shade tube 79B) mit der Antriebswelle (drive shaft 85B) "drehfest" angeordnet ist.

2.1.2 Die Druckschrift D1 zeigt zweifelsohne eine gemeinsame Kraftübertragungseinrichtung mit einer Antriebswelle (Spalte 9, Zeilen 42-47: "main gear 101" in Figur 9), die beim Auf- und Abwickeln der Rollobahn 7 sowohl mit der Rollowelle 79B als auch mit dem ausziehbaren Rollobahnende 9B in Antriebsverbindung steht.

2.1.3 Auch bezüglich des Orts der Ausgleichseinrichtung folgt die Kammer der Auffassung der Einspruchsabteilung. Der im Anspruch 1 verwendete Wortlaut "zwischen der gemeinsamen Kraftübertragungseinrichtung (5, 13) und dem ausziehbaren Rollobahnende (6)" definiert nicht einen einzigen und eindeutigen Antriebspfad. In der Spalte 5, Zeilen 7-22 des umstrittenen Patents ist erwähnt, dass der Antriebspfad zwischen der gemeinsamen Kraftübertragungseinrichtung 5,13 und dem ausziehbaren Rollobahnende 6 auch über die zwischen Antriebswelle 13 und Rollowelle 2 vorgesehene federelastische Ausgleichseinrichtung 7 verlaufen kann. Auch in der Druckschrift D1 überträgt die Roll- bzw. Spiralfeder 91A oder 91B Drehmomente auf die Rollowelle 79A,79B, und zwar zumindest beim Aufwickeln der Rollobahn, denn die angetriebene Rollobahnende kann alleine das Aufwickeln der Rollobahn nicht bewerkstelligen. Da zumindest ein Antriebspfad über die Ausgleichsfeder 91B und die Rollobahn 7 zum Rollobahnende 9B verläuft, ist auch in D1 die Ausgleichseinrichtung (Feder 91B) zwischen der gemeinsamen Kraftübertragungseinrichtung 101 und dem Rollobahnende 9B vorgesehen.

Darüber hinaus ist festzustellen, dass die "und/oder" Formulierung des erteilten abhängigen Anspruchs 2 die These der Beschwerdeführerin widerlegt, wonach der Oberbegriff des erteilten Anspruchs 1 bedeute, dass die federelastische Ausgleicheinrichtung ausschließlich im Antriebspfad zwischen der gemeinsamen Kraftübertragungseinrichtung und dem ausziehbaren Rollobahnende vorgesehen sei.

2.1.4 Schließlich bleibt die Frage, ob das zweite Merkmal des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 (axiale Verschiebbarkeit der Rollowelle) neu gegenüber der Druckschrift D1 ist. Die Rechtsprechung der Beschwerdekammern geht von einem engen Neuheitsbegriff aus. Insbesondere muss das umstrittene Merkmal eines beanspruchten Gegenstands als Ganzes eindeutig und unmittelbar aus dem Inhalt des entgegengehaltenen Standes der Technik hervorgehen. Nach Auffassung der Kammer erfüllt der Inhalt der Druckschrift D1 nicht dieses Erfordernis und die Ausführungen der Einspruchsabteilung zur axialen Verschiebbarkeit der Rollowelle gegenüber der Antriebswelle resultieren aus Überlegungen, die über den objektiven impliziten Inhalt der Druckschrift D1 hinausgehen. Dieses Merkmal wird daher von der Kammer als einziges Unterscheidungsmerkmal in Vergleich zur D1 betrachtet.

2.2 Erfinderische Tätigkeit

2.2.1 Ausgehend vom Fensterrollo nach der Druckschrift D1 als nächstkommendem Stand der Technik darf die technische Aufgabe, die sich aus dem oben genannten Unterscheidungsmerkmal (Verschiebbarkeit der Rollowelle) herleiten lässt, nicht zu spezifisch formuliert werden: Da das Unterscheidungsmerkmal über das Ausmaß der Verschiebbarkeit keine Angabe enthält, ist eine zu eingeschränkte Formulierung der Aufgabe (das Abdecken von Fenstern mit schwierigen Geometrien), wie von der Beschwerdeführerin vorgeschlagen, nicht gerechtfertigt. Vielmehr kann im vorliegenden Fall als objektive Aufgabe die Optimierung der Lagerung der Rollowelle in Hinblick auf die Funktionalität des automatischen Fensterrollos nach D1 angesehen werden.

2.2.2 In der Druckschrift D4 ist ein Fensterrollo mit einer auf einer Lagerwelle 3 gelagerten Rollowelle 1 beschrieben, wobei zur Herabsetzung der Gefahr von Fehlfunktionen (Spalte 1, Zeile 65 bis Spalte 2, Zeile 1), insbesondere zur Ausschließung von Funktionsstörungen und zum Ausgleich von Temperaturschwankungen (Spalte 2, Zeilen 45 bis 63), vorgeschlagen wird, die Rollowelle mit einem vorgegebenen Axialspiel (S) zu lagern (vgl. kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1). In der Spalte 5, Zeilen 48-53 wird insbesondere erwähnt, dass zur Einstellung des Axialspiels S die Axialverschiebung der Rollowelle 1 auf Lagerzapfen 3a,3b durch Anschläge 17 begrenzt wird.

2.2.3 Wenn der Fachmann mit der Aufgabe konfrontiert wird, die Lagerung der Rollowelle des aus D1 bekannten Fensterrollo in Hinblick auf seine Funktionalität zu optimieren, liegt es nach Auffassung der Kammer auf der Hand, entsprechend der Lehre der Druckschrift D4 die durch Anschläge begrenzte axiale Verschiebemöglichkeit der auf Lagerhülsen 83B drehgelagerten Rollowelle 79B der Druckschrift D1 relativ großzügig auszuwählen.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin sieht die Kammer keine Funktionskollision zwischen einer derartigen verschiebbaren Lagerung der Rollowelle und der Ausgleichfunktion der Rotationsfeder 91A,91B von D1. Die in D1 verwendete Spiralfeder 91A (vgl. Fig. 8A) oder Schraubenfeder 91B (vgl. Fig. 14) kann auch in axialer Richtung eine gewisse Elastizität aufweisen, so dass sie eine mögliche Verschiebbarkeit nicht zwangsläufig unterbindet. Vielmehr kann sie dazu verwendet werden, die funktionsbedingten axialen Bewegungen der Rollowelle elastisch aufzufangen, ohne dass es dabei zu Kontakten mit den Endschlägen kommt.

Derartige einfache Überlegungen zur Lagerung der Rollowelle betrachtet die Kammer als naheliegende handwerkliche Maßnahmen, die den Rahmen des üblichen fachlichen Könnens des Fachmanns nicht sprengen und keine erfinderische Leistung erfordern. Sie beruhen weder auf neuen Wirkungsprinzipien, noch gehen sie über die in D1 offenbarte Funktionsweise hinaus.

2.2.4 Aus diesen Gründen kann dem Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 im Hinblick auf die naheliegende Kombination der D1 mit der D4 keine erfinderische Tätigkeit zuerkannt werden (Artikel 56 EPÜ 1973).

3. Hilfsantrag

3.1 Zulässigkeit der in den Ansprüchen durchgeführten Änderungen

Der geänderte Anspruch 1 besteht aus der Kombination sämtlicher Merkmale des erteilten Anspruchs 1 mit den Merkmalen des erteilten abhängigen Anspruchs 16. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 28 entsprechen jeweils den erteilten Ansprüchen 2 bis 15 und 17 bis 29. Die Ansprüche wurden somit nicht in der Weise geändert, dass ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht und deshalb sind die Anforderungen des Artikels 123 (2) EPÜ erfüllt. Der Schutzumfang des Patents wurde durch die Änderungen lediglich weiter eingeschränkt, so dass die Anforderungen des Artikels 123 (3) EPÜ ebenfalls erfüllt sind.

3.2 Neuheit und erfinderische Tätigkeit

3.2.1 Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag wurde gegenüber dem in D1 offenbarten Stand der Technik abgegrenzt.

Gemäß den Merkmalen des kennzeichnenden Teils ist die Rollowelle axial verschiebbar gegenüber der Antriebswelle angeordnet, wobei das Innengewinde der Rollowelle mit einem am Fahrzeug ortsfest angeordneten Außengewinde zusammenwirkt.

3.2.2 Auf diese Weise wird erreicht, dass beim Abwickeln und Aufwickeln der Rollobahn sich die Rollowelle in axialer Richtung entlang der Antriebswelle so bewegen kann, dass ein Schrägauszug und/oder unterschiedliche Breiten der Rollobahn beim Auf- und Abwickeln kompensiert werden können (vgl. Absatz [0002] der Patentschrift). Damit können auch Fenster mit schwierigen Geometrien abgedeckt werden, die von der Rechteckform abweichen.

3.2.3 Die Verwendung einer Gewindeführung zur Verschiebung einer Rollowelle ist zwar grundsätzlich bei einem manuell betätigbaren Rollo aus der Druckschrift D6 bekannt (vgl. Fig. 1: Spindel 2 mit Außengewinde und Mutter 3 mit Innengewinde). Dieses Prinzip ist jedoch nicht ohne Weiteres bei einem automatischen aus der D1 bekannten Fensterrollo einsetzbar, denn die Rotationsfeder 91A,91B würde eine das Maß eines axialen Spiels überschreitende Verschiebemöglichkeit der Rollowelle unterbinden.

3.2.4 Aufgrund der vorstehenden Überlegungen kommt die Kammer zum Ergebnis, dass der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 neu ist und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

4. Die abhängigen Ansprüche betreffen zweckmäßige Ausgestaltungen des Gegenstands des Anspruchs 1 und haben in Zusammenhang mit diesem Bestand.

5. Die Beschreibung des Streitspatents ist dem geänderten Wortlaut des Anspruchs 1 angepasst worden.

6. Rückerstattung der Beschwerdegebühr

Die Frage, ob die Einspruchsabteilung das rechtliche Gehör der Patentinhaberin verletzt hat, indem sie nach dem Einreichen des Hilfsantrags 2 keinen weiteren Hilfsantrag der Patentinhaberin in das Einspruchsverfahren zugelassen hat, darf dahingestellt bleiben, da die Beschwerdeführerin mit der Beschwerde ihren Hauptantrag auf Zurückweisung des Einspruchs aufrechterhalten hat (Verteidigung des Patents in der erteilten Fassung), so dass eine direkte Kausalität zwischen der Nichtzulassung eines möglichen weiteren Hilfsantrags im Einspruchsverfahren und das Erfordernis der Einlegung der vorliegenden Beschwerde nicht gegeben ist.

Die Kammer ist somit der Auffassung, dass die Rückzahlung der Beschwerdegebühr nicht der Billigkeit im Sinne von Regel 67 EPÜ 1973 entspricht.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geänderter Fassung mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

- Ansprüche: 1 bis 28 gemäß einzigem Hilfsantrag, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 19. April 2013;

- Beschreibungsseiten: 2, 5, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 19. April 2013;

- Beschreibungsseiten 3,4,6 wie erteilt;

- Zeichnungen: Figuren 1-4 wie erteilt.

3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

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