T 0713/10 () of 28.10.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T071310.20141028
Datum der Entscheidung: 28 October 2014
Aktenzeichen: T 0713/10
Anmeldenummer: 96910905.7
IPC-Klasse: G08G 1/0968
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 297 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Einrichtung zur Information eines Fahrzeugführers
Name des Anmelders: Robert Bosch GmbH
Name des Einsprechenden: Harman Becker Automotive Systems GmbH
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 123(2)
Schlagwörter: Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein)
Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, nach der unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen das europäische Patent Nr. 0 769 181 und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen. Grundlage für die Entscheidung war der während der mündlichen Verhandlung vom 16. Dezember 2009 eingereichte Hilfsantrag 1.

II. Das folgende Dokument des Standes der Technik ist für diese Entscheidung relevant:

D1: P. Brägas, "Verkehrsinformationen über RDS/TMC - das integrierte Gesamtkonzept für den Rundfunk", VDI Berichte, Nr. 817, 1990, Seiten 165 bis 176.

III. Am 28. Oktober 2014 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

IV. Der unabhängige Anspruch 1 des einzigen Antrags der Beschwerdegegnerin lautet wie folgt:

"Einrichtung zur Information eines Fahrzeugführers, mit einem Navigationssystem, das zur Ermittlung der jeweiligen Position des Fahrzeugs und zur Berechnung von Routenempfehlungen ausgelegt ist, wobei die Routenempfehlungen unter Berücksichtigung von empfangenen und decodierten Verkehrsmeldungen des TMC-Systems berechnet werden,

wobei ein Decoder für digital codierte, Orts-Codes enthaltende Verkehrsmeldungen des TMC-Systems und das Navigationssystem eine bauliche Einheit bilden,

wobei eine digitale codierte Straßenkarte und zur Decodierung und Ausgabe der Verkehrsmeldungen an den Benutzer erforderliche Informationen auf demselben Datenträger abgelegt sind,

und wobei in einer Datei (33) die Straßenkarte, welche Streckenabschnitte enthält, gespeichert ist und weiterhin den Streckenabschnitten die Orts-Codes des nächstliegenden Ortes des TMC-Systems zugeordnet sind."

V. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Das Wort "sind" am Ende des vorliegenden Anspruchs 1 impliziere, dass die Zuordnung der Streckenabschnitte zu den Orts-Codes des TMC-Systems bereits in der Datei gespeichert sei. Die entsprechende Offenbarung in der ursprünglichen Anmeldung (Seite 11, zweiter Absatz) verwende dagegen das Wort "werden" und impliziere damit, dass die Zuordnung erst während der Berechnung der Routenempfehlung erfolge. Der Anspruch verstoße daher gegen Artikel 123 (2) EPÜ. Die Offenbarung der Figur 3 der Anmeldung sei in diesem Zusammenhang nicht klar, weil die Anmeldung so verstanden werden müsse, dass die Enden der Streckenabschnitte immer an den definierten Orten liegen. Dies habe entweder zur Folge, dass die Zuordnung in der Figur banal sei, so dass sie keinen Sinn mache oder, dass etwas völlig anders gemeint sein müsse.

Auf dem gleichen Grund sei die Art der Zuordnung nicht klar offenbart, so dass der Fachmann nicht wisse, wie sie ausgeführt werden könnte.

Angesichts der ungenauen Formulierung des letzten Teils des Anspruchs 1 bezüglich der Ausführung der Zuordnung sei der Gegenstand dieses Anspruchs gar nicht neu gegenüber D1.

Aber selbst wenn man davon ausgehen würde, dass klar sei, worin sich die beanspruchte Erfindung vom Gegenstand der D1 unterscheidet, könnte dieser Unterschied keine erfinderische Tätigkeit begründen. D1 offenbare bereits im letzten Absatz auf Seite 169 eine ein Verzeichnis mit TMC-Kennungen und entsprechenden Orts- und Informationsadressen (d.h. eine Zuordnung zwischen dem Straßenatlas und den Orts-Codes) enthaltende CD-ROM. Es sei für den Fachmann sofort erkennbar, dass diese Zuordnung auf dem feinsten Niveau des Straßenatlas erfolgen solle, d.h. auf dem Niveau der Streckenabschnitte, was automatisch zu einer Vervielfältigung der TMC-Codes führe. Die angefochtene Entscheidung habe auf "nicht einfach zu lösende Probleme" bei der Integration der zwei Datensätze hingewiesen. Das Streitpatent zeige aber weder solche Probleme noch deren Lösung auf.

VI. Die Beschwerdegegnerin argumentiert im Wesentlichen wie folgt:

Aus dem Patent, insbesondere aus Figur 3, gehe es klar hervor, dass den Streckenabschnitten Orts-Codes des TMC-Systems in der Datei zugeordnet seien, so dass der geänderte Anspruch 1 genau das ausdrücke, was in der ursprünglichen Anmeldung offenbart war.

Weiterhin sei aus Absatz [0034] des Patents und dem entsprechenden Absatz der ursprünglichen Anmeldung klar, dass die Enden der Streckenabschnitte meistens nicht an den definierten Orten liegen. Die Argumente der Beschwerdeführerin betreffend die Artikel 123 (2) und 83 EPÜ seien daher nicht überzeugend.

Der in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erstmals erhobene Einwand mangelnder Neuheit sei nicht ins Verfahren zuzulassen.

Das Argument in der angefochtenen Entscheidung, dass die Hemmschwelle zur Veränderung der Datei, die den Straßenatlas enthält, so groß wäre, dass der Fachmann diese Lösung des Problems, wie die Zuordnung auszuführen sei, nicht wählen würde, sei richtig gewesen. Weiterhin enthalte der Stand der Technik keinen Hinweis auf die durch die Erfindung entstehende Vervielfältigung der Orts-Codes.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulässigkeit der Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)

2.1 Nach Auffassung der Beschwerdeführerin liegt im Ersetzen des letzten Wortes von Anspruch 1 ("werden") durch "sind" ein Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ. Das letzte Merkmal des Anspruchs hat seine Grundlage in Seite 11, 1. voller Absatz der veröffentlichten internationalen Anmeldung (welcher Absatz [0034] des Streitpatents entspricht), wo das Wort "werden" verwendet wird. Nach Meinung der Beschwerdeführerin bedeutet dieser Satz in Verbindung mit anderen Stellen der Beschreibung, dass die Zuordnung der Streckenabschnitte zu den Orts-Codes des TMC-Systems erst während der Übertragung der TMC-Daten erfolge oder durch sie verursacht werde. Der geänderte Anspruch definiere dagegen, dass diese Zuordnung bereits im System abgespeichert sei.

2.2 Die Kammer findet dieses Argument nicht überzeugend. Es kann sein, dass die zwei auf Seite 4 der Beschwerdebegründung vom 25. Juli 2010 zitierten Sätze dieses Absatzes (d.h. die 2. und 3. Sätze des Absatzes [0034] der Patentschrift) für sich allein genommen die von der Beschwerdeführerin behauptete Bedeutung haben. Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass der Fachmann aus dem Kontext der gesamten Anmeldung diese Sätze so verstehen würde, wie es jetzt im vorliegenden Anspruch 1 definiert ist. Dies wird aus Figur 3 besonders deutlich, weil sie eindeutig zeigt, dass für jeden Streckenabschnitt in der Datei 33 ein TMC-LOC-CODE (d.h. einen Orts-Code) auf dem Datenträger gespeichert ist. Diese Art der Zuordnung war daher in der ursprünglichen Anmeldung zumindest als eine Alternative offenbart, so dass diese Änderung des Anspruchs nicht gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstößt.

2.3 In diesem Zusammenhang argumentierte die Beschwerdeführerin weiterhin, dass die Offenbarung in Figur 3 bezüglich der Orts-Codes nicht klar sei. Die Kammer findet jedoch auch dieses Argument nicht überzeugend, weil es sich auf eine Interpretation des Begriffs "Streckenabschnitt" stützt, nach der die Enden der Streckenabschnitte immer an den definierten Orten liegen. Der letzte Satz des oben unter Punkt 2.1 zitierten Absatzes auf Seite 11 der Anmeldung beschreibt aber eindeutig, dass dies nicht der Fall ist.

3. Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)

Wie der Einwand unter Artikel 123 (2) EPÜ (siehe Absatz 2.3 oben) beruht der Einwand der Beschwerdeführerin unter diesem Artikel auf der gleichen unrichtigen Interpretation des Begriffs "Streckenabschnitt". Die Kammer sieht daher keinen Grund, warum der Fachmann nicht in der Lage sein sollte, die beanspruchte Erfindung auszuführen, so dass das Patent den Erfordernissen des Artikels 83 EPÜ genügt.

4. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)

4.1 Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer brachte die Beschwerdeführerin den neuen Einwand vor, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber D1 nicht neu sei. Dieser Einwand beruht auf einer Auslegung des Anspruchs, die breiter ist, als die, von der im Verfahren vor der Einspruchsabteilung und bisher auch im Beschwerdeverfahren ausgegangen wurde. Die Beschwerdegegnerin beantragte, diesen Einwand nicht zuzulassen.

4.2 Angesichts des Schlusses der Kammer bezüglich der erfinderischen Tätigkeit (siehe Punkt 5.7 unten), der auf der früheren engeren Auslegung des Anspruchs beruht, kann diese Frage jedoch letztlich auf sich beruhen, da es auf sie im Ergebnis für die Entscheidung des Falles nicht ankommt.

5. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

5.1 Es ist nicht bestritten, dass die Druckschrift D1 eine Einrichtung zur Information eines Fahrzeugführers mit einem Navigationssystem zur Ermittlung der jeweiligen Position des Fahrzeugs und zur Berechnung von Routenempfehlungen offenbart. Die Routenempfehlungen werden dabei unter Berücksichtigung von empfangenen und decodierten Verkehrsmeldungen des TMC-Systems berechnet, wobei ein Decoder für digital codierte, Orts-Codes enthaltende Verkehrsmeldungen des TMC-Systems und das Navigationssystem eine bauliche Einheit bilden, und wobei eine digitale codierte Straßenkarte und zur Decodierung und Ausgabe der Verkehrsmeldungen an den Benutzer erforderliche Informationen auf demselben Datenträger abgelegt sind.

5.2 Laut der angefochtenen Entscheidung offenbart D1 keine in einer Datei (33) der Einrichtung gespeicherte Straßenkarte mit Streckenabschnitten, denen die Orts-Codes des nächstliegenden Ortes des TMC-Systems zugeordnet sind. Dieser Schluss in der angefochtenen Entscheidung setzt voraus, dass bei der vorliegenden Erfindung die Straßenkarte und die Zuordnung des TMC-Codes in der gleichen Datei gespeichert sind.

5.3 Ebenfalls laut der angefochtenen Entscheidung unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von D1 im Wesentlichen dadurch, dass die Informationen über die Zuordnung der TMC-Kennungen zu den Streckenabschnitten in der gleichen Datei wie die Straßenkarte gespeichert ist. Nach der Entscheidung hätte es näher gelegen, die Zuordnung mittels einer weiteren Datei als durch Integration von zwei Datensätzen durchzuführen. Die Einspruchsabteilung argumentiert insofern, dass der Fachmann bei der Integration "vor nicht einfach zu lösende Probleme" gestellt werde und deshalb diesen Weg in der Praxis nicht gehen würde. Der Kammer ist jedoch nicht verständlich, wieso dies der Fall sein sollte. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass das Streitpatent sowie auch die Entscheidung weder diese Probleme noch deren Lösungen offenbart. Das gleiche gilt für die in der angefochtenen Entscheidung enthaltenen Argumente bezüglich der Überarbeitung der Straßenkartensätze. Die Kammer ist daher der Meinung, dass diese Argumente im vorliegenden Fall für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht relevant sind und unberücksichtigt bleiben müssen.

5.4 Die Kammer ist ebenfalls der Meinung der Einspruchsabteilung (siehe Punkt 5, letzter Absatz der angefochtenen Entscheidung), dass die Frage der Einsparung von Speicherplatz keine tragende Rolle spielt.

5.5 Die Beschwerdegegnerin argumentierte weiter, dass die Definition der Zuordnung der Streckenabschnitte zu den nächstliegenden Orten des TMC-Systems eine Vervielfältigung der Orts-Codes impliziere, die durch den Stand der Technik nicht nahegelegt sei. Die Kammer findet dieses Argument nicht überzeugend, weil es naheliegend ist, das in D1 offenbarte Verzeichnis mit TMC-Kennungen (TMC-Orts-Codes) und Informationen aus den Straßenatlas auf dem feinsten Niveau des Straßenatlas zu bilden, d.h. auf dem Niveau der Streckenabschnitte, was zwangsläufig zu einer Vervielfältigung der Orts-Codes führt.

5.6 Die Kammer ist daher der Auffassung, dass die beanspruchte Option, nämlich die Zuordnung in ein und derselben Datei durchzuführen, naheliegend ist, weil beide Optionen (s. Punkt 5.3 oben) für den Fachmann ersichtlich sind und weil es keinen Grund gibt, warum er die beanspruchte Option nicht auswählen sollte.

5.7 Die Kammer kommt daher zu dem Ergebnis, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des einzigen Antrags der Beschwerdegegnerin nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

6. Dem Antrag der Beschwerdeführerin, das Patent zu widerrufen, war damit stattzugeben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

Quick Navigation