T 0764/10 () of 26.1.2012

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2012:T076410.20120126
Datum der Entscheidung: 26 Januar 2012
Aktenzeichen: T 0764/10
Anmeldenummer: 02764584.5
IPC-Klasse: A47F 3/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Vorrichtung zur Klimatisierung einer Vitrine
Name des Anmelders: Glasbau Hahn GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Vitrinen- und Glasbau REIER GmbH
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 100(b)
European Patent Convention R 103
Schlagwörter: Ausführbarkeit - nicht im gesamten beanspruchten Bereich gegeben
Rückzahlung der Beschwerdegebühr (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat am 31. März 2010 gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 27. Januar 2010, mit der der Einspruch zurückgewiesen wurde, Beschwerde eingelegt, gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet und am 21. Mai 2010 die Beschwerdebegründung eingereicht.

II. Der Einspruch wurde auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) und b) EPÜ 1973 gestützt.

III. Die folgende Druckschrift hat in diesem Verfahren eine Rolle gespielt: Anlage 1, Mollier-h-x-Diagramm für feuchte Luft.

IV. Die Ansprüche 1 und 3 wie erteilt lauten wie folgt:

"1. Verfahren zur Klimatisierung einer Vitrine zur Zurschaustellung von Gegenständen mit einem von der Außenwelt mehr oder weniger luftdicht abgeschlossenen Innenraum, wobei die Gegenstände auf einer Auflagefläche ihren Platz finden und durch die, den Innenraum ganz oder teilweise umschließenden Glasscheiben der Seitenflächen von außen sichtbar sind, dadurch gekennzeichnet, dass die im Innenraum (4) befindliche Luft durch einen Austauscher (8) hindurch geführt und auf diese Weise gekühlt wird und der Austauscher (8) hinsichtlich des Temperaturübergangs mit einer Kühlvorrichtung (10) eng verbunden ist, wobei der Austauscher (8) derart betrieben wird, dass die Differenz zwischen der höheren Temperatur der Luft des Innenraums (4) und der niedrigeren Temperatur des Austauschers (8) ständig auf einem Wert gehalten wird, welcher unterhalb des Taupunkts der Luft des Innenraums (4) liegt".

"3. Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass ein erster Thermoschalter im Innenraum (4) angebracht ist, welcher bei Überschreiten einer vorgegebenen Temperatur ein Signal erzeugt, dass ein zweiter Thermoschalter am Austauscher (8) angebracht ist, welcher bei Unterschreiten einer vorgegebenen Temperatur ein Signal erzeugt, und dass beide Thermoschalter mit einem Antrieb (11) der Kühlvorrichtung (10) mittelbar oder unmittelbar verbunden sind."

V. Am 26. Januar 2012 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

VI. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Des Weiteren wurde die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels beantragt.

Sie hat im Wesentlichen folgendes vorgetragen:

Die Erfindung könne nicht über den gesamten beanspruchten Bereich verwirklicht werden: Es gebe eine Vielzahl von Beispielen, bei denen unter Anwendung der beanspruchten Ungleichung entweder keine Kühlung erreicht werden könne oder Kondenswasser auftreten würde.

Des Weiteren verletze die angefochtene Entscheidung das rechtliche Gehör insofern, sie sich nicht mit dem Einwand, dass die Erfindung keine technische Lehre enthalte, auseinandersetze und die Ausführbarkeit anhand einer Argumentation begründet werde, die in der Entscheidung zum ersten Mal vorgebracht wurde.

VII. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat dem widersprochen und im Wesentlichen folgendes vorgetragen:

Zur Auslegung eines unabhängigen Anspruchs seien auch die Beschreibung und die Figuren zu berücksichtigen. Ein Fachmann würde daraus entnehmen, dass die Erfindung nur in Temperatur- und Feuchtigkeitsbereichen, in denen kein Kondenswasser entstehe, Anwendung finde, also nur eine Trockenkühlung betreffe. Unter diesen, aus der Beschreibung entnehmbaren Bedingungen, könne der Fachmann die in Anspruch 1 definierte Lehre ohne weiteres ausführen.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent im Umfang der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Ausführbarkeit:

2.1 Die beanspruchte Erfindung beruht auf den zwei folgenden wesentlichen Merkmalen. Erstens soll die im Innenraum der Vitrine befindliche Luft durch einen Austauscher hindurch geführt und auf diese Weise gekühlt werden, und zweitens soll der Austauscher derart betrieben werden, dass die Differenz zwischen der höheren Temperatur der Luft des Innenraums und der niedrigeren Temperatur des Austauschers ständig auf einem Wert gehalten wird, welcher unterhalb des Taupunkts der Luft des Innenraums liegt.

Damit soll nach dieser beanspruchten Lehre kein Kondenswasser entstehen. Eine Auffangschale für Kondenswasser ist deshalb nicht erforderlich (Absatz [0005] der Streitpatentschrift).

Das zweite beanspruchte Merkmal kann durch die folgende Ungleichung ausgedrückt werden: Ti - Ta < Td

Dies bedeutet, dass Ta > Ti - Td sein soll.

Wobei:

- Ti die Temperatur der Luft des Innenraums,

- Ta die Temperatur des Austauschers und

- Td die Taupunkttemperatur der Luft des Innenraums darstellen.

2.2 Anhand von dem Mollier-h-x-Diagramm kann ausgehend von der Temperatur Ti und der relativen Luftfeuchtigkeit die Taupunkttemperatur Td ermittelt werden.

Die Anwendung der beanspruchten Ungleichung führt, unter Verwendung von dem Mollier-h-x-Diagramm in den drei folgenden Beispielen zu folgenden Ergebnissen:

Beispiel 1: Mit einer relativen Luftfeuchtigkeit von 30% und einer Innentemperatur Ti von 18ºC liegt die Taupunkttemperatur Td bei 0ºC. Gemäß der in Anspruch 1 definierten Ungleichung muss dann die Temperatur des Austauschers Ta größer als (18 - 0) = 18ºC sein.

In diesem Fall ist die beanspruchte Erfindung für diese Innenraumtemperatur und relative Luftfeuchtigkeit nicht ausführbar, da die im Innenraum befindliche Luft, deren Temperatur Ti 18ºC beträgt durch den Austauscher, dessen Temperatur Ta 18ºC überschreitet, nicht gekühlt werden kann.

Beispiel 2: Falls für gewisse Exponate die Innenraumtemperatur der Vitrine bei 0ºC liegen soll und bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von 50%, fällt die Taupunkttemperatur Td auf -15ºC. Dies würde bei Anwendung der beanspruchten Ungleichung eine Temperatur des Austauscher Ta größer als (0 - (-15))= +15ºC ergeben.

Wiederum ist die beanspruchte Erfindung für diese Innenraumtemperatur und relative Luftfeuchtigkeit nicht ausführbar, da die im Innenraum befindliche Luft durch den Austauscher, dessen Temperatur Ta 15ºC überschreitet, nicht auf eine Temperatur Ti von 0ºC gekühlt werden kann.

Beispiel 3: Mit einer Innenraumtemperatur Ti von 24ºC und einer relativen Luftfeuchtigkeit von 60% liegt die Taupunkttemperatur bei 16ºC. Gemäß der beanspruchten Ungleichung müsste die Temperatur des Austauschers Ta mehr als 24 - 16 = 8ºC betragen. Dieser errechnete Bereich (größer als 8º) enthält jedoch einen Teilbereich zwischen 8º und 16ºC, bei dem Kondenswasser entsteht. Somit ist die die beanspruchte Erfindung in dem Temperaturbereich zwischen 8ºC und 16ºC nicht ausführbar.

Alleine schon aus diesen drei Beispielen ist erkennbar, dass die beanspruchte Erfindung nicht bei allen möglichen Innenraumtemperaturen und Luftfeuchtigkeiten verwirklicht werden kann.

2.3 Die Beschwerdegegnerin hat ausgeführt, dass ein Beispiel nicht exakt wiederholbar sein müsse. Es geht hier jedoch nicht um einzelne Punkte, sondern um ganze Bereiche, in denen entweder keine Kühlung möglich ist, oder eine Kondensation und somit eine nasse Kühlung entstehen kann.

Die Beschwerdegegnerin hat weiter vorgetragen, dass es im Lichte der Streitpatentschrift auf der Hand liege, dass eine Trockenkühlung angestrebt werde und die Erfindung nur bei Trockenkühlungen Anwendung finde.

Auch dem kann nicht zugestimmt werden. Wie vorstehend ausgeführt, kann der Fachmann die von der Erfindung angestrebte Wirkung, nämlich keine Kondensation und somit keine nasse Kühlung, nicht im gesamten beanspruchten Bereich erzielen.

Die Beschwerdegegnerin hat auch versucht geltend zu machen, dass es Bereiche gebe, in denen die beanspruchte Erfindung ausführbar sei. Des Weiteren wisse der Fachmann, dass die Taupunkttemperatur nicht unterschritten werden dürfe und aus der Patentbeschreibung sei ableitbar, dass die Kühlung progressiv vorzunehmen sei.

Auch diese Argumente können nicht überzeugen. Anspruch 1 ist nicht auf bestimmte Bereiche eingeschränkt. Daher muss der Fachmann die angestrebte Wirkung im gesamten beanspruchten Bereich erzielen können. Dass der Fachmann weiß, dass die Taupunkttemperatur nicht unterschritten werden darf, ändert nichts daran, dass es für die beanspruchte Ungleichung Temperaturbereiche ergibt, in denen eine Kondensation und somit eine nasse Kühlung entsteht. Letztlich kann der Streitpatentschrift auch nicht entnommen werden, dass eine progressive Kühlung durchgeführt werden soll. Es wird lediglich angegeben, dass der Austauscher derart betrieben wird, dass die beanspruchte Ungleichung erfüllt wird.

2.4 Aus alldem ergibt sich, dass die Erfindung nicht in dem gesamten beanspruchten Bereich ausführbar ist und somit den Erfordernissen des Artikels 100 b) EPÜ nicht entspricht.

3. Rückzahlung der Beschwerdegebühr:

3.1 Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt, wenn der Beschwerde stattgegeben wird und die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht.

3.2 Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin im wesentlichen vorgetragen, dass das rechtliche Gehör dadurch verletzt wurde, dass die angefochtene Entscheidung sich nicht mit dem Einwand, dass die Erfindung keine technische Lehre enthalte, zu welchem sie ausführlich in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hatte, auseinandersetzt und, dass die Ausführbarkeit anhand einer Argumentation begründet wurde, die in der schriftlichen Entscheidung zum ersten Mal vorgebracht wurde und sie daher keine Gelegenheit hatte, sich dazu zu äußern.

3.3 Es stimmt zwar, dass sich die angefochtene Entscheidung nicht zu dem Vorhandensein einer technischen Lehre äußert. Jedoch ist dem Protokoll nicht zu entnehmen, dass zu dieser Beanstandung in der mündlichen Verhandlung vorgetragen wurde.

3.4 Die in der Entscheidung vorgebrachte Argumentation, das beanspruchte Verfahren sei als eine stufenweise, gleitende Kühlung auszulegen, beruht darauf, dass die Einspruchsabteilung davon ausging, dass der Fachmann miteinbeziehen würde, dass die Temperatur des Austauschers nicht die Taupunkttemperatur unterschreiten darf.

Es wurde nicht in Abrede gestellt, dass dieser Punkt zumindest angesprochen wurde, so dass das Argument, dass der Fachmann auf jeden Fall eine Unterschreitung der Taupunkttemperatur vermeiden würde und dessen Bedeutung, den Parteien bewusst waren.

Daher kann hier kein wesentlicher Verfahrensmangel gesehen werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

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