T 1104/10 () of 11.2.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T110410.20140211
Datum der Entscheidung: 11 Februar 2014
Aktenzeichen: T 1104/10
Anmeldenummer: 01119723.3
IPC-Klasse: B65H 29/58
B65H 29/60
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Vorrichtung zum Verteilen von flexiblen blattförmigen Gegenständen
Name des Anmelders: Heidelberger Druckmaschinen
Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: Océ-Technologies B.V.
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(3)
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit (ja)
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Neue Argumentationslinie (nicht zugelassen)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 1 190 972 zurückgewiesen worden ist, Beschwerde eingelegt.

Im Einspruchsverfahren war das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54 und 56 EPÜ 1973 angegriffen worden.

II. Am 11. Februar 2014 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

III. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

IV. Anspruch 1 des Streitpatents lautet wie folgt:

"Vorrichtung (1) zum Verteilen von flexiblen blattförmigen Gegenständen (S) in anwählbare Zielstationen (21;22;23) eines Blattgut-Bearbeitungsgerätes (2); wobei die Verteiler-Vorrichtung zwischen Blatt-Fördereinheiten (FE) der Zielstationen und einer Zuführstation (20) des Gerätes (2) angeordnet ist; wobei die Verteiler-Vorrichtung (1) mehrere starr miteinander verbundene Blatt-Umlenkelemente (11;12) aufweist, die gemeinsam mittels einer einzigen Antriebseinheit (AE) bewegbar und in den Zielstationen (21;22;23) zugeordnete Weichenstellungen bringbar sind und wobei zwei Blatt-Umlenkelemente (11;12) vorgesehen sind, die beidseitig, radial beabstandet zur Drehachse (D) einer gemeinsamen, schwenkbaren Halterung (10) und je mit einer ersten Blatt-Führungsfläche (F1;F1') im wesentlichen planparallel zueinander in dieser Halterung angeordnet sind, derart, dass zwischen den ersten Blatt-Führungsflächen (F1;F1') ein erster, mittlerer Blatt-Zuführweg in einer ersten mittleren Weichenstellung der Umlenkelemente (11;12) zwischen der Blatt-Zuführstation (20) und der ersten, mittleren Blatt-Zielstation (21) ausgebildet ist

dadurch gekennzeichnet,

dass eine mit der ersten Blatt-Führungsfläche (F1;F1') eine Keilspitze (E1;E1') bildende weitere Fläche einerseits am ersten, oberen Blatt-Umlenkelement (11) eine obere, zweite Blatt-Führungsfläche (F2), und andererseits am zweiten, unteren Blatt-Umlenkelement (12) eine untere, dritte Blatt-Führungsfläche (F3) bildet, derart, dass bei in zweite oder dritte Weichenstellung verschwenkten Blatt-Umlenkelementen (11;12) ein zweiter oder dritter Blatt-Zuführweg zur zweiten, oberen (22) oder dritten, unteren (23) Blatt-Zielstation herstellbar ist."

V. Im Beschwerdeverfahren wurde insbesondere auf folgende Dokumente Bezug genommen:

D1: US-A-5 868 387,

D4: US-A-4 486 015.

VI. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Neuheit

Aus Anspruch 1 gehe nicht hervor, dass es sich bei der im kennzeichnenden Teil des Anspruchs genannten weiteren Fläche um die zweite bzw. dritte Blattführungsfläche handele. Auch bei Dokument D1 gebe es weitere Flächen, nämlich die Vorderflächen der Elemente 525b und 525c. Diese Flächen seien Teil der Blattführungsflächen des jeweiligen Elements und bildeten mit den Blattführungsflächen für den mittleren Pfad, also der Unterseite des Elements 525b bzw. der Oberseite des Elements 525c eine Keilspitze. Somit seien aus Dokument D1 nicht nur die Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1, sondern auch dessen kennzeichnende Merkmale bekannt. Der Gegenstand dieses Anspruchs sei deshalb nicht neu.

Erfinderische Tätigkeit

Für die Betrachtung der erfinderischen Tätigkeit sei Dokument D1 als nächstliegender Stand der Technik anzusehen. Neben den Merkmalen des Oberbegriffs des Anspruchs 1 zeige dieses Dokument auch weitere Führungsflächen, die aber, zähle man die Vorderflächen der Blattführungselemente nicht hinzu, keine Keilspitzen miteinander bildeten. Der Effekt dieser Keilspitzen sei die Verhinderung eines Papierstaus beim Umschalten der Verteilervorrichtung. Dieser Effekt sei jedoch für einen Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens sofort erkennbar. Eine Abwandlung der Blattführungselemente des Dokuments D1 derart, dass die Blattführungsflächen Keilspitzen miteinander bildeten, sei deshalb naheliegend.

Zudem finde der Fachmann eine Anregung für diese Abwandlung in Dokument D4, wo Blattführungselemente offenbart seien, deren Blattführungsflächen miteinander eine Keilspitze bildeten. Auch hier erkenne der Fachmann, dass bei einer solchen Ausgestaltung der Blattführungselemente ein Papierstau beim Umschalten vermieden werden könne, so dass es naheliegend sei, dieses Merkmal auf Dokument D1 anzuwenden.

Gehe man hingegen von der im Laufe des Prüfungsverfahrens herausgestellten Aufgabe aus, einen schonenden Papiertransport zu ermöglichen, so sei zu beachten, dass die Keilspitzen zur Lösung dieser Aufgabe keinen Beitrag leisteten und somit die Merkmale des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 bei der Feststellung der erfinderischen Tätigkeit unberücksichtigt zu bleiben hätten.

VII. Die Beschwerdegegnerin hat im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Neuheit

Die Vorderflächen der Elemente 525b und 525c des Dokuments D1 seien nicht Teil der Blattführungsflächen und hätten keine Führungsfunktion. Als Blattführungsflächen wirkten nur die nach oben bzw. nach unten weisenden Flächen dieser Elemente. Dies ergebe sich klar aus Spalte 18, Zeilen 18 bis 44, insbesondere Zeilen 40 bis 44, wo darauf hingewiesen werde, dass während des Umschaltvorgangs der Blattführungsweiche das einlaufende Papier mit den Elementen 525a bis 525d kollidieren könne. Somit bildeten die Blattführungsflächen des Dokuments D1 miteinander keine Keilspitzen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich deshalb durch seine kennzeichnenden Merkmale von diesem Dokument.

Erfinderische Tätigkeit

Bei Dokument D1 sei das Problem des Papierstaus beim Umschalten der Verteilervorrichtung schon erkannt und eine Lösung dafür bereitgestellt worden, siehe Spalte 18, Zeilen 40 bis 60. Es gebe deshalb für einen Fachmann keine Veranlassung, nach einer anderen Lösung zu suchen.

Der Fachmann würde deshalb auch Dokument D4 nicht berücksichtigen. Die in Dokument D1 vorgestellte Lösung hänge mit speziellen Dimensionen L1 und L2, siehe Figur 9 und Spalte 18, Zeilen 44 bis 60, der Blattführungselemente zusammen, so dass es keine Veranlassung gebe, durch Aufnahme von Merkmalen aus Dokument D4 von dieser Lösung wieder abzugehen. Darüber hinaus beziehe sich Dokument D4 auf eine prinzipiell anders gestaltete Vorrichtung mit unabhängig voneinander schaltbaren Blattführungselementen. Diese wirkten dabei mit den Führungsrollen 1 und 2 zusammen und bildeten mit ihnen eine untrennbare Funktionseinheit. Man könne diese Elemente also nicht losgelöst von den Führungsrollen in Dokument D1 integrieren.

Zu der verspätet vorgebrachten Argumentation der Beschwerdeführerin im Hinblick auf die im Prüfungsverfahren genannte Aufgabe könne ohne entsprechende Vorbereitung keine Stellung genommen werden.

Entscheidungsgründe

1. Neuheit

Dokument D1 offenbart eine Vorrichtung zum Verteilen von flexiblen blattförmigen Gegenständen (vgl. insbesondere Figuren 2 und 9), die alle Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 umfasst. Dies war im Beschwerdeverfahren nicht bestritten worden und ist deshalb nicht weiter zu erläutern.

Die Unterseite des Elements 525b und die Oberseite des Elements 525c der in den Figuren 2 und 9 des Dokuments D1 gezeigten Verteilervorrichtung entsprechen den Blattführungsflächen F1 bzw. F1' des Gegenstands des Anspruchs 1 und bilden, wie bei diesem, die Führungsflächen für den mittleren Blatttransportweg. Der Blatttransport erfolgt bei der Darstellung der Figur 9 von rechts nach links. Wie in Spalte 18, Zeilen 40 bis 44 des Dokuments D1 erläutert wird, kann das einlaufende Blatt mit den Vorderflächen der Elemente 525b und 525c beim Umschaltvorgang kollidieren. Diese Vorderflächen haben also keine Blattführungsfunktion und sind demnach keine Blattführungsflächen. Dokument D1 kann auch nicht so interpretiert werden, dass die Vorderflächen der Elemente 525b und 525c Bestandteil der nach oben bzw. nach unten weisenden gekrümmten Flächen dieser Elemente wären. Dies widerspräche der Definition des Begriffs "Fläche". Die Vorrichtung des Dokuments D1 ist somit nicht in Einklang mit der Definition des Anspruchs 1, dass die beiden weiteren Flächen eine obere zweite und eine untere dritte Blattführungsfläche bilden. Aus diesem Grund gibt es bei Dokument D1 also keine Blattführungsfläche, die mit einer anderen Blattführungsfläche eine Keilspitze bildet.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist deshalb neu gegenüber Dokument D1.

2. Erfinderische Tätigkeit

2.1 Dokument D1 befasst sich mit einer Dreiwege-Weiche für ein Blattführungssystem und mit dem Problem, die Gefahr eines Papierstaus beim Umschalten der Weiche zu verringern (vgl. Spalte 18, Zeilen 18 bis 44 und Figuren 2 und 9). Als Lösung für dieses Problem schlägt das Dokument eine besondere Ausgestaltung des Blatteinlasses vor und zwar mit einem unter Beachtung bestimmter Grenzen gegenüber dem Blattauslass aufgeweiteten Blatteinlass (vgl. Spalte 18, Zeilen 45 bis 65). Es gibt für einen Fachmann aufgrund dieser spezifischen Lehre keine Veranlassung, Modifikationen an dieser Lösung vorzunehmen. Insbesondere gibt es keine Veranlassung, die oberen und die unteren Blattführungsflächen der Elemente 525b und 525c jeweils so zu gestalten, dass sie miteinander eine Keilspitze bilden. Eine solche Modifikation widerspräche nicht nur den bei dieser Lösung gefundenen brauchbaren Abmessungen von L1 und L2, sondern hätte auch eine umfangreiche Abänderung des Umschaltelements zur Folge, das sich dann nicht mehr ohne weiteres als zylinderförmiges Element (vgl. Figur 2) ausführen lassen würde. Dies belegt auch Figur D der Beschwerdebegründung.

2.2 Dokument D4 bezieht sich auf eine Dreiwege-Verteilvorrichtung mit zwei unabhängig voneinander schaltbaren Blattumlenkelementen 41 und 42 (vgl. Figuren 1, 3 und 4). Diese Verteilvorrichtung ist somit prinzipiell verschieden von der in Dokument D1 gezeigten, bei der, wie auch beim Streitpatent, die Blattumlenkelemente starr miteinander verbunden sind und gemeinsam bewegt werden. Schon aus diesem Grund wird ein Fachmann nicht versuchen, die Lehren der Dokumente D1 und D4 zu kombinieren.

Darüber hinaus wirken bei der Vorrichtung gemäß Dokument D4 die Transportrollen 1 und 2 unmittelbar mit den Blattumlenkelementen zusammen, da die Umlenkelemente in Nuten dieser Transportrollen angeordnet sind (vgl. Spalte 2, Zeilen 21 bis 32). Auch dies schließt eine Kombination mit Dokument D1, wo die Blatttransportrollen nicht in Eingriff mit der Umlenkvorrichtung stehen (vgl. Figur 1), aus.

Schließlich gilt auch bei der Zusammenschau der Dokumente D1 und D4, dass der Fachmann aus den in Punkt 2.1 oben ausgeführten Gründen die Blattführungsflächen des Dokuments D1 nicht so gestalten würde, dass sie eine Keilspitze bilden. Die Tatsache, dass in Dokument D4 die Blattführungsflächen der Umlenkelemente Keilspitzen bilden, kann also dem Fachmann keine Anregung geben, die Umlenkelemente des Dokuments D1 entsprechend abzuändern.

Ausgehend von Dokument D1 gelangt ein Fachmann also weder aufgrund fachüblicher Überlegungen noch im Hinblick auf Dokument D4 in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1.

2.3 Die Beschwerdeführerin hat noch eine weitere Argumentationslinie vorgebracht, die sich auf die im Prüfungsverfahren genannte Aufgabenstellung bezog und die kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1 als irrelevant für die Lösung dieser Aufgabe und deshalb für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit als nicht zu berücksichtigen bezeichnete. Diese neue Argumentationslinie wurde erstmals in der mündlichen Verhandlung des Einspruchsbeschwerdeverfahrens angesprochen und stellt deshalb ein verspätetes Vorbringen dar.

Da das Einspruchsverfahren und das nachfolgende Einspruchsbeschwerdeverfahren ein eigenes und unabhängiges Verfahren darstellen, ist der Inhalt des vorausgegangenen Prüfungsverfahrens nicht auch Inhalt des Einspruchsbeschwerdeverfahrens. Es konnte also nicht vorausgesetzt werden, dass die Beschwerdegegnerin und die Kammer mit dieser neuen Argumentationslinie vertraut sind und die sich daraus ergebenden Fragen ohne entsprechende Vorbereitung behandeln können.

Nach Artikel 13(3) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern werden Änderungen des Vorbringens nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung nicht zugelassen, wenn sie Fragen aufwerfen, deren Behandlung der Kammer und dem anderen Beteiligten ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten ist. Diese Bestimmung trifft auf die neuen, erst in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente der Beschwerdeführerin zu, die deshalb nicht zugelassen werden können.

2.4 Somit beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 im Hinblick auf die entgegengehaltenen Dokumente D1 und D4 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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