European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2014:T083110.20141119 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 19 November 2014 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0831/10 | ||||||||
Anmeldenummer: | 07112778.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | C01B 33/029 C01B 33/03 C01B 33/035 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren und Vorrichtung zur Herstellung von hochreinem polykristallinem Silicium mit reduziertem Dotierstoffgehalt | ||||||||
Name des Anmelders: | Wacker Chemie AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.3.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit (ja)- Umformulierung der Aufgabe (nicht nowendig) | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) hat gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung über die Zurückweisung der Anmeldung Nr. 07 112 778.1 Beschwerde eingelegt.
Die Prüfungsabteilung war zur Auffassung gekommen, dass im Hinblick auf folgende Entgegenhaltungen
D1: WO 98/40543 A1
D2: GB 1 532 649 A
D3: JP 63 225 513 A
die Anmeldung in der ursprünglichen Fassung zwar dem Erfordernis der Neuheit nach Artikel 52(1) iVm Artikel 54 EPÜ, nicht jedoch dem Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit nach Artikel 52(1) iVm Artikel 56 EPÜ genüge.
II. In der Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhebung der Entscheidung der Prüfungsabteilung und die Erteilung eines Patents auf Grundlage der ursprünglich eingereichten Unterlagen.
III. In einer Mitteilung nach Regel 100(2) EPÜ vertrat die Kammer die Auffassung, dass der Gegenstand des ursprünglichen Produktanspruchs 7 nicht erfinderisch sei und die ursprünglichen Ansprüche 7 und 8 nicht das Erfordernis der Klarheit erfüllten, der Gegenstand des Verfahrensanspruchs 1 und des Vorrichtungsanspruchs 8 jedoch das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit erfüllten.
IV. Die Beschwerdeführerin reichte einen sieben Ansprüche umfassenden geänderten Anspruchssatz, in welchem der ursprüngliche Anspruch 7 gestrichen wurde, sowie geänderte Beschreibungsseiten 1, 5, 7 und 8 ein.
V. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 7 dieses der vorliegenden Entscheidung zugrunde liegenden Antrags lauten wie folgt:
"1. Verfahren zur chargenweisen Herstellung von hochreinem polykristallinen Silicium, bei dem in einem geöffneten Abscheidereaktor ein U-förmiger Trägerkörper aus Silicium befestigt wird, der Abscheidereaktor luftdicht verschlossen wird, der U-förmige Trägerkörper durch direkten Stromdurchgang aufgeheizt wird, in den Abscheidereaktor durch eine Zuführleitung ein siliciumhaltiges Reaktionsgas und Wasserstoff eingeleitet wird, wodurch auf dem Trägerkörper Silicium aus dem Reaktionsgas abgeschieden wird, der Durchmesser des Trägerkörpers anwächst und ein Abgas entsteht, welches durch eine Abführleitung aus dem Abscheidereaktor entfernt wird, und nach Erreichen eines erwünschten Durchmessers des Trägerkörpers die Abscheidung beendet wird, der Trägerkörper auf Raumtemperatur abgekühlt wird, der Abscheidereaktor geöffnet wird, der Trägerkörper aus dem Abscheidereaktor entfernt wird und ein zweiter U-förmiger Trägerkörper aus Silicium im Abscheidereaktor befestigt wird, dadurch gekennzeichnet, dass ab dem Öffnen des Abscheidereaktors zum Ausbau des ersten Trägerkörpers mit abgeschiedenem Silicium bis zum Schließen des Reaktors zum Abscheiden von Silicium auf dem zweiten Trägerkörper ein Inertgas durch die Zuführleitung und die Abführleitung hindurch in den geöffneten Reaktor eingeführt wird."
"7. Vorrichtung zur Durchführung eines Verfahrens gemäß einem der Ansprüche 1 bis 6 umfassend eine Zuführleitung für ein Reaktionsgas (1) mit einem Absperrventil (8), welche über eine Zuführöffnung (2) durch eine Bodenplatte (3) in einen Reaktor (4) führt sowie eine Abführleitung für ein Abgas (6), welche durch eine Abführöffnung (5) in der Bodenplatte (3) des Reaktors (4) über ein Absperrventil (7) ins Freie oder zu einer Aufbereitung führt, dadurch gekennzeichnet, dass in die Zuführleitung (1) nach dem Absperrventil (8) eine Inertgasleitung (11) mündet, welche durch ein Absperrventil (10) regelbar ist und in die Abführleitung (6) vor dem Absperrventil (7) eine Inertgasleitung (11) mündet, welche durch ein Absperrventil (9) regelbar ist."
VI. Die in der angefochtenen Entscheidung vertretene Auffassung, insofern sie für die vorliegenden Ansprüche von Bedeutung ist, kann wie folgt zusammen gefasst werden:
Mit dem Verfahren nach D2 werde hochreines polykristallines Silizium hergestellt. In D2 werde auch das Spülen des Abscheidereaktors mit einem Inertgas beschrieben. Das Verfahren nach Anspruch 1 unterscheide sich hiervon, dass das Spülen bei geöffnetem und nicht bei geschlossenem Reaktor stattfinde. Während des Spülschritts gemäß Anspruch 1 könnten, im Gegensatz zu D2, keine Verunreinigung in den Abscheidereaktor eindringen, weshalb die Herstellung von hochreinem polykristallinem Silizium gewährleistet sei, da der Abscheidereatkor nicht mit unerwünschten Verbindungen in Kontakt komme. Das Spülen eines Reaktors während seines Öffnens, um eventuelle Verunreinigungen fern zu halten, sei jedoch für den Fachmann naheliegend, um das Abscheiden von hochreinem polykristallinem Silizium weiter zu entwickeln. Es sei dem Fachmann bekannt, dass ein Verfahren dadurch verbessert werden könne, dass potentielle Verunreinigungen aus einem hochempfindlichen System fern gehalten würden, anstatt sie in einem ersten Schritt in den Reaktor eindringen zu lassen, um sie dann aus dem Reaktor durch Spülen zu entfernen. Deshalb sei das Spülen des Reaktors im geöffneten Zustand für den Fachmann naheliegend. Aus diesem Grunde ermangele es dem Gegenstand von Anspruch 1 an erfinderischer Tätigkeit. Ebenso sei es für den Fachmann naheliegend, Intertgasleitungen mit Absperrventilen in die Zuführleitung und in die Abführleitung einzubauen, um den Abscheidereaktor mit Inertgas spülen zu können. Derartige Modifikationen gehörten zu den routinemäßigen Tätigkeiten des Fachmanns und könnten nicht als erfinderisch betrachtet werden. Daher genüge auch der Gegenstand von Anspruch 7 nicht dem Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit.
VII. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent aufgrund der mit Schreiben vom 6. Oktober 2014 eingereichten Ansprüche 1 bis 7 und Beschreibungsseiten 1, 5, 7 und 8 sowie der ursprünglich eingereichten Beschreibungsseiten 2 bis 4, 6 und 9 bis 14 und den ursprünglich eingereichten Zeichnungsblättern 1/6 bis 6/6 zu erteilen.
Entscheidungsgründe
1. Änderungen - Artikel 123(2) EPÜ
Die Ansprüche entsprechen den ursprünglich eingereichten Ansprüchen, nur dass Anspruch 7 gestrichen wurde und der Ausdruck "dort" in der vierten Zeile des ursprünglichen Anspruchs 8 (nunmehr Anspruch 7) gestrichen wurde und "die Bodenplatte" im nunmehrigen Anspruch 7 durch "eine Bodenplatte" ersetzt wurde. Grundlage hierfür ist insbesondere Seite 8, Zeilen 8 bis 11.
Die Bedingungen des Artikels 123(2) EPÜ sind daher erfüllt.
2. Ansprüche - Klarheit und Stütze (Artikel 84 EPÜ)
2.1 Vorrichtungsanspruch 7 - Klarheit
Die Beschwerdeführerin hat die von der Kammer in ihrer Mitteilung wegen mangelnder Klarheit der Ansprüche erhobenen Einwände ausgeräumt. Insbesondere wurde der ursprüngliche Anspruch 7 gestrichen, der Ausdruck "dort" in Zeile 4 des nunmehrigen Anspruchs 7 gelöscht sowie der bestimmte Artikel durch den unbestimmten Artikel bei "Bodenplatte" ersetzt.
Die Kammer sieht daher das Erfordernis der Klarheit nach Artikel 84 EPÜ als erfüllt an.
2.2 Ansprüche - Stütze in der Beschreibung
Die Ansprüche sind, wie in Aritkel 84 EPÜ gefordert, von der Beschreibung gestützt. Insbesondere wurde die Beschreibung daran angepasst, dass der ursprüngliche Produktanspruch 7 gelöscht wurde (vgl. Seite 7, 4. Absatz, und Seite 8, zweiter Absatz).
3. Neuheit
Die Kammer hat sich vergewissert, dass keine der Entgegenhaltungen den beanspruchten Gegenstand neuheitsschädlich vorwegnimmt.
Die Bedingungen des Artikels 54 EPÜ sind erfüllt.
4. Erfinderische Tätigkeit
4.1 Erfindung
Die Erfindung betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Herstellung von hochreinem polykristallinem Silizium mit reduziertem Dotierstoffgehalt.
4.2 Nächstliegender Stand der Technik
4.2.1 Ein Verfahren zur Herstellung von hochreinem Silizium geht aus Dokument D1 hervor, das die Kammer als Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit heranzieht.
Zwar war die Prüfungsabteilung zunächst ebenfalls von D1 ausgegangen, wie dies aus der Mitteilung vom 3. September 2008 (siehe Seite 2, Abschnitt 2.1, 1. Absatz), dem Anhang an die Ladung zur mündlichen Verhandlung (siehe Seite 1, 1. Absatz unter Punkt 2) und der Niederschrift der mündlichen Verhandlung (siehe Punkt 3) hervorgeht. In der angefochtenen Entscheidung scheint die Prüfungsabteilung hingegen von D2 als nächstliegendem Stand der Technik ausgegangen zu sein (vgl. Seite 2, 1. und 2. Absatz) und verneinte die erfinderische Tätigkeit im Hinblick auf dieses Dokument und im Lichte des allgemeinen Fachwissens.
D2 wird zwar auf Seite 5 der Anmeldung erwähnt, dieses Dokument betrifft jedoch ein Verfahren, bei dem das hochreine Silizium auf einer mit Graphit beschichteten Innenoberfläche eines Reaktors abgeschieden wird (Seite 2, Zeilen 20 bis 31; Seite 2, Zeile 130 bis Seite 3, Zeile 3).
Die Kammer zieht daher Dokument D1 dem Dokument D2 als Ausgangspunkt vor.
4.2.2 D1 betrifft ein sog. Siemens-Verfahren, bei dem ein siliziumhaltiges Reaktionsgas thermisch zersetzt bzw. durch Wasserstoff reduziert und als hochreines Silizium an dünnen Filamentstäben aus Silizium abgeschieden wird (vgl. insbesondere Fig. 1 und die Beispiele von D1). Ein solches wird auf Seite 1, Zeilen 12 bis 17 der Anmeldung erwähnt. Auch der Oberbegriff von Anspruch 1 der vorliegenden Anmeldung betrifft ein solches Verfahren.
4.3 Aufgabe
Aufgabe der Erfindung ist es, ein Verfahren zur chargenweisen Herstellung von hochreinem polykristallinem Silizium mit möglichst niedriger Dotierstoffkonzentration und möglichst hohem mittlerem spezifischem elektrischem Widerstand bereitzustellen (Seite 5, Zeilen 26 bis 31).
4.4 Lösung
Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt die Anmeldung ein Verfahren nach Anspruch 1 vor, welches dadurch gekennzeichnet ist, dass ab dem Öffnen des Abscheidereaktors zum Ausbau des ersten Trägerkörpers mit abgeschiedenem Silizium bis zum Schließen des Reaktors zum Abscheiden von Silizium auf dem zweiten Trägerkörper ein Inertgas durch die Zuführleitung und die Abführleitung hindurch in den geöffneten Reaktor eingeführt wird.
4.5 Erfolg der Lösung
Die Prüfungsabteilung stellte in ihrer Entscheidung nicht in Abrede, dass durch das Spülen ein erhöhter Reinheitsgrad des erhaltenen polykristallinen Siliziums erhalten wird (Seite 6, 3. Absatz der Zurückweisungsentscheidung).
Aus der Beschreibung geht hervor, dass beim Verfahren nach Anspruch 1 die Zu- und Abführleitung des Abscheidereaktors vor dem Eindringen umgebungsbedingter Einflüsse wie Luftfeuchtigkeit geschützt werden und Halogensilanreste aus der Zu- und Abführleitung entfernt werden, was zu einem verminderten Dotierstoffgehalt im Polysilizium-Stab und damit einem erhöhten elektrischen Widerstand führt (siehe Seite 6, Zeile 37 bis Seite 7, Zeile 8).
Es ist somit glaubhaft, dass die gestellte Aufgabe im Wesentlichen über den ganzen beanspruchten Bereich gelöst wird. Eine Umformulierung der Aufgabe erübrigt sich.
4.6 Naheliegen
4.6.1 D2 lehrt, dass vor dem Abscheiden des Siliziums der Reaktor mit einem Inertgas gespült wird (Seite 2, Zeilen 22 und 23). Dabei wird Inertgas durch die Zuführleitung (vgl. Bezugszeichen 23) in den Reaktor eingeführt und über die Abführleitung (21) wieder abgeführt. Eine Lehre dahingehend, dass das Inertgas durch die Abführleitung hindurch in den Reaktor eingeführt wird, kann D2 nicht entnommen werden. Ebenso kann D2 nicht entnommen werden, das Spülen bei geöffnetem Reaktor durchzuführen.
4.6.2 D3 lehrt (siehe Zusammenfassung), dass der Reaktor durch Inertgas gespült wird. Dies erfolgt durch die Zuführleitung (1). D3 kann aber nicht die Lehre entnommen werden, durch die Abführleitung (3) Inertgas in den Reaktor einzuleiten. Ebenso kann D3 nicht entnommen werden, das Spülen bei geöffnetem Reaktor durchzuführen.
4.6.3 Das Fehlen von erfinderischer Tätigkeit wird in der angefochtenen Entscheidung auch damit begründet, dass das Spülen des Reaktors während des Öffnens nahegelegen habe, da der Fachmann versucht hätte zu verhindern, dass Verunreinigungen beim Öffnen in den Reaktor gelangten. Die Kammer kann diesem Argument zwar grundsätzlich folgen; der Fachmann würde dann aber allenfalls Inertgas über eine bereits vorhandene Zuführleitung (vgl. Pfeile "reaction gas" in Fig. 1 von D1) in den Reaktor einleiten. Dass es jedoch nahelag, Inertgas auch über die Abführleitung in den Reaktor einzuleiten, also eine Art Rückspülung der Abführleitung durchzuführen, lässt sich aus diesen Überlegungen dagegen nicht ableiten.
4.6.4 Auch ausgehend von D2 ergibt sich der Gegenstand von Anspruch 1 nicht in naheliegender Weise, da, wie gesagt, keines der vorliegenden Dokumente das Einleiten von Inertgas durch die Abführleitung bei geöffnetem Reaktor lehrt.
4.6.5 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 1 für den Fachmann nicht nahelag.
4.7 Aus den gleichen Gründen wie für die Verfahrensansprüche ist das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit auch für den Vorrichtungsanspruch 7 erfüllt.
4.8 Die Bedingungen des Artikels 56 EPÜ sind somit erfüllt.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung der Prüfungsabteilung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, ein Patent auf der Grundlage folgender Dokumente zu erteilen:
Ansprüche: 1 bis 7 eingereicht mit Schreiben vom 6. Oktober 2014;
Beschreibung: Seiten 2 bis 4, 6 und 9 bis 14 wie ursprünglich eingereicht;
Seiten 1, 5, 7 und 8 eingereicht mit Schreiben vom 6. Oktober 2014;
Zeichnungsblätter: 1/6 bis 6/6 wie ursprünglich eingereicht.