T 0805/10 (Materialversorgung/KOENIG & BAUER) of 10.12.2012

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2012:T080510.20121210
Datum der Entscheidung: 10 Dezember 2012
Aktenzeichen: T 0805/10
Anmeldenummer: 03750283.8
IPC-Klasse: G05B 19/418
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur automatischen Materialversorgung einer Bearbeitungsmaschine
Name des Anmelders: Koenig & Bauer Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: WIFAG Maschinenfabrik AG
Kammer: 3.5.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 84
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (Hauptantrag und Hilfsantrag 1) - verneint
Klarheit (Hilfsanträge 2 und 3) - verneint
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 1546826 zu widerrufen, da der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung (Hauptantrag) als nicht neu und der Gegenstand des Anspruchs 1 eines Hilfsantrags als nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend befunden wurde. Ein zweiter Hilfsantrag wurde als prima facie nicht gewährbar nicht in das Verfahren zugelassen. In der Entscheidungsbegründung wurden u.a. die folgenden Druckschriften genannt:

D1: W. Andres: "Automatische Rollenversorgung bei MDS jetzt in Betrieb", zeitungstechnik, September 2000, Seiten 158 bis 161; und

D7: "OPS MaFlow Materialfluß im Rollenkeller und in der Weiterverarbeitung", EAE Ewert Ahrensburg Electronic GmbH, 08/98.

II. Die Patentinhaberin legte gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung Beschwerde ein und beantragte als Hauptantrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in unverändertem Umfang aufrecht zu erhalten. Hilfsweise beantragte die Beschwerdeführerin, das Patent auf der Grundlage eines von drei Hilfsanträgen, deren Anspruchssätze zusammen mit der Beschwerdeschrift eingereicht wurden, aufrecht zu erhalten. Weiterhin wurde hilfsweise eine vorläufige Stellungnahme der Beschwerdekammer und schließlich die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

III. Die einsprechende Beschwerdegegnerin beantragte in der Beschwerdeerwiderung, die Beschwerde zurückzuweisen. Weiterhin wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

IV. In einer Mitteilung zur Ladung zur mündlichen Verhandlung legte die Kammer ihre vorläufige Meinung u.a. zur Neuheit (Artikel 54 EPÜ), zur erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) und zur Klarheit (Artikel 84 EPÜ) dar und wies auf die in der mündlichen Verhandlung zu erörternden Punkte hin.

V. Die Beschwerdegegnerin nahm in einem weiteren Schriftsatz Stellung zu den vorliegenden Anträgen und der Mitteilung der Kammer.

VI. Die Beschwerdeführerin reichte mit Schreiben vom 22. November 2012 einen korrigierten Anspruchssatz des Hilfsantrags 3 ein.

VII. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 10. Dezember 2012 statt.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag) oder hilfsweise auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 21 gemäß dem ersten Hilfsantrag oder der Ansprüche 1 bis 21 gemäß dem zweiten Hilfsantrag, beide wie mit der Beschwerdeschrift eingereicht, oder auf der Grundlage der mit Schreiben vom 22. November 2012 eingereichten Ansprüche 1 bis 22 gemäß dem dritten Hilfsantrag.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

VIII. Anspruch 1 in der erteilten Fassung lautet:

"Verfahren zur Rollenversorgung einer Rollenrotationsdruckmaschine (01) mittels eines Rollenversorgungssystems (02) mit zumindest einem als Lager (21; 26) und zumindest einem als Transportsystem (19; 22; 24; 27; 31) ausgebildeten Subsystem (19; 21; 22; 24; 26; 27; 31), wobei das Transportsystem (19 ;22 ;24 ;27 ;31) von einem Steuersystem (05) gesteuert wird, dadurch gekennzeichnet, dass dem Steuersystem (05) von der Rollenrotationsdruckmaschine (01) aktuelle Produktionsdaten und von einem Produktplanungssystem (03) produktionsrelevante Plandaten für anstehende Produktionen übermittelt werden, dass es Bestandsdaten zum Lager (21; 26) erhält, und dass anhand der genannten Daten im Steuersystem (05) eine Einlagerstrategie für das Lager (21; 26) und eine Versorgungsstrategie der Bearbeitungsmaschine (01) mit Rollen entwickelt wird und das Steuersystem (05) den Lagerbestand überwacht und/oder verwaltet."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 in der erteilten Fassung dadurch, dass die Textpassage "dass dem Steuersystem (05) von der Rollenrotationsdruckmaschine (01)" durch " dass dem Steuersystem (05) von einer Maschinenleitebene (11) der Rollenrotationsdruckmaschine (01)" ersetzt ist.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 durch die Einfügung ", die Maschinendrehzahl, die Soll-Auflage und die Ist-Auflage beinhaltend," nach der Textpassage "aktuelle Produktionsdaten".

Der Hilfsantrag 3 enthält die beiden unabhängigen Ansprüche 1 und 2. Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 durch das weitere Merkmal "und dass das Steuersystem (05) zur Entwicklung und/oder der Änderung seiner Entscheidungen und Strategie immer auf aktuelle vorliegende Daten zugreift". Anspruch 2 des Hilfsantrags 3 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 durch das weitere Merkmal "dass im Steuersystem (05) anhand der produktionsrelevanten Daten eine Verbrauchsberechnung erfolgt".

IX. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Anspruch 1 des Hauptantrags - erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

1.1 Bezüglich des Anspruchs 1 offenbart die Druckschrift D1 den Aufbau und Betrieb eines Dispositionssystems zur automatischen Versorgung von Rollenrotationsdruck maschinen mit Papierrollen. Das Versorgungssystem umfasst u.a. ein Lager für Papierrollen ("Zwischenlager", vgl. Seite 160, linke Spalte, sechster Absatz) sowie ein Transportsystem, mittels dem die Papierrollen von dem Zwischenlager zum Rollenwechsler der Druckmaschine transportiert werden ("Unterflur-Fördersystem", vgl. Seite 160, linke Spalte, dritter Absatz). Zur Bedienung und Verfolgung der gesamten Rollenversorgung ist weiterhin ein Steuersystem vorgesehen ("Logistiksystem", vgl. Seite 160, linke Spalte, viertletzter Absatz), welches den Rollentransport steuert (vgl. Seite 160, rechte Spalte, die beiden letzten Absätze) und somit dieselbe Funktion erfüllt wie das Steuersystem 05 gemäß dem Anspruch 1. D1 offenbart weiterhin, dass produktionsrelevante Plandaten, nämlich der im letzten Absatz der mittleren Spalte auf Seite 160 erwähnte Rollenbedarf, von einem Produktplanungssystem ("Produktionsmanagement") für jeden Produktionslauf bestimmt und an das Steuersystem übermittelt werden. Das Logistiksystem aus D1 erhält weiterhin Bestandsdaten zum Lager, indem die Daten jeder neuen Papierrolle bereits bei Anlieferung erfasst werden und bis zum Aufbrauchen der Rolle gespeichert bleiben (vgl. Seite 160, rechte Spalte, zweiter Absatz). Weiterhin beschreiben die genannten Passagen eine Strategie für das Einlagern von Rollen in das Zwischenlager, welche darin besteht, dass der für jeden Produktionslauf vom Produktionsmanagement bestimmte Rollenbedarf an das Logistiksystem übermittelt und im Logistiksystem eine Anzahl benötigter Rollen plus Reserve berechnet wird, woraus sich die Anzahl der im Zwischenlager vorzuhaltenden Rollen bestimmt. Darüber hinaus offenbart D1 eine Versorgungsstrategie der Rollenrotationsdruckmaschine mit Papierrollen, welche auf eine kürzeste Verweilzeit der Rollen im Zwischenlager ausgerichtet ist und somit auf Plandaten sowie Bestandsdaten des Zwischenlagers beruht. Die Versorgungsstrategie berücksichtigt zudem aktuelle Produktionsdaten, denn eine teilverbrauchte Rolle mit zu kleinem Durchmesser wird für das Einziehen von Bahnen reserviert (vgl. Seite 160, rechte Spalte, die letzten beiden Absätze).

1.2 Aus D1 ist jedoch nicht unmittelbar das Merkmal zu entnehmen, wonach die Einlagerungsstrategie für das Lager auch anhand von aktuellen, von der Rollenrotationsdruckmaschine abgeleiteten Produktionsdaten entwickelt wird. Die in D1 beschriebene Einlagerungsstrategie beruht lediglich darauf, aus den Planungsdaten für eine Produktion und einer hinzuzurechnenden Reserve die Menge an einzulagernden Rollen zu ermitteln.

1.3 Die Beschwerdeführerin argumentierte in der mündlichen Verhandlung, Dank der Übermittlung aktueller Produktionsdaten vom Leitstand der Druckmaschine an das Steuersystem und der Kopplung dieser aktuellen Produktionsdaten mit Planungsdaten könne der tatsächliche, aktuelle Bedarf an Papierrollen für eine laufende Produktion genauer abgeschätzt werden. Zum einen werde dadurch die Papiereinlagerung flexibler gestaltet, da das Logistiksystem auf eine unvorhergesehene, an der Druckmaschine vorgenommene Erhöhung der Auflage reagieren könne. Zum anderen könne die Effizienz der Papiereinlagerung gesteigert werden, indem der Lagerbestand bei einer unvorhergesehenen zusätzlichen Entnahme von Papierrollen während einer laufenden Produktion vom Logistiksystem korrigiert und das Lager umgehend wieder aufgefüllt werde. Dadurch erübrige sich die Notwendigkeit, eine zusätzliche Reserve an Papierrollen im Lager vorzuhalten. Somit ergebe sich ausgehend von D1 die Aufgabe, die Effizienz und Flexibilität der Einlagerstrategie zu erhöhen.

1.4 Diese von der Beschwerdeführerin genannte Aufgabe ist nach Auffassung der Kammer auch die objektive technische Aufgabe. Sie deckt sich im übrigen mit der in Absatz [0012] der Patentschrift genannten Aufgabe.

1.5 Zur Lösung dieser Aufgabe würde der Fachmann auch die Druckschrift D7, welche sich ebenfalls mit dem Betrieb eines automatischen Rollendispositionssystems befasst, zu Rate ziehen und, angeleitet durch den Abschnitt "Produktion" auf den Seiten 7 und 8 von D7, das Dispositionssystem so betreiben, dass es weitere Rollen bereitstellt, falls während der Produktion eine Auflagenerhöhung nötig sein sollte. Eine derartige Auflagenerhöhung während der Produktion und damit eine zusätzliche Entnahme von Papierrollen aus dem Lager hat in dem Dispositionssystem gemäß D7 unmittelbar Einfluss auf die Einlagerstrategie, da das Dispositionssystem die Rollen im Lager aufgrund eines Vergleichs zwischen dem Rollenbedarf und dem Rollenbestand im Lager bereitstellt (vgl. Seite 5, rechte Spalte). Somit gelangt der Fachmann ausgehend von D1 und unter Berücksichtigung von D7 in naheliegender Weise zu dem Verfahren gemäß Anspruch 1 ohne die Ausübung einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

1.6 Die Beschwerdeführerin argumentierte, D7 offenbare lediglich, dass während der laufenden Produktion ein Rollenträger eine zusätzliche Rolle direkt aus dem Lager anfordern könne. Hierdurch sei jedoch nicht nahegelegt, dass die Einlagerstrategie anhand der aktuellen Produktionsdaten entwickelt werde. D7 gehe nicht über D1 hinaus, denn auch in D7 beruhe die Einlagerstrategie lediglich auf Daten der Produktionsplanung.

1.7 Diese Argumente überzeugen die Kammer nicht. Auch bei dem in D7 beschriebenen automatisierten System wird jede Rolle bereits am Wareneingang registriert und ihr Verbleib bis zum vollständigen Verbrauch vom Steuersystem verfolgt, so dass das Steuersystem über den tatsächlichen Lagerbestand ständig auf dem Laufenden ist. Die Überlegung der Beschwerdeführerin, D7 erlaube es, eine Papierrolle aus dem Tageslager zu entnehmen, ohne gleichzeitig das Steuersystem über die Entnahme zu informieren, ist realitätsfern.

1.8 Somit steht der Einspruchsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ) der Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des Hauptantrags entgegen.

2. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1

2.1 Die Kammer ist bei ihrem Verständnis des Anspruchs 1 des Hauptantrags bereits davon ausgegangen, dass die an das Steuersystem übermittelten aktuellen Produktionsdaten von der Rollenrotationsdruckmaschine stammen. Der Zusatz in Anspruch 1, wonach die aktuellen Produktionsdaten dem Steuersystem von "einer Maschinenleitebene (11)" der Rollenrotationsdruckmaschine übermittelt werden, verdeutlicht dieses Verständnis ausdrücklich durch den Wortlaut des Anspruchs, ändert jedoch nicht das beanspruchte Verfahren in seiner Substanz (vgl. auch Punkt 2.3.4 der Beschwerdebegründung). Daher treffen die oben unter Punkt 1 genannten Gründe, weshalb der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, in gleicher Weise auf den Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 zu.

2.2 Somit steht der Einspruchsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ) der Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des Hilfsantrags 1 entgegen.

3. Hilfsanträge 2 und 3 - Klarheit (Artikel 84 EPÜ)

3.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 sowie die beiden unabhängigen Ansprüche 1 und 2 des Hilfsantrags 3 spezifizieren die aktuellen Produktionsdaten dahingehend, dass diese die Maschinendrehzahl, die Soll- und die Ist-Auflage enthalten. Die Kammer vermag zwar den Begriffen "Soll-" und "Ist-Auflage" eine sinnvolle technische Bedeutung beizumessen, nämlich die Anzahl der insgesamt zu druckenden Exemplare einer Ausgabe bzw. der bereits gedruckten Exemplare ohne die Makulatur, und die Kammer vermag einzuschätzen, wie die Soll-Auflage und die Ist-Auflage mit der Einlagerstrategie in Zusammenhang steht. Jedoch vermag die Kammer dem Begriff "Maschinendrehzahl" keine sinnvolle Bedeutung beizumessen, da zum einen nicht klar ist, welchem Element der Druckmaschine diese Maschinendrehzahl zugeordnet wird und zum anderen, in welcher Weise die Einlagerstrategie durch die Maschinendrehzahl beeinflusst werden kann. Die Patentschrift selbst gibt zu dieser Frage keinen Hinweis, und die Beschwerdeführerin konnte der Kammer nicht schlüssig darlegen, wie die Einlagerstrategie von einer Maschinendrehzahl abhängen soll.

3.2 Daher erfüllen der Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 sowie die beiden unabhängigen Ansprüche 1 und 2 des Hilfsantrags 3 aufgrund des vorgenommenen Zusatzes "Maschinendrehzahl" nicht das Erfordernis der Klarheit (Artikel 84 EPÜ). Somit kann das Patent nicht auf einem der Hilfsanträge 2 oder 3 aufrecht erhalten werden.

4. Da kein Antrag vorliegt, in dessen Fassung das Patent aufrecht erhalten werden könnte, kann der Beschwerde nicht stattgegeben werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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