T 0430/10 (Dotierte Fällungskieselsäure/Evonik) of 28.2.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T043010.20140228
Datum der Entscheidung: 28 Februar 2014
Aktenzeichen: T 0430/10
Anmeldenummer: 01119007.1
IPC-Klasse: C01B 33/193
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Dotierte Fällungskieselsäure
Name des Anmelders: Evonik Degussa GmbH
Name des Einsprechenden: RHODIA CHIMIE
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 100(b)
European Patent Convention Art 54(1)
European Patent Convention Art 54(2)
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(3)
European Patent Convention Art 84
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung - Verhältnis von Art. 83 zu Art. 84 EPÜ
Orientierungssatz:

Besteht ein gelten

d gemachter Mangel an Klarheit darin, dass ein Merkmal eng oder breit ausgelegt werden kann, so ist das Erfordernis der ausreichenden Offenbarung jedenfalls dann erfüllt, wenn auch bei breiter Auslegung des als unklar geltend gemachten Merkmals alle in den Schutzbereich der Ansprüche fallenden Ausführungsarten vom Fachmann nachgearbeitet werden können (Entscheidungsgründe 1.3.5).

Angeführte Entscheidungen:
T 0279/89
T 0409/91
T 1062/98
T 0369/05
T 0608/07
T 0593/09
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0862/11
T 0243/13
T 2210/16
T 2122/17

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Zwischen­entscheidung der Einspruchsabteilung, in der festgestellt wurde, dass das Europäische Patent Nr. 1 193 220 unter Berücksichtigung der Änderungen auf der Basis des mit Schreiben vom 23. Oktober 2009 eingereichten Hauptantrags und der Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ, insbesondere jenen der ausreichenden Offenbarung, der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit, genüge. Das Patent betrifft dotierte Fällungskieselsäuren.

II. Im erstinstanzlichen Verfahren wurden folgende Dokumente vorgebracht bzw. eingeführt:

D1: US 4 537 699 A

D2: WO 96/30303 A

D3: Albers et al.: "SIMS/XPS Study on the deactivation and reactivation of B-MFI catalysts used in vapour-phase Beckmann rearrangement", J. of Catalysts, Bd. 176, 1998, Seiten 561 bis 568

D4: Auszug aus Ullmann's Encyclopedia of Industrial Chemistry: "Surface and thin-film analysis", 2002

D5a: Auszug aus Ullmann's Encyclopedia of Industrial Chemistry, 1993, Bd. A23.

D5b: Auszug aus Degussa, "Schriftenreihe Pigmente", Nr. 16, 1990

D6: DE 1 245 006

D7: DE 30 14 007

III. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) legte gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung Beschwerde ein. Beschwerdeschrift und Beschwerdebegründung gingen am 1. März 2010 bzw. am 23. April 2010 ein.

Die Beschwerdeführerin erhob Einwände wegen mangelnder Ausführbarkeit, mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit.

IV. In ihrer Antwort auf die Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) gemäß ihrem Hauptantrag die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage von einem von fünf Hilfsanträgen.

V. Am 20. Dezember 2013 erging eine Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15(1) VOBK.

VI. Mit Schreiben vom 27. Januar 2014 reichte die Beschwerdegegnerin sieben neue Hilfsanträge ein.

VII. Im Verlaufe der mündlichen Verhandlung, welche am 28. Februar 2014 stattfand, reichte die Beschwerdegegnerin eine korrigierte Fassung des 1. Hilfsantrags ein.

VIII. Anspruch 1 des Hauptantrags, auf dessen Grundlage die erstinstanzliche Entscheidung erging, lautet wie folgt (Änderungen gegenüber dem erteilten Patent unterstrichen):

"1. Aluminium-dotierte Fällungskieselsäuren, dadurch gekennzeichnet, dass die Kieselsäurepartikel eine BET-Oberfläche von über 300 m**(2)/g und einen Al2O3-Gehalt von 0,05 - 0,5 Gew. % aufweisen und das Aluminium gleichmäßig in den Kieselsäurepartikeln verteilt ist."

IX. Die unabhängigen Ansprüche 1, 5, 10, 11 und 12 des in der mündlichen Verhandlung eingereichten 1. Hilfsantrags lauten wie folgt (Änderungen gegenüber dem erteilten Patent unterstrichen bzw. durchgestrichen):

"1. Aluminium-dotierte Fällungskieselsäuren, dadurch gekennzeichnet, dass die Kieselsäurepartikel eine BET-Oberfläche von über 300 m**(2)/g einen Al2O3-Gehalt von 0,05 bis 0,5 Gew. % und eine mittlere Teilchengröße von 5 bis <15 mym aufweisen und das Aluminium gleichmäßig in den Kieselsäurepartikeln verteilt ist.

5. Verfahren zur Herstellung von aluminiumdotierter Fällungskieselsäure, dadurch gekennzeichnet, dass nacheinander

a) eine Mischung aus Wasser und Natriumsilikat auf 70 bis 86**(o)C erhitzt und mit Schwefelsäure bis zur Neutralisation der Hälfte des Natriumsilikats versetzt wird,

b) die Mischung 30 bis 120 Minuten altert,

c) die Mischung durch Zugabe von Schwefelsäure auf einen pH-Wert von 3,0 bis 7,0 eingestellt wird,

d) die Mischung filtriert und der Filterkuchen gewaschen wird,

e) der gewaschene Filterkuchen sprühgetrocknet und/oder vermahlen wird,

mit der Maßgabe, dass in den Verfahrensschritten a und/oder c eine Aluminiumsalzlösung zudosiert wird, die Fällungskieselsäure eine BET-Oberfläche von über 300 m**(2)/g, einen Al2O3-Gehalt von 0,05 bis 0,5 Gew. % und eine mittlere Teilchengröße von 5 bis <15 mym aufweist und das Aluminium gleichmäßig in den Kieselsäurepartikel verteilt ist.

10. Verwendung [deleted: der aluminiumdotierten Fällungskiesel­säuren nach einem der Ansprüche 1 bis 5] von aluminium-dotierten Fällungskieselsäuren mit einer BET-Oberfläche von über 300 m**(2)/g, einem Al2O3-Gehalt von 0,05 bis 0,5 Gew. % und einer mittlere Teilchengröße von 5 bis <15 mym, bei denen das Aluminium gleichmäßig in den Kieselsäurepartikeln verteilt ist, in Papier, Folien, Leinwänden.

11. Verwendung von aluminium-dotierten Fällungskieselsäuren mit einer BET-Oberfläche von über 300 m**(2)/g, einem Al2O3-Gehalt von 0,05 bis 0,5 Gew. % und einer mittlere Teilchengröße von 5 bis <15 mym, bei denen das Aluminium gleichmäßig in den Kieselsäurepartikeln verteilt ist, als Mattierungsmittel für Lacke.

12. Streichfarbenformulierung für Papier, enthaltend Polyvinylalkohol und aluminiumdotierte Fällungskieselsäure mit einer BET-Oberfläche von über 300 m**(2)/g, einem Al2O3-Gehalt von 0,05 bis 0,5 Gew. % und einer mittlere Teilchengröße von 5 bis <15 mym, wobei das Aluminium gleichmäßig in den Kieselsäurepartikeln verteilt ist, in Form einer Suspension mit einem Feststoffgehalt von 10 bis 30 Gew.-%."

X. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Das Erfordernis der ausreichenden Offenbarung sei nicht erfüllt, da ein Verfahren zur Bestimmung der Gleichmäßigkeit der Verteilung des Aluminiums in den Kieselsäurepartikeln und insbesondere der Verteilung auf mikroskopischer Ebene, d.h. auf der Ebene der Elementarteilchen, nicht offenbart sei. Die Patentschrift enthalte keine Definition des Begriffs "gleichmäßig verteilt". Darüber hinaus würde die Gleichmäßigkeit der Verteilung in den Ausführungsbeispielen nicht gemessen. Das Streitpatent selbst offenbare, dass die erhaltenen Kieselsäurepartikel einen Aluminium-Konzentrations-Gradienten entlang ihres Radius aufweisen können. Dadurch sei für den Fachmann nicht klar, wann ein Kieselsäurepartikel in den beanspruchten Bereich fallen würde und wann nicht. Insbesondere könne das erwähnte Merkmal auch so verstanden werden, dass auch Kieselsäuren des Standes der Technik, wie er im Streitpatent beschrieben werde, unter den unabhängigen Anspruch 1 des Hauptantrags fallen würden.

Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags sei nicht neu gegenüber D1. Dieses Dokument offenbare insbesondere, dass das Aluminium während des Fällvorgangs zugegeben werden könne. Es erwähne außerdem ausdrücklich BET-Werte der erhaltenen Fällungskieselsäure von 100 bis 350 m**(2)/g und einen Al2O3-Gehalt von 0,05 bis 0,7%. In den in D1 erhaltenen Kieselsäurepartikeln sei das Aluminium ebenfalls gleichmäßig verteilt.

Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 sei nicht erfinderisch ausgehend von D2 als nächstliegendem Stand der Technik. Die Kieselsäure nach Anspruch 1 unterscheide sich von derjenigen nach dem Dokument D2 lediglich durch einen BET-Wert von größer als 300 m**(2)/g bzw. einen niedrigeren Al2O3-Gehalt. Dies könne jedoch keine erfinderische Tätigkeit begründen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass keine verbesserte Wirkung über den gesamten Bereich erreicht würde. Dies gehe insbesondere aus der Tabelle in Abschnitt [0048] des Streitpatents hervor.

XI. Die Beschwerdegegnerin hat im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Das Merkmal der gleichmäßigen Verteilung des Aluminiums sei kein Parameter, weshalb ein Mangel an Beschreibung einer entsprechenden Bestimmungsmethode nicht gerügt werden könne. Der Begriff der gleichmäßigen Verteilung in den Kieselsäurepartikeln sei so zu verstehen, dass das Aluminium im Silikatgerüst, d.h. innen und außen an der Oberfläche, verteilt sei. Dies sei insbesondere der Fall, wenn das Aluminiumsalz während der gesamten Fälldauer zugeben werde. Aber auch wenn das Aluminiumsalz entweder nur während des ersten Fällungsschritts (a) oder nur während des zweiten Fällungsschritts (c) des erfindungsgemäßen Verfahrens zugegeben würde, würden Kieselsäurepartikel erhalten, bei denen dieses Merkmal erfüllt sei. Bei den im Streitpatent beschriebenen Kieselsäuren gemäß dem dort zitierten Stand der Technik sei das Aluminium zwar auch gleichmäßig verteilt, das Aluminium sei dort jedoch nicht in der Kieselsäure, sondern vielmehr an der Oberfläche und somit auf der Kieselsäure vorhanden. Da der Fachmann jede der Ausführungsformen, nämlich Zugabe während der gesamten Fälldauer, Zugabe nur während des Fällungsschritts (a) oder Zugabe nur während des Fällungsschritts (c) anhand der im Streitpatent enthaltenen Information ausführen könne, sei der Einwand der mangelnden Offenbarung der Erfindung unbegründet.

In Dokument D1, auch unter Berücksichtigung des Verweises auf D7, würde keine aluminiumdotierte Fällungskieselsäure beschrieben, bei der das Aluminium gleichmäßig in den Kieselsäurepartikeln verteilt ist. Darüber hinaus besäßen die in D1 beschriebenen Kieselsäuren eine andere BET-Oberfläche. Zudem werde der Aluminiumoxidgehalt der Fällungskieselsäuren im erhaltenen Endprodukt nicht beschrieben, wenn auch demgegenüber die zugegebene Menge des Aluminiumoxids offenbart sei. Insbesondere könne man im Lichte der im Streitpatent angegebenen BET-Werte in Abhängigkeit des Al2O3-Gehalts keinen Schluss daraus ziehen, wie sich der BET-Wert einer nicht dotierten Kieselsäure verändere, wenn diese mit Al2O3 dotiert ist.

D2 könne nicht als nächstliegender Stand der Technik herangezogen werden, da es einen anderen technischen Anwendungsbereich betreffe. Zudem würden in D2 Werte für den Aluminiumoxidgehalt verwendet, die außerhalb des vom Streitpatent beanspruchten Bereichs lägen. Nächstliegender Stand der Technik sei vielmehr D6, da dieses Dokument sich auf die Anwendung von Fällungskieselsäure in bedruckbaren Medien wie z.B. Papier beziehe, wie dies auch für das Streitpatent der Fall sei. Die anspruchsgemäßen Fällungskieselsäuren unterschieden sich von denjenigen nach D6 durch einen geringeren Al2O3-Anteil. Die zu lösende Aufgabe sei die Bereitstellung von Fällungskieselsäuren, die auf Papieren eingesetzt werden können und beim Bedrucken mit Tintenstrahldruck eine verbesserte Farbintensität und Punktschärfe zeigen. Die Lösung hierfür sei weder aus D6 noch aus den anderen Dokumenten zu entnehmen.

XII. Anträge

Die Beschwerdeführerin beantragte, die angegriffene Entscheidung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise, das Patent auf der Grundlage der Ansprüche des Hilfsantrags 1, eingereicht in der mündlichen Verhandlung, oder eines der mit Schreiben vom 27. Januar 2014 eingereichten Hilfsanträge 2 bis 7 aufrecht zu erhalten.

Entscheidungsgründe

1. Ausführbarkeit

1.1 Das Patent in geändertem Umfang muss die Erfindung so deutlich und vollständig offenbaren, dass ein Fachmann sie ausführen kann (Artikel 83 und 100(b) EPÜ).

1.2 Die Kammer kann der Beschwerdeführerin nicht darin zustimmen, dass das angebliche Fehlen der Messbarkeit der Gleichmäßigkeit der Verteilung des Aluminiums in den Kieselsäurepartikeln zu einem Mangel an Ausführbarkeit führen würde.

1.2.1 Es ist zunächst festzustellen, dass im Patent keine Gleichmäßigkeit der Verteilung auf "mikroskopischer" Ebene oder gar auf Ebene der Elementarteilchen gefordert wird, wie dies von der Beschwerdeführerin vorgetragen wurde.

1.2.2 Bei dem streitigen Merkmal handelt es sich entgegen des Vortrags der Beschwerdeführerin auch nicht um einen Parameter, für dessen Messung unterschiedliche Methoden zur Verfügung stünden, welche zu wesentlich voneinander abweichenden Ergebnissen führen würden, und für den somit eine bestimmte Messmethode im Streitpatent hätte angegeben werden müssen. Folglich steht eine etwaige fehlende Messbarkeit der Gleichmäßigkeit der Verteilung der Ausführbarkeit der Erfindung nicht entgegen, ungeachtet des Inhalts der von der Beschwerdegegnerin vorgelegten Dokumente D3, D4, D5a und D5b. Aus den genannten Gründen geht auch das Argument der Beschwerdeführerin fehl, wonach die Gleichmäßigkeit der Verteilung im Ausführungsbeispiel nicht gemessen worden sei.

1.2.3 In diesem Zusammenhang weist die Kammer darauf hin, dass im einzigen Ausführungsbeispiel gemäß der Erfindung (Beispiel A2) Aluminiumsulfat während der gesamten Fälldauer zugegeben wird (siehe Abschnitt [0039]), so dass es keinen begründeten Zweifel daran geben kann, dass in diesem Beispiel Aluminium im gesamten Kieselsäurepartikel eingebaut wird.

1.3 Die Beschwerdegegnerin war der Ansicht, dass von dem Merkmal "gleichmäßig in den Kieselsäurepartikeln verteilt" folgende Ausführungsformen umfasst sind: Partikel, die durch Zugabe des Aluminiumsalzes während der gesamten Fälldauer erhalten werden, und Partikel, bei denen Aluminiumsalz entweder nur während des ersten Fällungsschritts (a) oder nur während des zweiten Fällungsschritts (c) zugegeben wird. Gemäß ihrem Vortrag seien jedoch Partikel ausgeschlossen, bei denen das Aluminiumsalz erst nach abgeschlossener Fällung der Kieselsäure aufgebracht wird, da im letzteren Fall zwar eine gleichmäßige Verteilung erhalten werden könne, jedoch das Aluminium auf und nicht in der Kieselsäure verteilt sei.

Die Beschwerdeführerin hingegen trug vor, dass aufgrund des genannten Merkmals, welches unklar sei, der Anspruch auch so ausgelegt werden könne, dass auch letztere Kieselsäurepartikel umfasst seien. Somit sei für den Fachmann nicht klar, wann er im beanspruchten Bereich arbeite bzw. ob die Kieselsäuren des Standes der Technik im beanspruchten Bereich lägen.

1.3.1 Die Argumentation der Beschwerdeführerin betrifft somit im Kern die Unterscheidbarkeit der beanspruchten Kieselsäuren von anderen Kieselsäuren, insbesondere von den im Streitpatent zitierten Kieselsäuren des Standes der Technik, bei denen die Kieselsäure erst nach ihrer Ausfällung mit einer Aluminiumsalzlösung versetzt wird und das Aluminium auf der bereits ausgefällten Kieselsäure ausgefällt wird (vgl. Abschnitte [0002] und [0009]).

1.3.2 Dieses Argument betrifft jedoch vielmehr die Auslegung der Ansprüche und somit die Klarheit bzw. Deutlichkeit der Ansprüche nach Artikel 84 EPÜ als die Ausführbarkeit der Erfindung. Artikel 84 EPÜ ist jedoch kein Einspruchsgrund, weshalb er im vorliegenden Fall unbeachtlicht ist (vgl. T 1062/98 vom 17. Januar 2002, Punkt 2.1.4 der Gründe).

1.3.3 Zwar kann ein etwaiger Mangel an Klarheit auch zu einem Mangel an Ausführbarkeit führen. Eine etwaige Unklarheit im Anspruch, die dazu führt, dass der Fachmann nicht weiß, ob er innerhalb oder außerhalb des beanspruchten Bereichs arbeitet, genügt jedoch nicht allein, um die ausreichende Offenbarung der Erfindung in Frage zu stellen (siehe T 608/07 vom 27. April 2009, Punkt 2.5.2 der Gründe; T 593/09 vom 20. Dezember 2011, Punkt 4.4 der Gründe).

1.3.4 Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist Voraussetzung für eine ausreichende Offenbarung, dass sie den Fachmann in die Lage versetzt, im Wesentlichen alle in den Schutzbereich der Ansprüche fallenden Ausführungsarten nachzuarbeiten (siehe z.B. T 409/91 vom 18. März 1993, Punkt 3.5 der Gründe, zitiert z.B. in T 369/05 vom 27. Juni 2007, Punkt 3.3 der Gründe).

1.3.5 Besteht der geltend gemachte Mangel an Klarheit darin, dass ein Merkmal eng oder breit ausgelegt werden kann, ist das Erfordernis der ausreichenden Offenbarung somit jedenfalls dann erfüllt, wenn auch bei breiter Auslegung des als unklar geltend gemachten Merkmals alle in den Schutzbereich der Ansprüche fallenden Ausführungsarten vom Fachmann nachgearbeitet werden können.

1.3.6 Auf den vorliegenden Fall angewendet bedeutet dies Folgendes:

Selbst wenn man das Merkmal "gleichmäßig in den Kieselsäurepartikeln verteilt" so breit auslegte, dass auch Kieselsäurepartikel umfasst wären, bei denen das Aluminiumsalz erst nach abgeschlossener Fällung der Kieselsäure aufgebracht wird, so steht doch außer Streit, dass solche Kieselsäuren, die im Streitpatent als Stand der Technik erwähnt werden, vom Fachmann hergestellt werden können. Auch die anderen Ausführungsformen, nämlich jene, bei denen das Aluminiumsalz während der gesamten Fälldauer oder aber während nur einem der Fällungsschritte (a) und (c) des erfindungsgemäßen Verfahrens zugegeben werden, können ebenfalls vom Fachmann nachgearbeitet werden.

Somit können auch bei breiter Auslegung des als unklar gerügten Merkmals alle in den Schutzbereich der Ansprüche fallenden Ausführungsarten vom Fachmann nachgearbeitet werden.

1.4 Folglich ist das Erfordernis der Ausführbarkeit nach Artikel 83 und 100(b) EPÜ erfüllt.

2. Hauptantrag - Änderungen

Ansprüche 1, 5, 10 bis 12 wurden durch die Aufnahme des Merkmals "und einem Al2O3-Gehalt von 0,05 - 0,5 Gew.-%" eingeschränkt, wobei Ansprüche 10 und 11 so umformuliert wurden, dass sie keine Bezugnahme auf den unabhängigen Produktanspruch 1 enthalten. Grundlage für die Einschränkung in den Ansprüchen 1 bis 11, welche ursprünglich alle auf den Produktanspruch 1 rückbezogen waren, ist Anspruch 3 und Seite 3, Zeilen 25 bis 29 der ursprünglichen Unterlagen. Anspruch 12 entspricht dem ursprünglichen Anspruch 13, welcher zwar nicht auf den Produktanspruch 1 rückbezogen war. Jedoch findet sich hierzu eine eindeutige Offenbarung auf Seite 7, Zeilen 7 bis 12 iVm mit Seite 3, Zeilen 25 bis 29 der ursprünglichen Unterlagen. Artikel 123(2),(3) EPÜ ist somit erfüllt.

3. Hauptantrag - Neuheit

3.1 D1 lehrt, dass während eines Prozesses zur Fällung von Kieselsäure Aluminiumoxid, bevorzugt Natriumaluminat, zugegeben wird (Spalte 2, Zeilen 17 and 18; Spalte 2, Zeilen 32 bis 46; Ansprüche 7 und 9), wobei die Menge an Aluminiumoxid, welches in der Form von Natriumaluminat zugegeben wird, 500 bis 7000 ppm, d.h. 0,05 bis 0,7 %, ausgedrückt als wasserfreies Aluminiumoxid bezogen auf wasserfreies Siliziumoxid, beträgt (Spalte 2, Zeilen 55 bis 60; Anspruch 14).

Für den in Frage kommenden Fällungsprozess wird in D1 auf die EP 18 866 Bezug genommen, deren Familien­mitglied D7 (auf die im Folgenden Bezug genommen wird) ist. Diese offenbart (siehe insbesondere Anspruch 3) eine Kieselsäure mit einer BET-Oberfläche zwischen 100 und 350 m**(2)/g. Auch in D1 wird explizit erwähnt, dass D7 einen solchen Wert offenbart (Spalte 3, Zeilen 14 bis 22).

3.2 Die Beschwerdegegnerin bestreitet, dass folgende Merkmale von Anspruch 1 des Hauptantrags in D1 bzw. D7 offenbart seien:

(i) aluminiumdotierte Fällungskieselsäure,

(ii) gleichmäßige Verteilung des Aluminiums in den Kieselsäurepartikeln,

(iii) BET-Oberfläche von größer 300m**(2)/g und

(iv) Aluminiumoxidgehalt im Bereich von 0,05 bis 0,5 Gew.-%.

Die Kammer geht auf diese Merkmale im Folgenden ein.

3.2.1 Aluminiumdotierte Fällungskieselsäure

Die Argumentation der Beschwerdegegnerin zielt auf die besondere Ausführungsform in D1 ab, bei der zu einer bereits gefällten Kieselsäure eine Aluminat-Lösung zugegeben wird. Ob dies zu einer "Dotierung" im Sinne von Anspruch 1 führt, mag dahingestellt bleiben, da dem Dokument D1 die eindeutige Lehre zu entnehmen ist (siehe oben), dass während des Fällungsprozesses gemäß D7 eine Aluminat-Lösung zugegeben werden kann. Dem Patent ist zu entnehmen, dass die Zugabe der Aluminiumkomponente während des Fällens zu ihrem Einbau in die Kieselsäure und damit zur Aluminiumdotierung führt (vgl. Abschnitt [0008]). Da in D1 die Zugabe der Aluminium­komponente während der Fällung gelehrt wird, lehrt D1 jedoch auch die Herstellung von aluminiumdotierter Kieselsäure im Sinne von Anspruch 1. Dieses Merkmal ist somit in der D1 offenbart.

3.2.2 Gleichmäßige Verteilung

Ungeachtet der Frage, ob Anspruch 1 so auszulegen ist, dass auch Kieselsäurepartikel darunter fallen, die dadurch hergestellt werden, dass bereits gefällte Kieselsäure mit einer Aluminiumsalzlösung versetzt wird, bestreitet die Beschwerdegegnerin nicht, dass dieses Merkmal jedenfalls solche Kieselsäuren umfasst, bei denen während der Fällung die Aluminiumkomponente zugegeben wird. Da in D1 die Zugabe der Aluminium­komponente während der Fällung gelehrt wird, weisen die gemäß dieser Ausführungsform der D1 erhaltenen Kieselsäuren auch eine gleichmäßige Verteilung des Aluminiums in den Partikeln auf. Dieses Merkmal kann somit keine Neuheit gegenüber D1 herstellen.

3.2.3 BET-Oberfläche

D1 bzw. D7 lehren Kieselsäuren mit einer BET-Oberfläche von bis zu 350 m**(2)/g (siehe Spalte 3, Zeilen 20 und 21 von D1; Anspruch 3 und S. 8, viertletzte Zeile von D7). Es trifft zwar zu, dass - wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen - in den Ausführungsbeispielen von D7 (siehe insbesondere Tabelle 2 auf Seite 21) BET-Werte von höchstens 271 m**(2)/g offenbart werden. Diese Tatsache allein genügt jedoch nicht, um den Nachweis zu führen, dass D7 keine ausführbare Offenbarung für BET-Werte von bis zu

350 m**(2)/g enthält. Die Beschwerdegegnerin, der es obliegt, einen etwaigen Mangel an Offenbarung in D7 nachzuweisen, hat einen entsprechenden Nachweis nicht beigebracht.

Das Argument der Beschwerdegegnerin, dass zwar D1 bzw. D7 einen BET-Wert im beanspruchten Bereich offenbart, allerdings nur für den Fall ohne Al-Dotierung, was keinen Schluss auf den BET-Wert mit Al-Dotierung zuließe, verfängt nicht. D7 lehrt, dass Fällungskieselsäuren erhalten werden können, welche einen BET-Wert von bis zu 350 m**(2)/g aufweisen. D1 lehrt, bei dem in D7 offenbarten Verfahren während der Fällung eine Aluminiumkomponente zuzugeben, und zwar derart, dass die zugegebene Menge im Bereich von 0,05 bis 0,7 % liegt. Bei der Zugabe von so geringen Mengen wie 0,05 % ist es für die Kammer nicht plausibel, dass sich der BET-Wert von 350 m**(2)/g wesentlich verringert, und erst recht nicht, dass er unterhalb des in Anspruch 1 geforderten Mindestwerts von mehr als 300 m**(2)/g liegt. Angesichts der geringen Konzentrationen der Aluminiumkomponente von 0,05 % ist die Kammer davon überzeugt, dass der Fachmann Fällungskieselsäuren mit BET-Werten erhalten würde, die zumindest über dem geforderten Wert von 300 m**(2)/g lägen.

Die Beschwerdegegnerin war der Auffassung, dass die Zugabe der Aluminiumkomponente zu einer Kieselsäure, die ohne diese Zugabe einen BET-Wert von 350 m**(2)/g aufweist, keinen Schluss darauf zulasse, ob der dann erhaltene BET-Wert im geforderten Bereich von größer 300 m**(2)/g liegen würde. Sie verwies auf das Streitpatent, Seite 5, Tabelle in Abschnitt [0041], und machte geltend, dass die dort angegeben Werte je nach zugegebener Menge des Aluminiumsalzes schwanken würden.

Die genannte Stelle des Streitpatents überzeugt jedoch nicht, denn der BET-Wert von 300 m**(2)/g in D1 müsste sich so stark vermindern, dass er außerhalb des beanspruchten Bereichs von größer 350 m**(2)/g liegen würde. Dies ist nicht plausibel. Bei dem einzigen Beispiel des Streitpatents (Beispiel A2), welches einen Al2O3-Gehalt innerhalb des beanspruchten Bereichs aufweist, erhöht sich der BET-Wert sogar gegenüber einer Kieselsäure ohne Al2O3-Gehalt (Beispiel A1). Es ist daher nicht plausibel, dass sich der BET-Wert verringert, wenn die erhaltene Kieselsäure z.B. nur ein Zehntel der der in Beispiel A2 verwendeten Aluminiumoxidmenge, also lediglich 0,05 Gew.-%, was im beanspruchten Bereich liegt, aufweist. Aus den Daten des Streitpatents ergibt sich vielmehr, dass die Zugabe von Aluminium zu der in D1 offenbarten Kieselsäure zu BET-Werten führt, welche sogar größer als 350 m**(2)/g sind und somit erst recht im beanspruchten Bereich liegen.

Folglich kann das Merkmal des BET-Werts von größer 300 m**(2)/g keine Neuheit gegenüber D1 herstellen.

3.2.4 Aluminiumoxidgehalt

Laut D1 beträgt die geeignete Menge an Aluminiumoxid 500 bis 7000 ppm (d.h. 0,05 bis 0.7%), ausgedrückt als wasserfreies Aluminiumoxid bezogen auf wasserfreies Siliziumoxid (siehe Spalte 2, Zeilen 59 und 60).

Die Beschwerdegegnerin war zwar der Ansicht, dass sich diese Angabe auf die zuzugebende Menge Al2O3 bezieht und nicht, wie die Beschwerdeführerin meinte, auf den

Al2O3 -Gehalt im erhaltenen Produkt. Selbst wenn man der Ansicht der Beschwerdegegnerin folgte, wäre es jedoch angesichts der in D7 verwendeten pH-Werte von 4 bis 6 (Anspruch 5, Seite 11, dritter Absatz) nicht plausibel, dass nicht das gesamte Aluminium ausfallen würde. Und selbst wenn man annimmt, dass nicht das gesamte Aluminium ausgefällt würde, so würde bei den gegebenen pH-Werten dennoch der überwiegende Teil des Aluminiums ausgefällt werden. Die Zugabe von zum Beispiel 0,05 % Aluminiumoxid, ausgedrückt als wasserfreies Aluminiumoxid bezogen auf wasserfreies Siliziumoxid, würde dann zu einem Endprodukt führen, in dem Aluminiumoxid in einer Menge von etwa 0,03 Gew. % oder 0,04 Gew. % vorhanden ist. Somit hätte zumindest die untere Grenze von 0,05 Gew.-% des beanspruchten Bereichs nicht genügend Abstand zum aus D1 vorbekannten Bereich. Zudem würde es sich auch insoweit um einen ausgewählten Teilbereich im Sinne einer Auswahlerfindung handeln, der gegenüber dem bereits vorbekannten Bereich nicht hinreichend eng gefasst wäre (vgl. T 279/89 vom 3. Juli 1991, Gründe 4.1).

3.3 Aus den genannten Gründen kommt die Kammer zu dem Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags nicht neu im Sinne von Art. 52(1) iVm Art. 54(1),(2) EPÜ ist.

4. Hilfsantrag 1 - Zulässigkeit

4.1 Hilfsantrag 1 wurde in der mündlichen Verhandlung eingereicht und ist eine korrigierte Fassung von Hilfsantrag 1 vom 27. Januar 2014. Die Korrektur betraf das Zeichen "?" , das offensichtlich "<" bedeuten sollte. Da dieser Antrag nicht mit der Beschwerdeerwiderung und auch erst nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung eingereicht wurde, lag es im Ermessen der Kammer, diesen Antrag in das Verfahren zuzulassen (Artikel 13(1),(3) VOBK).

4.2 Dieser Hilfsantrag 1 entspricht dem mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsantrag 1 mit der Einschränkung in den unabhängigen Ansprüchen, dass der Al2O3-Gehalt wie im Hauptantrag 0,05 bis 0,5 Gew.% beträgt.

4.3 Der vorliegende Hilfsantrag 1 wurde als Reaktion auf die Mitteilung der Kammer vom 20. Dezember 2013 eingereicht, in der die Kammer ihre vorläufige Auffassung vertreten hatte, dass die unabhängigen Ansprüche des mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsantrags 1 breiter als diejenigen des von der Einspruchsabteilung gebilligten Antrags und somit unzulässig seien.

4.4 Die Änderungen im neuen Hilfsantrag 1 warfen somit keine Fragen auf, deren Behandlung der Kammer oder der Beschwerdeführerin ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten gewesen wären. Die Beschwerdeführerin ist der beantragten Zulassung auch nicht entgegengetreten.

4.5 Die Kammer übte somit ihr Ermessen dahin aus, dass der neue Hilfsantrag 1 zum Verfahren zugelassen wird.

5. Hilfsantrag 1 - Artikel 123(2),(3) EPÜ

Zusätzlich zu den im Hauptantrag vorgenommenen Änderungen wurden die unabhängigen Ansprüche 1, 5, und 10 bis 12 auf eine mittlere Teilchengröße von 5 bis < 15 mym eingeschränkt. Die diesbezügliche Offenbarung befindet sich auf Seite 3, Zeilen 25 bis 29 der ursprünglichen Unterlagen. Die Bedingungen von Artikel 123(2),(3) EPÜ sind somit erfüllt.

6. Hilfsantrag 1 - Neuheit

6.1 Ein Mangel an Neuheit der Gegenstände der unabhängigen Ansprüche wird seitens der Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht.

6.2 Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 unterscheidet sich von den Kieselsäuren nach D1 durch eine mittlere Teilchengröße von 5 bis < 15 mym, da in D1 nur Teilchengrößen von mindestens 150 mym offenbart werden (siehe Spalte 3, Zeilen 15 bis 17).

In D2 werden Teilchengrößen von mindestens 15 mym erwähnt (Seite 10, Zeilen 26 bis 30), weshalb sich der Gegenstand von Anspruch 1 bereits durch die geforderte Teilchengröße von 5 bis <15 mym unterscheidet. In D2 wird auch ein BET-Wert von höchstens 300 m**(2)/g offenbart (Seite 12, Zeilen 33 bis 35), weshalb sich auch hier der Gegenstand von Anspruch 1 von den Kieselsäuren nach D2 unterscheidet. Zudem wird ein Aluminiumgehalt von mindestens 0,25 Gew.-% offenbart (Vergleichsbeispiel MP1 in Tabelle I auf Seite 17), was einem Al2O3-Gehalt von 0,94 Gew.-% entspricht. Unterscheidungsmerkmale gegenüber D2 sind somit eine mittlere Teilchengröße von 5 bis < 15 mym, ein BET-Wert von mehr als 300 m**(2)/g und ein Al2O3-Gehalt von 0,05 bis 0,7 Gew.%.

Unterscheidungsmerkmale gegenüber D6 sind der Al2O3-Gehalt, der in D6 in einer Größenordnung über dem beanspruchten Bereich liegt (vgl. Beispiel 1 von D2, wo ein Al2O3-Gehalt von 5,9 Gew.-% erhalten wird), und die Teilchengröße, die in D6 höchstens 1,2 mym beträgt (Spalte 3, Zeilen 15 bis 20; Spalte 4, Zeilen 1 bis 10 und Zeilen 62 bis 65).

Der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche ist daher neu im Sinne von Artikel 52(1) iVm Artikel 54(1),(2) EPÜ.

7. Hilfsantrag 1 - erfinderische Tätigkeit

7.1 Erfindung

Die Erfindung betrifft eine aluminiumdotierte Fällungskieselsäure, ein Verfahren zu ihrer Herstellung und die Verwendung dieser Kieselsäure.

7.2 Nächstliegender Stand der Technik

Die Beschwerdeführerin war der Ansicht, dass D2 den nächstliegenden Stand der Technik darstellte, wohingegen die Beschwerdegegnerin von D6 als nächstliegendem Stand der Technik ausging. Nach Ansicht der Kammer ist D6 der nächstliegende Stand der Technik, und zwar aus folgenden Gründen.

Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich von D2 durch drei, von D6 jedoch nur durch zwei Merkmale (siehe Punkt 6.26.2 supra). D2 betrifft zudem die Verwendung von Kieselsäuren als Füllstoffe in Elastomeren (Seite 1, Zeilen 6 bis 9), wohingegen D6 deren Verwendung in Papier betrifft (Spalte 1, Zeilen 6 bis 11 und Zeilen 28 bis 33). Da das Patent die Verwendung von Kieselsäuren in der Papierindustrie, insbesondere für Inkjet-Papier (Abschnitte [0004], [0042] bis [0049]), betrifft, ist D6 als der nächstliegende Stand der Technik zu betrachten.

7.3 Aufgabe

Die Beschwerdegegnerin vertrat mit Verweis auf die Tabelle in Abschnitt [0047] die Auffassung, dass es Aufgabe der Erfindung sei, Fällungskieselsäuren bereitzustellen, die auf Papieren eingesetzt werden könnten und beim Bedrucken mit Tintenstrahldruckern eine verbesserte Farbintensität und Punktschärfe zeigten.

7.4 Lösung

Zur Lösung der genannten Aufgabe werden gemäß Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 Fällungskieselsäuren vorgeschlagen, welche durch einen Al2O3-Gehalt von 0,05 bis 0,5 Gew.-% und eine mittlere Teilchengröße von 5 bis <15 mym gekennzeichnet sind.

7.5 Erfolg der Lösung

7.5.1 Es ist nicht glaubhaft, dass beim Bedrucken mit Tintenstrahldruckern eine verbesserte Farbintensität und Punktschärfe für im wesentlichen alle Tintenstrahldrucker erreicht wird. Zwar scheint dies für einen im Patent angegebenen Drucker der Fall zu sein (siehe das erfindungsgemäß Beispiel B2 in der Tabelle in Abschnitt [0047], für das die Summe der Bewertung den geringsten, und damit besten, Wert aufweist). Allerdings wurde für einen anderen Drucker keine Verbesserung gegenüber dem Vergleichsbeispiel, welches die Beschwerdegegnerin als für D6 repräsentativ erachtet, erreicht (siehe die Tabelle in Abschnitt [0048]). Eine Verbesserung der Farbintensität und Punktschärfe kann daher nicht anerkant werden.

Auch auf die im Patent erwähnte Aufgabe kann nicht zurückgegriffen werden. Im Patent wurde die Aufgabe darin gesehen, mit Aluminium dotierte Kieselsäuren bereitzustellen, wobei das Aluminium weitgehend in das Silikatgerüst eingebettet ist (siehe Abschnitt [0012]). Es ist jedoch nicht glaubhaft, dass das Aluminium über den gesamten beanspruchten Bereich "weitgehend in das Silikatgerüst eingebettet ist". Insbesondere sind von Anspruch 1 Ausführungsformen umfasst, die dadurch erhalten werden, dass man das Aluminiumsalz erst am Ende der Zugabe der Schwefelsäure zugibt. Das führt aber zu einer Aluminium-Konzentration an der Oberfläche des Kieselsäurepartikels, welche um ein Vielfaches über derjenigen im Inneren des Partikels liegt (siehe insbesondere Abschnitt [0022]). In diesem Fall kann nicht davon gesprochen werden, dass das Aluminium "weitgehend in das Silikatgerüst eingebettet ist".

7.5.2 Es ergibt sich jedoch unzweifelhaft aus den Ausführungsbeispielen und z.B. aus den Abschnitten [0002] und [0003], dass die Fällungskieselsäuren nach Anspruch 1 für die Anwendung bei Inkjet-Papieren geeignet sind (vgl. Abschnitt [0002] und [0003] der Patentschrift).

7.6 Umformulierung der Aufgabe

Die zu lösende Aufgabe muss daher dahin umformuliert werden, dass sie in dem Bereitstellen einer alternativen Fällungskieselsäure besteht, welche für die Anwendung bei Inkjet-Papier geeignet ist. Es bestehen keine Zweifel, dass diese Aufgabe gelöst ist.

7.7 Naheliegen

7.7.1 Zunächst ist festzustellen, dass keines der im Verfahren befindlichen Dokumente Inkjet-Papier betrifft.

So ist Aufgabe der Erfindung in D1, die rheologischen Eigenschaften von Kieselsäure-Suspensionen zu verbessern (Spalte 1, Zeilen 7 bis 14), welche sprühgetrocknet werden um als Füllstoffe in Gummi verwendet zu werden (Spalte 3, Zeilen 32ff).

Dokument D2 betrifft, wie unter Punkt 7.17.1 supra erwähnt, die Verwendung von Kieselsäuren als Füllstoffe in Elastomeren (Seite 1, Zeilen 6 bis 9).

Ebenso bezieht sich Dokument D7 auf Pigmente, welche als Füllstoffen in Elastomeren Verwendung finden (Seite 3, dritter Absatz).

Da keines der im Verfahren befindlichen Dokumente Inkjet-Papier betrifft, lag die vorgeschlagene Lösung bereits aus diesem Grunde für den Fachmann nicht nahe.

7.7.2 Selbst wenn der Fachmann die Offenbarung in D2 in Betracht gezogen hätte, wäre er nicht zur vorgeschlagenen Lösung gelangt. In D2 werden nämlich Teilchengrößen von mindestens 15 mym (Seite 10, Zeilen 26 bis 30) und ein Al2O3-Gehalt von mindestens 0,94 Gew.-% offenbart (vgl. Punkt 6.26.2 supra). Aus der D2 ergibt sich somit keine Lehre, im beanspruchten Bereich der Teilchengröße von 5 bis <15 mym und im beanspruchten Bereich des Al2O3-Gehalts von 0,05 bis 0,5 Gew.-% zu arbeiten.

Auch D1 offenbart keine Teilchengrößen im beanspruchten Bereich (vgl. Punkt 6.26.2 supra), was auch auf D7 zu trifft (vgl. insbesondere Ansprüche 1 und 3 von D7). Dies bedeutet, dass auch eine Kombination der Dokumente D6 und D1 nicht zur vorgeschlagenen Lösung geführt hätte.

7.8 Der Vollständigkeit halber weist die Kammer darauf hin, dass auch die Kombination von D2 und D1, wie sie von der Beschwerdeführerin vorgeschlagen wurde, nicht zum Gegenstand von Anspruch 1 geführt hätte, dies zumindest deshalb, weil weder D1 noch D2 eine mittlere Teilchengröße im beanspruchten Bereich offenbaren.

7.9 Somit ergibt sich, dass der Gegenstand von Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit nach Artikel 52(1) iVm Artikel 56 EPÜ erfüllt. Dies trifft auch auf die anderen unabhängigen Ansprüche zu, da diese entweder ein Verfahren zur Herstellung der Fällungskieselsäuren nach Anspruch 1 oder ihre Verwendung betreffen.

8. Da im Rahmen des Hilfsantrags 1 das Patent aufrecht zu erhalten ist, erübrigt sich eine Stellungnahme zu den Hilfsanträgen 2 bis 7.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 12 des 1. Hilfsantrags, eingereicht in der mündlichen Verhandlung, und einer anzupassenden Beschreibung, aufrecht zu erhalten.

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