T 0993/10 () of 6.2.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T099310.20130206
Datum der Entscheidung: 06 Februar 2013
Aktenzeichen: T 0993/10
Anmeldenummer: 04029629.5
IPC-Klasse: B60T 8/00
B60T 8/24
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Abbremsung eines Fahrzeuges
Name des Anmelders: WABCO GmbH
Name des Einsprechenden: Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit JA
Zulassung von Beweismitteln in das Beschwerdeverfahren NEIN
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die am 10. März 2010 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchs abteilung, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 1571058 zurückgewiesen wurde.

Die Einspruchsabteilung hat entschieden, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 im Hinblick auf die Kombination der Dokumente

EP 1 136 334 A1 (D1),

EP 0 871 578 B1 (D2) und

DE 101 27 828 A1 (D3)

nicht nahegelegt ist.

II. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende Beschwerde eingelegt. Mit der Beschwerde begründung hat sie das Dokument

EP 0 051 801 A2 (D8)

vorgelegt. Des Weiteren stützt sich ihre Argumentation auf das Dokument

DE 38 05 589 A1 (D5).

III. Am 6. Februar 2013 wurde mündlich verhandelt.

Die Beschwerde führerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerde gegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

IV. Der Anspruch 1 wie erteilt lautet wie folgt (Einfügung der Merkmalsgliederung in eckigen Klammern im Fettdruck durch die Kammer):

Verfahren zur Abbremsung eines Fahrzeuges (2), bei dem die Bremsanlage des Fahrzeuges (2) durch elektronische Steuerung automatisch betätigbar ist, wobei die Bremsanlage zur Vermeidung des Blockierens von Rädern (8, 9, 10, 11) von einem Antiblockiersystem (7) steuerbar ist [Merkmal A],

und wobei die Bremsanlage zur Blockiervermeidung durch das Antiblockiersystem (7) an wenigstens einer Achse (4) des Fahrzeuges (2) einen gemeinsamen Bremsdruckmodulator (12) für die Räder (8, 9) dieser Achse (4) aufweist [Merkmal B],

gekennzeichnet durch folgende Merkmale:

a) es wird geprüft, ob eine Umkippgefahr für das Fahrzeug (2) besteht [Merkmal C],

b) bei Umkippgefahr wird die Bremsanlage des Fahrzeuges (2) durch die elektronische Steuerung automatisch betätigt [Merkmal D],

c) während dieser automatischen Betätigung berücksichtigt das Antiblockiersystem (7) das Raddrehverhalten des kurveninneren Rades (8) der Achse (4) mit dem gemeinsamen Bremsdruckmodulator (12) für die Blockiervermeidung zumindest zeitweise nicht [Merkmal E].

V. Die Argumente der Beschwerde führerin lauten wie folgt:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt sei nicht erfinderisch. Dokument D2, das den nächsten Stand der Technik repräsentiere, offenbare die Merkmale A, C und D. Lediglich die Merkmale B und E würden nicht offenbart, nämlich, dass ein Bremsdruckmodulator für die Räder einer Achse vorgesehen sei und dass das kurveninnere Rad dieser Achse für die Blockiervermeidung zeitweise nicht in Betracht gezogen werde. Diese Merkmale seien indes aus Dokument D3 bekannt. Die dort beschriebene Vorrichtung weise einen Druck modulator auf und die beschriebene Ansteuerung setze sich mit dem Problem auseinander, dass es bei unterschiedlichen Reibwerten auf der rechten und linken Fahrzeugseite dann zu Problemen kommen könne, wenn für die ABS-Regelung das Rad mit dem geringen Reibwert für die Bestimmung der Bremskraft aller Räder an der Achse mit dem Druckmodulator herangezogen werde (Select-Low). In diesem Fall könne das Fahrzeug nicht mehr ausreichend gebremst werden. Ebenfalls wisse der Fachmann, dass ein höherer Schlupf nicht nur bei unterschiedlichen Reibwerten, sondern auch bei einer Kurvenfahrt mit hohem Tempo auftreten könne. Dann würden nämlich die kurveninneren Räder entlastet und die Schlupfsituation an den Rädern der Achse mit dem Druckmodulator wäre dieselbe, wie bei unterschiedlichen Reibwerten. D3 weise explizit auf diese Tatsache hin, vgl. Spalte 3, Zeilen 1 ff.

Damit würden dem Fachmann einerseits die Nachteile einer ABS-Regelung im Select-Low Verfahren vermittelt, anderer seits werde erklärt, dass eine situations abhängige Umschaltung in das Select-High Verfahren zu einer verbesserten Bremsleistung führe.

Auch ausgehend von Dokument D3 sei der Gegenstand des Anspruchs 1 nahegelegt. Dieses Dokument stelle schon deshalb einen geeigneten Ausgangspunkt für die Evaluation der erfinderischen Tätigkeit dar, da es sich – wie der Anspruch 1 des strittigen Patents – auf ein Verfahren zur Abbremsung eines Fahrzeugs beziehe und alle Merkmale des Anspruchs bis auf die automatische Auslösung des Bremssystems bei Erkennen einer Umkippgefahr offenbare. Die zu lösende Aufgabe sei in diesem Fall in der Kippvermeidung zu sehen. Mit dieser Aufgabe stoße der Fachmann zwangsläufig auf das Dokument D2, welches eine Erkennung der Umkippgefahr und eine automatische Bremsbetätigung offenbare.

Ebenfalls sei der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 durch die Kombination der Dokumente D1 und D3 nahegelegt.

Das Dokument D1 beschreibe ein Verfahren zur Verbesserung der Fahrstabilität. Übersteuern und Driften als instabile Fahrsituationen eines Fahrzeugs bei Kurvenfahrt würden durch geeignete Sensor signale erfasst und durch automatisches Einbremsen des kurvenäusseren Vorderrads werde diesen Situationen begegnet. Dabei sei dem Fachmann klar, dass in derartigen Situationen auch eine Kippgefahr bestehe und dass eine Kippgefahr auch mit hohen Quer beschleunigungs werten korreliere (vgl. D5, Seite 5, Zeilen 10 bis 13). Weiterhin beschreibe D1 eine ABS Regelung nach dem Select-Low Verfahren als nachteilig, da die damit erzielbaren Bremsverzögerungen in kritischen Fahrsituationen (my-split) relativ niedrig seien. Damit bestehe die ojektive Aufgabe in diesem Fall darin, das Verfahren gemäß D1 derart weiterzubilden, dass größere Bremskräfte an einer Achse mit nur einem Bremsmodulator möglich seien.

Zur Lösung dieser Aufgabe würde der Fachmann aus den o.g. Gründen D3 in Betracht ziehen. Im Besonderen das Außerachtlassen des kurveninneren Rads gemäß dem Select-High Verfahren aus D3, entsprechend dem Merkmal E des strittigen Anspruchs, ergänze die Lehre der D1 derart, dass der Fachmann ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelange.

Das Dokument D8 sei erst für das Beschwerdeverfahren nachrecherchiert worden und müsse in das Verfahren zugelassen werden, da es prima facie relevant sei. Es setze sich mit Fahrzeugen auseinander, die einen Druckmodulator für mehrere Räder aufwiesen, und es diskutiere das Problem der Kurvenfahrt und der Entlastung des kurveninneren Hinterrads. Dieses eben würde bei der Vorrichtung gemäß D8 nicht in Betracht gezogen werden. Damit aber würde die Kombination von D2 mit D8 die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 in Frage stellen.

VI. Die Beschwerdegegnerin begegnete diesen Argumenten wie folgt:

D2 stelle den nächsten Stand der Technik dar, da dieses Dokument sowohl einen automatischen Bremseingriff als auch die Erkennung einer Umkippgefahr behandele.

Insofern werden in D2 die Merkmale A, C und D offenbart. Die objektive Aufgabe bestehe darin, die Fahrsicherheit von Zugmaschine-Sattelaufliegerzügen bei Umkippgefahr zu verbessern.

D3 befasse sich mit der Optimierung der Bremsung unter so genannten my-split Bedingungen. Der Fachmann würde das Dokument D3 nicht in Betracht ziehen, da es sich nicht mit der Umkippgefahr befasse. Soweit D3 überhaupt Kurvenfahrten berücksichtige (vgl. Paragraph [0011]), so erhalte der Fachmann den Hinweis, dass bei Kurvenfahrten die Umschaltung auf den Select-High Modus insofern nachteilig sei, als dass bei hohen Reibwerten das Risiko eines Reifenschadens bestehe. Paragraph [0017] ergänze diesbezüglich, dass eine Umschaltung auf den Select-High Modus nur bei niedrigen Reibwerten vorzunehmen sei. Mit dieser Information aber würde der Fachmann von der strittigen Erfindung weggeleitet, da die Umkippgefahr mit größer werdendem Reibwert steige. Bei geringen Reibwerten sei die Kippgefahr geringer, da das Fahrzeug durch den Abriss der Haftreibung eher nach der Seite wegrutsche.

D3 könne vernünftigerweise nicht als Ausgangspunkt für eine Bewertung der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des vorliegenden Anspruchs 1 herangezogen werden. Aus D3 ginge lediglich eine übliche Bremsanlage mit einem Antiblockiersystem hervor, die über ein Bremspedal betätigt werden müsse. D3 offenbare weder die Erkennung einer Umkippgefahr noch eine automatische Bremsbetätigung. Zur Lösung der gestellten Aufgabe – nämlich die Umkippgefahr zu verringern – müsste der Fachmann zunächst erkennen, dass mit einer High-Select Regelstrategie ein Einbremsen eines kippgefährdeten Fahrzeugs möglich sei. Aus den genannten Gründen (vgl. Paragraphen [0011] und [0017]) erhalte der Fachmann aber gerade die gegenteilige Information. Die behauptete naheliegende Übertragung einer Regelstrategie für my-split Bedingungen auf die Verringerung einer Umkippgefahr beruhe somit auf einer rückschauenden Betrachtungsweise.

Auch das Dokument D1 sei kein besserer Ausgangspunkt als D2, da auch hier weder eine automatische Bremsbetätigung noch die Erkennung einer Umkippgefahr stattfinde. Das Verfahren gemäß D1 erkenne lediglich Übersteuern oder Driften und erhöhe in einer solchen kritischen Fahr situation den Bremsdruck des kurvenäußeren Rads. Da auch D3 sich nicht mit dem Umkippen beschäftige, könne nicht erkannt werden, wie die Kombination von D1 mit D3 zu einem Mangel an erfinderischer Tätigkeit führen könne.

Das Dokument D8 dürfe nicht in das Verfahren zugelassen werden, da es verspätet vorgelegt worden sei. Des Weiteren sei es nicht relevanter, als der im Verfahren befindliche Stand der Technik. Insbesondere offenbare D8 keine Umschaltung von Low-Select auf High-Select, sondern stelle ein Fahrzeug mit vier Rädern jeweils so ein, dass das Rad von den vier Rädern mit dem geringsten Schlupf bei der Bremskraftbestimmung der ABS-Regelung außer Acht gelassen werde und nur die verbleibenden 3 Räder betrachtet würden. Dies aber habe mit der Fragestellung des Streitpatents nichts zu tun. Des Weiteren offenbare D8 nicht das Merkmal B, demgemäß für (mindestens) eine Achse ein Bremsdruckmodulator vorgesehen sei, der die Räder dieser Achse gemeinsam ansteuere. Von daher fehle in der Zusammenschau der Dokumente D2 und D8 das Merkmal B, so dass eine prima facie Relevanz von da her schon nicht gegeben sein könne. Im Übrigen werfe dieses Dokument in der Kombination mit D2 dieselben Fragestellungen auf, wie D3, so dass D8 nicht relevanter sei als Dokument D3.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Das Dokument D8 wird nicht in das Verfahren zugelassen, da es nicht prima facie hochrelevant ist.

2.1 Gemäß Art. 12 (4) Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK, ABl. EPA 2007, 536 ff.) hat die Kammer die Befugnis, Tatsachen, Beweismittel oder Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können.

Die Beschwerde führerin gab an, Dokument D8 erst für das Beschwerdeverfahren recherchiert zu haben. Gründe, die es ihr unmöglich gemacht hätten, dieses Dokument nicht schon im erstinstanzlichen Verfahren vorzulegen, sind nicht vorgebracht worden. Daher hat die Kammer das Ermessen, das Dokument D8 nicht in das Verfahren zuzulassen.

Gemäß der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts werden neue Dokumente und diesbezügliche Argumente, die über die gemäß Regel 55 c) EPÜ 1973 in der Einspruchsschrift zur Stützung der geltend gemachten Einspruchsgründe angegebenen Tatsachen und Beweismittel hinausgehen, in pflichtgemäßer Ausübung des Ermessens der Kammer nur in ausgesprochenen Ausnahmefällen und nur dann in das Verfahren zugelassen, wenn die Dokumente prima facie insofern hochrelevant sind, als sie mit gutem Grund eine Änderung des Verfahrensausgangs erwarten lassen, also höchstwahrscheinlich der Aufrechterhaltung des europäischen Patents entgegenstehen, vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 6. Auflage, VII.C.1, insbesondere 1.2.2.

2.2 Die Kammer ist dabei - im Widerspruch zu der Meinung der Beschwerde führerin - der Auffassung, dass D8 das Merkmal des Anspruchs „und wobei die Bremsanlage zur Blockiervermeidung durch das Antiblockiersystem (7) an wenigstens einer Achse (4) des Fahrzeuges (2) einen gemeinsamen Bremsdruckmodulator (12) für die Räder (8, 9) dieser Achse (4) aufweist“ nicht offenbart.

Die beiden in D8 gezeigten Ausführungsbeispiele sind in Fig. 1 und 2 gezeigt. Das erste Ausführungs beispiel der Fig. 1 zeigt einen gemeinsamen Druckmodulator für alle Räder des Fahrzeugs; das zweite Ausführungs beispiel zeigt jeweils einen gemeinsamen Druckmodulator für jeweils gegenüberliegende Räder. Insofern ist die in D8 betrachtete Situation eine andere, als die in der strittigen Erfindung.

Daher ist die Kammer der Auffassung, dass D8 nicht so relevant ist, als dass es mit gutem Grund eine Änderung des Verfahrensausgangs erwarten ließe.

3. Die durch den Anspruch 1 definierte Erfindung weist eine erfinderische Tätigkeit gemäß Art. 56 EPÜ 1973 auf.

3.1 Das Dokument D2 stellt den nächsten Stand der Technik dar, da es sich als einziges Dokument im Verfahren mit der Problematik des Umkippens beschäftigt. Ebenfalls offenbart D2 als einziges Dokument im Verfahren einen automatischen Bremseingriff. Damit sind die wesentlichen Aspekte, die den Ausgangspunkt einer Erfindung definieren, in D2 genannt, so dass D2 das erfolgversprechendste Sprungbrett zur Erfindung darstellt.

Insbesondere offenbart D2 unstrittig die Merkmale A, C und D des Anspruchs 1.

3.2 Demnach unterscheidet sich D2 von dem erfindungsgemäßen Verfahren dadurch, dass

B) die Bremsanlage zur Blockiervermeidung durch das Antiblockiersystem (7) an wenigstens einer Achse (4) des Fahrzeuges (2) einen gemeinsamen Druckmodulator (12) für die Räder (8,9) dieser Achse (4) aufweist, und dass

E) während der automatischen Betätigung der Bremsanlage das Antiblockiersystem (7) das Raddrehverhalten des kurveninneren Rades (8) der Achse (4) mit dem gemeinsamen Bremsdruckmodulator (12) für die Blockiervermeidung zumindest zeitweise nicht berücksichtigt.

3.3 Das Problem einer unzureichenden Bremsleistung gemäß dem Select-Low Modus tritt nur bei Fahrzeugen auf, die einen gemeinsamen Druckmodulator für mehrere Räder des Fahrzeugs aufweisen (vgl. Merkmal B).

Daher besteht die durch die mit den o.g. Merkmalen zu lösende objektive Aufgabe darin, die Umkippgefahr bei Fahrzeugen zu reduzieren, die Räder einer Achse mit einem gemeinsamen Druckmodulator ansteuern.

3.4 Die Beschwerde führerin führt aus, D3 offenbare ebenfalls ein Fahrzeug mit einem Druckmodulator gemäß Merkmal B). Des Weiteren diskutiere D3 eine Umschaltung vom Select-Low Modus in den Select-High Modus, da dem Fachmann das Problem unzureichender Bremsleistung bekannt sei, wenn sich die ABS-Regelung an dem Rad orientierte, welches den größten Schlupf aufweise. Damit sei aber der Gegenstand des Anspruchs 1 durch die Kombination der Dokumente D2 und D3 nahegelegt.

Die Kammer teilt diese Auffassung nicht.

Das Dokument D3 setzt sich mit einer Regelstrategie für my-split Bedingungen auseinander und betrachtet insbesondere Probleme einer High-Select Regelung in diesem Zusammenhang. Dabei weist insbesondere auch die von der Beschwerde führerin genannte Textstelle in Paragraph [0011] explizit auf die Nachteile einer Umschaltung vom Select-Low Modus in den Select-High Modus hin. Dort ist vor allem genannt, dass es Fahr situationen geben kann, in denen kurveninnere Räder derart entlastet sind, dass eine Select-High Regelung, bei der das Raddrehverhalten des kurveninneren Rades für die Blockiervermeidung nicht berücksichtigt wird (vgl. Merkmal E), zu erheblichen Reifenschäden führen kann. Daher schlägt D3 vor, eine Umschaltung in den Modus, bei dem das Raddrehverhalten des kurveninneren Rades für die Blockiervermeidung nicht berücksichtigt wird, erst bei geringen Reibwerten vorzunehmen, so dass Reifenschäden ausgeschlossen sind, vgl. Paragraph [0017]. Damit aber steht die Aussage von D3 im Widerspruch zum Merkmal E des strittigen Anspruchs. Da bei einer Umkippgefahr das kurveninnere Rad entlastet wird - und damit genau der in Paragraph [0011] der D3 beschriebene Nachteil eintritt - kann der Fachmann dem Dokument D3 eben nicht die Lehre entnehmen, die Raddrehzahlen des entlasteten kurveninneren Rads zeitweise für die Blockiervermeidung nicht zu berücksichtigen.

Dies gilt umso mehr, als dass die Umkippgefahr mit abnehmendem Reibwert sinkt, da dann bei hohen Querbeschleunigungen das Fahrzeug eher dazu neigt, zur Seite wegzurutschen als umzukippen. Gerade aber bei hohen Reibwerten, wenn die Umkippgefahr besonders hoch ist, rät D3 dem Fachmann davon ab, den Select-High Modus zu verwenden bei dem das Raddrehverhalten des kurveninneren Rades für die Blockiervermeidung nicht berücksichtigt wird.

Daher kommt die Kammer zu dem Schluss, dass die Kombination der Dokumente D2 und D3 den Fachmann nicht zu Merkmal E führen und folglich den Gegenstand des strittigen Anspruchs 1 nicht nahelegen.

3.5 Die Beschwerde führerin hat ebenfalls vorgetragen, dass auch ausgehend von D3 die Kombination der Dokumente D3 und D2 den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nahelegten.

3.6 Das Dokument D3 offenbart ein

Verfahren zur Abbremsung eines Fahrzeuges, wobei die Bremsanlage zur Vermeidung des Blockierens von Rädern von einem Antiblockiersystem steuerbar ist, und wobei die Bremsanlage zur Blockiervermeidung durch das Antiblockiersystem an wenigstens einer Achse des Fahrzeuges einen gemeinsamen Bremsdruckmodulator für die Räder dieser Achse aufweist.

Wie oben bereits ausgeführt, offenbart - im Gegensatz zu den Ausführungen der Beschwerde führerin - D3 nicht das Merkmal E des strittigen Anspruchs, nämlich dass das Raddrehverhalten des kurveninneren Rades für die Blockiervermeidung zumindest zeitweise nicht berücksichtigt wird, da die Lehre von D3 den Fachmann davon abhält, eine Select-High Regelung für Kurvenfahrten einzustellen, bei der das kurveninnere Rad in relevantem Maße entlastet wird.

3.7 Selbst wenn man der Ausführung der Beschwerde führerin folgen wollte und annimmt, dass sich aus den unterscheidenden Merkmalen die objektive Aufgabe ergäbe, die Umkippgefahr zu verringern, so ist die Kammer der Meinung, dass - auch ausgehend von D3 - die Kombination der Dokumente D3 und D2 nicht in der Lage ist, dem Fachmann das Merkmal E nahezulegen.

3.8 Damit ist die Kombination der Dokumente D2 und D3 -unerheblich davon, welches von beiden als Ausgangspunkt herangezogen wird - nicht in der Lage, die erfinderische Tätigkeit des Anspruchs 1 wie erteilt in Frage zu stellen.

4. Die Beschwerde führerin argumentiert weiterhin, dass sich auch ausgehend von D1 in Kombination mit D3 ein Mangel an erfinderischer Tätigkeit ergebe.

4.1 Die Kammer folgt dabei nicht dem Vortrag der Beschwerde führerin, dass D1 ein automatisches Einbremsen in kritischen Fahrsituationen offenbare und dass eine Umkippgefahr letztlich eine derartige kritische Situation darstelle.

Das Dokument D1 offenbart lediglich, in kritischen Fahrsituationen wie Übersteuern oder Driften den Bremsdruck automatisch am kurvenäusseren Vorderrad zu erhöhen. Eine automatische Anpassung eines Bremsdrucks kann aber nicht als eine automatische Betätigung im Sinne des Streitpatents gesehen werden. Im einen Fall wird die Bremsanlage des Fahrzeuges automatisch durch elektronische Steuerung aktiviert, während im anderen Fall bei einer bereits durch die Pedalbetätigung aktivierten Bremsanlage der Bremsdruck an einem Rad automatisch eingestellt wird.

4.2 Des Weiteren ist dem Dokument D1 kein Hinweis zu entnehmen, dass außer den kritischen Fahrsituationen "Übersteuern" und "Driften" auch die Situation "Umkippen" zu betrachten sei. Da sich aber auch - wie oben bereits ausgeführt - auch D3 nicht mit der Umkipp-Problematik befasst, kann schon deshalb die Kombination der Dokumente D1 und D3 nicht den Gegenstand des Anspruchs 1 nahelegen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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