T 0517/10 () of 13.2.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T051710.20140213
Datum der Entscheidung: 13 Februar 2014
Aktenzeichen: T 0517/10
Anmeldenummer: 06818057.9
IPC-Klasse: G01B 11/25
G01B 21/20
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: OPTISCHE VERSMESSUNG METALLISCHER OBERFLÄCHEN
Name des Anmelders: MTU Aero Engines AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 R 67 Sent 1
Schlagwörter: Neuheit - (ja, Auslegung eines Merkmals mit dem technischen Verständnis des Fachmanns nicht vereinbar)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung zurückzuweisen. Die Prüfungsabteilung hatte ihre Entscheidung insbesondere damit begründet, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu sei und dass der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 8 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

II. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der Entscheidung und die Erteilung eines Patents aufgrund der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1-7. Darüber hinaus beantragt sie die Rückzahlung der Beschwerde­gebühr.

III. Der unabhängige Anspruch 1 lautet wie folgt:

"Verfahren zur optischen Vermessung einer Oberfläche, welche insbesondere eine sphärische Form mit einer hohen Strahlungsreflexion aufweist und mit wenigstens einer Strahlungsquelle sowie mittels mindestens einer Strukturlichtquelle beleuchtet wird, um eine Beleuchtungsstruktur auf der zu vermessenden Oberfläche hervorzurufen und unter Verwendung einer Kamera die Beleuchtungsstruktur aufgenommen wird, wobei vor der Vermessung der Oberfläche auf diese eine Beschichtung aufgebracht wird, um die Strahlungsreflexion zu reduzieren, dadurch gekennzeichnet, dass die Beschichtung der sphärischen Oberfläche mittels des Prinzips des elektrostatischen Beschichtens aufgebracht wird."

IV. Die folgenden von der Prüfungsabteilung zitierten Dokumente sind für die vorliegende Entscheidung von Bedeutung:

D1: GB 2 295 890 A

D2: DE 102 30 494 A1

D3: US 2003/234941 A1

D4: WO 02/066924 A

D5: US 5 386 292 A

Entscheidungsgründe

1. Neuheit (Artikel 54 EPÜ 1973)

1.1 Das Dokument D2 behandelt das Problem der optischen Vermessung von durchsichtigen, spiegelnden und auch sehr dunklen Oberflächen mittels darauf projizierten Beleuchtungsmustern. Da das Einsprühen mit Farbe oder farbähnlichen Substanzen lange Trocknungszeiten nach sich zieht (siehe Absatz 3), schlägt das Dokument D2 vor, eine weiche, elastische Membran über den Teil der Objektoberfläche zu stülpen, der vermessen werden soll (Spalte 1, Zeilen 50-53). Dabei kann die Anpassung der Membran an die Objektoberfläche durch Verwendung eines Unterdruckes und/oder durch elektrostatische Aufladung der Membran und/oder des Messobjektes unterstützt werden (siehe Spalte 1, Zeilen 57-60).

1.2 Die Prüfungsabteilung war in ihrer Entscheidung zu dem Schluss gekommen, dass das Dokument D2 alle Merkmale des unabhängigen Anspruchs 1 offenbart. Die Prüfungsabteilung sah insbesondere das Merkmal in Dokument D2 offenbart, wonach die Beschichtung der sphärischen Oberfläche mittels des Prinzips des elektrostatischen Beschichtens aufgebracht wird. Sie war der Auffassung, dass die in Dokument D2 offenbarte Membran als eine Schicht betrachtet werden könne. Dazu verwies die Prüfungsabteilung auf Spalte 1, Zeile 42, wo es heißt: "Die Aufgabe der Erfindung ist es, zu vermessende Oberflächen, die ungünstige Reflexions­eigenschaften aufweisen, mit einer matten, hellen und dünnen Schicht zu präparieren ..."(siehe Zeilen 40-43). Daher stelle das Überstülpen der Membran eine Beschichtung dar. Da diese Beschichtung durch elektrostatische Aufladung an die Objektoberfläche angepasst werde (vgl. Spalte 1, Zeilen 57 bis 60), handele es sich um eine Beschichtung mittels des Prinzips des elektrostatischen Beschichtens (siehe Punkt 1.7 der Entscheidungsgründe).

1.3 Dieser Argumentation kann die Kammer nicht folgen.

1.3.1 Es ist richtig, dass gemäß Dokument D2 durch das Überstülpen der Membran eine Membranschicht auf das Messobjekt aufgebracht wird. Darüber hinaus offenbart die Druckschrift, dass die Anpassung der Membran an die Objektoberfläche durch Verwendung eines Unterdruckes und/oder durch elektrostatische Aufladung der Membran und/oder des Messobjektes unterstützt werden kann. Dies sei insbesondere dann von Bedeutung, wenn es Bereiche in der Oberfläche des Messobjektes gebe, die konkav ausgebildet seien (vgl. Spalte 1, Zeilen 57 bis 62, Ansprüche 1 und 2).

1.3.2 Dieses Verfahren als Aufbringen einer Beschichtung mittels des Prinzips des elektrostatischen Beschichtens im Sinne des vorliegenden Anspruchs 1 zu bezeichnen, ist mit dem technischen Verständnis des für Beschichtungen zuständigen Fachmanns nicht vereinbar. Gemäß allgemei­nem Fachwissen wird unter Beschichten ein Vorgang ver­standen, bei dem Material auf ein Substrat aufgebracht wird und erst dort eine festhaftende Schicht bildet (siehe zum Beispiel die von der Beschwerdeführerin zitierte DIN 8580: Beschichten ist Fertigen durch Aufbringen einer fest haftenden Schicht aus formlosem Stoff an ein Werkstück). Dies wird auch durch die Beschreibung der vorliegenden Anmeldung bestätigt, wonach der Auftrag der Beschichtung durch Spray­techniken erfolgen kann (siehe Seite 2, Zeilen 19-22). Beim elektrostatischen Beschichten wird das Aufbringen der Beschichtung zusätzlich durch ein elektrostatisches Kraftfeld unterstützt, das hier zwischen Sprüheinheit und dem zu beschichtenden Messobjekt erzeugt wird (Seite 3, Zeilen 30-33). Die Schicht wird in beiden Fällen erst auf dem Messobjekt gebildet.

1.3.3 Gemäß der Offenbarung des Dokuments D2 wird jedoch eine zuvor gefertigte elastische Membranschicht über das Messobjekt gestülpt und deren Anpassung insbesondere an konkav ausgebildete Oberflächenbereiche durch elektrostatische Aufladung der Membran unterstützt. Die Membranschicht hat den Vorteil, dass sie nicht fest an dem Objekt haftet und daher schnell wieder entfernt werden kann (siehe Absatz 11). Daher handelt es sich bei diesem in D2 offenbarten Verfahren nicht um eine elektrostatische Beschichtung im für das relevante technische Fachgebiet üblichen Sinn.

1.3.4 Das Dokument D2 offenbart in dem den Stand der Technik würdigenden Absatz 3 auch ein übliches Beschichten durch Einsprühen mit einer Farbe. Von diesem Verfahren unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 dadurch, dass die Beschichtung mittels des Prinzips des elektrostatischen Beschichtens aufgebracht wird.

1.3.5 Auch keines der anderen zitierten Dokumente des Stands der Technik offenbart alle Merkmale des Anspruchs 1.

1.4 Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit neu.

2. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973)

2.1 Unter der Überschrift "Sonstige Bemerkungen" hat die Prüfungsabteilung bei Punkt 5 Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit in Bezug auf den Gegenstand des Anspruchs 1 gemacht.

Der einzige Unterschied zwischen Dokument D1 und Anspruch 1 sei, dass in Dokument D1 die Beschichtung aufgebracht werde, um die Reflexion zu erhöhen, wohingegen in Anspruch 1 eine Beschichtung zum Reduzieren der Reflexion definiert sei. Weil jedes der Dokumente D2, D3, D4 und D5 zeige, dass sowohl zu hohe als auch zu niedrige Reflexionseigenschaften durch ein und dieselbe Beschichtung korrigiert werden könnten, sei es für den Fachmann naheliegend, ausgehend von D1 zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen.

2.2 Diese Argumentation kann die Kammer nicht nachvollziehen.

2.2.1 Dokument D1 offenbart ein Verfahren zur Untersuchung von Karosserieteilen eines Fahrzeugs. Dazu wird ein Lichtstrahl über die Oberfläche der Teile geführt, und von einem Vergleich zwischen dem reflektierten Licht und einer vorgegebenen Richtgröße wird auf Oberflächenfehler geschlossen (vgl. Zusammenfassung, Anspruch 1 und Figur 6). Um dabei die Reflexionsfähigkeit der Oberfläche zu vergrößern, wird eine ölig glänzende Flüssigkeit aufgebracht. Auch wenn eine elektrostatische Beschichtung mit der glänzenden Flüssigkeit eine einheitliche, glänzende Oberfläche ergeben kann, ist, gemäß Dokument D1, die elektrostatische Beschichtung wegen der Leitfähigkeit und Brennbarkeit der flüchtigen Anteile zu vermeiden (siehe Seite 6, Zeile 4 bis Seite 7, Zeile 4). Dokument D1 schlägt stattdessen vor, das Glanzmittel unter Druck mit zwei versetzt angeordneten Sprühpistolen auf die Karosserie zu sprühen und so eine einheitliche Beschichtung zu erreichen.

2.2.2 Das Verfahren gemäß Dokument D1 offenbart daher weder ein Aufbringen einer Beschichtung, um die Strahlungsreflexion zu reduzieren, noch ein Verfahren zur optischen Vermessung im Sinne des vorliegenden Anspruchs 1 mit einer Strukturlichtquelle und einer Beleuchtungsstruktur auf der Oberfläche. Darüber hinaus rät Dokument D1 von der Verwendung der elektrostati­schen Beschichtung ab. Bereits wegen dieser funda­mentalen Unterschiede kann das Verfahren aus der Druckschrift D1 nicht als nächstliegender Stand der Technik betrachtet werden.

2.3 Weitere Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit hat die Prüfungsabteilung nicht gemacht.

Die Kammer sieht den Gegenstand des Anspruchs 1 auch nicht durch die anderen zitierten Dokumente des Stands der Technik nahegelegt. Keines dieser Dokumente regt an, eine Objektoberfläche mit einer elektrostatischen Beschichtung zu versehen, um das Ergebnis einer optischen Vermessung zu verbessern. Auch wenn solch ein Beschichtungsverfahren an sich bekannt war, wurde die in der Beschreibung überzeugend dargelegte, im Rahmen einer optischen Oberflächenvermessung besonders vorteilhafte, technische Wirkung der elektrostatischen Unterstützung der Beschichtung, nämlich eine Erhöhung der Gleichmäßigkeit bei reduzierter Dicke der aufgebrachten Schicht, bisher nicht erkannt.

3. Rückzahlung der Beschwerdegebühr

3.1 Gemäß Regel 67, Satz 1, EPÜ 1973 wird die Beschwerdegebühr zurückgezahlt, wenn der Beschwerde stattgegeben wird und die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht.

3.2 Insoweit ist festzustellen, dass der Beurteilungsfehler der Prüfungsabteilung bezüglich der Patentfähigkeit des beanspruchten Gegenstands keinen Verfahrensmangel, sondern eine fehlerhafte Beurteilung von Sachfragen darstellt. Die Beschwerdeführerin hat ihren Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr auch nicht begründet und damit insbesondere keinen Verfahrensmangel ausdrücklich bezeichnet. Ihr Antrag ist daher zurückzuweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:

Beschreibung:

Seiten: 1, 2, 4-10 wie ursprünglich eingereicht.

Seite: 3 eingereicht mit Schreiben vom 3. Februar 2014.

Ansprüche:

Nr.: 1-7 wie ursprünglich eingereicht.

Zeichnungen:

Blatt: 1 wie ursprünglich eingereicht.

3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

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